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Am 29. August Abends zehn Uhr rasselten zwei Droschken durch die engen, noch ziemlich belebten Straßen Bremens, und hielten, dicht hintereinander, vor dem offenen Thorweg des »Hannoverschen Hauses« aus dem ein paar geschäftige Kellner sprangen, die Neuangekommenen in Empfang zu nehmen.
»Um wie viel Uhr fährt morgen früh die Haidschnucke ab?« frug ein ältlicher Herr, der in einen weiten Mantel gewickelt hastig aus dem ersten Wagen stieg, indeß aus dem anderen ein paar Damenhüte schauten, als ob sie noch unschlüssig wären hier auszusteigen oder weiter zu fahren.
»Haidschnucke?« sagte der Oberkellner etwas verblüfft den Fremden und dann den ebenfalls herzugekommenen Hausknecht anschauend — »Haidschnucke?«
»Weet ick nich« erwiederte dieser, kurz angebunden, und
»Das Schiff Haidschnucke, Capitain Siebelt, nach New-Orleans bestimmt,« erklärte der Fremde — ein alter Bekannter von uns, Professor Lobenstein — dem Kellner indeß; »der Abgang war auf morgen früh bestimmt, und ich wollte schon gestern hier sein, bin aber um einen Tag aufgehalten worden.«
»Ach Sie meinen ein Seeschiff,« sagte der Kellner beruhigend, »da brauchen Sie keine Angst zu haben; die gehen selten so pünktlich — befehlen Sie zwei oder drei Zimmer?«
»Ja selten so pünktlich,« wiederholte der Professor ungeduldig — »darauf kann ich mich nicht einlassen — He! — Sie da — wo laufen Sie denn mit den Sachen hin? lassen Sie mir das erst Alles einmal auf der Hausflur stehn, bis Sie weiteren Bescheid bekommen. Wo wohnt denn wohl der Rheder der Haidschnucke?«
»Der Rheder der Haidschnucke?« wandte sich der Oberkellner wieder fragend an den Hausknecht — »wer hat denn die Haidschnucke eigentlich?«
»Weet ick nich« sagte der Hausknecht wieder wie vorher kurz angebunden.
»Ferdinand Hessburg« kam ihm der Professor hierbei zu Hülfe, »die Firma heißt, glaub' ich, Hessburg und Sohn.«
»Ach ich weiß schon« erwiederte der zweite Kellner jetzt — das Geschäft ist in der Seemannsstraße, aber Hessburgs wohnen am Wall.«
»Kann ich Jemand bekommen der mich dorthin begleitet?« frug der Professor.
»Es ist zehn Uhr vorbei« sagte der zweite Kellner, achselzuckend.
»Ich
Die Damen waren indeß ausgestiegen, und die verschiedenen Collis in dem Gastzimmer, an dessen Abendtafel es ziemlich lebhaft herging, neben dem Ofen aufgethürmt worden zu augenblicklicher Weiterbeförderung, falls diese nöthig werden sollte, bereit zu sein. Der Professor Lobenstein aber ging raschen Schrittes, mit dem einsylbigen Hausknecht als Führer, die Straßen entlang, dem bezeichneten Stadtviertel zu, bis Jahn, wie der Hausknecht hieß, vor einem sehr eleganten Hause Halt machte und dort auch, ohne weiter ein Wort zu sagen, mit solcher Gewalt an dem Messinggriff der Klingel riß, daß das ganze Haus von dem so plötzlich geweckten Geläute wiederschallte.
»Aber um Gottes Willen« rief der etwas rücksichtsvolle Fremde erschreckt.
»Dat sollen se woll 'hört hebben« meinte aber Jahn ruhig
und schob seine Hände, wie vollständig mit sich zufrieden in
»Ich bitte tausendmal um Entschuldigung« sagte aber der Professor, unwillkürlich in der Dunkelheit seinen Hut abnehmend, »mein Führer hier hat so entsetzlich an der Klingel gerissen.«
»Zu wem wollen Sie?« frug der Baß oben, die Entschuldigung unten kurz abschneidend — »hier wohnt kein Doktor.«
»Habe ich das Vergnügen mit Herrn Hessburg zu sprechen?« frug aber der Professor zurück.
»Mein Name ist Hessburg,« sagte der Baß.
»Dann sind Sie wohl so freundlich mir zu sagen, um welche Tageszeit die Haidschnucke morgen segelt« sagte der Professor, froh endlich an den rechten Mann gekommen zu sein, »und ob ich noch zur rechten Zeit komme, wenn ich jetzt Extrapost nehme und die Nacht durch nach Bremerhafen fahre — ich habe mich um einen Tag verspätigt und möchte das Schiff nicht versäumen.«
»Extrapost nehmen?« frug die Stimme oben erstaunt; »morgen früh um sechs und Mittags um elf geht ja ein Dampfboot nach Bremerhafen, warum wollen Sie denn nicht mit dem fahren?«
»Aber komme ich dann noch zur rechten Zeit?«
Die Stimme oben murmelte etwas, das der Professor unten nicht verstehen konnte — »sind Sie ein Passagier der Haidschnucke?« sagte es dann wieder lauter.
»Aufzuwarten — Professor Lobenstein aus Heilingen.«
»Ah — bitte um Entschuldigung Herr Professor, daß ich Sie habe so lange da unten stehen lassen. Marie machen Sie einmal unten die Thüre auf.«
»Bitte, bitte« rief aber der Professor — »ich will Sie keineswegs mitten in der Nacht belästigen — also komme ich noch früh genug wenn ich morgen um sechs Uhr mit dem ersten Boot abfahre?«
»Die Haidschnucke wird wohl kaum vor Abend in See gehn — der Wind ist noch nicht ganz günstig« sagte der Baß oben — »wenn Sie um 11 Uhr fahren haben Sie vollkommen Zeit — das Schiff liegt vor Brake und wird morgen früh noch einige verspätete Fracht an Bord nehmen.«
»Vor Brake?« wiederholte der Professor, mit der Geographie der Weser noch nicht so weit bekannt.
»Der Hafen diesseit Bremerhafen« sagte der Baß — »die Leute auf dem Dampfboot kennen den Ort und das Schiff —«
»Ich bin Ihnen sehr verbunden —«
»Bitte Herr Professor — Sie werden entschuldigen —«
»Bitte sehr — ich habe um Entschuldigung zu bitten —, Sie in so später Nachtzeit noch gestört und belästigt zu haben.«
»Oh — war mir sehr angenehm Ihre werthe Be —«
das übrige verschwamm in einem dumpfen, unverständlichen
Lobensteins hatten dort indessen, so gut das in dem ziemlich besetzten Speisesaal eben gehen wollte, einen der Ecktische in Besitz und Platz daran genommen, und sich Thee und Butterbrod geben lassen, auf eine mögliche Nachtfahrt mit Extrapost wenigstens in etwas vorbereitet zu sein. Die beiden jüngsten Kinder, Carl und Gretchen mußten dabei im Schlaf in die Stube getragen und konnten kaum munter erhalten werden, noch etwas zu sich nehmen, und legten sich dann mit den Köpfchen, Carl auf den Tisch und Gretchen in Mutters Schooß — weiter zu schlafen.
Der Aufenthalt in dem großen, heißen Saale, mit den vielen Menschen, dem lauten Reden und Lachen und dem fast undurchdringlichen Tabacksqualm, die ganze fremde Umgebung dazu mit dem unbestimmten Gefühl das Schiff, mit dem ihre sämmtlichen Sachen befördert worden, am Ende gar schon versäumt zu haben, auch das übernächtige einer späten Fahrt, auf der mit bleierner, peinlicher Schwere der kaum überstandene Abschied aus der Heimath lag, das Alles vereinigte sich sie niederzudrücken und ernst und traurig zu stimmen, und das einfache Abendbrod wurde still und schweigend verzehrt. Jedes war mit seinen eigenen Gedanken viel zu sehr beschäftigt sich dem Andern mitzutheilen.
Nur Eduard, Professor Lobensteins ältester Sohn, der
einzige vielleicht von der ganzen Familie, der sich wirklich auf
Der Fremde saß verkehrt auf seinem Stuhl, die Arme auf die Lehne desselben und sein Kinn wieder auf diese stützend, und schien sich in der That von der übrigen Gesellschaft ganz zurückgezogen oder abgewandt zu haben, und die neuangekommene Familie auf das Genauste zu betrachten.
Es schien übrigens, wie er
Die Frau Professorin war jedoch viel zu sehr mit ihren Kindern und der Sorge um ihr Gepäck beschäftigt, den kleinen grauen Mann auch nur zu bemerken, viel weniger denn zu finden daß sie selber von ihm so scharf beobachtet wurden, bis sie Eduard endlich darauf aufmerksam machte und sie frug, ob sie den Fremden vielleicht schon früher einmal gesehen habe. So wie sie aber zu dem hinüber sah, stand er, wie verlegen, von seinem Sitze auf, zog die Mütze vorn womöglich noch weiter herunter, steckte dann beide Hände hinten in seine Fracktaschen, und verließ, leise vor sich hin pfeifend, das Zimmer.
»Sie, Kellner!« rief aber jetzt Eduard, den der Mann an zu interessiren fing, einem der um sie beschäftigten aber ebenfalls ziemlich schläfrig aussehenden Kellner zu — »kennen Sie den Herrn der da eben hinausging?«
»Eben hinausging?« sagte der Kellner, einen faulen Blick nach der Thür werfend — »ich habe nicht darauf geachtet.«
»Der mit der grauen Mütze und dem grauen Rock.«
»Ach — die Nachtigall?« sagte der Kellner, und ein breites, etwas dummes Lächeln zog ihn den Mund fast von einem Ohre bis zum andern.
»Die Nachtigall?« wiederholte Eduard etwas verdutzt.
»Nun Sie meinen doch den kleinen grauen Mann mit dem spitzen Mützenschilde?« lachte der Kellner.
»Ja wohl, denselben.«
»Nun ja, das ist ein sonderbarer Kautz, der schon acht Tage bei uns wohnt. Er heißt Schultze und will mit der Haidschnucke nach Amerika.«
»Mit der Haidschnucke? — mit der wollen ja auch wir fort« — rief Eduard rasch — »also segelt sie noch nicht morgen in aller Früh?«
»Ich glaube nicht« sagte der Kellner, »sonst wäre die Nachtigall doch schon längst nach Bremerhafen hinauf — auf wann war sie denn angezeigt?«
»Auf morgen früh — bestimmt.«
»Ah da haben Sie noch Zeit genug,« gähnte der Kellner — »
»
»Lieber Gott« meinte der Kellner, eine Parthie abgegessener
Teller von einem der Nachbartische aufnehmend und da
»Das wären traurige Aussichten« sagte Anna, die nicht weit von Eduard saß, und des Kellners Bemerkung gehört hatte — »da hätten wir uns freilich die letzten Tage in Heilingen nicht so entsetzlich abzuhetzen brauchen.«
»Was weiß der Kellner davon« tröstete sie aber Eduard; »apropos, der kleine graue Mann, der uns da gerade gegenübersaß und Mutter immer so anstarrte, geht auch mit der Haidschnucke nach New-Orleans?«
»Um Verzeihung,« fiel hier ein anderer Fremder, der an einem benachbarten Tisch saß, ein, sich im Stuhl etwas zurückbiegend — »habe ich recht gehört und gehen Sie wirklich mit der Haidschnucke nach New-Orleans?«
»Allerdings« erwiederte ihm Eduard — »wir haben unsere Passage auf dem Schiff genommen.«
»Ah, das ist mir doch ungemein angenehm« erwiederte der Fremde sich rasch vollständig gegen die Damen herumdrehend; »da bin ich so frei mich Ihnen als künftigen Reisegefährten gehorsamst vorzustellen.«
Die Damen verbeugten sich leicht gegen den sich selber Einführenden, und Frau Professor Lobenstein wollte ihn eben fragen ob er etwas Bestimmtes über die Abfahrt des Schiffes wisse, er ließ sie aber gar nicht zu Worte kommen, und fuhr rasch, seinen Stuhl jetzt vollständig zu ihrem Tische rückend, fort:
»Ist mir doch wirklich sehr angenehm; wunderbares Zu
Der gesprächige Fremde machte hier zum ersten Mal eine Pause, indem er seine ziemlich geleerte Weinflasche und sein Glas von dem Tisch an dem er vorher gesessen, herüber nahm, und vor sich hinstellte, und sein Glas dabei wieder füllte und mit einer Verbeugung gegen die Damen trank.
Es war ein Mann ziemlich hoch in den Dreißigen, sehr
sorgfältig angezogen, mit einem großen Siegelring an dem
Zeigefinger der rechten und drei oder vier anderen Ringen an
dem kleinen Finger der linken Hand. Er trug sein Haar dabei
»Und können Sie uns vielleicht genau die Abfahrt des Schiffs sagen?« frug die Frau Professorin endlich, die erste mögliche Pause benutzend; »es hieß daß es schon morgen früh in See gehen sollte.«
»Wind und Wetter
»Was heißt das?« sagte die Frau Professorin, etwas verlegen.
»Ah, daß ein Schiff nicht segeln kann, wenn der Wind nicht günstig ist,« lächelte der Weinreisende nach den beiden jungen Damen hinüber. »Uebrigens wird die Haidschnucke keineswegs vor morgen Abend in See gehn« setzte er beruhigend hinzu; »ich bin mit dem Capitain sehr eng befreundet — wir haben schon manche Flasche zusammen ausgestochen, und er hat mich versichert daß er morgen Abend um sechs Uhr, mit eintretender Ebbe, seinen Anker lichten und seine Segel spannen würde. Sie wissen wohl, gnädige Frau — »Segel gespannt und den Anker gelichtet,« wie wir Seeleute singen.«
»Also vor morgen
»
»Wird uns sehr angenehm sein« sagte die Frau Professorin
etwas verlegen; es war ihr eben
Herr Mehlmeier, der indessen still und regungslos, und
ohne auch nur den Kopf nach jemand Anderem umzuwenden,
vor seinem wieder und wieder gefüllten Glas Bier gesessen
hatte, war bei dem Ruf seines Namens aufgesprungen, als
ob ihn was mit einer Stecknadel an irgend einem empfindlichen
Theil gestochen hätte. Es war eine große, fast übermäßig
starke Gestalt, die des Herrn Mehlmeier, mit einem
vollen runden gutmüthigen Gesicht, sehr breiten Schultern und
»Was befehlen Sie Herr Steinert?«
»Ach lieber Herr Mehlmeier,« rief aber Herr Steinert — »ich wollte mir vor allen Dingen die Freiheit nehmen, Sie den Damen hier, die wir so glücklich sind künftige Reisegefährtinnen von uns zu nennen, nach aller Form vorzustellen — Herr Christian Mehlmeier von Schmalkalden — und — aber ich weiß wahrhaftig Ihren eigenen Namen noch nicht, meine Damen —«
»Die Familie des Professor Lobenstein aus Heilingen« nahm hier Eduard das Wort, der sich jetzt besonders für den dicken Mann mit der feinen Stimme interessirte.
»Professor Lobenstein?« rief Herr Steinert, rasch nach
dem jungen Mann herumfahrend — »Familie des Professor
Lobenstein —
»Wir erwarten ihn jeden Augenblick« sagte die Frau Professorin,
sich dabei ungeduldig nach der Thüre umsehend, denn
die Bekanntschaft des Herrn Steinert, der mit seiner lauten
»Er ist eben fortgegangen sich über die genaue Abfahrt des Schiffes Gewißheit zu holen,« ergänzte Eduard.
»Ah ja, unser Schiff« rief Herr Steinert, sich plötzlich wieder der Sache erinnernd, wegen der er Herrn Mehlmeier eigentlich herbeigerufen. »Sie haben ja selber heute mit den Rhedern gesprochen, nicht wahr lieber Mehlmeier?«
»Ja wohl« sagte der dicke Mann mit seiner feinsten Stimmlage, während er dabei stark mit dem Kopf schüttelte.
»Dann ist also keine Gefahr daß wir das Schiff versäumen, wenn wir bis morgen früh hier bleiben?« frug die Frau Professorin. Herr Mehlmeier nickte ihr aber sehr bedenklich zu und sie frug rasch — »Sie glauben doch?«
»Bitte um Verzeihung — Gott bewahre« sagte der dicke
Mann erschreckt. — Das Gespräch wurde aber hier durch den
Professor selber unterbrochen, der in diesem Augenblick den
Saal betrat und noch unter der Thür zwei Zimmer für sich
und die Seinen mit den nöthigen Betten, bestellte. Der Oberkellner
war ihm darin aber schon zuvorgekommen, und trotzdem
daß Herr Steinert jetzt mehre Anläufe nahm ein Gespräch
mit Professor Lobenstein anzuknüpfen, und sich ihm als alten
Bekannten vorzustellen, hatte dieser doch zu wenig Zeit sich,
außer einigen höflich gewechselten Worten, mit ihm näher
einzulassen. Die Frauen waren müde und erschöpft, und das
Gepäck mußte nach oben geschafft werden, wo der Professor
selber seinen Thee trinken wollte; so jede weitere Unterhaltung
In dem Gastzimmer des Hannöverschen Hauses begann aber jetzt erst, trotz der späten Stunde, ein reges geselliges Leben. Viele der Passagiere der Haidschnucke, wie noch mehrer anderer Schiffe deren Abreise theils auf morgen, theils auf die nächsten Tage angekündigt worden, hatten sich hier zusammengefunden und feierten unter Lachen und Singen, mit Bier oder Champagner, und lustigen fröhlichen Plänen für »da drüben,« den »letzten Tag in der Heimath« wie sie's nannten.
»
Die Fröhlichkeit der Auswanderer ist aber in solchen
Fällen auch selten eine ruhige, meist eine wilde, ausgelassene,
wie das auch wohl kaum anders der Fall sein kann; sie
Eine Menge der jungen Leute waren an dem Abend noch einmal im Theater gewesen, in der fremden Stadt irgend ein altes bekanntes Stück aufführen zu sehen, und saßen jetzt bei ihrem Abendessen und Wein, und sprachen und stritten sich über die Aufführung, als ob sie nur eben deretwegen allein nach Bremen gekommen wären. Dort in der Ecke rechneten ein paar, die wahrscheinlich gemeinsame Casse mit einander hatten, und jetzt ihre gehabten und zu habenden Auslagen wohl durchsahen; die meisten aber lachten und plauderten mit einander und tranken und sangen noch, heimische Weine und Lieder bis spät in die Nacht hinein.
Ganz still und geräuschlos war indessen ein alter polnischer
Jude in seiner Nationaltracht, dem langen schwarzen
schmutzigen seidenen Kastan, mit einem Knaben von vielleicht
zwölf oder dreizehn Jahren hinter sich, ebenfalls in das Gast
»Komm Philipp« sagte der Alte, als sie eine Weile so gesessen hatten, mit unterdrückter Stimme, indem er den jungen Burschen mit dem Fuße anstieß — »es werd spät, pack die Harmonika aus und laß uns anfange. Die Leut' hoben hier viel getrunken und sind guter Laune; werd auch 'was für uns dabei abfalle.«
Der Knabe öffnete die großen schwarzen Augen und sah den Mann ein paar Secunden starr an, als ob er nicht recht begriffen hätte was er sagte.
»Na, werd's bald?« rief aber dieser, ärgerlich aufbrausend, aber doch so leise daß es selbst die an den nächsten Tischen Sitzenden nicht verstehen konnten — »ist es dem jungen Herrn gefällig, oder soll ich ihn etwa aufwecken?«
»Ja ja, Vater!« rief der Knabe jetzt, rasch und erschreckt
emporfahrend — »wollen wir denn noch singen heute
»Wolle wir denn noch singen?« wiederholte der Alte spöttisch und ärgerlich, »Gottes Wunder, glaubt der junge Herr daß ich ihn Abends in die Wirthshäuser führe zu seinem Vergnigen? — wolle wir denn noch singen? Abraham und Jacob, was ist das for a Frog.«
Der Knabe war übrigens schon bei den ersten ärgerlichen Worten des Alten von seinem Stuhle aufgesprungen, und sich die Locken aus der Stirn streichend, machte er sich eifrig daran, das auf dem Tisch liegende Packet aufzuknüpfen, und den Inhalt auf der Tafel desselben auszubreiten. Hierbei war ihm der Alte behülflich, und ordnete jetzt selber eine Masse mit einander leicht verbundener Stöcke oder Stäbe von weichem Holz, die, manche stärker, manche schwächer, mit einer Unterlage von dünn- aber festgedrehten Strohseilen auf den Tisch an beiden Enden auf- und in der Mitte hohlzuliegen kamen.
»Hallo was ist das?« rief Steinert, der dem Tische zunächst saß und die wunderlichen Vorbereitungen bemerkte — »eine Holzharmonika, wahrhaftig — ah, meine Herren, jetzt werden wir etwas zu hören bekommen; die klingt famos, wenn sie der alte Bursche da nur zu spielen versteht.«
»Werd' er sie nicht zu spielen verstehn — spielt sie schon
fünfundzwanzig Jahr« schmunzelte der Alte vergnügt vor sich
hin — »nu Philippche, mei Jingelche jetzt paß auf, und fall
mer ein zur rechten Zeit mit der Flöte.« Zugleich die beiden,
ihm zur Hand liegenden Klöppel ergreifend, fuhr er mit rascher
»So Philippche, nu fang an!« nickte er aber jetzt dem
Knaben zu, der bis dahin still und regungslos neben dem
Tisch gestanden und sich kaum der Leute hatte erwehren können,
die ihn umpreßten; dabei fiel er in die englische Volkshymne
Der alte Mann, den der Zudrang freute, denn er bewies
ihm die Theilnahme der Hörer und ließ ihn auf gute Einnahme
rechnen, fuhr dabei mit großer Leichtigkeit und Sicherheit
über die fibrirenden Tasten, und seine ganze, erst so ruhige
in sich gesunkene Gestalt schien mit den Tönen Leben zu gewinnen,
und aus sich herauszugehn. Es war eine kleine
schmächtige, aber zähe und knochige Gestalt, der Mann in
dem schwarzen, schmutzigen Kastan; über die scharf gebogene
Der Knabe war, wie schon gesagt, etwa zwölf bis dreizehn
Jahre alt, trug aber nicht die polnische Tracht, sondern
einen gewöhnlichen Rock und eine blaue Mütze, die er neben
sich auf dem Tisch liegen hatte, während der Mann sein altes
schmutziges abgegriffenes Sammetmützchen aufbehielt. Das
zwar bleiche doch wirklich schöne asiatische regelmäßige Gesicht
des Kindes — denn es konnte kaum über die Kinderjahre
hinaus sein, blieb aber kalt und theilnahmlos bei den weichsten,
ergreifendsten Tönen seiner eigenen Brust und, ohne
Seele, beherrschte er mit wunderbarer Gewalt fast, die mächtige
Stimme, die sich oft zu einer Stärke hob, daß die Umstehenden
ihr lautes Erstaunen nicht zurückhalten konnten, und
dann in stürmischen, donnernden Beifall ausbrachen. Mit
unnatürlicher Gewalt mußte der Knabe dabei seine Stimme,
die Töne der Flöte nachzuahmen, zu ihrer höchsten Lage hinaufzwingen,
und der Schweiß stand ihm auf der weißen Stirn
in großen Tropfen, solche Anstrengung kostete es ihm. Aber
der Alte spielte unverdrossen fort — jetzt »Lützow's wilde verwegene
Jagd« wie es Einzelne der Gesellschaft wünschten, und
dann »des Deutschen Vaterland« nach Anderer Ruf; dann
den Jägerchor, und die neueste Polka, und Trinklieder zuletzt,
Zuletzt konnte aber der Knabe nicht mehr — die Stimme schlug ihm mehrmals über, und wenn ihn gleich der Alte ärgerlich dabei ansah, ließ es sich nicht erzwingen. Philipp schaute bittend zu ihm auf und schüttelte mit dem Kopf, und der Alte legte plötzlich seine Klöppel bei Seite und fing an die Hölzer wieder zusammenzupacken, während welcher Zeit der junge Bursch einen Teller nahm und in dem Zimmer sammelnd umherging. Die Gäste schienen allerdings mit dem frühen Aufbruch, wie sie's nannten, gar nicht zufrieden, und Steinert besonders verlangte noch einige Lieblings- Trink- und Weinlieder, die kein Mensch weiter kannte, der alte Mann schüttelte aber mit dem Kopf und meinte es sei genug, sein Junge würde ihm sonst krank und könnte nicht mehr pfeifen, und der Ertrag der Sammlung fiel dabei über alles Erwarten reich und günstig aus.
Auswanderer, vorzüglich die in den Hotels wohnenden, haben meist immer noch eine Menge »deutsches Geld« in den Taschen, das sie, wie sie sagen »doch nicht mit auf das Schiff nehmen können« und sind gewöhnlich sehr freigebig mit dieser kleinen Münze, so lange sie eben dauert. Sehr zu ihrem Erstaunen müssen sie dann aber auch freilich nicht selten schon eingewechseltes amerikanisches Geld wieder »in den Markt« bringen, und die ewige Klage ist nachher »oh die theueren Seestädte.«
»Von woher seid Ihr denn, Alter?« frug ihn jetzt Stei
»Gott der Gerechte, nein!« lächelte der Gefragte, mit einem flüchtigen aber zufriedenen Blick den Haufen eingesammelter Münzen, unter denen sich nicht ein einziges Kupferstück befand, überfliegend — »bin ich doch von Bromberg.«
»Von Bromberg? Donnerwetter das ist weit« sagte der Weinreisende — »und was thut Ihr hier in Bremen?«
»Was wir in Bremen thun?« frug der Jude, die Augenbrauen
in die Höhe ziehend — »Gottes Wunder was thun
»Ei
»Als ich aach nicht hierbleiben mag, werd' ich aach auswandern« erwiederte aber der Israelit, die Schultern in die Höhe ziehend.
»Was? — auch auswandern?« riefen aber viele der Umstehenden wie aus einem Mund.
»Na?« — sagte aber der Jude, sich erstaunt im Kreise umsehend — »ist's etwa wohl zu hibsch hier für uns Jüden, heh? wer sollen uns wohl glicklich schätze, daß mer derfe unsere Steuern zahle und nachher getreten werden wie die Hunde?«
»Aber wo geht Ihr hin?« rief Einer der Umstehenden, »nach New-York?«
Der Alte schüttelte mit dem Kopf.
»Nach New-Orleans.«
»Und mit welchem Schiff?« rief Steinert schnell.
»Mit der Haidschnucke.«
»Hurrah der Alte soll leben« jubelten aber die Passagiere der Haidschnucke um ihn her — »das ist prächtig, das ist ein Reisegefährte der uns die Zeit vertreiben wird,« und von verschiedenen Seiten wurden noch Flaschen Wein bestellt den Spielmann zu traktiren, der jetzt kaum hörte wie die Sache stand, und das Viele der Anwesenden auf ein und demselben Schiff die Ueberfahrt mit ihm machen würden, als er auch augenblicklich sein erst halbgeleertes Glas Bier zurückschob und sich mit augenscheinlichem Behagen dem Genuß des wahrscheinlich lange entbehrten Weines hingab. Der Knabe aber trank sein Glas aus, und setzte sich dann still und weiter nicht beachtet, in die eine Ecke, lehnte den Kopf zurück gegen die Wand, und schloß die Augen — vielleicht schlief er — bis die späte Nachtstunde auch die Uebrigen mahnte aufzubrechen, und ihn sein Vater abrief, ihr eigenes Lager in einem kleinen billigen Wirthshaus in der Neustadt aufzusuchen.
Der nächste Tag war ein gar geschäftiger für die Passagiere
zweier Seeschiffe, die noch an demselben Abend expedirt
zu werden hofften, und — der Aussage der Rheder wenigstens
nach — segelfertig und bis auf einige unbedeutende Kleinigkeiten
vollständig gerüstet, vor Anker lagen. Tausenderlei
Sachen mußten noch besorgt und eingekauft werden, die man
theils für nöthig, theils selbst für unentbehrlich hielt; Wein
und Branntwein wurde dabei angeschafft, Zucker und Zwieback,
eine ganze Ladung von Heringen und Sardellen eingelegt, den
schlimmsten Feind der Reisenden, die Seekrankheit, wenn nicht
zu bannen, doch damit in ihren Wirkungen zu schwächen.
Auch mit Blech und anderem Geschirr, mit Messer, Löffeln
und Gabeln als auch verschiedenen Gewürzen, hatten sich besonders
die Zwischendeckspassagiere zu versehn, denen etwas
Aehnliches vom Schiffe aus nicht geliefert wurde. Und wie
Wer aber kann es den Leuten verdenken, daß sie nicht gleich wissen und verstehn, sich auf eine so lange mühselige und mit Entbehrungen und Gefahren verknüpfte Reise in wenigen Tagen, oft fast nur Stunden ordentlich und vollständig vorzubereiten? Meist aus dem inneren Land, mit der See kaum dem Namen nach bekannt, schwimmt ihnen Alles was sie vielleicht über eine erste Einschiffung gelesen, nur wie in wirren Bildern im Hirn herum, die sie dann nicht fassen und halten können, sobald sie das zum ersten Mal jetzt praktisch ausführen sollen, was sie sich Monate vorher vielleicht schon einstudirt.
Der Deutsche ist überhaupt, wo es ins praktische Leben
eingreift, das ungeschickteste Menschenkind auf der weiten Gottes
Welt. Viel thut freilich dabei die Erziehung, und gegängelt
und am Leitseil geführt nicht allein bis ins Schwabenalter,
sondern oft auch bis ins Grab, wird ein so vortrefflicher
Staatsbürger aus ihm (den alle anderen, fremden Regierungen
nicht genug zu rühmen wissen) daß er eben zu Nichts
weiter zu brauchen ist, und eben nur so
So sieht man Schaaren von Auswanderern die Straßen
der Seestädte den ganzen Tag über durchziehn in Gesellschaft
und einzeln, die Männer mit ihren grauen Filzhüten auf und
Blousen über die Röcke gezogen, die kurzen Pfeifen im Mund — die
Frauen Kinder an der Hand und auf dem Arme, in
kleinen schüchternen Trupps vor jedem aufgeputzten Laden
stehen bleibend und die Sachen darin bewundernd, oder weiter
schlendernd und die Aushängeschilder buchstabirend, die über
den verschiedenen Thüren hängen. Es ist das die »leere Zeit«
in ihrem Leben, der erste Ruhepunkt vielleicht, so lange sie
Die Cajütspassagiere, wie solche der Zwischendeckspassagiere,
die noch über einiges Geld zu verfügen hatten, wohnten
indessen in den besseren Gasthöfen Bremens, und benutzten
zum Hinausfahren nach ihrem Bestimmungsort, wo das
Schiff vor Anker lag auf dem sie ihre Ueberfahrt bedungen,
eines der kleinen Dampfboote, die täglich zweimal in wenigen
Stunden nach Bremerhafen hinausfahren, und überall an den
Zwischenstationen anlegen; die meisten der Zwischendeckspassagiere
aber, und besonders solche, die von den Rhedern auf
einen gewissen Tag angenommen waren, von dem aus sie beköstigt
werden mußten, waren schon an Bord gegangen, Das in neuerer Zeit in Bremerhafen errichtete
Dort versammelte sich denn auch an dem schönen sonnigen Morgen, dem nur im Westen dunkel aufsteigende Wolken ein kurzes Ende zu machen drohten, eine Masse Menschen verschiedenartigsten Alters und Geschlechts, um sich mit dem, versprochener Maßen »bedeckten Flußschiff« an den Ort ihrer Bestimmung baldmöglichst befördert zu sehn. Kisten und Kasten, an denen Karrenführer schon seit zwei Stunden herbeigeschafft, lagen an der bezeichneten Landung bunt aufgestapelt, und Hutschachteln, Reisesäcke, Körbe mit Victualien &c. &c. wuchsen von Minute zu Minute an Masse und Gewicht.
Die buntgemischteste Gesellschaft, die sich dabei nur denken
läßt, sammelte sich um die Effecten, junge und alte Männer,
ihren Taback in die freie Luft hinausqualmend und ungeduldig
dabei am Ufer auf- und abgehend, und Frauen und
junge Mädchen, fest in ihre Umschlagetücher eingehüllt, die
doch etwas frische Morgenluft abzuhalten. Die Leute waren
aber noch nicht recht bekannt mit einander geworden; die Gespräche
drehten sich bis jetzt nur um das Gepäck und das »bedeckte
Flußschiff« das sich noch immer nicht zeigen wollte.
Damit hatten sie aber auch vor der Hand übrig genug zu
thun, denn dem fehlte ein Koffer, dem war ein Schloß von
seiner Kiste abgerissen, oder der Deckel eingedrückt worden; der
Eine hatte noch dies in der Stadt vergessen einzukaufen und
mochte nicht mehr hinauslaufen, aus Furcht die Abfahrt zu
versäumen, der Andere das im Gasthaus liegen lassen und die
Die einzige, vollkommen unbewegliche Person in diesem Chaos von Menschen und Gepäck saß auf einem Haufen von Kisten die zuerst hergeschafft und übereinander gethürmt waren, mit unterschlagenen Beinen regungslos oben darauf, und schien die Confusion unter und um sich mit ordentlichem Wohlgefallen, jedenfalls mit vollständiger Gemüthsruhe zu betrachten.
Es war eine, was man so von unten erkennen konnte,
vierschrötige derbe und untersetzte Gestalt, jedenfalls den unteren
Volksklassen zugehörig, und doch auch wieder mit einem
gewissen Selbstbewußtsein in den rauhen, nichts weniger als
schönen Zügen, als auch in der ganzen Haltung, wie man
es nicht immer bei diesen findet. Der Mann mochte ungefähr
fünf- bis achtundvierzig Jahre alt sein, und der Ausdruck seines
lederartigen faltigen Gesichts hatte, gleich auf den ersten
Blick eine so merkwürdige und auffallende Aehnlichkeit mit
einem großen Affen, der mit unerschütterlichem Ernst vor einer
Menagerie sitzt, und das Wogen und Treiben der Menge
unter sich betrachtet, daß wenige der Passagiere, so viel sie
heut Morgen mit sich selber zu thun haben mochten, an ihm
vorübergingen, ohne überrascht ein paar Secunden vor ihm
stehn zu bleiben und ihn zu betrachten, oder sich gegenseitig
So ruhig und anscheinend theilnahmlos aber auch dies
Individuum dem allgemeinen Wirrwarr zuschaute und sich vollkommen
geduldig in Zeit und Umstande geschickt hatte, so ungeduldig
wurden die übrigen Passagiere, als es jetzt vom
Dome her sechs Uhr dröhnte und das, eine Strecke weiter oben
liegende Dampfboot, sein Deck mit Passagieren
»Sie da — lieber Freund« redete ihn endlich Einer der
Passagiere an, der, in einen grauen weiten Ueberrock geknöpft,
bis jetzt seiner Ungeduld in einer verwirrten Masse von Flüchen
Der Matrose, oder was er sonst war, warf einen Blick
über die Schulter nach ihm hinüber, aber ob er nun glaubte
daß die Anrede ihm nicht gelte, oder sie nicht beachten
»Sie da — heh — Sie Langer mit der blauen Jacke und der hübschen Mütze — hören Sie nicht?«
»
Steinert, denn der Mann in dem grauen Ueberrock war Niemand anderes als unser alter Bekannter, der Weinreisende von gestern Abend, der übernächtig und mit schwerem Kopf gerade übler Laune genug schien sich über die geringste Kleinigkeit zu ärgern, murmelte etwas von »Dickschädel« und »Holzkopf« in den Bart, fuhr aber doch in der begonnenen Anrede fort und rief, nur noch mit lauterer Stimme als vorher:
»Sie da — Sie werden mit Ihrem Dings da von einem Schiff aus dem Weg fahren müssen, wenn das andere Schiff kommt, unsere Sachen und uns selber an Bord zu nehmen. Sie hätten sich wohl nirgends anderswo grad' in den Weg hinlegen können?«
Der Matrose oder Kahnführer glitt mit seinen Augen langsam vom dritten bis zum zweiten und von da bis zum ersten Stock und dann quer über die Hausthür weg nach dem Fremden nieder, der ihn angeredet hatte und öffnete dann den Mund — aber blos um ein neues Priemchen Taback hineinzustecken, wonach er, ohne auch nur eine Sylbe zu erwiedern, seinen Spatziergang an Deck in der alten Weise und Ruhe fortsetzte. Steinert übrigens, der sich jetzt ernstlich an zu ärgern fing, war nicht gesonnen sich so leicht abfertigen zu lassen, und bis an den Wasserrand hinangehend, bis wohin eine schmale Planke vom Bord des niederen Fahrzeuges aus reichte, schritt er diese hinan und stieg keck an Deck des »fremden Schiffes« wie die Uebrigen meinten.
»Guten Morgen« sagte er hier vor allen Dingen, als er sich auf dem fremden Boden fand, und doch fühlte daß er mit Höflichkeit bei dem sonderbaren, einsylbigen Mann weiter kommen würde, als mit Grobheiten.
»Morgen« sagte der Schiffer übrigens, ohne, gerade wie vorher, weitere Notiz von ihm zu nehmen.
»Sagen Sie einmal Freund« nahm aber hier Steinert wieder das Wort, und suchte sich dem Mann auf seinem Spatziergang entgegenstellen — »wie ist denn das eigentlich, wollen Sie heute hier liegen bleiben?«
»Nee!« sagte der Schiffer.
»Und wann fahren Sie ab?«
»Sobald wie laden hebben« lautete die Antwort.
Steinert, der nur einen unbestimmten Begriff von Platt
»Hm — wo sall'n dat herkomen?« frug der Schiffer aber jetzt mit einem verschmitzten Lächeln nach dem Frager hinüberblinzelnd.
»Herkommen?« wiederholte Steinert erstaunt — »nach unserem Contrakt mit dem Rheder müssen wir unentgeltlich mit unserem Gepäck von hier aus an Bord des Seeschiffes geschafft werden.«
»Op en
»Jawohl« sagte Herr Steinert.
»Un wie heet
Ein böser Verdacht stieg in dem Weinreisenden auf, daß
sie etwa gar in einem solchen »Kasten« transportirt werden
sollten. Dessen Bestätigung blieb auch nicht lange aus, denn
nach ein paar Fragen herüber und hinüber stellte es sich wirklich
heraus, daß dies kleine unansehnliche Fahrzeug das identische
»bedeckte Flußschiff« Nr. 67, und der lange Matrose der
Kahnführer Meinert sei, mit dem sie und ihre sämmtlichen
Sachen »nach See zu« geschafft werden sollten. Ein wilder
Ausruf des Erstaunens, den der erschreckte Weinreisende nicht
unterdrücken konnte, zog einen Theil der übrigen Passagiere
herbei, und das Deck des kleinen Fahrzeugs schwärmte plötzlich
Kahnführer Meinert, denn diese würdige Person war es wirklich selbst, ließ sich indessen nicht im Mindesten aus seiner Fassung bringen, und beantwortete alle Fragen seiner neuen ungeduldigen Passagiere mit einer Ruhe und Gleichgültigkeit, die diese fast zur Verzweiflung brachte.
»Wie viel mal er zu fahren gedächte bis er die Masse Gepäck und Menschen im Stande sei an Bord abzuliefern.«
»Ein Mal.«
»Ein Mal? — und wenn er sie Einer über den Andern packe gingen sie nicht Alle hinein.«
»Noch einmal so viel, mit
»Wie lange die Reise dauere?«
»Mit gutem Wind sechs Stunden.«
»Und mit schlechtem?«
»Unbestimmt.«
Manche der Passagiere hätten jetzt gern Passage auf dem
Dampfboot genommen, das aber war schon fort — das nächste
ging erst um elf Uhr ab und kam erst Nachmittag nach Brake,
bis dahin konnten sie lange dort sein, und sie fingen an sich
in das Unvermeidliche zu fügen. Aber weshalb wurde da
nicht wenigstens ihr Gepäck eingeladen? — auf was war
Kahnführer Meinert, oder »
Endlich kam der Bursche, ein schmutzig aussehendes, theerbeschmiertes Individuum, mit einem Arm voll Packeten und zwischen den Zähnen eine Anzahl Papiere haltend. Diese nahm ihm sein Principal vor allen Dingen heraus, wischte den Tabackssaft davon ab und schob sie dann, ohne sie weiter eines Blicks zu würdigen, in seine eigene Tasche.
Die Passagiere wurden jetzt aufgefordert »ihre Sachen
an Bord zu liefern« und folgten diesem Aufruf mit lobenswerther
Bereitwilligkeit. Sie glaubten nämlich nicht daß der
kleine unansehnliche »Kahn« Alles würde einnehmen können,
und Jeder wollte wenigstens
Während die Leute aber solcher Art beschäftigt waren, trafen immer noch andere, verspätete Passagiere ein, die ebenfalls mit befördert werden wollten und mußten. Unter ihnen der alte polnische Jude mit seinem Knaben, der jetzt auch mit Hand anlegen sollte das Gepäck an Bord zu schaffen. Der alte Bursche schien aber kein Freund von solcher Beschäftigung und merkte kaum wie die Sachen standen, als er an zu hinken fing, und die rechte Hand vorn in seinen Kaftan legte — er wollte sich an dem Morgen weh daran gethan haben, und konnte sie nicht gebrauchen.
Das Gepäck wurde übrigens rascher beseitigt als man im Anfang geglaubt hatte, und merkwürdiger Weise faßte dabei das kleine unansehnliche Fahrzeug eine solche Unmasse von Sachen, die in seinem Bauch ordentlich verschwanden, daß, wenn auch gerade kein bequemer Platz, doch Raum genug blieb, auch die Passagiere aufzunehmen, die sich schon ein paar Stunden solcher Art glaubten behelfen zu können. Lieber Gott, man ging ja jetzt in See, und da konnte man nicht Alles haben wie zu Hause. Vor acht Uhr erklärte aber »Capitain Meinert« nicht im Stande zu sein abzufahren, da dann erst die Ebbe einträte, mit deren ausströmender Fluth er bei dem schwachen Winde hoffen durfte vorwärts zu kommen, und es blieb den Passagieren, die Anfangs allerdings darüber murrten, aber sich in das Unvermeidliche fügen mußten, noch etwa eine halbe Stunde Zeit sich zu beschäftigen wie es ihnen gerade gefiel. Schon vor acht Uhr waren sie aber sämmtlich wieder am Ufer, jetzt ernstlich auf endliche Abfahrt ihres »Schiffs« dringend.
Ein junger Bursche, vielleicht achtzehn oder neunzehn Jahre alt, der auch an denselben Morgen, mit einem ledernen Tornister auf der Schulter und einem leinenen zerrissenen Staubhemd über einem sehr abgetragenen Röckchen, an das Ufer gekommen war und sein »Gepäck« zu dem übrigen gestellt hatte, war dann noch einmal fortgelaufen und in Schweiß gebadet wiedergekommen, und schien über irgend etwas in großer Angst und Sorge. Die Leute hatten aber sämmtlich zu viel mit sich selber zu thun, der Noth und Sorge eines ihrer vermutlichen Mitpassagiere nachzufragen, und der arme junge Bursch, als schon sämmtliches Gepäck an Bord geschafft worden, saß noch immer auf seinem Tornister am Ufer, das bleiche Antlitz in die Hand gestützt, und schien wirklich in stummer Verzweiflung der Einschiffung der Uebrigen zusehn zu wollen, ohne selber daran Theil zu nehmen.
Unter den Juden war Einer Namens Wald, ein Mann
in den vierzigen, mit einer ansetzenden Glatze, aber scharfgeschnittenem
klugen Gesicht und lebhaften schwarzen Augen,
der sich bis dahin von den Uebrigen ziemlich fern gehalten.
Neugierig gemacht übrigens, durch das Wesen des jungen
Burschen, ging er jetzt zu diesem hin, und frug ihn was er
hätte oder was ihm fehle. Der arme Teufel klagte ihm da
mit Thränen in den Augen sein Leid — es fehlten ihm wirklich
noch fünfzehn Thaler an seiner Passage nach Amerika,
und die Rheder wollten ihn nicht mitnehmen, ehe er die volle
Summe gezahlt habe; aber er
Wald wollte ihn trösten, daß er denn wohl noch ein anderes fände, der junge Mensch schien aber so in Angst, und überhaupt noch etwas anderes auch auf dem Herzen zu haben, worüber er nicht recht mit der Sprache herauswollte, sah aber dabei so treuherzig und fast noch kindlich aus, daß der Mann den Kopf herüber und hinüber schüttelnd, endlich sagte:
»Nu Gottes Wunder, sind wir doch Menschen hier genug die paar Thaler zusammenzubringen — wart einmal a Bisle, ich werd' an zu sammeln fangen.«
»Aber das Schiff fährt fort —«
»Wird nich so schnell fahren« sagte der Mann gutmüthig, und zu dem polnischen Juden gehend hielt er dem seine Mütze hin und sagte:
»Kamerad, ich brauch ein paar Thaler Geld für einen armen Teufel, den wir nich dürfen zurücklassen in Deutschland.«
»Armer Teufel?« sagte der Israelit — »wie haißt? bin ich doch selbst en armer Teufel — wo ist er her?«
»Kann Dir einerlei sein wenn er arm ist« meinte Wald.
»Der Mann hat Recht« sagte aber jetzt der Alte, und griff in seine Tasche.
»Wie viel braucht's?«
»Je mehr desto besser« sagte Wald — »funfzehn Thaler Geld müssen werden.«
»Hier is a Thaler« sagte der Alte und warf das Geld in die Mütze.
Der nächste zu diesem war Steinert, an den sich Wald
»Aber wir brauchen fünfzehn
»Leider« erwiederte ihm Steinert, »ich brauche aber noch mehr wie fünfzehn Thaler und mir giebt Niemand etwas.«
Wald sah daß alles weitere Zureden umsonst sein würde, um deshalb nicht mehr Zeit zu versäumen ging er weiter, und einige der jungen Mädchen, die der arme Bursch dauerte, nahmen sich jetzt auch der Sache an, legten selber zusammen so viel sie konnten, und collectirten bei den Anderen. Es war gut für sie daß sich viele Juden unter den Passagieren befanden; diese gaben fast alle und — so geizig sie sonst sein mochten — gaben reichlich, ohne weiter zu fragen wie der Mann heiße und woher er sei, während die Christen, von denen Viele es dem Anschein nach weit eher entbehren konnten — erst Alles auf das Genaueste wissen wollten, und dann noch jede Ausflucht suchten, wenigstens mit einigen Groten abzukommen.
Nichtsdestoweniger brachte Wald, von den jungen Mäd
Der einzige der sich bei der ganzen Sammlung
Das Segel wurde jetzt, von den beiden Seeleuten, die noch eine Art Schiffsjungen bei sich hatten, gehißt, und die mit schwarzer Farbe darauf gemalte Nummer 67 sichtbar. Das galt den Passagieren aber auch als Zeichen der Abfahrt, und Alles drängte an Bord, einen bequemen Platz für die Hinausfahrt zu bekommen.
Unter den Passagieren, die mit dem Weserkahn befördert
werden wollten, befand sich auch ein alter Bekannter von uns;
ein junger sehr anständig und reinlich gekleideter Mann in
schwarzem Tuchrock und eben solchen Hosen, mit blankgewichsten
Stiefeln und Glacéhandschuhen, ein reizendes Frauchen,
ganz einfach aber höchst geschmackvoll gekleidet, am Arm und
Der Violinist Eltrich hatte das Geld zur Ueberfahrt für
sich und die Seinen, nachdem er vergebens gesucht seine Passage
abarbeiten zu dürfen, mit schweren Opfern und besonders
durch den Verkauf fast aller seiner Habseligkeiten, zusammengebracht,
und war im Begriff sich ebenfalls mit der Haidschnucke
nach Amerika einzuschiffen — freilich im Zwischendeck,
und das Herz schlug ihm recht weh und ängstlich, wenn er
die Leute sah mit denen er gemeinschaftlich, in einem
Raum die lange Reise machen sollte, und der Entbehrungen,
der Beschwerden dann gedachte, denen sein zartes junges Weib,
denen sein Kind dabei ausgesetzt sein mußten. Adele aber, die
liebe kleine Frau, die in dem gramumwölkten Blick des Gatten
wohl all die Sorge, all den Kummer lesen mochte, den er sich
ihretwegen machte, und ihretwegen doch auch gerade wieder
sein ganzes Leben daran setzte, sie aus den Sorgen zu reißen,
in denen sie im alten Vaterland gelebt, hing sich an seinen
Arm und lachte ihm die Falten von der Stirn. Auf all die
komischen wunderlichen Gestalten machte sie ihn dabei aufmerksam,
die sie umgaben; auf den langen Kahnführer mit seinem
spitzen Gesicht und den polnischen Juden mit dem schönen bleichen
Knaben, und freute sich wie ein Kind über das rege Leben
Und dennoch schrack sie fast unwillkürlich zurück, als sie, an des Gatten Arme, der den Knaben selber jetzt aufgenommen hatte ihn an Bord zu tragen, das kleine Fahrzeug betrat das sie stromab führen sollte, dem Seeschiffe zu. Der warme Dunst der sie von unten herauf anwehte, der Theergeruch, das feuchte schmutzige kleine Fahrzeug selber — sie schmiegte sich fester an den Gatten an, wie um Hülfe zu suchen gegen dies erste peinliche Gefühl, und nur erst als dieser leise aber tief und schmerzlich aufseufzte und die Scene vor sich mit ängstlich forschendem Blick überflog, denn er sah nicht ein stilles, geschütztes Plätzchen, wo er Weib und Kind hätte unterbringen können, der ungewohnten Umgebung nur in etwas zu entgehn, da zwang sie mit Gewalt jedes andere Gefühl zurück. Die Notwendigkeit gebot hier daß sie sich fügte; nicht durfte und wollte sie des Gatten Herz noch schwerer machen als es schon war, und selbst mit einem Lächeln auf den bleichen Lippen sagte sie, sich flüsternd zu ihm biegend.
»Ach Schade, Paul, daß Du kein Maler bist; das wäre ein Stoff hier für ein prachtvolles Genrebild.«
»Arme Adele« flüsterte Eltrich leise.
»Arme Adele?« wiederholte aber die junge Frau, jetzt
ernstlich entschlossen das Unvermeidliche auch fest und freudig
»Wie wirst Du es nur ertragen auf dem Schiff?« seufzte der junge Mann.
»Wie ertragen es so viele Tausend?« entgegnete ihm aber die kleine wackere Frau, »und bin ich nicht jung und gesund? — was Andere können kann auch ich.«
»Aber Du warst von je ein anderes Leben gewohnt.«
»Und Du nicht? — Ach Paul, quäle Dich doch um Gottes Willen nicht jetzt unnützer Weise mit solchen Gedanken, und sieh lieber daß Du ein Plätzchen irgendwo für uns findest, die paar Stunden hinzubringen. Ich glaube wir blieben am Besten an Deck.«
»Ich traue dem Wetter nicht« sagte Eltrich kopfschüttelnd — »dort im Westen liegt es dunkel und schwer, und kommt mit Macht herauf. Jetzt ist auch für uns noch Hoffnung einen Platz unter Deck zu bekommen, denn Viele scheuen sich hinunter zu gehn, ehe sie müssen; nachher drängt denn Alles hinein und die Leute hier sehen mir gerade nicht aus, als ob sie viel Rücksicht auf einander nehmen würden.«
»So such' uns ein Plätzchen« sagte die junge Frau, »und wir richten uns dann häuslich ein, ich und Luz, und wenn wir einmal wieder auf festem Grund und Boden sind, in Amerika drüben, dann werden wir noch oft über die Zeit lachen die wir hier verlebt, und was wir da Alles gesehn und gehört.«
»Und gerochen« seufzte Eltrich in komischer Verzweiflung — »lieber Gott, qualmen die Leute einen nichtsnutzigen Taback.«
»Man gewöhnt sich an Alles« sagte die kleine Frau; »aber geh nun hinunter und sieh Dich um, ich bleibe dann noch oben an der freien Luft bis es wirklich an zu regnen fängt.«
In dem Kahn sah es indessen in der That wild und wunderlich genug aus. Die Erstgekommenen hatten sich, nach Umständen, vortrefflich eingerichtet und alle vorgefundenen und meist noch zusammengebundenen Matratzen benutzt, Lager- oder Sitzplätze für sich herzurichten, und die später Eintreffenden suchten jetzt ihre »Betten«, über Alles dabei hinwegsteigend was ihnen im Wege lag. Jeder that zugleich sein Bestes den Nachbar zu überschreien, nur um selber gehört zu werden, und Steinert besonders, der sich aus irgend einer unbegreiflichen Ursache für schändlich behandelt und hintergangen hielt, machte einen Heidenlärm.
»Das also nennen diese Herren Rheder ein »verdecktes Flußschiff« — einen Aufenthalt für Menschen — für Auswanderer? Ein Kasten ist's, mit einem Loch darin, Mehlsäcke etwa wegzupacken und Fleischfässer — eine Vorbereitung zur Galeere für Mörder und Diebe — ein schwimmendes Zuchthaus. »Verdecktes Flußschiff.« — daß sie der Böse einmal später in einem solchen »verdeckten Flußschiff« nach seinen höllischen Regionen abführe, dort mit des Geschickes Mächten einen ew'gen Bund zu flechten.«
»Ach was« unterbrach ihn da Einer vom Stamme Juda — »lassen Sie das Geschwafele und gehn Se mit Ihre dreckige Fißche von meine Matratze herunter — Gott der Gerechte wo sieht der Mensch um die Fiße aus und stellt sich mich Nichts dich Nichts auf's Bettzeug!«
»Meine Herren!« — rief Steinert dagegen, konnte aber seine Rede nicht zu Ende bringen, da der Mann den einen Zipfel der also mißhandelten Matratze mit beiden Händen gefaßt hatte, und sie dem Weinreisenden mit einem plötzlichen Ruck so rasch unter den Füßen fortriß, daß dieser das Gleichgewicht verlor und rückwärts in einen Korb voll Blech und anderes Geschirr hineinfiel, den die Familie Rechheimer, Mann, Frau und zwei erwachsene Töchter eben zu etwas genauerer Inspection hervorgezogen. Der Lärm wurde jetzt allgemein, denn Steinert wollte thätliche Rache nehmen, und bat die Umstehenden daß sie ihn halten möchten, weil er sonst den Elenden über Bord würfe.
»Frieden, lieben Freunde« sagte da eine tiefe aber sehr
weiche, fast etwas singende Stimme, und ein junger Mann
von vielleicht drei- oder vierundzwanzig Jahren mit vollem
Bart und langen glatt herunterhängenden, in der Mitte gescheitelten
Haaren, modern, wenn auch etwas vernachlässigt
gekleidet, trat zwischen die Streitenden und fing an ihnen zu
beweisen daß sie Beide Unrecht hätten, daß sie nicht verständen
das Romantische ihrer Lage zu begreifen und anstatt, wie die
Biene aus
»Ja — eine kleine Biene flog« rief Steinert noch immer entrüstet dazwischen, »aber ziehn Sie einmal hier Honig heraus, wenn ich bitten darf — das wäre ein Kunststück.«
»In einem solchen Kunststück bewährt sich gerade der Mann!« entgegnete die kleine schmächtige Gestalt des Passagiers mit der tiefen Stimme — »das Edle wollen und das Gute thun!«
»Ich brauche mir aber meine Matratze nich einschmieren und mich schimpfen zu lassen — brauch ich nich —« schrie jedoch der Israelit, noch keineswegs beruhigt, dazwischen, und Steinert wollte ebenfalls wieder heftig erwiedern, als von einer anderen Ecke des halbdunklen Raumes her ein neuer Lärm vorbrach, dessen Mittelpunkt diesmal der Mann mit dem affenähnlichen Gesicht zu sein schien. Dieser hatte ebenfalls, wie es sich jetzt herausstellte, auf einer fremden Matratze Platz genommen und weigerte sich nicht sowohl ihn zu räumen, als daß er ihn, ohne auch nur ein einziges Wort zu erwiedern, ruhig gegen einen ganzen Schwarm von Frauen und Mädchen behauptete. Die einzige Antwort die man aus ihm herausbringen konnte, war eine ordentliche Wolke des schändlichsten ordinärsten Tabacks der sich nur denken ließ, und je ärger der Lärm um ihn her wurde, desto mehr verschwand er in dem, immer dicker aufsteigenden Nebel, und nur die kleinen grauen, von dichten und dunklen borstigen Brauen beschatteten Augen blitzten daraus hervor, daß es den Frauen ordentlich unheimlich zu Muthe wurde, wenn sie den Mann anschauten.
Wer sich übrigens um all den Lärm da unten nicht be
Die Passagiere waren übrigens hierbei selber zu sehr interessirt,
es so ganz gleichgültig mit anzusehn, wie sie, zum
ersten Mal in ihrem Leben »flott« wurden, und kaum fühlten
sie unten die Bewegung des »Schiffs« wie sie den Kahn unverdrossen
nannten, als auch die Mehrzahl rasch an Deck kletterte.
Viele von ihnen hatten dabei eine unbestimmte Ahnung
daß sie jetzt bald das Land »aus Sicht« verlieren und direkt
in die offene See hineinsteuern würden, das große Schiff nach
irgend einer gegebenen, unbekannten Richtung aufzusuchen;
Andere glaubten daß
So scharf und frisch die Luft aber auch im Anfang, mit dem ersten Regen einsetzte, und so rasch das kleine, ziemlich gut segelnde Fahrzeug dabei die Fluth durchschnitt und die Thürme Bremens bald zurückließ, so bald schlief der Wind wieder ein, und wenig mehr als die ausfluthende Strömung trieb den Kahn zuletzt noch weiter, der kaum mehr seinem Steuer gehorchte, und langsam und schläfrig an dem grünen Ufer niederschwamm. Die Luft war dabei schwül und drückend, und der Regen goß dermaßen in Strömen nieder, daß selbst die Luke, wenn auch nicht dicht verschlossen, doch mit getheerter Leinwand verhangen werden mußte, und die Luft in dem beengten Raum nur noch dumpfiger und schwüler machte.
Ein Theil der Passagiere amüsirte sich indeß ganz gut — hie
und da hatten sich kleine Gruppen gesammelt und spielten,
mit einer Kiste zwischen sich als Tisch, Karten; dort machten
ein paar junge Burschen — und der Mann mit der tiefen
Stimme und den gescheitelten Haaren befand sich leider zwischen
ihnen — den jungen Mädchen die Cour und suchten auf
solche Weise nicht allein ihre Zeit zu vertreiben, sondern auch
gleich Bekanntschaften für die Reise anzuknüpfen. An rohen
Scherzen der Ungebildeten fehlte es dabei nicht, über die ein
Theil ein wieherndes Gelächter aufschlug, während es den
anderen verletzte, und Eltrich seufzte oft tief und schwer auf,
seine arme Frau in solche Umgebung jetzt vielleicht Monate
Adele beschäftigte sich indessen theils mit dem Kind, theils suchte sie, den Knaben im Arm und den Kopf gegen die Matratze zurückgelehnt, dem häßlichen Aufenthalt nur kurze Zeit Schlaf abzuringen; aber der Lärm war zu groß, die Luft zu schwül und ungewohnt, und besonders der häßliche Tabacksqualm zu nah und scharf, daß sie kaum im Einnicken, immer wieder husten mußte und munter wurde.
So schlich der Vormittag langsam und schläfrig hin; die Brise wurde gegen zwölf Uhr etwas frischer, aber der vielen Biegungen des Stromes wegen war sie ihnen fast eben so oft entgegen als zu Gunsten, und um zwei Uhr, als »Todt Wasser« wie es die Schiffer nennen, eintrat, d. h. die Zeit des Stillstandes zwischen Ebbe und Fluth, wenn die eine aufhört und die andere noch nicht begonnen hat, setzte Capitain Meinert seine Passagiere ungemein in Erstaunen, als er seinen Anker plötzlich fallen ließ und sogar erklärte, hier wieder sechs volle Stunden liegen bleiben zu wollen, »bis die Fluth hinauf sei.«
Wie weit Brake noch sei, war an dem Morgen wohl tausendmal gefragt worden, und der Schiffer, der es endlich müde wurde wieder und wieder darauf zu antworten, sagte dem Einen fünf und dem Andern eine Meile, kurz Jedem verschieden, und unten stritten sich dann die Partheien darüber, weil jede behauptete, ihre Nachricht aus bester Quelle zu haben.
Der größte Aerger stand aber den Passagieren noch bevor als auch das zweite, um elf Uhr von Bremen abgegangene Dampfboot, kurz vorher ehe sie wieder Anker geworfen, an ihnen vorbeirauschte. Jetzt kam auch noch die Angst dazu daß sie das Schiff am Ende zu spät erreichten, und wenn sie auch der Schiffer darüber beruhigte, sahen sie ihm doch, oh wie sehnsüchtig nach.
Um acht Uhr wurde der Anker nun allerdings wieder »gelichtet«, wie Steinert mit etwas heiser gewordener Stimme sang, aber wie es vollkommen dunkel wurde mußten sie dennoch wieder beilegen, und zwar jetzt wieder in der trostlosen Hoffnung nicht vor acht Uhr nächsten Morgens auf's Neue unter Wegs gehn zu können. Capitain Meinert hatte sich aber vorgesehn noch ein Dorf zu erreichen, ehe er seinen Anker wieder auswarf, und stellte den Passagieren sein kleines Boot zur Verfügung an Land zu gehn und dort zu übernachten, wo sie allerdings mehr Bequemlichkeit haben würden als an Bord. Die Meisten machten auch wirklich davon Gebrauch und traten, mit aufgespannten Regenschirmen, durch Schmutz, Wasser und Dunkelheit, die Reise nach dem flachen Ufer an, wo sie in einem Nichts weniger als freundlichen und fast eben so dumpfigen Saal ihr theueres Geld für etwas schlechtes Essen und eine Streu bezahlen mußten. Die Passage auf dem Dampfboot hätte sie nicht mehr, wenn gar so viel gekostet.
Eltrich wollte seine Frau auch, trotz allen jedenfalls daraus
erwachsenden Kosten, an Land nehmen, sie weigerte sich
aber entschieden den Kahn zu verlassen, verzehrte lächelnd mit
Und es war eine traurige unfreundliche Nacht; der Wind heulte in den einzelnen Bäumen am Ufer, der Regen schlug prasselnd auf Deck, und der Mast und das Takelwerk knarrte und ächzte, den Passagieren an Bord nur wenig Ruhe gönnend, in den fremden, ungewohnten Lauten. So kalt und häßlich der Morgen aber auch hereinbrach, so freudig wurde er von den an Bord Befindlichen, die ihn wie lange schon ersehnt, begrüßt. Jede Stunde hatten die so oft gezählt, jede Minute fast, und das Morgengrauen herbeigewünscht unzählige Mal. Ein trüber Anfang war das auch für ihre Seefahrt, und Mancher, der sich am vorigen Tag damit getröstet, welche Strapatzen und Beschwerden er im Stande wäre zu ertragen, saß jetzt kalt und fröstelnd, niederschlagen und mißmuthig in einer Ecke, und überlegte vielleicht jetzt schon, freilich etwas früh, die Gründe die ihn eigentlich zu einer Auswanderung bewogen. Wunderliche Gedanken steigen da in dem Menschenherzen auf, und eine einzige solche Nacht, wenn sie nur etwas früher gekommen wäre, hätte manche romantische Erzählung, manchen glühenden Bericht über Amerika, weit, weit aus dem Felde geschlagen.
Jetzt war das freilich zu spät und ein Rücktritt nicht mehr
gut möglich; mit den Effekten und dem Passagegeld hätte es
sich vielleicht noch einrichten lassen; lieber Gott, ein kleiner
Aber solch ein Morgen, auf einem solchen Weserkahn! Erst in solchen Verhältnissen merkt auch der Mensch an wie viel Bequemlichkeiten er gewöhnt ist, wie viel Bedürfnisse er schon hat, mag er sonst noch so einfach leben das ganze Jahr hindurch. Schon das erste Gefühl des Aufstehens widert ihn an. Ungestärkt, unerquickt, und schon fertig angezogen, hebt man sich von seinem Lager; man möchte sich jetzt ausziehn und sich waschen — aber wo? — Wasser ist da im Ueberfluß, aber kein Waschbecken, kein Handtuch, weder Seife noch Zahnbürste — nicht einmal ein Platz die unentbehrlichste Abwaschung von Gesicht und Händen vorzunehmen, denn im innern Raum ist jeder Zoll breit besetzt, und draußen an Deck schütten die Wolken wieder Ströme Regens nieder. Wie grau und bleiern da der dämmernde Morgen auf der Welt liegt, und wie still und einsylbig selbst die Lautesten und Unruhigsten der Schaar geworden sind. Nur die Kinder schreien — rücksichtslose kleine Gesellschaft, die die Welt nur erst von der einen Seite kennt und jetzt auf das eifrigste dagegen protestirt auch auf der anderen ihre Bekanntschaft zu machen.
Selbst Steinert war ruhig geworden und saß, durch das Weinen eines solchen kleinen ungeduldigen Nachbars aus einem leichten und unerquicklichen Morgenschlaf geweckt, fröstelnd in seine wollene Decke gehüllt auf der Ecke einer fremden Matratze und blickte finster und verdrossen um sich her.
»Eine Tasse Kaffee — ein Königreich für eine Tasse Kaffee« brummte er zuletzt indem er den Hut abnahm, einen kleinen Taschenkamm aus seiner Brusttasche hervorholte, und langsam die kurzen Haarstummel und den etwas struppig gewordenen Bart zu ordnen begann — »Himmeldonnerwetter, daß ich des pipigen Mehlmeiers Rath nicht folgte und mit auf das Dampfboot ging; jetzt sitz ich hier zwischen heulenden Bälgern und schnarchenden anderen Individuen und blase Trübsal in alle vier Winde. »Verdecktes Flußschiff« — daß dich die Pest hole mit deinen »verdeckten Flußschiffen.««
Hie und da hob sich jetzt ein Kopf in die Höh, schaute sich schlaftrunken um und sank wieder in die alte Lage zurück, noch eine Weile die Augen schließen zu können und gar nicht sehn zu müssen was vorging in dem ungemütlichen Aufenthalt. Nur der Mann mit der tiefen Stimme und den mitten auf dem Haupt gescheitelten Haaren erhob sich jetzt ebenfalls und sagte, kopfschüttelnd die um ihn her gelagerten Gruppen überschauend:
»Guten Morgen Herr Steinert — ausgeschlafen?«
»Ja — danke — auf der einen Seite wenigstens«
brummte Steinert, »denn die andere schläft noch und die Sehnen
und Muskeln sind mir ordentlich verklommen — Himmel
Der junge Schriftsteller schien aber heute Morgen keine Lust zu haben über derlei Sachen zu debattiren; ihm war selbst zu unbehaglich zu Muthe seine gestrige Aeußerung zu vertheidigen, und mit ein paar leise gemurmelten Worten, die recht gut irgend eine höchst unromantische Verwünschung sein konnten, brummte er:
»Ich möchte nur wissen wer sich da ein Vergnügen gemacht und die halbe Nacht an Deck bei dem Wetter Holz gesägt hat — die Leute wählen eine vortreffliche Zeit ihren Winterbedarf einzulegen.«
»Holz gesägt?« entgegnete aber Steinert erstaunt — »meinen Sie etwa meinen Nachbar hier, den dicken Unbeweglichen, der über Tag den guten Taback raucht, und seit ein Uhr geschnarcht hat, als ob er im Akord arbeitete?«
»Das ist ein Schnarcher?« rief der Literat im höchsten Erstaunen aus — »aber warum stoßen Sie ihn da nicht einmal in die Rippen?«
»Weil ich mit keinem passenden Werkzeug versehen bin,
auch bis jetzt, in dieser egyptischen Finsterniß, nur nach der
ungefähren Richtung zu hätte stoßen können« sagte Steinert — »Sie
»Gottes Wunder, so frih?« sagte der eben Angeredete, der auch gerade munter geworden und den Kopf in die Höhe gehoben hatte. Nichtsdestoweniger leistete er dem Wunsche Folge, und der Schnarcher fuhr, ziemlich unsanft angestoßen, erschreckt in die Höh.
»Habe ich nicht das Vergnügen mit Herrn Meier zu sprechen?« wandte sich Steinert jetzt verbindlich gegen ihn, die Antwort aber die er bekam, benahm ihm jede weitere Lust zur Conversation mit dem Manne, der sich, noch innerlich knurrend, seinen abgefallenen Hut in die Stirn zog, und dann auch ohne weiteren Zeitverlust wieder zurückfiel, noch einmal einzuschlafen.
Wie das plötzliche Stillstehn einer Mühle die müden Knappen weckt, so fuhr ein großer Theil der übrigen Passagiere in die Höh, als das regelmäßige donnernde Schnarchen des Mannes aufhörte, und schlaftrunkene Gesichter frugen nach der Zeit und dem Wetter und wo sie wären, und murmelten halblaute Flüche in den Bart, als sie sich ihres Zustandes klarer bewußt wurden.
Eltrich war einer von den Ersten an Deck, zog sich Wasser
in einem Eimer herauf, und badete sich Gesicht und Hände
darin, das eigene Taschentuch zum ersten Mal als Handtuch
gebrauchend. Den Schiffsjungen fand er dabei beschäftigt auf
»Kaffee — bei Gott!« rief es jetzt aber auch von mehren Seiten des engen Raumes, als der aromatische Duft des heißen Trankes ihre Nasenlöcher traf — »da oben giebt's Kaffee!« und was keine Ueberredung sonst vielleicht vermocht hätte, war der Glaube im Stande. Allerdings sahen sie sich getäuscht, und nur Einigen gelang es noch für Geld und gute Worte von dem mürrischen Burschen einen halben Becher gemachten Kaffee's zu erlangen, die Uebrigen mußten mit dem Boot an Land, dort eine Erfrischung zu erhalten, und Andere suchten den Capitain, die Abfahrt des Kahnes von ihm zu verlangen. Capitain Meinert ließ sich aber erst kurz vor acht Uhr, wo die Fluth sich staute, blicken, tröstete übrigens seine ungeduldigen Passagiere mit der guten Nachricht, daß sie, wenn der Wind so günstig bliebe, Brake in etwa zwei bis drei Stunden erreichen würden.
Weit besser befanden sich die Passagiere, die mit den, die Weser befahrenden Dampfbooten ihrem Ziele rasch und bequem entgegeneilten. So hatte die Familie des Professor Lobenstein, mit dem größten Theil der im Hannöverschen Haus einquartirten und für die Haidschnucke bestimmten Auswanderer, schon um sechs Uhr Morgens Bremen verlassen, und der kleine rasche Dampfer legte sich bald nach 9 Uhr an Bord des mächtigen Seeschiffes, dem sie ihre Leben für die weite Fahrt anvertrauen wollten. Dort wurden schon Kisten und Kasten, Schachteln und Koffer rasch an Deck gehoben, und die Reisenden sahen sich plötzlich wie mit einem Schlage, aus allen ihren bisherigen Verhältnissen herausgerissen, in einer neuen unbekannten, fremden Welt.
So hatte sich die Phantasie eben diesen Augenblick gemalt,
und jetzt? gerade vor neun Uhr fing es, höchst prosaischer
Weise, an zu regnen, als ob sie da oben die Wolken
mit Eimern ausschöpften und ohne richtige Ortspolizei das
Wasser mitten in die Welt hineingössen. Das auf Deck liegende
Gepäck war freilich mit getheerter Leinwand überspannt,
wie aber das Boot an das Schiff hinanrauschte, wurde dieselbe
hinweggezogen, und die Sorge der Auswanderer nahm
das so ausschließlich in Beschlag, daß sie fast an weiter nichts
Anderes dachten, oder denken konnten, und Jeder nur das
Das Tau, das ein Matrose vorn am Bug des Dampfbootes
zum Wurf zusammengerollt in der Hand trug, flog
aus und wurde an Bord der Haidschnucke, von rasch zuspringenden
Leuten befestigt, die Räder arbeiteten langsam vorwärts,
das Boot eben gegen die Strömung, gegen die es
aufgedreht war, festzuhalten, und eine von Bord niedergelassene,
bequeme Treppe, mit niederhängenden Tauen (
Dort befand sich aber schon ein Theil der Frühergekommenen,
die es für zweckmäßig gefunden hatten sich zeitiger einzufinden,
und dadurch die Wahl eines Platzes zu haben. In
der Cajüte waren nun allerdings die einzelnen
Es hat das etwas für sich; die Bewegung des Schiffes ist dort allerdings am geringsten, aber trotzdem noch stark genug dem, der nur irgend zu diesem Leiden inclinirt, nicht den geringsten Schutz zu gewähren, und der davon verschont bleibt wird sie auch an den entfernteren Enden nicht bekommen. Jedenfalls haben die Plätze unter den Luken die meiste frische Luft, und wer je zur See war, wird die zu schätzen wissen.
Einige, wie schon gesagt, ließen sich aber doch dazu bereden
Mittelplätze zu belegen; unter diesen Mehlmeier, der von
Steinert beauftragt worden, falls er früher an Bord kommen
sollte, einen Platz für ihn aufzuheben, und der selber die Seekrankheit
mehr als Cholera und gelbes Fieber fürchtete. Zu
diesem hatte sich noch der kleine graue Herr mit dem spitzen
Mützenschild gesellt, den der Kellner in Bremen die »
Im ersten Augenblicke wußte aber Niemand wohin er gehöre,
noch sah irgend Jemand die Möglichkeit ein sich oder sein
Gepäck an irgend einem nur erträglichen Ort unterzubringen.
Alles schrie und lief durcheinander; sämmtliche Bagage wurde
vorläufig an Deck aufgestapelt, und dann durch die Matrosen,
nur um die Sachen aus dem Regen fortzubekommen, in das
Zwischendeck hinuntergelassen, wo in der Dunkelheit des Raumes
an ein Sortiren der verschiedenen Eigentumsrechte nicht
zu denken war. Vergebens blieben auch alle Protestationen
der Passagiere, die
Die Cajütspassagiere bekamen indessen, sobald sie sich bei dem Steuermann meldeten, ihre resv. Plätze sofort angewiesen; in der That waren die verschiedenen Thüren, die alle nach innen in den großen Saal führten, schon mit den verschiedenen Namen bezeichnet worden, und die Lobenstein'sche Familie, die drei nebeneinanderliegende Räume, die Hälfte der Cajüte einnahm, sah sich bald, so gut es den Umständen nach nur irgend ging, in zwar kleinen aber ziemlich geräumigen und besonders nett und reinlich gehaltenen Cajüten untergebracht. Der Vater und Eduard bewohnten eine von diesen, Anna und Marie die zweite und die Mutter mit den beiden jüngsten Kindern die dritte.
Ihnen gegenüber war die eine Eckcoye oder Cajüte von
Herrn Henkel und seiner jungen Frau, die übrigens noch nicht
eingetroffen, belegt worden, die zweite hatten zwei fremde
Herren in Besitz, ein Baron von Benkendroff und ein Herr
von Hopfgarten, die mittlere bewohnte schon seit acht Tagen,
sehr zum Aerger des Steuermanns der dadurch vielfältig genirt
worden, ein Fräulein von Seebald mit einer alten würdigen
Dame (einer Frau von Kaulitz), die ungemein gern Whist
spielte und die ersten Tage in einem gelinden Grad von Verzweiflung
gelebt hatte, nicht den dritten »Mann« zu einer
Parthie bekommen zu können. Die beiden Herren Hopfgarten
und Benkendroff erschienen ihr als eben so viele Engel in der
Noch war, der Cajüte der beiden Steuerleute gerade gegenüber,
ein anderer, etwas schmalerer
Im Zwischendeck befanden sich indessen die Leute fast eben
so behaglich und zufrieden wie in der Cajüte. Nachdem nur
der erste Sturm der eintreffenden Mitpassagiere abgeschlagen,
und diese mit ihrem Gepäck beseitigt worden, hatten sich die
Leute in den verschiedenen Coyen vertheilt und Raum übrig
genug. Allerdings ging das Gerücht daß noch Passagiere mit
einem Weserkahn eintreffen würden, und fünf oder sechs konnten,
ihrer Meinung nach, auch noch mit Bequemlichkeit untergebracht
werden, — einige Coyen standen sogar noch ganz
leer, — vielleicht kamen die aber auch
So verging der zur Einschiffung bestimmt gewesene Tag,
der 20ste August, an dem noch, trotz dem Regen, fortwährend
Fracht in Fässern, Kisten und Ballen eintraf, und in den
unteren Raum weggestaut wurde. Die erste Nacht an Bord
ging auch ruhig und ohne weitere Störung vorüber; das
Schiff, ein großes stattliches Fahrzeug, lag still und regungslos
auf der glatten Wasserfläche, und in dem weiten Raum
des Zwischendecks, mit den beiden Luken geöffnet, über die
ein Dach von getheerter Leinwand gespannt worden, während
ein Windfang den Tag über noch frische Luft hinunter führte,
ließ es sich schon aushalten — die Leute waren auf Schlimmeres
vorbereitet gewesen. Auch die Provisionen waren leidlich,
Butter und Schwarzbrod konnte sogar gut genannt werden,
und mit dem frischen Fleisch und grünen Gemüse, was
sie, so lange sie an Bord lagen, statt der Schiffskost geliefert
bekamen, durften sie wohl zufrieden fein;
Nur das Wetter wollte und wollte nicht besser werden,
der Himmel hing in düsteren Wetterwolken über der schon vollgesogenen
Erde, und der Herbst meldete sich in den kalten,
unfreundlichen Schauern als ein viel zu zeitiger, unwillkommener
Gast. So verging der Morgen des 21sten, und während
ein großer Theil der schon an Bord befindlichen Passagiere
einsah, daß er sich keineswegs hatte so zu übereilen gebraucht,
wurde ein anderer schon ungeduldig, behauptete
das Versprechen der Abfahrt für den 20sten zu haben, und
verlangte vom Capitain die Abfahrt. Sie hielten
So rückte der Mittag heran, und der Koch hatte eben
zum »
»
Unmöglich wäre es jetzt die Verwirrung, den Lärmen zu schildern, der in diesem Augenblick entstand — der Steuermann schrie seine Befehle über Deck, aber die ganze Mannschaft, wie sämmtliche Passagiere schrien mit, und der Mann hätte sich eben so gut ruhig in die Cajüte setzen und seinen Teller voll Suppe essen können der drinnen auf dem Tische kalt wurde, als hier zu versuchen Ordnung in dies Babel von Stimmen und Koffern und Hutschachteln, Matratzen, Kisten, wollenen Decken, kleinen Kindern und Körben mit Provisionen zu bringen.
Jeder der Passagiere wollte natürlich seine Sachen zuerst hinaufgereicht haben, Jeder wollte aber auch zuerst an Bord des Schiffes sein, und die Einen schrieen hinauf, die Anderen hinunter, bis sich die Mannschaft der Haidschnucke endlich in einer festen Masse sammeln und das Uebertragen des Gepäckes selber in die Hand nehmen konnte. Hei wie die Schachteln und Körbe da flogen, und wie die Frauen kreischten wenn irgendwo in einem Korb eine Flasche zerbrach und auslief, oder irgend ein Topf oder Geschirr knackte und splitterte.
»Nehmen Sie sich in Acht da ist Glas drin — Sie stehn
ja in meiner Hutschachtel — passen Sie auf, das Bett fällt
über Bord — Herr Gott da sind meine sämmtlichen Provisionen
drinnen!« — und tausend ähnliche Aufkreische der Angst
und Sorgfalt, eben so oft vergebens, denn die Seeleute kümmerten
sich den Henker um alle Warnungen und Ermahnungen,
füllten die Luft, bis die Unmasse Gepäck, indeß die Passagiere
ihre eigenen Personen wenigstens in Sicherheit brachten,
glücklich an Deck gelandet war, und jetzt eben so rasch
und rücksichtslos in das Zwischendeck hinunter befördert wurde.
Da hinein regnete es ordentlich Hutschachteln, Reisesäcke und
Matratzen, mit riesigen kistenähnlichen Holzkoffern, und um
die Verwirrung, wenn das irgend möglich gewesen wäre, noch
größer zu machen, riß inmitten dieser Beschäftigung der eiserne
Henkel eines solchen Colli's aus, die Kiste fiel auf der Lukenwand
auf, brach, und streute jetzt ein Hagelwetter von Kleidern,
Wäsche, Schuhwerk, Zwieback, Würsten und allen möglichen
und unmöglichen anderen Effekten über die unten schon
War die Verwirrung aber an Deck schon groß gewesen, so wurde sie es jetzt im inneren Raume des Zwischendecks noch weit mehr. Die Neugekommenen wollten natürlich gleich auch ihre Coyen wissen und belegen, fanden aber alle besetzt, wenn auch hie und da nur von einzelnen Personen, die sich jedoch hartnäckig weigerten noch irgend Jemanden in einem Raume aufzunehmen in dem sie, wie sie erklärten, kaum selber Platz hätten. Hier wie überall sollte der Steuermann entscheiden, von allen Seiten aber gerufen und gequält, ging dem sonst ruhigen Mann auch endlich die Geduld aus. Er fluchte und schwor er wolle verdammt sein wenn er solch ein Gelärm schon in seinem ganzen Leben gesehn, und erklärte endlich sie möchten sich erst einmal ordentlich durcheinander schütteln und würgen, und wenn sie dann ein wenig zu Verstande gekommen, wolle er hinuntergehn — eher aber keinen Schritt.
Er that auch zuletzt, was er gleich zu allem Anfang
hätte thun können und ging, so wie nur erst einmal sämmtliches
Gepäck an Bord genommen und der Lichter klar geworden
war, in die Cajüte zurück, sein Mittagsessen zu verzehren.
Unterdessen kam ein Bote nach dem andern, daß sie sich unten
im Zwischendeck prügelten und mit Messern und Pistolen drohten;
er ließ sich nicht stören und antwortete nur vollkommen
Im Zwischendeck sah es indessen wirklich bös aus, und einen ernstlichen Zusammenstoß der verschiedenen Partheien verhinderte wohl nur der Umstand, daß Niemand einen bestimmten Gegner fand an den er sich halten konnte. Dann war der Capitain selber nicht an Bord, der ein Endurtheil fällen sollte, und der Steuermann hatte, wie schon gesagt, noch nicht bewogen werden können hinunter zu gehn. Zugleich hinderte das, einem Wall gleich aufgeschichtete Gepäck die freie Bewegung der Leute, von denen sich die, die schon Coyen inne hatten, nicht daraus zu entfernen wagten, weil sie wußten daß sie augenblicklich von Anderen in Besitz genommen würden, während die Neugekommenen ihr Augenmerk auf eine oder die andere bestimmte Coye gerichtet hielten, und diese förmlich belagerten.
Nur einige Wenige der Letztgekommenen waren so glücklich
gewesen schon einen Platz für sich zu erbeuten. Zu diesen
Steinert fand ebenfalls den für ihn belegten Platz, und
zu gleicher Zeit, und so wie er nur den Fuß in das Zwischendeck
gesetzt, hatte sich auch der wunderliche Mann mit dem
affenähnlichen Gesicht, sein Gepäck ganz rücksichtslos im Stich
lassend, eine obere Coye ausgefunden, in der allerdings schon
Betten lagen, die er aber doch für sich geeignet hielt, und wohinein
er auch augenblicklich kletterte. Allerdings ertappte ihn
noch, im Akt des Hineinsteigens die Besitzerin der Coye, Rebecca,
Frau des ehrsamen Krämers Moses Löwenhaupt, am
Rockschooß, und wollte ihn, mit einer Fluth von Verwünschungen
zurückziehn, der Mann wandte aber nur den Kopf
nach ihr um, und blitzte sie mit seinen kleinen stechenden grauen
Augen unter den buschigen Brauen vor so feindlich an, und
zeigte ihr dabei die beiden Reihen weißglänzender und fehlerfreier
Zähne, daß sie ihn erschreckt wieder losließ. Der Usurpator
In fast gleicher Zeit hatte sich der Mann mit den gescheitelten Haaren in die andere Coye, dicht unter den Raucher hineingebohrt, ohne jedoch von dem Besitzer derselben, einem kurzhaarigen mürrischen und finsteren Gesell, der ihm schweigend dabei zusah, weiter belästigt zu werden. Der Mann schien sogar mit dem neuen Einzug vollkommen zufrieden; drehte sich wenigstens auf die andere Seite, und ließ ihn sogar ungehindert einen kleinen Handkoffer den er bei sich führte, und in der ersten Eile vor die Coye gestellt hatte, nachziehn. Der Mann mit den gescheitelten Haaren hatte dadurch vollständig Besitz ergriffen.
»Nun sind wir aber genug hier drin und nehmen keinen mehr herein« brummte der Erstbewohner des Schlafplatzes übrigens, als der junge Literat, der sich Theobald nannte, nach außen hin mit einigen seiner Bekannten vom Kahn her ein Gespräch anknüpfte.
»Also bekommen immer zwei und zwei eine Coye?« frug dieser rasch, und wie es schien sehr befriedigt.
»Nein, drei —« erwiederte der Mann.
»Drei? — und wer ist der Dritte hier drin?«
»Meine Frau!« lautete die lakonische Antwort, die aber auch jedes weitere Gespräch abschnitt, denn Theobald war zu bestürzt darüber, auch nur noch eine Sylbe erwiedern, oder weiter fragen zu können.
Endlich, nach einem Zeitraum der den dabei Betheiligten eine Ewigkeit geschienen, kam der Steuermann, in Abwesenheit des Capitains die oberste Behörde an Bord eines Schiffs, langsam die neben dem großen Mast in das Zwischendeck führende Treppe hinunter, blieb aber noch auf den mittleren Stufen stehn, als ihm hier schon sämmtliche Passagiere mit ihren Klagen und Forderungen laut durcheinander schreiend entgegendrängten.
»Hier Herr Obersteuermann — die wollen mich in keine Coye lassen — Herr Obersteuermann wir haben unsern Platz so gut bezahlt wie die Anderen — Und meinen Koffer haben sie wieder raus geworfen — ich schlage dem Hund ein Bein entzwei, wenn ich nur erst zu ihm komme — Und meine Frau ist krank und muß einen guten Platz haben — Gottes Wunder was geht uns die Frau an, wir haben Alle gleiche Rechte auf einen guten Platz; wie haißt kranke Frau — Hier Herr Obersteuermann kommen Sie nur einmal her und sehn Sie, wie sie meine Hutschachtel zertreten haben — Mir muß der Capitain den Schaden ersetzen, meine Hemden liegen im Schmutz, und mein Taback und mein Zwieback sind alle untereinander gekommen.«
So schrie und tobte es um ihn her, und der Steuermann
hielt sich die Ohren zu und schloß die Augen und blieb, halb
»So —« sagte der Steuermann, als er endlich hoffen durfte den Lärm mit der eigenen Stimme übertönen zu können; »hat nun Jeder seinen Platz?«
»Nein — nein!« schrie es wieder von allen Seiten.
»Gut, dann haltet auch einmal zum Teufel die — Frieden« lautete die Antwort — »oder ich gehe an Deck zurück und Ihr mögt Euch hier meinethalben die Köpfe blutig schlagen, nach Herzenslust.«
Die Passagiere, denen daran gelegen war daß der Steuermann ihre Angelegenheit in Ordnung bringe, sahen endlich selber ein, daß sie ihn gewähren lassen müßten, machten ihm also Platz, und Einzelne, die Vernünftigeren der Schaar, baten ihn, ihnen eine Stelle anzuweisen wo sie ihre Matratzen unterbringen, oder die, die Familie hatten, mit diesen zusammen einquartirt werden konnten. Das war nicht mehr als billig, und der Steuermann, auf dessen Wink jetzt noch zwei Matrosen mit Laternen herunterstiegen, trat die wenigen Stufen noch nieder, und begann die verschiedenen Coyen, an der rechten Seite anfangend, zu visitiren.
»Wen haben wir hier?« begann er gleich mit der ersten, Eltrichs Coye, in welche dieser jetzt die junge Frau mit dem Kind placirt hatte, und so lange Wache davor hielt, bis Alles geregelt sein würde.
»Mann, Frau und Kind!« erwiederte der junge Mann — »ich heiße Eltrich.«
»Alles in Ordnung!« sagte der Steuermann, mit einem Stück Kreide das er in der Hand hielt eine 1 über die Coye malend — »So, und nun wollen wir die Geschichte gleich einmal richtig in Ordnung bringen« setzte er hinzu, seine Brieftafel mit der Passagierliste aus der Tasche nehmend, und zu dem Licht der Laternen haltend — »Coye 2 — wer ist hier drin?« —
Auch diese Coye war durch die Familie des Tischlermeister Leupold besetzt. Anders sah es aber mit Nr. 3 aus, wo sich zwei Oldenburger Bauern einquartirt hatten, und keinen weiteren Zuspruch gestatten wollten. Der eine, ein breitstämmiger Bursch, mit ledernen Hosen und nägelbeschlagenen Schuhen, der vornweg der Länge lang darin lag erklärte auch dabei ganz ruhig und bestimmt das sei ihr Platz, sie wären zuerst gekommen, brauchten was sie hätten, und gedächten es zu behalten.
»Wer hat noch keinen Platz?« frug der Steuermann ohne weiter etwas darauf zu erwiedern, die Passagiere — »halt nicht Alle auf einmal schreien — es muß eine einzelne Person sein.«
Wald meldete sich und der Steuermann sagte ruhig, nachdem er sich den Namen des neu Zutretenden bemerkt:
»So, da rückt einmal zu, Ihr da; drei und drei gehören immer in eine Coye, und dann habt Ihr noch übrig Platz.«
»Wenn der nirgendwo anders unterkommen kann, nachens is es noch immer Zeit;« erwiederte aber der eine Bauer trotzig.
»Wollt Ihr in Frieden Platz machen?« frug der Steuermann vollkommen freundlich.
»Ne« lautete die einzige Antwort.
»Smiet mi mal den Döskopp da ruth« lautete da der eben so ruhig gegebene Befehl an die beiden Matrosen, die zuerst vorsichtig ihre Laternen bei Seite setzten, und dann so plötzlich und mit so eisernem Griff den Widerspenstigen packten, daß dieser auch im Nu aus seiner Coye und auf die Erde flog. Hier sprang er aber eben so rasch in die Höh, und schien nicht übel Lust zu haben sich auf den Steuermann zu werfen; oben durch die Luke schauten aber noch drei oder vier stämmige Burschen von Matrosen, die nur eines Winks bedurft hätten, mit einem Satz unten bei ihren Kameraden zu sein, und der Steuermann sagte freundlich:
»Wullt Du
Widerstand unter solchen Umständen war hoffnungslos, und der Bauerbursche brummte nur eine halbtrotzige Drohung in den Bart, daß er sich über solche Behandlung bei dem Capitain beschweren würde.
»Dat stat Di frie, myn Junge!« sagte aber der Steuermann, der stets platt sprach wenn er grob wurde, gleichgültig, und wies jetzt Wald an, seinen Platz einzunehmen, wie seine Sachen, die er unterwegs bei sich zu behalten wünsche, vor die Coye zu stellen.
Das Beispiel, gerade an einem der stärksten und stämmigsten der Schaar gegeben, hatte aber geholfen; in den nachfolgenden Coyen zeigten sich nicht die geringsten Schwierigkeiten mehr, und wo noch Platz war, fügten sich die Leute, nach Angabe ihrer Namen, ohne weiteren Widerspruch in das Unabänderliche. Nur den polnischen Juden mit seinem schmutzigen Kaftan wollten sie nirgends einnehmen, und selbst einer seiner Glaubensgenossen, der gerade unter Steinerts, Mehlmeiers und Schultzes Schlafplatz eine Coye für sich selber in Beschlag genommen, und jetzt mit dieser Einquartierung bedroht wurde, zog es vor auszuräumen und sich wo anders Raum zu suchen. Zu dem dritten Platz in des Polen Coye fand man Niemanden als den armen jungen Burschen, für den an der Landung in Bremen noch gesammelt worden, daß er sein Reisegeld zusammen bekam. Der wagte keine Widerrede, und ließ sich hinstecken, wo es den Anderen gefiel.
Ziemlich zu Ende mit der ganzen Anordnung, kam der Steuermann auch jetzt endlich zu Löwenhaupts Coye, von der »der große Unbekannte« wie ihn Steinert nannte, Besitz genommen, und aus seiner Tabackswolke auch noch nicht wieder zum Vorschein gekommen war.
»Hallo Mosje! — Sie da drin in dem Qualm« schrie der Steuermann, »stecken Sie das Schiff nicht in Brand — Dusendslag, wo hett denn de Permission kregen syn Dunnerwehers stinkigen Toback to smöken?«
Die Wolke stand einen Augenblick, und nicht weiter ge
»Harpunen und Seekrebse« brummte aber der Steuermann, der sich niederkauerte einen Blick unter dem Qualm fort in das Gesicht des Mannes zu bekommen, gegen den schon, wie er kaum den Fuß an Bord gesetzt, eine Menge Klagen eingelaufen waren, »wo heet den de Heer hier in de smallkragigen Rock mit de grooten linnen Taschen — Sie da Wo heet hey?«
»Sehr würdiger Seemann« erwiederte ihm aber hierauf mit großer Ruhe und in wohlgesetzter Rede der Gefragte, »es thut mir unendlich leid daß ich keine Sylbe dieser nordischen Sprache, die Sie hier wenn ich nicht irre, plattdeutsch nennen, verstehe, und durchaus in reinem Hochdeutsch angesprochen werden muß, befriedigende Antworten zu erwarten.«
»Na nu wird's Tag!« rief der Steuermann verwundert, »dei spreekt wie en Buk — Sie da also mit den empfindlichen Ohren, wie heißen Sie und wo sind sie her?«
»Zachäus Maulbeere aus Halle.«
»Maulbeere« — murmelte der Steuermann, den Namen auf der Liste suchend — »Maulbeere — Maulbeere —«
»Nein, nur einmal Maulbeere!« sagte Zachäus. Einzelne lachten, die Familie Löwenhaupt aber, deren Herr und Stamm sich in einem kleinen winzigen Männchen, mit einer furchtbar großen, wie eingehakten Habichtsnase zeigte, begann wieder auf's Neue ihre Klagen über den Einbruch in ihre Rechte.
»Ruhe da!« rief aber der Steuermann — »und Sie da, wer hat Ihnen denn eigentlich Erlaubniß gegeben im Zwischendeck zu rauchen, und noch dazu solchen Giftknaster — wenn Sie das Schiff wirklich nicht in Brand stecken verpesten Sie es.
»Der Eine liebt Rosen der Andere Teufelsdreck« sagte Zachäus ruhig, »ich liebe Rosen.«
»Kann ich mir denken« meinte der Steuermann — »wer aber hat die Coye von allem Anfang an inne gehabt?«
»Ich — wir —« schrieen die Eheleute Löwenhaupt.
»Wie viel sind Sie?«
»Nu wie viel sollen mer sein?« frug Madame Löwenhaupt beleidigt — »ich und der Itzig.«
»Ja dann kann ich Ihnen nicht helfen« sagte der Seemann achselzuckend, »dann müssen Sie noch irgend Jemand darin aufnehmen.«
»Aber doch nich
»Bieten Sie mir einen Tausch an, vielleicht lasse ich mich bewegen und ziehe aus!« sagte Zachäus, dem die Gesellschaft als er sie etwas näher besah, vielleicht selber nicht gefallen mochte.
»Na das machen Sie unter sich aus« sagte aber der
Steuermann, sich mit seiner Laterne wieder den Anderen zuwendend — »immer
drei gehören eben in eine Coye, und je friedlicher
Ihr Euch hier darin vertragt, desto besser ist es für
Euch. Geraucht wird aber hier unten
Ein dumpfes Brummen tönte als einzige Antwort von der Coye herüber, die Frauen aber besonders dankten Gott, daß sie den »Qualm und Gestank« wie sie's nannten, da unten in dem überdies engen Raum los würden.
Die Regulirung der Coyen war übrigens hiernach bald beendet, und wie nur erst Jeder einmal seinen Platz angewiesen bekommen und bestätigt hatte, durften sie auch daran denken ihr Gepäck zu ordnen, damit es die Matrosen dann um die Mittelstützen herum und an den verschiedenen Coyen befestigen konnten.
Mit dem Gepäck fand sich übrigens hier ebenfalls eine
Schwierigkeit, die besonders in der unzweckmäßigen Verpackung
der Sachen lag, und von den Auswanderern, trotzdem daß sie
ihnen so oft an das Herz gelegt, doch so selten beachtet wird.
Leute aber, die mit der Einrichtung eines Schiffes nicht bekannt
sind, können sich auch gewöhnlich gar keine Idee machen
wie beschränkt der Raum doch natürlich in einem Fahrzeug
sein muß, das Hunderte von Personen in Monate langer
Reise über See schafft, und für diese Zeit nicht allein Wasser
und Proviant mitnehmen muß, sondern mit seinem Haupterwerb
auch auf die Es ist leicht einzusehen daß nicht Jeder sein ganzes Gepäck, was
er aus dem alten Vaterland mitnimmt, auch bei sich im Zwischendeck
behalten kann, bald in der, bald in jener Kiste herumzustöbern, je nachdem
er gerade dies oder jenes braucht, oder zu brauchen glaubt. Wo
der Raum für einen Jeden nach einer bestimmten Anzahl von Kubikfuß
eingetheilt wird, darf der Eine nicht mehr beanspruchen als der Andere,
und die Räumlichkeit eines Schiffes ist nicht die eines Hauses mit so
und so viel Stuben, Kammern und Boden. Hat der Auswanderer also
Sobald sich also die Passagiere, in Cajüte wie Zwischendeck,
nur erst halbwege eingerichtet hatten, und jetzt erfuhren
daß sie heute noch gar nicht, sondern erst morgen früh in See
gehn würden, verlangte ein großer Theil derselben, mit dem
heimischen Boden dicht neben sich, auch noch einmal festes
Land vor dem Abschied vom Vaterland zu betreten. Die meisten,
Und wie sah es noch unten im Zwischendeck aus — überall
So kam der Abend heran, der die Cajütspassagiere um den gedeckten Tisch versammelte, und den Zwischendeckspassagieren dünnen Thee, ohne Zucker und Milch brachte — Brod und Butter war ihnen an dem Nachmittag schon gut und reichlich geliefert worden. Die wenigsten machten aber Gebrauch davon; die Männer waren fast noch sämmtlich an Land, viele schliefen sogar noch dort, und zahlten schweres Geld für ein schlechtes Bett, dem Gewirr an Bord, und dem ungewohnten Dunst des Zwischendecks so lang als irgend möglich zu entgehn, und die Frauen hatten, mit wenigen Ausnahmen, noch nie in ihrem Leben Thee getrunken, außer wenn sie krank waren Camill oder Pfeffermünz, aber wohl viel davon gehört daß es die Leute in der Stadt, oder die Reichen tränken, und wunderten sich jetzt kopfschüttelnd wie die Leute Geschmack daran finden könnten. Schiffsthee ohne Milch und Zucker aus einem Blechbecher getrunken schmeckt auch in der That nicht besonders.
Das Wetter hatte sich übrigens wieder aufgeklärt, auch
war die Fracht sämmtlich eingeladen, und die untere Luke geschlossen
worden, das Schiff lag mit geräumtem Deck vor
seinem Anker, und als am nächsten Morgen, mit Tagesanbruch,
Der Capitain, eine vierschrötige ächt seemännische Gestalt, mit fast braunem Gesicht, entsetzlich großen, sehnigen sonngebräunten Händen, und einem großen Packet Papiere unter dem Arm, sah freilich etwas wunderlich in seinen »Landkleidern«, dem schwarzen auch nicht mehr modernen Frack und dem Zylinderhut (Schwalbenschwanz oder Nagelhammerrock und Schraube, wie die Matrosen diese Kleidungsstücke nennen) aus, schien sich auch nicht besonders wohl darin zu fühlen. Er grüßte seine Passagiere nur flüchtig und zog sich dann in die eigene Cajüte zurück, in die hinein ihm gleich der Steward oder Cajütendiener folgen mußte; der zweite Steuermann aber, ein trockener komischer Kauz, der gerade vor der Thür stand als es drin ein wenig laut herging, und des Capitains Stimme den Jungen schimpfte, meinte ruhig zum Steuermann, als er an diesem vorüber und an Deck ging:
»De Captein kann wedder syn Swalbenswanz nich uht kreegen — wat de Jong vor Arbeit het.«
Mit dem Dampfboot waren auch Henkels mit Hedwig Loßenwerder in ihrer Begleitung eingetroffen, und Lobensteins, die sich schon ziemlich häuslich an Bord eingerichtet hatten und mit der ganzen Einrichtung ziemlich zufrieden schienen, begrüßten sie, wie Hedwig, auf das Herzlichste.
Während sich Clara aber, mit dem Bewußtsein ihre Eltern
ja schon in kurzen Monaten wiederzusehn, dem Fremden
und Neuen was sie überall berührte, mit ganzer Seele und
leuchtenden Blicken hingab, und sich wie ein fröhliches glückliches
Kind selbst auf die Reise und all die kleinen Unbequemlichkeiten
freute, die in so grellem Gegensatz zu dem bisher
geführten ruhigen aber auch vollkommen gleichförmigen Leben
standen, betrat Hedwig nur schüchtern und ängstlich das Deck
des Schiffes, und blickte wie scheu und furchtsam umher, auf
die ihr so gänzlich fremde Umgebung, auf die fremden Menschen.
Sie hatte sich leicht entschlossen das Vaterland zu verlassen,
das ihr in der Erinnerung ja nur traurige, schmerzliche
Scenen bot, und sogar mit innigem Dank das Erbieten angenommen
die liebe junge Frau auf ihrer Reise zu begleiten;
jetzt aber, da sie den Schritt gethan, da sie wirklich in das
neue Leben eintrat, fühlte sie erst das Gewaltige desselben,
fühlte erst wie abhängig sie geworden sei von anderen fremden
Menschen, und fürchtete für sich selbst, ob sie auch würde dem
Allem genügen können was sie unternommen, und was man
von ihr zu erwarten berechtigt sei. Ihre eigenen Kräfte kannte
»Du darfst nicht solch ein bös und ernsthaft Gesicht machen, Hedwig,« sagte da Marie Lobenstein, ihre Hand nehmend und ihr lächelnd mit der eigenen über die Stirn streichend, »jetzt fahren wir bald hinaus in's Meer, nach dem weiten, großen Amerika, und wenn wir da traurig und verdrießlich ankommen, schicken uns die Leute am Ende wieder fort.«
»Sie sind so gut, Fräulein Marie« sagte Hedwig leise, die ihr gebotene Hand innig drückend — »ich will auch mein Möglichstes thun jede thörichte Furcht zu überwinden.«
»Fürchtest Du Dich?« lachte aber das leichtherzige fröhliche Mädchen zurück — »vor dem Wasser? — das kann ja gar nicht zu uns herauf, siehst Du wie hoch wir darüber stehn?«
»Ich weiß selbst nicht wovor,« seufzte das arme Kind — »es ist wohl auch nur die neue fremde Welt in die ich jetzt getreten, und die mir das Herz beklemmt; das wird schon bald vorübergehn.«
»Es muß« lachte Marie, »wenn wir nur erst in See
sind, werden wir uns auch vortrefflich amüsiren; wir haben
Bücher zum Lesen mit, und können stricken und nähen und
sticken auf dem Schiff, was wir wollen; und dann lehnen
wir Stunden lang über Bord, und schauen in die herr
So plauderte das fröhliche Mädchen dem armen Kind die Sorgen aus der Stirn, bis der Steuermann kam sie abzuholen, und ihr den eigenen Schlafplatz zu zeigen, der ihr im Zwischendeck, bei zwei anderen jungen Mädchen und weitläufigen Verwandtinnen der Familie Rechheimer angewiesen wurde. Sie sollte im Zwischendeck essen und schlafen, hatte aber die Erlaubniß über Tag, oder wenn sie sonst von ihrer jungen Herrin gebraucht wurde, mit in der Cajüte und auf dem Quarterdeck zu sein.
Der Capitain hatte aber doch endlich seinen »Schwalbenschwanz über die Hände« bekommen, wie der zweite Steuermann meinte, und kam jetzt, in blauer Tuchhose und Jacke, in der er sich vor Behagen ordentlich schüttelte, mit einer grauen Tuchmütze auf und die Füße, wie es an Bord gebräuchlich ist, in Strümpfen und Schuhen, an Deck, die nöthigen Befehle des Unterwegsgehens selbst zu geben. Der Anker, der indessen von den Leuten nur gelüftet worden, kam, unter dem fröhlichen Singen der Mannschaft, denen eine Menge der Deckpassagiere bereitwillig half, nach oben, die Raaen wurden herumgebraßt, die Segel fielen gelößt nieder und faßten, wie die Schoten ausgeholt wurden, den Wind, und langsam bewegte sich zum ersten Mal der mächtige Bau durch die trübe Weserfluth stromab.
Die Passagiere standen dicht gedrängt an Deck, und vorn
auf der Back des Vorcastles die Leute, hie und da noch Be
Eine alte Frau stand auch an Deck, hielt sich mit der linken Hand an der Schanzkleidung und sah hinüber nach dem Land, dessen Häuser und Baumgruppen sie hinter sich ließen und langsam an dem niederen kahlen Ufer hinglitten. Es war die alte Mutter des Webers aus Zurschtel, und sie winkte mit der rechten Hand hinüber und murmelte halblaut und mit dem Kopf dazu nickend und schüttelnd vor sich hin:
»Adje Leberecht — adje Zurschtel und die alte Linde, das Haus und der Garten und die Astern — s'ist vorbei — s'ist Alles vorbei, und sie sollten mich alte arme Frau nur lieber hier gleich in's Wasser werfen, ehe sie mich noch mit hinausschleppen auf das große Meer — Amerika krieg' ich doch nicht zu sehn, und der Leberecht muß jetzt allein unter der Linde liegen.« Und tief aufseufzend setzte sie sich auf eine der Nothspieren die dort, langseit der Schanzkleidung befestigt waren, zog die Schürze über den Kopf und weinte bitterlich.
Ihre Tochter stand daneben, das kleinste Kind auf dem
Arm, aber konnte die Mutter nicht trösten; das Herz war ihr
selber zum Brechen voll, und die großen hellen Thränen
Auf einem der an Deck befestigten Wasserfässer, dicht bei ihnen, saß der Mann mit den kurzgeschnittenen Haaren; die Sonne schien ihm hell und voll auf das scharfmarkirte Gesicht, dessen oberer Theil wetterbraun und hart aussah, während der untere Theil, wo jedenfalls ein jetzt abrasirter Bart gestanden, weiß und bläulich dagegen abstach. Wenig kümmerte der sich aber um das Land, die dunklen, finster genug dreinschauenden Augen hafteten nur eine Zeit lang wie forschend auf den Gestalten der beiden Frauen, dann aber pfiff er gleichgültig ein Lied vor sich hin, und trommelte mit den Fingern den Takt dazu auf dem Faß.
Diese erste Abfahrt war aber noch keineswegs ein wirklicher Abschied vom festen Land; die schwache Briese trieb das Schiff mit der günstigen Ebbe nur langsam vorwärts, und als die Brise später stärker wurde, trat die Fluth bald ein, die ihnen fast so viel schadete als jene nützte, und sie bald darauf zwang wieder vor Anker zu gehn. Sie befanden sich übrigens jetzt ganz in der Nähe von Bremerhafen, an dem sie die Masten der im Hafen liegenden Schiffe, ja die am Lande auf- und abgehenden Leute deutlich erkennen konnten.
Aber die Passagiere ärgerte das wieder Ankerwerfen; das
Abschiednehmen vom Vaterland dauerte ihnen zu lang — »das
Vaterland nahm gar kein Ende« wie Steinert meinte, der ungeduldig
auf Deck auf- und abschritt, und die langweiligen
Ufer der Weser um sich her betrachtete, denn einmal an Bord,
Von den Zwischendeckspassagieren schien sich aber besonders Herr Schultze, der ein kleines Taschentelescop in der Hand trug, mit ganzem Eifer einem anderen Studium, und zwar dem der Seemöven hinzugeben, die hier theils auf dem Wasser schwammen, theils das Schiff umkreisten, und dann und wann blitzschnell nach einem Fisch hinunterstießen. Er folgte dabei ihrem Flug mit dem Glas so gut er konnte, und achtete weder auf seine Umgebung, noch das nahe liegende Ufer.
»Merkwürdige Vögel« murmelte er dabei, »ich gäbe etwas
darum, wenn ich einen von ihnen lebendig an Deck
haben könnte — äußerst merkwürdige Vögel — aber eine
»Ist das ein gutes Glas, was sie da haben?« redete ihn jetzt Herr Steinert an, der vor Langerweile schon gar nicht mehr wußte was er angeben sollte.
»Ein vorzügliches Glas« sagte Herr Schultze, ihm artig dasselbe überreichend — »ein Plössel; es vergrößert ungemein und mit außerordentlicher Schärfe.«
Steinert nahm das Glas und richtete es nach Bremerhafen zu, wo er in diesem Augenblick ein abkommendes Boot zu erkennen glaubte, das am Ufer herauf hielt.
»Wahrhaftig« rief er dabei, »das ist excellent — wo war denn das Boot gleich — ah da — ein Boot mit Soldaten, die am Lande hinaufrudern.«
»Mit was?« sagte der Steuermann, der gerade an ihm vorüberging und die Hand wie unwillkürlich nach dem kleinen Fernglas ausstreckte.
»Mit Soldaten« sagte Herr Steinert, ihm das Glas überreichend durch das der Seemann einen Augenblick nach dem Ufer hinübersah und es dann, ein paar unverständliche Worte dabei in den Bart murmelnd, wieder zurückgab. Ohne das Boot aber dann weiter eines Blickes zu würdigen, ging er nach vorn zu, den Leuten einige nöthige Befehle zu geben.
»Was sagten Sie daß da am Ufer heraufgerudert käme?«
wandte sich jetzt der junge Bursche, für dessen Passage die
Zwischendeckspassagiere noch an der Landung gesammelt, und
»Ja, da drüben, mein Bursche —«
»Das hierherzu kommt?« frug der junge Mann mit ängstlicher Stimme.
»Nun sie thun uns Nichts,« lachte Steinert — »die Zeit der Piraten ist vorüber, und ihr Schiff streicht blos so durch die Wellen, Fridolin.«
Der Bursche schien aber keineswegs aufgelegt, auf einen Scherz einzugehn; er suchte nur mit den Blicken das Boot, das er auch bald mit bloßen Augen erkennen konnte, und stand eine Weile rathlos wie vor einer noch unbestimmten, aber doch gefürchteten Gefahr. Das Boot ruderte indessen noch eine kleine Strecke am Ufer hinauf und hielt jetzt, mit bloßen Augen ließ sich das schon erkennen, in die Mitte des Stromes hinaus und mehr nach ihnen herüber.
Der Obersteuermann kam wieder von vorn zurück, an ihm vorbei und blieb stehn, noch einmal nach dem Boot hinüberzusehn.
»Kommen sie hierher?« frug da der junge Bursch mit kaum hörbarer angsterstickter Stimme den Seemann.
»Wer?« sagte dieser, sich nach ihm umdrehend.
»Die Soldaten« stöhnte der junge Mann.
»Hallo mein Bursch« sagte aber der Steuermann, ihn
jetzt von oben bis unten aufmerksam betrachtend — »Du bist
ja so weiß wie ein altes Segel; was hast Du denn ausgefressen,
daß Du Dich vor den Soldaten zu fürchten brauchst?
»Dann bin ich verloren« hauchte der arme Teufel und barg sein Gesicht in den Händen.
»Nu nu, was giebt's denn?« sagte der Steuermann, während sich die Nächststehenden, die wissen wollten was da verhandelt wurde, noch mehr herandrängten — »hast Du was verbrochen, so wirst Du auch jetzt dafür büßen müssen. Gesteh es aufrichtig, vielleicht kann's Dir nützen.«
Es lag in dem Ton mehr Gutmüthigkeit als Drohung, und der junge Bursche, vielleicht eben so in der Angst seinem Herzen Luft zu machen, als auch einen falschen Verdacht von sich abzuwälzen, sagte rasch:
»Nein nein, Nichts verbrochen — nichts Schlechtes habe ich gethan, aber ich bin — ich bin —«
»Nun? — was bist Du?« frug der Seemann jetzt selber neugierig.
»Ein Deserteur« stöhnte der Unglückliche und sank bleich und zitternd in die Knie.
»Hm« sagte der Steuermann mit dem Kopf schüttelnd, während das Wort von Mund zu Munde lief, und mitleidige Stimmen überall laut wurden — »das ist eine böse Geschichte, und dann bekommen wir die Rothkragen da drüben auch jedenfalls an Bord — ja mein Junge, da kann ich Nichts für Dich thun.«
»Retten Sie mich, um Gottes und des Heilands Willen
retten Sie mich« bat der Unglückliche, und suchte in der Angst
Wie ein Lauffeuer flog aber indeß das Gerücht, ein Deserteur sei an Bord und der Capitain wolle ihn den Soldaten ausliefern, von Mund zu Mund, und nicht allein die Passagiere nahmen Parthei für den armen Teufel, sondern auch die Matrosen, die sich bis jetzt noch ziemlich fern von ihnen gehalten, mischten sich zwischen sie und traten zu dem zitternd da Sitzenden, ihm Muth einzusprechen und ihn nach dem und jenem zu fragen. Von den Zwischendeckspassagieren hatten sich aber indessen schon Einige rasch entschlossen, den Capitain selber aufzusuchen und ihm die Sache an's Herz zu legen, als der Untersteuermann aus der Cajüte kam, sich durch die an Deck geschaarten Leute drängte und zu dem jungen Burschen hintrat.
»Ach das arme junge Blut!« riefen die Frauen — »schon an Bord und nun noch all den Jammer, all das Elend. Und dann seine Eltern zu Hause; die Schande und das Herzeleid.«
Der Untersteuermann hielt sich aber nicht mit langen Redensarten auf.
»Wie heißt Du?« frug er den jungen Burschen, indem er ihn eben nicht sanft an der Schulter faßte und schüttelte.
»Carl Berger« lautete die Antwort des Erschreckten.
»Carl Berger? — hm« murmelte der Untersteuermann vor sich hin, ein Papier das er in der Hand hielt, mit den Augen dabei mehrmals durchlaufend — »Carl Berger — Du stehst ja aber gar nicht mit in der Passagierliste — woher kommt das?«
»Ich hatte das Passagegeld noch nicht bei der Abfahrt« stammelte der junge Bursch — »gute Leute an Bord schossen es für mich zusammen, und als ich zum Rheder zurückkam und es bezahlte, hatte er die Liste nicht mehr und gab mir nur einen Zettel mit für den Capitain, daß ich hier an Bord nachgetragen würde.«
»Hm, so?« sagte der Untersteuermann, und sah über
Bord — das Boot mit den Soldaten, das jetzt gerade auf
das vor Anker liegende Schiff zuhielt, war noch kaum zweihundert
Schritt von diesem entfernt, und es ließen sich schon
die einzelnen Gesichter der im Boot stehenden Bewaffneten
unterscheiden. Von dem was an Deck vorging, konnten diese
aber nicht das Mindeste erkennen, da die über fünf Fuß hohe
Schanzkleidung, die das Deck als Schutz umgab, alle darauf
Befindlichen den Blicken der unten Heranfahrenden vollständig
entzog. Der Untersteuermann wußte das auch, und wieder
zu dem Deserteur hinantretend frug er, seinen Kautaback aus
einem Mundwinkel in den anderen schiebend, die Umstehenden
»Könnt Ihr die Mäuler halten?«
Berger, der mit todtbleichen Wangen und ängstlich klopfendem
Herzen den näher, immer näher kommenden Ruderschlägen
gelauscht, ohne daß er gewagt hätte einen Blick hinauszuwerfen
auf den Feind, sah rasch und kaum seinen Ohren
trauend zu dem Manne auf. Lag in der Frage Hoffnung,
Trost für
»Ach Herr Steuermann schaffen Sie ihn fort — schaffen Sie ihn fort« flüsterten aber die ihm Nächststehenden rasch und ängstlich — so nahe war das Boot schon daß sie fürchteten die Soldaten könnten unten verstehen, was hier oben gesprochen und verhandelt würde — »wir bissen uns eher die Zunge ab, ehe wir den Geyern da unten ein Wort verriethen.«
»Hm« sagte der Untersteuermann und sah sich etwas mißtrauisch im Kreise um; viel Zeit war aber auch nicht mehr zu verlieren, denn von unten herauf tönte schon die Stimme des Unteroffiziers oder Polizeibeamten, was er gerade war, der das Schiff anrief, und der Capitain selber erschien gleich darauf auf dem Quarterdeck und sah über Bord.
Carl Berger faltete in Todesangst die Hände, der Untersteuermann
aber, zu dem er jetzt noch, wie in letzter Verzweiflung
Hülfe suchend aufsah, blinzte ihm zu und winkte ihm,
fast nur mit den Augen und einer kaum bemerkbaren Logis wird der Aufenthalt der Matrosen, vorn im Vorcastle unter
Deck genannt, und die Kappe (sogenannte Logiskappe) ist ein kleiner
Unterbau über dem Eingang nach unten, der Regen oder Spritzwellen
verhindert hineinzuschlagen.
»Hallo das Schiff!« rief die Stimme indeß aus dem Boot, die, wie sich später ergab, einem der Polizeisergeanten gehörte.
»Hallo das Boot!« lautete die seemännische Gegenantwort des Capitains, als er das Deck erreicht hatte.
»Werft uns ein Tau herunter, daß wir an Bord kommen können« rief es wieder, mehr wie Befehl als Bitte klingend.
Die nöthige Ordre dazu wurde gegeben, und die Mannschaft, von den Passagieren jetzt dicht umdrängt, von den Matrosen aber keines Blickes gewürdigt, kletterte an Bord.
Der Unteroffizier, mit zwei Polizeidienern, ging jetzt, die
Leute zurücklassend, nach dem Quarterdeck hinüber, wo der
Capitain, die Hände in den Taschen, stand, übergaben dort
ihre Legitimation, daß sie beauftragt seien das Schiff nach
einem Deserteur zu durchsuchen, und forderten dem Capitain
Capitain Siebelt wußte recht gut daß er sich dem nicht
weigern konnte; so wenig sich aber Matrosen, und Seeleute
überhaupt, aus einem
Aber auch selbst da ergab sich Nichts und die, bis dahin
abgesperrte Cajüte, wurde nun ebenfalls rücksichtslos von oben
bis unten untersucht; ja der Steuermann mußte, auf Verlangen
des Sergeanten, den unteren Raum öffnen, und dieser
kroch selber, hier aber von dem Untersteuermann gefolgt, der
darauf sehen sollte daß kein Unglück mit dem Licht geschähe,
in das fast vollgestaute untere Deck. Zwischen den Kisten
Der andere Polizeibeamte hatte indeß die Vorrathskammern
und verschiedenen »Spintges« mit nicht besserem Erfolg,
durchsucht, und an Deck zurückgekehrt wandten sich die Beamten
noch einmal an den Steuermann und verlangten von
diesem die »Auslieferung des Verbrechers« der sich jedenfalls
an Bord befinden
»Da sei die Liste und da die Passagiere« sagte er, »das ganze Schiff hätte er ihnen ebenfalls zur Verfügung gestellt, ob sie nun etwa noch von ihm verlangten daß er selber mit herumkriechen solle, oder ob er dazu da sei sich nach den Familien- oder staatlichen Verhältnissen der Leute zu bekümmern, die er einfach überliefert bekommen habe sicher und wohlbehalten nach Amerika hinüber zu schaffen?«
Er war darin in seinem vollen Recht, die Liste ebenfalls vollständig und in Ordnung: Keiner der darauf Angegebenen fehlte, aber auf keinen von diesen paßte auch das Signalement, und die Polizei, mit ihrer Militairunterstützung sah sich endlich wieder genöthigt das Schiff, wie sie gekommen, zu verlassen.
So ungeduldig die Passagiere aber schon vorher gewesen waren, das Schiff nun endlich einmal in vollem Lauf seinem Ziel entgegengehen zu sehn, so peinlich wurde ihnen jetzt jeder Augenblick, den sie, mit dem Bewußtsein unter den Kanonen des hannöverschen Forts zu liegen, und noch im leichten Bereich einer neuen Durchsuchung zu sein, hier unthätig, angeschlossen an die Ankerkette, verbringen mußten. Sie zählten die Minuten die noch bis zum Einsetzen der Ebbe verlaufen mußten, und tausendmal sahen sie nach allen Richtungen über Bord, ob sich die Strömung nicht endlich stauen würde.
Endlich kam auch
Der Capitain ging indessen mit auf dem Rücken gekreuzten Armen, selber wie ungeduldig, mit raschen Schritten an Deck auf und ab, und beantwortete alle an ihn gerichtete Fragen der Cajütspassagiere gar nicht, oder so kurz abgebrochen und mürrisch, daß ihnen zuletzt die Lust verging ihn weiter zu behelligen. Fortwährend sah er dabei nach der Sonne hinüber, die sich mehr und mehr dem Horizont neigte, und dann wieder nach seiner Uhr, als ob er der ersteren nicht glaube, daß es so früh noch sei, und endlich halb sechs Uhr, heute früher als gewöhnlich, kam der Koch nach hinten mit seiner stereotypen Frage:
»Captein, beleeft tu schaffen?« Ist es dem Capitain gefällig daß gegessen wird?
»Ja Kock, schaff man!« lautete die Antwort und
Einer der Matrosen hatte indessen schon die riesige blecherne Theekanne aus der Cambüse (Schiffsküche) geholt, und nach vorn auf die Back getragen, auf der die Schiffsmannschaft lagerte; die »Jungen« brachten jetzt in großen hölzernen Schüsseln den Schiffszwieback und Schwarzbrod, wie kaltes, von Mittag übriggebliebenes Fleisch, und die Leute langten tapfer zu ihr einfach Mahl zu beenden.
Auch die Zwischendeckspassagiere waren durch den Ruf
beordert worden ihren Thee zu »fassen«. Noch hatte aber nicht
die Hälfte derselben der Aufforderung genügt, und selbst einzelne
der Matrosen kauten noch ihren kaum aufgeweichten
Zwieback, als der willkommene Ruf ertönte die Ankerwinde zu
bemannen. Im Nu war das geschehn, wenigstens zwanzig
Passagiere hingen sich mit daran, und der Anker kam rasselnd
empor, wie die Kette nur aus dem Weg geholt und wieder
umgeschlagen werden konnte. Zu gleicher Zeit war ein Theil
der Matrosen nach oben geschickt die leichten Segel zu lösen,
die Raaen flogen herum, die Schoten aus, die frische Brise
legte sich hinein, und mit dem scharf aufgeholtem Ruder fiel
der Bug vor dem Winde ab. Die Leute hingen jetzt sämmtlich
an den Brassen, den rasch auf einander folgenden Befehlen
zu gehorchen, und zehn Minuten später schoß das wackere
Fahrzeug an Bremerhafen vorbei in das breite Fahrwasser
hinein, und vor dem Winde dahin, daß der Schaum — ein
Noch aber waren lange nicht alle Segel gesetzt; nichtsdestoweniger machten sie trefflichen Fortgang, und bald lag Bremerhafen mit seinem darüber hinausdehnenden Mastengitter, wie das runde Fort mit seinen drohenden Kanonen weit, weit hinter ihnen.
»Aber der Deserteur?« wo war der junge Bursche geblieben und warum kam er nicht zum Vorschein, die Gratulationen seiner Mitpassagiere zu empfangen? — oder wußte der Capitain wirklich nichts von ihm, und mußte er noch versteckt gehalten werden, daß dieser nicht gar etwa noch umkehre und ihn an die Behörden abliefere? — sonst war doch wahrlich keine Gefahr mehr für ihn vorhanden. Die Passagiere frugen das unzählige Male unter sich, wagten aber nicht, selbst den Untersteuermann deshalb anzureden. Der wußte doch wohl am besten was er zu thun oder zu lassen hatte, und daß er dem armen Teufel freundlich gesinnt war brauchte er nicht mehr zu beweisen.
Der Lootse, der erst wieder an Deck gekommen war als die Leute anfingen den Anker zu lichten, stand jetzt vorn auf der Back des Schiffes, dicht am Bugspriet, und rief von da seine Befehle dem Mann am Steuerruder zurück, die dieser, zum Beweis daß er sie richtig verstanden habe, und damit kein Irrthum möglich sei, laut zu wiederholen hatte.
Die Sonne war schon längst hinter dem Horizont verschwunden,
und die Haidschnucke hielt in der jetzt merklich ein
Die Zwischendeckspassagiere hatten indessen meist das obere Deck verlassen, vor völliger Dunkelheit ihre Schlafstellen unten in Ordnung zu bringen, was nachher immer mit einiger Schwierigkeit verbunden war. Nur Einzelne standen noch oben, die mit gespanntem Interesse den Bewegungen des neu anrudernden Bootes entgegensahen, in dem sie kaum etwas anderes erwarteten, als eine zweite Visitation.
»Verdammt will ich sein« brummte dabei der Mann mit den kurzen Haaren, der bis dahin besonders aufmerksam das Mannöver mit den Flaggen und dem abkommenden Boot betrachtet hatte, »wenn uns die nicht nochmals ihre Spürhunde herüber schicken; hol sie der Teufel, sie becomplimentiren uns wohl so hinaus bis in die offene See.«
»Nun, wenn sie am hellen Tage Nichts gefunden haben, werden sie wohl dießmal auch mit langer Nase abziehn« sagte Steinert, der dicht neben ihm stand. »Jetzt kann ich mir aber auch denken, weshalb der Capitain mit der Abfahrt von unserem letzten Ankerplatz so lange gezögert hat.«
»Nun?« sagte der finstere Bursch und sah ihn von der Seite an.
»Er hat gewußt, daß ihm die Rothkragen hier noch einmal an Bord steigen würden« flüsterte Steinert geheimnißvoll »und deshalb gewartet, daß er hier erst mit schummrig werden einträfe — so ist's.«
»Für so gescheut hätt' ich ihn gar nicht gehalten« brummte der Erste wieder »aber da sind sie« setzte er dann hinzu, indem er sich vom Bord abdrehte und nach dem Eingang des Zwischendecks zu ging — »hol sie der Teufel, ich mag sie nicht sehn; wenn sie 'was von uns wollen, können sie zu uns herunter kommen.«
»Mag wohl seine Ursache haben, daß er die Polizei nicht leiden kann« lachte der Untersteuermann leise dem einen Matrosen zu, der neben ihm stand und ein zusammengerolltes Tau in der Hand hielt, es dem nahenden Boote zuzuwerfen.
»Futter für Amerika« sagte der Mann, verächtlich den
Kopf auf die Seite werfend — »
»Ja Hans, wenn er nicht mit dem Kopf darin stecken
bleibt«; meinte der Untersteuermann, dem Passagier nachsehend,
wie er eben in das Deck hinunter stieg. Das Gespräch der
Beiden wurde aber in diesem Augenblick durch das Boot selber
abgebrochen, das langseits kam. Des Lootsen Ruf hatte
indeß die Fock und die Vormarssegel backbrassen lassen, daß das
Schiff in diesem Augenblick keinen Fortgang weiter, als mit
der Strömung selber machte, und wenige Minuten später kletterten
fünf Männer an Deck und wurden, auf die Frage des
»Steht bei hier und nehmt die Kisten herauf!« tönte indeß der Ruf des Steuermanns, und Taue wurden in das Boot hinuntergelassen — drei gewöhnliche Seemannskisten an Bord zu heben, die indessen oben an Deck stehen blieben.
Der Capitain stand mit Professor Lobenstein und dem Lootsen allein auf dem Quarterdeck, als die fünf Männer die kleine Treppe, die dazu hinaufführte, erstiegen. Auf ein paar Worte des ersten blieben dreie von ihnen, denen der vierte fast wie zur Bewachung beigegeben war, an der Treppe stehn, während Jener auf den Capitain zu ging und mit militärischem Gruße an sein Mützenschild griff. Der Mann war übrigens in Civil gekleidet, und trug einen dunklen langen Rock und eine einfache Tuchmütze, aber mit steifem großen Deckel, die etwas uniformsmäßiges an sich hatte.
»Habe ich das Vergnügen mit dem Capitain dieses Schiffes zu sprechen?« sagte er artig, als er sich ihm näherte.
»Ich bin der Schiffer, ja« sagte Siebelt, den Gruß sehr kurz erwiedernd — »Sie bringen mir die bewußten Passagiere?«
»Ja wohl Herr Capitain — hier ist meine Legitimation; dürfte ich Sie bitten mir die Quittung für richtige Ablieferung zu schreiben.«
»Auch noch« — brummte Siebelt mürrisch — »kommt einmal her Ihr Burschen!«
»Ihr sollt vortreten; habt Ihrs nicht gehört?« sagte der
andere, der bei den dreien stehn geblieben war, barsch, und die
Der Capitain sah sie, Einen nach dem Anderen, still und forschend an und sagte endlich:
»Hört einmal, ich habe Euch hier an Bord bekommen,
um Euch mit nach Amerika hinüberzunehmen; ich hoffe, daß
Ihr Euch an Bord gut betragen werdet; wenn Ihr's nicht
freiwillig thut, ist's Euer eigener Schade, denn thun
»Können wir aufbrassen Capitain?« rief der Lootse hinter ihm her als er hinunter ging; »es wird zu spät wenn wir noch länger hier Zeit vertrödeln.«
»Braßt nur auf Lootse« rief der Capitain zurück, »ich bin gleich wieder oben.«
Die Raaen fuhren herum, die Vorsegel faßten den Wind wieder, und das Schiff bewegte sich rascher vorwärts auf seiner Bahn.
»Hallo« sagte der eine Mann, der den Oberbefehl über das Boot zu führen schien, indem er über Bord sah — »nehmen Sie uns nicht etwa mit.«
»Habt keine Angst Kamerad« sagte der Untersteuermann, der eben an ihm vorüberging, den Neugekommenen ihre Plätze anzuweisen — da blieben wir eher hier die ganze Nacht liegen.«
»Danke« sagte der Mann —
»Keine Ursache, ist gern geschehen,« der Untersteuermann, als er seinen Tabackssaft — die Seeleute kauen meistentheils — über Bord spritzte, und langsam die kleine Quarterdeckstreppe hinunter stieg.
Der Capitain kam übrigens nach sehr kurzer Zeit schon
wieder zurück, und übergab dem Manne seinen Zettel — die
Quittung für richtige Ablieferung von drei Verbrechern, denen
im Boot erst
»Danke Capitain« sagte der Mann, indem er das Papier zusammenfaltete und in die Tasche schob — »Nichts für ungut — Sie wissen wohl« —
— »Schon gut« sagte der Seemann mürrisch — »das
ist übrigens das letzte Mal, daß ich derlei Geschichten besorge,
»Derlei Bestellungen bringen Nichts ein« meinte aber der Mann trocken, »so, gute Fahrt Capitain, wir sind wahrhaftig schon ein ganz Stück am Leuchtschiff vorbei und werden tüchtig rudern müssen gegen den Strom an.«
Der Capitain drehte sich ab und ging auf die andere Seite des Schiffs hinüber, während die Fremden rasch in ihr Boot hinunter kletterten.
Der Lootse zeigte aber jetzt, daß es ihm Ernst war aus der Weser zu kommen; Segel auf Segel wurde gesetzt vor der immer frischer und kräftiger einsetzenden Brise, bis sich das Schiff unter der Last derselben bog, und schäumend seine Bahn dahin schoß. Im Osten hob sich indessen der Mond, und goß sein funkelndes Licht über den weiten Strom, bei dem sich eben noch die ausgelegten Tonnen erkennen ließen, das Fahrwasser zu halten. Das Wasser war ebenfalls noch vollkommen ruhig, aber der Strom doch hier schon so breit, daß die Brise ihren Einfluß darauf ausüben konnte, und das Schiff begann sich mit der schwellenden Dünung leicht zu heben.
Bei dem wundervollen Abend, der warm und licht auf
dem Wasser lag, hatten sich indessen die meisten Passagiere
wieder auf Deck gesammelt, und in kleinen Gruppen erst eine
lange Weile das Geheimniß des zweiten Bootes, aus dem sie
nicht klug geworden, besprochen. Auch neue Passagiere, von deren
Ankunft man schon in Brake gewußt, und eine Coye für
sie zurückgehalten hatte, waren damit gekommen, Niemand
Steinert zeigte sich indessen unter den Lebhaften als den Lebhaftesten. Das Gespräch war durch das Polizeischiff auf ähnliche Fälle gekommen, wo diesem achtbaren Institut eine Nase gedreht worden, und sprang dann, in einem natürlichen Ideenflug auch auf das Pasch- und Schmuggelwesen hinüber, in dem der Weinreisende, wenn sich Alles so verhielt wie er es erzählte, seiner Zeit Außerordentliches geleistet hatte und er wurde nicht müde davon zu erzählen. Mitten in einer prachtvollen Anekdote aber schwieg er plötzlich still, und sah sich nach allen Seiten um.
»Suchen Sie wen, Herr Steinert?« frug ihn der junge
»Ich? nein — ich weiß nur nicht« sagte Steinert — »das Schiff fängt sich an so fatal zu bewegen — immer so auf und nieder; ich glaube — ich glaube die Leute haben zu viele Segel aufgesetzt.«
»Ja, irgendwo ist es doch wohl nicht in Ordnung« bemerkte auch jetzt Herr Mehlmeier mit seiner feinen Stimme, der schon seit einigen Minuten ganz still gesessen, nicht mehr gelacht, oft die Augen geschlossen, und dann auf einmal sehr tief Athem geholt hatte.
»Oh, es fängt ein wenig an zu schaukeln« sagte Herr Theobald, der sich durch die Bewegung noch nicht incommodirt fühlte, »bitte erzählen Sie nur weiter.« —
»Ja — wo war ich doch gleich stehn geblieben?«
»Wie Sie mit dem Mauthbeamten in der Schenke saßen und die Wette mit ihm machten« — unterstützte ihn der junge Literat.
»Ach ja so — ja da — das schaukelt wirklich unangenehm« sagte aber Herr Steinert, der den Faden nicht wieder finden konnte — »ich sitze auch hier auf einem höchst fatalen Fleck — viel zu hoch; das ist doch ein göttlicher Abend — wir wollen ein wenig auf Deck spazieren gehn.«
Das Spazierengehn half aber auch Nichts, die Bewegung
des Schiffs wurde merklicher, je mehr sie sich der offenen See
Es ist dabei eine sonderbare Thatsache, daß sich die meisten Menschen schämen seekrank zu werden, und es so lange verheimlichen wie nur irgend möglich; wie denn auch Niemand weniger an Bord eines Schiffes auf Mitleid zu rechnen hat, als eben ein von diesem Feind Befallener. Was auch sein Leiden sein mag, wie ihn die Krankheit mitnimmt und nach und nach entkräftet und herunterbringt, ja während er daliegt und den Tod herbeiwünscht, um nur endlich von seinem entsetzlichen Jammer befreit zu werden, die Gesunden stehn dabei und lachen und spotten über den armen Teufel, und das einzige Gute nur dabei ist, daß er sie nicht hört, oder wenn er es hört, sich Nichts daraus macht. Gegen Alles abgestumpft auf der Welt, wo es ihm selbst gleichgültig wäre, wenn man ihn bei den Beinen faßte und über Bord zöge, was macht er sich da aus dem Hohn irgend eines Anderen.
Seekrank, für den den es betrifft, ein entsetzliches Wort,
und doch eine Krankheit, an der noch kein hundertstel Procent
der Leidenden gestorben. Was für Mittel sind nicht schon da
Das Schiff bewegte sich nun allerdings noch sehr wenig, doch aber genug, den meisten der daran gar nicht gewöhnten Passagiere, wenn sie auch nicht Alle krank wurden, Unbehaglichkeit zu verursachen, und trotz des herrlichen Abends wurde das Deck gar bald von ihnen geräumt. So fatal ihnen die Luft unten im Zwischendeck war, fanden sie doch im Niederlegen einige Erleichterung, und suchten früh das Lager. Was kümmerte sie jetzt der Lootse, den sie hatten wollen von Bord gehen sehen, was der Mondschein auf dem zitternden wogenden Wasserspiegel; es zitterte und wogte eben und das mochten sie nicht sehn, und schon der Gedanke daran war ihnen fatal.
Noch vor zehn Uhr erreichten sie indeß die letzte Wesertonne,
die Grenze der Nordsee, auf ein Zeichen von Bord aus,
durch aufgehangene Lichter gegeben, kam der dort kreuzende
Lootsencutter heran, seinen Lootsen von Bord zu nehmen, und
Arme Passagiere — und in der Cajüte sah es nicht besser
aus als im Zwischendeck. Wenn Schiffe bei vollkommen
ruhigem Wasser in See gehn, und der Wind erst allmählig
wächst, daß sie die Bewegung so nach und nach gewohnt werden,
und die Körper es lernen derselben nachzugeben, so bleiben
oft viele Reisende von der Krankheit ganz verschont. Der
Magen gewöhnt sich an das Schaukeln, und selbst ein kleiner
Sturm bringt sie später nicht mehr aus dem Gleichgewicht;
wo aber der Wind, so wie hier, gleich am ersten Tage, wenn
auch gar nicht gerade scharf einsetzt, wenn nur die kleinen
kurzen Wellen erst einmal einen Kamm bekommen, dann bleiben
wenige verschont, und der Koch darf ein paar Tage lang
die Schweine mit den Erbsen und Bohnen füttern, die er für
die Passagiere in den Kessel gethan; die Leute denken gar nicht
daran sich ihr Essen zu holen, und schon das Wort
In der Cajüte war wirklich nur der junge Henkel, der schon mehre Seereisen gemacht, verschont geblieben, jedenfalls der Einzige, der mit dem Capitain und den Steuerleuten am Frühstückstisch erschien und tapfer zulangte; die Anderen ließen sich unwohl melden, und nur der Herr von Hopfgarten, ein kurzer, kleiner Mann, aber sonst voll Feuer und Leben, behauptete einzig und allein keinen Appetit zu haben, sonst aber sich vollkommen wohl zu befinden.
Einzelne Charaktere entwickelten sich auch in dieser Krankheit im Zwischendeck auf wunderbare Weise. Herr Mehlmeier z. B. lag ausgestreckt auf dem Gepäck mit von sich geschobenen Armen und Beinen, als ob er so wenig wie möglich von seinem Körper um sich herum haben möchte. Er ließ sich dabei schütteln und stoßen und rufen und schimpfen, wenn er irgend Jemandem im Wege lag, und verhielt sich so vollkommen regungslos, daß er einmal schon zu dem Gerücht Veranlagung gab, der Schlag hätte ihn gerührt. Aber auch das war wieder den Anderen gleichgültig, und nur Herr Theobald, der bis jetzt noch verschont geblieben war, notirte sich den Fall, und ging dann hin sich selber zu überzeugen.
Steinert war nach ihm das beklagenswertheste Subjekt die Familien Rochheimer und Löwenhaupt lagen in einem Zustand, der sich kaum denken, auf keinen Fall aber beschreiben läßt.
Theobald hielt sich, wie gesagt, noch ziemlich tapfer, und
lachte die Kranken aus nach Herzenslust; das viele Umhergehn
im Zwischendeck aber vielleicht, mit der doch stärker wer
Der erste der über ihn weg
»O sehn Sie 'mal an, bester Herr Theobald« sagte dieser, als er sich wieder aufgelesen und, mit todtenbleichem Gesicht, seinen Arm auf eines der Wasserfässer stützte, das Gleichgewicht zu halten — »Sehn Sie 'mal an; jetzt werde ich Ihnen wohl können en Tellerche mit Fleisch unter die Nasen halten und fragen, ob Sie Appetit hätten, heh? — Das kommt davon, wenn man andere Leute cugginirt.«
»Ich habe furchtbare Zahnschmerzen« sagte aber Theo
»Zahnschmerzen? — so?« sagte der kleine Mann mit
einem total verunglückenden Versuch über ihn zu lachen — »vielleicht
hülfe
»Halten Sie's Maul!« rief aber Theobald, dem der Ekel über die angebotene Mahlzeit den Mund breitzog.
»Jawohl —« sagte aber der unverwüstliche Löwenhaupt, der nach vollständiger Ausleerung einige Erleichterung verspürte, »der Zahn wird wohl gleich mit der Wurzel herauskommen, ganz von selber, kann ich mir etwa denken — nur a kleines Stückle fettes Fleisch.«
Er konnte nicht weiter reden, denn Theobald sprang in die Höhe und war kaum im Stande den Schiffsrand zu erreichen und über Bord zu sehn; bei dem Anblick wurde es aber Löwenhaupt auch wieder weh und weich um's Herz, und er leistete dem Dichter treue Gesellschaft.
Die einzigen, die im Zwischendeck vollständig, wenigstens
für jetzt von der Seekrankheit verschont blieben, waren Maulbeere,
seines Gewerkes ein Scheerenschleifer wie sich endlich
herausgestellt, Georg Donner, des Pastors Sohn aus Waldenhayn,
der mit einem der Oldenburger Bauern und einem langen
Schneider eine Coye bekommen hatte, der Mann mit den
kurzgeschnittenen Haaren, und vier oder fünf von den Frauen,
unter ihnen Hedwig. Die anderen mußten alle mehr oder weniger
davon leiden, und selbst von den Gesunden bewahrte der
Scheerenschleifer fast allein seinen unverwüstlichen Appetit, und
Daß unter solchen Umständen selbst Frau von Kaulitz nicht an ihre Parthie dachte, versteht sich von selbst, und die nächsten Tage bekam sie nur der Cajütenjunge, ein Mulatte von zwölf oder dreizehn Jahren zu sehen, der immer kopfschüttelnd die verschiedenartigsten Waschbecken aus und ein schleppte, und jedesmal, wenn er die Cajüte verließ, dem Steward mit den merkwürdigen Grimassen eine Menge Geschichten erzählte, über die sich dieser dann todt lachen wollte. Der Steward hatte dabei eine so sonderbare Art zu lachen, daß er immer die Augen schloß, und es einmal auch richtig möglich machte, mit einem ganzen Korb voll Theegeschirr die halbe Treppe in die Cajüte hinunter zu fallen. Der Rheder mußte das Geschirr später wieder ersetzen, und der Mulatte bekam indessen dafür die Prügel.
Mit einem prachtvollen Nordoster brauste das wackere
Schiff seine Bahn entlang, durchschnitt die grünen Fluthen
unseres vaterländischen Meeres, der Nordsee, und lief dann,
mit Leesegeln an beiden Borden zwischen Dover und Calais
hindurch in den Canal ein. Wohl glühten an dem Abend die
Das Licht was dort herüberblinkte vom fernen fremden Ufer, glich es nicht dem Schein der Abendlampe, die in des Vaters Zimmer brannte? — Oh wie oft hatte er, Abends heimkehrend, den freundlichen Strahl sich entgegen leuchten sehen und dort, das Haupt in die Hand gestützt, saß der Vater und arbeitete an seiner Predigt, und die Mutter da drüben, auf dem Sopha dicht neben dem Ofen, mit der kleinen grünen Lampe dicht herangerückt, las in der Bibel und folgte den so wohl bekannten Zeilen mit dem Finger die ganze Seite nieder — Aber nein, sie las nicht — die Brille legte sie ins Buch, wischte sich die Augen mit der Hand und schaute still und seufzend über das Buch hinaus. Ihre Gedanken waren nicht dabei — sie flogen weit, weit hinaus über das Meer dem fernen Schiffe nach, das ihr den Sohn entführte, das Kind — das liebe, liebe Kind.
Matter und immer matter glühte das ferne Licht herüber — Georg sah es schon lange nicht mehr und die Augen mit der Hand bedeckt, im Dunkel der Nacht, nur mit den Sternen über sich, weinte er still, und ihm war, als ober die Thränen niederfallen hörte auf das vergriffene Buch, in dem die Brille lag.
Fünf Tage waren so vergangen; durch die schwere westliche
Dünung die fast stets vor dem Canal steht, hatte das
wackere Schiff, von kundiger Hand geführt, seine Bahn gefunden,
und der atlantische Ocean schaukelte es auf seiner tiefblauen,
weit wogenden Fluth. Auch die Passagiere thauten
auf; ihre Körper gewöhnten sich an die schaukelnde, und bei
dem guten Wetter doch mehr gleichmäßige Bewegung des
Schiffs, und als am sechsten Tag der Wind schwächer und
schwächer wurde, und die Wogen sich legten und beruhigten
kamen sie vor aus ihren Coyen, bleich und hohläugig zwar
wie Leichen aus ihren Gräbern, aber doch meist geheilt von
der furchtbaren Qual. Sie lernten auch wieder essen und
trinken, der Magen
Fräulein Amalie von Seebald lehnte an der Railing des
»Wie wundervoll ist doch die See«, sagte die Dame, ein Gespräch mit dem Seemann anknüpfend, dem ja das Meer Beruf geworden, und der es sich nicht gewählt haben würde, wenn nicht sein Herz an den blauen Wogen hing — »wie herrlich schatten sich jene dunklen Tinten gegen die leisen lichten Kräuselwellen ab, die von ihnen, wie zarte Kinder getragen, in dem Kuß des Zephyrs zu vergehen scheinen.«
Der Untersteuermann sah die Dame mit einem halbscheuen Seitenblick an; er hatte keinesfalls verstanden was sie sagte, auch keine Idee dabei daß sie ihn angeredet, und glaubte wahrscheinlich sie spreche mit sich selber, Fräulein Amalie aber fuhr langsam und schwärmerisch fort:
»Wie weich und duftig liegt des Aethers Halle auf dieser Fluth, und wölbt sich zum Dom über der unerforschten Tiefe — oh ist es nicht schön — nicht gottvoll auf der See, Steuermann?«
Elkig, wie der Untersteuermann hieß — also bei seinem
Titel und direkt angesprochen, mußte wenigstens eine Antwort
geben, drehte also den Kopf halb nach der Dame um, daß er
einen Blick auf das Wasser bekam, spuckte seinen Tabackssaft
»Ach ja, s'ist recht hibsch.«
»Welchen kalten Ausdruck gebrauchen sie dafür,« verwies
ihn aber die Dame — »wie läßt sich das Erhabene dieses Anblicks
in solche Sylbe fassen,
»Werden wohl taub davon geworden sein« meinte Elkig in unzerstörbarer Ruhe, indem er sich zugleich einen neuen Drath einfädelte.
Fräulein Amalie hatte glücklicher Weise diese Bemerkung überhört, ihr Geist schweifte über der Tiefe, und ihre Gedanken nahmen einen anderen Flug.
»Wie die Möve dort mit dem Kreisschlag ihrer Flügel die flüchtige Woge streift, und dann fortzieht, weit und allein über die endlose Fläche — ihre Heimath — welche Aehnlichkeit hat doch das Bild mit dem Seemann selbst, der auch über die blauen Wogen seine Furchen zieht — seine Heimath das Meer.«
Der Untersteuermann nähte ruhig weiter; die Geschichte war ihm griechisch und er verstand keine Sylbe davon; übrigens war das keine direkte Frage gewesen, und er brauchte also auch nicht darauf zu antworten.
»Und wenn er nun die zurückläßt die ihm lieb sind« fuhr
Dieser, der indeß mit dem Mann am Steuer, einem alten sonngebräunten Matrosen, ein paar nichts weniger als andächtige Blicke gewechselt hatte; sah sich wieder halb nach der Fragenden um, sich erst zu überzeugen daß er auch wirklich gemeint sei.
»Wer — ich?« frug er nach kleiner Pause.
»Ja — ich meine Sie.«
»Ne!« lautete die, von einem entsprechenden Kopfschütteln begleitete, sonst jedenfalls bündige Antwort, und wieder spuckte der Mann seinen Tabackssaft über Bord.
»Aber Sie haben doch gewiß eine Braut — eine Geliebte zurückgelassen von der Sie der Abschied geschmerzt und traurig gemacht?«
Der Untersteuermann horchte hoch auf, und der Mann am Steuer, dem die Dame den Rücken zudrehte, sah seinen Vorgesetzten mit solch trocken komischem Blicke an, daß dieser sich nicht mehr helfen konnte und gerade hinauslachte.
»Recht hätten Sie« sagte er aber dann, etwas verlegen — »einen Schatz soll ich woll haben.«
»Nicht wahr ich hab es errathen?« rief die Dame rasch, das Lachen gern in der Freude übersehend einem romantischen Verhältniß auf die Spur zu kommen — »und den mußten Sie verlassen?«
»Ja lieber Gott« sagte der Untersteuermann, dem nicht wohl bei dem Gespräche wurde, denn er konnte noch immer nicht herausbekommen ob die Dame wirklich ernsthaft sei, oder ihn nur zum Besten haben wolle — »das ist mit uns Seeleuten nun einmal nicht anders — wer kann's helfen.«
»Und sehnen Sie sich denn recht nach ihr zurück?«
Der Mann am Steuerrad sah mit einem unbeschreiblichen Blick gerade über sich in die Wolken, und kratzte sich mit der rechten freien Hand hinter dem Ohre.
»Ach ja« sagte der Untersteuermann mit einem unbeschreiblichen Blick, und einem noch viel unbeschreiblicheren Ausdruck in der Stimme.
»Und Sie Armer müssen jetzt nach New-Orleans?«
»Ach, da krieg ich woll wieder eine Andere« sagte in aller Unschuld der Seemann, ohne von seiner Arbeit aufzusehn; aber es war gut für ihn daß in diesem Augenblick der Capitain an Deck erschien und ihn nach vorn sandte, eine der Vorstengenpardunen nachzusehn, die durch das Segel »schamfiehlt« worden. Fräulein von Seebald blieb indeß wirklich stumm vor entrüstetem Erstaunen über die herzlose Bemerkung eine ganze Weile stehn, und zog sich dann mit ihrer schmerzlichen Enttäuschung in ihre innerste Cajüte zurück.
Das Leben an Bord des Schiffes hatte indeß seinen ge
Den Passagieren selber that aber diese jetzt eintretende
Ruhe wohl; bis jetzt waren sie sich ihrer kaum bewußt geworden,
und von dem Abschied aus der Heimath theils, theils
von der Sorge um ihr Gepäck, und zuletzt der Seekrankheit so
in Anspruch und mitgenommen worden, daß diese ganze Zeit
fast wie ein böser, schwerer Traum hinter ihnen lag, über den
sie wohl noch den Kopf schüttelten, der aber doch glücklich
überstanden war. Nichts an Bord erinnerte sie auch mehr an
das Vergangene, und was für Vergleiche sie auch wohl später
im Stande sein mochten anzustellen über das was sie
Das Wichtigste und wirklich Schwierigste für die Mehrzahl
der Passagiere war dabei, eine richtige Zeiteinteilung zu
finden.
Die ersten Tage ging das aber immer noch; sie standen an Deck umher, und sahen über Bord in die See, oder den verschiedenen Arbeiten der Matrosen zu, bis die Essenszeit — der jetzt willkommene Ruf zu »Schaffen« kam, und dann schliefen sie ein wenig, oder spielten auch wohl eine gewaltsam arrangirte Parthie Solo oder Scat — bis es dunkel wurde; wie aber Tag nach Tag dasselbe und immer wieder dasselbe brachte, die See ihnen etwas Gewöhnliches, Langweiliges wurde, und das Bedürfniß nach einer Thätigkeit, das nur wenig Menschen gänzlich fehlt, wieder in ihnen erwachte, wandten sie sich, freilich nur allmählig und immer noch mit keiner Lust, verschiedenen Beschäftigungen zu, die sie aufgriffen und wieder wegwarfen, etwas Anderes zu versuchen.
Die Frauen vor allen Anderen, fanden sich am ersten
hinein; ein Theil von ihnen verstand sich bald dazu dem Koch
zu helfen, Kartoffeln zu schälen und sonst kleine Dienstleistungen
für ihn zu thun — (selbst die Männer halfen bei der ersteren
Arbeit, da ihnen angekündigt wurde daß sie ihre Kartoffeln
selber schälen müßten, wenn sie eben geschälte Kartoffeln
zum Mittagsessen haben wollten, und wechselten dabei
unter einander ab) dann hatten sie ihr Geschirr zu reinigen
und nach den Kindern zu sehn, und endlich selber in
Schwerer wurde es den unverheirateten oder einzelnen Männern sich in das Waschen zu finden, und sie schoben das so weit hinaus als möglich. So Steinert und Mehlmeier z. B., die an kleinem und großem Geld in dem Hafenplatz ausgegeben hatten, was sie nur irgend verfügbar bei sich trugen, und sich jetzt doch nicht dazu entschließen konnten die Aermel selber aufzustreifen. Nichtsdestoweniger kleideten sie sich immer mit großer Sorgfalt und reiner Wäsche, ihren ganzen mitgenommenen Vorrath erschöpfend, und setzten sich nicht selten dem Gespötte der Seeleute und übrigen Passagieren aus, wenn sie mit ihren »Geh zur Kirche« Kleidern, gewichsten Stiefeln und den Cylinderhut auf, an Deck erschienen.
»Nun Herr Steinert, wollen Sie an Land?« tönte dann
die unermüdliche Frage von jeder Lippe, und Herr Mehlmeier
wurde gewöhnlich beauftragt irgend verschiedene Kleinigkeiten
zu besorgen, und um Gotteswillen die Zeitung nicht zu ver
Die Weberfamilie aus Zurschtel ging den Anderen übrigens
vorzüglich mit gutem Beispiel voran; der Mann, wie
nur die ersten Tage an Bord mit Krankheit und deren Nachwehen
überstanden waren, arbeitete von früh bis spät, half
dem Koch in der Küche und den Matrosen wo er nur konnte
an Tauen und Segeln, und war freundlich und gefällig gegen
Jedermann, während die Frau die erste war, die ihren Waschtrog
herrichtete und sich den
Die Unterhaltung mit der Webersfrau zog aber noch, schon am zweiten Tage, einen Dritten in das Gespräch; der Dichter Theobald, der unfern davon auf einem Wasserfaß, mit dem Rücken an die Hühnerkasten gelehnt saß, und sein offenes Taschenbuch vor sich an einem Bleistift kaute, wurde aufmerksam gemacht durch einige bilderreiche Bemerkungen der jungen Dame, schloß sein Buch und näherte sich ihr schüchtern. Sie hatten bis jetzt noch kein Wort, höchstens einen stummen Gruß, wenn man sich Morgens zuerst sah, gewechselt, denn den Zwischendeckspassagieren war das Betreten der Cajüte oder selbst des Hinter- oder Quarterdecks nicht gestattet; ja sogar von den Cajütspassagieren sehen es die meisten Capitaine nicht gern, wenn sich diese mit dem »anderen Theil« in ein Gespräch einladen oder gar öfter zusammenkommen wollten. Capitain Siebelt war übrigens nicht so streng, und wenn ihm nur die Zwischendeckspassagiere vom Quarterdeck wegblieben, wohin sie ihm aber unter keiner Bedingung kommen durften, ließ er seinen Cajütspassagieren ziemlich freien Willen.
»Sie sehnen sich nach dem Land, mein gnädiges Fräulein,
wie ich höre« mischte sich also Theobald in das Gespräch — »bietet
»Sie haben recht« sagte Fräulein von Seebald mit leichtem Erröthen — »wir Menschen sind ungenügsam, und verdienen eigentlich gar nicht all das Schöne und Große, was uns von unserem Schöpfer in so reichem Maße geboten wird, aber dennoch, trotz dem großartigen, bewältigenden Eindruck den das Meer auf mich gemacht, und der mich in den ersten Tagen so erschütterte daß ich ihm gar nicht zu begegnen wagte und mich in meinem stillen Kämmerlein erst langsam auf das Ertragen dieser Größe vorbereiten mußte, fühle ich manchmal eine Leere, die ich nicht auszufüllen im Stande bin.«
Theobald dachte unwillkürlich an seine Zahnschmerzen, sagte aber seufzend:
»Wohl kann ich mir Ihre Gefühle versinnlichen, gnädiges
Fräulein. Der zartdenkende Mensch empfindet anders als
der rohe; er genießt aber auch dafür mehr und würdiger, und
das Bewußtsein desselben ist ihm zugleich der Lohn; nur sich
da nicht mittheilen zu können, das Bewußtsein mit sich herumzutragen
das Alles allein genießen zu müssen ist dem Guten
oft drückend, und nur wieder und wieder zurückgestoßen
von der Masse die ihn nicht versteht — nicht verstehen
»Sie sind Dichter« rief Fräulein von Seebald rasch und mit einem überzeugten Blick zu ihm aufschauend.
»Gnädiges Fräulein« sagte der Dichter bescheiden.
»Sie sind Dichter« wiederholte diese aber bestimmt, und
»Ich
»Ich habe es mir gedacht« flüsterte Amalie leise vor sich
hin — »ja, dann genügt Ihnen das Meer« setzte sie dann
aber lauter hinzu, »dann begreife ich, wie Sie in dem Gefühle,
auf dünner Planke über der »purpurrothen Finsterniß« hingetragen
zu werden, sich
»Ihre Bescheidenheit täuscht Sie vielleicht nur darin« sagte Theobald, selber dabei, er wußte nicht weshalb, erröthend.
»Ach nein« seufzte die Dame, langsam und traurig den
Kopf schüttelnd — »aber das schadet auch Nichts« fuhr sie
lebendiger, sich selber tröstend fort — »wir können nicht Alle
Nachtigallen sein, und auch die bescheidene Lerche, die ihr ein
»Gewiß thut sie das, gewiß« mischte sich in diesem Augenblick, ehe Theobald noch etwas darauf erwiedern konnte, eine dritte Stimme, allerdings unaufgefordert, in das Gespräch, und die Augen forschend auf Fräulein von Seebald geheftet, während er jedoch mit einer artigen und verbindlichen, fast ängstlichen Verbeugung sie begrüßte, fuhr er, langsam mit dem Kopf dabei ihr zunickend fort — »und dem lieben Gott die liebste Sängerin ist die Lerche, denn ihr schmetterndes Lied steigt mit dem ersten Blumenduft zu ihm empor, des Frühlings schönstes Opfer.«
»Sie sind
»Ich? — nein, bitte um Verzeihung — ich heiße Schultze und bin Cigarrenfabrikant« sagte der kleine Mann verlegen, während Theobald eben im Begriff war ihn als seinen Coyennachbar, Herrn Schultze aus Hannover vorzustellen.
»Cigarrenfabrikant?« wiederholte Fräulein von Seebald mit einem getäuschten, beinah halbvorwurfsvollen Ton — »Ihrer Aeußerung nach glaubte ich daß —«
»Herr Schultze hat ungemein viel Phantasie« nahm hier
Theobald in Verteidigung des kleinen Mannes, von dem er
ein gewisses unbestimmtes Gefühl hatte, daß er ihn seines
Geschäfts wegen entschuldigen müsse, das Wort; »wir haben
uns schon mehrfach über ein System, das er sich gebildet,
»Herr Theobald« sagte der kleine Cigarrenfabrikant, »ist Einer von den wenigen Menschen, die für das Wahre empfänglich sind, und der Ueberzeugung ihr Ohr nicht gewaltsam verschließen.«
»Sie sprechen in Räthseln« sagte Fräulein von Seebald, »dürfte ich Sie um deren Auflösung bitten?«
»Nichts ist leichter als das,« erwiederte Theobald — »Herr
Schultze geht von der Idee aus daß wir
»Als Vögel?« rief Fräulein von Seebald erstaunt — »welcher sonderbare Gedanke.«
»Sonderbarer Gedanke?« wiederholte aber der kleine Mann, rasch den Kopf gegen den halben Zweifel emporwerfend — »Nichts auf der Welt ist leichter zu beweisen als das, und Sie werden staunen, mein gnädiges Fräulein, wenn ich Ihnen, in einfacher Weise den Schlüssel zu den jetzt Ihnen vielleicht räthselhaft scheinenden Worten gebe. Es ist das Ei des Columbus — unmöglich unserem noch umnachteten Blick, und ein Kinderspiel in der Lösung.«
»Aber ein Vogel —«
»Ist Ihnen die Aehnlichkeit fremd, die das Menschengesicht
mit dem Vogelkopf hat?« unterbrach sie aber der kleine
»Allerdings« sagte Fräulein von Seebald, sich mit dem dritten und vierten Finger der rechten Hand leise die Stirn streichend, wie um ihrem Gedächtniß zu Hülfe zu kommen; »eine Freundin von mir hat, wenn man mit der flachen Hand den oberen Theil ihres Gesichts von dem unteren trennt, eine frappante Aehnlichkeit mit dem Staar, und ein Vetter von mir, ein junger Offizier, mit einem Adler.«
Des Kleinen Augen leuchteten im Triumph.
»Sehn Sie daß ich recht habe?« rief er, rasch und heftig dabei mit dem Kopf nickend — »sehn Sie daß wir Menschen, selbst ohne es zu verstehen, uns dessen bewußt geblieben sind was wir einst gewesen, und dessen Grundzüge selbst eine vollkommene Umwandlung unserer ganzen Gestalt, unseres ganzen Seins, nicht im Stande war vollständig zu vertilgen?«
»Aber kann das nicht zufällig entstanden sein?« sagte Fräulein von Seebald, von dem ernsten Wesen des kleinen Mannes zwar eigenthümlich ergriffen, sich aber dennoch gegen solche Theorie auch unwillkürlich sträubend — »ja finden wir nicht auch Aehnlichkeiten manchmal zwischen vierfüßigen Thieren und Menschen? — frappante Aehnlichkeiten, die ja dann auch eben zu solcher Schlußfolgerung nach dorthin uns berechtigen müßten?«
»Sie berühren da allerdings ein Thema« sagte der kleine
»Nicht durch seinen Körper?« rief aber hier auch Theobald erstaunt aus — »Ihr System reißt Sie hin, mein guter Herr Schultze, denn welches Wesen der Schöpfung könnten Sie ihm selbst in körperlicher Hinsicht wohl vergleichen?«
»Viele — sehr viele, mein guter Doktor« sagte aber der
kleine Mann, keineswegs durch den Einwurf beirrt; »das
Pferd ist stärker und schneller, das Wild hat schärfere Geruchssinne,
schärfere Seh-, schärfere Gehörwerkzeuge — der Mensch
ist auf den festen Grund und Boden, und zwar auf dessen
Oberfläche angewiesen, einzelne Thiere dagegen bewegen sich
auf dem Lande sowohl mit Leichtigkeit, wie in der Luft als
auf dem Wasser. Das Vorzüglichste von allen ist z. B. die
Ente, die nicht allein vortrefflich taucht und schwimmt, sondern
auch ausgezeichnet fliegt, und ziemlich rasch auf festem
Boden vorwärts schreitet. Auch ein hülfloseres Geschöpf giebt
es nicht auf dem weiten Erdball als ein Kind, während die
Thiere, mit nur wenigen Ausnahmen, sehr kurze Zeit nach
ihrer Geburt fast, schon den Gebrauch ihrer sämmtlichen Glieder
erlangt haben. Gleichwohl nennen wir uns die Herren
der Schöpfung, und kriechen noch mit dem Fallhut herum,
während der Habicht schon in gleichem Alter auf seine Beute
»Das hat Alles viel für sich« sagte Theobald achselzuckend — »aber damit werfen Sie ja schon einmal vor allen Dingen die ganze biblische Geschichte über den Haufen.«
»Das thut mir sehr leid um die biblische Geschichte« sagte Herr Schultze, »aber ich kann ihr nicht helfen, denn gerade das Einzige, womit wir wirklich der Thierwelt überlegen sind, und was also den ersten Fortschritt auch bildet zwischen ihr und uns, ist unser Geist, und der selber, mit seiner Schwester, der Erinnerung, mahnt uns an die vergangene Zeit und läßt uns nicht irren.«
»Ich verstehe Sie nicht« sagte Fräulein von Seebald.
»Ich werde mich deutlicher ausdrücken« erwiederte der
kleine Cigarrenfabrikant. Ist es Ihnen, mein verehrtes
Fräulein, noch nie vorgekommen, daß Sie in der Nacht geträumt
haben Sie flögen, oder
»Oh wie oft!« rief Fräulein von Seebald rasch — »unzählige Male schon, und wie lebhaft dabei.«
»Und nachher ist es einem immer als wenn man von irgend einem alten Kirchthurme herunterfällt, der Einem unter den Füßen fortgeht,« sagte Theobald; »ich muß gestehn daß ich in der That die Angst habe Jemand, der eine recht lebhafte Einbildung hat, könnte sich nur allein dadurch wirklich einmal den Hals brechen.«
Herr Schultze rieb sich in aller Freude über die Anerkennung
seines Hauptschlusses die Hände, Fräulein von Seebald
»Aber ich begreife nur nicht wie Sie dadurch Ihre Behauptung beweisen oder auch nur daraus herleiten wollen; ein Traum ist ein Traum.«
»So?« sagte aber Herr Schultze, plötzlich wieder ernster
werdend und fast ein wenig piquirt — »warum träumen wir
denn da nie daß wir wie die Fische im Wasser schwimmen
und untertauchen, oder wie das Wild draußen im Wald herumlaufen?
warum
Fräulein von Seebald und Theobald lachten gerade heraus, der Gedanke war ihnen zu komisch, aber der kleine Mann fuhr, mit dem Kopfe nickend, ganz ernsthaft und ohne sich irre machen zu lassen, fort.
»Ja lachen Sie nur, lachen Sie nur; wir lachen über
Manches das uns später als nackte Wahrheit ganz entschieden
in's Leben tritt. Wir
»Haben Sie einen Blick dafür« frug Fräulein von Seebald jetzt den kleinen Mann, von einem neuen Gedanken ergriffen, »die Aehnlichkeit zwischen Menschen und Vögeln oder anderen Thieren herauszufinden?«
»Wenn ein Jahre langes, unausgesetztes fleißiges Studium dazu berechtigt, ja!« sagte Herr Schultze mit inniger Ueberzeugung.
»Gut — welchem Thier — oder wenn Sie so wollen, welchem Vogel gleich ich dann?« frug die Dame, und hielt dabei die flache Hand vor ihren Mund, daß nur der obere Theil ihres Gesichts, und zwar im Profil, sichtbar blieb.
»Eben so entschieden« erwiederte der kleine Cigarrenfabrikant
nach kurzem forschenden Blick, »wie Herr Theobald
hier einem Habicht gleicht, gleichen Sie der
»Der Lerche?« rief die Dame rasch und erstaunt.
»Allerdings der Lerche, und ich selber müßte mich sehr irren, wenn Sie sich nicht auch zu dem Vogel besonders hingezogen fühlen.«
»Das ist allerdings und merkwürdiger Weise der Fall« bestätigte Fräulein von Seebald — »aber — aber Sie haben das gehört, was ich vorhin über die Lerche sagte, und ziehen daraus Ihre Schlußfolgerung.«
»Umgekehrt kommen Sie der Wahrheit näher« erwiederte
Herr Schultze freundlich — »wie ich schon sämmtliche Phy
»Es wäre doch wunderbar, wirklich wunderbar« meinte Fräulein von Seebald nachdenkend, »aber lieber Gott, die Natur ist ja so reich an noch unerforschten Geheimnissen, daß uns selbst das Unglaublichste wenigstens nie unmöglich scheinen darf — doch« — unterbrach sie sich hier und hielt ihr Taschentuch vor die Nase, »wo um Gottes Willen kommt der entsetzliche, widerliche Tabacksqualm her; er benimmt mir fast den Athem. —«
Das bisher geführte Gespräch hatte dicht vor dem großen
Mast, gewissermaßen auf neutralem Grund und Boden
zwischen Cajüte und Zwischendeck statt gefunden, wo des Webers
Frau an der Leeseite des Schiffes obgleich schon oft wiederholt, will ich doch noch einmal zur
Verständnis des mit nautischen Ausdrücken nicht bekannten Lesers hier
bemerken, daß die Leeseite eines Schiffes immer die dem Wind entgegengesetzte
ist. Starbord oder Stürbord ist, wenn man am Steuerruder
steht und nach vorn sieht, die rechte Lar- oder Backbord, die linke
Seite des Schiffes. Kommt also der Wind mehr von der Starbordseite,
so ist Backbord zugleich in Lee oder die Leeseite. Wenn der Wind
genau von hinten kommt, hat daher das Schiff keine Leeseite. Die Luvseite,
oder die zu windwärts, ist der Leeseite entgegengesetzt.
»Dem Geruch nach ist das Maulbeere« sagte Herr Schultze
auch, ohne nur den Kopf nach ihm zu wenden,
Fräulein von Seebald warf einen flüchtigen Blick dort hinüber, wo der allerdings richtig bezeichnete Mann in unzerstörbarer Ruhe saß, und ohne die Erwähnung seiner auch nur durch eine Bewegung des Kopfes zu beachten. —
»Himmel, welche merkwürdige Gestalt und Physionomie«
setzte sie dann leise, gegen Herrn Schultze gewendet, hinzu,
»das ist das merkwürdigste Gesicht, das mir in meinem Leben
»Mit welchem Vogel?« erwiederte aber Herr Schultze rasch, und ebenfalls mit etwas unterdrückter Stimme, von ihrem Nachbar nicht gehört oder verstanden zu werden, »mit dem Amerikanischen Kasuar auf das frappanteste, ja sogar mit einer eigenen wunderlichen Mischung des jetzt ausgestorbenen Geschlechts der Dodos — betrachten Sie nur das Unterkinn.«
»Bah —
»Die Cholera an Bord?« rief Fräulein von Seebald vor Schrecken erbleichend, »das wäre ja furchtbar — aber seit wann?«
»Glauben Sie nur kein Wort von dem, was Ihnen dies unglückselige Menschenbild sagt« fiel hier Theobald ein, »Herr Maulbeere spricht wenig, aber wenn er ja einmal den Mund aufthut, ist es gewiß eine Lüge.«
»Sie sollten g'rade dankbar sein« rief aber Zachäus, »daß
ich Ihre Aehnlichkeit nur so obenhin berührt habe; bei Ihnen
hat man's aber bequem, Sie besorgen das selbst.
Fräulein von Seebald, die vielleicht nicht mit Unrecht einen Zank zwischen den Männern fürchtete, und selber nicht gewillt war, sich hier beleidigen zu lassen, zog sich, mit einer leichten Verbeugung gegen Herrn Schultze und Theobald, die diese ehrfurchtsvoll erwiederten, rasch in die Cajüte zurück. Die beiden Passagiere dachten aber gar nicht daran sich mit dem groben Menschen in einen Wortkampf einzuladen, sondern gingen, ohne ihn weiter eines Worts oder Blicks zu würdigen, von ihm fort nach vorn zu. Ebenso war des Webers Frau zuletzt genöthigt ihren Stand zu verändern, weil sie es in dem jetzt voll nach ihr herüber ziehenden stinkendem Qualm des Scheerenschleifers nicht aushalten konnte, während dieser, innerlich lachend über den vollständig errungenen Sieg, auf behauptetem Schlachtfeld sitzen blieb, und wie ein Diminutivdampfer den Qualm seiner Pfeife in regelmäßigen, und kurz abgebrochenen Stößen von sich bließ.
Nicht weit von dort saßen die drei, erst von dem Leuchtschiff
bei Nacht und Nebel an Bord gekommenen Passagiere,
Es waren drei, eben nicht einnehmende Gestalten, mit
finsteren verschlossenen Gesichtern, der Jüngste sogar mit frechen
breiten Zügen, über die sich nur manchmal ein leichtes
hämisches Lächeln stahl, wenn er seinem Kameraden irgend
eine Bemerkung über die, vor ihnen auf und abgehenden theils
beschäftigten theils unbeschäftigten Passagiere mittheilte. Ihre
Röcke schienen dabei aus
Die drei Burschen fühlten dadurch wohl, daß man sie als das erkannt was sie waren — Verbrecher, die man hatte zu Hause los sein wollen und jetzt nach Amerika schickte — schienen aber nicht böse darüber und hielten sich, wie schon gesagt, still und abgesondert für sich selbst.
»Das ist künstliche Arbeit und lernt sich nicht alle Tage« redete sie da von einem der Passagiere eine Stimme an, und der Mann mit den kurz abgeschnittenen schwarzen Haaren, dessen Gesicht jetzt noch überdieß die schwarzen Stoppeln eines etwa vierzehntägigen unrasirten Bartes trug, nahm auf einem der Wasserfässer dicht vor ihnen Platz und sah, die Ellbogen auf seine Knie gestemmt, ihrer Beschäftigung ruhig zu — »wie lang habt Ihr gebraucht bis Ihr's so weit brachtet?«
Der junge Bursch sah etwas überrascht zu ihm auf, und mit einem flüchtigen Blick über die Gestalt hin brummte er: —
»Wer weiß ob Ihr's nicht besser könnt wie wir — Zeit genug es zu lernen werdet Ihr gewiß schon gehabt haben.«
»Doch nicht« schmunzelte der Mann, der die Anspielung vollkommen gut verstand — »doch nicht mein Junge — ich habe nie Geld genug gehabt, die Universität zu bezahlen.«
»Manche Menschen haben Glück« sagte der Andere, auch nur mit einem Seitenblick auf den Sprecher — »und Glück geht vor Verdienst.«
»Wo kommt Ihr eigentlich her?« frug der Erste wieder, der auf der Schiffsliste unter dem Namen Meier eingetragen stand — »wenn man eben fragen darf« —
»
»Thuts Euch Noth es zu wissen?« frug der zweite.
»Nein« sagte Meier kopfschüttelnd »war nur Neugierde,
und die Wahrheit erführ ich doch wohl nicht — ich habe aber
einmal Jemanden gekannt, der wie Euer Kamerad da,« auf
den Alten deutend — »aussah und
Der Alte drehte sich bei dem Namen rasch um, und den Zudringlichen finster und aufmerksam betrachtend sagte er:
»Und wie heißt
»Meier« — erwiederte vollkommen ruhig der Mann und nahm seine kleine Thonpfeife aus der Tasche, die er sich stopfte und anzündete.
»So heiß ich auch« brummte der Alte, und drehte sich
wieder in seine alte Stellung um; der Kurzhaarige rauchte
Das Schiff verfolgte indeß mit lustig geblähten Segeln
seine Bahn; der Wind war vortrefflich und die fast vierkant
gebraßten Raaen, die Leesegel zu Starbord und der rasch vorbeifliegende
weiße Schaum kündete auch selbst dem Laien an
Bord, wie sie ihrem Ziele rasch entgegenflogen. Das monotone
Leben wurde aber sonst auch durch Nichts unterbrochen;
höchstens einmal zeigte sich ein Segel am fernen Horizont, und
Capitain Siebelt ermangelte dann nicht, noch einen aufmerksamen
Blick durch das Fernrohr, seinen Cajütspassagieren zu
erklären, daß es entweder ein Amerikaner oder Engländer,
Franzose oder Deutscher sei, wie er nach der Stellung der
Masten und Segel es erkannt hatte. Er betrachtete sich als
eine Autorität in solchen Dingen, und gewöhnlich verschwand
dann auch das Segel wie es gekommen und er mußte, aus
Mangel eines Gegenbeweises, recht behalten; ein paar Mal
geschah es freilich, daß der erklärte Engländer oder Franzose
Deutsche oder Amerikanische Flagge zeigte; dadurch aber keineswegs
irre gemacht hatte Capitain Siebelt immer seine weitere
Schlußfolgerung rechtzeitig bei der Hand; nun kannte er
auf einmal das Schiff ganz genau; es hieß so und so und
war richtig in England oder Frankreich gebaut — das konnte
man ja mit bloßen Augen unterscheiden, aber später eben an
ein Deutsches oder Amerikanisches Haus verkauft, unter dessen
Flagge es jetzt natürlich segeln mußte. Capitain Siebelt
Die glücklichste, munterste von Allen an Bord, war aber Henkels kleine liebenswürdige Frau, Clara, der, wie sie nur erst einmal die böse Seekrankheit überstanden hatte, jeder Tag einen neuen Genuß in der wundervollen Fahrt brachte, und die sich nicht satt sehen konnte an der wogenden, herrlichen See. Mit keiner Sorge dabei, die ihr Herz beengen durfte, das glücklich Weib eines innig geliebten Mannes, war ihr die ganze Reise nur eine fröhliche sonnige Lustfahrt, von der sie mit jeder Minute geizen mußte, und Niemand an Bord verstand es besser, auch der unangenehmsten Lage die heitere Seite abzugewinnen, wie gerade sie.
Die liebste Gesellschafterin dabei war ihr die fröhliche
Marie, deren junges Herz sich auch leicht und rasch über Alles
wegsetzen konnte, was etwa noch trüb und traurig für sie
im Schoos der Zukunft verborgen lag. Anna war schon zu
ernst; die Sorge um der Eltern Wohl, das Bewußtsein, was
diese Alles in der Heimath aufgegeben, und manche Befürchtung
die Kellmann, sie betreffend, zu Hause ausgesprochen,
wollte sie nicht verlassen, und lag oft wie ein trüber Schatten
auf ihrer Stirn, und auch Hedwig, die fast den Tag über
immer bei ihnen war, konnte noch nicht vergeben was sie gelitten,
was verloren, und mußte oft gewaltsam die ihr vielleicht
unbewußt aufsteigende Thräne zurückzwingen, das Auge
Henkel selber war meist ernst, zu ernst nach Clara's Sinn,
und konnte Stundenlang mit verschränkten Armen und in tiefen
Gedanken das Quarterdeck begehn, wenn ihn die junge
Frau nicht manchmal gewaltsam aus seinen Träumen riß,
und ihn so lange quälte und neckte, bis er sich lächelnd ihrem
Willen fügte. Einen besseren Gesellschafter aber hatten sie
in dem kleinen munteren Herr von Hopfgarten, der, wenn er
sich nur irgend von dem fast unvermeidlichen Nachmittags-Whist,
wo Henkel manchmal seine Stelle einnahm, losmachen
konnte, die Seele der ganzen Cajüte wurde, Gesellschaftsspiele
angab und ausführte, an denen dann selbst Lobensteins und
das schwärmerische Fräulein von Seebald Theil nehmen mußten,
oder auch Geschichten und Anekdoten erzählte, über die
sich Clara oft todtlachen wollte. Mit Thränen im Auge vor
Lachen erklärte sie dabei mehrmals, es sei ihr unendlich leid,
den thörichten Schritt schon gethan und sich in Deutschland
mit dem mürrischen Herrn Henkel verheirathet zu haben, wäre
das nicht geschehn, sie nähme keinen anderen als Herrn von
Hopfgarten, denn ein besser zu einander passendes Paar gäbe
es doch nicht auf der weiten Gottes Welt, und Herr von
Hopfgarten betheuerte dann ebenfalls, er sei der Unglücklichste
der Sterblichen, ein wahrer lebendiger Tantalus, dem sein
Glück jetzt, in Gestalt der liebenswürdigsten jungen Frau, vor
Viel zu ihrer Erheiterung trug, wenn auch sehr oft absichtslos, der »Doktor« bei, wie er schlichtweg an Bord genannt wurde, dem von dem Rheder die halbe Passage erlassen worden, unterwegs etwa vorkommende Krankheiten der Passagiere zu behandeln, und dadurch die andere Hälfte, mit Hülfe der an Bord befindlichen Medicinkiste, abzuverdienen.
Doktor Hückler war eine höchst unscheinbare Persönlichkeit,
die ihr Diplom nur eigentlich den Herren Heßburg und
Sohn verdankte, von denen sie an Bord zum Auf allen Schiffen befindet sich eine sogenannte Medicinkiste,
der ein kleines »Receptbuch« beigegeben ist. Die Medicinen sind sämmtlich
in numerirten Flaschen und Gläsern und das Buch enthält hinter
der Nummer die Angabe des Inhalts wie noch außerdem einen, vielleicht
aus dreißig bis vierzig Seiten bestehenden Anhang, in welchem die Behandlung
der verschiedenen Krankheiten mit Angabe der Nummer der
dabei zu verwendenden Medicinen gegeben ist. Auf Kauffartheischiffen,
auf denen sich keine Passagiere befinden, hat der Capitain die Medicinen
»nach bestem Wissen« auszutheilen, falls Einer von seinen Leuten krank
werden sollte, ja selbst auf vielen Auswandererschiffen befand sich, bis in
die neueste Zeit, kein angestellter Arzt. Am liebsten helfen sich dabei die
Rheder damit, irgend einen jungen Arzt oder Chirurgen für »halbe Passsage«
mitzunehmen, der, selbst auf den
Den Schlüssel zur Medicinkiste behielt sich aber trotzdem
der alte Capitain Siebelt vor, der erst seit kurzer Zeit »mit
»Herr Capitain, ich möchte Sie um den Schlüssel zur Medicinkiste bitten« sagte am Morgen des dritten Tages, als sie in den Atlantischen Ocean eingelaufen waren, der Doktor zu dem Selbstherrscher der Haidschnucke.
»Na, wat is nu all wedder?« frug »de Captein,« der nur gezwungen mit seinen Passagieren hochdeutsch sprach, und wenn er böse oder recht guter Laune war, am liebsten in das ihm weit geläufigere und natürlichere Platt zurückfiel, nur dann und wann, wenn es ihm gerade wieder einfiel ein paar hochdeutsche Worte mit einmischend.
»Einer der Leute klagt über Schmerzen in der Brust, und ich fürchte fast, daß da vielleicht ein chronisches Leiden —
»Ah papperlapapp« brummte der alte Seebär, »in de Krone sitzt's em nich — in de fulen Knoken. Ene richtige Porschon Soalts un en reguleres Bräkmiddel ver vor un achter ut, nachens fall e woll spudig beter wern.«
Kein Protestiren half dagegen; Capitain Siebelt hatte
den festen Glauben daß ein Matrose gar nicht krank werden
könne, keinenfalls aber krank werden
Doktor Hückler war keiner von den Leuten, die einer praktischen Erfahrung ihr Ohr verschließen; er ließ sich überzeugen und der Capitain curirte die Leute nach wie vor auf seine eigene Hand und Manier.
Um also auf das gesellschaftliche Leben an Bord zurückzukommen,
so war Hieronymus Hückler hier zum ersten Mal
in einen Umgangskreis gekommen, der ihm bis dahin fern gelegen,
und in dem er sich im Anfang — die Seekrankheit ganz
abgerechnet, — auch nicht recht wohl fühlte. Seine Verlegenheit
würde er selber auch wohl schwer, und gewiß nicht schon
auf der Reise überwunden haben, wären ihm darin nicht die
jungen Damen, von Herrn von Hopfgarten redlich dabei unterstützt,
freundlich entgegengekommen. Diese brauchten aber
Alles, was sie nur von verfügbaren Personen in ihrem Bereich
fanden, zu ihrer Unterhaltung, und da sich Capitain
Ein anderer Mitpassagier, der nur sehr schwer zu bewegen
war sich in etwas dem
»Ich bin der Baron von Benkendroff — mein Vater ist
der wirkliche Geheimrath von Benkendroff« hatte er sich gleich
am ersten Tage Herrn von Hopfgarten vorgestellt — »und
ich reise nur zu meinem Vergnügen nach Amerika, um mich
von den nichtswürdigen republikanischen Zuständen jenes Landes
nach eigener Anschauung zu überzeugen. Ich
Den Spielen der jungen Damen schloß er sich allerdings
manchmal an, aber dann immer mit einer gewissen vornehmen
Es war ein schwüler Nachmittag gewesen, und die ziemlich starke günstige Brise, mit der sie bis dahin so vortrefflichen Fortgang gemacht, schwächer und schwächer geworden, bis die See, deren Wellen sich ebenfalls nach und nach beruhigten wie ein stillwogender Spiegel blank und ungebrochen lag, und den Rumpf des Schiffes mit seinen langsam schwankenden Masten treulich im Bilde wiedergab. Matt und lässig schlugen dabei die schweren Segel, von keiner Luft mehr gebläht, gegen die Takellage, füllten auf, wenn das Schiff schwerfällig nach hinten niedersetzte, und trafen dann wieder mit mattem Schlag das Tauwerk, das sie dadurch, wie auch sich selbst, mehr scheuerten und angriffen, als es der ärgste Sturm gethan haben könnte.
»Reepschläger und Segelmacher prügeln sich« sagen die
Matrosen wenn bei Windstille die Segel gegen das Takelwerk
Klar und wolkenrein spannt sich der Himmel aus über
der dunkelblauen, mattglänzenden Fluth, und das Auge schwindelt
wenn es in die durchsichtige Tiefe niederschaut, die sich
plötzlich seinem Blicke öffnet. Reges geschäftiges Leben herrscht
dabei an Bord, hier schwimmt eine in schillernden Farben wunderlich
gefärbte Blase auf dem Wasser und hebt und senkt sich
nach eigener Willenskraft — das sogenannte »portugiesische
Kriegsschiff« wie der kleine Segler heißt Heinrich Schmidt hat eine reizende kleine Erzählung »
Und nicht den mindesten Fortgang macht das Fahrzeug dabei; das alte Kartoffelfaß, das der Koch an dem Morgen über Bord geworfen, treibt noch in kaum hundert Schritt vom Schiff, von den neugierigen Schwalben immer und immer wieder besucht, umher; Kartoffelschalen und Rübenabfälle die die Frauen ausgeschüttet, schwimmen auf dem Wasser und sinken langsam tiefer, in der Fluth buntfarbige weißschillernde Lichter mit prismatischen Farben annehmend. Wergflocken und Stückchen getheerten Segeltuches, Federn von für die Cajüte gerupften Hühnern, und Streifen Papier und Zeug sprenkeln nach allen Richtungen hin die Oberfläche, und geben den Müssigen an Bord Gelegenheit zu rathen was es sei, oder dem versinkenden mit den Augen zu folgen tief, tief hinunter, dem Abgrund zu.
Aber nicht Alle schauen müßig über Bord; hier sitzen fleißige
Gruppen, ihre Wäsche waschend und sich endlich einer
Arbeit fügend, der sie sich eben nicht mehr länger entziehen
können; dort hängen Andere die gewaschene an den Wanten
und Tauen auf und ärgern die Matrosen damit, die den Leuten
nicht begreiflich machen können daß sie das »laufende
Tauwerk« dazu nicht benutzen dürfen. Das »laufende Tauwerk« im Gegensatz zu dem »stehenden« (Pardunen
und Stagen) werden die Taue genannt, mit denen die Raaen und
Segel gerichtet und gestellt, und aus- und eingezogen werden. Hängt
man, und den Passagieren auf Auswandererschiffen kann da in der That
nicht streng genug aufgepaßt werden, Wäsche an diesem »laufenden
Tauwerk«, und kommt plötzlich einmal eine Bö auf, bei der es davon
abhängt daß die Segel rasch geborgen werden, wenn sie nicht zerreißen,
ja in einzelnen Fällen den Mast, oder doch wenigstens eine Stenge mit
über Bord nehmen, so klemmen sich Hemden und Strümpfe in die
Blöcke ein, die Taue können nicht arbeiten, und die gefährlichsten Folgen
allerdings dadurch entstehn.
Die Arbeiten der Matrosen gehn indessen ruhig fort, denn es ist gewöhnlich ein irriger Glaube der Leute an Land, daß die Matrosen in See, wenn das Schiff nur erst in Gang wäre, nichts weiter zu thun haben als zu segeln, daß heißt das Schiff eben ruhig laufen zu lassen. Das Segelausbessern hört nicht auf an Bord, eben so muß das Takelwerk fortwährend nachgesehn, hier wieder neu gespließt, dort umwickelt, da neu getheert werden, und wäre wirklich gar nichts anderes vorzunehmen, dann muß ein Theil der Leute, zu späterer Verwendung bei neuen Tauen, altes getheertes Werg zerzupfen, und ein anderer Schiemanns Garn daraus spinnen, so daß es den Leuten nie und nimmer an Beschäftigung fehlt. Ein Schiff in See ist der letzte müßige Platz auf der Welt, und nur die Passagiere haben das Recht darauf zu faullenzen.
Auf Deck war solcher Art Alles in seinem gewöhnlichen
stillen Gang geblieben, als die Cajütspassagiere, die auf dem
»Hurrah, Maulbeere soll leben — Zachäus vivat hoch!« jubelte eine Menge lachender Kehlen, und die Zwischendeckspassagiere drängten jetzt in so festem Keil nach vorn, daß selbst die Schiemannsscheibe außer Thätigkeit gerieth, und die Matrosen ebenfalls dem was da vorging mit schmunzelnden Gesichtern lauschten.
Der Urheber dieses plötzlichen Lärmens sowohl, wie der
wilden rauschenden Fröhlichkeit war, aber wirklich niemand Anderes
als Zachäus Maulbeere, der sonst so mürrische, einsylbige
Patron, der jetzt, aber ebenfalls mit dem ernsthaftesten
Gesicht von der Welt, und selbst während dem Jubeln und
Jauchzen der Menge, keine Miene verzog, den Mund nur,
als wenn er die Pfeifenspitze darin hielt, etwas mehr zusammendrückte,
und die großen buschigen
»Aber um Gottes Willen, was geht denn hier vor?« frug Herr von Hopfgarten, auf's Aeußerste erstaunt einen der Nächststehenden — »was macht denn der Mensch da oben?«
»Maulbeere?« sagte dieser, es war der polnische Jude
der sich mit dem vergnügtesten Gesicht von der Welt nach ihm
umdrehte — »Maulbeere? — Gottes Wunder er predigt, und
Der Pole hatte allerdings recht; es
Er machte eben eine kurze Pause, zu der ihn der Jubel der überraschten und immer noch mehr herbeidrängenden Zuschauer gezwungen hatte, und schien in voller Gemüthsruhe das endliche Schweigen des stürmischen Publikums zu erwarten.
»Aber was ist denn hier los?« riefen Einzelne dazwischen, die eben erst von unten heraufpreßten, zu sehn was es gäbe; »wie kommt denn Maulbeere da oben hin — Zachäus als Prediger — hat die ganze Reise den Mund noch nicht aufgethan und fängt auf die Art an?« — »Er ist übergeschnappt« jubelten Andere — »und giebt uns jetzt die Nutznießung seines verschobenen Gehirns« — »Ruhe — laßt ihn sprechen — still da — Ruhe — Zachäus hat das Wort!« hieß es dazwischen.
Die Passagiere hatten übrigens Ursache erstaunt zu sein, denn Maulbeere, der in der That die ganze bisherige Reise über noch mit keinen drei Menschen auch nur ein Wort gewechselt, und still und mürrisch vor sich hingebrütet hatte Tage lang, war auf einmal mit dem kleinen Tisch, den er im Zwischendeck gefunden und mitgenommen, an Deck und auf die Back gestiegen, wo er, ohne weitere vorherige Warnung, ganz im Styl einer wirklichen Predigt, aber diese parodirend, mit Thema und Einleitung und citirten Sprüchen nach Capiteln und Versen, dem Schnaps (über dessen schlechtere Qualität die Zwischendeckspassagiere seit drei Tagen etwa Ursache zu haben glaubten sich zu beklagen) eine Lobrede hielt.
»Ruhe — gebt Frieden — Zachäus fahr fort!« schrieen indeß die Stimmen durcheinander, und als sich der Lärm ein klein wenig gelegt, der indeß so arg geworden war daß der Capitain an Deck kam, zu sehn was es gebe, begann Maulbeere wieder:
»Wir haben drittens gesehn daß der Schnaps auch in
seinen Wirkungen das Gemüth des Menschen sänftiget, und
»Das ist Gotteslästerung!« schrie da eine Stimme aus der Menge — »herunter von dort Du nichtswürdiger Mensch daß Dich nicht der Arm dessen trifft, den Du verhöhnst.«
Es war der Weber aus Zurschtel, der sich mit Mühe zwischen die Menschenmasse gedrängt hatte, zu sehn was da vorgehe, und jetzt in ehrlicher Entrüstung etwas entweihen hörte, an dem seine ganze Seele mit gläubiger Ehrfurcht hing.
»Ruhe da — Frieden! laßt den Mann ausreden!« rief aber mit Donnerstimme der Gesell mit den kurzgeschnittenen Haaren, der sich selber Meier genannt hatte — »halt's Maul Weber bis Du gefragt wirst!«
»Nein, er hat recht, das geht nicht — das dürfen wir nicht leiden!« riefen aber jetzt auch Andere dazwischen.
»Hurrah Maulbeere soll leben! fahr fort Maulbeere, laß
Dich nicht irre machen!« jubelten ihm wieder Andere zu — »fort
Der einzige Ruhige bei dem ganzen Sturm blieb Zachäus, der, ohne auch nur eine Miene zu verziehn, oder mit einer Muskel zu zucken, dem Toben geduldig zuhörte, langsam eine Prise nahm, sich schnaubte, und dann sein Taschentuch wieder wie einen Ball zusammendrehte. Sobald aber ein Augenblick Ruhe eintrat, fuhr er auch eben so unverwüstlich in seiner Predigt fort, sang, mit näselndem Ton, als er diese beendet hatte, die Litanei ab, die Worte dabei so verdrehend daß sie ein Lob des Schnapses bildeten, und schloß dann seine Predigt, unter dem wiehernden Gelächter der Passagiere, mit dem »Es sind auch noch einige Personen vorhanden, welche Willens sind in den Stand der heiligen Ehe zu treten,« wobei er eine Reihe unanständiger Namen von einem Papier ablas, und dann zum Gebet schreiten wollte, als der Steuermann von dem Capitain, bei dem sich Einzelne über den Unfug beschwert hatten, nach vorne geschickt wurde demselben zu wehren.
»Avast da!« rief er dem parodirenden Prediger auf seine derbe Art zu — »avast da mein Bursche und herunter von der Kanzel; der Unsinn hat jetzt lange genug gedauert, und die Leute da unten, die ihre Wacht zur Coye haben, wollen schlafen. Verstehst Du Hochdeutsch, oder soll ich platt mit Dir sprechen?«
»Laßt den Mann seine Rede halten, so lang's ihm gefällt« nahm hier wieder Meier seine Parthie — »wir reden Euch auch nicht hinein wenn Ihr sprecht.«
»Wenn Du einmal gefragt wirst mein Bursch, darfst Du antworten!« rief ihm aber der Seemann keck und zornig entgegen — »wenn ich hier befehle er soll herunterkommen, so kommt er oder — ich lasse ihn holen.«
»Faßt Einen von uns hier an!« schrie aber der, über Anrede wie Ausdruck gereizte Mann — »legt Hand an Einen von uns, und seht dann was aus Euch und dem Schiff wird. Gott verdamm mich!«
Die drei letztgekommenen Passagiere, die höchst aufmerksame und vergnügte Zuhörer der Predigt gewesen waren, standen dicht hinter ihm, und ihre Blicke begegneten ebenfalls in finsterem störrischem Trotz denen des Steuermanns; dieser aber, ohne sich im mindesten irre machen zu lassen, griff eine, gerad' auf der Ankerwinde liegende Handspeiche auf, und während die an Deck befindlichen Matrosen, die recht gut wußten wie nothwendig es für sie war in einem solchen Augenblick zusammenzuhalten, sich rasch und geräuschlos neben und hinter ihren Oberen drängten, und ebenfalls schon in der Eile Alles aufgefaßt hatten was ihnen bei einem möglichen Handgemenge von Nutzen sein konnte, rief der Steuermann, die Handspeiche zum Schlag fertig, und das Gesicht von Zorn und Wuth fast dunkelroth gefärbt.
»Hinunter mit Euch sag ich — und Ihr drei da besonders mit Euren grauen Kitteln, hinunter von Deck wohin Ihr gehört, oder der Erste, bei Gott, der mir noch mit einem Wort widerspricht, oder die Hand aufhebt gegen mich ist eine Leiche.«
Meier warf einen wilden tückischen Blick im Kreis umher, zu sehn auf wen von der Schaar er sich wohl allenfalls noch verlassen konnte, aber die drei Grauröcke hatten wohl ihre ganz besonderen Ursachen es nicht zum Aeußersten kommen zu lassen, noch dazu solcher Lappalie wegen, und von den Anderen bezeugte ebenfalls Niemand Lust mit dem wilden Burschen, dem Steuermann, so aus freier Faust anzubinden.
»Wir haben ein Recht hier an Deck zu stehn und dafür bezahlt« murrte er da, als er sah wie er nicht hoffen durfte Schutz und Beistand bei den Anderen zu finden gegen die Schiffsmannschaft.
»Das könnt Ihr auch« sagte der Steuermann, verächtlich
seine Handspeiche neben sich zu Boden werfend — er wußte daß
er jetzt keine weitere Widersetzlichkeit mehr zu fürchten hatte — »Niemand
wehrt's Euch, so lange Ihr nicht im Wege seid,
wer aber dann nicht geht wird
Zachäus war allerdings verschwunden; sobald nämlich der Wortstreit einen ernsten Charakter anzunehmen schien, hatte er sich, keineswegs gewillt daran Theil zu nehmen, seitab von der Back hinunter und nach hinten gedrückt, wo er jetzt schon wieder auf seiner Lieblingsstelle am großen Mast kauerte, und den Dampf seiner Pfeife in die blaue Luft hineinqualmte.
Herr von Hopfgarten stattete indessen in der Cajüte Bericht
über das Gehörte und Gesehene ab, freute sich aber eben
»Und was hatten
»Ich hatte die stille Hoffnung« schmunzelte der kleine Mann — »alle Wetter, ein Seegefecht, Baron, das wär ein famoses Abenteuer gewesen, und ein prächtiger Beginn für meine Fahrt. Sie wissen noch gar nicht daß ich nur auf Abenteuer reise?«
»Auf Abenteuer — bah« sagte Herr von Benkendroff achselzuckend — »ich hoffe daß Sie vernünftiger sind; es giebt nichts Ungentileres als ein Abenteuer, ein galantes vielleicht ausgenommen, und ich hasse selbst diese, weil sie den Menschen unnöthig aufregen, und aus seiner gewohnten Ruhe bringen.«
»Aber was für Abenteuer wollen Sie erleben?« frug lachend Marie.
»Was für Abenteuer?« wiederholte der kleine Mann, sich
rasch nach ihr herumdrehend — »alle — jedes nur erdenkliche — Räuber,
Platzen eines Dampfbootes, Zusammenstoß mit
einer Lokomotive, Ueberfall von Indianern, selbst unter Gefahr
meines Scalpes,« und er nahm dabei seine Mütze ab, und
»Dann reis' ich gewiß nicht mit Ihnen« rief Clara rasch und lachend — »Sie wären im Stande solche Dinge vom lieben Gott, als ganz besondere Zeichen von Wohlwollen zu erbitten.«
»Allerdings« sagte Herr von Hopfgarten mit größtem Ernst, »und ich schwankte lange zwischen einer Reise in das Innere von Afrika und den Vereinigten Staaten, aber allen gelesenen Beschreibungen nach halte ich die Union doch noch für das passendste Land dazu, und freue mich unendlich darauf seine werthe Bekanntschaft zu machen.«
»Sie könnten Einem die Lust zur Auswanderung verleiden«
sagte lächelnd Professor Lobenstein, sich in das Gespräch
mischend, »wenn man eben noch eine Wahl behalten hätte.
Jedenfalls ist es ein interessantes Factum Sie, mit
»Ich die alleinige Ausnahme?« rief aber der kleine Mann
»In mancher Hinsicht mögen Sie recht haben« sagte der Professor lächelnd, »aber derartigen extraordinären Fällen sollte man dann doch eher aus dem Wege gehn, als sie gerade muthwillig aufsuchen.«
»Nein« sagte der kleine gemüthliche Mann, dem sich ein
wunderliches Behagen über die runden Züge legte, und sie mit
einer eigenthümlichen Gluth und Freude überstrahlte, indem
er vor seinem fruchtbaren inneren Geist wahrscheinlich schon
einige der erhofften Scenen heraufbeschwor — »nein lieber
Professor, an aus dem Wege gehn ist nun einmal schon gar
kein Gedanke — wird auch nicht gut möglich sein« setzte er
sich, wie in innerem Behagen die Hände reibend, hinzu — »man
müßte denn wie eine Schlange dazwischen durchschlüpfen
können. Vor allen Dingen befahre ich den Mississippi auf den
dortigen Dampfbooten, und lasse mich erst zwei- oder dreimal
in die Luft blasen, oder in den Grund rennen; dann existirt
dort noch, wie ich aus ganz sicheren Quellen weiß, die Morrelsche
Bande, die mit allen Pferdedieben und falschen Spielern
»Sie bauen darauf, lieber Hopfgarten« sagte hier, während die Anderen lachten, Herr von Benkendroff, wieder über sein Buch hinüber nach seinem kleinen Freund sehend, »daß Sie gar keinen Hals haben an dem man Sie aufhängen kann — sonst scheinen Sie mir auf dem besten Wege dazu.«
»Bah, aufhängen« rief Herr von Hopfgarten verächtlich — »darin bewährt sich gerade der Mann, den Kopf in schwierigen Situationen aus der Schlinge zu halten.«
»Jedenfalls sollten Sie sich dann den langen Menschen aus dem Zwischendeck, ich glaube es ist ein Schneider« sagte Herr von Benkendroff ruhig »zum Begleiter, gewissermaßen als Sancho Pansa mitnehmen; Ihr Zug würde dadurch einen gewissen historischen Werth bekommen.«
»Spotten Sie nur« lächelte aber Herr von Hopfgarten
gutmüthig — »Jeder sucht sein Vergnügen auf seine eigene
Weise, und Don Quixote, einige verrückte Marotten abgerechnet,
war ein ganz achtungswerther Charakter — seine Kurz
»Im Zwischendeck ist allerdings ein Mann der für Sie passen würde Herr von Hopfgarten,« fiel aber hier das Fräulein von Seebald ein, »ein junger Dichter, der ebenfalls noch nicht in dem Alltagsleben der Welt zu Grunde gegangen, und keineswegs daran zu zweifeln scheint, dem Leben auch noch eine poetische Seite abzugewinnen. Nur in der That bewährt sich der männliche Charakter;« setzte sie mit einem Seitenblick auf Herrn von Benkendroff hinzu, der aber an diesem vollkommen abprallte.
»Vortrefflich!« rief da die muntere Clara — »Herr von Hopfgarten kann dann die amerikanischen Riesen und Ungeheuer bekämpfen, und sein Begleiter gleich die Thaten besingen; ich subscribire von vornherein auf ein Exemplar.«
»Ihnen, meine gnädige Frau« lachte aber der kleine Mann, »dedicire ich das Werk, und werde mir von Ihnen noch ganz besonders eine Schleife oder einen Handschuh ausbitten, nach ächter Ritterart am Hut zu tragen.«
»Ein Wort ein Mann« rief die junge Frau, ihren linken Handschuh lachend abziehend und dem neuen Ritter zuwerfend — »hier ist das Pfand, und bedenken Sie, daß ich es nur mit dem Blut der Feinde getränkt zurückerwarte.«
»Gnädige Frau!« rief da der kleine Mann, begeistert von
seinem Stuhle aufspringend — »nur mit meinem Leben trenne
ich mich wieder von dieser Gabe, bis ich sie in würdiger Weise
Seine weitere Rede wurde durch das Heraufstürmen der
Matrosen auf das Quarterdeck unterbrochen, die, so ehrerbietig
sie sonst dasselbe betraten, jetzt ohne weiteres Ceremoniell
und in größter Eile anfingen die aufgerollten Falle von
den Nägeln herunter auf Deck zu werfen, wobei sie den überrascht
aufspringenden Passagieren sehr ungenirt die Sessel aus
dem Weg rückten. Zu gleicher Zeit sahen diese wie ein Theil
der Mannschaft, gelenk wie Katzen, an den Wanten Wanten ist das, was der Landmann im gewöhnlichen Leben und
sehr unrichtig Raaen sind die Querbalken an den Masten an welchen die
Segel befestigt werden.
Die Passagiere sahen allerdings im Anfang erstaunt auf
und umher, denn das Wetter war, bei fast völliger Windstille,
mild und warm gewesen, und eine leichte Brise, die sich nach
und nach erhoben und das Schiff wieder langsam durch die
klare, fast spiegelglatte Fluth trieb, von ihnen wohl freudig
begrüßt worden, aber keinem als irgend Gefahr drohend erschienen.
Der erste überraschte Blick umher überzeugte aber
bald alle, selbst die größten Laien in der Wetterkunde, daß der
sonnige Morgen einem stürmischen Mittag werde weichen müssen.
In Nord-Westen stiegen schwere dunkle Wolkenmassen
auf, die dem Wasser schon ihren fahlen Bleiglanz mitzutheilen
begannen, über die See zog es in dunkelstreifigen, flüchtigen
Kräuselwellen, wie die Vorboten des nahenden Wetters, und
als die schwache Brise endlich wieder vollständig erstarb, die
düstere Wolkenmasse aber, die bis jetzt fast auf dem Horizont
gelegen, mit rasender Schnelle höher und höher stieg, da bat
der Capitain, der bis dahin an Nichts anderes gedacht hatte,
als sein Schiff auf das kommende Wetter vorzubereiten und
seine Segel zu bergen, die Passagiere dringend, hinunter in
die Cajüte und dem Unwetter aus dem Wege zu gehn, daß
sich die Mannschaft frei bewegen könne. Fast alle fügten sich
auch dem Wunsch nur zu bereitwillig, die meisten selber froh
unter dem schützenden Dach der Cajüte den Ausbruch des
Sturmes erwarten zu dürfen; nur Herr von Hopfgarten holte
sich rasch seine geölten Seemannskleider, die er sich zu diesem
Zweck besonders angeschafft, hervor, zog sie an, setzte seinen Südwester heißen die aus Leinwand gemachten und steif getheerten
Seemannskappen, deren breites und langes Schild im Nacken sitzt,
diesen gegen den Regen zu schützen.
Diese unheimliche, und einem heftigen Orkan sehr oft vorhergehende Stille dauerte aber nicht lange; im Nord-Westen nahm der Meeresspiegel eine vollkommen dunkle Färbung an, wie sich die Kräuselwellen da vor der heranbrausenden Windsbraut hoben, und als die Windsbraut herankam und das Schiff faßte, durch die Blöcke und Taue pfiff und über die nackten Raaen heulte, fegte sie auch schon die oberen Tropfen von den aufspritzenden, wie ängstlich zuckenden Wellen, und lehnte sich jetzt hinein in das Meer, das ruhige aufzurütteln aus seinem Schlaf.
Hui wie es da drängte und bohrte und die Segel faßte
und schüttelte, die es noch wagten ihm Trotz zu bieten, während
es dem stöhnenden Schiff pfeilschnell die bäumenden Wogen
entgegenjagte; wie die Masten ächzten und sich elastisch
der furchtbaren Kraft beugten, und die schweren Raaen in ihren
Ketten klirrten und die Falle, und Taue zum Zerspringen
spannten. Aber machtlos griff der Sturm in das künstliche
Gebäu, das des kecken Menschen Hand, selbst seinen Schrecken
zum Trotz, muthig und sicher über die brausenden Wogen
führte; zur rechten Zeit waren alle überflüssigen Segel geborgen
und die nöthigsten dicht gereeft, dem Orkan so kleine Fläche
als möglich zu bieten, und was noch stand, an dem konnte er
Aber die Passagiere hatte er überrascht, denn sie waren bis jetzt an ruhiges Wetter und ziemlich gleichmäßigen Wind gewöhnt, der es den Leuten erlaubte ihre Segel in Ruhe zu setzen oder einzunehmen. Die nöthigen Befehle waren dabei auch natürlich in aller Ruhe gegeben, und von den Leuten eben so ausgeführt worden; das aber änderte sich jetzt wie mit einem Zauberschlag, und in dem wüsten Lärm der Seeleute, dem sich das Toben der Elemente gesellte, schien dem Laien jede Ordnung im Schiff gerade in dem Moment gelöst und aufgehoben, wo die Gefahr zum ersten Mal mit eiserner Faust an ihre Planken schlug. Die Offiziere schrieen ihre Befehle, jedem Ohr unverständlich und in dem Heulen des Sturmes wild und ängstlich klingend, über Deck, die Matrosen selber stürzten herüber und hinüber, die Segel hingen eine Zeitlang gelöst und schlugen an die Masten, die Taue fuhren wirr durcheinander, und die Hast, mit der die zum Reefen aufgeschickten Leute nach oben eilten, nach rasch ausgeführtem Befehl wieder an den Pardunen niederglitten, und die Raaen dann unter dem schrillen Ruf des Steuermanns und dem ihnen so ängstlich klingenden Taktsang der Matrosen aufgezogen wurden, bestätigten bei Vielen den schlimmsten Verdacht, und machte ihre Herzen rascher klopfen.
Die Cajüte konnte sich da noch eher Raths erholen; besorgte,
an die Steuerleute oder den Capitain gerichtete Fragen
Wie dabei der Wind über die See tobte, hoben sich die
Wellen höher und höher, das Schiff fing an zu stampfen und
in den anstürmenden Wogen herüber und hinüber zu schlingern,
daß in dem dumpfigen Raum hie und da schon wieder
die Seekrankheit ihren Arm nach einzelnen unglücklichen Opfern
ausstreckte. Die um die Mittelstützen des Zwischendecks
befestigten Koffer und Kisten schurrten dabei, so weit es ihnen
die nach und nach locker gewordenen Taue gestatteten, mit der
Bewegung des Schiffes bald nach dieser bald nach jener Seite,
und drohten in der That sich nach und nach völlig loszuarbeiten
aus ihren Banden, wie einzelne Schachteln mit unvorsichtig
dort aufgespeicherten Vorräthen, Stücken Fleisch und
Zwieback, Zwiebeln und Kartoffeln, oder auch nachlässig aufbewahrte
Gefäße und Flaschen, plötzlich laut wurden und hervorpolterten,
den Passagieren dadurch einen ungefähren Begriff
gebend, was sie zu erwarten hätten, wenn sich das
Einige der Zwischendeckspassagiere machten sich nun zwar bereitwillig daran, einer solchen Fatalität durch festes Schnüren der Taue in Zeiten vorzubeugen; bei dem immer stärkeren Schaukeln des Schiffs wurde das aber mehr, als sie auszuführen vermochten; das Arbeiten in dem niederen dumpfen Raum machte sie schwindlich und übel, und Matrosen mußten zuletzt zu Hülfe gerufen werden, die gelösten und nicht wieder ordentlich befestigten Taue, die jetzt hie und da nachgaben, auf's Neue zu verbinden und Unglück zu verhüten.
Was übrigens im Anfang selbst dem Capitain nur als ein eben so rasch wie es gekommen, vorübergehendes Gewitter geschienen, artete zuletzt wider Erwarten in einen ordentlichen Sturm aus, der mit der untergehenden Sonne neue Kraft gewann. Die Segel blieben dicht gereeft, die Luken wurden, des niederströmenden Regens wegen, mit getheerter Leinwand überhangen, und die Wellen wuchsen natürlich, durch ihre eigene Schwere von Stunde zu Stunde, bis sie die weisgekrönten Kämme, wie funkelnde Mähnen, im Ansturm gegen den starken Bug des Schiffes trugen, und ihre Stirnen wild und dröhnend, immer und immer wieder vergebens, dagegen schmetterten.
Die Haidschnucke kämpfte sich indessen still und unverdrossen
ihre Bahn, während der Widderkopf, den sie als Brustbild
auf der Gallion vorn trug, ihr alle Ehre machte. Den
starken Nacken gebogen, einem wirklichen Widder gleich, setzte
In der Nacht gab es wieder viele Kranke an Bord, und Stöhnen und Aechzen, Beten und Fluchen tönte aus dem niederen dunklen und dumpfigen Raum empor, dem nur manche mal eine bleiche, sich überall krampfhaft anhaltende Gestalt entstieg, den Schiffsbord zu suchen, sich daran festzuklammern, und was sie drückte, hinüber zu werfen in die boshafte tückische See. Wehe dem Armen dann, wenn er mit schwindelndem Hirn, und von dem ihn umrasenden Sturm betäubt, die Leeseite, nach der er sich zu wenden hatte, mit der Luvseite verwechselte, und gegen den Wind seinem Leiden Luft machen wollte; der boshafte Sturm warf ihm das dann gewiß erbarmungslos wieder zurück und entgegen, und eine nachstürzende See spühlte den Armen vielleicht mitleidig dem nach, nach Lee hinüber, von wo er sich triefend und betäubt die Bahn wieder nach unten suchen mußte, seiner dunklen Coye zu.
Oh wie lang, wie entsetzlich lang dauerte die Nacht, in
der selbst den Gesunden das Kreischen der Kinder, das Jammern
der Frauen, das Stöhnen und Aechzen der Seekranken,
wie das Werfen der Falle und das Stampfen der Matrosen
an Deck, jeden Augenblick Schlaf raubte oder verkümmerte.
Mit vollkommen ruhigem und kaltem Blut betrachtet
indessen der Seemann den Aufruhr der Elemente. An das
Schiff denkt er dabei, daß er es sicher und unbeschädigt durch
die Wogen führe, nicht an sein Leben, das dem Schiff gehört.
Gewohnheit stumpft den Menschen auch zuletzt gegen eine wieder
und immer wieder kehrende Gefahr ab, sei sie noch so groß;
und fast mechanisch thut er Alles, was ihm der Augenblick
Auf offener See ist die Gefahr auch lange nicht so groß;
es muß da ordentlich wehn, und eine furchtbare See muß stehn
wenn es dem wirklich guten Schiff verderblich werden soll.
Reißen die Wellen auch dann und wann einmal ein paar Ellen
Schanzkleidung Die Schutzwand, die das Deck rings umgiebt. Ueber Stag gehn, wenden, kreuzen.
In dieser Nacht legte sich der Sturm aber nicht, und wenn er auch gegen Morgen etwas in seinem Grimm nachzulassen schien, nahm er vor Sonnenaufgang auf's Neue die Backen voll und tobte toller als vorher. »S'ist eine frische Hand am Blasbalg« sagen in dem Fall scherzhafter Weise die Matrosen, denen »eine Mütze voll Wind mehr oder weniger« nicht viel verschlägt. Im Gegentheil; der Lohn geht fort; hält sie der Sturm ein paar Tage länger auf See, gut, desto mehr Geld haben sie zu fordern, wenn sie das Land betreten, und können desto mehr verthun; ja bei schwerem Wetter fallen sogar die lästigen Arbeiten, wie Schiemanns-Garn drehen und Werg zupfen fort, mit denen sie in ruhiger Zeit doch außerdem genug geärgert werden. Die Leute sitzen dann auch meist — mag das Wetter toben so arg es will — ganz ruhig und vergnügt im Lee vom großen Boot und erzählen sich Geschichten und Anekdoten. Sind die Segel dicht gereeft, und haben die Leute genug Taback, dann verlangen sie keine bessere Zeit und sind munter und vergnügt. Nur bei Windstille flucht der Matrose, denn das ist die Zeit, in der er am meisten beschäftigt ist.
Nur wenige von den Passagieren hatten sich aber die Nacht über hinauf getraut an Deck, dem Sturm und den noch fataleren Sturzseeen kühn die Stirn zu bieten. Die aber, die es gewagt, waren auch reichlich durch den wundervollen großartigen Anblick der zürnenden See entschädigt worden. Zischend und schäumend wälzten die phosphorglühenden Wogenmassen herum, mit ihrem geisterhaften Licht die Masten hellend, bis hinauf zu den nackten tanzenden Spieren. Wie von silberblitzenden Adern durchzogen, quollen die mächtigen Wellen am Schiff vorbei, das träge und störrisch nur hindurchzudringen schien, und die See, die sich zu windwärts über dem Buge brach, goß tausend und tausend glimmende Funken über das nasse Deck und schmückte es wie mit blitzenden Edelsteinen. Die Windsbraut hatte dabei den Himmel rein gefegt; mit der Tiefe wetteifernd funkelten die Sterne ihr flammendes Licht herab, und als der Mond dem Horizont endlich entstieg, sandte er seine zuckenden Strahlen wie matte Blitze über die erregte Fluth.
Die Noth im Zwischendeck hatte indeß ihren höchsten
Grad erreicht, denn die überstürzenden Seeen, die ihre plätschernde
Fluth um die Vorderluke spühlten, schlugen einmal
sogar die Leinwand fort, und gossen einen Strom hinab in
den unteren Raum. Die Matrosen sprangen allerdings gleich
zu und schlossen die Luke mit den Lukenklappen, weiterem Eindringen
des Seewassers, weniger der Passagiere, als der unter
ihnen eingestauten Fracht wegen, zu wehren, aber der Angstruf
der Zaghaftesten, »das Schiff hat einen Leck — wir sin
»Na nu setz mich mal an Land!« rief der Steuermann verwundert, als die Passagiere plötzlich, wie Bienen aus ihrem gestörten Haus, an Deck quollen, und nach dem Boot und um Hülfe schrieen, »Dösköppe, seid Ihr verrückt geworden oder was fällt Euch ein? — wollt Ihr machen, daß Ihr wieder hinunter kommt, oder ich lass' Euch hier oben noch einmal begießen!«
Die Drohung half aber Nichts, Andere preßten nach, von unten herauf, den Erstgekommenen den Rückzug abschneidend, und eine gerade wieder über das Schiff herüberschlagende See vermehrte die furchtbare Verwirrung der zum Tod Erschrockenen.
Unten im Zwischendeck schrie eine einzelne Frauenstimme mit markdurchschneidenden Tönen nach Hülfe, und unheimlich klang der gellende Laut selbst durch das Gewirr von Stimmen und das Toben der Elemente.
»Aber so nehmt doch nur um Gottes Willen Vernunft
an — zurück da mit Euch oder ich lasse die Luke hier ebenfalls
dicht machen und keiner Mutter Sohn wieder an Deck
herauf« — bat und fluchte der Seemann — aber Alles umsonst;
ein panischer Schrecken hatte sich der unglückseligen
Es bedurfte wohl einer halben Stunde Zeit, in der die Matrosen die, die am meisten schrieen, und sich am unsinnigsten geberdeten, anfassen, schütteln und erst wieder zur Vernunft stoßen mußten, bis die Leute nur anfingen zu begreifen, daß ihnen keineswegs eine unmittelbare Gefahr drohe, und der Sturm eben nicht ärger das noch vollkommen tüchtige und dichte Schiff umtobe, als am Abend, wo sie sich ruhig in ihre Coyen zum Schlafen niedergelegt. Die Vernünftigsten der Schaar, die sich doch auch ihres Kleinmuths wegen zu schämen begannen, wollten deshalb eben wieder hinunter in das Zwischendeck steigen, wo der Lärm noch ärger als vorher tobte, auch dahin die tröstliche Nachricht zu bringen, und die Verzweifelnden zu beruhigen, als sich von dort herauf der Tischler Leupold wild und ängstlich die Bahn brach, und nach dem Arzt — dem Doktor schrie, um Gottes und des Heilandes Willen seiner Frau zu Hülfe zu kommen.
»Was ist — was giebts?« riefen die Leute durcheinander,
und der Steuermann faßte den halb Rasenden und frug
ihn, was geschehen sei; dieser aber riß sich los und bat und
flehte, nur den Arzt aus der Cajüte zu holen, damit dieser der
Unglücklichen beistehn könnte, die plötzlich
»Der Arzt — wo ist der Doktor!« riefen die Leute jetzt durcheinander, den Sturm fast vergessend über die augenblickliche, dringendere Noth des Mitpassagiers — »der Doktor!« und selbst der Steuermann, der sich sonst wahrlich nicht beeilte, wenn ein Zwischendeckspassagier oder ein Passagier überhaupt, einen Wunsch aussprach, sprang in die Cajüte hinein, den »Doktor« herauszuklopfen, damit er helfen könne, wenn hier überhaupt menschliche Hülfe noch möglich war.
Der Doktor lag angezogen in seiner Cajüte auf dem Bett, und sprang bei dem ersten Ruf schon rasch und bereitwillig auf, aber er sah selber todtenbleich aus, und ein neuer Angriff der Seekrankheit, mit der Angst um das eigene Leben, hatte ihm jeden Blutstropfen zum Herzen zurückgejagt.
»Doktor machen Sie rasch — eine Frau ist im Zwischendeck wahnsinnig geworden — Sie müssen helfen!« rief der Steuermann.
»Eine Frau wahnsinnig?« stöhnte der unglückliche Sohn Aesculaps — »das ist ja entsetzlich, das ist ja gar zu traurig — was werden — was werden wir ihr denn da gleich eingeben —«
»Sehn Sie sich die Kranke nur erst einmal an« rief aber
der Steuermann ungeduldig, als der Doktor in allen seinen
»Ja wenn das aber
»Hätte bald was gesagt,« murmelte aber der alte Seebär zwischen den Zähnen durch, während er ihn auf der linken Seite stützte, daß er nur rascher vorwärts kam.
Unter Deck hatte sich indessen eine Gruppe von Frauen meist um die unglückliche Tischlersfrau gesammelt, die sich den Händen der sie haltenden Männer fortwährend zu entwinden suchte, und dabei laut lachte und schrie, und wunderliche, verslose Lieder sang. Der junge Donner, während er sich mit der linken Hand selber fest an der nächsten Coye hielt und seinen linken Fuß zwischen die dort befestigten Kisten eingeklemmt hatte, hielt sie mit dem rechten Arme umschlungen, daß sie sich nicht selber von ihrem Stand herunterstürzte, und Leupold, mit Herrn Mehlmeiers Hülfe, suchte sie auf der anderen Seite zu stützen und zu beruhigen und sie nur zu bewegen, daß sie sich erst einmal wieder in ihre Coye lege.
Ueber dieser von einer gewöhnlichen Schiffslaterne be
»Hahahaha!« lachte da die Unglückliche hell und laut auf — »hahahaha, er hat den Hals gebrochen, er hat den Hals gebrochen« und sank besinnungslos zurück in Georg Donners Arm, während ihr Mann kaum noch Zeit behielt, sie mit zu unterstützen.
Hückler hatte sich indessen rasch und erschreckt wieder erhoben,
und während er sich an der Treppe und den Kisten zu
der Patientin hinfühlte, riß Hedwig ihre Matratze aus dem
eigenen Bett, sie der Frau vor der Coye unterzubereiten, und
kauerte dann neben ihr nieder, ihren Kopf zu unterstützen.
Dem Doktor wurde indessen mit kurzen Umrissen die mögliche
Ursache des Unglücks mitgetheilt, das der arme Tischler von
einem Sturz herrührend glaubte, den die Frau an dem Morgen
gethan. Sie war dabei mit dem Hinterkopf gegen eine
Kistenecke geschlagen, und trotzdem, daß sich kein Zeichen äußerer
Georg Donner wollte hiergegen Einspruch thun, Doktor Hückler aber, dem durch den langen Aufenthalt im Zwischendeck selber wieder der Schweiß auf die Stirn trat, und dem es wüst und unbehaglich zu Muthe wurde, hatte seine Instrumente schon zusammengepackt, und verließ rasch den dumpfigen Raum. Donner aber stieg, ohne weiter ein Wort zu verlieren, ebenfalls an Deck, holte einen Eimer voll Seewasser herunter, den er an einen der in den Queerbalken befestigten Haken hing, ließ sich dann von Leupold ein reines Handtuch geben, das er mit dem kalten Wasser netzte, und rieth ihm, die Frau vor der Coye auf der Matratze liegen zu lassen, und ihr fortwährend kalte Umschläge auf die fieberglühende Stirn zu legen, die Hitze daraus zu bannen. Hedwig, die nicht von der Seite der Kranken wich, übernahm das Amt, die Umschläge zu erneuern, und trotz dem furchtbaren Stampfen des Schiffes, das gegen die mit jeder Stunde höher wachsende See fortwährend anzukämpfen hatte, wurde endlich Ruhe im Zwischendeck. — Die Passagiere fanden, daß die Gefahr nicht so nah sei wie sie geglaubt, und ergaben sich endlich — was sie hätten gleich von Anfang an thun sollen — ruhig in ihr Schicksal.
Der nächste Morgen brach trüb und eben noch so stürmisch
an; mit der ersten Dämmerung war es fast, als ob sich
der Wind etwas legen wollte, wie aber die Sonne roth und
flammend aus dem schäumenden Wogenkessel sich hob, gewann
Die Kranke im Zwischendeck hatte die Nacht indessen ziemlich
ruhig verbracht; der starke Blutverlust, wie die kalten Um
Am wackersten hielt sich bei diesem Unwetter die Cajüte, deren Passagiere aber auch luftigere und geräumigere Lager und bessere und leichtere Kost hatten, der Seekrankheit zu begegnen. Nur Fräulein von Seebald hütete an dem Tage noch ihr Bett, heftiger Kopfschmerzen wegen wie sie sich entschuldigen ließ, sonst waren Alle munter und auf den Füßen, und selbst der Mittagtisch versammelte sie heute, wie in stiller Zeit.
Böse Arbeit aber gab es dabei für den Steward und Cajütenwärter,
Geschirr und Speisen nicht allein glücklich von
der Cambüse über Deck in die Cajüte zu schaffen, sondern auch
dort so zu stellen und zu befestigen, daß sie durch das tolle
Springen des Schiffs nicht vom Tisch heruntergeworfen wurden.
Ein eigenes Gestell, das Herr von Benkendroff gerade
nicht unpassend das
Herr von Hopfgarten hatte indeß von dem Krankheitsfall
im Zwischendeck gehört, war gleich hinuntergegangen sich selber
zu überzeugen, und erfuhr dort was Doktor Hückler der
Kranken nach dem Aderlaß verordnet habe, und wie diese gerade
durch das Gegentheil wenigstens so weit hergestellt worden,
sie für jetzt außer Gefahr zu halten. In die Cajüte zurückgekehrt
hatte er dann aber auch nichts Eiligeres zu thun,
als die Damen davon in Kenntniß zu setzen, und während
diese der Leidenden
Dem Chirurgen Hückler that aber das Lob, das so offen gespendet auch aufrichtig gemeint sein mußte, nicht allein unendlich wohl, sondern er bekam sich auch wirklich selber in Verdacht, in letzter Nacht eine höchst schwierige Kur mit seltener Geistesgegenwart und richtigem Urtheil aufgefaßt und behandelt zu haben, und doch am Ende von der Medicin mehr zu verstehen, als er sich selber zugetraut. Durch dieses Selbstvertrauen aber fühlte er sich gehoben, wurde gesprächig, und fing nun an, wie das leider überhaupt seine Gewohnheit war, einzelne andere, mitunter höchst merkwürdige Kuren zu erzählen, die er in früheren Zeiten gemacht, und wodurch er das Leben schon von anderen Aerzten aufgegebener Patienten mehrmals gerettet haben wollte. Herr von Hopfgarten ging darauf ein sich das Alles aufbinden zu lassen, und Hückler schwamm in einem Meer von Wonne.
Die Suppe wurde indessen aufgetragen, und der Steward,
in der linken Hand die Klingel schwingend, mit der er
So wie Doktor Hückler am Tische Platz genommen, und
die Terrine mit der linken Hand gefaßt hatte, ließ der Steward
sie los, um weitere Bedürfnisse der Tischgäste herbeizuholen,
und während sich die übrigen Passagiere ebenfalls setzten, füllte
der Doktor jedem seine Portion auf den dargereichten Teller.
Das Schiff schwankte dabei nach allen möglichen Richtungen
hin, und die Damen besonders hatten im Anfang beide Hände
voll zu thun, nur ihren Teller mit der Suppe zu balanciren,
»Herr Capitain« sagte er dabei, »Sie erlauben mir wohl daß ich nachher der Kranken einen Teller von dieser Suppe in's Zwischendeck schicke; die wird ihr gut thun.«
»Ja woll Doktor, man tau« sagte Capitain Siebelt, der mit dem Doktor, sehr zu dessen Aerger, am liebsten platt sprach — »wo geiht et denn?«
»Oh gut, Capitain, ich denke wir sollen sie durchbringen,
und heute Abend will ich ihr wieder eine Portion Schröpfköpfe
setzen. Das Blut gestern sah dick und trübe aus, und
Herr von Benkendroff sah den Sprecher, der ihm durch solche Beschreibung das Essen zu verderben drohte, mit einem höchst mißvergnügten Blicke an, sagte aber kein Wort, und der Doktor, dem das heraufbeschworene Bild andere, ähnliche seiner früheren Praxis vor die Seele rief, fuhr in dem vergeblichen Versuch ein Hühnerbein zu bewegen auf dem Löffel liegen zu bleiben, schmunzelnd fort:
»Wissen Sie Capitain, in Bremerhafen der Matrose, der im vorigen Sommer an Bord des Gellert von der Raanocke herunter und auf den Anker des daneben liegenden »Alexander White« fiel, und sich auch den Hinterkopf so bös dabei verletzte, der brach zwei Stunden lang die reine Galle, und lag drei volle Tage besinnungslos, ehe er wieder zu sich kam. An dem haben wir was herumgeschröpft und Adergelassen.«
»Aber ich bitte Sie um Gottes Willen Doktor, schweigen Sie doch nur ein einziges Mal, wenigstens über Tisch, von ihren abscheulichen Operationen und Krankheiten« bat ihn da Henkels junge Frau, »Sie verderben uns jedes Mal das Essen.«
»Aber beste Madame Henkel« entschuldigte sich der Geschäftseifrige — »es sind das so natürliche Sachen, und was mit unserem eigenen Körper in Verbindung steht, sollte uns eigentlich nie Ekel verursachen — Hautkrankheiten vielleicht ausgenommen, besonders mit feuchten —«
»Ich verlasse den Tisch, wenn Sie nicht aufhören!« rief aber die junge Frau, jetzt ernstlich böse gemacht.
»Sie thäten überhaupt besser sich mehr mit Ihrem Teller zu beschäftigen« bemerkte jetzt auch Herr von Benkendroff, »Sie haben schon zweimal übergegossen, und die ganze Geschichte kommt hier nach uns herüber.«
»Halten Sie die Terrine!« schrie in demselben Augenblick der Capitain, halb von seinem Sitze emporfahrend, als das Schiff plötzlich scharf nach Starbord überlegte; der Tisch stand in dem Moment fast ganz gerade, ja lehnte eher noch etwas nach rechts hinüber, trotzdem daß das Schiff auf der Larbordseite lag. Der Doktor sah sich deshalb, so von allen Seiten zugleich ermahnt, auch bestürzt nach dem Capitain um, aber kaum wandte er den Blick von dem eigenen Teller, als dieser seinen Inhalt auch auf das Tischtuch ausleerte, und wie er ihn rasch und erschreckt, wenn gleich etwas zu spät, auskippte, holte das Schiff zurück.
»Die Terrine!« schrie nochmals der Capitain, aber das
donnernde Getöse einer über Bord schlagenden See, die das
Schiff bis in seine innersten Rippen erzittern machte, und an
Deck prasselte, als ob sie Breter und Planken in Atome schmettern
müßte, ließ seine Warnung, mit der Verwirrung die
ihr folgte, ungehört verhallen. Die ganze Tischplatte stand
in dem furchtbaren Wurf fast senkrecht, und die Terrine mit
allem was sie noch an heißer Hühnerbrühe enthielt, mit Kartoffeln
und Erbsen, und sämmtlichen Messern und Gabeln
wie sämmtlichen Suppentellern der Starbordlinie kam in dem
Ueberall in der ganzen Cajüte klirrte und klapperte es dabei, in dem Vorrathsspintge fielen die auf solchen Wurf nicht vorbereiteten Flaschen und Gläser durcheinander, in den verschiedenen Coyen stürzten Bücher, Cigarrenkisten und andere Sachen zu Boden nieder, und schurrten dort, mit der späteren Bewegung des Schiffes herüber und hinüber, und in der Coye des Fräulein von Seebald klirrte es und brach's, und das Fräulein stieß einen durchdringenden Schrei aus.
Der Doktor trug übrigens die ganze Schuld, und kaum
hatten sich die Passagiere nur wieder in etwas zusammen
An dem Nachmittag legte sich der Sturm. Die See
ging allerdings noch hohl, und wie der Druck nachließ, den
der Wind selber auf das Schiff ausgeübt, daß dieses sich
mehr emporrichten konnte, wurde auch die Bewegung desselben,
das Schlingern und Stampfen, eher noch heftiger; aber
die Wogen selber beruhigten sich doch mehr, wenn es auch
längere Zeit bedurfte ehe diese riesigen Wasserberge, die sich
Der bis dahin so ungünstig gewesene Wind, der das
Schiff mehr zurückgeworfen, als in seinem Cours vorwärts
gebucht hatte, räumte mehr und mehr auf Man sagt auf See, wenn der Wind günstiger wird, »er räumt
auf«, im entgegengesetzten Falle aber »er schrahlt weg!«
Vierzehn Tage waren nach dem, im vorigen Capitel beschriebenen
Sturm verflossen, und nichts Besonderes in der
Zeit an Bord der Haidschnucke vorgefallen. Der Wind blieb
ihnen aber, wenn auch nicht besonders stark, doch ziemlich
günstig, daß sie wenigstens fortwährend Cours anliegen oder
steuern konnten Es läßt sich denken, daß auf See nicht immer ein günstiger
Wind weht, den Schiffer gerade dahin zu treiben, wohin er eben will.
Wenn die Schiffe also nicht ihren gewünschten Cours steuern, oder (auf
dem Compaß) »anliegen« können, so müssen sie eben Das Wenden des Schiffes geschieht dadurch, daß man die, z. B.
erst zu Backbord scharf angebraßten Segel löst, und nach Starbord
oder auf die andere Seite hinüberbraßt, oder anzieht — und umgekehrt.
Mit dem Steuer wird dann nachgeholfen, und die Segel, welche
den Wind erst von der einen Seite faßten, fassen ihn nun von der
anderen.
Eine eigenthümliche Veränderung war aber doch mit
manchem der Passagiere, während der langen Seereise, vorgegangen.
Besonders die Männer, die sich im Anfang noch,
als ihnen das Schiffsleben fremd und ungewohnt vorkam,
wenigstens sauber und reinlich gehalten, und regelmäßig ihre
gewöhnliche Kleidung angelegt hatten, als ob sie an Land
gehen wollten, fingen an nachlässig zu werden, und ließen
ihrer Bequemlichkeit in dem Schmutz des Zwischendecks den
Zügel schießen. Diesen voran waren Steinert, und selbst Mehlmeier,
die schon lange ihre Tuchkleider in die Kisten gepackt,
und nur noch in den ersten Wochen angefangen hatten zwei
und drei Hemden wöchentlich auszuwaschen. Das machte ihnen
aber bald auch zu viel Müh'; wozu sich vor den Anderen geniren? — mit
der Cajüte, so oft sie das auch versucht, kamen
sie doch in keine Berührung, denn das nicht unbegründete
Gerücht daß sich Ungeziefer im Zwischendeck gezeigt, hielt jetzt
selbst Herrn von Hopfgarten ab sich noch zwischen die Leute
zu mischen, und für ihre gewöhnliche und alltägliche Gesellschaft
waren sie auch so gut und reinlich genug. In zertretenen
Pantoffeln und abgerissenen Staubhemden und Hosen,
Steinert ein rothgesticktes sehr schmutziges Sammetkäppchen,
Mehlmeier eine einfachere aber nicht reinlichere östreichische
Mütze auf (wobei der vergoldete Knopf vorn, wie der gelbe
Streifen darum ihm das Ansehn eines heruntergekommenen
Beamten gaben) trieben sie sich den Tag über an Deck herum,
Noch immer der Alte war und blieb Zachäus Maulbeere,
der Exprediger des Zwischendecks, der aber nichtsdestoweniger,
und trotzdem daß es ihm an Deck verboten worden, im unteren
Raum noch mehrmals Reden, und zwar meist in der angefangenen
Art gehalten, und immer eine bereitwillige Schaar
Zuhörer gefunden hatte. Die Bessergesinnten wollten es freilich
auch unten nicht dulden, und der fromme Weber meinte
der damalige Sturm sei unmittelbar der Gotteslästerung gefolgt,
ja ihr ganzes Schiff würde noch dem Zorn des Allmächtigen
verfallen, wenn sie den schlechten Menschen seine nichtsnutzigen
und teuflischen Reden unter sich halten ließen, die
Mehrzahl war aber gegen ihn, und die Steuerleute mochten
sich nicht in das mischen was unter Deck vorging, so lange
es nicht das Schiff selber betraf und schädigte. Uebrigens
trug er noch — und kein Mensch an Bord hatte ihn je ohne
Die einzige Person auf dem ganzen Schiff, mit der Maulbeere
je verkehrte und sich manchmal unterhielt — wenn das
Gespräch der Beiden überhaupt eine Unterhaltung genannt
werden konnte, — war der Mann mit den kurzgeschnittenen
Haaren, der sich selber Meier genannt, seine Frisur aber keineswegs
beibehalten, sondern der Natur, seit er auf dem
Am besten jedenfalls von allen Zwischendeckspassagieren hatte sich bis jetzt die Weberfamilie in das Schiffsleben hineingefunden. Er wie sie waren auch nicht einen Augenblick müßig an Bord, so lange die Sonne schien, und während die Frau für die Cajütspassagiere wusch und nähte, und besonders von Lobensteins eine Menge Arbeit bekam, die sie mit größter Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit ausführte, dann nebenbei auch noch ihre Kinder beaufsichtigte und, ein Muster den Uebrigen, sauber und reinlich hielt, half er dem Koch in der Küche das Geschirr auswaschen und scheuern, und wenn das beendet war, dem Zimmermann an Bord die verschiedenen nöthigen Arbeiten verrichten. Besonders eifrig zeigte er sich bei dem letzteren, die verschiedenen kleinen Handgriffe seines Geschäfts zu erlernen, und mit gutem Willen, von dem Zimmermann selber gern dabei unterstützt, gelang ihm das auch bald fast über Erwarten.
Wenig oder gar nicht mit seinen Mitpassagieren verkehrte
der junge Donner, der still und abgeschlossen sich die meiste
Zeit mit Lesen beschäftigte, oder auch wohl hinauf in die
Marsen stieg, und Stunden lang hinaussah auf das weite
Leupold selber hatte bis jetzt das Unglück das ihn betroffen
mit großer Standhaftigkeit ertragen, und war nicht von
dem Lager der Kranken gewichen Tag und Nacht; hatte er ja
doch noch immer eine Hoffnung, daß sich sein Weib erholen
könne, und ihm erhalten bliebe. Als aber auch diese ihn zuletzt
verließ, und sich ihm die Gewißheit des unersetzlichen
Verlustes endlich aufzwang, da brach die Kraft des starken,
besonnenen Mannes auch zusammen, und er weinte wie ein
Kind. Vergebens blieben alle Tröstungen der übrigen Passagiere,
die, mit wenigen Ausnahmen, innigen Antheil an seinem
Schmerze nahmen; was er sich selber vorzuwerfen hatte,
oder zu haben glaubte, fühlte er auch allein und am schärfsten,
und vermochte dem über ihn hereingebrochenen Unglück nicht
die Stirn zu bieten. Laut klagte er sich jetzt selber an, leichtsinnig
und thöricht sein Glück in der Heimath von sich geworfen
und mit Füßen getreten, ja
Am glücklichsten von allen Zwischendeckspassagieren schien
der junge Dichter und »Schriftgelehrte« Theobald — wie ihn
Steinert nannte — die Zeit an Bord zu verleben. Seinem
Maulbeere besonders, der ihm die frühere Charakteristik
noch nicht vergessen und ihn außerdem im Verdacht hatte daß
er ihn zeichnen wolle (etwas Schlimmeres hätte Maulbeere
gar nicht passiren können) fertigte ihn am gröbsten ab. Sobald
deshalb Theobald, oft nur zufällig ihm gegenüber Platz
und sein unausweichliches Buch zur Hand nahm, veränderte
Humoristischer faßte der älteste von den drei geheimnißvollen
Passagieren die Sache auf, denn dieser kam einer Annäherung
Theobalds, von der er bald den wahren Grund vermuthete,
auf halbem Wege entgegen, ließ sich mit ihm, ganz
gegen seine sonstige Gewohnheit, in ein wirklich vertrauliches
Gespräch ein, und willfahrte auch zuletzt sogar dessen Wunsch,
ihm einige Daten aus seiner eigenen Lebensgeschichte mitzutheilen.
Theobald vertraute ihm dabei, wahrscheinlich um
Der Mann war, seiner eigenen Aussage nach, der na
Unverhofft und wohl auch unerwünscht wurde sein Wiedererscheinen in Europa von seinem unnatürlichen Vater begrüßt, der aber doch jetzt nicht umhin konnte für den Sohn zu sorgen. Er verschaffte ihm also eine Stelle an der Bärenburger Staats-Eisenbahn, wo er ein sehr ruhiges und zufriedenes Leben hätte führen können, wenn sich nicht eine junge russische Gräfin auf der Durchreise in ihn verliebt, und ihn zu dem thörichten Schritt verleitet hätte sie zu entführen, oder sich vielmehr von ihr entführen zu lassen. Der Telegraph war schneller als ein genommener Extrazug, sie wurden eingeholt, die Gräfin kam, allem Vermuthen nach in ein sibirisches Kloster, und er selber auf die Festung nach Torgau wo er drei Jahre lang in Einzelhaft schmachtete. Seine Drohung endlich, wichtige Familiengeheimnisse eines deutschen Königshauses zu verrathen, verschaffte ihm die Freiheit wieder, und er ging jetzt als geheimer östreichischer Consul nach den Vereinigten Staaten dort — doch er durfte nicht indiscret sein, und wollte von seinen Instructionen Nichts verrathen.
Theobald war dem Beginn der Erzählung in freudiger,
man könnte fast sagen gieriger Aufregung gefolgt; je weiter
sich der Bursche aber in seine romantische Schilderung verlor,
desto stutziger wurde er, hörte auch auf, sich die einzelnen Daten
zu notiren, und betrachtete den Erzähler mit einem allerdings
noch immer aufmerksamen, doch etwas mißtrauisch gewordenen
Blick, der offenem Mißmuth Raum gab, als
Jener ihm auch noch den östreichischen Consul aufbinden
wollte.
»Lieber Freund« sagte er dabei, während er von dem Wasserfaß auf dem er gesessen, aufstand, und sein kleines Notizbuch in die Tasche zurückschob — »Sie glauben vielleicht daß Sie sich einen Spaß mit mir erlauben können —«
Furchtbares Gelächter unterbrach ihn aber in jeder weiteren Protestation, denn oben in der, mitten auf Deck aufgestellten Berkasse, hatten von ihm ganz unbemerkt die beiden Kameraden des Burschen gelegen, und der ganzen Erzählung mit unbeschreiblichem Behagen zugehört, dem sie erst jetzt Luft machten, als sie merkten daß der »Langhaarige« wie er auf dem Schiffe hieß, doch nicht länger anbeißen wollte.
»Hahahaha!« schrie dabei der Jüngste — »ob er sich nicht Alles dabei aufgeschrieben hat wie ein Polizeispion —«
»Daß ich ein afrikanischer Prinz wäre hat er geglaubt« lachte nun auch der Alte — »aber der östreichische Consul blieb ihm in der Kehle stecken.«
Theobald war entrüstet, und eben im Begriff dem profanen Menschen in voller Verachtung zu erwiedern, besann sich aber noch eines Besseren, drehte sich scharf auf dem Absatz herum, und verließ mit einem durchbohrenden Blick auf die Gruppe, der von einem lauten Hurrah der Uebrigen erwiedert wurde, rasch den Platz.
»Guten Morgen Herr Theobald« sagte in diesem Augenblick
Meier der jedenfalls auch ein heimlicher Zeuge der Scene
gewesen sein mußte, zu dem entrüsteten Dichter, dem er auf
dem anderen Gangweg begegnete — »wünschten Sie nicht
vielleicht jetzt auch
»Gehn Sie zum Teufel!« rief aber Theobald, der den in dem Anerbieten enthaltenen Hohn nicht mißverstehen konnte, in voller Entrüstung, und warf beinah den Waschtrog über den Haufen, an dem des Webers Frau beschäftigt war, nur um dem fatalen Menschen so rasch als möglich aus dem Weg zu kommen. Meier blieb aber stehn, sah ihm erst lächelnd eine Weile nach, und dann sich zu dem Weber wendend, der unsern davon an des Zimmermanns Hobelbank stand und arbeitete sagte er, während er mit dem Daumen seiner rechten Hand über die Achsel hinter dem Fortstürmenden her deutete:
»Ein liebenswürdiger junger Mann das, Kamerad; den müssen wir uns zum Freunde halten, oder er streicht uns rabenschwarz an, wenn er einmal in Amerika unsere Reise beschreibt,« und sich vor heimlichem Lachen ordentlich schüttelnd, ohne daß jedoch sein Gesicht einen freundlicheren Ausdruck dadurch bekommen hätte, stieg er durch die hintere Luke in's Zwischendeck hinab.
Der Weber sah ihn an während er sprach, und hobelte dann eine Zeit lang ruhig weiter; endlich aber, als ob er mit seinen Gedanken doch nicht recht einig werden könne, legte er den Hobel hin, ging die paar Schritte zu seiner Frau hinüber und sagte, sich das Kinn mit der linken Hand streichend, und nachdenklich in die Luke hinab hinter dem Manne herschauend:
»Wenn ich nur wüßte wo ich das Gesicht von dem da schon früher einmal gesehen habe — vorgekommen ist mir's schon, darauf wollt' ich das heilige Abendmahl nehmen, und jetzt zerbrech ich mir schon seit drei Tagen den Kopf wo ich ihn hinthun soll.«
»Wen? — den finsteren schwarzen Burschen, der sich jetzt den großen schwarzen Bart stehn läßt seit er auf dem Schiff ist?« sagte die Frau, ebenfalls in ihrer Arbeit ruhend — »das ist ein mürrischer Gesell, und je weniger man mit ihm zu thun hat, desto besser.«
»Vater« sagte da Hans, des Webers ältester Junge, der für die Mutter die Wäsche ausgerungen und in einen trockenen Kübel gelegt hatte — »der hat beinah so ein Gesicht wie der Fleischer, der an dem Tage bei uns war als es so furchtbar stürmte und regnete.«
»Gott sei mir gnädig ob der Junge nicht recht hat!« schrie die Mutter da, und ließ vor Schrecken die Seife fallen. »Das ist der rohe Mensch der so häßlich von den Kindern sprach; darum ist mir das finstere Gesicht auch immer so fatal und unheimlich gewesen. Herr Du mein Gott, ist mir der Schreck doch ordentlich in die Glieder gefahren« — setzte sie nach einer kleinen Pause tief aufseufzend hinzu — »wo er nur herkommt und weshalb er von daheim fort sein mag?«
»Wegen was Gutem nicht« sagte der Mann mit dem
Kopfe nickend, und umsonst hat er sich nicht den dicken Bart
»Das ist also seine Frau, die lange hübsche Person, die immer krank in der Coye liegt?« frug die Frau.
»Er sagt's wenigstens« meinte der Weber — »und sie gilt dafür.«
»Aber wo sind denn seine Kinder?« fuhr die Frau rascher fort — »weißt Du nicht daß er uns damals sagte er hätte so viel — zum Abgeben? — ich hab' es nicht vergessen, denn das gerade hat mir den Mann gleich von allem Anfang an so verhaßt gemacht.«
»S'war wohl auch nur eine Prahlerei« brummte der Weber achselzuckend — »und er that sich groß mit seiner Gleichgültigkeit. Leider Gottes rühmen sich die meisten Menschen nur gewöhnlich etwas, dessen sie sich eher schämen sollten, wenn sie Verstand wie Herz auf dem rechten Fleck hätten. Ich bin übrigens nur froh daß ich herausbekommen habe wohin ich des Burschen Gesicht thun sollte — der Hans hat doch ein gutes Gedächtniß —«
Und damit ging er zurück zu seiner Hobelbank, wo er gleich darauf die hingelegte Arbeit wieder aufnahm, und rüstig daran fortarbeitete, bis der Koch zum »Schaffen« rief, und der Zimmermann kam, sein Handwerkszeug für die Nacht fortzupacken.
Auf dem Quarterdeck hatten sich indessen an dem Nachmittag,
sehr zum Aerger der alten Frau von Kaulitz, die heute
selbst nicht Herrn von Benkendroff an den Spieltisch fesseln
konnte, sämmtliche Passagiere versammelt, den herrlichen warmen
und sonnigen Tag sowohl zu genießen, als auch eine
Freudenbotschaft des Capitains zu feiern. Dieser hatte ihnen
nämlich nach seiner um 12 Uhr genommenen Observation
erklärt, daß sie morgen, wenn der Wind so aushielte, oder
eher noch ein wenig besser würde, und die Strömung sie nicht
zu weit nach Norden versetze (Schiffscapitaine haben in einem
solchen Fall immer eine Masse
»Wo ist es? — dort hinten — ich habe es den ganzen
Morgen schon gesehn — oh Gott bewahre, das ist nur ein
schwarzer Schattenstreif auf dem Wasser — nein
Am lautesten in ihrer Freude waren ein paar Oldenburger
Bauernfamilien, die sich besonders unzufrieden auch unterwegs
schon über die Schiffskost gezeigt und den Capitain
Morgen Land — das Wort verschlang aber in dieser
Stunde alle anderen Gedanken, wenn auch das versprochene
noch nicht in Sicht war, und viele, viele Meilen Seeraum
noch zwischen ihm und dem, mit vollen Segeln dorthin strebenden
Schiffe lagen. »Morgen Land« — die meisten Passagiere
verwechselten dabei, in dem Freudenrausch des neuen Ein Auswandererschiff erreichte vor einer Reihe von Jahren
eines Abends den Hafen von New-York, aber die Nacht brach ein, es
wurde dunkel und die Brise heftiger, so daß der Capitain lieber den
Morgen abwarten wollte, einzulaufen. Die Nacht erhob sich ein Nord-Wester,
das Schiff wurde wieder in See zurückgeworfen und brauchte
nachher noch drei volle Wochen, ehe es im sicheren Hafen Anker werfen
konnte.
Die erste Kiste gleich, die zu Tag kam, gehörte den beiden
Schwestern, Rechheimers Verwandten, die mit Hedwig
eine Coye theilten, und besonders laut schon gejammert hatten,
daß sie einige Sachen nothwendig daraus haben
Die Passagiere drängten indeß auf dem von der Luke zurückgeschobenen
Gepäck umher; wer seine Coye dort hatte, stieg
hinein, um von dort die Verhandlung zu überschauen, und
wer nicht so glücklich war, suchte auf den aufgestapelten Kisten
und Koffern, oder am oberen Lukenrand einen Platz und
Ueberblick zu gewinnen, als ob da unten wirkliche Sehens- und
Merkwürdigkeiten gezeigt, und nicht eben nur ein paar
Auswandererkisten geöffnet und durchstöbert werden sollten,
die keinesfalls etwas anderes enthielten, als Wäsche und Kleider.
Auf See wird aber auch selbst das Unbedeutendste zum
Ereigniß, wenn es eben das alltägliche Leben unterbricht und
irgend eine Veränderung bringt, und die Passagiere geben sich
dem nicht selten wie Kinder hin, die nur nach einem bunten
neuen Spielwerk greifen, um es im nächsten Augenblick wieder
bei Seite zu werfen. So war denn auch hier kaum der
Deckel von der Kiste gehoben, Rebecca, die eine der Schwestern,
ein junges, allerliebstes schwarzäugiges Mädchen von
vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahren, hatte eben die oberste
Schicht Leinen abgenommen, und ein etwas buntes Kattunkleid
herausgehoben, als von den Lippen der nächst Sitzenden
»Ah!« tönte es fast von jeder Lippe, die Anderen, die nicht in Sicht der vorgehenden Dinge kommen konnten, aus Neugierde fast zur Verzweiflung treibend — »ah wie schön, ah wie wunderschön — ja Fräulein Rechheimer — na das wird ein Staat werden, in New-Orleans — Donnerwetter, die Amerikaner werden wir einmal verblüffen« — »Ah!« tönte es dann wieder in lautem Chor, als ein roth und grünseidenes, hochgelb geflammtes Tuch zum Vorschein kam — »ah wie wunderschön!«
»Oh höre Se auf mit Ihre Dummheite« sagte die ältere Schwester Sarah, halb lachend, halb ärgerlich, aber der Chor stimmte ein, und während die Mädchen roth wurden und nicht wußten ob sie lachen oder böse werden sollten, mußten sie doch all ihre Herrlichkeiten den Blicken des dankbaren Publikums preisgeben, das mit einem Beifallssturme jedes neue Stück von Schmuck oder Putz begrüßte.
Madame Löwenhaupt ließ gleich darauf eine von ihren
Kisten öffnen, erklärte aber dabei von vornherein, sich dergleichen
Verhöhnung für ihre eigene Person nicht gefallen zu lassen;
das machte jedoch das Uebel wo möglich noch ärger, denn
wenn das leichtsinnige Völkchen des Zwischendecks erst im Anfang
gejubelt hatte, so erhob sich jetzt, als das hochrothe Staatskleid,
und zuletzt sogar ein Feder- und Blumenbesteckter Hut
der kleinen, keineswegs mehr hübschen Frau zum Vorschein
kamen, ein wahrer Beifallssturm und solcher Heidenlärm, daß
Die Aufmerksamkeit der Passagiere wurde aber auch selbst
hiervon abgelenkt, als ein anderes Schauspiel vor ihnen auftauchte.
»Ein Handwerksbursch — ein armer Handwerksbursch!«
schrie es von Deck aus, und lauter schallender Jubel
begrüßte hier einen jungen Burschen, einen Schuhmachergesellen,
der sich, als Alle ihre Sachen vorholten, zum Spaß seinen
»Landrock« herausgesucht, den großen ausgeschweiften Hut
aus der Kiste, den mit schwarzer Wäsche ausgestopften Tornister
mit ein paar eingebundenen Reservestiefeln auf den Rücken,
und den Knotenstock in die Hand genommen hatte, und nun
mit großen geschäftigen Handwerksburschenschritten unter dem
Zujauchzen der Passagiere und Matrosen, auf dem Starbordgangweg
auf und ab paradirte. Der Jubel wurde aber noch
Die Cajütspassagiere hatten sich aber auch schon über das
rege geschäftige Leben, das heute am Deck herrschte, amüsirt,
und Clara besonders lachte mit Marie, das ihnen die Thränen
»Wir können doch wahrhaftig nicht sagen« rief die muntere junge Frau lachend, »daß wir von derartigen Leuten überlaufen werden, und eine Schande wär's für ewige Zeiten, wenn wir den ersten armen reisenden Handwerksburschen, der uns auf offener See anspricht, unbeschenkt entließen. Du mußt mir etwas kleines Geld geben, Joseph.«
Der junge Henkel, der wahrscheinlich auch mit den Vorbereitungen der baldigen Landung beschäftigt, den ganzen Tag schon in seiner Coye geordnet und umgepackt hatte, und jetzt auf einer der Quarterdecks-Bänke saß und in seinem Taschenbuch rechnete und notirte, hatte sich bis jetzt auch nicht im Mindesten um das bekümmert was im Zwischendeck vorging, und selbst nicht auf das Lachen und den Jubel um sich her weiter, als mit einem gelegentlichen theilnahmlosen Blick geachtet. Nur die direkt an ihn gerichtete Bitte machte ihn aufschauen, und Clara mußte sie wiederholen, ehe er sie nur verstand.
»Kleines Geld, liebes Kind, habe ich nicht mehr« antwortete
er dann, die Achseln zuckend und seine Papiere wieder
vornehmend. »Deutsche Grote nutzen uns doch Nichts mehr
in Amerika, und ich habe nicht allein die letzten in Brake ausgegeben,
sondern auch schon, wie Du recht gut weißt, Deine
»Ja lieber Gott, so geht es uns auch« rief Marie, die ebenfalls ihr Portemonnaie herausgeholt hatte und es vergebens durchsuchte, »all unser kleines Geld ist ausgegeben und wir sind des Webers Frau, der Frau Brockfeld, noch außerdem eine kleine Summe schuldig, die ihr der Vater versprochen hat in Amerikanischem Gelde zu bezahlen sobald wir an Land kommen.«
»Armer reisender Handwerksbursch — seit drei Tagen keinen warmen Löffel im Leibe gehabt!« sagte in diesem Augenblick der junge Bursch, indem er sich halb schüchtern, als ob er nicht wisse wie der Scherz aufgenommen werde, den Damen mit vorgehaltenem Hute und tiefem Kratzfuß näherte — »möchte gern das Handwerk begrüßen, aber habe keinen einzigen Schuster hier vorgefunden.«
»Lieber Joseph« bat die junge Frau schmeichelnd, »bitte, laß doch nur einen Augenblick Deine alten häßlichen Papiere und sieh Dir den armen Handwerksburschen mit den bestaubten Stiefeln an — er kommt direkt von der Landstraße, und — ah mir fällt etwas ein — Du hattest neulich kleines Englisches Geld, das Du mir zeigtest — Du hast das noch, nicht wahr? — warten Sie einen Augenblick« wandte sie sich dann rasch zu dem verlegen stehen bleibenden Burschen — »Sie sollen gleich bekommen — nicht wahr, Du giebst mir ein paar von den kleinen Stücken; die gelten auch in Amerika.«
»Aber liebes Kind, ich weiß wirklich nicht wo sie sind,
»Aber der Handwerksbursch« sagte die muntere, kleine Frau in komischer Verzweiflung — »thatest Du es nicht damals in Dein Toilettkästchen?«
»Ich glaube, ja« sagte Henkel zerstreut, und froh damit abzukommen — es steht unten auf meinem Bett.«
»Hedwig mag es holen« rief Clara rasch — »Du weißt Hedwig, das kleine Lederetui mit dem goldenen Schloß« — auf dem oberen Bett in der Coye —
Hedwig, die eben aus dem Zwischendeck heraufgekommen war, zu sehen ob ihre junge Herrin etwas bedürfe, sprang rasch in die Cajüte hinab, und kam gleich darauf mit dem verlangten Kästchen zurück.
»Aber es ist verschlossen« sagte Clara, damit zu dem, wieder ganz in seine Papiere vertieften Manne tretend »hast Du den Schlüssel?«
»Du quälst mich mehr wie mein Geld, Herz,« sagte dieser halb lächelnd, halb ungeduldig in seine Westentasche greifend, aus der er ihr gleich darauf einen kleinen gelben Schlüssel überreichte.
»Danke, danke« rief Clara, es rasch und freudig öffnend, »und nun, Marie, bekommen wir Geld —«
»Halt — gieb mir das Kästchen — ich will es Dir selber geben« — rief da, plötzlich von seinem Sitze rasch emporspringend daß die Papiere selber unbeachtet zu Boden fielen, Henkel, und eilte auf sie zu.
»Ich habe es schon« sagte die Frau lächelnd, ohne seine plötzliche Aufregung zu bemerken — »hier ist ein Stück und hier — heiliger Gott — da ist ja —«
Sie vermochte nicht mehr zu sagen, denn Henkel hatte in demselben Moment das Kästchen ergriffen; aber seine Hand zögerte es fortzunehmen, und sein Auge begegnete in demselben Moment fast bewußtlos dem stieren, fest und entsetzt auf ihm haftenden Blick seines Weibes.
Henkel war todtenbleich geworden, aber er nahm jetzt das Kästchen fast mechanisch aus Clara's Hand, verschloß es und steckte den Schlüssel wieder in die Tasche, während er sich abwandte, die niedergefallenen Papiere aufzulesen.
»Hast Du das Geld, Clara?« rief Marie lachend, die in dem Augenblick gerade nach dem Rande des Quarterdecks gesprungen war, die Ursache eines neuen Lärmes zu erkunden, der von der Zwischendecksluke heraustönte — »ich glaube dort unten schlagen sie sich.«
»Hier ist es« sagte Clara, sich gewaltsam sammelnd und ihr das Geldstück, das sie noch in der Hand hielt, reichend — »gieb es dem Mann.«
»Gott vergelt's tausendfach« sagte der Handwerksbursch,
der indessen bei den anderen Passagieren, mangelnden kleinen
Geldes wegen, ebenfalls mit sehr geringem Erfolg gesammelt
hatte, und jetzt ebenfalls ungeduldig nach dem Zwischendeck
hinabschaute — »da unten schmeißen sie sich aber, glaub'
ich, und da möcht' ich dabei sein« — und seinen Tornister mit
einem plötzlichen Ruck höher auf die Schultern bringend, und
»Joseph« sagte die Frau mit leiser, kaum hörbarer Stimme, während sie zu ihm ging und seinen Arm erfaßte — »Joseph, — in — dem — Kästchen — lag — Heiland des Himmels und der Erde, ich glaube, ich werde oder bin wahnsinnig — in dem Kästchen lag meiner Schwester Broche — der blaue, dreieckige Turquis. — Wie — wie um Gottes Willen kam — kam der Stein —«
»Ich habe ihn gefunden« sagte Henkel, der jetzt wenigstens äußerlich seine ganze Fassung wieder gewonnen hatte, mit gezwungener Gleichgültigkeit — »am Tage, ehe wir abreisten — er lag unten im Haus, und ich wollte Nichts davon erwähnen, die alte Geschichte nicht noch einmal aufzurühren.«
Er sprach die Worte vollkommen ruhig, nur mit etwas
unterdrückter Stimme, daß der Mann am Steuer sie nicht hören
sollte, aber sein Gesicht hatte jeder Blutstropfen verlassen,
Die Sonne ging unter und der Steward rief zum Souper; aber Clara ließ sich entschuldigen. Sie hatte Kopfschmerzen und die Augen thaten ihr weh. Marie wollte sie nach dem Essen besuchen, um zu sehen was ihr fehle, aber die Thür war noch immer verschlossen, und wurde auch nicht geöffnet, und erst spät ließ die junge Frau Hedwig noch einmal zu sich rufen.
Hedwig, das arme Kind, hatte jetzt auch eine schwere Zeit,
denn des Tischlers Frau war heute über Tag wieder so krank
geworden, daß sie Georg Donner keinen Augenblick verlassen
wollte, und das Schlimmste zu fürchten schien. Die alten
Phantasieen stellten sich dabei wieder ein, der Lärm den
Tag über mochte sie auch aufgeregt und beunruhigt haben,
und das Brennen und Pochen im Kopfe war ärger als je geworden.
Hedwig hatte auch schon die ganze vorige Nacht bei
ihr aufgesessen, und eben war die Kranke, zum ersten Mal wieder
seit acht und vierzig Stunden, in einen kurzen, unruhigen
Rasch und ängstlich eilte sie zurück in die Cajüte, und klopfte an der beiden Gatten enges, aber sehr freundlich eingerichtetes Gemach. Ein leises »Herein« antwortete, und sie fand Clara schon auf ihrem Lager, das Antlitz fest in ihr Kissen gedrückt, von dem aus sie der Eintretenden, ohne zu ihr aufzusehn, nur die Hand entgegenstreckte.
»Liebe, liebe Frau Henkel, was fehlt ihnen?« flüsterte das Mädchen, neben der niederen Coye knieend, und die ihr gebotene Hand mit Küssen bedeckend — »sind Sie krank? — was um Gottes Willen ist vorgefallen?« —
Aber Clara vermochte kein Wort zu erwiedern — sie hatte sprechen wollen, aber sie fühlte daß es in diesem Augenblick ihre Kräfte überstieg, und nur schweigend hielt sie eine lange, lange Zeit die Hand des Kindes fest und krampfhaft in der ihren.
»Liebe, liebe Frau Henkel« wiederholte Hedwig bittend — was ist Ihnen? — kann ich Ihnen helfen?« —
»Ja Hedwig — ja —« hauchte die Kranke mit kaum hörbarer Stimme — »Du allein — aber nicht heute mehr — komm morgen — morgen früh —«
»Aber wenn Sie mir indessen ernstlich krank werden?«
bat das junge Mädchen, die nicht begreifen konnte was die
räthselhaften Worte bedeuteten — »Soll ich nicht lieber doch
Herrn Donner rufen, den jungen Arzt, den wir im Zwischen
»Ich bin nicht krank« flüsterte aber die Frau — »wenigstens nicht so, daß mir ein Doktor Mittel dagegen verordnen könnte — nur Ruhe brauche ich — Ruhe — so bitte, Hedwig — laß mich jetzt allein.«
»Darf ich nicht bleiben?«
Die Leidende schüttelte, ohne weiter ein Wort zu sagen, den Kopf, und Hedwig, gehorsam dem gegebenen Befehl, stand langsam auf, zögerte noch einen Augenblick in der Thür, ob die Kranke nicht den Befehl doch wohl widerrufen könne, und verließ dann, so geräuschlos wie sie es betreten, aber mit einer schweren Sorge mehr im Herzen, das Gemach.
»Was fehlt nur Clara, Herr Henkel?« frug Marie den jungen Mann, der mit verschränkten Armen und langsamen Schritten oben auf dem Quarterdeck auf und ab ging, und bei ihrer Anrede rasch und wie erschreckt emporschaute; »das muß ganz plötzlich geschehen sein, denn vorhin war sie ja noch so munter und ausgelassen, wie ich sie fast noch gar nicht gesehen.«
»Heftiger Kopfschmerz, weiter Nichts« erwiederte ihr Henkel, jetzt vollkommen ruhig — »sie klagte schon letzte Nacht darüber, und es schien sich über Tag vollständig gelegt zu haben kehrte aber den Abend plötzlich und weit stärker wieder. Ruhe allein ist was sie braucht, der Schmerz geht dann von selbst vorüber.«
»Wie Schade daß das gerade heute ist« klagte das junge
»Wirklich« erwiederte Henkel zerstreut — »und wer musicirt?«
»Der alte Polnische Jude mit dem schmutzigen schwarzen Kaftan; er darf aber nicht auf das Quarterdeck kommen« setzte sie lachend hinzu — »er sieht gar so verdächtig aus, und wird seine Vorstellung unten vor dem großen Mast geben.«
»Oder dahinter« sagte das junge Mädchen, halb lachend halb ärgerlich den Kopf schüttelnd — »Sie wissen recht gut, daß ich Ihre Schiffsausdrücke nicht verstehe, noch weiß ob man vor oder hinter dem großen Mast sagen muß; aber leid thut mir's daß Clara nicht dabei sein kann.«
»Ist Ihre Frau wirklich krank?« frug da der kleine Mann rasch und besorgt — »davon habe ich ja kein Wort gewußt.«
»Nur unbedeutende Kopfschmerzen — aber was für ein Instrument wird denn gespielt?« frug Henkel, der das Gespräch nach anderer Richtung zu lenken wünschte, »wohl eine schreckliche Violine und Flöte.«
»Dießmal nur eine Holzharmonika« versicherte Hopfgarten,
»der Jude ist ein armer Teufel, der sich ein paar Thaler
zu verdienen wünscht ehe er an Land geht. Er hatte mich
schon lange um meine Verwendung bei der Cajüte gebeten,
»Ich freue mich darauf ihn zu hören« sagte Henkel.
»Ja wohl, es giebt endlich einmal wenigstens eine kleine Abwechslung in unsere doch eigentlich schauerlich monotone Existenz« rief von Hopfgarten — »Ihre Frau Gemahlin darf aber nicht dabei fehlen; sie allein bringt ja meist Leben und Bewegung in das stehende Wasser unserer Geselligkeit. Wenn es ihr irgend möglich ist, laß ich sie recht schön bitten von der Parthie zu sein, und wenn sie auch nur in ihrem Negligé eine halbe Stunde an Deck kommt.«
»Ich werde es sie wissen lassen« sagte Henkel und drehte sich ab, seinen Spatziergang an Deck fortzusetzen.
Der Polnische Künstler hatte indeß seine Vorbereitungen
getroffen, seinen kleinen Tisch hinter die Pumpen gestellt, daß
er mit dem Rücken gerade gegen die Nagelbank des großen
Mastes zu stehen kam, und während sich die Passagiere dicht
um ihn her schaarten, und mit der Mannschaft oben auf der
Barkasse, auf der Nagelbank selber, und in den den Platz gerade
übersehenden Wanten hingen, sammelten sich die Cajüts
Er hatte sie übrigens noch gar nicht wieder gesprochen; wie aber die Cajütspassagiere oben versammelt waren, und selbst der Steward und Cajütsjunge dem Drang nicht widerstehen konnten, die »neue Musik« zu hören, verließ er unbeachtet seine Mitpassagiere, und stieg mit langsamen aber festen Schritten die Treppe hinab in die Cajüte. Einen Moment zwar zögerte er, als er die Klinke berührte die seinen eigenen Raum erschloß, aber es war auch nur ein Moment, und mit fester Hand öffnete er die Thür, die er wieder hinter sich in's Schloß drückte.
Die junge Frau hatte ihr Lager verlassen und saß, das Taschentuch fest gegen die Augen gepreßt, den linken Ellbogen auf den kleinen Tisch gestützt, regungslos da. Sie mußte auch den eintretenden Gatten gehört haben, denn ihr ganzer Körper zitterte vor innerer Aufregung, aber sie bewegte sich nicht und blickte nicht empor.
»Clara!« sagte Henkel mit leiser, doch fester Stimme — »was hast Du nur? — was ist Dir? — ich glaube wahrhaftig, Du hast Dir in toller Einbildungskraft irgend eine fixe Idee, mag sie noch so absurd und wahnsinnig sein, in den Kopf gesetzt.«
Die Frau antwortete nicht, aber das Zittern ihres Kör
»Clara! — Dein
»
»Sei vernünftig, Clara!« sagte aber jetzt Henkel mit ruhigerer begütigender Stimme, denn der Anblick der Frau, die Veränderung, die nur die wenigen Stunden in ihren Zügen hervorgebracht, traf ihn wie ein Stich in's Herz — »quäle Dich vor allen Dingen nicht mit einem albernen Verdacht, der Dir nur das Leben verbittern, und doch Nichts nützen könnte. Was hast Du, sprich es frei heraus, daß ich im Stande bin mich zu vertheidigen, aber fasse Dich dann auch und zeige Dich wieder an Deck, denn die Leute fragen nach Dir, wollen wissen, was Dir fehlt, und was Dich so plötzlich betroffen haben könnte.«
»Und hast Du es ihnen nicht gesagt?« frug die Frau,
»Ich? — was soll ich ihnen sagen — sei keine Thörin
Clara, und vor allen Dingen
»Mit
»Du bist ein
»
Ein lindernder Thränenstrom brach sich in diesem Augenblick die Bahn, und in sich zusammengeknickt sank die Frau auf den Stuhl zurück und schluchzte laut.
Henkel blieb volle Minuten lang mit unterschlagenen Armen und finster zusammengezogenen Brauen vor ihr stehn; zwei- oder dreimal öffnete er auch den Mund, aber kein Laut kam über seine Lippen, bis draußen in der Cajüte, durch die sie nur durch eine dünne Bretterwand geschieden waren, Stimmen laut wurden. Es war Frau von Kaulitz mit Herrn von Benkendroff und dem armen Hopfgarten als Nachtrab, da sich die Dame unter keiner Bedingung länger ihr Whist wollte entziehen lassen.
Henkel richtete sich gewaltsam auf, strich sich die Haare aus der Stirn und sagte mit unterdrückter, aber fester entschlossener Stimme:
»Du wirst wissen Clara, wie Du Dich hier an Bord zu
benehmen hast — ich lasse Dich jetzt allein und hoffe Dich
morgen früh wieder
Eine abwehrende Bewegung der ausgestreckten Hand war Alles was die Frau darauf erwiederte, die sonst regungslos in ihrer Stellung blieb, und Henkel verließ rasch den kleinen Raum und betrat die innere Cajüte, zugleich den Gesellschafts- und Speisesaal, wo Herr von Benkendroff eben den Spieltisch in Ordnung brachte, und Herr von Hopfgarten indessen als Opfer auf dem schon bereit gerückten Stuhle saß, und mit vor sich auf dem Tisch gefalteten Händen die Daumen umeinander jagte.
»Hallo Herr Henkel« rief er aber diesem sich rasch nach
ihm umdrehend entgegen, als er ihn aus seiner Cajüte treten
»Es geht besser« erwiederte Henkel ihm zunickend, mit vielleicht absichtlich lauter Stimme — »ich bin fest überzeugt daß sie morgen wieder wohl genug sein wird, am Frühstückstisch zu erscheinen.«
»Nun das freut mich herzlich« sagte der kleine gutmüthige
Hopfgarten — »aber, apropos lieber Henkel« setzte er rasch
und lauter hinzu,
»Es thut mir wirklich leid das heute Abend nicht im Stande zu sein — ich muß doch dann und wann nach meiner Frau sehn« erwiederte aber Henkel, die äußere Cajütsthüre öffnend, während Hopfgarten, mit einer gewissen Resignation auf seinem Stuhl, aus dem er sich schon in halber Hoffnung erhoben hatte, zurücksank, und die jetzt vor ihn hingelegten Karten an zu mischen fing.
Der nächste Morgen dämmerte; weit im Osten drüben
färbte sich der Horizont mit einem mattlichten Streif, der
einen weiten dunklen Schatten auf das Wasser warf, und die
Sterne im Westen schienen noch einmal so hell und lebendig
zu funkeln, ehe der feindliche Tag sie vom Himmel trieb.
Oede und kaum sich bewegend in kleinen rollenden, fahlgrauen
Wogen lag das Meer — ein schlummernder Koloß, gewaltig
selbst in seiner Ruhe, und furchtbar, entsetzlich in seinem Zorn,
und mit eben geblähten Segeln, wie ein Schwan auf stiller
Fluth, zog das Schiff langsam dahin auf seiner Bahn.
Aber in seinem Innern regte und trieb geschäftiges Leben, der
frühen Morgenstunde zum Trotz, denn heute war ihnen, was
sie gestern nicht zu sehn bekommen, versprochen worden —
Vorn auf der Back bis an den Clüverbaum Clüverbaum ist das was die Stenge auf den Masten ist, die
Verlängerung des Bugspriets, an der die vorderen dreieckigen Segel
(Clüver) befestigt sind.
Und mehr und mehr im Osten lichtete sich der Himmel, über dessen weiten Bogen zuckende weißliche Strahlen heraufschossen und den kleinen zerstreuten Wolken einen rosigen Schimmer gaben; breiter und lichtgelber wurde der Streifen, den das Meer jetzt schon in seinem Glanze wiederspiegelte, und dort — wie ein glühender Berg in blendender Majestät stieg sie empor des Tages Königin — und dort —
»Land! Land!« jubelte es von den Masten und Raaen, wo hinauf auch schon Matrosen gestiegen waren, mit weit geübteren Blicken den westlichen Horizont zu erspähen — »Land! Land!« jauchzte es vom Deck ein Echo dem Freudenruf, und nur mitten hinein in den Rausch der Glücklichen, denen das ersehnte Ziel vor Augen lag, stieg ein einzelner wilder Klageruf, wie ein Mißton dieser Harmonie, wild und gellend aus dem Zwischendeck heraus.
»
»Was ist geschehn — wer ist todt? wer klagt da unten?« drängten und flüsterten die Leute durcheinander.
»Leupolds Frau ist eben gestorben« klang aber die Antwort zurück, und die Gruppen, von denen nur einige neugierig in das Zwischendeck hinabstiegen, während die Uebrigen sich mitleidig flüsternd an Deck über den traurigen Fall unterhielten, sammelten sich um die Luke und warfen nur manchmal scheu den Blick nach unten, wo Leupold neben der Leiche saß, ihre kalte Hand zwischen seinen Händen hielt, und sich selber laut anklagte der Mörder der Dahingeschiedenen zu sein, die er gegen ihren Willen aus dem Vaterland, und in Verhältnisse gerissen habe, denen das zarte Leben unterliegen mußte. Vergebens suchte ihn die Mutter, suchten ihn seine Freunde zu trösten daß Gott es so gewollt, und er ja nur ausgewandert sei, weil er gehofft habe für die Seinigen in dem neuen Vaterland besser sorgen zu können. »Nein, nein!« schrie er immer wieder — »es ist nicht wahr — es ist nicht wahr — reiner Uebermuth nur war es von mir — reiner toller Uebermuth daß ich, von habgierigen Menschen verlockt, mein sicheres Brod verließ und dem Versucher folgte. — Ich habe sie gemordet, mit kaltem Blut gemordet und Gott wird mich dafür strafen, Gott wird mich dafür strafen.«
»Was der Bursche da unten für ein Gewinsel macht daß
ihm die Frau abgefahren ist« brummte der älteste von den
»Die Hälfte von uns Menschen weiß nie wann's ihr am wohlsten ist« sagte Meier ebenfalls ohne von seiner Beschäftigung aufzusehn.
»Mancher hielt's für ein Glück« meinte der Erste wieder.
»Für Manchen wär's eins« brummte Meier, und die Unterhaltung kam hier wieder für eine Weile in's Stocken; dem sonst so schweigsamen Passagier schien aber heute daran gelegen mit dem Anderen das Gespräch fortzusetzen, und er sagte nach ein paar Minuten wieder, in denen Jeder still und mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt vor sich nieder gesehn:
»Kommen nun bald nach Amerika.«
»Ja« erwiederte Meier lakonisch — »wird ein Vergnügen werden.«
»Ihr versprecht Euch nicht viel davon?«
»Müßt' es lügen.«
»Ein Geschäft?«
»Fleischer« —
»Hm« —
»Und Ihr?«
»Ich?«
»Ja« —
»Schlosser!« sagte der Alte und warf dabei einen flüchtigen Seitenblick nach dem Mitpassagier, ohne dessen nach ihm hinübersuchendem Auge zu begegnen.
»Gutes Geschäft und nährt seinen Mann« sagte Meier endlich nachdenklich — »muß aber recht betrieben werden — Kein Werkzeug?«
»Steht nicht zu erwarten« sagte der Mann.
»Hm, nein« —
»Schon eine Idee wohin Ihr geht drüben?« frug der Alte endlich wieder nach einer zweiten Pause.
»Drüben? — wo?«
»Nun dort« — und er deutete mit dem verkehrt gehaltenen Daumen über die Schulter hin der Richtung zu, in der das Land lag. Meier schüttelte aber den Kopf und knurrte:
»Zum Teufel wahrscheinlich, wenn's mir nicht besser glückt wie in Deutschland.«
»Da können wir vielleicht zusammengehen« lachte der Alte.
»Oder treffen uns wenigstens da später« sagte Meier, ausweichend.
»Wahrscheinlich« brummte der Alte, mit dem Erfolg
seiner Annäherung nicht recht zufrieden, blieb noch eine
Weile auf dem Faß sitzen und stand dann langsam auf nach
vorne zu gehn, wo er mit seinen beiden Kameraden wieder
»Gratulire zum Compagniegeschäft« sagte er lachend, als er des Fleischers Blick begegnete — »Meier und Compagnie wird gar nicht so schlecht klingen in New-Orleans.«
»Danke« brummte Meier vor sich hin — »der Contrakt ist noch nicht unterzeichnet — Du scheinst Dir da oben aber Dein stetes Quartier genommen zu haben, Kamerad.«
»Schade daß ich so bald ausziehn muß« sagte der Scheerenschleifer, den Dampf aus seiner Pfeife dabei in weißen kurzen Wolken von sich stoßend.
»Schade? — ich danke Gott daß ich das verfluchte Schiffsleben bald hinter mir habe — die Hände wachsen Einem ja zusammen.«
»Bah« sagte der Scheerenschleifer — »was verlangt ein
Mensch mehr auf der Welt, was kann er mehr verlangen, als
drei Mal zu essen den Tag, und Nichts zu thun, ohne weitere
Expensen. Ich wünschte mir mein Lebtag nichts Besseres als
»Zur Verzierung etwa« meinte Meier.
»Ja, für den Schafskopf vorn« sagte der Scheerenschleifer trocken, ohne die Anspielung übrigens übel zu nehmen — »gehst Du heute mit zur Leiche?«
»Ich habe meinen schwarzen Frack nicht draußen« sagte Meier.
»Ist schade« erwiederte der Scheerenschleifer — »geht mir aber auch so.«
»Wir werden uns überhaupt bald anziehn müssen an Land zu gehn« fuhr Meier fort — »wenn das Schiff einmal anlegt, wird uns der Capitain schnell genug hinaustreiben, und gewiß nicht daran denken uns länger zu füttern, als er unumgänglich nöthig hat.«
»Kann ich ihm auch gar nicht verdenken« sagte Maulbeere; »ich gehe aber vor allen Dingen erst einmal im Negligé hinüber, und werde mich vor der Hand beim Präsidenten entschuldigen lassen, daß ich ihm nicht gleich meine Visite machen kann. — Füttern werden wir uns übrigens jetzt wieder selber müssen.«
»Nun zum
»Amerika soll verdammt sein« brummte der Scheerenschleifer, und qualmte ärger als vorher.
»Warum bist Du denn da herübergekommen, wenn Du's so gut leiden magst?« frug ihn Meier.
»Weil ich wenigstens die Condition einmal wechseln wollte; aber in dem Hundeleben selber wird verwünscht wenig Veränderung sein — Die Frage ist außerdem, ob sie hier überhaupt Scheeren zu schleifen haben — sollte mich gar nicht wundern wenn ich den alten vermaledeiten Drehkarren am Ende ganz zu meinem eigenen Vergnügen im Lande umherführe« —
»Und weiter kannst Du Nichts?«
»Hm, wer weiß« sagte Maulbeere — »es liegt noch vielleicht Manches bei mir verborgen, hat sich aber noch nicht entwickelt.«
»Nun in
»Haben mich noch nie genirt« meinte Maulbeere trocken — »wer sich nicht einmal einen guten Paß verschaffen kann ist selbst zum Stehlen zu dumm.«
»Mit
»Habe auch keine Passion dafür« brummte Maulbeere,
Meier war langsam nach vorn geschritten, seinen Lieblingsplatz auf einem der auf der Back liegenden Anker einzunehmen, als er dort dem jungen Donner begegnete, der eben von da niederstieg.
»Hört einmal Freund,« sagte dieser, als er ihn einen
Augenblick scharf fixirt hatte, und dann bei ihm stehen blieb — »wir
haben doch einander schon früher einmal gesehen,
aber ich kann mich nicht gleich besinnen
»Waldenhayn?« wiederholte der Mann, kopfschüttelnd, »was für ein Waldenhayn?«
»An der Hart —«
»Kenn' ich nicht« — sagte Meier, ohne sich auf weitere
Auseinandersetzungen einzulassen, und drehte dem jungen Mann
den Rücken zu, die Back
Die Leiche der Frau wurde jetzt nämlich aus dem engen
unteren Raum hinauf an Deck geschafft, und dort in Lee mit
ihrer Matratze auf ein paar über die Wasserfässer gedeckte Bre
Es ist ein häßlich unangenehmes Gefühl eine Leiche an
Bord zu wissen, und selbst in der Cajüte, die doch in keine
Berührung mit der Gestorbenen gekommen war, ja von deren
Passagieren sich nur ein paar erinnerten sie überhaupt je an
Deck bemerkt zu haben, hatte es die fröhliche Stimmung die
das nahe Land hervorgebracht, wenn nicht ganz gestört, doch
merklich gedämpft. Wesentlich zu dem Unbehagen trug aber
auch der Doktor Hückler bei, der sich vor dem Frühstück, das
die Passagiere heute außergewöhnlich zeitig in der Cajüte
versammelt hatte, in seinem unglückseligem Geschäftsstolz
nicht enthalten konnte, dem Professor Lobenstein genau den erfolglosen
Aderlaß an der Todten, die Umständlichkeiten ihrer
letzten Augenblicke und den wahrscheinlichen Zustand ihres
Gehirns, das einer Entzündung erlegen wäre, zu beschreiben.
Der Professor suchte dabei vergebens ihm zu entgehn, eben so
beschwor ihn Herr von Benkendroff ihm nicht wieder das
Frühstück mit seinen verzweifelten Beschreibungen zu verderben.
Umsonst, der Fall interessirte ihn selber viel zu sehr, ihn ruhig
Indessen war Hedwig, die an dem Morgen schon zweimal vergebens an ihrer jungen Herrin Thür geklopft, durch den Cajütenwärter dorthin beschieden worden, und flog jetzt dem willkommenen Befehle Folge zu leisten. Die junge Frau hatte sich ihr stets so mild, so freundlich gezeigt, war besonders gestern Abend in ihrem Schmerz so herzlich mit ihr gewesen — und diese Güte that dem armen, verwaisten Kind so wohl — daß es sie trieb und drängte ihr Leiden zu erfahren. Konnte sie auch nicht helfen, mittragen konnte sie es doch, und Alles, Alles thun was in ihren Kräften stand, ja selbst was über ihren Kräften lag, es zu erleichtern.
Sie fand Clara heute schon auf, und vollständig angezogen in ihrer Cajüte, und als sie die Thüre öffnete streckte ihr die junge Frau die Hand entgegen. Hedwig erschrack aber über das todtenbleiche schmerzdurchzuckte Antlitz der geliebten Herrin, und wollte die gebotene Rechte in ängstlicher Hast an ihre Lippen führen, als sie sich von Clara emporgezogen, von ihren Armen umschlossen und einen heißen Kuß, heißere Thränen auf ihrer Stirne fühlte.
»Um Gottes Willen liebe — gnädige Frau« —
»Nenne mich Clara fortan und Schwester« — flüsterte
aber die Frau unter gewaltsam zurückgedrängten Thränen — »denn
ich will es Dir sein bis zum Tode, Du armes — liebes
Kind. Aber ruhig jetzt — keine Frage weiter, kein Wort,«
bat sie, als Hedwig sich halb erschreckt, halb schüchtern aus
Hedwig, nicht im Stande den, für sie räthselhaften Sinn der dunklen Worte zu verstehn, wagte auch nicht zu fragen und zu forschen, hätte ihr die Frau selbst Zeit dazu gelassen. Diese aber öffnete rasch die zur Cajüte führende Thür, und betrat den inneren Raum, wo sie sämmtliche Passagiere am Frühstückstisch bereits versammelt fand.«
»Heilige Mutter Gottes!« rief aber Marie, die auf sie
zu lief, und sie umarmte und küßte, »wie bleich und angegriffen
Du aussiehst Clara; Du bist
»Nachher, nachher meine liebe Marie,« lächelte Clara, ihren Kuß und den Morgengruß der Uebrigen erwiedernd.
Herr von Hopfgarten begnügte sich aber nicht mit der kalten Verbeugung, sondern ging auf sie zu, um den ganzen Tisch herum, schüttelte ihr die Hand, und sagte ihr daß es ihn unendlich freue sie wieder wohl und munter zu sehn, denn sie hätte ihm die ganze Zeit lang gefehlt, und er wäre selbst nicht einmal über das Land froh geworden.
Marie neckte ihn deshalb, aber des Capitains Ruf nöthigte die Passagiere sich zu setzen, und das Gespräch wurde jetzt allgemein.
Mit der Sonne wurde die Brise indessen etwas lebendiger, und das Land lag schon, ein deutlicher dunkler niederer, aber doch selbst dem bloßen Auge leicht erkennbarer Streifen am fernen westlichen Horizont, dem das Schiff jetzt mit vollgeblähten Segeln entgegenstrebte. Rechts und links kamen dabei noch andere Segel in Sicht, kleine Küstenfahrzeuge wie größere Schiffe, die theils gegen den Wind aufkreutzten, theils mit ihnen gleiche Bahn gingen der amerikanischen Küste zu, und die Passagiere hätten des Neuen und Fremdartigen zu sehen genug gehabt, wäre ihre Aufmerksamkeit nicht bald auf das Begräbniß der Frau gelenkt worden. Der Capitain trieb nämlich, die Leiche über Bord zu lassen, einer Masse Umständlichkeiten zu entgehen, die er sonst noch bei der Landung hätte haben können.
Der Steuermann ging jetzt zu Leupold, machte ihn damit
auf seine rauhe aber nichtsdestoweniger herzliche Weise bekannt,
und forderte ihn auf sich zu sammeln und dem, was
er nun doch einmal nicht ändern könne, männlich in's Auge
Der Mann fügte sich endlich darein, küßte noch einmal die bleichen Lippen der Dahingeschiedenen, barg dann das Antlitz in den Händen und weinte laut. Der Steuermann winkte indeß dem Segelmacher, den Körper vollständig einzunähen. Er selber befestigte dabei einen Sack schon bereit gehaltener Steinkohlen zu ihren Füßen, und die Zwischendeckspassagiere wurden aufgefordert der Todten die letzte Ehre zu erweisen. Von allen Seiten drängten sie still und schweigend herbei, und umstanden den Platz mit entblößten Häupten, wo vier Matrosen die Planke auf der die Leiche lag, aufhoben und mit dem Fußende auf die Railing hinausschoben; zwei Mann hielten sie dort im Gleichgewicht.
Der Capitain war indessen auf den Gangweg herunter gekommen, und seine Mütze abnehmend trat er zu der Leiche hinan, und sagte mit lauter einfacher Stimme.
»Ich habe versprochen gehabt alle meine Passagiere sicher
und wohlbehalten nach Amerika hinüberzuführen. Gott der
Herr hat es anders gewollt, und diese eine Seele abgefordert
»Louise — Louise!« rief der Mann mit einem herzzerreißenden Ton und streckte die Arme nach ihr aus, aber im nächsten Momente schlug die Fluth über ihr zusammen, und während das Schiff rasch über die Stelle glitt, sank der Körper tiefer und tiefer hinab, und verschwand in der bläulichen Nacht.
Vorbei — über der Leiche wogte die See so still und ruhig als vorher, und das gewaltige Grab von Millionen wälzte seine munter plätschernden Wellen rasch und lebendig dem näher und näher rückenden Lande entgegen.