The Project Gutenberg EBook of Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents. Band 1. by Alexander von Humboldt This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at http://www.gutenberg.org/license Title: Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents. Band 1. Author: Alexander von Humboldt Release Date: September 3, 2007 [Ebook #22492] Language: German Character set encoding: US-ASCII ***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK REISE IN DIE AEQUINOCTIAL-GEGENDEN DES NEUEN CONTINENTS. BAND 1.*** Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents. Band 1. by Alexander von Humboldt Edition 01 , (September 3, 2007) In deutscher Bearbeitung von Hermann Hauff. Nach der Anordnung und unter Mitwirkung des Verfassers. Einzige von A. v. Humboldt anerkannte Ausgabe in deutscher Sprache. ------------------ 1865 ------------------ Erster Band CONTENTS Vorwort Erstes Kapitel Zweites Kapitel Drittes Kapitel Viertes Kapitel Fuenftes Kapitel Sechstes Kapitel Siebentes Kapitel Achtes Kapitel VORWORT Einem wissenschaftlichen Reisenden kann es wohl nicht verargt werden, wenn er eine vollstaendige Uebersetzung seiner Arbeiten jeder auch noch so geschmackvollen Abkuerzung derselben vorzieht. Bouquer´s und La Condamine´s mehr als hundertjaehrige Quartbaende werden noch heute mit grosser Theilnahme gelesen; und da jeder Reisende gewissermassen den Zustand der Wissenschaften seiner Zeit, oder vielmehr die Gesichtpunkte darstellt, welche von dem Zustande des Wissens seiner Zeit abhangen, so ist das wissenschaftliche Interesse um so lebendiger, als die Epoche der Darstellung der Jetztzeit naeher liegt. Damit aber die lebendige Darstellung des Geschehenen weniger unterbrochen werde, habe ich das Material, durch welches allgemeine kosmische Resultate begruendet werden, in besonderen Zugaben ueber stuendliche Barometer-Veraenderungen, Neigung der Magnetnadel und Intensitaet der magnetischen Erdkraft zusammengedraengt. Die Absonderung solcher und anderer Zugaben hat allerdings, und ohne grossen Nachtheil, zu Abkuerzungen in der Uebersetzung des Originaltextes der Reise Anlass geben koennen. Diese Betrachtung war auch geeignet mich bald mit dem Unternehmen zu versoehnen, einem groesseren Kreise gebildeter Leser, die bisher mehr mit der Natur als mit scientifischen Wissen befreundet waren, einen etwas *abgekuerzten Text der Reise in die Tropen-Gegenden des Neuen Continents* darzubieten. Die Buchhandlung, welche aus edler, ich setze gern hinzu angeerbter Freundschaft meinen Arbeiten eine so lange und sorgfaeltige Pflege geschenkt hat, hat mich aufgefordert diese neue Ausgabe, welche einem vielseitig unterrichteten Gelehrten, Herrn Bibliothekar Professor _Dr._ *Hauff* anvertraut ist, nicht bloss, so viel mein Uralter und meine gesunkenen Kraefte es erlauben, zu revidiren, sondern auch mit Zusaetzen und Berichtigungen zu bereichern. Die Naturwissenschaft ist, wie die Natur selbst, in ewigem *Werden* und Wechsel begriffen. Seit der Herausgabe des ersten Bandes der Reise sind jetzt 45 Jahre verflossen. Die Berichtigungen muessten also zahlreich seyn: in geognostischer Hinsicht wegen Bezeichnung der Gebirgs-Formationen und der metamorphosirten Gebirge, des wohlthaetigen Einflusses der Chemie auf die Geognosie, wie in allem, was anbetrifft die Vertheilung der Waerme auf dem Erdkoerper und die Ursach der verschiedenen Kruemmung monatlicher Isothermen (nach Dove´s meisterhaften Arbeiten). Die durch die neue Ausgabe veranlasste Erweiterung des Kreises wissenschaftlicher Anregung kann ich nur freudig begruessen; denn in dem Entwickelungsgange physischer Forschungen wie in dem der politischen Institutionen ist Stillstand durch unvermeidliches Verhaengnis an den Anfang eines verderblichen *Rueckschrittes* geknuepft. Es wuerde mir dazu eine innige Freude seyn noch zu erleben, wie die Unternehmer es hoffen, dass meine in den Jahren freudig aufstrebender Jugend ausgefuehrte Reise, deren einer Genosse, mein theurer Freund, *Aime Bonpland*, bereits, im hohen Alter, dahingegangen ist, in unserer eigenen schoenen Sprache von demselben deutschen Volke mit einigem Vergnuegen gelesen werde, welches mehr denn zwei Menschenalter hindurch mich in meinen wissenschaftlichen Bestrebungen und meiner Laufbahn durch ein eifriges Wohlwollen beglueckt und selbst meinen spaetesten Arbeiten durch seine partheiische Theilnahme eine Rechtfertigung gewaehrt hat. *Berlin*, 26. Maerz 1859. *Alexander v. Humboldt.* ERSTES KAPITEL Vorbereitungen -- Abreise von Spanien -- Aufenthalt auf den Kanarischen Inseln Wenn eine Regierung eine jener Fahrten auf dem Weltmeer anordnet, durch welche die Kenntniss des Erdballes erweitert und die physischen Wissenschaften gefoerdert werden, so stellt sich ihrem Vorhaben keinerlei Hinderniss entgegen. Der Zeitpunkt der Abfahrt und der Plan der Reise koennen eingehalten werden, sobald die Schiffe ausgeruestet und die Astronomen und Naturforscher, welche unbekannte Meere befahren sollen, gewaehlt sind. Die Inseln und Kuesten, deren Produkte die Seefahrer kennen lernen sollen, liegen ausserhalb des Bereiches der staatlichen Bewegungen Europas. Wenn laengere Kriege die Freiheit zur See beschraenken, so stellen die kriegfuehrenden Maechte gegenseitig Paesse aus; der Hass zwischen Volk und Volk tritt zurueck, wenn es sich von der Foerderung des Wissens handelt, das die gemeine Sache der Voelker ist. Anders, wenn nur ein Privatmann auf seine Kosten eine Reise in das Innere eines Festlandes unternimmt, das Europa in sein System von Kolonien gezogen hat. Wohl mag sich der Reisende einen Plan entwerfen, wie er ihm fuer seine wissenschaftlichen Zwecke und bei den staatlichen Verhaeltnissen der zu bereisenden Laender die angemessenste scheint; er mag sich die Mittel verschaffen, die ihm fern vom Heimathland auf Jahre die Unabhaengigkeit sicher, aber gar oft widersetzen sich unvorhergesehene Hindernisse seinem Vorhaben, wenn er eben meint, es ausfuehren zu koennen. Nicht leicht hat aber ein Reisender mit so vielen Schwierigkeiten zu kaempfen gehabt als ich vor meiner Abreise nach dem spanischen Amerika. Gern waere ich darueber weggegangen und haette meine Reisebeschreibungen mit der Besteigung des Pic von Tenerifa begonnen, wenn nicht das Fehlschlagen meiner ersten Plaene auf die Richtung meiner Reise nach der Rueckkehr vom Orinoko bedeutenden Einfluss geaeussert haette. Ich gebe daher eine fluechtige Schilderung dieser Vorgaenge, die fuer die Wissenschaft von keinem Belang sind, von denen ich aber wuenschen muss, dass sie richtig beurteilt werden. Da nun einmal die Neugier des Publikums sich haeufig mehr an die Person des Reisenden als an seine Werke heftet, so sind auch die Umstaende, unter denen ich meine ersten Reiseplaene entworfen, ganz schief aufgefasst worden.(1) Von frueher Jugend auf lebte in mir der sehnliche Wunsch, ferne, von Europaeern wenig besuchte Laender bereisen zu duerfen. Dieser Drang ist bezeichnend fuer einen Zeitpunkt im Leben, wo dieses vor uns liegt wie ein schrankenloser Horizont, wo uns nichts so sehr anzieht als starke Gemuethsbewegung und Bilder physischer Faehrlichkeiten. In einem Lande aufgewachsen, das in keinem unmittelbaren Verkehr mit den Kolonien in beiden Indien steht, spaeter in einem fern von der Meereskueste gelegenen, durch starken Bergbau beruehmten Gebirge lebend, fuehlte ich den Trieb zur See und zu weiten Fahrten immer maechtiger in mir werden. Dinge, die wir nur aus den lebendigen Schilderungen der Reisenden kennen, haben ganz besonderen Reiz fuer uns; Alles in Entlegenheit undeutlich Umrissene besticht unsere Einbildungskraft; Genuesse, die uns nicht erreichbar sind, scheinen uns weit lockender, als was uns im engen Kreise des buergerlichen Lebens bietet. Die Lust am Botanisiren, das Studium der Geologie, ein Ausflug nach Holland, England und Frankreich in Gesellschaft eines beruehmten Mannes, Georg Forsters, dem das Glueck geworden war, Capitaen Cook auf seiner zweiten Reise um die Welt zu begleiten, trugen dazu bei, den Reiseplaenen, die ich schon mit achtzehn Jahren gehegt, Gestalt und Ziel zu geben. Wenn es mich noch immer in die schoenen Laender des heissen Erdguertels zog, so war es jetzt nicht mehr der Drang nach einem aufregenden Wanderleben, es war der Trieb, eine wilde, grossartige, an mannichfaltigen Naturprodukten reiche Natur zu sehen, die Aussicht, Erfahrungen zu sammeln, welche die Wissenschaften foerderten. Meine Verhaeltnisse gestatteten mir damals nicht, Gedanken zu verwirklichen, die mich so lebhaft beschaeftigten, und ich hatte sechs Jahre Zeit, mich zu den Beobachtungen, die ich in der Neuen Welt anzustellen gedachte, vorzubereiten, mehrere Laender Europas zu bereisen und die Kette der Hochalpen zu untersuchen, deren Bau ich in der Folge mit den Anden von Quito und Peru vergleichen konnte. Da ich zu verschiedenen Zeiten mit Instrumenten von verschiedener Construction arbeitete, waehlte ich am Ende diejenigen, die mir als die genauesten und dabei auf dem Transport dauerhaftesten erschienen; ich fand Gelegenheit, Messungen, die nach den strengsten Methoden vor genommen wurden, zu wiederholen, und lernte so selbststaendig die Grenzen der Irrthuemer kennen, auf die ich gefasst seyn musste. Im Jahre 1795 hatte ich einen Teil von Italien bereist, aber die vulkanischen Striche in Neapel und Sizilien nicht besuchen koennen. Ungern haette ich Europa verlassen, ohne Vesuv, Stromboli und Aetna gesehen zu haben; ich sah ein, um zahlreiche geologische Erscheinungen, namentlich in der Trappformation, richtig aufzufassen, musste ich mich mit den Erscheinungen, wie noch taetige Vulkane sie bieten, naeher bekannt gemacht haben. Ich entschloss mich daher im November 1797, wieder nach Italien zu gehen. Ich hielt mich lange in Wien auf, wo die ausgezeichneten Sammlungen und die Freundlichkeit Jacquins und Josephs van der Schott mich in meinen vorbereitenden Studien ausnehmend foerderten; ich durchzog mit Leopold von Buch, von dem seitdem ein treffliches Werk ueber Lappland erschienen ist, mehrere Teile des Salzburger Landes und Steiermark, Laender, die fuer den Geologen und Landschaftsmaler gleich viel Anziehendes haben; als ich aber ueber die Tiroler Alpen gehen wollte, sah ich mich durch den in ganz Italien ausgebrochenen Krieg genoetigt, den Plan der Reise nach Neapel aufzugeben. Kurz zuvor hatte ein leidenschaftlicher Kunstfreund, der bereits die Kuesten Illyriens und Griechenlands als Alter thumsforscher besucht hatte, mir den Vorschlag gemacht, ihn auf einer Reise nach Oberegypten zu begleiten. Der Ausflug sollte nur acht Monate dauern; geschickte Zeichner und astronomische Werkzeuge sollten uns begleiten, und so wollten wir den Nil bis Assuan hinaufgehen und den zwischen Tentyris und den Cataracten gelegenen Teil des Said genau untersuchen. Ich hatte bis jetzt bei meinen Planen nie ein aussertropisches Land im Auge gehabt, dennoch konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, Laender zu besuchen, die in der Geschichte der Kultur eine so bedeutende Rolle spielen. Ich nahm den Vorschlag an, aber unter der ausdruecklichen Bedingung, dass ich bei der Rueckkehr nach Alexandrien allein durch Syrien und Palaestina weiter reisen duerfte. Sofort richtete ich meine Studien nach dem neuen Plane ein, was mir spaeter zu gute kam, als es sich davon handelte, die rohen Denkmale der Mexicaner mit denen der Voelker der Alten Welt zu vergleichen. Ich hatte die nahe Aussicht, mich nach Egypten einzuschiffen, da noethigten mich die eingetretenen politischen Verhaeltnisse, eine Reise aufzugeben, die mir so grossen Genuss versprach. Im Orient standen die Dinge so, dass ein einzelner Reisender gar keine Aussicht hatte, dort Studien machen zu koennen, welche selbst in den ruhigsten Zeiten von den Regierungen mit misstrauischen Augen angesehen werden. Zur selben Zeit war in Frankreich eine Entdeckungsreise in die Suedsee unter dem Befehl des Kapitaens Baudin im Werk. Der urspruengliche Plan war grossartig, kuehn und haette verdient, unter umsichtiger Leitung ausgefuehrt zu werden. Man wollte die spanischen Besitzungen in Suedamerika von der Muendung des Rio de la Plata bis zum Koenigreich Quito und der Landenge von Panama besuchen. Die zwei Corvetten sollten sofort ueber die Inselwelt des Stillen Meeres nach Neuholland gelangen, die Kuesten desselben von Vandiemensland bis Nuytsland untersuchen, bei Madagaskar anlegen und ueber das Kap der guten Hoffnung zurueckkehren. Ich war nach Paris gekommen, als man sich eben zu dieser Reise zu ruesten begann. Der Charakter des Kapitaens Baudin war eben nicht geeignet, mir Vertrauen einzufloessen; der Mann hatte meinen Freund, den jungen Botaniker van der Schott, nach Brasilien gebracht, und der Wiener Hof war dabei schlecht mit ihm zufrieden gewesen; da ich aber mit eigenen Mitteln nie eine so weite Reise unternehmen und ein so schoenes Stueck der Welt haette kennen lernen koennen, so entschloss ich mich, auf gutes Glueck die Expedition mitzumachen. Ich erhielt Erlaubniss, mich mit meinen Instrumenten auf einer der Corvetten, die nach der Suedsee gehen sollten, einzuschiffen, und machte nur zur Bedingung, dass ich mich von Kapitaen Baudin trennen duerfte, wo und wann es mir beliebte. Michaux, der bereits Persien und einen Teil von Nordamerika besucht hatte, und Bonpland, dem ich mich anschloss, und der mir seitdem aufs innigste befreundet geblieben, sollten die Reise als Naturforscher mitmachen. Ich hatte mich einige Monate lang darauf gefreut, an einer so grossen und ehrenvollen Unternehmung Theil nehmen zu duerfen, da brach der Krieg in Deutschland und Italien von neuen aus, so dass die franzoesische Regierung die Geldmittel, die sie zu der Entdeckungsreise angewiesen, zurueckzog und dieselbe auf unbestimmte Zeit verschob. Mit Kummer sah ich alle meine Aussichten vernichtet, ein einziger Tag hatte dem Plane, den ich fuer mehrere Lebensjahre entworfen, ein Ende gemacht; da beschloss ich nur so bald als moeglich, wie es auch sey, von Europa wegzukommen, irgend etwas zu unternehmen, das meinen Unmuth zerstreuen koennte. Ich wurde mit einen schwedischen Konsul, Skioeldebrand, bekannt, der dem Dey von Algier Geschenke von seiten seines Hofes zu ueberbringen hatte und durch Paris kam, um sich in Marseille einzuschiffen. Dieser achtenswerthe Mann war lange auf der afrikanischen Kueste angestellt gewesen, und da er bei der algerischen Regierung gut angeschrieben war, konnte er fuer mich auswirken, dass ich den Theil der Atlaskette bereisen durfte, auf den sich die bedeutenden Untersuchungen Desfontaines nicht erstreckt hatten. Er schickte jedes Jahr ein Fahrzeug nach Tunis, auf dem die Pilger nach Mekka gingen, und er versprach mir, mich auf diesem Wege nach Egypten zu befoerdern. Ich besann mich keinen Augenblick, eine so gute Gelegenheit zu benutzen, und ich meinte nunmehr den Plan, den ich vor meiner Reise nach Frankreich entworfen, sofort ausfuehren zu koennen. Bis jetzt hatte kein Mineralog die hohe Bergkette untersucht, die in Marokko bis zur Grenze des ewigen Schnees aufsteigt. Ich konnte darauf rechnen, dass ich, nachdem ich in den Alpenstrichen der Berberei einiges fuer die Wissenschaft gethan, in Egypten bei den bedeutenden Gelehrten, die seit einigen Monaten zum Institut von Cairo zusammengetreten waren, dasselbe Entgegenkommen fand, das mir in Paris in so reichem Masse zu Theil geworden. Ich ergaenzte rasch meine Sammlung von Instrumenten und verschaffte mir die Werke ueber die zu bereisenden Laender. Ich nahm Abschied von meinem Bruder, der durch Rath und Beispiel meine Geistesrichtung hatte bestimmen helfen. Er billigte die Beweggruende meines Entschlusses, Europa zu verlassen; eine geheime Stimme sagte uns, dass wir uns wieder sehen wuerden. Diese Hoffnung hat uns nicht betrogen, und sie linderte den Schmerz einer langen Trennung. Ich verliess Paris mit den Entschluss, mich nach Algier und Egypten einzuschiffen, und wie nun einmal der Zufall in allen Menschenleben regiert, ich sah bei der Rueckkehr vom Amazonenstrom und aus Peru meinen Bruder wieder, ohne das Festland von Afrika betreten zu haben. Die schwedische Fregatte, welche Skioeldebrand nach Algier ueberfuehren sollte, wurde zu Marseille in den letzten Tagen Oktobers erwartet. Bonpland und ich begaben uns um diese Zeit dahin, und eilten um so mehr, da wir waehrend der Reise immer besorgten, zu spaet zu kommen und das Schiff zu versaeumen. Wir ahnten nicht, welche neuen Widerwaertigkeiten uns zunaechst bevorstanden. Skioeldebrand war so ungeduldig als wir, seinen Bestimmungsort zu erreichen. Wir bestiegen mehrmals am Tage den Berg Notre Dame de la Garde, von dem man weit ins Mittelmeer hinausblickt. Jedes Segel, das am Horizont sichtbar wurde, setzte uns in Aufregung; aber nachdem wir zwei Monate in grosser Unruhe vergeblich geharrt, ersahen wir aus den Zeitungen, dass die schwedische Fregatte, die uns ueberfuehren sollte, in einem Sturm an den Kuesten von Portugal stark gelitten und in den Hafen von Cadiz habe einlaufen muessen, um ausgebessert zu werden. Privatbriefe bestaetigten die Nachricht, und es war gewiss, dass der Jaramas -- so hiess die Fregatte -- vor dem Fruehjahr nicht nach Marseille kommen konnte. Wir konnten es nicht ueber uns gewinnen, bis dahin in der Provence zu bleiben. Das Land, zumal das Klima, fanden wir herrlich; aber der Anblick des Meeres mahnte uns fortwaehrend an unsere zertruemmerten Hoffnungen. Auf einem Ausflug nach Hyeres und Toulon fanden wir in letzterem Hafen die Fregatte Boudeuse, die Bougainville auf seiner Reise um die Welt befehligt hatte. Ich hatte mich zu Paris, als ich mich ruestete, die Expedititon des Kapitaens Baudin mitzumachen, des besonderen Wohlwollens des beruehmten Seefahrers zu erfreuen gehabt. Nur schwer vermochte ich zu schildern, was ich beim Anblick des Schiffes empfand, das Commerson auf die Inseln der Suedsee gebracht. Es gibt Stimmungen, in denen sich ein Schmerzgefuehl in alle unsere Empfindungen mischt. Wir hielten immer noch am Gedanken fest, uns an die afrikanische Kueste zu begeben, und dieser zaehe Entschluss waere uns beinahe verderblich geworden. Im Hafen von Marseille lag zur Zeit ein kleines ragusanisches Fahrzeug, bereit nach Tunis unter Segel zu gehen. Dies schien uns eine guenstige Gelegenheit; wir kamen ja auf diese Weise in die Naehe von Egypten und Syrien. Wir wurden mit dem Kapitaen wegen der Ueberfahrtspreises einig; am folgenden Tage sollten wir unter Segel gehen, aber die Abreise verzoegerte sich gluecklicherweise durch einen an sich ganz unbedeutenden Umstand. Das Vieh, das uns als Proviant auf der Ueberfahrt dienen sollte, war in der grossen Kajuete untergebracht. Wir verlangten, dass zur Bequemlichkeit der Reisenden und zur sicheren Unterbringung unserer Instrumente das Notwendigste vorgekehrt werde. Allermittelst erfuhr man in Marseille, dass die tunesische Regierung die in der Berberei niedergelassenen Franzosen verfolge, und dass alle aus franzoesischen Haefen ankommenden Personen ins Gefaengnis geworfen wuerden. Durch diese Kunde entgingen wir einer grossen Gefahr; wir mussten die Ausfuehrung unserer Plaene verschieben und entschlossen uns, den Winter in Spanien zuzubringen, in der Hoffnung, uns im naechsten Fruehjahr, wenn anders die politischen Zustaende im Orient es gestatteten, in Cartagena oder in Cadiz einschiffen zu koennen. Wir reisten durch Katalonien und das Koenigreich Valencia nach Madrid. Wir besuchten auf dem Wege die Truemmer Tarragonas und des alten Sagunt, machten von Barcelona aus einen Ausflug auf den Montserrat, dessen hoch aufragende Gipfel von Einsiedlern bewohnt sind, und der durch die Contraste eines kraeftigen Pflanzenwuchses und nackter, oeder Felsmassen ein eigenthuemliches Landschaftsbild bietet. Ich fand Gelegenheit, durch astronomische Rechnung die Lage mehrerer fuer die Geographie Spaniens wichtiger Punkte zu bestimmen; ich mass mittels des Barometers die Hoehe des Centralplateaus und stellte einige Beobachtungen ueber die Inclination der Magnetnadel und die Intensitaet der magnetischen Kraft an. Die Ergebnisse dieser Beobachtungen sind die sich erschienen, und ich verbreite mich hier nicht weiter ueber die Naturbeschaffenheit eines Landes, in dem ich mich nur ein halbes Jahr aufhielt, und das in neuerer Zeit von so vielen unterrichteten Maennern bereist worden ist. Zu Madrid angelangt, fand ich bald Ursache, mir Glueck dazu zu wuenschen, dass wir uns entschlossen, die Halbinsel zu besuchen. Der Baron Forell, saechsischer Gesandter am spanischen Hofe, kam mir auf eine Weise entgegen, die meinen Zwecken sehr foerderlich wurde. Er verband mit ausgebreiteten mineralogischen Kenntnissen das regste Interesse fuer Unternehmungen zur Foerderung der Wissenschaft. Er bedeutete mir, dass ich unter der Verwaltung eines aufgeklaerten Ministers, des Ritters Don Mariano Luis de Urquijo, Aussicht habe, auf meine Kosten im Inneren des spanischen Amerika reisen zu duerfen. Nach all den Widerwaertigkeiten, die ich erfahren, besann ich mich keinen Augenblick, diesen Gedanken zu ergreifen. Im Maerz 1799 wurde ich dem Hofe von Aranjuez vorgestellt. Der Koenig nahm mich aeusserst wohlwollend auf. Ich entwickelte die Gruende, die mich bewogen, eine Reise in den neuen Kontinent und auf die Philippinen zu unternehmen, und reichte dem Staatssecretaer eine darauf bezuegliche Denkschrift ein. Der Ritter d'Urquijo unterstuetzte mein Gesuch und raeumte alle Schwierigkeiten aus dem Wege. Der Minister handelte hierbei desto grossmuethiger, da ich in gar keiner persoenlichen Beziehung zu ihn stand. Der Eifer, mit dem er fortwaehrend meine Absichten unterstuetzte, hatte keinen anderen Beweggrund als seine Liebe zu den Wissenschaften. Es wird mir zu angenehmen Pflicht, in diesem Werke der Dienste, die er mir erwiesen, dankbar zu gedenken. Ich erhielt zwei Paesse, den einen vom ersten Staatsecretaer, den anderen vom Rath von Indien. Nie war einem Reisenden mit der Erlaubniss, die man ihm ertheilte, mehr zugestanden worden, nie hatte die spanische Regierung einem Fremden groesseres Vertrauen bewiesen. Um alle Bedenken zu beseitigen, welche die Vicekoenige oder Generalcapitaene, als Vertreter der koeniglichen Gewalt in Amerika, hinsichtlich des Zweckes und Wesens meiner Beschaeftigungen erheben koennten, hiess es im Pass der _primera secretaria de estado:_ "ich sey ermaechtigt, mich meiner physikalischen und geodaetischen Instrumente mit voller Freiheit zu bedienen; ich duerfe in allen spanischen Besitzungen astronomische Beobachtungen anstellen, die Hoehen der Berge messen, die Erzeugnisse des Bodens sammeln und alle Operationen ausfuehren, die ich zur Foerderung der Wissenschaft gut finde". Diese Befehle von Seiten des Hofes wurden genau befolgt, auch nachdem infolge der Ereignisse Don D´Urquijo vom Ministerium hatte abtreten muessen. Ich meinerseits war bemueht, diese sich nie verleugnende Freundlichkeit zu erwidern. Ich uebergab waehrend meines Aufenthaltes in Amerika den Statthaltern der Provinzen Abschriften des von mir gesammelten Materials ueber die Geographie und Statistik der Colonien, das dem Mutterlande von einigen Werth seyn konnte. Dem von mir vor meiner Abreise gegebenen Versprechen gemaess uebermachte ich dem naturhistorischen Cabinet zu Madrid mehrere geologische Sammlungen. Da der Zweck unserer Reise ein rein wissenschaftlicher war, so hatten Bonpland und ich das Glueck, uns das Wohlwollen der Colonisten wie der mit der Verwaltung dieser weiten Landstriche betrauten Europaeer zu erwerben. In den fuenf Jahren, waehrend wir den neuen Continent durchzogen, sind wir niemals einer Spur von Misstrauen begegnet. Mit Freude spreche ich es hier aus; unter den haertesten Entbehrungen, im Kampfe mit einer wilden Natur, haben wir uns nie ueber menschliche Ungerechtigkeit zu beklagen gehabt. Verschiedene Gruende haetten uns eigentlich bewegen sollen, noch laenger in Spanien zu verweilen. Abbe Cavanilles, ein Mann gleich geistreich wie mannigfaltig unterrichtet; Nee, der mit Haenke die Expedition Malaspinas als Botaniker mitgemacht und allein eine der groessten Kraeutersammlungen, die man je in Europa gesehen, zusammengebracht hat; Don Casimir Ortega, Abbe Pourret und die gelehrten Verfasser der Flora von Peru, Ruiz und Pavon, stellten uns ihre reichen Sammlungen zur unbeschraenkten Verfuegung. Wir untersuchten zum Theil die mexicanischen Pflanzen, die von Sesse, Mocino und Cervantes entdeckt worden, und von denen Abbildungen an das naturhistorische Museum zu Madrid gelangt waren. In dieser grossen Anstalt, die unter der Leitung Clavijos stand, des Herausgebers einer gefaelligen Uebersetzung der Werke Buffons, fanden wir allerdings keine geologischen Suiten aus den Cordilleren; aber Proust, der sich durch die grosse Genauigkeit seiner chemischen Arbeiten bekannt gemacht hat, und ein ausgezeichneter Mineralog, Hergen, gaben uns interessante Nachweisungen ueber verschiedene mineralische Substanzen Amerikas. Mit bedeutendem Nutzen haetten wir uns wohl noch laenger mit den Naturprodukten der Laender beschaeftigt, die das Ziel unserer Forschungen waren, aber es draengte uns zu sehr, von der Verguenstigung, die der Hof uns gewaehrt, Gebrauch zu machen, als dass wir unsere Abreise haetten verschieben koennen. Seit einen Jahr war ich so vielen Hindernissen begegnet, dass ich es kaum glauben konnte, dass mein sehnlichster Wunsch endlich in Erfuellung gehen sollte. Wir verliessen Madrid gegen die Mitte Mais. Wir reisten durch einen Theil von Altcastilien, durch das Koenigreich Leon und Galizien nach Corunna, wo wir uns nach der Insel Cuba einschiffen sollten. Der Winter war streng und lang gewesen, und jetzt genossen wir auf der Reise der milden Fruehlingstemperatur, die schon so weit gegen Sued gewoehnlich nur den Monaten Mai und April eigen ist. Schnee bedeckte noch die hohen Granitgipfel der Guadarama; aber in den tiefen Thaelern Galiziens, welche an die malerischen Landschaften der Schweiz und Tirols erinnern, waren alle Felsen mit Cistus in voller Bluethe und baumartigem Heidekraut ueberzogen. Man ist froh, wenn man die castilische Hochebene hinter sich hat, welche fast ganz von Pflanzenwuchs entbloest und wo es im Winter empfindlich kalt, im Sommer drueckend heiss ist. Nach den wenigen Beobachtungen, die ich selbst anstellen konnte, besteht das Innere Spaniens aus einer weiten Ebene, die 300 Toisen (584 Meter) ueber dem Spiegel des Meeres mit secundaeren Gebirgsbildungen, Sandstein, Gips, Steinsalz, Jurakalk bedeckt ist; das Klima von Castilien ist weit kaelter als das von Toulon oder Genua; die mittlere Temperatur errecht kaum 15 Grad der hunderttheiligen Scale. Man wundert sich, dass unter der Breite von Calabrien, Thessalien und Kleinasien die Orangenbaeume im Freien nicht mehr fortkommen. Die Hochebene in der Mitte des Landes ist umgeben von einer tiefgelegenen, schmalen Zone, wo an mehreren Punkten Chamaerops, der Dattelbaum, das Zuckerrohr, die Banane und viele Spanien und dem noerdlichen Afrika gemeinsame Pflanzen vorkommen, ohne vom Winterfrost zu leiden. Unter dem 36 - 40. Grad der Breite betraegt die mittlere Temperatur 17 - 20 Grad, und durch den Verein von Verhaeltnissen, die hier nicht aufgezaehlt werden koennen, ist dieser glueckliche Landstrich der vornehmste Sitz des Gewerbfleisses und der Geistesbildung geworden. Kommt man im Koenigreich Valencia von der Kueste des Mittelmeeres gegen die Hochebene von Mancha und Castilien herauf, so meint man, tief im Land, in weithin gestreckten schroffen Abhaengen die alte Kueste der Halbinsel vor sich zu haben. Dieses merkwuerdige Phaenomen erinnert an die Sagen der Samothracier und andere geschichtliche Zeugnisse, welche darauf hinzuweisen scheinen, dass durch den Ausbruch der Wasser aus den Dardanellen das Becken des Mittelmeeres erweitert und der suedliche Theil Europas zerrissen und vom Mittelmeer verschlungen worden ist. Nimmt man an, diese Sagen seyen keine geologischen Traeume, sondern beruhen wirklich auf der Erinnerung an eine uralte Umwaelzung, so haette die spanische Centralebene dem Anprall der gewaltigen Fluthen widerstanden, bis die Wasser durch die zwischen den Saeulen des Hercules sich bildende Meerende abflossen, so dass der Spiegel des Mittelmeeres allmaehlig sank und einerseits Niederegypten, andererseits die fruchtbaren Ebenen von Tarragena, Valencia und Murcia trocken gelegt wurden. Was mit der Bildung dieses Meeres zusammenhaengt, dessen Daseyn von so bedeutendem Einfluss auf die fruehesten Culturbewegungen der Menschheit war, ist von ganz besonderem Interesse. Man koennte denken, Spanien, das sich als ein Vorgebirge inmitten der Meere darstellt, verdanke seine Erhaltung seinem hochgelegenen Boden; ehe man aber auf solche theoretische Vorstellungen Gewicht legt, muesste man erst die Bedenken beseitigen, die sich gegen die Durchbrechung so vieler Daemme erheben, muesste man wahrscheinlich zu machen suchen, dass das Mittelmeer einst in mehrere abgeschlossene Becken getheilt gewesen, dere alte Grenzen durch Sicilien und die Insel Candia angedeutet scheinen. Die Loesung dieser Probleme soll uns hier nicht beschaeftigen, wir beschraenken uns darauf, auf den auffallenden Contrast in der Gestaltung des Landes am oestlichen und am westlichen Ende Europas aufmerksam zu machen. Zwischen den baltischen und dem schwarzen Meer erhebt sich das Land gegenwaertig kaum fuenfzig Toisen ueber den Spiegel des Oceans, waehrend die Hochebene von Mancha, wenn sie zwischen den Quellen des Niemen und des Dnieper laege, sich als eine Gebirgsgruppe von bedeutender Hoehe darstellen wuerde. Es ist hoechst anziehend, auf die Ursachen zurueckzugehen, durch welche die Oberflaeche unseres Planeten umgestaltet worden seyn man; sicherer ist es aber, sich an diejenigen Seiten der Erscheinungen zu halten, welche der Beobachtung und Messung des Forschers zugaenglich sind. Zwischen Astorga und Corunna, besonders von Lugo an, werden die Berge allmaehlich hoeher. Die secundaeren Gebirgsbildungen verschwinden mehr und mehr, und die Uebergangsgebirgsarten, die sie abloesen, verkuenden die Naehe des Urgebirgs. Wir sahen ansehnliche Berge aufgebaut aus altem Sandstein, den die Mineralogen der Freiberger Schule als Grauwacke und Grauwackenschiefer auffuehren. Ich weiss nicht, ob diese Formation, die im suedlichen Europa nicht haeufig vorkommt, auch in andern Strichen Spaniens aufgefunden worden ist. Eckige Bruchstuecke von lydischem Stein, die in den Thaelern am Boden liegen, schienen uns darauf zu deuten, dass die Grauwacke dem Uebergangsschiefer aufgelagert ist. Bei Corunna selbst erheben sich Granitgipfel, die bis zum Cap Ortegal fortstreichen. Diese Granite, welche einst mit denen in Bretagne und Wales in Zusammenhang gestanden haben moegen, sind vielleicht die Truemmer einer von den Fluthen zertruemmerten und verschlungenen Bergkette. Schoene grosse Feldspathkrystalle sind fuer dieses Gestein charakteristisch, Zinnstein ist darin eingesprengt, und von den Galiciern wird darauf ein muehsamer, wenig ergiebiger Bergbau betrieben. In Corunna angelangt, fanden wir den Hafen von zwei englischen Fregatten und einem Linienschiff blokirt. Diese Fahrzeuge sollten den Verkehr zwischen dem Mutterland und den Colonien in Amerika unterbrechen; den von Corunna, nicht von Cadiz lief damals jeden Monat ein Paketboot _(Correo maritimo)_ nach der Havana aus und alle zwei Monate ein anderes nach Buenos Aires oder der Muendung des la Plata. Ich werde spaeter den Zustand der Posten auf dem neuen Continent genau beschreiben; hier nur so viel, dass seit dem Ministerium des Grafen Florida Blanca der Dienst der "Landcouriere" so gut eingerichtet ist, dass Einer in Paraquay oder in der Provinz Jaen de Bracamoros nur durch sie ziemlich regelmaessig mit Einem in Neumexiko oder an der Kueste von Neukalifornien correspondiren kann, also so weit, als es von Paris nach Siam oder von Wien an das Cap der Guten Hoffnung ist. Ebenso gelangt ein Brief, den man in einer kleinen Stadt in Aragonien zur Post gibt, nach Chili oder in die Missionen am Orinoko, wenn nur der Name des Coregimiento oder Bezirks, in dem das betreffende indianische Dorf liegt, genau angegeben ist. Mit Vergnuegen verweilt der Gedanke bei Einrichtungen, die fuer eine der groessten Wohlthaten der Cultur der neueren Zeit gelten koennen. Die Einrichtung der Curiere zur See und im inneren Lande hat das Band zwischen den Kolonien unter sich und mit dem Mutterlande enger geknuepft. Der Gedankenaustausch wurde dadurch beschleunigt, die Beschwerden der Colonisten drangen leichter nach Europa und die Staatsgewelt konnte hin und wieder Bedrueckungen ein Ende machen, die sonst aus so weiter Ferne nie zu ihrer Kenntniss gelangt waeren. Der Minister hatte uns ganz besonders dem Brigadier Don Rafael Clavijo empfohlen, der seit kurzem die Oberaufsicht ueber den Seeposten hatte. Dieser Officier, bekannt als ausgezeichneter Schiffsbauer, war in Corunna mit der Einrichtung neuer Werfte beschaeftigt. Er bot Allem auf, um uns den Aufenthalt im Hafen angenehm zu machen, und gab uns den Rat, uns auf der Corvette *Pizarro* [Nach dem spanischen Sprachgebrauch war der Pizarro eine leichte Fregatte _(Fregata lijera)_.] einzuschiffen, die nach der Havana und Mexico ging. Dieses Fahrzeug, das die Post fuer Juni an Bord hatte, sollte mit der Alcudia segeln, dem Paketboot fuer den Mai, das wegen der Blokade seit drei Wochen nicht hatte auslaufen koennen. Der Pizarro galt fuer keinen guten Segler, aber durch einen gluecklichen Zufall war er vor kurzem auf seiner langen Fahrt von Rio de la Plata nach Corunna den kreuzenden englischen Fahrzeugen entgangen. Clavijo liess an Bord der Korvette Einrichtungen treffen, dass wir unsere Instrumente aufstellen und waehrend der Ueberfahrt unsere chemischen Versuche ueber die atmosphaerische Luft vornehmen konnten. Der Capitaen des Pizarro erhielt Befehl, bei Tenerifa so lange anzulegen, dass wir den Hafen von Orotava besuchen und den Gipfel des Pic besteigen koennten. Die Einschiffung verzoegerte sich nur zehn Tage, dennoch kam uns der Aufenthalt gewaltig lang vor. Wir benutzten die Zeit, die Pflanzen einzulegen, die wir in den schoenen, noch von keinem Naturforscher betretenen Thaelern Galiciens gesammelt; wir untersuchten die Tange und Weichthiere, welche die Fluth von Nordwest her in Menge an den Fuss des steilen Felsen wirft, auf dem der Wachtturm des Herkules steht. Dieser Thurm, auch "der eiserne Thurm" genannt, wurde im Jahre 1788 restauriert. Er ist 92 Fuss [30 m] hoch, seine Mauern sind 4 und einen halben Fuss [1,46 m] dick, und nach seiner Bauart ist er unzweifelhaft ein Werk der Roemer. Eine in der Naehe der Fundamente gefundene Inschrift, von der ich durch Herrn de Labordes Gefaelligkeit eine Abschrift besitze, besagt, der Thurm sey von Cajus Servius Lupus, Architekten der Stadt *Aqua Flavia* (Chaves), erbaut und dem Mars geweiht. Warum heisst der eiserne Thurm der Herkulesthurm? Sollten ihn die Roemer auf den Truemmern eines griechischen oder phoenicischen Bauwerkes errichtet haben? Wirklich behauptet Strabo, Galizien, das Land der Gallaeci, sey von griechischen Colonien bevoelkert gewesen. Nach einer Angabe des Asklepiades von Myrlaea in seiner Geographie von Spanien haetten sich nach einer alten Sage die Gefaehrten des Herkules in diesen Landstrichen niedergelassen. [Die Phoenicier und die Griechen besuchten die Kuesten von Galizien _(Gallaecia)_ wegen des Handels mit Zinn, das sie von hier wie von den Cassiteridischen Inseln bezogen.] Die Hoehen von Ferrol und Corunna sind an derselben Bai gelegen, so dass ein Schiff, das bei schlimmem Wetter gegen das Land getrieben wird, je nach der Richtung des Windes, im einen oder im anderen Hafen vor Anker gehen kann. Ein solcher Vortheil ist unschaetzbar in Strichen, wo die See fast bestaendig hoch geht, wie zwischen den Vorgebirgen Ortegal und Finisterre, den Vorgebirgen Trileucum und Artabrum der algen Geographen. Ein enger, von steilen Granitfelsen gebildeter Canal fuehrt in das weite Becken von Ferrol. In ganz Europa findet sich kein zweiter Ankerplatz, der so merkwuerdig weit ins Land hineinschnitte. Dieser enge, geschlaengelte Pass, durch den die Schiffe in den Hafen gelangen, sieht aus, als waere er durch eine Fluth oder durch wiederholte Stoesse heftiger Erdbeben eingerissen. In der Neuen Welt, an der Kueste von Neuandalusien, hat die _Laguna des Opisco_, der "Bischofsee", genau dieselbe Gestalt wie der Hafen von Ferrol. Die auffallendsten geologischen Erscheinungen wiederholen sich auf den Festlaendern an weit entlegenen Punkten, und der Forscher, der Gelegenheit gehabt, verschiedene Welttheile zu sehen, erstaunt ueber die durchgehende Gleichfoermigkeit im Ausschnitt der Kuesten, im krummen Zug der Thaeler, im Anblick der Berge und ihrer Gruppirung. Das zufaellige Zusammentreffen derselben Ursachen musste allerorten dieselben Wirkungen hervorbringen, und mitten aus der Mannigfaltigkeit der Natur tritt uns in der Anordnung der todten Stoffe, wie in der Organisation der Pflanzen und Thiere, eine gewisse Uebereinstimmung in Bau und Gestaltung eingegen. Auf der Ueberfahrt von Corunna nach Ferrol machten wir ueber einer Untiefe beim "weissen Signal," in der Bai, die nach d'Anville der _portus magnus_ der Alten war, mittels einer Thermometersonde mit Ventilen einige Beobachtungen ueber die Temperatur der See und ueber die Abnahme der Waerme in den ueber einander gelagerten Wasserschichten. Ueber der Bank zeigte das Instrument an der Meeresflaeche 12 deg.5 bis 13 deg.3 Grad der hunderttheiligen Scale, waehrend ringsumher, wo das Meer sehr tief war, der Thermometer bei 12 deg.8 Lufttemperatur auf 15 deg. - 15 deg.3 stand. Der beruehmte Franklin und Jonathan Williams, der Verfasser des zu Philadelphia erschienenen Werkes "_thermometric Navigation,_" haben zuerst die Physiker darauf aufmerksam gemacht, wie abweichend sich die Temperaturverhaeltnisse der See ueber Untiefen gestalten, sowie in der Zone warmer Wasserstroeme, die aus dem Meerbusen von Mexico zur Bank von Neufoundland und hinueber an die Nordkuesten von Europa sich erstreckt. Die Beobachtung, dass sich die Naehe einer Sandbank durch ein rasches Sinken der Temperatur an der Meeresflueche verkuendet, ist nicht nur fuer die Physik von Wichtigkeit, sie kann auch fuer Sicherheit der Schiffahrt von grosser Bedeutung werden. Allerdings wird man ueber dem Thermometer das Senkblei nicht aus der Hand legen; aber Beobachtungen, wie ich sie im Verlauf dieser Reisebeschreibung anfuehren werde, thun zur Genuege dar, dass ein Temperaturwechsel, den die unvollkommensten Instrumente anzeigen, die Gefahr verkuendet, lange bevor das Schiff ueber der Untiefe anlangt. In solchen Faellen mag die Abnahme der Meerestemperatur den Schiffer veranlassen, zum Senkblei zu greifen in Strichen, wo er sich vollkommen sicher duenkte. Auf die physischen Ursachen dieser verwickelten Erscheinungen kommen wir anderswo zurueck. Hier sey nur erwaehnt, dass die niedrigere Temperatur des Wassers ueber den Untiefen grossentheils daher ruehrt, dass es sich mit tieferen Wasserschichten mischt, welche laengs der Abhaenge der Bank zur Meeresoberflaeche aufsteigen. Eine Aufregung des Meeres von Nordwest her unterbrach unsere Versuche ueber die Meerestemperatur in der Bai von Ferrol. Die Wellen gingen so hoch, weil auf offener See ein heftiger Wind geweht hatte, in dessen Folge die englischen Schiffe sich hatten von der Kueste entfernen muessen. Man wollte die Gelegenheit zum Auslaufen benutzen; man schiffte alsbald unsere Instrumente, unsere Buecher, unser ganzes Gepaecke ein; aber der Westwind wurde immer staerker und man konnte die Anker nicht lichten. Wir benutzten den Aufschub, um an unsere Freunde in Deutschland und Frankreich zu schreiben. Der Augenblick, wo man zum erstenmal von Europa scheidet, hat etwas Ergreifendes. Wenn man sich noch so bestimmt vergegenwaertigt, wie stark der Verkehr zwischen den beiden Welten ist, wie leicht man bei den grossen Fortschritten der Schifffahrt ueber den atlantischen Ocean gelangt, der, der Suedsee gegenueber, ein nicht sehr breiter Meeresarm ist, das Gefuehl, mit dem man zum erstenmal eine weite Seereise antritt, hat immer etwas tief Aufregendes. Es gleicht keiner der Empfindungen, die uns von frueher Jugend auf bewegt haben. Getrennt von den Wesen, an denen unser Herz haengt, im Begriff, gleichsam den Schritt in ein neues Leben zu thun, ziehen wir uns unwillkuehrlich in uns selbst zusammen und ueber uns kommt ein Gefuehl des Alleinseyns, wie wir es nie empfunden. Unter den Briefen, die ich kurz vor unserer Einschiffung schrieb, befand sich einer, der fuer die Richtung unserer Reise und den Verlauf unserer spaeteren Forschungen sehr folgereich wurde. Als ich Paris verliess, um die Kueste von Afrika zu besuchen, schien die Entdeckungsreise in die Suedsee auf mehrere Jahre verschoben. Ich hatte mit Kapitaen Baudin die Verabredung getroffen, dass ich, wenn er wider Vermuthen die Reise frueher antreten koennte und ich davon Kenntniss bekaeme, von Algier aus in einen franzoesischen oder spanischen Hafen eilen wolle, um die Expedition mitzumachen. Im Begriff, in die Neue Welt abzugehen, wiederholte ich jetzt dieses Versprechen. Ich schrieb Kapitaen Baudin, wenn die Regierung in auch jetzt noch den Weg um Cap Horn nehmen lassen wolle, so werde ich mich bemuehen, mit ihm zusammenzutreffen, in Montevideo, in Chili, in Lima, wo immer er in den spanischen Kolonien anlegen moechte. Treu dieser Zusage, aenderte ich meinen Reiseplan, sobald die amerikanischen Blaetter im Jahre 1801 die Nachricht brachten, die franzoesische Expedition sey von Havre abgegangen, um von Ost nach West die Welt zu umsegeln. Ich miethete ein kleines Fahrzeug und ging von Batabano auf der Insel Cuba nach Portobelo und von da ueber die Landenge an die Kueste der Suedsee. In Folge einer falschen Zeitungsnachricht haben Bonpland und ich ueber 800 Meilen [Unter Meilen ohne Beisatz sind immer franzoesische Lieues zu verstehen.] [3600 km] in einem Lande gemacht, das wir gar nicht hatten bereisen wollen. Erst in Quito erfuhren wir durch einen Brief Delambres, des bestaendigen Secretaers der ersten Classe des Institutes, dass Kapitaen Baudin um das Kap der Guten Hoffnung gegangen und die West- und Ostkueste Amerikas gar nicht beruehrt habe. Nicht ohne ein Gefuehl von Wehmut gedenke ich einer Expedition, die mehrfach in mein Leben eingreift, und die kuerzlich von einem Gelehrten [Peron, der nach langen schmerzlichen Leiden im 35. Jahre der Wissenschaft entrissen wurde.] beschrieben worden ist, den die Menge der Entdeckungen, welche die Wissenschaft ihm dankt, und der aufopfernde Muth, den er auf seiner Laufbahn unter den haertesten Entbehrungen und Leiden bewiesen, gleich hoch stellen. Ich hatte auf die Reise nach Spanien nicht meine ganze Sammlung physikalischer, geodaetischer und astronomischer Werzeuge mitnehmen koennen; ich hatte die Doubletten in Marselle in Verwahrung gegeben und wollte sie, sobald ich Gelegenheit gefunden haette, an die Kueste der Berberei zu gelangen, nach Algier oder Tunis nachkommen lassen. In ruhigen Zeiten ist Reisenden sehr zu rathen, dass sie sich nicht mit allen ihren Instrumenten beladen; man laesst sie besser nachkommen, um nach einigen Jahren diejenigen, zu ersetzen, die durch den Gebrauch oder auf dem Transport gelitten haben. Diese Vorsicht erscheint besonders dann geboten, wenn man zahlreiche Punkte durch rein chronometrische Mittel zu bestimmen hat. Aber waehrend eines Seekriegs thut man klug, seine Instrumente, Handschriften und Sammlungen fortwaehrend bei sich zu haben. Wie wichtig dies ist, haben traurige Erfahrungen mir bewiesen. Unser Aufenthalt zu Madrid und Corunna war zu kurz, als dass ich den meteorologischen Apparat, den ich in Marseille gelassen, haette von dort kommen lassen koennen. Nach unserer Rueckkehr vom Orinoko gab ich Auftrag, mir denselben nach der Havana zu schicken, aber ohne Erfolg; weder diese Apparat, noch die achromatischen Fernroehren und der Thermometer von Arnold, die ich in London bestellt, sind mir in Amerika zugekommen. Getrennt von unseren Instrumenten, die sich an Bord der Corvette befanden, brachten wir noch zwei Tage in Corunna zu. Ein dichter Nebel, der den Horizont bedeckte verkuendete endlich die sehnlich erwartete Aenderung des Wetters. Am 4. Juni abends drehte sich der Wind nach Nordost, welche Windrichtung an der Kueste von Galizien in der schoenen Jahreszeit fuer sehr bestaendig gilt. Am fuenften ging der Pizarro wirklich unter Segel, obgleich wenige Stunden zuvor die Nachricht angelangt war, eine englische Escadre sey vom Wachtposten Sisarga signalisirt worden und scheine nach der Muendung des Tajo zu segeln. Die Leute, welche unsere Corvette die Anker lichten sahen, aeusserten laut, ehe drei Tage vergehen, seyen wir aufgebracht und mit dem Schiffe, dessen Los wir teilen muessten, auf dem Wege nach Lissabon. Diese Prophezeiung beunruhigte uns um so mehr, als wir in Madrid Mexicaner kennengelernt hatten, die sich dreimal in Cadiz nach Veracruz eingeschifft hatten, jedesmal aber fast unmittelbar vor dem Hafen aufgebracht worden und ueber Portugal nach Spanien zurueckgekehrt waren. Um zwei Uhr nachmittags war der Pizarro unter Segel. Der Canal, durch den man aus dem Hafen von Corunna faehrt, ist lang und schmal; da er sich gegen Nord oeffnet und der Wind uns entgegen war, mussten wir acht kleine Schlaege machen, von denen drei so gut wie verloren waren. Gewendet wurde immer aeusserst langsam, und einmal, unter dem Fort St. Amarro, schwebten wir in Gefahr, da uns die Stroemung sehr nahe an die Klippen trieb, an denen sich das Meer mit Ungestuem bricht. Unsere Blicke hingen am Schloss St. Antonio, wo damals der unglueckliche Malaspina als Staatsgefangener sass. Im Augenblick, da wir Europa verliessen, um Laender zu besuchen, welche dieser bedeutende Forscher mit so vielem Erfolg bereist hat, haette ich mit meinen Gefaehrten gern bei einem minder traurigen Gegenstande verweilt. Um sechs ein halb Uhr kamen wir am Thurm des Herkules vorueber, von dem oben die Rege war, der Corunna als Leuchtthurm dient, und auf dem man seit aeltesten Zeiten ein Steinkohlenfeuer unterhaelt. Der Schein dieses Feuers steht in schlechtem Verhaeltnis mit dem schoenen stattlichen Bauwerk; es ist so schwach, dass die Schiffe es erst gewahr werden, wenn sie bereits Gefahr laufen zu stranden. Bei Einbruch der Nacht wurde die See sehr unruhig und der Wind bedeutend frischer. Wir steuerten gegen Nordwest, um nicht den englischen Fregatten zu begegnen, die, wie man glaubte, in diesen Strichen kreuzten. Gegen neun Uhr sahen wir das Licht in einer Fischerhuette von Sisarga, das letzte, was uns von der Kueste von Europa zu Gesicht kam. Mit der zunehmenden Entfernung verschmolz der schwache Schimmer mit dem Licht der Sterne, die am Horizont aufgingen, und unwillkuerlich blieben unsere Blicke daran haengen. Dergleichen Eindruecke vergisst einer nie, der in einem Alter, wo die Empfindung noch ihre volle Tiefe und Kraft besitzt, eine weite Seereise angetreten hat. Welche Erinnerungen werden in der Einbildungskraft wach, wenn so ein leuchtender Punkt in finsterer Nacht, der von Zeit zu Zeit aus den bewegten Wellen aufblitzt, die Kueste des Heimatlandes bezeichnet! Wir mussten die Segel einziehen. Wir segelten zehn Knoten in der Stunde, obgleich die Corvette nicht zum Schnellsegeln gebaut war. Um sechs Uhr morgens wurde das Schlingern so heftig, dass die kleine Bramstange brach. Der Unfall hatte indessen keine schlimmen Folgen. Wir brauchten zu Ueberfahrt von Corunna nach den Canarien dreizehn Tage, und dies war lang genug, um uns in so stark befahrenen Strichen wie die Kuesten von Portugal der Gefahr auszusetzen, auf englische Schiffe zu stossen. Die ersten drei Tage zeigte sich kein Segel am Horizont, und dies beruhigte nachgerade unsere Mannschaft, die sich auf kein Gefecht einlassen konnte. Am 7. liefen wir ueber den Parallelkreis von Cap Finisterre. Die Gruppe von Granitfelsen, die dieses Vorgebirge, wie das Vorgebirge Torianes und den Berg Corcubion bilden, heisst Sierra de Torinona. Das Cap Finisterre ist niedriger als das Land umher, aber die Torinona ist auf hoher See 76,5 km weit sichtbar, woraus folgt, dass die hoechsten Gipfel derselben nicht unter 582 m hoch seyn koennen. Am 8. bei Sonnenuntergang wurde von den Masten ein englisches Convoi signalisiert, das gegen Suedost an der Kueste hinsteuerte. Ihm zu entgehen, wichen wir die Nacht hindurch aus unserem Curs. Damit durften wir in der grossen Cajuete kein Licht mehr haben, um nicht von weitem bemerkt zu werden. Diese Vorsicht, die an Bord aller Kauffahrer beobachtet wird und in dem Reglement fuer die Paketboote der koeniglichen Marine vorgeschrieben ist, brachte uns toedtliche Langeweile auf den vielen Ueberfahrten, die wir in fuenf Jahren gemacht hatten. Wir mussten uns fortwaehrend der Blendlaternen bedienen, um die Temperatur des Meerwassers zu beobachten oder an der Theilung der astronomischen Instrumente die Zahlen abzulesen. In der heissen Zone, wo die Daemmerung nur einige Minuten dauert, ist man unter diesen Umstaenden schon um sechs Uhr abends ausser Thaetigkeit gesetzt. Dies war fuer mich um so verdriesslicher, als ich vermoege meiner Constitution nie seekrank wurde, und so oft ich an Bord eines Schiffes war, immer grossen Trieb zur Arbeit fuehlte. Eine Fahrt von der spanischen Kueste nach den Canarien und von da nach Suedamerika bietet wenig Bemerkenswerthes, zumal in der guten Jahreszeit. Es ist weniger Gefahr dabei, als oft bei der Ueberfahrt ueber die grossen Schweizer Seen. Ich theile daher hier nur die allgemeinen Ergebnisse meiner magnetischen und meteorologischen Versuche in diesem Meeresstriche mit. Am 9. Juni, unter 39 deg. 50' der Breite und 16 deg. 10' westlicher Laenge vom Meridian der Pariser Sternwarte, fingen wir an die Wirkung der grossen Stroemung zu spueren, welche von den azorischen Inseln nach der Meerenge von Gibraltar und nach den canarischen Inseln geht. Indem ich den Punkt, den mir der Gang der Berthoud´schen Seeuhr angab, mit des Steuermanns Schaetzung verglich, konnte ich die kleinsten Aenderungen in der Richtung und Geschwindigkeit der Stroemungen bemerken. Zwischen dem 37. und 30. Breitengrade wurde das Schiff in vierundzwanzig Stunden zuweilen 18 bis 26 Meilen nach Ost getrieben. Anfaenglich war die Richtung des Stromes Ost 1/4 Suedost, aber in der Naehe der Meerenge wurde sie genau Ost. Capitan Macintosh und einer der gebildetsten Seefahrer unserer Zeit, Sir Erasmus Gower, haben die Veraenderungen beobachtet, welche in diese Bewegung des Wassers zu verschiedenen Zeiten des Jahres eintreten. Es kommt nicht selten vor, dass Schiffer, welche die canarischen Inseln besuchen, sich an der Kueste von Lancerota befinden, waehrend sie meinten an Teneriffa landen zu koennen. Baugainville befand sich auf seiner Ueberfahrt vom Cap Finisterre nach den Canarien im Angesicht der Insel Ferro um 4 Grade weiter nach Ost, als seine Rechnung ihm ergab. Gemeinhin erklaert man die Stroemung, die sich zwischen den azorischen Inseln, der Suedkueste von Portugal und den Canarien merkbar macht, daraus, dass das Wasser des atlantischen Oceans durch die Meerenge von Gibraltar einen Zug nach Osten erhalte. De Fleurieu behauptet sogar in den Anmerkungen zur Reise des Capitaen Marchand, der Umstand, dass das Mittelmeer durch die Verdunstung mehr Wasser verliere, als die Fluesse einwerfen, bringe im benachbarten Weltmeer eine Bewegung hervor, und der Einfluss der Meerenge sey sechshundert Meilen [2700 km] weit auf offener See zu spueren. Bei aller Hochachtung, die ich einem Seefahrer schuldig bin, dessen mit Recht sehr geschaetzten Werken ich viel zu danken habe, muss es mir gestattet seyn, diesen wichtigen Gegenstand aus einem weit allgemeineren Gesichtspunkte zu betrachten. Wirft man einen Blick auf das atlantische Meer oder das tiefe Thal, das die Westkuesten von Europa und Afrika von den Ostkuesten des neuen Continent trennt, so bemerkt man in der Bewegung der Wasser entgegengesetzte Richtungen. Zwischen den Wendekreisen, namentlich zwischen der afrikanischen Kueste am Senegal und dem Meere der Antillen, geht die allgemeine, den Seefahrern am laengsten bekannte Stroemung fortwaehrend von Morgen nach Abend. Dieselbe wird mit dem Namen *Aequinoctialstrom* bezeichnet. Die mittlere Geschwindigkeit derselben unter verschiedenen Breiten ist sich im Atlantischen Ozean und in der Suedsee ungefaehr gleich. Man kann sie auf 9 bis 10 Meilen [40 bis 45 km] in 24 Stunden, somit auf 0,59 bis 0,65 Fuss [0,18 bis 0,21 m] in der Secunde schaetzen(2). Die Geschwindigkeit, mit der die Wasser in diesen Strichen nach Westen stroemen, ist etwa ein Viertheil von der der meisten grossen europaeischen Fluesse. Diese der Umdrehung des Erdballes entgegengesetzte Bewegung des Oceans haengt mit jenem Phaenomen wahrscheinlich nur insofern zusammen, als durch die Umdrehung der Erde die Polarwinde, welche in den unteren Luftschichten die kalte Luft aus den hohen Breiten dem Aequator zufuehren, in Passatwinde umgewandelt werden. Der Aequinoctialstrom ist die Folge der allgemeinen Bewegung, in welche die Meeresflaeche durch die Passatwinde versetzt wird, und lokale Schwankungen im Zustande der Luft bleiben ohne merkbaren Einfluss auf die Staerke und die Geschwindigkeit der Stroemung. Im Canal, den der atlantische Ocean zwischen Guyana und Guinea auf 20 bis 23 Laengengrade, vom 8. oder 9. bis zum 2. oder 3. Grad noerdlicher Breite gegraben hat, wo die Passatwinde haeufig durch Winde aus Sued ode Sued-Sued-West unterbrochen werden, ist die Richtung des Aequinoctialstroms weniger constant. Der afrikanischen Kueste zu werden die Schiffe nach Suedost fortgetrieben, waehrend der Allerheiligenbai und dem Vorgebirge St. Augustin zu, denen die Schiffe, die nach der Muendung des La Plata steuern, nicht gerne nahe kommen, der allgemeine Zug der Wasser durch eine besondere Stroemung maskirt ist. Letztere Stroemung ist vom Cap St. Roch bis zur Insel Trinidad fuehlbar, sie ist gegen Nordwest gerichtet mit einer Geschwindigkeit von einem bis anderthalb Fuss in der Secunde. Der Aequinoctialstrom ist, wenn auch schwach, sogar jenseits des Wendekreises des Krebses unter 26 und 28 Grad der Breite fuehlbar. Im weiten Becken des atlantischen Oceans, sieben- bis achthundert Meilen von der afrikanischen Kueste, beschleunigt sich der Lauf der europaeischen Schiffe, welche nach den Antillen gehen, ehe sie in die heisse Zone gelangen. Weiter gegen Nord, unter dem 28. bis 35. Grad, zwischen den Parallelkreisen von Teneriffe und Ceuta, unter 46 bis 48 Grad der Laenge, bemerkt man keine constante Bewegung; denn eine 140 Meilen breite Zone trennt den Aequinoktialstrom, der nach West geht, von der grossen Wassermasse, die nach Ost stroemt und sich durch auffallend hohe Temperatur auszeichnet. Auf diese Wassermasse, bekannt unter dem Namen *Golfstrom* (_Golfstream_), sind die Physiker seit 1776 durch Franklins und Sir Charles Blagdens schoene Beobachtungen aufmerksam geworden. Da in neuerer Zeit amerikanische und englsiche Seefahrer eifrig bemueht sind, die Richtung desselben zu ermitteln, so muessen wir weiter ausholen, um ienen allgemeinen Gesichtspunkt fuer das Phaenomen zugewinnen. Der Aequinoctialstrom treibt die Wasser des atlantischen Oceans an die Kuesten der Moskito-Indianer und von Honduras. Der von Sued nach Nord gestreckte neue Continent haelt diese Stroemung auf wie ein Damm. Die Gewaesser erhalten zuerst die Richtung nach Nordwest, gelangen durch die Meerenge zwischen Cap Catoche und Cap. St. Antonio in den Meerbusen von Mexico, und folgen den Kruemmungen der mexicanischen Kueste von Vera-Cruz zur Muendung des Rio del Norte, und von da zur Muendung des Mississippi und denUntiefen westwaerts von der Ostspitze von Florida. Nach dieser grossen Drehung nach West, Nord, Ost und Sued nimmt die Stroemung wieder die Richtung nach Nord und draengt sich mit Ungestuem in den Canal von Bahama. Dort habe ich im Mai 1804, unter 26 und 27 Grad der Breite, eine Geschwindigkeit von 80 Meilen in 24 Stunden, also von 5 Fuss in der Secunde beobachtet, obgleich gerade ein sehr starker Nordwind wehte. Beim Ausgang des Canals von Bahama, unter dem Parallel von Cap Canaveral, kehr sich der Golfstrom oder Strom von Florida nach Nordost. Er gleicht hier einem reissenden Strome und erreicht zuweilen die Geschwindigkeit von fuenf Meilen in der Stunde. Der Steuermann kann, sobald er den Rand der Stroemung erreicht, mit ziemlicher Sicherheit annehmen, um was er sich in seiner Schaetzung geirrt, und wie weit er noch nach New-York, Philadelphia oder Charlestown hat; die hohe Temperatur des Wassers, sein starker Salzgehalt, die indigoblaue Farbe und die schwimmenden Massen Tang, endlich die im Winter sehr merkbare Erhoehung der Lufttemperatur geben den Golfstrom zu erkennen. Gegen Norden nimmt seine Geschwindigkeit ab, waehrend seine Breite zunimmt und die Gewaesser sich abkuehlen. Zwischen Cayo Biscaino und der Bank von Bahama ist er nur 15 Meilen, unter 281/2 Grad Breite schon 17, und unter dem Parallel von Charlestown, Cap Henlopen gegenueber, 40 bis 50 Meilen breit. Wo die Stroemung am schmalsten ist, erreicht sie eine Geschwindigkeit von 3 bis 4 Meilen in der Stunde, weiter nach Norden zu betraegt dieselbe nur noch eine Meile. Die Gewaesser des mexicanischen Meerbusens behalten auf ihrem gewaltigen Zuge nach Nordost ihre hohe Temperatur dermassen, dass ich unter 40 und 41 Grad der Breite noch 22 deg. 5 (18 deg. Reaumur) beobachtete, waehrend ausserhalb des Stroms das Wasser an der Oberflaeche kaum 17 deg. 5 (14 deg. R.) warm war. Unter der Breite von New-York und Oporto zeigt somit der Golfstrom dieselbe Temperatur wie die tropischen Meere unter 18 Grad Breite, also unter der Breite von Portorico und der Inseln des gruenen Vorgebirgs. Vom Hafen von Boston an und unter dem Meridian von Halifax, unter 14 deg. 25' der Breite und 67 deg. der Laenge, erreicht der Strom gegen 80 Seemeilen Breite. Hier kehrt er sich auf einmal nach Ost, so dass sein westlicher Rand bei der Umbiegung zur noerdlichen Grenze der bewegten Wasser wird und er an der Spitze der grossen Bank von Neufoundland wegstreicht, die Bolney sinnreich die Barre an der Muendung dieses ungeheurn Meerstroms nennt. Hoechst auffallend ist der Abstand zwischen der Temperatur des kalten Wassers ueber dieser Bank und der Waerme der Gewaesser der heissen Zone, die durch den Golfstrom nach Norden getrieben werden; jene betrug nach meinen Beobachtungen 8 deg.7 - 10 (7 - 8 deg. R.), diese 21 - 22 deg.5 (17 - 18 deg. R.). In diesen Strichen ist die Waerme im Meere hoechst sonderbar vertheilt: die Gewaesser der Bank sind um 9 deg.4 kaelter als das benachbarte Meer, und dieses ist um 3 deg. kaelter als der Strom. Diese Zonen koennen ihre Temperaturen nicht ausgleichen, weil jede ihre eigene Waermequelle oder einen Grund der Waermeerniedrigung hat, und beide Momente bestaendig fortwirken.(3) Von der Bank von Neufoundland, oder vom 52. Grad der Breite bis zu den Azoren bleibt der Golfstrom nach Ost oder Ost-Sued-Ost gerichtet. Noch immer wirkt hier in den Gewaessern der Stoss nach, den sie tausend Meilen von da in der Meerende von Florida, zwischen der Insel Cuba und den Untiefen der Schildkroeteninseln, erhalten haben. Diese Entfernung ist das Doppelte von der Laenge des Laufs des Amazonenstromes von Jaen oder dem Pass von Manseriche zum Gran-Para. Im Meridian der Inseln Corvo und Flores, der westlichsten der Gruppe der Azoren, nimmt die Stroemung eine Meeresstrecke von 160 Meilen in der Breite ein. Wenn die Schiffe auf der Rueckreise aus Suedamerika nach Europa diese beiden Inseln aufsuchen, um ihre Laenge zu berichtigen, so gewahren sie immer deutlich den Zug des Wassers nach Suedost. Umter 33 Grad der Breite rueckt der tropische Aequinoctialstrom dem Golfstrom sehr nahe. In diesem Striche des Weltmeeres kann man an Einem Tage aus den Gewaessern, die nach West laufen, in diejenigen gelangen, die nach Suedost oder Ost-Sued-Ost stroemen. Von den Azoren an nimmt der Strom von Florida seine Richtung gegen die Meerenge von Gibraltar, die Insel Madera und die Gruppe der Canarien. Die Pforte bei den Saeulen des Herkules beschleunigt ohne Zweifel den Zug des Wassers gegen Ost. Und in diesem Sinne mag man mit Recht behaupten, die Meerenge, durch welche Mittelmeer und Atlantischer Ozean zusammenhaengen, aeussere ihren Einfluss auf sehr weite Ferne; sehr wahrscheinlich wuerden aber, auch wenn die Meerenge nicht bestaende, Fahrzeuge, die nach Teneriffa segeln, dennoch nach Suedost getrieben, und zwar infolge eines Anstosses, dessen Ursprung man an den Kuesten der neuen Welt zu suchen hat. Im weiten Meeresbecken pflanzen sich alle Bewegungen fort, gerade wie im Luftmeer. Verfolgt man die Stroemungen rueckwaerts zu ihren fernen Quellen, gibt man sich Rechenschaft von dem Wechsel in ihrer Geschwindigkeit, warum sie bald abnimmt, wie zwischen dem Canal von Bahama und der Bank von Neufoundland, bald wieder waechst, wie in der Naehe der Meerenge von Gibraltar und bei den canarischen Inseln, so kann man nicht darueber im Zweifel seyn, dass dieselbe Ursache, welche die Gewaesser im Meerbusen von Mexiko herumdreht, sie auch bei der Insel Madera in Bewegung setzt. Suedlich von letztgenannter Insel laesst sich die Stroemung in ihrer Richtung nach Suedost und Sued-Sued-Ost gegen die Kueste von Afrika zwischen Cap Cantin und Cap Bojador verfolgen. In diesen Strichen sieht sich ein Schiff bei stillem Wetter nahe an der Kueste, wenn es sich nach der nicht berichtigten Schaetzung noch weit davon entfernt glaubt. Ist die Oeffnung bei Gibraltar die Ursache der Bewegung des Wassers, warum hat dann die Stroemung suedlich von der Meerenge nicht die entgegengesetzte Richtung? Im Gegentheil aber geht sie unter dem 25. und 26. Grad der Breite erst grade nach Sued und dann nach Suedwest. Cap Blanc, nach Cap Verd das am weitesten sich hinausstreckende Vorgebirge, scheint Einfluss auf diese Richtung zu aeussern, und unter der Breite desselben mischen sich die Wasser, deren Bewegung wir von der Kueste von Honduras bis zur afrikanischen verfolgt haben, mit dem grossen tropischen Strom, um den Lauf von Morgen nach Abend von neuem zu beginnen. Wir haben oben bemerkt, dass mehrere hundert Kilometer westwaerts von den Canarien der eigenthuemliche Zug der Aequinoktialgewaesser schon in der gemaessigten Zone, von 28. und 29. Breitengrad an, bemerklich wird; aber im Meridian der Insel Ferro kommen sie Schiffe suedwaerts bis zum Wendekreis des Krebses, ehe sie sich nach Schaetzung ostwaerts von ihrer wahren Laenge befinden. Wie nun aber die noerdliche Grenze des tropischen Stroms und der Passatwinde nach den Jahreszeiten sich verschiebt, so zeigt sich auch der Golfstrom nach Stellung und Richtung veraenderlich. Diese Schwankungen sind besonders auffallend vom 28. Breitegrad bis zur grossen Band von Neufoundland, ebenso zwischen dem 48. Grad westlicher Laenge von Paris und dem Meridian der Azoren. Die wechselnden Winde in der gemaessigten Zone und das Schmelzen des Eises am Nordpol von wo in den Monaten Juli und August eine bedeutende Masse suessen Wassers nach Sueden abfliesst, erscheinen als die vornehmsten Ursachen, aus welchen sich in diesen hohen Breiten Staerke und Richtung des Golfstoms veraendern. Wir haben gesehen, dass zwischen dem 11. und 43. Grad der Breite die Gewaesser des atlantischen Oceans mittelst Stroemungen fortwaehrend im Kreise umhergefuehrt werden. Angenommen, ein Wassertheilchen gelange zu derselben Stelle zurueck, von der es ausgegangen, so laesst sich, nach dem, was wir bis jetzt von der Geschwindigkeit der Stroemungen wissen, berechnen, dass es zu seinem 3800 Meilen langen Umlauf zwei Jahre und zehn Monate brauchte. Ein Fahrzeug, bei dem man von der Wirkung des Windes absaehe, gelangte in dreizehn Monaten von den canarischen Inseln an die Kueste von Caracas. Es brauchte zehn Monate, um im Meerbusen von Mexico herum zu kommen und um zu den Untiefen der Schildkroeteninseln gegenueber vom Hafen von Havana zu gelangen, aber nur vierzig bis fuenfzig Tage vom Eingang der Meerenge von Florida bis Neufoundland. Die Geschwindigkeit der ruecklaeufigen Stroemung von jener Bank bis an die Kueste von Afrika ist schwer zu schaetzen; nimmt man sie im Mittel auf 7 oder 8 Meilen in vierundzwanzig Stunden an, so ergeben sich fuer diese letzte Strecke zehn bis elf Monate. Solches sind die Wirkungen des langsamen, aber regelmaessigen Zuges, der die Gewaesser des Oceans herumfuehrt. Das Wasser des Amazonenstroms braucht von Tomependa bis zum Gran-Para etwa fuenfundvierzig Tage. Kurz vor meiner Ankunft auf Teneriffa hatte das Meer auf der Rhede von Santa Cruz einen Stamm der _Cedrela odorata_, noch mit der Rinde, ausgeworfen. Dieser amerikanischen Baum waechst nur unter den Tropen oder in den zunaechst angrenzenden Laendern. Er war ohne Zweifel an der Kueste von Terra Firma oder Honduras abgerissen worden. Die Beschaffenheit des Holzes und der Flechten auf der Rinde zeigte augenscheinlich, dass der Stamm nicht etwa von einem der unterseeischen Waelder herruehrte, welche durch alte Erdumwaelzungen in die Floetzgebilde noerdlicher Laender eingebettet worden sind. Waere der Cedrelastamm, statt bei Teneriffa ans Land geworfen zu werden, weiter nach Sueden gelangt, so waere er wahrscheinlich rings um den ganzen atlantischen Ocean gefuehrt worden und mittels des allgemeinen tropischen Stroms wieder in sein Heimathland gelangt. Diese Vermuthung wird durch einen aelteren Fall unterstuetzt, dessen Abbe Viera in seiner allgemeinen Geschichte der Canarien erwaehnt. Im Jahre 1770 wurde ein mit Getreide beladenes Fahrzeug, das von der Insel Lancerota nach Santa Cruz auf Teneriffa gehen sollte, auf die hohe See getrieben, als sich niemand von der Mannschaft an Bord befand. Der Zug der Gewaesser von Morgen nach Abend fuehrte es nach Amerika, wo es an der Kueste von Guyana bei Caracas strandete. Zu einer Zeit, wo die Schifffahrtskunst noch wenig entwickelt war, bot der Golfstrom dem Geiste eines Christoph Columbus sichere Anzeichen vom Daseyn westwaerts gelegener Laender. Zwei Leichname, die nach ihrer Koerperlichkeit einem unbekannten Menschenstamme angehoerten, wurden gegen Ende des 15. Jahrhunderts bei den azorischen Inseln ans Land geworfen. Ungefaehr um dieselbe Zeit fand Columbus Schwager, Peter Borrea, Statthalter von Porto Santo, am Strande dieser Insel maechtige Stuecke Bambusrohr, die von der Stroemung und den Westwinden angeschwemmt worden waren. Diese Leichname und diese Rohre machten den genuesischen Seemann aufmerksam; er errieth, dass beide von einem gegen West gelegenen Festlande herruehren mussten. Wir wissen jetzt, dass in der heissen Zone die Passatwinde und der tropische Strom sich jeder Wellenbewegung in der Richtung der Umdrehung der Erde widersetzen. Erzeugnisse der neuen Welt koennen in die alte Welt nur in hohen Breiten und in der Richtung des Stroms von Florida gelangen. Haeufig werden Fruechte verschiedener Baeume der Antillen an den Kuesten der Inseln Ferro und Gomera angetrieben. Vor der Entdeckung von Amerika glaubten die Canarier, diese Fruechte kommen von der bezauberten Insel St. Borondon, die nach den Seemannsmaerchen und gewissen Sagen westwaerts in einem Striche des Oceans liegen sollte, der bestaendig in Nebel gehuellt sey. Mit dieser Uebersicht der Stroemungen im Atlantischen Meere wollte ich hauptsaechlich darthun, dass der Zug der Gewaesser gegen Suedost, von Kap St. Vincent zu den canarischen Inseln, eine Wirkung der allgemeinen Bewegung ist, in der sich die Oberflaeche des Ozeans an seinem Westende befindet. Wir erwaehnen daher nur kurz des Arms des Golfstroms, der unter dem 45. und 50. Grad der Breite, bei der Bank Bonnet Flamand, von Suedwest nach Nordost gegen die Kuesten von Europa gerichtet ist. Diese Abtheilung des Stromes wird sehr reissend, wenn der Wind lange aus West geblasen hat. Gleich dem, der an Ferro und Gomera vorueberstreicht, wirft er alle Jahre an die Westkuesten von Irland und Norwegen Fruechte von Baeumen, welche dem heissen Erdstrich Amerikas eigenthuemlich sind. Am Strande der Hebriden findet man Samen von _Mimosa scandens_, _Dolichos urens_, _Guilandina bonduc_, und verschiedener anderer Pflanzen von Jamaika, Cuba und dem benachbarten Festland. Die Stroemung treibt nicht selten wohl erhaltene Faesser mit franzoesischen Wein an, von Schiffen, die im Meere der Antillen Schiffbruch gelitten. Neben diesen Beispielen von den weiten Wanderungen der Gewaechse stehen andere, welche die Einbildungskraft beschaeftigen. Die Truemmer des englischen Schiffes Tilbury, das bei Jamaika verbrannt war, wurden an der schottischen Kueste gefunden. In denselben Strichen kommen zuweilen verschiedene Arten von Schildkroeten vor, welche das Meer der Antillen bewohnen. Hat der Westwind lange angehalten, so entsteht in den hohen Breiten eine Stroemung, die von den Kuesten von Groenland und Labrador bis nordwaerts von Schottland gerade nach Ost-Sued-Ost gerichtet ist. Wie Wallace berichtet, gelangten zweimal, in den Jahren 1682 und 1864, amerikanische Wilde vom Stamme der Eskimos, die ein Sturm in ihren Canoes aus Fellen auf die hohe See verschlagen, mittels der Stroemung zu den orcadischen Inseln. Dieser letztere Fall verdient um so mehr Aufmerksamkeit, als man daraus ersieht, wie zu einer Zeit, wo die Schifffahrt noch in ihrer Kindheit war, die Bewegung der Gewaesser des Oceans ein Mittel werden konnte, um die verschiedenen Menschenstaemme ueber die Erde zu verbreiten. Das Wenige, was wir bis jetzt ueber die wahre Lage und die Breite des Golfstroms, so wie ueber die Fortsetzung desselben gegen die Kuesten von Europa und Afrika wissen, ist die Frucht der zufaelligen Beobachtung einiger unterrichteten Maenner, welche in verschiedenen Richtungen ueber das atlantische Meer gefahren sind. Da die Kenntiss der Stroemungen zu Abkuerzung der Seefahrten wesentlich beitragen kann, so waere es von so grossem Belang fuer die praktische Seemannskunst, als wissenschaftlich von Interesse, wenn Schiffe mit vorzueglichen Chronometern im Meerbusen von Mexico und im noerdlichen Ocean zwischen dem 30. und 54. Grad der Breite kreuzten, ganz eigens zu dem Zweck, um zu ermitteln, in welchem Abstand sich der Golfstrom in den verschiedenen Jahreszeiten und unter dem Einfluss der verschiedenen Winde suedlich von der Muendung des Mississippi und ostwaerts von den Vorgebirgen Hatteras und Codd haelt. Dieselben koennten zu untersuchen haben, ob der grosse Strom von Florida bestaendig am oestlichen Ende der Bank von Neufoundland hinstreicht, und unter welchem Parallel zwischen dem 32. und 40. Grad westlicher Laenge die Gewaesser, die von Ost nach West stroemen, denen, welche die umgekehrte Richtung haben, am naechsten gerueckt sind. Die Loesung der letzteren Frage ist desto wichtiger, als die meisten Fahrzeuge, welche von den Antillen oder vom Cap der guten Hoffnung nach Europa zurueckgehen, die bezeichneten Striche befahren. Neben der Richtung und Geschwindigkeit der Stroemungen koennte sich eine solche Expedition mit Beobachtungen ueber die Meerestemperatur, ueber die Linien ohne Abweichung, die Inclination der Magnetnadel und die Intensitaet der magnetischen Kraft beschaeftigen. Beobachtungen dieser Art erhalten einen hohen Werth, wenn der Punkt, wo sie angestellt worden, astronomisch bestimmt ist. Auch in den von Europaeern am starksten besuchten Meeren, weit von jeder Kueste, kann ein unterrichteten Seemann der Wissenschaft wichtige Dienste leisten. Die Entdeckung einer unbewohnten Inselgruppe ist von geringerem Interesse, als die Kenntniss der Gesetze, welche um eine Menge vereinzelter Thatsachen das einigende Band schlingen. Denkt man den Ursachen der Stroemungen nach, so erkennt man, dass sie viel haeufiger vorkommen muessen, als man gemeiniglich glaubt. Die Gewaesser des Meeres koennen durch gar mancherlei in Bewegung gesetzt werden, durch einen aeussern Anstoss, durch Verschiedenheiten in Temperatur und Salzgehalt, durch das zeitweise, Schmelzen des Polareises, endlich durch das ungleiche Maass der Verdunstung unter verschiedenen Breiten. Bald wirken mehrere dieser Ursachen zum selben Effekt zusammen, bald bringen sie entgegengesetzte Effekte hervor. Schwache, aber bestaendig in einem gnazen Erdguertel wehende Winde, wie die Passatwinde, bedingen eine Bewegung vorwaerts, wie wir sie selbst bei den staerksten Stuermen nicht beobachten, weil diese auf ein kleines Gebiet beschraenkt sind. Wenn in einer grossen Wassermasse die Wassertheilchen an der Oberflaeche specifisch verschieden schwer werden, so bildet sich an der Flaeche ein Strom dem Punkte zu, wo das Wasser am kaeltesten ist, oder am meisten salzsaures Natron, schwefelsauren Kalk und schwefelsaure oder salzsaure Bittererde enthaelt. In den Meeren unter den Wendekreisen zeigt der Thermometer in grossen Tiefen nicht mehr als 7 - 8 Grad der hunterttheiligen Scale. Diess ergibt sich aus zahlreichen Beobachtungen des Commodore Ellis und Perons. Da in diesen Strichen die Lufttemperatur nie unter 19 - 20 Grad sinkt, so kann das Wasser einen dem Gefrierpunkt und dem Maximum der Dichtigkeit des Wassers so nahe gerueckten Kaeltegrad nicht an der Oberflaeche angenommen haben. Die Existenz solcher kalten Wasserschichten in niedern Breiten weist somit auf einen Strom hin, der in der Tiefe von den Polen zum Aequator geht; sie weist ferner darauf hin, dass die Salze, welche das specifische Gewicht des Wassers veraendern, im Ocean so vertheilt sind, dass sie die von der Verschiedenheit im Waermegrad abhaengigen Wirkungen nicht aufheben. Bedenkt man, dass in Folge der Umdrehung der Erde die Wassertheilchen je nach der Breite eine verschiedene Geschwindigkeit haben, so sollte man voraussetzen, dass jede von Sued nach Nord gehende Stroemung zugleich nach Ost, die Gewaesser dagegen, die vom Pol zum Aequator stroemen, nach West abgelenken muessten. Man sollte ferner glauben, dass diese Neigung den tropischen Strom bis zu einem gewissen Grad einerseits verlangsamen, andererseits dem Polarstrom, der sich im Juli und August, wenn das Eis schmilzt, unter der Breite der Bank von Neufoundland und weiter nordwaerts regelmaessig einstellt, eine andere Richtung geben muesste. Sehr alte nautische Beobachtungen, die ich bestaetigen Gelegenheit hatte, indem ich die vom Chronometer angegebene Laenge mit der Schaetzung des Schiffers verglich, widersprechen diesen theoretischen Annahmen. In beiden Hemisphaeren weichen die Polarstroeme, wenn sie merkbar sind, ein wenig nach Ost ab; und nach unserer Ansicht ist der Grund dieser Erscheinung in der Bestaendigkeit der in hohen Breiten herrschenden Westwinde zu suchen. Ueberdiess bewegen sich die Wassertheilchen nicht mit derselben Geschwindigkeit wie die Lufttheilchen, und die staerksten Meerestroemungen, die wir kennen, legen nur 8 bis 9 Fuss in der Secunde zurueck; es ist demnach hoechst wahrscheinlich, dass das Wasser, indem es durch verschiedene Breiten geht, die denselben entsprechende Geschwindigkeit annimmt, und dass die Umdrehung der Erde ohne Einfluss auf die Richtung der Stroemungen bleibt. Der verschiedene Druck, dem die Meeresflaeche in Folge der wechselnden Schwere der Luft unterliegt, erscheint als eine weitere Ursache der Bewegung, die besonders ins Auge zu fassen ist. Es ist bekannt, dass die Schwankungen des Barometers im Allgemeinen nicht gleichzeitig an zwei auseinanderliegenden, im selben Niveau befindlichen Punkten eintreten. Wenn am einen dieser Punkte der Barometer einige Linien tiefer steht als am andern, so wird sich dort das Wasser in Folge des geringeren Luftdrucks erheben, und diese oertliche Anschwellung wird andauern, bis durch den Wind das Gleichgewicht der Luft wiederhergestellt ist. Nach Bauchers Ansicht ruehren die Schwankungen im Spiegel des Genfer Sees, die sogenannten "Seiches", eben davon her. In der heissen Zone koennen die stuendlichen Schwankungen des Barometers kleine Schwingungen an der Meeresflaeche hervorbringen, da der Meridian von 4 Uhr, der dem Minimum des Luftdrucks entspricht, zwischen den Meridianen von 21 und 11 Uhr liegt, wo das Quecksilber am hoechsten steht; aber diese Schwingungen, wenn sie ueberhaupt merkbar sind, koennen keine Bewegung in horizontaler Richtung zur Folge haben. Ueberall wo eine solche durch die Ungleichheit im specifischen Gewicht der Wassertheile entsteht, bildet sich ein doppelter Strom, ein oberer und ein unterer, die entgegengesetzte Richtungen haben. Daher ist in den meisten Meerengen wie in den tropischen Meeren, welche die kalten Gewaesser der Polarregionen aufnehmen, die ganze Wassermasse bis zu bedeutender Tiefe in Bewegung. Wir wissen nicht, ob es sich eben so verhaelt, wenn die Vorwaertsbewegung, die man nicht mit dem Wellenschlag verwechseln darf, Folge eines aeussern Anstosses ist. De Fleurien fuehrt in seinem Bericht ueber die Expedition der Isis mehrere Thatsachen an, die darauf hinweisen, dass das Meer in der Tiefe weit weniger ruhig ist, als die Physiker gewoehnlich annehmen. Ohne hier auf eine Untersuchung einzugehen, jmit der wir uns in der Folge zu beschaeftigen haben werden, bemerken wir nur, dass, wenn der aeussere Anstoss ein andauernder ist, wie bei den Passatwinden, durch die gegenseitige Reibung der Wassertheilchen die Bewegung nothwendig von Meeresflaeche sich auf die tieferen Wasserschichten fortpflanzen muss. Eine solche Fortpflanzung nehmen auch die Seefahrer beim Golfstrom schon lange an; auf die Wirkungen derselben scheint ihnen die grosse Tiefe hinzudeuten, welche das Meer aller Orten zeigt, wo der Strom von Florida durchgeht, sogar mitten in den Sandbaenken an den Nordkuesten der Vereinigten Staaten. Dieser ungeheure Strom warmen Wassers hat, nachdem er in fuenfzig Tagen vom 24. bis 45. Grad der Breite 450 Meilen zurueckgelegt, trotz der bedeutenden Winterkaelte in der gemaessigten Zone, kaum 3 - 4 Grad von seiner urspruenglichen Temperatur unter den Tropen verloren. Die Groesse der Masse und der Umstand, dass das Wasser ein schlechter Waermeleiter ist, machen, dass die Abkuehlung nicht rascher erfolgt. Wenn sich somit der Golfstrom auf dem Boden des atlantischen Oceans ein Bett gegraben hat, und wenn seine Gewaesser bis in betraechtliche Tiefen in Bewegung sind, so muessen sie auch in ihren untern Schichten eine hoehere Temperatur behalten, als unter derselben Breite Meeresstriche ohne Stroemungen und Untiefen zeigen. Diese Fragen sind nur durch unmittelbare Beobachtungen mittelst des Senkbleis mit Thermometer zu loesen. Sir Erasmus Gower bemerkt, auf der Ueberfahrt von England nach den canarischen Inseln gerathe man in die Stroemung und dieselbe treibe vom 39. Breitegrade an die Schiffe nach Suedost. Auf unerer Fahrt von Corunna nach Suedamerika machte sich der Einfluss dieses Zugs der Wasser noch weiter noerdlich merkbar. Vom 37. zum 30. Grad war die Abweichung sehr ungleich; sie betrub taeglich im Mittel zwoelf Meilen, das heisst usnere Corvette wurde in sechs Tagen um 72 Seemeilen gegen Ost abgetrieben. Als wir auf 140 Meilen (Lieues) Entfernung den Parallel der Meerenge von Gibraltar schnitten, hatten wir Gelegenheit zur Beobachtung, dass in diesen Strichen das Maximum der Geschwindigkeit nicht der Oeffnung der Meerenge selbst entspricht, sondern einem noerdlicher gelegenen Punkte in der Verlaengerung einer Linie, die man durch die Meerenge und Cap Vincent zieht. Diese Linie laeuft von der Gruppe der azorischen Inseln bis zum Cap Cantin parallel mit der Richtung der Gewaesser. Es ist ferner zu bemerken, und der Umstand ist fuer die Physiker, die sich mit der Bewegung der Fluessigkeiten beschaeftigen, nicht ohne Interesse, dass in diesem Stueck des ruecklaeufigen Stromes, in einer Breite von 120 bis 140 Meilen, nicht die ganze Wassermasse dieselbe Geschwindigkeit, noch dieselbe Richtung hat. Bei ganz ruhiger See zeigen sich an der Oberflaeche schmale Streifen, kleinen Baechen gleich, in denen das Wasser mit einem fuer das Ohr des geuebten Schiffers wohl hoerbaren Geraeusch hinstroemit. Am 13. Juni, unter 34 deg. 35' noerdlicher Breite, befanden wir uns mitten unter einer Menge solcher Strombetten. Wir konnten die Richtung derselben mit dem Compass aufnehmen: die einen liefen nach Nordost, anderen nach Ost-Nord-Ost, trotz dem, dass der allgemeine Zug der See, wie die Vergleichung der Schaetzung mit der chronometrischen Laenge angab, fortwaehrend nach Suedost gieng. Sehr haeufig sieht man eine stehende Wassermasse von Wasserfaeden durchzogen, die nach verschiedenen Richtungen stroemen; solches kann man taeglich an der Oberflaeche unserer Landseen beobachten, aber seltener bemerkt man solch partielle Bewegungen kleiner Wassertheile in Folge lokaler Ursachen mitten in einem Meeresstrome, der sich ueber ungeheure Raeume erstreckt und sich immer in derselben Richtung, wenn auch nicht mit bedeutender Geschwindigkeit fortbewegt. Die sich kreuzenden Stroemungen beschaeftigen unsere Einbildungskraft, wie der Wellenschlag, weil diese Bewegungen, die den Ocean in bestaendiger Unruhe erhalten, sich zu durchdringen scheinen. Wir fuhren am Cap Vincent, das aus Besalt besteht, auf mehr als 80 Meilen [360 km] Entfernung vorueber. Auf 15 Meilen [67,5 km] erkennt man es nicht mehr deutlich, aber die Foya von Monchique, ein Granitberg in der Naehe des Caps, soll, wie die Steuerleute behaupten, auf 26 Meilen [117 km] in See sichtbar seyn. Verhaelt es sich wirklich so, so ist die Foya 700 Toisen (1363 Meter) hoch, also 116 Toisen (225 Meter) hoeher als der Vesuv. Es ist auffallend, dass die portugiesische Regierung kein Feuer auf einem Punkte unterhaelt, nach dem sich alle vom Cap der guten Hoffnung und vom Cap Horn kommenden Schiffe richten muessen; nach keinem anderen Punkte wird mit so viel Ungeduld ausgeschaut, bis er in Sicht kommt. Die Feuer auf dem Turm des Herkules und am Cap Spichel sind so schwach und so wenig weit sichtbar, dass man sie gar nicht rechnen kann. Dazu waere das Capuzinerkloster, das auf Kap Vincent steht, ganz der geeignete Platz zu einem Leuchtturm mit sich drehendem Feuer, wie zu Cadix und an der Garonnemuendung. Seit unserer Abfahrt von Corunna und bis zum 36. Breitegrad hatten wir ausser Meerschwalben und einigen Delphinen fast kein lebendes Wesen gesehen. Umsonst sahen wir uns nach Tangen und Weichthieren um. Am 11. Juni aber hatten wir ein Schauspiel, das uns hoechlich ueberraschte, das wir aber spaeter in der Suedsee haeufig genossen. Wir gelangten in einen Strich, wo das Meer mit einer ungeheuren Menge Medusen bedeckt war. Das Schiff stand beinahe still, aber die Weichtiere zogen gegen Suedost, viermal rascher als die Stroemung. Ihr Vorueberzug waehrte beinahe dreiviertel Stunden, und dann sahen wir nur noch einzelne Individuen dem grossen Haufen, wie wandermuede, nachziehen. Kommen diese Thiere vom Grunde des Meeres, das in diesen Strichen wohl mehrere tausend Toisen tief ist? oder machen sie in Schwaermen weite Zuege? Wie man weiss, lieben die Weichthiere die Untiefen, und wenn die acht Klippen unmittelbar unter dem Wasserspiegel, welche Kapitaen Vobonne im Jahr 1732 nordwaerts von der Insel Porto Santo gesehen haben will, wirklich vorhanden sind, so laesst sich annehmen, dass diese ungeheure Masse von Medusen dorther kam, denn wir befanden uns nur 28 Meilen [126 km] von jenen Klippen. Wir erkannten neben der _Medusa aurita_ von Baster und der _M. pelagica_ von Bosc mit acht Tentakeln _(Pelagia denticulata, Peron)_ eine dritte Art, die sich der _M. hysocella_ naehert, die Vandelli an der Muendung des Tajo gefunden hat. Sie ist ausgezeichnet durch die braungelbe Farbe und dadurch, dass die Tentakeln laenger sind als der Koerper. Manche dieser Meernesseln hatten vier Zoll [10 cm] im Durchmesser; ihr fast metallischer Glanz, ihre violett und purpurn schillernde Faerbung hob sich vom Blau der See aeusserst angenehm ab. Unter den Medusen fand Bonpland Buendel der _Dagysa notata_, eines Weichthiers von sonderbarem Bau, das Sir Joseph Banks zuerst kennen gelernt hat. Es sind kleine gallertartige Saecke, durchsichtig, walzenfoermig, zuweilen vieleckig, 13 Linien [3 mm] lang, 2 - 3 [0,5 bis 0,7 mm] im Durchmesser. Diese Saecke sind an beiden Enden offen. An der einen Oeffnung zeigt sich eine durchsichtige Blase mit einem gelben Fleck. Diese Cylinder sind der Laenge nach aneinander geklebt wie Bienenzellen und bilden 6 - 8 Zoll [16 bis 21 cm] lange Schnuere. Umsonst versuchte ich die galvanische Elektricitaet an diesen Weichthieren; sie brachte keine Zusammenziehung hervor. Die Gattung _Dagysa_, die zur Zeit von Cooks erster Reise zuerst aufgestellt wurde, scheint zu den Salpen zu gehoeren. Auch die Salpen wandern in Schwaermen, wobei sie sich zu Schnueren an einander haengen, wie wir bei der _Dagysa_ gesehen. Am 13. Juni Morgens unter 34 deg. 33' Breite sahen wir wieder bei vollkommen ruhiger See grosse Haufen des letzterwaehnten Thiers vorbeitreiben. Bei Nacht machten wir die Beobachtung, dass alle drei Medusenarten, die wir gefangen, nur leuchteten, wenn man sie ganz leicht anstiess. Diese Eigenschaft kommt also nicht der von Forskael in seiner _Fauna Aegytiaca_ beschriebenen _Medusa noctiluca_ allein zu, die Gmelin mit der _Medusa pelagica_ Loeflings vereinigt, obgleich sie rote Tentakeln und braune Koerperwarzen hat. Legt man eine sehr reizbare Meduse auf einen Zinnteller und schlaegt mit irgendeinem Metall an den Teller, so wird das Tier schon durch die leichte Schwingung des Zinns leuchtend. Galvanisirt man Medusen, so zeigt sich zuweilen der phosphorische Schein im Moment, wo man die Kette schliesst, wenn auch die Excitatoren die Organe des Tieres nicht unmittelbar beruehren. Die Finger, mit denen man es beruehrt, bleiben ein paar Minuten leuchtend, wie man dies auch beobachtet, wenn man das Gehaeuse der Pholaden zerbricht. Reibt man Holz mit dem Koerper einer Meduse und leuchtet die geriebene Stelle nicht mehr, so erscheint der Schimmer wieder, wenn man mit der trockenen Hand ueber das Holz faehrt. Ist derselbe wieder verschwunden, so laesst er sich nicht noch einmal hervorrufen, wenn auch die geriebene Stelle noch feucht und klebrig ist. Wie wirkt in diesem Falle die Reibung oder der Stoss? Die Frage ist schwer zu beantworten. Ruft etwa eine kleine Temperaturerhoehung den Schein hervor, oder kommt er wieder, weil man die Oberflaeche erneuert und so die Theile des Thiers, welche den Phosphorwasserstoff entbinden, mit dem Sauerstoff der atmosphaerischen Luft in Beruehrung bringt? Ich habe durch Versuche, die im Jahre 1797 veroeffentlicht worden, dargethan, dass Scheinholz in reinem Wasserstoff und Stickstoff nicht mehr leuchtet, und dass der Schein wiederkehrt, sobald man die kleinste Blase Sauerstoff in das Gas treten laesst. Diese Thatsachen, deren wir in der Folge noch mehrere anfuehren werden, bahnen uns den Weg zur Erklaerung des Meerleuchtens und des besonderen Umstandes, dass das Erscheinen des Lichtschimmers mit dem Wellenschlag in Zusammenhang steht. Zwischen Madera und der afrikanischen Kueste hatten wir gelinde Winde oder Windstille, wodurch ich mich bei den magnetischen Versuchen, mit denen ich mich bei der Ueberfahrt beschaeftigte, sehr gefoerdert sah. Wir wurden nicht satt, die Pracht der Naechte zu bewundern; nichts geht ueber die Klarheit und Heiterkeit des afrikanischen Himmels. Wir wunderten uns ueber die ungeheure Menge Sternschnuppen, die jeden Augenblick niedergingen. Je weiter wir nach Sueden kamen, desto haeufiger wurden sie, besonders bei den canarischen Inseln. Ich glaube auf meinen Reisen die Beobachtung gemacht zu haben, dass diese Feuermeteore ueberhaupt in manchen Landstrichen haeufiger vorkommen und glaenzender sind als in anderen. Nie sah ich ihrer so viele als in der Naehe der Vulkane der Provinz Quito und in der Suedsee an der vulkanischen Kueste von Guatimala. Der Einfluss, den Oertlichkeit, Klima und Jahreszeit auf die Bildung der Sternschnuppen zu haben scheinen, trennt diese Classe von Meteoren von den Aerolithen, die wahrscheinlich dem Weltraume ausserhalb unseres Luftkreises angehoeren. Nach den uebereinstimmenden Beobachtungen von Benzenberg und Brandes erscheinen in Europa viele Sternschnuppen nicht mehr als 30,000 Toisen [58 470 m] ueber der Erde. Man hat sogar eine gemessen, die nur 14,000 Toisen [27 280 m] hoch war. Es waere zu wuenschen, dass dergleichen Messungen, die nur annaehernde Resultate ergeben koennen, oefters wiederholt wuerden. In den heissen Landstrichen, besonders unter den Tropen, zeigen die Sternschnuppen einen Schweif, der noch 12 bis 15 Secunden fortleuchtet; ein andermal ist es, als platzten sie und zerstieben in mehrere Lichtfunken, und im allgemeinen sind sie viel weiter unten in der Luft als im noerdlichen Europa. Man sieht sie nur bei heiterem, blauen Himmel, und unter einer Wolke ist wohl noch nie eine beobachtet worden. Haeufig haben die Sternschnuppen ein paar Stunden lang eine und dieselbe Richtung, und dies ist dann die Richtung des Windes. In der Bucht von Neapel haben Gay-Lussac und ich Lichterscheinungen beobachtet, die denen, welche mich bei meinem langen Aufenthalt in Mexiko und Quito beschaeftigten, sehr aehnlich waren. Das Wesen dieser Meteore haengt vielleicht ab von der Beschaffenheit von Boden und Luft, gleich gewissen Erscheinungen von Luftspiegelung und Strahlenbrechung an der Erdoberflaeche, wie sie an den Kuesten von Calabrien und Sicilien vorkommen. Wir bekamen auf unserer Fahrt weder die Inseln Desiertas noch Madera zu Gesicht. Gerne haette ich die Laenge dieser Inseln berichtigt und von den vulkanischen Bergen nordwaerts von Funchal Hoehenwinkel genommen. De Borda berichtet, man sehe diese Berge auf 20 Meilen [90 km], was nur auf eine Hoehe von 414 Toisen (806 Meter) hinweise; wir wissen aber, dass nach neueren Messungen der hoechste Gipfel von Madera 5167 englische Fuss oder 807 Toisen [1573 m] hoch ist. Die kleinen Inseln Desiertas und Salvages, auf denen man Orseille und _Mesembryanthemum crystallinum_ sammelt, haben nicht 200 Toisen senkrechter Haehe. Es scheint mir von Nutzen, die Seefahrer auf dergleichen Bestimmungen hinzweisen, weil sich mittelst einer Methode, deren in dieser Reisebeschreibung oefter Erwaehnung geschieht und deren sich Borda, Lord Mulgrave, de Rossel und Don Cosme Churruca auf ihren Reisen mit Erfolg bedient haben, durch Hoehenwinkel, die man mit guten Reflexionsinstrumenten nimmt, mit hinlaenglicher Genauigkeit ermitteln laesst, wie weit sich das Schiff von einem Vorgebirge oder von einer gebirgigen Insel befindet. Als wir 40 Meilen [180 km] ostwaerts von Madera waren, setzte sich eine Schwalbe auf die Marsstenge. Sie war so muede, dass sie sich leicht fangen liess. Es war eine Rauchschwalbe _(Hierundo rustica, Lin.)_. Was mag einen Vogel veranlassen, in dieser Jahreszeit und bei stiller Luft so weit zu fliegen? Bei d´Entrecasteaux´ Expedition sah man gleichfalls eine Rauchschwalbe 60 Meilen [270 km] weit vom weissen Vorgebirge; das war aber Ende Oktobers, und Labillardiere war der Meinung, sie komme eben aus Europa. Wir befuhren diese Striche im Juni, und seit langer Zeit hatte kein Sturm das Meer aufgeruehrt. Ich betone den letzteren Umstand, weil kleine Voegel, sogar Schmetterlinge zuweilen durch heftige Winde auf die hohe See verschlagen werden, wie wir es in der Suedsee, westwaerts von der Kueste von Mexiko, beobachten konnten. Der Pizarro hatte Befehl, bei der Insel Lanzarota, einer der sieben grossen Canarien, anzulegen, um sich zu erkundigen, ob die Englaender die Rhede von Santa Cruz auf Teneriffa blokirten. Seit dem 15. Juni war man im Zweifel, welchen Weg man einschlagen sollte. Bis jetzt hatten die Steuerleute, die mit den Seeuhren nicht recht umzugehen wussten, keine grossen Stuecke auf die Laenge gehalten, die ich fast immer zweimal des Tags bestimmte, indem ich zum Uebertrag der Zeit Morgens und Abends Stundenwinkel aufnahm. Endlich am 16. Juni, um neun Uhr morgens, als wir schon unter 20 deg. 26' der Breite waren, aenderte der Capitaen den Curs und steuerte gegen Ost. Da zeigte sich bald, wie genau Louis Berthouds Chronometer war; um 2 Uhr nachmittags kam Land in Sicht, das wie eine kleine Wolke am Horizont erschien. Um fuenf Uhr, bei niedriger stehender Sonne, lag die Insel Lanzarota so deutlich vor uns, dass ich den Hoehenwinkel eines Kegelberges messen konnte, der majestaetisch die anderen Gipfel ueberragt und den wir fuer den grossen Vulkan hielten, der in der Nacht vom ersten September 1730 so grosse Verwuestungen angerichtet hat. Die Stroemung trieb uns schneller gegen die Kueste, als wir wuenschten. Im Hinfahren sahen wir zuerst die Insel Fortaventura, bekannt durch die vielen Kameele(4), die darauf leben, und bald darauf die kleine Insel Lobos im Canal zwischen Fortaventura und Lancerota. Wir brachten die Nacht zum Theil auf dem Verdeck zu. Der Mond beschien die vulkanischen Gipfel von Lanzerota, deren mit Asche bedeckten Abhaenge wie Silber schimmerten. Antares glaenzte nahe der Mondscheibe, die nur wenige Grad ueber dem Horizont stand. Die Nacht war wunderbar heiter und frisch. Obgleich wir nicht weit von der afrikanischen Kueste und der Grenze der heissen Zone waren, zeigte der hunderttheilige Thermometer nicht mehr als 18 deg.. Es war, als ob das Leuchten des Meeres die in der Luft verbreitete Lichtmasse vermehrte. Zum erstenmal konnte ich an einem zweizoelligen Sextanten von Troughton mit sehr feiner Theilung den Nonius ablesen, ohne mit einer Kerze an den Rand zu leuchten. Mehrere unserer Reisegefaehrten waren Canarier; gleich allen Einwohnern der Insel priesen sie enthusiastisch die Schoenheit ihres Landes. Nach Mitternacht zogen hinter dem Vulkan schwere Wolken auf und bedeckten hin und wieder den Mond und das schoene Sternbild des Scorpion. Wir sahen am Ufer Feuer hin und her tragen. Es waren wahrscheinlich Fischer, die sich zur Fahrt ruesteten. Wir hatten auf der Reise fortwaehrend in den alten spanischen Reisebeschreibungen gelesen, und diese sich hin und her bewegenden Lichter erinnerten uns an die, welche Pedro Guttierez, ein Page der Koenigin Isabella, in der denkwuerdigen Nacht, da die neue Welt entdeckt wurde, auf der Guanahani sah. Am 17. Morgens war der Horizont nebligt und der Himmel leicht umzogen. Desto schaerfer traten die Berge von Lanzerota in ihren Umrissen hervor. Die Feuchtigkeit erhoeht die Durchsichtigkeit der Luft und rueckt zugleich scheinbar die Gegenstaende naeher. Diese Erscheinung ist jedem bekannt, der Gelegenheit gehabt hat, an Orten, wo man die Ketten der Hochalpen oder der Anden sieht, hygrometrische Betrachtungen anzustellen. Wir liefen, mit dem Senkblei in der Hand, durch den Canal zwischen den Inseln Alegranza und Montana Clara. Wir untersuchten den Archipel kleiner Eilande noerdlich von Lanzerota, die sowohl auf der sonst sehr genauen Karte von de Fleurieu, als auf der Karte, die zur Reise der Fregatte Flora gehoert, so schlecht gezeichnet sind. Die auf Befehl des Herrn de Castries i. J. 1786 veroeffentlichte Karte des Atlantischen Oceans hat dieselben irrigen Angaben. Da die Stroemungen in diesen Strichen ausnehmend rasch sind, so mag die fuer die Sicherheit der Schiffahrt nicht unwichtige Bemerkung hier stehen, dass die Lage der fuenf kleinen Inseln Alegranza, Clara, Graciosa, Roca del Este und Infierno nur auf der Karte der canarischen Inseln von Borda und im Atlas von Tofino genau angegeben ist, welcher letztere sich dabei an die Beobachtungen von Don Jose Varela hielt, die mit denen der Fregatte Boussole ziemlich uebereinstimmen. Inmitten dieses Archipels, den Schiffe, die nach Teneriffa gehen, selten befahren, machte die Gestaltung der Kuesten den eigenthuemlichsten Eindruck auf uns. Wir glaubten uns in die euganaeischen Berge im Vincentinischen oder an die Ufer des Rheins bei Bonn versetzt (Siebengebirge). Die Gestaltung der organischen Wesen wechselt nach den Klimaten, und diese erstaunliche Mannigfaltigkeit gibt dem Studium der Vertheilung der Pflanzen und Thiere seinen Hauptreiz; aber die Gebirgsarten, die vielleicht frueher gebildet worden, als die Ursachen, von welchen die Abstufung der Klimate abhaengt, in Wirksamkeit getreten, sind in beiden Hemisphaeren die naemlichen. Die Porphyre, welche glasigen Feldspath oder Hornblende einschliessen, die Phonolithe (Werners Porphyrschiefer), Gruensteine, Mandelsteine und Basalte zeigen fast so constante Formen wie in der Auvergne, im boehmischen Mittelgebirge wie in Mexiko und an den Ufern des Ganges erkennt man die Trappformation am symmetrischen Bau der Berge, an den gestutzten, bald einzeln stehenden, bald zu Gruppen vereinigten Kegeln, an den Plateaux, die an beiden Enden mit einer runden niedrigen Kuppe gekroent sind. Der ganze westliche Theil von Lanzerota, den wir in der Naehe sahen, hat ganz das Ansehen eines in neuester Zeit von vulkanischem Feuer verwuesteten Landes. Alles ist schwarz, duerr, von Dammerde entbloesst. Wir erkannten mit dem Fernrohr Basalt in ziemlich duennen, stark fallenden Schichten. Mehrere Huegel gleichen dem Monte nuovo bei Neapel oder den Schlacken- und Aschenhuegeln, welche am Fusse des Vulkanes Jorullo in Mexiko in Einer Nacht aus dem berstenden Boden emporgestiegen sind. Nach Abbe Viera wurde auch im Jahre 1730 mehr als die Haelfte der Insel voellig umgewandelt. Der "grosse Vulkan", dessen wir oben erwaehnt, und der bei den Eingeborenen der Vulkan von *Temanfaya* heisst, verheerte das fruchtbarste und bestangebaute Gebiet; neun Doerfer wurden durch die Lavastroeme voellig zerstoert. Ein heftiges Erdbeben war der Katastrophe vorangegangen, und gleich starke Stoesse wurden noch mehrere Jahre nachher gespuert. Letztere Erscheinung ist um so auffallender, je seltener sie nach einem Ausbruch ist, wenn einmal nach dem Ausfluss der geschmolzenen Stoffe die elastischen Daempfe durch den Krater haben entweichen koennen. Der Gipfel des grossen Vulkanes ist ein runder, nicht genau kegelfoermiger Huegel. Nach den Hoehenwinkeln, die ich in verschiedenen Abstaenden genommen, scheint seine absolute Hoehe nicht viel ueber 300 Toisen [580 m] zu betragen. Die benachbarten kleinen Berge und die der Inseln Alegranza und Clara sind kaum 100 bis 120 Toisen [95 bis 134 m] hoch. Man wundert sich, dass Gipfel, die sich auf hoher See so imposant darstellen, nicht hoeher seyn sollten. Aber nichts ist so unsicher als unser Urtheil ueber die Groesse der Winkel, unter denen uns Gegenstaende ganz nahe am Horizont erscheinen. Einer Taeuschung derart ist es zuzuschreiben, wenn vor den Messungen de Churrucas und Galeanos am Cap Pilar die Berge an der Magellanschen Meerenge und des Feuerlandes bei den Seefahrern fuer ungemein hoch galten. Die Insel Lanzerota hiess frueher *Titeroigotra*. Bei der Ankunft der Spanier zeichneten sich die Bewohner vor den anderen Canariern durch Merkmale hoeherer Kultur aus. Sie hatten Haeuser aus behauenen Steinen, waehrend die Guanchen auf Teneriffa, als wahre Troglodyten, in Hoehlen wohnten. Auf Lanzerota herrschte zu jener Zeit ein seltsamer Gebrauch, der nur bei den Tibetanern vorkommt. [In Tibet ist uebrigens die Vielmaennerei nicht so haeufig, als man glaubt, und von der Priesterschaft missbilligt.] Eine Frau hatte mehrere Maenner, welche in der Ausuebung der Rechte des Familienhauptes wechselten. Der eine Ehemann war als solcher nur waehrend eines Mondumlaufs anerkannt, sofort uebernahm ein anderer das Amt und jener trat in das Hausgesinde zurueck. Es ist zu bedauern, dass wir von den Geistlichen im Gefolge Johanns von Bethencourt, welche die Geschichte der Eroberung der Canarien geschrieben haben, nicht mehr von den Sitten eines Volkes erfahren, bei dem so sonderbare Braeuche herrschten. Im fuenfzehnten Jahrhundert bestanden auf der Insel Lanzerota zwei kleine voneinander unabhaengige Staaten, die durch eine Mauer geschieden waren, dergleichen man auch in Schottland, in Peru und in China findet, Denkmaeler, die den Nationalhass ueberleben. Wegen des Windes mussten wir zwischen den Inseln Alegranza und Montana Clara durchfahren. Da Niemand am Bord der Corvette je in diesem Canal gewesen war, so musste das Senkblei ausgeworfen werden. Wir fanden Grund bei 25 und 32 Faden [45 bis 60 m]. Mit dem Senkbleu wurde eine organische Substanz von so sonderbarem Bau aufgezogen, dass wir lange nicht wussten, ob wir sie fuer einen Zoophyten oder fuer eine Tangart halten sollten. Auf einem braeunlichen, drei Zoll langen Stiel sitzen runde lappige Blaetter mit gezahntem Rand. Sie sind hellgruen, lederartig und gestreift wie die Blaetter der Adianten und des _Ginkgo biloba_. Ihre Flaeche ist mit steifen, weisslichen Haaren bedeckt; vor der Entwicklung sind die concav und in einander geschachtelt. Wir konnten keine Spur von willkuehrlicher Bewegung, von Irritabilitaet daran bemerken, auch nicht als wir es mit dem Galvanismus versuchten. Der Stiel ist nicht holzig, sondern besteht aus einem hornartigen Stoff, gleich der Achse der Gorgonen. Da Stickstoff und Phosphor in Menge in verschiedenen cryptogamischen Gewaechsen nachgewiesen sind, so waere nichts dabei herausgekommen, wenn wur auf chemischem Wege haette ermitteln wollen, ob dieser organische Koerper dem Pflanzen- oder dem Thierreich angehoere. Da er einigen Seepflanzen mit Adiantenblaettern sehr nahe kommt, so stellten wir ihn vorlaeufig zu den Tangen und nannten ihn _Fucus vitifolius_. Die Haare, mit denen das Gewaechs bedeckt ist, kommen bei vielen andern Tangen vor. Allerdings zeigte das Blatt, als es frisch aus der See unter dem Mikroscop untersucht wurde, nicht die druesigen Koerper in Haeufchen oder die dunkeln Punkte, welche bei den Gattungen _Ulva_ und _Fucus_ die Fructificationen enthalten; aber wie oft findet man Tange, die vermoege ihrer Entwicklungsstufe in ihrem durchsichtigen Paranchym noch keine Spur von Koernern zeigen. Ich haette diese Einzelheiten, die in die beschreibende Naturgeschichte gehoeren, hier uebergangen, wenn sich nicht am Fucus mit weinblattaehnlichen Blaettern ein physiologische Erscheinung von allgemeinerem Interesse beobachten liesse. Unser Seetang hatte, an Madreporen befestigt, 192 Fuss tief am Meeresboden vegetirt, und doch waren seine Blaetter so gruen wie unsere Graeser. Nach de Bouguers Versuchen(5) wird das Licht, das durch 180 Fuss Wasser hindurchgeht, im Verhaeltniss von 1 zu 1477,8 geschwaecht. Der Tang von Alegranza ist also ein neuer Beweis fuer den Satz, dass Gewaechse im Dunkeln vegetiren koennen, ohne farblos zu werden. Die noch in den Zwiebeln eingeschlossenen Keime mancher Liliengewaechse, der Embryo der Malven, der Rhamnoiden, der Pistazie, der Mistel und des Citronenbaums, die Zweige mancher unterirdischen Pflanzen, endlich die Gewaechse, die man in Erzgruben findet, wo die umgebende Luft Wasserstoff oder viel Stickstoff enthaelt, sind gruen ohne Lichtgenuss. Diese Thatsachen berechtigen zu der Annahme, dass der Kohlenwasserstoff, der das Parenchym dunkler oder heller gruen faerbt, je nachdem der Kohlenstoff in der Verbindung vorherrscht, sich nicht bloss unter dem Einfluss der Sonnenstrahlen im Gewebe der Gewaechse bildet. Turner, der so viel fuer die Familie der Tange geleistet hat, und viele andere bedeutende Botaniker sind der Ansicht, die Tange, die man an der Meeresflaeche findet, und die unter dem 23. und 35. Grad der Breite und dem 32. der Laenge sich dem Seefahrer als eine weite ueberschwemmte Wiese darstellen, wachsen urspruenglich auf dem Meeresgrund und schwimmen an der Oberflaeche nur im ausgebildeten Zustand, nachdem sie von den Wellen losgerissen worden. Ist dem wirklich so, so ist nicht zu laeugnen, dass die Familie der Seealgen grosse Schwierigkeiten macht, wenn man am Glauben festhaelt, dass Farblosigkeit die nothwendige Folge des Mangels an Licht ist; denn wie sollte man voraussetzen koennen, dass so viele Arten von Ulvaceen und Dictyoteen mit gruenen Stengeln und Blaettern auf Gestein unmittelbar unter der Meeresflaeche gewachsen sind? Nach den Angaben eines alten portugiesischen Wegweisers meinte der Capitaen des Pizarro sich einem kleinen Fort noerdlich von Teguise, dem Hauptort von Lancerota, gegenueber zu befinden. Man hielt einen Basaltfelsen fuer ein Kastell, man salutirte es durch Aufhissen der spanischen Flagge und warf das Boot aus, um sich durch einen Officier beim Commandanten des vermeintlichen Forts erkundigen zu lassen, ob die Englaender in der Umgegend kreuzten. Wir wunderten uns nicht wenig, als wir vernahmen, dass das Land, das wir fuer einen Theil der Kueste von Lanzerota gehalten, die kleine Insel Graciosa sey und dass es auf mehrere Kilometer in der Runde keinen bewohnten Ort gebe. Wir benutzten das Boot, um ans Land zu gehen, das den Schlusspunkt einer weiten Bai bildete. Ganz unbeschreiblich ist das Gefuehl des Naturforschers, der zum erstenmal einen aussereuropaeischen Boden betritt. Die Aufmerksamkeit wird von so vielen Gegenstaenden in Anspruch genommen, dass man sich von seinen Empfindungen kaum Rechenschaft zu geben vermag. Bei jedem Schritt glaubt man einen neuen Naturkoerper vor sich zu haben, und in der Aufregung erkennt man haeufig Dinge nicht wieder, die in unseren botanischen Gaerten und naturgeschichtlichen Sammlungen zu den gemeinsten gehoeren. 100 Toisen [ca. 200 m] vom Ufer sahen wir einen Mann mit der Angelruthe fischen. Man fuhr im Boot auf ihn zu, aber er ergriff die Flucht und versteckte sich hinter Felsen. Die Matrosen hatten Muehe, seiner habhaft zu werden. Der Anblick der Corvette, der Kanonendonner am einsamen, jedoch zuweilen von Kapern besuchten Orte, das Landen des Bootes, Alles hatte dem armen Fischer Angst eingejagt. Wir erfuhren von ihm, die kleine Insel Graciosa, an der wir gelandet, sey von Lanzerota durch einen engen Canal, el Rio genannt, getrennt. Er erbot sich, uns in den Hafen los Colorados zu fuehren, wo wir uns hinsichtlich der Blokade von Tenerifa erkundigen koennten; da er aber zugleich versicherte, seit mehreren Wochen kein Fahrzeug auf offener See gesehen zu haben, so beschloss der Kapitaen, geradezu nach Santa Cruz zu steuern. Das kleine Stueck der Insel Graciosa, das wir kennengelernt, gleicht den aus Laven aufgebauten Vorgebirgen bei Neapel zwischen Portici und Torre del Greco. Die Felsen sind nackt, ohne Baeume und Gebuesche, meist ohne Spur von Dammerde. Einige Flechten, Variolarien, Leprarien, Urceolarien, kamen hin und wieder auf dem Basalt vor. Laven, die nicht mit vulkanischer Asche bedeckt sind, bleiben Jahrhunderte ohne eine Spur von Vegetation. Auf dem afrikanischen Boden hemmt die grosse Hitze und die lange Trockenheit die Entwicklung der cryptogamischen Gewaechse. Mit Sonnenuntergang schifften wir uns wieder ein und gingen unter Segel, aber er Wind war zu schwach, als dass wir unseren Weg nach Teneriffa haetten fortsetzen koennen. Die See war ruhig; ein roethlicher Dunst umzog den Horizont und liess alle Gegenstaende groesser erscheinen. In solcher Einsamkeit, ringsum so viele unbewohnte Eilande, schwelgten wir lange im Anblick einer wilden, grossartigen Natur. Die schwarzen Berge von Graciosa zeigten fuenf, sechshundert Fuss [160 bis 200 m] hohe senkrechte Waende. Ihre Schatten, die auf die Meeresflaeche fielen, gaben der Landschaft einen schwermuethigen Charakter. Gleich den Truemmern eines gewaltigen Gebaeudes stiegen Basaltfelsen aus dem Wasser auf. Ihr Dasein mahnte uns an die weit entlegene Zeit, wo unterseeische Vulkane neue Inseln emporhoben oder die Festlaender zertruemmerten. Alles umher verkuendete Verwuestung und Unfruchtbarkeit; aber einen freundlicheren Anblick bot im Hintergrunde des Bildes die Kueste von Lanzerota. In einer engen Schlucht, zwischen zwei mit verstreuten Baumgruppen gekroenten Huegeln, zog sich ein kleiner bebauter Landstrich hin. Die letzten Strahlen der Sonne beleuchteten das zur Ernte reife Korn. Selbst die Wueste belebt sich, sobald man den Spuren der arbeitsamen Menschenhand begegnet. Wir versuchten aus der Bucht herauszukommen, und zwar durch den Canal zwischen Alegranza und Montana Clara, durch den wir ohne Schwierigkeit hereingelangt waren, um an der Nordspitze von Graciosa ans Land zu gehen. Da der Wind sehr flau wurde, so trieb uns die Stroemung nahe zu einem Riff, an dem sich die See ungestuem brach, und das die alten Karten als "Infierno" bezeichneten. Als wir das Riff auf zwei Kabellaengen vom Vordertheil der Corvette vor uns hatten, sahen wir, dass es eine drei, vier Klafter [5,8 bis 7,8 m] hohe Lavakuppe ist, voll Hoehlungen und bedeckt mit Schlacken, die den Coaks [Koks] oder der schwammigen Masse der entschwefelten Steinkohle aehnlich ist. Wahrscheinlich ist die Klippe Infierno(6) welche die neueren Karten _Roca del Oeste_ (westlicher Fels) nennen, durch das vulkanische Feuer emporgehoben. Sie kann sogar frueher weit hoeher gewesen seyn; denn die "neue Insel" der Azoren, die zu wiederholten malen aus dem Meere gestiegen, in den Jahren 1638 und 1719, war 354 Fuss [115 m] hoch [Im Jahre 1720 war die Insel auf 7 - 8 Meilen (31 bis 36 km) sichtbar. In denselben Strichen ist im Jahre 1811 wieder eine Insel erschienen.] geworden, als sie im Jahre 1728 so gaenzlich verschwand, dass man da, wo sie gestanden das Meer 80 Faden [146 m] tief fand. Meine Ansicht vom Ursprung der Basaltkuppe Infierno wird durch ein Ereigniss bestaetigt, das um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in derselben Gegend beobachtet wurde. Beim Ausbruch des Vulkanes Temanfaya erhoben sich vom Meeresboden zwei pyramidale Huegel von steiniger Lava und verschmolzen nach und nach mit der Insel Lanzerota. Da der schwache Wind und die Stroemung uns aus dem Canal von Alegranza nicht herauskommen liessen, beschloss man, waehrend der Nacht zwischen der Insel Clara und der _Roca del Oeste_ zu kreuzen. Diess haette beinahe sehr schlimme Folgen fuer uns gehabt. Es ist gefaehrlich, sich bei Windstille in der Naehe dieses Riffes aufzuhalten, gegen das die Stroemung ausnehmend stark hinzieht. Um Mitternacht fingen wir an, die Wirkung der Stroemung gewahr zu werden. Die nahe vor uns senkrecht aus dem Wasser aufsteigenden Felsmassen benahmen uns den wenigen Wind, der wehte; die Corvette gehorchte dem Steuer fast nicht mehr und jeden Augenblick fuerchtete man zu stranden. Es ist schwer begreiflich, wie eine einzelne Basaltkuppe mitten im weiten Weltmeer das Wasser in solche Aufregung versetzen kann. Diese Erscheinungen, welche die volle Aufmerksamkeit der Physiker verdienen, sind uebrigens den Seefahrern wohl bekannt; sie treten in der Suedsee, namentlich im kleinen Archipel der Galapagos-inseln, in furchtbarem Massstab auf. Der Temperaturunterschied zwischen der Fluessigkeit und der Felsmasse vermag den Zug der Stroemung zu ihnen hin nicht zu erklaeren, und wie sollte man es glaublich finden, dass sich das Wasser am Fusse der Klippen in die Tiefe stuerzt, und dass bei diesem fortwaehrenden Zug nach unten die Wassertheilchen den entstehenden leeren Raum auszufuellen suchen (7)? Am 18. Morgens wurde der Wind etwas frischer, und so gelang es uns, aus dem Canal zu kommen. Wir kamen dem Infierno noch einmal sehr nahe, und jetzt bemerkten wir im Gestein grosse Spalten, durch welche wahrscheinlich die Gase entwichen, als die Basaltkuppe emporgehoben wurde. Wir verloren die kleinen Inseln Alegranza, Montana Clara und Graciosa aus dem Gesicht. Sie scheinen nie von Guanchen bewohnt gewesen zu seyn und man besucht sie jetzt nur, um Orseille dort zu sammeln; diese Pflanze ist uebrigens weniger gesucht, seit so viele andere Flechtenarten aus dem noerdlichen Europa kostbare Farbstoffe liefern. Montana Clara ist beruehmt weger der schoenen Canarienvoegel, die dort vorkommen. Der Gesang dieser Voegel wechselt nach Schwaermen, wie ja auch bei uns der Gesang der Finken in zwei benachbarten Landstrichen haeufig ein anderer ist. Auf Montana Clara gibt es auch Ziegen, zum Beweis, dass das Eiland im Inneren nicht so oede ist als die Kueste, die wir gesehen. Der Name Alegranza kommt her von "La Joyeuse", wie die ersten Eroberer der Canarien, zwei normaennische Barone, Jean de Bethencourt und Gadifer de Salle, die Insel benannten. Es war der erste Punkt, wo sie gelandet. Nach einem Aufenthalt von einigen Tagen auf der Insel Graciosa, von der wir ein kleines Stueck gesehen, beschlossen sie, sich der benachbarten Insel Lanzerota zu bemaechtigen, und wurden von Guadarfia, dem Haeuptling der Guanchen, so gastfreundlich empfangen, wie Cortez im Palast Montezumas. Der Hirtenkoenig, der keine anderen Schaetze hatte als seine Ziegen, wurde so schmaehlich verraten, wie der mexikanische Sultan. Wir fuhren an den Kuesten von Lanzerota, Lobos und Fortaventura hin. Die zweite scheint frueher mit den andern zusammengehangen zuhaben. Diese geologische Hypothese wurde schon im siebzehnten Jahrhundert von einem Franziskaner, Juan Galindo, aufgestellt. Er war sogar der Ansicht, Koenig Juba habe nur sechs canarische Inseln genannt, weil zu seiner Zeit drei derselben nur Eine gebildet. Ohne auf diese unwahrscheinliche Hypothese einzugehen, haben gelehrte Geographen den Archipel der Canarien fuer die beiden Inseln Innonia, die Inseln Rivaria, Ombrios, Canaria und Capraria der Alten erklaert. Da der Horizont dunstig war, konnten wir auf der ganzen Ueberfahrt von Lanzerota nach Teneriffa des Gipfels des Pik de Teyde nicht ansichtig werden. Ist der Vulkan wirklich 1905 Toisen [3712 m] hoch, wie Bordas letzte trigonometrische Messung angibt, so muss sein Gipfel auf 43 Seemeilen [80 km] zu sehen sey, das Auge am Meeresspiegel angenommen und die Refraction gleich 0,079 der Entfernung. Man hat in Zweifel gezogen, ob der Pic zwischen Lanzerota und Fortaventura, der nach Varelas Karte 2 deg. 29' oder gegen 50 Meilen (Lieues) davon entfernt ist, je gesehen worden sey. Der Punkt scheint indessen durch einige Offiziere der koeniglich spanischen Marine entschieden worden zu seyn; ich habe an Bord der Corvette Pizarro ein Schifftagebuch in Haenden gehabt, in dem stand, der Pic von Tenerifa sey in 135 Seemeilen [250 km] Entfernung beim suedlichen Vorgebirg von Lanzerota, genannt Pichiguera, gesehen worden, und zwar erschien der Gipfel unter einem so grossen Winkel, dass der Beobachter, Don Manuel Bazuti, glaubt, der Vulkan haette noch 9 Meilen weiter weg gesehen werden koennen. Das war im September, gegen Abend, bei sehr feuchtem Wetter. Rechnet man 15 Fuss als Erhoehung des Auges ueber der See, so finde ich, dass man, um die Erscheinung zu erklaeren, eine Refraction gleich 0,158 des Bogens anzunehmen hat, was fuer die gemaessigte Zone nicht ausserordentlich viel ist. Nach den Beobachtungen des Generals Roy schwanken in England die Refractionen zwischen 1/20 und 1/3, und wenn es wahr ist, dass sie an der Kueste von Afrika diese aeussersten Grenzen erreichen, woran ich sehr zweifle, so koennte unter gewissen Umstaenden der Pic vom Verdeck eines Schiffes auf 61 Seemeilen gesehen werden. Seeleute, die haeufig diese Striche befahren und ueber die Ursachen der Naturerscheinungen nachdenken, wundern sich, dass der Pic de Teyde und der der Azoren(8) zuweilen in sehr grosser Entfernung zum Vorschein kommen, ein andermal in weit groesserer Naehe nicht sichtbar sind, obgleich der Himmel klar erscheint und der Horizont nicht dunstig ist. Diese Umstaende verdienen die Aufmerksamkeit des Physikers um so mehr, als viele Fahrzeuge auf der Rueckreise nach Europa mit Ungeduld des Erscheinens dieser Berge harren, um ihre Laenge danach zu berichtigen, und sie sich wieder davon entfernt glauben, als sie in Wahrheit sind, wenn sie sie bei hellem Wetter in Entfernungen, wo die Sehwinkel schon sehr bedeutend seyn mussten, nicht sehen koennen. Der Zustand der Atmosphaere hat den bedeutendsten Einfluss auf die Sichtbarkeit ferner Gegenstaende. Im Allgemeinen laesst sich annehmen, dass der Pic von Tenerifa im Juli und August, bei sehr warmem, trockenem Wetter, ziemlich selten sehr weit gesehen wird, dass er dagegen im Januar und Februar, bei leicht bedecktem Himmel und unmittelbar nach oder einige Stunden vor einem starken Regen in ausserordentlich grosser Entfernung zu Gesicht kommt. Die Durchsichtigkeit der Luft scheint, wie schon oben bemerkt, in erstaunlichem Maasse erhoeht zu werden, wenn eine gewisse Menge Wasser gleichfoermig in derselben verbreitet ist. Zudem darf man sich nicht wundern, wenn man den Pic de Teyde seltener sehr weit sieht, als die Gipfel der Anden, die ich so lange Zeit habe beobachten koennen. Der Pic ist nicht so hoch als der Theil des Atlas, an dessen Abhang die Stadt Marocco liegt, und nicht wie dieser mit ewigem Schnee bedeckt. Der *Piton* oder *Zuckerhut*, der die oberste Spitze des Pics bildet, wirft allerdings vieles Licht zurueck, weil der aus dem Krater ausgeworfene Bimsstein von weisslicher Farbe ist; aber dieser kleine abgestutzte Kegel misst nur ein Zwanzigtheil der ganzen Hoehe. Die Waende des Vulkans sind entweder mit schwarzen, verschlackten Lavabloecken oder mit einem kraeftigen Pflanzenwuchse bedeckt, dessen Masse um so weniger Licht zurueckwirft, als die Baumblaetter voneinander durch Schatten getrennt sind, die einen groesseren Umfang haben als die beleuchteten Theile. Daraus geht hervor, dass der Pic von Tenerifa, abgesehen vom *Piton*, zu den Bergen gehoert, die man, wie Bouguer sich ausdrueckt, auf weite Entfernung nur *negativ* sieht, weil sie das Licht auffangen, das von der aeussersten Grenze des Luftkreises zu uns gelangt, und wir ihr Daseyn nur gewahr werden, weil das Licht in der sie umgebenden Luft und das , welches die Lufttheilchen zwischen dem Berge und dem Auge des Beobachters fortpflanzen, von verschiedener Intensitaet sind. [Aus den Versuchen desselben Beobachters geht hervor, dass, wenn dieser Unterschi8ed fuer unsere Organe merkbar werden und der Berg sich deutlich vom Himmel abheben soll, das eine Licht wenigstens um ein Sechzigtheil staerker seyn muss als das andere.] Entfernt man sich von der Insel Teneriffa, so bleibt der Piton oder Zuckerhut ziemlich lange *positiv* sichtbar, weil er weisses Licht reflektirt und sich vom Himmel hell abhebt; da aber dieser Kegel nur 80 Toisen [156 m] hoch und an der Spizte 40 Toisen [78 m] breit ist, so hat man neuerdings die Frage aufgeworfen, ob er bei so unbedeutender Masse auf weiter als 40 Meilen sichtbar seyn kann, und ob es nicht wahrscheinlicher ist, dass man in See den Pic erst dann als ein Woelkchen ueber dem Horizont gewahr wird, wenn bereits die Basis des Piton heraufzuruecken beginnt. Nimmt man die mittlere Breite des Zuckerhutes zu 100 Toisen [200 m] an, so findet man, dass der kleine Kegel in 40 Meilen Entfernung in horizontaler Richtung noch unter einem Winkel von mehr als 3 Minuten erscheint. Dieser Winkel ist gross genug, um einen Gegenstand sichtbar zu machen, und wenn der Piton betraechtlich hoeher waere, als in der Basis breit, so duerfte der Winkel in horizontaler Richtung noch kleiner seyn, und der Gegenstand machte doch noch einen Eindruck auf unsere Organe; aus mikrometrischen Beobachtungen geht hervor, dass eine Minute nur dann die Grenze der Sichtbarkeit ist, wenn die Gegenstaende nach allen Richtungen von gleichem Durchmesser sind, Man erkennt in einer weiten Ebene einzelne Baumstaemme mit blossem Auge, obgleich der Sehwinkel nur 25 Secunden betraegt. Da die Sichtbarkeit eines Gegenstandes, der sich dunkelfarbig abhebt, von der Lichtmenge abhaengt, die auf zwei Linien zum Auge gelangen, deren eine am Berg endet, waehrend die andere bis zur Grenze des Luftmeers fortlaeuft, so folgt daraus, dass, je weiter man vom Gegenstand wegrueckt, desto kleiner der Unterschiede wird zwischen Licht der umgebenden Luft und dem Licht der vor dem Berg befindlichen Luftschichten. Daher kommt, dass nicht sehr hohe Berggipfel, wenn sie sich ueber dem Horizont zu zeigen anfangen, anfangs dunkler erscheinen als Gipfel, die man auf sehr grosse Entfernung sieht. Ebenso haengt die Sichtbarkeit von Bergen, die man nur negativ gewahr wird, nicht allein vom Zustand der untern Luftschichten ab, auf die unsere meteorologischen Beobachtungen beschraenkt sind, sondern auch von der Durchsichtigkeit und der physischen Beschaffenheit der hoeheren Regionen; denn das Bild hebt sich desto besser ab, je staerker das Licht in der Luft, das von den Grenzen der Atmosphaere herkommt, urspruenglich ist, oder je weniger Verlust es auf seinem Durchgang erlitten hat. Dieser Umstand macht es bis zu einem gewissen Grade erklaerlich, warum bei gleich heiterem Himmel, bei ganz gleichem Thermometer- und Hygrometerstand nahe an der Erdoberflaeche, der Pic auf Schiffen, die gleich weit davon entfernt sind, des einemal sichtbar ist, das anderemal nicht. Wahrscheinlich wuerde man sogar den Vulkan nicht haeufiger sehen koennen, wenn die Hoehe des Aschenkegels, an dessen Spitze sich die Krateroeffnung befindet, ein Viertheil der ganzen Berghoehe waere, wies es beim Vesuv der Fall ist. Die Asche, zu Pulver zerriebener Bimsstein, wirft das Licht nicht so stark zurueck als der Schnee der Anden. Sie macht, dass der Berg bei sehr grossem Abstand sich nicht hell, sondern weit schwaecher dunkelfarbig abhebt. Sie traegt so zu sagen dazu bei, die Antheile des in der Luft verbreiteten Lichtes, deren veraenderliche Unterschiede einen Gegenstand mehr oder weniger deutlich sichtbar machen, auszugleichen. Kahle Kalkgebirge, mit Granitsand bedeckte Berggipfel, die hohen Savannen der Kordilleren, [_Los Pajonales_, von _paja_, Gras. So heisst die Zone der grasartigen Gewaechse, welche unter der Region des ewigen Schnees liegt.] die goldgelb sind, treten allerdings in geringer Entfernung deutlicher hervor als Gegenstaende, die man negativ sieht; aber nach der Theorie besteht eine gewisse Grenze, jenseits welcher diese letzteren sich bestimmter vom Blau des Himmels abheben. Bei den colossalen Berggipfeln von Quito und Peru, die ueber die Grenze des ewigen Schnees hinausragen, wirken alle guenstigen Umstaende zusammen, um sie unter sehr kleinen Winkeln sichtbar zu machen. Wir haben oben gesehen, dass der abgestumpfte Gipfel des Pic von Tenerifa nur gegen 300 Toisen [580 m] Durchmesser hat. Nach den Messungen, die ich im Jahre 1803 zu Riobamba angestellt, ist die Kuppe des Chimborazo 153 Toisen [298 m] unter der Spitze, also an einer Stelle, die 1300 Toisen [2533 m] hoeher liegt als der Pik, noch 673 Toisen (1312 Meter) breit. Ferner nimmt die Zone des ewigen Schnees ein Viertheil der ganzen Berghoehe ein, und die Basis dieser Zone ist, von der Suedsee gesehen, 3437 Toisen (6700 Meter) breit. Obgleich aber der Chimborazo um zwei Drittel hoeher ist als der Pic, sieht man ihn doch wegen der Kruemmung der Erde nur 38 1/3 Meilen weiter. Wenn er im Hafen von Guayaquil am Ende der Regenzeit am Horizont auftaucht, glaenzt sein Schnee so stark, dass man glauben sollte, er muesste sehr weit in der Suedsee sichtbar seyn. Glaubwuerdige Schiffer haben mich versichtert, sie haben ihn bei der Klippe Muerto, suedwestlich von der Insel Puna, auf 47 Meilen [211,5 km] gesehen. So oft er noch weiter gesehen worden, sind die Angaben unzuverlaessig, weil die Beobachter ihrer Laenge nicht gewiss waren. Das in der Luft verbreitete Licht erhoeht, indem es auf die Berge faellt, die Sichtbarkeit derer, die positiv sichtbar sind; die Staerke desselben vermindert im Gegentheil die Sichtbarkeit von Gegenstaenden, die, wie der Pic von Teneriffa und der der Azoren, sich dunkelfarbig abheben. Bouguer hat auf theoretischem Wege gefunden, dass nach der Beschaffenheit unserer Atmosphaere Berge negativ nicht weiter als auf 35 Meilen gesehen werden koennen. Die Erfahrung -- und diese Bemerkung ist wichtig -- widerspricht dieser Rechnung. Der Pik von Tenerifa ist haeufig auf 36, 38, sogar auf 40 Meilen gesehen worden. Noch mehr, auf der Fahrt nach den Sandwichsinseln hat man den Gipfel des Mowna-Roa(9) und zwar zu einer Zeit, wo kein Schnee darauf lag, dicht am Horizont auf 53 Meilen gesehen. Dies ist bis jetzt das auffallendste bekannte Beispiel von der Sichtbarkeit eines Berges, und was noch merkwuerdiger ist, es handelt sich dabei von einem Gegenstand, der nur negativ sichtbar ist. Ich glaubte diese Bemerkungen am Ende dieses Capitels zusammenstellen zu sollen, weil sie sich auf eines der wichtigsten Probleme der Optik beziehen, auf die Schwaechung der Lichtstrahlen bei ihrem Durchgang durch die Schichten der Luft, und zugleich nicht ohne praktischen Nutzen sind. Die Vulkane Teneriffas und der Azoren, die Sierra Nevada von St. Martha, der Pic von Orizaba, die Silla bei Caracas, Mowna-Roa und der St. Eliasberg liegen vereinzelt in weiten Meeresstrecken oder auf den Kuesten der Continente, und dienen so dem Seefahrer, der die Mittel nicht hat, um den Ort des Schiffes durch Sternbeobachtungen zu bestimmen, gleichsam als Bojen im Fahrwasser. Alles, was mit der Erkennbarkeit dieser natuerlichen Bojen zusammenhaengt, ist fuer die Sicherheit der Schifffahrt von Belang. ------------------ 1 Ich muss hier bemerken, dass ich von einem Werke in sechs Baenden, das unter dem seltsamen Titel: "Reise um die Welt und in Suedamerika, von A. v. Humboldt, erschienen bei Vollmer in Hamburg", niemals Kenntniss genommen habe. Diese in meinem Namen verfasste Reisebeschreibung scheint nach in den Tageblaettern gegebenen Nachrichten und nach einzelnen Abhandlungen, die ich in der ersten Classe des franzoesischen Institutes gelesen, zusammengeschrieben zu seyn. Um das Publikum aufmerksam zu machen, hielt es der Kompilator fuer angemessen, einer Reise in einige Laender des neuen Kontinentes den anziehenderen Titel einer "Reise um die Welt" zu geben. 2 Ich habe die Beobachtungen, die ich in beiden Hemisphaeren anzustellen Gelegenheit gehabt, mit denen zusammengestellt, die in den Werken von Cook, Laperouse, d´Entrecasteur, Vancouver, Macartney, Krusenstern und Marchand gegeben sind, und darnach schwankt die Geschwindigkeit der allgemeinen Stroemung unter den Tropen zwischen 5 und 18 Meilen in 24 Stunden, somit zwischen 0,3 und 1,2 Fuss in der Secunde. 3 Wenn es sich von der Meerestemperatur handelt, hat man sorgfaeltig vier ganz gesonderte Erscheinungen zu unterscheiden: 1) die Temperatur des Wassers an der Oberflaeche unter verschiedenen Breiten, das Meer als ruhig angenommen; 2) die Abnahme der Waerme in den ueber eineander gelagerten Wasserschichten; 3) den Einfluss der Untiefen auf die Temperatur des Meeres; 4) die Temperatur der Stroemungen, die mit constanter Geschwindigkeit die Gewaesser der einen Zone durch ruhenden Gewaesser der andern hindurchfuehren. 4 Diese Kameele, die zum Feldbau dienen und deren Fleisch man im Lange zuweilen eingesalzen isst, lebten hier nicht vor der Eroberung der Inseln durch die Bethencourts. Im sechzehnten Jahrhundert hatten sich die Esel auf Fortaventura dergestalt vermehrt, dass sie verwildert waren und man Jagd auf sie machen musste. Man schoss ihrer mehrere tausend, damit die Ernten nicht zu Grunde gingen. Die Pferde auf Fortaventura sind von berberischer Rasse und ausgezeichnet schoen. 5 In 32 Faden Tiefe kann der Fucus nur von einem Lichte beleuchtet gewesen seyn, das 203mal staerker ist als das Mondlicht, also gleich der Haelfte des Lichts, das eine Talgkerze auf 1 Fuss Entfernung verbreitet. Nach meinen direkten Versuchen wird aber das _Lepidium saticum_ beim glaenzenden Lichte zweier Argandschen Lampen kaum merkbar gruen. 6 Ich bemerke hier, dass diese Klippe schon auf der beruehmten venetianischen Karte des Andrea Bianco angegeben ist, dass aber mit dem Namen Infierno, wie auch auf der aeltesten Karte des Picigano, Teneriffa bezeichnet ist, wahrscheinlich, weil die Guanchen den Pic als den Eingang der Hoelle ansahen. 7 Mit Verwunderung liest man in einem sonst ganz nuetzlichen, unter den Seeleuten sehr verbreiteten Buche, in der neunten Ausgabe des _Practical Navigator_ von Hamilton Moore, p. 200, in Folge der Massenattractien oder der allgemeinen Schwere komme ein Fahrzeug schwer von der Kueste weg und werde die Schaluppe einer Fregatte von dieser selbst angezogen. 8 Die Hoehe dieses Pics betraegt nach de Fleurien 1100 Toisen [2144 m], nach Ferrer 1238 [2413], nach Tofino 1260 [2457], aber diese Maasse sind nur annaehernde Schaetzungen. Der Capitaen des Pizarro, Don Manuel Cagigal, hat mir aus seinem Tagebuch bewiesen, dass er den Pic der Azoren auf 37 Meilen Entfernung gesehen hat, zu einer Zeit, wo er seiner Laenge wenigstens bis auf 2 Minuten gewiss war. Der Vulkan wurde in Sued 4 deg. Ost gesehen, so dass der Irrthum in der Laenge auf die Schaetzung der Entfernung nur ganz unbedeutenden Einfluss haben konnte. Indessen war der Winkel, unter dem der Pic der Azoren erschien, so gross, dass Cagigal der Meinung ist, der Vulkan muesse auf mehr als 40 oder 42 Lieues zu sehen seyn. Der Abstand von 37 Lieues setzt eine Hoehe von 1431 Toisen [2789 m] voraus. 9 Der Mowna-Roa auf den Sandwichsinseln ist nach Marchand ueber 2598 Toisen hoch, nach King 2577, aber diese Messungen sind, trotz ihrer zufaelligen Uebereinstimmung, keineswegs auf zuverlaessigem Wege erzielt. Es ist eine ziemlich auffallende Erscheinung, dass ein Berggipfel unter 19 deg. Breite, der wahrscheinlich ueber 2500 Toisen hoch ist, von Schnee ganz entbloesst wird. Die starke Abplattung des Mowna-Roa, der *Mesa* der alten spanischen Karten, seine vereinzelte Lage im Weltmeer und die Haeufigkeit gewisser Winde, die durch den aufsteigenden Strom abgelenkt, in schiefer Richtung wehen, moegen die vornehmsten Ursachen seyn. Es laesst sich nicht wohl annehmen, dass sich Capitaen Marchand in der Schaetzung des Abstandes, in dem er am 10. Oktober 1791 den Gipfel des Mowna-Roa sah, bedeutend geirrt habe. Er hatte die Insel O-Whyhee erst am 7. Abends verlassen, und nach der Bewegung der Gewaesser und den Mondsbeobachtungen am 10. betrug die Entfernung wahrscheinlich sogar noch mehr als 53 Meilen. Ueberdiess berichtet ein erfahrner Seemann, de Fleurien, dass der Pic von Teneriffa selbst bei nicht ganz klarem Wetter auf 35 bis 36 Meilen zu sehen sey. ZWEITES KAPITEL Aufenthalt auf Teneriffa -- Reise von Santa Cruz nach Orotava -- Besteigung des Pics Von unserer Abreise von Graciosa an war der Horizont fortwaehrend so dunstig, dass trotz der ansehnlichen Hoehe der Berge Canarias _(Isla de la gran Canaria)_ die Insel erst am 19. Abends in Sicht kam. Sie ist die Kornkammer des Archipels der "glueckseligen Inseln", und man behauptet, was fuer ein Land ausserhalb der Tropen sehr auffallend ist, in einigen Strichen erhalte man zwei Getreideernten im Jahre, eine im Februar, die andere im Juni. Canaria ist noch nie von einem unterrichteten Mineralogen besucht worden; sie verdiente es aber um so mehr, als mir ihre in parallen Ketten streichenden Berge von ganz andrem Charakter schienen, als die Gipfel von Lancerota und Teneriffa. Nichts ist fuer den Geologen anziehender als die Beobachtung, wie sich an einem bestimmten Punkte die vulkanischen Bildungen zu den Urgebirgen und den securdaeren Gebirgen verhalten. Sind einmal die canarischen Inseln in allen ihren Gebirgsgliedern erforscht, so wird sich zeigen, dass man zu voreilig die Bildung der ganzen Gruppe einer Hebung durch unterseeische Feuerausbrueche zugeschrieben hat. Am 19. Morgens sahen wir den Berggipfel Naga (_Punta de Naga_, _Anaga_ oder _Nago_), aber der Pik von Teneriffa blieb fortwaehrend unsichtbar. Das Land trat nur undeutlich hervor, ein dicker Nebel verwischte alle Umrisse. Als wir uns der Rhede von Santa Cruz naeherten, bemerkten wir, dass der Nebel, vom Winde getrieben, auf uns zukam. Das Meer war sehr unruhig, wie fast immer in diesen Strichen. Wir warfen Anker, nachdem wir mehrmals das Senkblei ausgeworfen; denn der Nebel war so dicht, dass man kaum auf ein paar Kabellaengen sah. Aber eben da man anfing den Platz zu salutiren, zerstreute sich der Nebel voellig, und da erschien der Pic de Teyde in einem freien Stueck Himmel ueber den Wolken, und die ersten Strahlen der Sonne, die fuer uns noch nicht aufgegangen war, beleuchteten den Gipfel des Vulkanes. Wir eilten eben aufs Vordertheil der Corvette, um dieses herrlichen Schauspiels zu geniessen, da signalisirte man vier englische Schiffe, die ganze nahe an unseren Hintertheile auf der Seite lagen. Wir waren in ihnen vorbeigesegelt, ohne dass sie uns bemerkt hatten, und derselbe Nebel, der uns den Anblick des Pic entzogen, hatte uns der Gefahr entrueckt, nach Europa zurueckgebracht zu werden. Wohl waere es fuer Naturforscher ein grosser Schmerz gewesen, die Kueste von Teneriffa von weitem gesehen zu haben, und einen von Vulkanen zerruetteten Boden nicht betreten zu duerfen. Alsbald hoben wir den Anker und der Pizarro naeherte sich so viel moeglich dem Fort, um unter den Schutz desselben zu kommen. Hier auf dieser Rhede, als zwei Jahre vor unserer Ankunft die Englaender zu landen versuchten, riss eine Kanonenkugel Admiral Nelson den Arm ab (im Juli 1797). Der Generalstatthalter der canarischen Inseln [Don Andres de Perlasca.] schickte an den Capitaen der Corvette den Befehl, alsbald die Staatsdepechen fuer die Statthalter der Colonien, das Geld an Bord und die Post ans Land schaffen zu lassen. Die englischen Schiffe entfernten sich von der Rhede; sie hatten tags zuvor auf das Paketboot Alcadia Jagd gemacht, das wenige Tage vor uns von Corunna abgegangen war. Es hatte in den Hafen von Palmas auf Canaria einlaufen muessen, und mehrere Passagiere, die in einer Schaluppe nach Santa Cruz auf Teneriffa fuhren, waren gefangen worden. Die Lage dieser Stadt hat grosse Aehnlichkeit mit der von Guayra, dem besuchtesten Hafen der Provinz Caracas. An beiden Orten ist die Hitze aus denselben Ursachen sehr gross; aber von aussen erscheint Santa Cruz truebseliger. Auf einem oeden, sandigen Strande stehen blendend weisse Haeuser mit platten Daechern und Fenstern ohne Glas vor einer schwarzen senkrechten Felsmauer ohne allen Pflanzenwuchs. Ein huebscher Hafendamm aus gehauenen Steinen und der oeffentliche, mit Pappeln besetzte Spaziergang bringen die einzige Abwechselung in das eintoenige Bild. Von Santa Cruz aus nimmt sich der Pic weit weniger malerisch aus als im Hafen von Orotava. Dort ergreift der Gegensatz zwischen einer lachenden, reich bebauten Ebene und der wilden Physiognomie des Vulkanes. Von den Palmen- und Bananengruppen am Strande bis zu der Region der Arbutus, der Lorbeeren und Pinien ist das vulkanische Gestein mit kraeftigem Pflanzenwuchs bedeckt. Man begreift, wie sogar Voelker, welche unter dem schoenen Himmel von Griechenland und Italien wohnen, im oestlichen Teil von Teneriffa eine der glueckseligen Inseln gefunden zu haben meinten. Die Ostkueste dagegen, an der Santa Cruz liegt, traegt ueberall den Stempel der Unfruchtbarkeit. Der Gipfel des Pics ist nicht oeder als das Vorgebirge aus basaltischer Lava, das der Punta de Naga zulaeuft und wo Fettpflanzen in den Ritzen des Gesteines eben erst den Grund zu einstiger Dammerde legen. ImHaven von Orotava erscheint die Spitze des Zuckerhutes unter einem Winkel von 16 1/2 deg., waehrend auf dem Hafendamm von Santa Cruz der Winkel kaum 4 deg. 36' betraegt. [Der Spitze des Vulkans ist von Orotava etwa 8600, von Santa Cruz 22,500 Toisen entfernt.] Trotz diesem Unterschied, und obgleich am letzteren Orte der Vulkan kaum so weit ueber den Horizont aufsteigt, als der Vesuv, vom Molo von Neapel aus gesehen, so ist dennoch der Anblick des Pics, wenn man ihn vor Anker auf der Rhede zum erstenmal sieht, aeusserst grossartig. Wir sahen nur den Zuckerhut; sein Kegel hob sich vom reinsten Himmelsblau ab, waehrend schwarze dicke Wolken den uebrigen Berg bis auf 1800 Toisen [3500 m] Hoehe einhuellten. Der Bimsstein, von den ersten Sonnenstrahlen beleuchtet, warf ein roethliches Licht zurueck, dem aehnlich, das haeufig die Gipfel der Hochalpen faerbt. Allmaehlich ging dieser Schimmer in das blendendste Weiss ueber, und es ging uns wie den meisten Reisenden, wir meinten, der Pic sey noch mit Schnee bedeckt und wir werden nur mit grosser Muehe an den Rand des Kraters gelangen koennen. Wir haben in der Cordillere der Anden die Beobachtung gemacht, dass Kegelberge, wie der Cotopaxi und der Tungurahua, sich oefter unbewoelkt zeigen als Berge, deren Krone mit vielen kleinen Unebenheiten besetzt ist, wie der Antisana und der Pichincha; aber der Pic von Teneriffa ist, trotz seiner Kegelgestalt, einen grossen Theil des Jahres in Dunst gehuellt, und zuweilen sieht man ihn auf der Rhede von Santa Cruz mehrere Wochen lang nicht ein einzigesmal. Die Erscheinung erklaert sich ohne Zweifel daraus, dass er westwaerts von einem grossen Festland und ganz isoliert im Meere liegt. Die Schiffer wissen recht gut, dass selbst die kleinsten, niedrigsten Eilande die Wolken anziehen und festhalten. Ueberdiess erfolgt die Waermeabgabe ueber den Ebenen Afrika's und ueber der Meeresflaeche in verschiedenem Verhaeltniss, und die Luftschichten, welche die Passatwinde herfuehren, kuehlen sich immer mehr ab, je weiter sie gegen Wesst gelangen. Die Luft, die ueber dem hiessen Wuestensand ausnehmend trochen war, schwaengert sich rasch, sobald sie mit der Meeresflaeche oder mit der Luft, die auf dieser Flaeche ruht, in Beruehrung kommt. Man sieht also leicht, warum die Duenste in Luftschichten sichtbar werden, die, vom Festland weggefuehrt, nicht mehr die Temperatur haben, bei der sie sich mit Wasser gesaettigt hatten. Zudem haelt die bedeutende Masse eines frei aus dem atlantischen Meere aufsteigenden Berges die Wolken auf, welche der Wind der hohen See zutreibt. Lange und mit Ungeduld warteten wir auf die Erlaubnis von seiten des Statthalters, ans Land gehen zu duerfen. Ich nuetzte die Zeit, um die Laenge des Hafendammes von Santa Cruz zu bestimmen und die Inclination der Magnetnadel zu beobachten. Der Chronometer von Louis Berthoud gab jene zu 18 deg. 33' 10" an. Diese Bestimmung weicht um 3-4 Bogenminuten von derjenigen ab, die sich aus den alten Beobachtungen von Fleurieu, Pingre, Borda, Vancouver und la Peyrouse ergibt. Guenot hatte uebrigens gleichfalls 18 deg. 33' 36" gefunden und der unglueckliche Capitaen Blight 18 deg. 34' 30". Die Genauigkeit meines Ergebnisses wurde drei Jahre darauf bei der Expedition des Ritters Krusenstern bestaetigt: man fand fuer Santa Cruz 16 deg. 12' 45" westlich von Greenwich, folglich 18 deg. 33' 0" westlich von Paris. Diese Angaben zeigen, dass die Laengen, welche Capitaen Cook fuer Teneriffa und das Cap der guten Hoffnung annahm, viel zu weit westlich sind. Derselbe Seefahrer hatte im Jahr 1799 die magnetische Inclination gleich 61 deg. 52' gefunden. Bonpland und ich fanden 62 deg. 24', was mit dem Resultat uebereinstimmt, das de Rossel bei d'Entrecasteaux's Expedition im Jahr 1791 erhielt. Die Declination der Nadel schwankt um mehrere Grade, je nachdem man sie auf dem Hafendamm oder an verschiedenen Punkten nordwaerts laengs des Gestades beobachtet. Diese Schwankungen koennen ein einem von vulkanischem Gestein umgebenen Orte nicht befremden. Ich habe mit Gay-Lussac die Beobachtung gemacht, dass am Abhang des Vesuvs und im Innern des Kraters die Intensitaet der magnetischen Kraft durch die Naehe der Laven modicirt wird. Nachdem die Leute, die zu uns an Bord gekommen waren, um sich nach politischen Neuigkeiten zu erkundigen, uns mit ihren vielerlei Fragen geplagt hatten, stiegen wir endlich ans Land. Das Boot wurde sogleich zur Corvette zurueckgeschickt, weil die auf der Rhede sehr gefaehrliche Brandung es leicht haette am Hafendamm zertruemmern koennen. Das erste, was uns zu Gesicht kam, war ein hochgewachsenes, sehr gebraeuntes, schlecht gekleidetes Frauenzimmer, das die *Capitana* hiess. Hinter ihr kamen einige andere in nicht anstaendigerem Aufzug; sie bestuermten uns mit der Bitte, an Bord des Pizarro gehend zu duerfen, was ihnen natuerlich nicht bewilligt wurde. In diesem von Europaeern so stark besuchten Hafen ist die Ausschweifung diszipliniert. Die Capitana ist von ihresgleichen als Anfuehrerin gewaehlt, und sie hat grosse Gewalt ueber sie. Sie laesst nichts geschehen, was sich mit dem Dienst auf den Schiffen nicht vertraegt, sie fordert die Matrosen auf, zur rechten Zeit an Bord zurueckzukehren, und die Officiere wenden sich an sie, wenn man fuerchtet, dass sich einer von der Mannschaft versteckt habe, um auszureissen. Als wir die Strassen von Santa Cruz betraten, kam es uns zum Ersticken heiss vor, und doch stand der Thermometer nur auf 25 Grad. Wenn man lange Seeluft geathmet hat, fuehlt man sich unbehaglich, so oft man ans Land geht, nicht weil jene Luft mehr Sauerstoff enthaelt als die Luft am Land, wie man irrthuemlich behauptet hat, sondern weil sie weniger mit den Gasgemischen geschwaengert ist, welche die thierischen und Pflanzenstoffe und die Dammerde, die sich aus ihrer Zersetzung bildet, fortwaehrend in den Luftkreis entbinden. Miasmen, welche sich der chemischen Analyse entziehen, wirken gewaltig auf die Organe, zumal wenn sie nicht schon seit laengerer Zeit denselben Reizen ausgesetzt gewesen sind. Santa Cruz de Tenerifa, das Anaza der Guanchen, ist eine ziemlich huebsche Stadt mit 8000 Einwohnern. Mir ist die Menge von Moenchen und Weltgeistlichen, welche die Reisenden in allen Laendern unter spanischem Zepter sehen zu muessen glauben, gar nicht aufgefallen. Ich halte mich auch nicht damit auf, die Kirchen zu beschreiben, die Bibliothek der Dominicaner, die kaum ein paar hundert Baende zaehlt, den Hafendamm, wo die Einwohnerschaft Abends zusammenkommt, um der Kuehle zu geniessen, und das beruehmte dreissig Fuss [10 m] hohe Denkmal aus carrarischen Marmor, geweiht unserer lieben Frau von Candelaria, zum Gedaechtniss ihrer wunderbaren Erscheinung zu Chimisay bei Guimar im Jahre 1362. Der Hafen von Santa Cruz ist eigentlich ein grosses Caravanserai auf dem Wege nach Amerika und Indien. Fast alle Reisebeschreibungen beginnen mit einer Beschreibung von Madeira und Teneriffa, und wenn die Naturgeschichte dieser Inseln der Forschung noch ein ungeheures Feld bietet, so laesst dagegen die Topographie der kleinen Staedte Funchal, Santa Cruz, Laguna und Orotava fast nichts zu wuenschen uebrig. Die Empfehlungen des Madrider Hofes verschafften uns auf den Canarien, wie in allen anderen spanischen Besitzungen, die befriedigendste Aufnahme. Vor allem ertheilte uns der Generalcapitaen die Erlaubniss, die Insel zu bereisen. Der Oberst Armiaga, Befehlshaber eines Infanterieregimentes, nahm uns in seinem Hause auf und ueberhaeufte uns mit Hoeflichkeit. Wir wurden nicht muede, in seinem Garten im Freien gezogene Gewaechse zu bewundern, die wir bis jetzt nur in Treibhaeusern gesehen hatten, den Bananenbaum, den Melonenbaum, die _Poinciana pulcherrima_ und andere. Das Klima der Canarien ist indessen nicht warm genug, um den aechten _Platano arton_ mit dreieckiger, sieben bis acht Zoll langer Frucht, der eine mittlere Temperatur von etwa 24 Graden verlangt und selbst nicht im Thale von Caracas fortkommt, reif werden zu lassen. Die Bananen auf Teneriffa sind die, welche die spanischen Colonisten *Camburis* oder *Guineos* und *Dominicos* nennen. Der Camburi, der am wenigsten vom Frost leidet, wird sogar in Malaga mit Erfolg gebaut [Die mittlere Temperatur dieser Stadt betraegt nur 18 deg..]; aber die Fruechte, die man zuweilen zu Cadix sieht, kommen von den Canarien auf Schiffen, welche die Ueberfahrt in drei, vier Tagen machen. Die Musa, die allen Voelkern der heissen Zone bekannt ist, und die man bis jetzt nirgends wild gefunden hat, variiert meist in ihren Fruechten, wie unsere Apfel- und Birnenbaeume. Diese Varietaeten, welche die meisten Botaniker verwechseln, obgleich sie sehr verschiedene Klimate verlangen, sind durch lange Cultur constant geworden. Am Abend machten wir eine botanische Excursion nach dem Fort Passo Alto laengs der Basaltfelsen, welche das Vorgebirge Naga bilden. Wir waren mit unserer Ausbeute sehr schlecht zufrieben, denn die Trockenheit und der Staub hatten die Vegetation so ziemlich vernichtet. _Cacalia Kleinia_, _Euphorbia canariensis_ und sehr verschiedene andere Fettpflanzen, welche ihre Nahrung vielmehr aus der Luft als aus dem Boden ziehen, auf dem sie wachsen, mahnten uns durch ihren Habitus daran, dass diese Inseln Afrika angehoeren, und zwar dem duerrsten Striche dieses Festlandes. Der Capitaen der Corvette hatte zwar den Befehl, so lange zu verweilen, dass wir die Spitze des Pics besteigen koennten, wenn anders der Schnee es gestattete; man gab uns aber zu erkennen, wegen der Blockade der englischen Schiffe duerften wir nur auf einen Aufenthalt von vier, fuenf Tagen rechnen. Wir eilten demnach, in den Hafen von Orotava zu kommen, der am Westabhang des Vulkans liegt, und wo wir Fuehrer zu finden sollten. In Santa Cruz konnte ich Niemanden auffinden, der den Pic bestiegen gehabt haette, und ich wunderte mich nicht darueber. Die merkwuerdigsten Dinge haben desto weniger Reiz fuer uns, je naeher sie uns sind, und ich kannte Schaffhauser, welche den Rheinfall niemals in der Naehe gesehen hatten. Am 20. Juni vor Sonnenaufgang machten wir uns auf den Weg nach Villa de la Laguna, die 350 Toisen [682 m] ueber dem Hafen von Santa Cruz liegt. Wir konnten diese Hoehenangabe nicht verificiren, denn wegen der Brandung hatten in der Nacht nicht an Bord gehen koennen, um Barometer und Inclinationscompass zu holen. Da wir voraussahen, dass wir bei unserer Besteigung des Pic sehr wuerden eilen muessen, so war es uns ganz lieb, dass die Instrumente, die uns in unbekannteren Laendern dienen sollten, hier keiner Gefahr aussetzen konnten. Der Weg nach Laguna hinauf laeuft an der rechten Seite eines Baches oder *Barranco* hin, der in der Regenzeit schoene Faelle bildet; er ist schmal und vielfach gewunden. Nach meiner Rueckkehr habe ich gehoert, Herr von Perlasca habe hier eine neue Strasse anlegen lassen, auf der Wagen fahren koennen. Bei der Stadt begegneten uns weisse Kameele, die sehr leicht beladen schienen. Diese Thiere werden vorzugsweise dazu gebraucht, die Waaren von der Douane in die Magazine der Kaufleute zu schaffen. Man ladet ihnen gewoehnlich zwei Kisten Havanazucker auf, die zusammen 900 Pfund wiegen, man kann aber die Ladung bis auf 13 Zentner oder 52 castilische Arrobas steigern. Auf Teneriffa sind die Kameele nicht sehr haeufig, waehrend ihrer auf Lanzerota und Fortaventura viele Tausende sind. Diese Inseln liegen Afrika naeher und kommen daher auch in Klima und Vegetation mehr mit diesem Continent ueberein. Es ist sehr auffallend, dass dieses nuetzliche Thier, das sich in Suedamerika fortpflanzt, dies auf Teneriffa fast nie thut. Nur im fruchtbaren Distrikt von Adexe, wo die bedeutendsten Zuckerrohrpflanzungen sind, hat man die Kameele zuweilen Junge werfen sehen. Diese Lastthiere, wie die Pferde, sind im fuenfzehnten Jahrhundert durch die normaennischen Eroberer auf den Canarien eingefuehrt worden. Die Guanchen kannten sie nicht, und dies erklaert sich wohl leicht daraus, dass ein so gewaltiges Thier schwer auf schwachen Fahrzeugen zu transportiren ist, ohne dass man die Guanchen als die Ueberreste der Bevoelkerung der Atlantis zu betrachten und zu glauben braucht, sie gehoeren einer anderen Rasse an als die Westafrikaner. Der Huegel, auf dem die Stadt San Christobal de la Laguna liegt, gehoert dem System von Basaltgebirgen an, die, unabhaengig vom System neuerer vulkanischer Gebirgsarten, einen weiten Guertel um den Pic von Teneriffa bilden. Der Basalt von Laguna ist nicht saeulenfoermig, sondern zeigt nicht sehr dicke Schichten, die nach Ost unter einem Winkel von 30 - 40 Grad fallen. Nirgends hat er das Ansehen eines Lavastroms, der an den Abhaengen der Pics ausgebrochen waere. Hat der gegenwaertige Vulkan diese Basalte hervorgebracht, so muss man annehmen, wie bei den Gesteinen, aus denen die Somma neben dem Vesuv besteht, dass sie in Folge eines unterseeischen Ausbruchs gebildet sind, wobei die weiche Masse wirklich geschichtet wurde. Ausser einigen baumartigen Euphorbien, _Cacalia Kleinia_ und Fackeldisteln (Cactus), welche auf den Canarien, wie im suedlichen Europa und auf dem afrikanischen Festland verwildert sind, waechst nichts auf diesem duerren Gestein. Unsere Maulthiere glitten jeden Augenblick auf stark geneigten Steinlagern aus. Indessen sahen wir die Ueberreste eines alten Pflasters. Bei jedem Schritt stoesst man in den Colonien auf Spuren der Thatkraft, welche die spanische Nation im sechzehnten Jahrhundert entwickelt hat. Je naeher wir Laguna kamen, desto kuehler wurde die Luft, und dies thut um so wohler, da es in Santa Cruz zum Ersticken heiss ist. Da widrige Eindruecke unsere Organe staerker angreifen, so ist der Temperaturwechsel auf dem Rueckweg von Laguna zum Hafen noch auffallender; man meint, man naehere sich der Muendung eines Schmelzofens. Man hat dieselbe Empfindung, wenn man an der Kueste von Caracas vom Berg Avila zum Hafen von Guayra niedersteigt. Nach dem Gesetz der Waermeabnahme machen in dieser Breite 350 Toisen Hoehe nur drei bis vier Grad Temperaturunterschied. Die Hitze, welche dem Reisenden so laestig wird, wenn er Santa Cruz de Teneriffa oder Guayra betritt, ist daher wohl dem Rueckprallen der Waerme von den Felsen zuzuschreiben, an welche beide Staedte sich lehnen. Die fortwaehrende Kuehle, die in Laguna herrscht, macht die Stadt fuer die Canarier zu einem koestlichen Aufenthaltsort. Auf einer kleinen Ebene, umgeben von Gaerten, am Fusse eines Huegels, den Lorbeeren, Myrten und Erdbeerbaeume kroenen, ist die Hauptstadt von Teneriffa wirklich ungemein freundlich gelegen. Sie liegt keineswegs, wie man nach meheren Reiseberichten glauben sollte, an einem See. Das Regenwasser bildet hier periodisch einen weiten Sumpf, und der Geolog, der ueberall in der Natur vielmehr einen frueheren Zustand der Dinge als den gegenwaertigen im Auge hat, zweifelt nicht daran, dass die ganze Ebene ein grosses ausgetrockenetes Becken ist. Laguna ist in seinem Wohlstand herabgekommen, seit die Seitenausbrueche des Vulkans den Hafen von Garachico zerstoert haben und Santa Cruz der Haupthandelsplatz der Inseln geworden ist; es zaehlt nur noch 9000 Einwohner, worunter gegen 400 Moenche in sechs Kloestern. Manche Reisende behaupten, die Haelfte der Bevoelkerung bestehe aus Kuttentraegern. Die Stadt ist mit zahlreichen Windmuehlen umgeben, ein Wahrzeichen des Getreidebaus in diesem hochgelegenen Striche. Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, dass die naehrenden Grasarten den Guanchen bekannt waren. Das Korn hiess auf Teneriffa _tano_, auf Lanzerota _triffa_; die Gerste hiess auf Canaria _aramotanoque_, auf Lanzerota _tamosen_. Geroestetes Gerstenmehl _(gofio)_ und Ziegenmilch waren die vornehmsten Nahrungsmittel dieses Volkes, ueber dessen Ursprung so viele systematische Traeumereien ausgeheckt worden sind. Diese Nahrung weist bestimmt darauf hin, dass die Guanchen zu den Voelkern der alten Welt gehoerten, wohl selbst zur caucasischen Race, und nicht, wie die andern Atlanten [Ich lasse mich hier auf keine Verhandlung ueber die Existenz der Atlantis ein und erwaehne nur, dass nach Diodor von Sicilien die Atlanten die Cerealien nicht kannten, weil sie von der uebrigen Menschheit getrennt worden, bevor ueberhaupt Getreide gebaut wurde.], zu den Volksstaemmen der neuen Welt; die letzteren kannten vor der Ankunft der Europaeer weder Getreide, noch Milch, noch Kaese. Eine Menge Capellen, von den Spaniern _ermitas_ genannt, liegen um die Stadt Laguna. Umgeben von immergruenen Baeumen auf kleinen Anhoehen, erhoehen diese Capellen, wie ueberall den malerischen Reiz der Landschaft. Das Innere der Stadt entspricht dem Aeussern durchaus nicht. Die Haeuser sind solid gebaut, aber sehr alt und die Strassen oede. Der Botaniker hat uebrigens nicht zudauern, dass die Haeuser so alt sind. Daecher und Mauern sind bedeckt mit _Sempervivum canariense_ und dem zierlichen _Trichomanes_, dessen alle Reisende gedenken; die haeufigen Nebel geben diesen Gewaechsen Unterhalt. Anderson, der Naturforscher bei Capitaen Cooks dritter Reise, gibt den europaeischen Aerzten den Rath, ihre Kranken nach Teneriffa zu schicken, keineswegs auf der Ruecksicht, welche manche Heilkuenstler die entlegendsten Baeder waehlen laesst, sondern wegen der ungemeinen Milde und Gleichmaessigkeit des Klimas der Canarien. Der Boden der Inseln steigt amphitheatralisch auf und zeigt, gleich Peru und Mexico, wenn auch in kleinerem Maassstab, alle Klimate, von afrikanischer Hitze bis zum Froste der Hochalpen. Santa Cruz, der Hafen von Orotava, die Stadt desselben Namens und Laguna sind vier Orte, deren mittlere Temperaturen eine abnehmende Reihe darstellen. Das suedliche Europa bietet nicht dieselben Vortheile, weil der Wechsel der Jahreszeiten sich noch zu stark fuehlbar macht. Teneriffa dagegen, gleichsam an der Pforte der Tropen und doch nur wenige Tagereisen von Spanien, hat schon ein gut Theil der Herrlichkeit aufzuweisen, mit der die Natur die Laender zwischen den Wendekreisen ausgestattet. Im Pflanzenreich treten bereits mehrere der schoensten und grossartigsten Gestalten auf, die Bananen und die Palmen. Wer Sinn fuer Naturschoenheit hat, findet auf dieser koestlichen Insel noch kraeftigere Heilmittel als das Klima. Kein Ort der Welt scheint mir geeigneter, die Schwermuth zu bannen und einen schmerzlich ergriffenen Gemuethe den Frieden wiederzugeben, als Teneriffa und Madeia. Und solches wirkt nicht allein die herrliche Lage und die reine Luft, sondern vor allem das Nichtvorhandensein der Sklaverei, deren Anblick einen in beiden Indien so tief empoert, wie ueberall, wohin europaeische Colonisten ihre sogenannte Aufklaerung und ihre Industrie getragen haben. Im Winter ist das Klima von Laguna sehr nebligt und die Einwohner beklagen sich haeufig ueber Frost. Man hin indessen nie schneien sehen, woraus man schliessen sollte, dass die mittlere Temperatur der Stadt ueber 18 deg.,7 (15 deg. R.) betraegt, das heisst mehr als in Neapel. Fuer streng kann dieser Schluss nicht gelten; denn im Winter haengt die Erkaeltung der Wolken weniger von der mittleren Temperatur des ganzen Jahres ab als vielmehr von der augenblicklichen Erniedrigung der Waerme, der ein Ort vermoege seiner besondern Lage ausgesetzt ist. Die mittlere Temperatur der Hauptstadt von Mexico ist z. B. nur 16 deg.,8 (13 deg.,5 R.), und doch hat man in hundert Jahren nur ein einziges mal schneien sehen, waehrend es im suedlichen Europa und in Afrika noch an Orten schneit, die ueber 19 Grad mittlere Temperatur haben. Wegen der Naehe des Meeres ist das Klima von Laguna im Winter milder, als es nach der Meereshoehe seyn sollte. Herr Broussonet hat sogar, wie ich mit Verwunderung hoerte, mitten in der Stadt, im Garten des Marquis von Nava, Brotfruchtbaeume _(Artocarpus incisa)_ und Zimmtbaeume _(Laurus cinnamomum)_ angepflanzt. Diese koestlichen Gewaechse der Suedsee und Ostindiens wurden hier einheimisch, wie auch in Orotava. Sollte dieser Versuch nicht beweisen, dass der Brotfruchtbaum in Calabrien, auf Sicilien und in Grenada fortkaeme? Der Anbau des Kaffeebaumes ist in Laguna nicht in gleichem Maasse gelungen, wenn auch die Fruechte bei Tegueste und zwischen dem Hafen von Orotava und dem Dorfe San Juan de la Rambla reif werden. Wahrscheinlich sind oertliche Verhaeltnisse, vielleicht die Beschaffenheit des Bodens und die Winde, die in der Bluethezeit wehen, daran Schuld. In andern Laendern, z. B. bei Neapel, traegt der Kaffeebaum ziemlich reichlich Fruechte, obgleich die mittlere Temperatur kaum ueber 18 Grad der hunderttheiligen Scale betraegt. Auf Teneriffa ist die mittlere Hoehe, in der jaehrlich Schnee faellt, noch niemals bestimmt worden. Solches ist mittelst barometrischer Messung leicht auszufuehren, es ist aber bis jetzt fast in allen Erdstrichen versaeumt worden; und doch ist diese Bestimmung von grossem Belang fuer den Ackerbau in den Colonien und fuer die Meteorologie, und ganz so wichtig als das Hoehenmaass der untern Grenze des ewigen Schnees. Ich stelle die Ergebnisse meiner betreffenden Beobachtungen in folgender Uebersicht zusammen. Diese Tafel gibt nur das Durchschnittsverhaeltniss, das heisst die Erscheinungen, wie sie sich im ganzen Jahre zeigen. Besondere Lokalitaeten koennen Ausnahmen herbeifuehren. So schneit es zuweilen, wenn auch sehr selten, in Neapel, Lissabon, sogar in Malaga, also noch unter dem 37. Grad der Breite, und wie schon bemerkt, hat man Schnee in der Stadt Mexiko fallen sehen, die 1173 Toisen [2286 m] ueber dem Meere liegt. Dies war seit mehreren Jahrhunderten nicht vorgekommen, und das Ereigniss trat gerade am Tage ein, da die Jesuiten vertrieben wurden, und wurde vom Volke natuerlich dieser Gewaltmaassregel zugeschrieben. Noch ein auffallenderes Beispiel bietet das Klima von Valladolid, der Hauptstadt der Provinz Mechoacan. Nach meinen Messungen liegt diese Stadt unter 19 deg. 41' der Breite nur tausend Toisen hoch; dennoch waren daselbst wenige Jahre vor meiner Ankunft in Neuspanien die Strassen mehrere Stunden lang mit Schnee bedeckt. Auch auf Teneriffa hat man an einem Orte ueber Esperanza de la Laguna, dicht bei der Stadt dieses Namens, in deren Gaerten Brotbaeume wachsen, schneien sehen. Dieser ausserordentliche Fall wurde Broussonet von sehr alten Leuten erzaehlt. Die _Erica arborea_, die _Mirica Faya_ und _Arbutus callycarpa_ litten nicht durch den Schnee; aber alle Schweine, die im Freien waren, kamen dadurch um. Diese Beobachtung ist fuer die Pflanzenphysiologie von Wichtigkeit. In heissen Laendern sind die Gewaechse so kraeftig, dass ihnen der Frost weniger schadet, wenn er nur nicht lange anhaelt. Ich habe auf der Insel Cuba den Bananenbaum an Orten angebaut gesehen, wo der hunderttheilige Thermometer auf 7 Grad, ja zuweilen fast auf den Gefrierpunkt faellt. In Italien und Spanien gehen Orangen- und Dattelbaeume nicht zu Grunde, wenn es auch bei Nacht zwei Grad Kaelte hat. Im Allgemeinen macht man beim Garten- und Landbau die Bemerkung, dass Pflanzen in fruchtbarem Boden weniger zaertlich und somit auch fuer ungewoehnlich niedrige Temperaturgrade weniger empfindlich sind, als solche, die in einem Erdreich wachsen, dass ihnen nur wenig Nahrungssaefte bietet(10) Zwischen der Stadt Laguna, und dem Hafen von Orotava und der Westkueste von Teneriffa kommt man zuerst durch ein huegligtes Land mit schwarzer thonigter Dammerde, in der man hin und wieder kleine Augitkrystalle findet. Wahrscheinlich reisst das Wasser diese Krystalle vom anstehenden Gestein ab, wie zu Frascati bei Rom. Leider entziehen eisenhaltige Floetzschichten den Boden der geologischen Untersuchung. Nur in einigen Schluchten kommen saeulenfoermige, etwas gebogene Basalte zu Tag, und darueber sehr neue, den vulkanischen Tuffen aehnliche Mengsteine. In denselben sind Bruchstuecke des unterliegenden Basalts eingeschlossen, und wie versichert wird, finden sich Versteinerungen von Seethieren darin; ganz dasselbe kommt im Vicentinischen bei Montechio maggiore vor. Wenn man ins Tal von Tacoronte hinabkommt, betritt man das herrliche Land, von dem die Reisenden aller Nationen mit Begeisterung sprechen. Ich habe im heissen Erdguertel Landschaften gesehen, wo die Natur grossartiger ist, reicher in der Entwicklung organischer Formen; aber nachdem ich die Ufer des Orinoko, die Cordilleren in Peru und die schoenen Thaeler von Mexiko durchwandert, muss ich gestehen, nirgends ein so mannigfaltiges, so anziehendes, durch die Vertheilung von Gruen und Felsmassen so harmonisches Gemaelde vor mir gehabt zu haben. Das Meeresufer schmuecken Dattelpalmen und Cocosnussbaeume; weiter oben stechen Bananengebuesche von Drachenbaeumen ab, deren Stamm man ganz richtig mit einem Schlangenleib vergleicht. Die Abhaenge sind mit Reben bepflanzt, die sich um sehr hohe Spaliere ranken. Mit Bluethen bedeckte Orangenbaeume, Myrten und Cypressen umgeben Capellen, welche die Andacht auf freistehenden Huegeln errichtet hat. Ueberall sind die Grundstuecke durch Hecken von Agave und Cactus eingefriedigt. Unzaehlige kryptogamische Gewaechse, zumal Farne, bekleiden die Mauern, die von kleinen klaren Wasserquellen feucht erhalten werden. Im Winter, waehrend der Vulkan mit Eis und Schnee bedeckt ist, geniesst man in diesem Landstrich eines ewigen Fruehlings. Sommers, wenn der Tag sich neigt, bringt der Seewind angenehme Kuehlung. Die Bevoelkerung der Kueste ist hier sehr stark; sie erscheint noch groesser, weil Haeuser und Gaerten zerstreut liegen, was den Reiz der Landschaft noch erhoeht. Leider steht der Wohlstand der Bewohner weder mit ihrem Fleisse, noch mit der Fuelle der Natur im Verhaeltniss. Die das Land bauen, sind meist nicht Eigenthuemer desselben; die Frucht ihrer Arbeit gehoert dem Adel, und das Lehnssystem, das so lange ganz Europa ungluecklich gemacht hat, laesst noch heute das Volk der Canarien zu keiner Bluethe gelangen. Von Tegueste und Tacoronte bis zum Dorfe San Juan de la Rambla, beruehmt durch seinen trefflichen Malvasier, ist die Kueste wie ein Garten angebaut. Ich moechte sie mit der Umgegend von Capua oder Valencia vergleichen, nur ist die Westseite von Teneriffa unendlich schoener wegen der Naehe des Pics, der bei jedem Schritt wieder eine andere Ansicht bietet. Der Anblick dieses Berges ist nicht allein wegen seiner imposanten Masse anziehend; er beschaeftigt lebhaft des Geist und laesst uns den geheimnisvollen Quellen der vulkanischen Kraefte nachdenken. Seit Tausenden von Jahren ist kein Lichtschimmer auf der Spitze des Piton gesehen worden, aber ungeheure Seitenausbrueche, deren letzter im Jahre 1798 erfolgte, beweisen die fortwaehrende Thaetigkeit eines nicht erloeschenden Feuers. Der Anblick eines Feuerschlundes mitten in einem fruchtbaren Lande mit reichem Anbau hat indessen etwas Niederschlagendes. Die Geschichte des Erdballes lehrt uns, dass die Vulkane wieder zerstoeren, was sie in einer langen Reihe von Jahrhunderten aufgebaut. Inseln, welche die unterirdischen Feuer ueber die Fluthen emporgehoben, schmuecken sich allmaehlich mit reichem, lachenden Gruen; aber gar oft werden diese neuen Laender durch dieselben Kraefte zerstoert, durch die sie vom Boden des Ozeans ueber seine Flaeche gelangt sind. Vielleicht waren Eilande, die jetzt nichts sind als Schlacken- und Aschenhaufen, einst so fruchtbar als die Gelaende von Tacoronte und Sauzal. Wohl den Laendern, wo der Mensch dem Boden, auf dem er wohnt, nicht misstrauen darf! Auf unserem Wege zum Hafen von Orotava kamen wir durch die huebschen Doerfer Matanza und Victoria. Diese beiden Namen findet man in allen spanischen Colonien neben einander; sie machen einen widrigen Eindruck in einem Lande, wo alles Ruhe und Frieden atmet. *Matanza* bedeutet Schlachtbank, Blutbad, und schon das Wort deutet an, um welchen Preis der Sieg erkauft worden. In der neuen Welt weist er gewoehnlich auf eine Niederlage der Eingeborenen hin; auf Teneriffa bezeichnet Matanza den Ort, wo die Spanier von denselben Guanchen geschlagen wurden, die man bald auf den spanischen Maerkten als Sklaven verkaufte. Ehe wir nach Orotava kamen, besuchten wir den botanischen Garten nicht weit vom Hafen. Wir trafen da den franzoesischen Viceconsul Legros, der oft auf der Spitze des Pic gewesen war und an dem wir einen vortrefflichen Fuehrer fanden. Er hatte mit Capitaen Baudin eine Fahrt nach Antillen gemacht, durch die der Pariser Pflanzengarten ansehnlich bereichert worden ist. Ein furchtbarer Sturm, den Ledru in seiner Reise nach Portorico beschreibt, zwang das Fahrzeug bei Teneriffa anzulegen, und das herrliche Klima der Insel brachte Legros zu dem Enschluss, sich hier niederzulassen. Ihm verdankt die gelehrte Welt Europa's die ersten genauen Nachrichten ueber den grossen Seitenausbruch des Pics, den man sehr uneigentlich den Ausbruch des Vulkans von Chahorra nennt. [Am 8. Juni 1798.] Die Anlage eines botanischen Gartens auf Teneriffa ist ein sehr gluecklicher Gedanke, da derselbe sowohl fuer die wissenschaftliche Botanik als fuer die Einfuehrung nuetzlicher Gewaechse in Europa sehr foerderlich werden kann. Die erste Idee eines solchen verdankt man dem Marquis von Nava (Marquis von Villanueva del Prado), einem Mann, der Poivre an die Seite gestellt zu werden verdient und im Triebe, das Gute zu foerdern, von seinem Vermoegen den edelsten Gebrauch gemacht hat. Mit ungeheuren Kosten liess er den Huegel von Durasno, der amphitheatralisch aufsteigt, abheben, und im Jahr 1795 machte man mit den Anpflanzungen den Anfang. Nava war der Ansicht, dass die Canarien, vermoege des midlen Klimas und der geographischen Lage, der geeignetste Punkt seyen, um die Naturprodukte beider Indien zu acclimatisiren, um die Gewaechse aufzunehmen, die sich allmaehlich an die niedrigere Temperatur des suedlichen Europa gewoehnen sollen. Asiatisch, afrikanische, suedamerikanische Pflanzen gelangen leicht in den Garten bei Orotava, um den Chinabaum [Ich meine die Chinaarten, die in Peru und im Koenigreich Neu-Grenada auf dem Ruecken der Cordilleren, zwischen 1000 und 1500 Toisen Meereshoehe an Orten wachsen, wo der Thermometer bei Tag zwischen 9 und 10 Grad, bei Nacht zwischen 3 und 4 Grad steht. Die orangegelbe Quinquina _(Cinchona lancifolia)_ ist weit weniger empfindlich als die rothe _(C. oblongifolia)_] in Sicilien, Portugal oder Grenada einzufuehren, muesste man ihn zuerst in Durasno oder Laguna anbauen und dann erst die Schoesslinge der canarischen China nach Europa verpflanzen. In besseren Zeiten, wo kein Seekrieg mehr den Verkehr in Fesseln schlaegt, kann der Garten in Teneriffa auch fuer die starken Pflanzensendungen aus Indien nach Europa von Bedeutung werden. Diese Gewaechse gehen haeufig, ehe sie unsere Kuesten erreichen, zu Grunde, weil sie auf der langen Ueberfahrt eine mit Salzwasser geschwaengerte Luft athmen muessen. Im Garten von Orotava faenden sie eine Pflege und ein Klima, wobei sie sich erholen koennten. Da die Unterhaltung des botanischen Gartens von Jahr zu Jahr kostspieliger wurde, trat der Marquis denselben der Regierung ab. Wir fanden daselbst einen geschickten Gaertner, einen Schueler Aitons, des Vorstehers des koeniglichen Gartens zu Kew. Der Boden steigt in Terrassen auf und wird von einer natuerlichen Quelle bewaessert. Man hat die Aussicht auf die Insel Palma, die wie ein Castell aus dem Meere emporsteigt. Wir fanden aber nicht viele Pflanzen hier: man hatte, wo Gattungen fehlten, Etiketten aufgesteckt, mit auf Gerathewohl aus Linnes _systema vegetabilium_ genommen schienen. Diese Anordnung der Gewaechse nach den Classen des Sexualsystems, die man leider auch in manchen europaeischen Gaerten findet, ist dem Anbau sehr hinderlich. In Durasno wachsen Proteen, der Gojavabaum, der Jambusenbaum, die Chirimoya aus Peru, [_Annona Cherimolia_ Lamarck.] Mimosen und Heliconien im Freien. Wir pflueckten reife Samen von mehreren schoenen Glycinearten aus Neuholland, welche der Gouverneur von Cumana, Emparan, mit Erfolg angepflanzt hat und die seitdem auf den suedamerikanischen Kuesten wild geworden sind. Wir kamen sehr spaet in den Hafen von Orotava, [_Puerto de la Cruz_. Der einzige schoene Hafen der Canarien ist der von San Sebastiano auf der Insel Gomera.] wenn man anders diesen Namen einer Rhede geben kann, auf der die Fahrzeuge unter Segel gehen muessen, wenn der Wind stark aus Nordwest blaest. Man kann nicht von Orotova sprechen, ohne die Freunde der Wissenschaft an Cologan zu erinnern, dessen Haus von jeher den Reisenden aller Nationen offen stand. Mehrere Glieder dieser achtungswerthen Familie sind in London und Paris erzogen worden. Don Bernardo Cologan ist bei gruendlichen, mannigfaltigen Kenntnissen der feurigste Patriot. Man ist freudig ueberrascht, auf einer Inselgruppe an der Kueste von Afrika der liebenswuerdigen Geselligkeit, der edlen Wissbegierde, dem Kunstsinn zu begegnen, die man ausschliesslich in einem kleinen Theile von Europa zu Hause glaubt. Gerne haetten wir einige Zeit in Cologans Hause verweilt und mit ihm in der Umgegend von Orotava die herrlichen Punkte San Juan de la Rambla und Rialexo de Abaxo besucht. Aber auf einer Reise wie die, welche ich angetreten, kommt man selten dazu, der Gegenwart zu geniessen. Die quaelende Besorgniss, nicht ausfuehren zu koennen, was man den andern Tag vorhat, erhaelt einen in bestaendiger Unruhe. Leidenschaftliche Natur- und Kunstfreunde sind auf der Reise durch die Schweiz oder Italien in ganz aehnlicher Gemuethsverfassung; da sie die Gegenstaende, die Interesse fuer sie haben, immer nur zum kleinsten Theil sehen koennen, so wird ihnen der Genuss durch die Opfer verbitternt, die sie auf jedem Schritt zu bringen haben. Bereits am 21. Morgens waren wir auf dem Weg nach dem Gipfel des Vulkans. Legros, dessen zuvorkommende Gefaelligkeit wir nicht genug loben koennen, der Secretaer des franzoesischen Consulats zu Santa Cruz und der englische Gaertner von Durasno teilten mit uns die Beschwerden der Reise. Der Tag war nicht sehr schoen, und der Gipfel des Pic, den man in Orotava fast immer sieht, von Sonnenaufgang bis zehn Uhr in dicke Wolken gehuellt. Ein einziger Weg fuehrt auf den Vulkan durch Villa de Orotava, die Ginsterebene und das Malpays, derselbe, den Pater Feullee, Borda, Labillardiere, Barrow eingeschlagen, und ueberhaupt alle Reisenden, die sich nur kurze Zeit in Teneriffa aufhalten konnten. Wenn man den Pic besteigt, ist es gerade, wie wenn man das Chamounithal oder den Aetna besucht: man muss seinen Fuehrern nachgehen und man bekommt nur zu sehen, was schon andere Reisende gesehen und beschrieben haben. Der Contrast zwischen der Vegetation in diesem Striche von Teneriffa und der in der Umgegend von Santa Cruz ueberraschte uns angenehm. Beim kuehlen, feuchten Klima war der Boden mit schoenem Gruen bedeckt, waehrend auf dem Weg von Santa Cruz nach Laguna die Pflanzen nichts als Huelsen hatten, aus denen bereits der Samen ausgefallen war. Beim Hafen von Orotava wird der kraeftige Pflanzenwuchs den geologischen Beobachtungen hinderlich. Wir kamen an zwei kleinen glockenfoermigen Huegeln vorueber. Beobachtungen am Vesuv und in der Auvergne weisen darauf hin, dass dergleichen runde Erhoehungen von Seitenausbruechen des grossen Vulkans herruehren. Der Huegel Montannitta de la Villa scheint wirklich einmal Lava ausgeworfen zu haben; nach den Ueberlieferungen der Guanchen fand dieser Ausbruch im Jahr 1430 statt. Der Obest Franqui versicherte Borda, man sehe noch deutlich, wo die geschmolzenen Stoffe hervorquollen, und die Asche, die den Boden ringsum bedecke, sey noch nicht fruchtbar. [Ich entnehme diese Notiz einer interessanten Handschrift, die jetzt in Paris im _Depot des cartes de la Marine_ aufgewahrt wird. Sie fuehrt den Titel. _Resume des operations geographiques des cotes d´Espagne et de Portugal sur l´Ocean, d´une partie des cotes occidentales de l´Afrique et des iles Canaries, par le chevalier de Borda._ Es ist dies die Handschrift, von der de Fleurien in seinen Noten zu Marchands Reise spricht und die mir Borda zum Theil schon vor meiner Abreise mitgetheilt hatte. Ich habe wichtige, noch nicht veroeffentlichte Beobachtungen daraus ausgezogen.] Ueberall, wo das Gestein zu Tag ausgeht, fanden wir basaltartigen Mandelstein (Werner) und Bimssteinconglomerat, in dem Rapilli oder Bruchstuecke von Bimsstein eingeschlosen sind. Letztere Formation hat Aehnlichkeit mit dem Tuff von Pausilipp und mit den Puzzolanschichten, die ich im Thal von Quito, am Fusse des Vulkans Pichincha, gefunden habe. Der Mandelstein hat langgezogene Poren, wie die obern Lavaschichten des Vesuv. Es scheint diess darauf hinzudeuten, dass eine elastische Fluessigkeit durch die geschmolzene Materie durchgegangen ist. Trotz diesen Uebereinstimmungen muss ich noch einmal bemerken, dass ich in der ganzen unteren Region des Pics von Tenerifa auf der Seite gegen Orotava keinen Lavastrom, ueberhaupt keinen vulkanischen Ausbruch gesehen habe, der scharf begrenzt waere. Regenguesse und Ueberschwemmungen wandeln die Erdoberflaeche um, und wenn zahlreiche Lavastroeme sich vereinigen und ueber eine Ebene ergiessen, wie ich es am Vesuv im _Atrio dei Cavalli_ gesehen, so verschmelzen sie in einander und nehmen das Ansehen wirklich geschichteter Bildungen an. Villa de Orotava macht schon von weitem einen guten Eindruck durch die Fuelle der Gewaesser, die auf den Ort zueilen und durch die Hauptstrassen fliessen. Die Quelle _Aqua mansa_, in zwei grosse Becken gefasst, treibt mehrere Muehlen und wird dann in die Weingaerten des anliegenden Gelaendes geleitet. Das Klima in der *Villa* ist noch kuehler als am Hafen, da dort von morgens zehn Uhr ein starker Wind weht. Das Wasser, das sich bei hoeherer Temperatur in der Luft aufgeloest hat, schlaegt sich haeufig nieder, und dadurch wird das Klima sehr nebligt. Die Villa liegt etwa 160 Toisen (312 Meter) ueber dem Meer, also zweihundert Toisen niedriger als Laguna; man bemerkt auch, dass dieselben Pflanzen an letzterem Orte einen Monat spaeter bluehen. Orotava, das alte Taoro der Guanchen, liegt am steilen Abhang eines Huegels; die Strassen schienen uns oede, die Haeuser, solid gebaut, aber truebselig anzusehen, gehoeren fast durch einem Adel, der fuer sehr stolz gilt und sich selbst anspruchsvoll als _dozo casas_ bezeichnet. Wir kamen an einer sehr hohen, mit einer Menge schoener Farn bewachsenen Wasserleitung vorueber. Wir besuchten mehrere Gaerten, in denen die Obstbaeume des noerdlichen Europas neben Orangen, Granatbaeumen und Dattelpalmen stehen. Man versicherte uns, letztere tragen hier so wenig Fruechte als in Terra Firma an der Kueste von Cumana. Obgleich wir den Drachenbaum in Herrn Franquis Garten aus Reiseberichten kannten, so setzte uns seine ungeheure Dicke dennoch in Erstaunen. Man behauptet, der Stamm dieses Baumes, der in mehreren sehr alten Urkunden erwaehnt wird, weil er als Grenzmarke eines Feldes diente, sey schon im fuenfzehnten Jahrhundert so ungeheuer dick gewesen wie jetzt. Seine Hoehe schaetzten wir auf 50 bis 60 Fuss [16 bis 19,5 m]; sein Umfang nahe ueber den Wurzeln betraegt 45 Fuss [14,6 m]. Weiter oben konnten wir nicht messen, aber Sir Georg Staunton hat gefunden, dass zehn Fuss [3,25 m] ueber dem Boden der Stamm noch zwoelf englische Fuss [3,90 m] im Durchmesser hat, was gut mit Bordas Angabe uebereinstimmt, der den mittleren Umfang zu 33 Fuss 8 Zoll [10,93 m] angibt. Der Stamm theilt sich in viele Aeste, die kronleuchterartig aufwaerts ragen und an den Spitzen Blaetterbueschel tragen, aehnlich der Yucca im Tale von Mexiko. Durch diese Theilung in Aeste unterscheidet sich sein Habitus wesentlich von der der Palmen. Unter den organischen Bildungen ist dieser Baum, neben der Adansonie oder Baobab in Senegal, ohne Zweifel einer der aeltesten Bewohner unseres Erdballs. Die Baobabs werden indessen noch dickder als der Drachenbaum von Villa d´Orotava. Man kennt welche, die an der Wurzel 34 Fuss Durchmesser haben, wobei sie nicht hoeher sind als 50 bis 60 Fuss(11). Man muss aber bedenken, dass die Adansonia, wie die Ochroma und alle Gewaechse aus der Familie der Bombaceen, viel schneller waechst(12) als der Drachenbaum, der sehr langsam zunimmt. Der in Herrn Franqui's Garten traegt noch jedes Jahr Blueten und Fruechte. Sein Anblick mahnt lebhaft an "die ewige Jugend der Natur" [_Aristoteles de longit. vitae. cap. 6._], die eine unerschoepfliche Quelle von Bewegung und Leben ist. Der Drachenbaum, der nur in den angebauten Strichen der Canarien, auf Madera und Porto Santo vorkommt, ist eine merkwuerdige Erscheinung in Beziehung auf die Wanderung der Gewaechse. Auf dem Kontinent und Afrika(13) ist er nirgends wild gefunden worden, und Ostindien ist sein eigentliches Vaterland. Auf welchem Wege ist der Baum nach Teneriffa verpflanzt worden, wo er gar nicht haeufig vorkommt? Ist sein Daseyn ein Beweis dafuer, dass in sehr entlegener Zeit die Guanchen mit andern, mit asiatischen Voelkern in Verkehr gestanden haben? Von Villa da Orotava gelangten wir auf einem schmalen steinigen Pfad durch einen schoenen Kastanienwald _(el Monte de Castanos)_ in eine Gegend, die mit einigen Lorbeerarten und der baumartigen Heide bewachsen ist. Der Stamm der letzteren wird hier ausnehmend dick, und die Bluethen, mit denen der Strauch einen grossen Teil des Jahres bedeckt ist, stechen angenehm ab von den Bluethen des _Hypericum canariense_, das in dieser Hoehe sehr haeufig vorkommt. Wir machten unter einer schoenen Tanne halt, um uns mit Wasser zu versehen. Dieser Platz ist im Lande unter dem Namen _Pino del Dornajito_ bekannt; seine Meereshoehe betraegt nach Borda´s barometrischer Messung 522 Toisen [1017 m]. Man hat da eine prachtvolle Aussicht auf das Meer und die ganze Westseite der Insel. Beim _Pino del Dornajito_, etwas rechts vom Weg sprudelt eine ziemlich reiche Quelle; wir tauchten ein Thermometer hinein, es fiel auf 15 deg.,4. Hundert Toisen davon ist eine andere eben so klare Quelle. Nimmt man an, dass diese Gewaesser ungefaehr die mittlere Waerme des Orts, wo sie zu Tage kommen, anzeigen, so findet man als absolute Hoehe des Platzes 520 Toisen, die mittlere Temperatur der Kueste zu 21 deg. und unter dieser Zone eine Abnahme der Waerme um einen Grad auf 93 Toisen angenommen. Man duerfte sich nicht wundern, wenn diese Quelle etwas unter der mittleren Lufttemperatur bliebe, weil sich sich wahrscheinlich weiter oben am Pic bildet, und vielleicht sogar mit den kleinen unterirdischen Gletschern zusammenhaengt, von denen weiterhin die Rede seyn wird. Die eben erwaehnte Uebereinstimmung der barometrischen und der thermometrischen Messung ist desto auffallender, als im Allgemeinen, wie ich anderwaerts ausgefuehrt, [So hat Hunter in den blauen Bergen auf Jamaica die Quellen immer kaelter gefunden, als sie nach der Hoehe, in der sie zu Tage kommen, seyn sollten.] in Gebirgslaendern mit steilen Haengen die Quellen eine zu rasche Waermeabnahme anzeigen, weil sie kleine Wasseradern aufnehmen, die in verschiedenen Hoehen in den Boden gelangen, und somit ihre Temperatur das Mittel aus dem Temperaturen dieser Adern ist. Die Quellen des Dornajito sind im Lande beruehmt; als ich dort war, kannte man auf dem Weg zum Gipfel des Vulkans keine andere. Quellenbildung setzt eine gewisse Regelmaessigkeit im Streichen und Fallen der Schichten voraus. Auf vulkanischem Boden verschluckt das loecherige, zerklueftete Gestein das Regenwasser und laesst es in grosse Tiefen versinken. Deshalb sind die Canarien groesstentheils so duerr, trotzdem dass ihre Berge so ansehnlich sind und der Schiffer fortwaehrend gewaltige Wolkenmassen ueber dem Archipel gelagert sieht. Vom Pino del Dornajito bis zum Krater zieht sich der Weg bergan, aber durch kein einziges Thal mehr; denn die kleinen Schluchten _(Barancos)_ verdienen diesen Namen nicht. Geologisch betrachtet, ist die ganze Insel Teneriffa nichts als ein Berg, dessen fast eifoermige Grundflaeche sich gegen Nordost verlaengert, und der mehrere Systeme vulkanischer, zu verschiedenen Zeiten gebildeter Gebirgsarten aufzuweisen hat. Was man im Lande fuer besondere Vulkane ansieht, wie der *Chahorra* oder *Montana Colorada* und die *Urca*, das sind nur Huegel, die sich an den Pic anlehnen und seine Pyramide maskiren. Der grosse Vulkan, dessen Seitenausbrueche maechtige Vorgebirge gebildet haben, liegt indessen nicht genau in der Mitte der Insel, und diese Eigenthuemlichkeit im Bau erscheint weniger auffallend, wenn man sich erinnert, dass nach der Ansicht eines ausgezeichneten Mineralogen (Cordier) vielleicht nicht der kleine Krater im Piton die Hauptrolle bei den Umwaelzungen der Insel Teneriffa gespielt hat. Auf die Region der baumartigen Heiden, *Monte Verde* genannt, folgt die der Farn. Nirgends in der gemaessigten Zone habe ich _Pteris_, _Blechnum_ und _Asplenium_ in solcher Menge gesehen; indessen hat keines dieser Gewaechse den Wuchs der Baumfarn, die in Suedamerika, in fuenf, sechshundert Toisen Hoehe, ein Hauptschmuck der Waelder sind. Die Wurzel der _Pteris aquilina_ dient den Bewohnern von Palma und Gomera zur Nahrung; sie zerreiben sie zu Pulver und mischen ein wenig Gerstenmehl darunter. Dieses Gemisch wird geroestet und heisst *Gofio*; ein so rohes Nahrungsmittel ist ein Beweis dafuer, wie elend das niedere Volk auf den Canarien lebt. Der Monte Verde wird von mehreren kleinen, sehr duerren Schluchten (_canadas_) durchzogen. Ueber der Region der Farn kommt man durch ein Gehoelz von Wachholderbaeumen (_cedro_) und Tannen, das durch die Stuerme sehr gelitten hat. An diesen Ort, den einige Reisende _la Caravela_ nenne, will Edens [Die Reise wurde im August 1715 gemacht. Carabela heisst ein Fahrzeug mit lateinischen Segeln. Die Tannen vom Pic dienten frueher als Mastholz und die koenigliche Marine liess im Monte Verde schlagen.] kleine Flammen gesehen haben, die er nach den physikalischen Begriffen seiner Zeit schwefligten Ausduenstungen zuschreibt, die sich von selbst entzuenden. Es ging immer aufwaerts bis zum Felsen *Gayta* oder *Portillo*; hinter diesem Engpass, zwischen zwei Basalthuegeln, betritt man die grosse Ebene des Ginsters (_los Llanos del Retama_). Bei Laperouses Expedition hatte Manneron den Pic bis zu dieser etwa 1400 Toisen ueber dem Meere gelegenen Ebene gemessen, er hatte aber wegen Wassermangels und des ueblen Willens der Fuehrer die Messung nicht bis zum Gipfel des Vulkans fortsetzen koennen. Das Ergebniss dieser zu zwei Drittheilen vollendeten Operation ist leider nicht nach Europa gelangt, und so ist das Geschaeft von der Kueste an noch einmal vorzunehmen. Wir brauchten gegen zwei und eine halbe Stunde, um ueber die Ebene des Ginsters zu kommen, die nichts ist als ein ungeheures Sandmeer. Trotz der hohen Lage zeigte hier der hunderttheilige Thermometer gegen Sonnenuntergang 13 deg.,8, das heisst 3 deg.,7 mehr als mitten am Tage auf dem Monte Verde. Dieser hoehere Waermegrad kann nur von der Strahlung des Bodnes und von der weiten Ausdehnung der Hochebene herruehren. Wir litten sehr vom erstickenden Bimsstaub, in den wir fortwaehrend gehuellt waren. Mitten in der Ebene stehen Buesche von *Retama*, dem _Spartium nubigenum_ d´Aitons. Dieser schoene Strauch, den de Martiniere [Einer der Botaniker, die auf Laperouses Seereise umkamen.] in Languedoc, wo Feuermaterial selten ist, einzufuehren raeth, wird neun Fuss hoch, er ist mit wohlriechenden Bluethen bedeckt, und die Ziegenjaeger, denen wir unterwegs begegneten, hatten ihre Strohhuete damit geschmueckt. Die dunkelbraunen Ziegen des Pics gelten fuer Leckerbissen; sie naehren sich von den Blaettern des Spartium und sind in diesen Einoeden seit unvordenklicher Zeit verwildert. Man hat sie sogar nach Madera verpflanzt, wo sie geschaetzter sind, als die Ziegen aus Europa. Bis zum Felsen Gayta, das heisst bis zum Anfang der grossen Ebene des Ginsters ist der Pic von Teneriffa mit schoenem Pflanzenwuchs ueberzogen, und nichts weist auf Verwuestungen in neuerer Zeit hin. Man meint einen Vulkan zu besteigen, dessen Feuer so lange erloschen ist, wie das des Monte Cavo bei Rom. Kaum hat man die mit Bimsstein bedeckte Ebene betreten, so nimmt die Landschaft einen ganz anderen Charakter an; bei jedem Schritt stoesst man auf ungeheure Obsidianbloecke, die der Vulkan ausgeworfen. Alles ringsum ist oed und still; ein paar Ziegen und Kaninchen sind die einzigen Bewohner dieser Hochebene. Das unfruchtbare Stueck des Pics misst ueber zehn Quadratmeilen, und da die unteren Regionen, von ferne gesehen, in Verkuerzung erscheinen, so stellt sich die ganze Insel als ein ungeheurer Haufen verbrannten Gesteins dar, um den sich die Vegetation nur wie ein schmaler Guertel zieht. Ueber der Region des _Spartium nubigenum_ kamen wir durch enge Schruende und kleine, sehr alte, vom Regenwasser ausgespuelte Schluchten zuerst auf ein hoeheres Plateau und dann an den Ort, wo wir die Nacht zubringen sollten. Dieser Platz, der mehr als 1530 Toisen [2982 m] ueber der Kueste liegt, heisst _Estancia de los Ingleses_(14), ohne Zweifel, weil frueher die Englaender den Pik am haeufigsten besuchten. Zwei ueberhaengende Felsen bilden eine Art Hoehle, die Schutz gegen den Wind bietet. Bis zu diesem Ort, der bereits hoeher liegt als der Gipfel des Canigu, kann man auf Maulthieren gelangen; viele Neugierige, die beim Abgang von Orotava den Kraterrand erreichen zu koennen glaubten, bleiben daher hier liegen. Obgleich es Sommer war und der schoene afrikanische Himmel ueber uns, hatten wir doch in der Nacht von der Kaelte zu leiden. Der Thermometer fiel auf 5 Grad. Unsere Fuehrer machten ein grosses Feuer von duerren Zweigen der Retama an. Ohne Zelt und Maentel lagerten wir uns auf Haufen verbrannten Gesteins, und die Flammen und der Rauch, die der Wind bestaendig gegen uns her trieb, wurden uns sehr laestig. Wir hatten noch nie eine Nacht in so bedeutender Hoehe zugebracht, und ich ahnte damals nicht, dass wir einst in Staedten wohnen wuerden, die hoeher liegen als die Spitze des Vulkans, den wir morgen vollends besteigen sollten. Je tiefer die Temperatur sank, desto mehr bedeckte sich der Pic mit dicken Wolken. Bei Nacht stockt der Zug des Stroms, der den Tag ueber den Ebenen in die hohen Luftregionen aufsteigt, und im Maasse als sich die Luft abkuehlt, nimmt auch ihre das Wasser aufloesende Kraft ab. Ein sehr starker Nordwird jagte die Wolken; von Zeit zu Zeit brach der Mond durch das Gewoelk und seine Scheibe glaenzte auf tief dunkelblauen Grunde; im Angesicht des Vulkans hatte diese naechtliche Scene etwas wahrhaft Grossartiges. Der Pic verschwand bald gaenzlich im Nebel, bald erschien er unheimlich nahe gerueckt und warf wie eine ungeheure Pyramode seinen Schatten auf die Wolken unter uns. Gegen drei Uhr morgens brachen wir beim trueben Schein einiger Kienfackeln nach der Spitze des Piton auf. Man beginnt die Besteigung an der Nordostseite, wo der Abhang ungemein steil ist, und wir gelangten nach zwei Stunden auf ein kleines Plateau, das seiner isolirten Lage wegen _Alta Vista_ heisst. Hier halten sich auch die _Neveros_ auf, das heisst die Eingeborenen, die gewerbsmaessig Eis und Schnee suchen und in den benachbarten Staedten verkaufen. Ihre Maulthiere, die das Klettern mehr gewoehnt sind, als die, welche man den Reisenden gibt, gehen bis zur Alta Vista und die Neveros muessen den Schnee dahin auf dem Ruecken tragen. Ueber diesem Punkte beginnt das *Malpays*, wie man in Mexiko, in Peru und ueberall, wo es Vulkane gibt, einen von Dammerde entbloessten und mit Lavabruchstuecken bedeckten Landstrich nennt. Wir bogen rechts von Wege am, um die *Eishoehle* zu besehen, die in 1728 Toisen [3367 m] Hoehe liegt, also unter der Grenze des ewigen Schnees in dieser Breite. Wahrscheinlich ruehrt die Kaelte, die in dieser Hoehle herrscht, von denselben Ursachen her, aus denen sich das Eis in den Gebirgsspalten des Jura und der Pyrenaeen erhaelt, und ueber welche die Ansichten der Physiker noch ziemlich auseinander gehen(15). Die natuerliche Eisgrube des Pics hat uebrigens nicht jene senkrechten Oeffnungen, durch welche die warme Luft entweichen kann, waehrend die kalte Luft am Boden ruhig liegen bleibt. Das Eis scheint sich hier durch starke Anhaeufung zu erhalten, und weil der Process des Schmelzens durch die bei rascher Verdunstung erzeugte Kaelte verlangsamt wird. Dieser kleine unterirdische Gletscher liegt an einem Ort, dessen mittlere Temperatur schwerlich unter 3 deg. betraegt, und er wird nicht, wie die eigentlichen Gletscher der Alpen, vom Schneewasser gespeist, das von den Berggipfeln herabkommt. Waehrend des Winters fuellt sich die Hoehle mit Schnee und Eis, und da die Sonnenstrahlen nicht ueber den Eingang hinaus eindringen, so ist die Sommerwaerme nicht im Stande, den Behaelter zu leeren. Die Bildung einer natuerlichen Eisgrube haengt also nicht sowohl von der absoluten Hoehe der Felsspalte und der mittleren Temperatur der Luftschicht, in der sie sich befindet, als von der Masse des Schnees, der hineinkommt, und von der geringen Wirkung der warmen Winde im Sommer. Die im Innern eines Berges eingeschlossene Luft ist schwer von der Stelle zu bringen, wie man am Monte Testaccio in Rom sieht, dessen Temperatur von der der umgebenden Luft so bedeutend abweicht. Wir werden in der Folge sehen, dass am Chimborazo ungeheure Eismassen unter dem Sand liegen, und zwar, wie auf dem Pic von Teneriffa, weit unter der Grenze des ewigen Schnees. Bei der Eishoehe _(Cueva del Hielo)_ stellten bei Laperouses Seereise Lamanon und Monges ihren Versuch ueber die Temperatur des siedenden Wassers an. Sie fanden dieselbe 88 deg.,7, waehrend der Barometer auf 19 Zoll 1 Linie stand. Im Koenigreich Neugranada, bei der Capelle Guadeloupe in der Naehe von Santa Fe de Bogota, sah ich das Wasser bei 89 deg.,9 unter einem Luftdruck von 19 Zoll 1,9 Linien sieden. Zu Tambores, in der Provinz Popayan, fand Caldas 89 deg.,5 fuer die Temperatur des siedenden Wassers bei einen Barometerstand von 18 Zoll 11,6 Linien. Nach diesen Ergebnissen koennte man vermuthen, dass bei Lamanons Versuch das Wasser das Maximum seiner Temperatur nicht ganz erreicht hatte. Der Tag brach an, als wir die Eishoehle verliessen. Da beobachteten wir in der Daemmerung eine Erscheinung, die auf hohen Bergen haeufig ist, die aber bei der Lage des Vulkanes, auf dem wir uns befanden, besonders auffallend hervortrat. Eine weisse flockige Wolkenschicht entzog das Meer und die niedrigeren Regionen der Insel unseren Blicken. Die Schicht schien nicht ueber 800 Toisen [1560 m] hoch; die Wolken waren so gleichmaessig verbreitet und lagen so genau in Einer Flaeche, dass sie sich ganz wie eine ungeheure mit Schnee bedeckte Ebene darstellten. Die colossale Pyramide des Piks, die vulkanischen Gipfel von Lanzerota, Forteventura und Palma ragten wie Klippen aus dem weiten Dunstmeer empor. Ihre dunkle Faerbung stach grell vom Weiss der Wolken ab. Waehrend wir auf den zertruemmerten Laven des Malpays emporklommen, wobei wir oft die Haende zu Huelfe nehmen mussten, beobachteten wir eine merkwuerdige optische Erscheinung. Wir glaubten gegen Ost kleine Raketen in die Luft steigen zu sehen. Leuchtende Punkte, 7 - 8 Grad ueber dem Horizont, schienen sich zuerst senkrecht aufwaerts zu bewegen, aber allmaehlich ging die Bewegung in eine waagrechte Oszillation ueber, die acht Minuten anhielt. Unsere Reisegefaehrten, sogar die Fuehrer aeusserten ihre Verwunderung ueber die Erscheinung, ohne dass wir sie darauf aufmerksam zu machen brauchten. Auf den ersten Blick glaubten wir, diese sich hin und her bewegenden Lichtpunkte seyen die Vorlaeufer eines neuen Ausbruchs des grossen Vulkanes von Lanzerota. Wir erinnerten uns, dass Bouquer und La Condamine bei der Besteigung des Vulkans Pichincha den Ausbruch des Cotopaxi mit angesehen hatten; aber die Taeuschung dauerte nicht lange, und wir sahen, dass die Lichtpunkte die durch die Duenste vergroesserten Bilder verschiedener Sterne waren. Die Bilder standen periodisch still, dann schienen sie senkrecht aufzusteigen, sich zur Seite abwaerts zu bewegen und wieder am Ausgangspunkt anzugelangen. Diese Bewegung dauerte eine bis zwei Secunden. Wir hatten keine Mittel zur Hand, um die Groesse der seitlichen Verrueckung genau zu messen, aber den Lauf eines Lichtpunktes konnten wir ganz gut beobachten. Er erschien doppelt durch Luftspiegelung und liess keine leuchtende Spur hinter sich. Als ich im Fernrohr eines kleinen Troughtonschen Sextanten die Sterne mit einen hohen Berggipfel auf Lanzerota in Contact brachte, konnte ich sehen, dass die Oscillation bestaendig gegen denselben Punkt hinging, naemlich gegen das Stueck des Horizontes, wo die Sonnenscheibe erscheinen sollte, und dass, abgesehen von der Declinationsbewegung des Sterns, das Bild immer an denselben Fleck zurueckkehrte. Diese scheinbaren seitlichen Refractionen hoerten auf, lange bevor die Sterne vor dem Tageslicht gaenzlich verschwanden. Ich habe hier genau wiedergegeben, was wir in der Daemmerung beobachteten, versuche aber keine Erklaerung der auffallenden Erscheinung, die ich schon vor zwoelf Jahren in Zachs astronomischem Tagebuch bekannt gemacht habe. Die Bewegung der Dunstblaeschen in Folge des Sonnenaufgangs, die Mischung verschiedener, in Temperatur und Dichtigkeit sehr von einander abweichenden Luftschichten haben ohne Zweifel zu der Verrueckung der Gestirne in horizontaler Richtung das ihrige beigetragen. Etwas Aehnliches sind wohl die starken Schwankungen der Sonnenscheibe, wenn eben den Horizont beruehrt; aber diese Schwankungen betragen selten mehr als zwanzig Secunden, waehrend die seitliche Bewegung der Sterne, wie wir sie auf dem Pic in mehr als 1800 Toisen Hoehe beobachteten, ganz gut mit blossem Auge zu bemerken, und auffallender war als alle Erscheinungen, die man bis jetzt als Wirkungen der Brechung des Sternlichts angesehen hat. Ich war bei Sonnenaufgang und die ganze Nacht in 2100 Toisen Hoehe auf dem Ruecken der Anden, in Antisana, konnte aber nichts gewahr werden, was mit jenem Phaenomen uebereingekommen waere. Ich wuenschte in so bedeutender Hoehe wie die, welche wir am Pic von Teneriffa erreicht hatten, den Moment des Sonnenaufganges genau zu beobachten. Kein mit Instrumenten versehener Reisender hatte noch eine solche Beobachtung angestellt. Ich hatte ein Fernrohr und ein Chronometer, dessen Gang mir sehr genau bekannt war. Der Himmelsstrich, wo die Sonnenscheibe erscheinen sollte, war dunstfrei. Wir sahen den obersten Rand um 4 Uhr 48' 55" wahrer Zeit, und, was ziemlich auffallend ist, der erste Lichtpunkt der Scheibe beruehrte unmittelbar die Grenze des Horizonts; wir sahen demnach den wahren Horizont, das heisst einen Strich Meers auf mehr als 43 Meilen Entfernung. Die Rechnung ergibt, dass unter dieser Breite in der Ebene die Sonne um 5 Uhr 1 Minute 50 Secunden, oder 11 Minuten 51,3 Secunden spaeter als auf dem Pic haette anfangen sonnen aufzugehen. Der beobachete Unterschied betrug 12 Minuten 55 Secunden, und diess kommt ohne Zweifel von der Ungewissheit hinsichtlich der Refractionsverhaeltnisse fuer einen Abstand vom Zenith, wofuer keine Beobachtungen vorliegen(16). Wir wunderten uns, wie ungemein langsam der untere Rand der Sonne sich vom Horizont zu loesen schien. Dieser Rand wurde erst um 4 Uhr 56 Min. 56 Sec. sichtbar. Die stark abgeplattete Sonnenscheibe war scharf begrenzt; es zeigte sich waehrend des Aufgangs weder ein doppeltes Bild noch eine Verlaengerung des untern Randes. Der Sonnenaufgang dauerte dreimal laenger, als wir in dieser Breite haetten erwarten sollen, und so ist anzunehmen, dass eine sehr gleichfoermig verbreitete Dunstschicht den wahren Horizont verdeckte und der aufsteigenden Sonne nachrueckte. Trotz des Schwankens der Sterne, das wir vorhin im Osten beobachtet, kann man die Langsamkeit des Sonnenaufgangs nicht wohl einer ungewoehnlich starken Brechung der vom Meereshorizont zu uns gelangenden Strahlen zuschrieben; denn, wie le Gentil es taeglich in Pondichery und ich oeffers in Cumana beobachet haben, erniedrigt sich der Horizont gerade bei Sonnenaufgang, weil die Temperatur der Luftschicht unmittelbar auf der Meeresflaeche sich erhoeht. Der Weg, den wir uns durch das Malpays bahnen mussten, ist aeusserst ermuedend. Der Abhang ist steil und die Lavabloecke wichen unter unseren Fuessen. Ich kann dieses Stueck des Weges nur mit den *Moraenen* der Alpen vergleichen, jenen Haufen von Rollsteinen, welche am untern Ende der Gletscher liegen; die Lavatruemmer auf dem Pic haben aber scharfe Kanten und lassen oft Luecken, in die man Gefahr laeuft bis zum halben Koerper zu fallen Leider trug die Faulheit und der ueble Wille unserer Fuehrer viel dazu bei, uns das Aufsteigen sauer zu machen; sie glichen weder den Fuehrern im Chamounithal noch jenen gewandten Guanchen, von denen die Sage geht, dass sie ein Kaninchen oder eine wilde Ziege im Laufe fingen. Unsere canarischen Fuehrer waren traeg zum Verzweifeln: sie hatten tags zuvor uns bereden wollen, nicht ueber die Station bei den Felsen hinaufzugehen; sie setzten sich alle zehn Minuten nieder, um auszuruhen; sie warfen hinter uns die Handstuecke Obsidian und Bimsstein, die wir sorgfaeltig gesammelt hatten, weg, und es kam heraus, dass noch keiner auf dem Gipfel des Vulkanes gewesen war. Nach dreistuendigem Marsch erreichten wir das Ende des Malpays bei einer kleinen Ebene, _la Rambleta_ genannt; aus ihrem Mittelpunkte steigt der Piton oder Zuckerhut empor. Gegen Orotava zu gleicht der Berg jenen Treppenpyramiden in Fejoum und in Mexiko, denn die Plateaus der Retama und die Rambleta bilden zwei Stockwerke, deren ersteres viermal hoeher ist als letzteres. Nimmt man die ganze Hoehe des Piks zu 1904 Toisen [3710 m] an, so liegt die Rambleta 1820 Toisen [3546 m] ueber dem Meere. Hier befinden sich die Luftloecher, welche bei den Eingeborenen *Nasenloecher des Piks* (_Narices des Pico_) heissen. Aus mehreren Spalten im Gestein dringen hier in Absaetzen warme Wasserduenste; wir sahen den Thermometer darin auf 43 deg.,2 steigen; Labillardiere hatte acht Jahre vor uns diese Daempfe 53 deg.,7 heiss gefunden, ein Unterschied, der vielleicht nicht sowohl auf eine Abnahme der vulkanischen Thaetigkeit als auf einen lokalen Wechsel in der Erhitzung der Bergwaende hindeutet. Die Daempfe sind geruchlos und scheinen reines Wasser. Kurz vor dem grossen Ausbruch des Vesuv im Jahr 1806 beobachteten Gay-Lussac und ich, dass das Wasser, das in Dampfform aus dem Innern des Kraters kommt, Lackmuspapier nicht roethete. Ich kann uebrigens der kuehnen Hypothese mehrerer Physiker nicht beistimmen, wornach die *Nasloecher des Pic* als die Muendungen eines ungeheuren Destillierapparates, dessen Boden unter der Meeresflaeche liegt, zu betrachten seyn sollen. Seit man die Vulkane sorgfaeltiger beobachetet und der Hang zum Wunderbaren sich in geologischen Buechern weniger bemerkbar macht, faengt man an den unmittelbaren bestaendigen Zusammenhang zwischen dem Meer und den Herden des vulkanischen Feuers mit Recht stark in Zweifel zu ziehen(17). Diese durchaus nicht auffallende Erscheinung erklaert sich wohl sehr einfach. Der Pic ist einen Theil des Jahres mit Schnee bedeckt; wir selbst fanden noch welchen auf der kleinen Ebene Rambleta; ja Odonell und Armstrong haben im Jahre 1806 im Malpays eine sehr starke Quelle entdeckt, und zwar hundert Toisen ueber der Eishoehle, die vielleicht zum Theil von dieser Quelle gespeist wird. Alles weist also darauf hin, dass der Pic von Teneriffa, gleich den Vulkanen der Anden und der Inzel Lucon, im Inneren grosse Hoehlungen hat, die mit atmosphaerischem Wasser gefuellt sind, das einfach durchgesickert ist. Die Wasserdaempfe, welche die Nasloecher und die Spalten im Krater ausstossen, sind nichts als dieses selbe Wasser, das durch die Waende, ueber die es fliesst, erhitzt wird. Wir hatten jetzt noch den steilsten Theil des Berges, der die Spitze bildet, den Piton, zu ersteigen. Der Abhang dieses kleinen, mit vulkanischer Asche und Bimssteinstuecken bedeckten Kegels ist so schroff, dass es fast unmoeglich waere, auf den Gipfel zu gelangen, wenn man nicht einem alten Lavastrom nachginge, der aus dem Krater geflossen scheint und dessen Truemmer dem Zahn der Zeit getrotzt haben. Diese Truemmer bilden eine verschlackte Felswand, die sich mitten durch die lose Asche hinzieht. Wir erstiegen den Piton, indem wir uns an diesen Schlacken anklammerten, die scharfe Kanten haben und, halb verwittert, wie sie sind, uns nicht selten in der Hand blieben. Wir brauchten gegen eine halbe Stunde, um einen Huegel zu ersteigen, dessen senkrechte Hoehe kaum 90 Toisen [175 m] betraegt. Der Vesuv, der dreimal niedriger ist als der Vulkan auf Teneriffa, laeuft in einen fast dreimal hoeheren Aschenkegel aus, der aber nicht so steil und zugaenglicher ist. Unter allen Vulkanen, die ich besucht, ist nur der Jorullo in Mexiko noch schwerer zu besteigen, weil der ganze Berg mit loser Asche bedeckt ist. Wenn der Zuckerhut mit Schnee bedeckt ist, wie bei Eintritt des Winters, so kann die Steilheit des Anhanges den Reisenden in die groesste Gefahr bringen. Le Gros zeigte uns die Stelle, wo Kapitaen Baudin auf seiner Reise nach Teneriffa beinahe ums Leben gekommen waere. Muthig hatte er gegen Ende Dezembers 1797 mit den Naturforschern Advenier, Mauger und Riedle die Besteigung des Gipfels des Vulkans unternommen. In der halben Hoehe des Kegels fiel er und rollte bis zur kleinen Ebene Rambleta hinunter; zum Glueck machte ein mit Schnee bedeckter Lavahaufen, dass er nicht noch weiter mit beschleunigter Geschwindigkeit hinabflog. Wie man mir versichert, ist ein Reisender, der den mit festem Rasen bedeckten Abhang des Col de Balme hinabgerollt war, erstickt gefunden worden. Auf der Spitze des Piton angelangt, wunderten wir uns nicht wenig, dass wir kaum Platz fanden, bequem niederzusitzen. Wir standen vor einer kleinen kreisfoermigen Mauer aus porphyrartiger Lava mit Pechsteinbasis; diese Mauer hinterte uns, in den Krater hinabzusehen. [La Caldera oder der Kessel des Pics. Der Name erinnert an die *Oules* der Pyrenaeen.] Der Wind blies so heftig aus West, dass wir uns kaum auf den Beinen halten konnten. Es war acht Uhr morgens und wir waren starr vor Kaelte, obgleich der Thermometer etwas ueber dem Gefrierpunkt stand. Seit lange waren wir an eine sehr hohe Temperatur gewoehnt, und der trockene Wind steigerte das Frostgefuehl, weil er die kleine Schicht warmer und feuchter Luft, welche sich durch die Hautausduenstung um uns her bildete, fortwaehrend wegfuehrte. Der Krater des Pic hat, was den Rand betrifft, mit den Kratern der meisten anderen Vulkane, die ich besucht, z. B. mit dem des Vesuvs, des Jorullo und Pipincha, keine Aehnlichkeit. Bei diesen behaelt der Piton seine Kegelgestalt bis zum Gipfel; der ganze Abhang ist im selben Winkel geneigt und gleichfoermig mit einer Schicht sehr fein zertheilten Bimssteins bedeckt; hat man die Spitze dieser drei Vulkane erreicht, so blickt man frei bis auf den Boden des Schlunds. Der Pic von Teneriffa und der Cotopaxi dagegen sind ganz anders gebaut; auf ihrer Spitze laeuft kreisfoermig ein Kamm oder eine Mauer um den Krater; von ferne stellt sich diese Mauer wie ein kleiner Cylinder auf einem abgestutzten Kegel dar. Beim Cotopaxi erkennt man dieses eigenthuemliche Bauwerk ueber 2000 Toisen weit mit blossem Auge, wesshalb auch noch kein Mensch bis zum Krater dieses Vulkans gekommen ist. Beim Pik von Tenerifa ist der Kamm, der wie eine Brustwehr um den Krater laeuft, so hoch, dass er gar nicht zur *Caldera* gelangen liesse, wenn sich nicht gegen Ost eine Luecke darin befaende, die von einem sehr alten Lavaerguss herzuruehren scheint. Durch diese Luecke stiegen wir auf den Boden des Trichters hinab, der elliptisch ist; die grosse Achse laeuft von Nordwest nach Suedost, etwa Nord 35 deg. Ost. Die groesste Breite der Oeffnung schaetzten wir auf 300 Fuss [97 m], die kleinste auf 200 Fuss [65 m]. Diese Angaben stimmen ziemlich mit den Messungen von Berguin, Verela und Borda; nach diesen Reisenden messen die zwei Axen 40 und 30 Toisen. [Cordier, der den Gipfel des Pics vier Jahre nach mir besucht hat, schaetzt die grosse Axe auf 65 Toisen. Lamanon gibt dafuer 50 T. an, Odonnell aber gibt dem Krater 550 Baras (236 Toisen) Umfang.] Man sieht leicht ein, dass die Groesse eines Kraters nicht allein von der Hoehe und der Masse des Berges abhaengt, dessen Hauptoeffnung er bildet. Seine Weite steht sogar selten im Verhaeltniss mit der Intensitaet des vulkanischen Feuers oder der Thaetigkeit des Vulkans. Beim Vesuv, der gegen den Pik von Teneriffa nur ein Huegel ist, hat der Krater einen fuenfmal groesseren Durchmesser. Bedenkt man, dass sehr hohe Vulkane aus ihrem Gipfel weniger Stoffe auswerfen als aus Seitenspalten, so koennte man versucht seyn anzunehmen, dass, je niedriger die Vulkane sind, ihre Krater, bei gleicher Kraft und Thaetigkeit, desto groesser seyn muessten. Allerdings gibt es ungeheure Vulkane in den Anden, die nur sehr kleine Oeffnungen haben, und man koennte es als ein geologisches Gesetz hinstellen, dass die colossalsten Berge auf ihren Gipfeln nur Krater von geringem Umfang haben, wenn sich nicht in den Cordilleren mehrere Beispiele [Die grossen Vulkane Cotopaxi und Rucupichincha haben nach meinen Messungen Krater mit Diametern von mehr als 500 und 700 Toisen.] des gegentheiligen Verhaltens faenden. Ich werde im Verfolg Gelegenheit finden, zahlreiche Thatsachen anzufuehren, welche einst auf das, was man den aeussern Bau der Vulkane nennen kann, einiges Licht werfen koennten. Dieser Bau ist so mannigfaltig als die vulkanischen Erscheinungen selbst, und will man sich zu geologischen Vorstellungen erheben, die der Groesse der Natur wuerdig sind, so muss man die Meinung aufgeben, als ob alle Vulkane nach dem Muster des Vesuv, des Stromboli und des Aetna gebaut waeren. Die aeusseren Raender der *Caldera* sind beinahe senkrecht; sie stellen sich ungefaehr dar wie die Somma, vom Atrio dei Cavalli aus gesehen. Wir stiegen auf den Boden des Kraters auf einen Streif zerbrochener Laven, der zu der Luecke in der Umfassungsmauer hinauflaeuft. Hitze war nur ueber einigen Spalten zu spueren, aus denen Wasserdampf mit einem eigenthuemlichen Sumsen stroemte. Einige dieser Luftloecher oder Spalten befinden sich aeusserhalb des Kraterumfanges, am aeusseren Rand der Bruestung, welche den Krater umgibt. Ein in dieselben gebrachter Thermometer stieg rasch auf 68 und 75 Grad. Er zeigte ohne Zweifel eine noch hoehere Temperatur an; aber wir konnten das Instrument erst ansehen, nachdem wir es herausgezogen, wollten wir uns nicht die Haende verbrennen. Cordier hat mehrere Spalten gefunden, in denen die Hitze der des siedenden Wassers gleich war. Man koennte glauben, diese Daempfe, die stossweise hervorkommen, enthalten Salzsaeure oder Schwefelsaeure; laesst man sie aber an einem kalten Koerper sich verdichten, zeigen sie keinen besondern Geschmack, und die Versuche mehrerer Physiker mit Reagentien beweisen, dass die Fumarolen des Pic nur reines Wasser aushauchen; diese Erscheinung, die mit meinen Beobachtungen im Krater des Jorullo uebereinstimmt, verdient desto mehr Aufmerksamkeit, als Salzsaeure in den meisten Vulkanen in grosser Menge vorkommt und Bauquelin sogar in den porphyraehnlichen Laven von Sarcouy in der Auvergne Salzsaeure gefunden hat. Ich habe an Ort und Stelle die Ansicht des inneren Kraterrandes gezeichnet, wie er sich darstellt, wenn man durch die gegen Ort gelegene Luecke hinabsteigt. Nichts merkwuerdiger als diese Aufeinanderlagerung von Lavaschichten, die Kruemmungen zeigen, wie der Alpenkalkstein. Diese ungeheuren Baenke sind bald wagrecht, bald geneigt und wellenfoermig gewunden, und Alles weist darauf hin, dass einst die ganze Masse fluessig war, und dass mehrere stoerende Ursachen zusammenwirkten, um jedem Strom seine bestimmte Richtung zu geben. An der obenumlaufenden Mauer sieht man das seltsame Astwerk, wie man es an der entschwefelten Steinkohle beobachtet. Der noerdliche Rand ist der hoechste; gegen Suedwest erniedrigt sich die Mauer bedeutend und am aeussersten Rand ist eine ungeheure verschlackte Lavamasse angebacken. Gegen West ist das Gestein durchbrochen, und durch eine weite Spalte sieht man den Meereshorizont. Vielleicht hat die Gewalt der elastischen Daempfe im Moment, wo die im Krater aufgestiegene Lava ueberquoll, hier durchgerissen. Das Innere des Trichters weist darauf hin, dass der Vulkan seit Jahrtausenden nur noch aus seinen Seiten Feuer gespieen hat. Diese Behauptung gruendet sich nicht darauf, weil sich am Boden der Caldera keine grossen Oeffnungen zeigen, wie man erwarten koennte. Die Physiker, die die Natur selbst beobachtet haben, wissen, dass viele Vulkane in der Zwischenzeit zweier Ausbrueche ausgefuellt und fast erloschen scheinen, dass sich dann aber im vulkanischen Schlund Schichten sehr rauher, klingender und glaenzender Schlacken finden. Man bemerkt kleine Erhoehungen, Auftreibungen durch die elastischen Daempfe, kleine Schlacken- und Aschenkegel, unter denen die Oeffnungen liegen. Der Krater des Pic von Teneriffa zeigt keiens dieser Merkmale; sein Boden ist nicht im Zustand geblieben, wie ein Ausbruch ihn zuruecklaesst. Durch den Zahn der Zeit und den Einfluss der Daempfe sind die Waende abgebroeckelt und haben das Becken mit grossen Bloecken steinigter Lava bedeckt. Man gelangt gefahrlos auf den Boden des Kraters. Bei einem Vulkan, dessen Hauptthaetigkeit dem Gipfel zu geht, wie beim Vesuv, wechselt die Tiefe des Kraters vor und nach jedem Ausbruch; auf dem Pic von Teneriffa dagegen scheint die Tiefe seit langer Zeit sich gleichgeblieben zu seyn. Edens schaetzte sie im Jahre 1715 auf 115 Fuss [37 m], Cordier im J. 1803 auf 110 [35,5 m]. Nach dem Augenmaass haette ich geglaubt, dass der Trichter nicht einmal so tief waere. In seinem jetzigen Zustand ist er eigentlich eine Solfatara; er ist ein weites Feld fuer interessante Beobachtungen, aber imposant ist sein Anblick nicht. Grossartig wird der Punkt nur durch die Hoehe ueber dem Meeresspiegel, durch die tiefe Stille in dieser Region, durch den unermesslichen Erdraum, den das Auge auf der Spitze des Berges ueberblickt. Die Besteigung des Vulkans von Teneriffa ist nicht nur dadurch anziehend, dass sie uns so reichen Stoff fuer wissenschaftliche Forschung liefert; sie ist es noch weit mehr dadurch, dass sie den, der Sinn hat fuer die Groesse der Natur, eine Fuelle malerischer Reize bietet. Solche Empfindungen zu schildern, ist eine schwere Aufgabe; sie regen uns desto tiefer auf, da sie etwas Unbestimmtes haben, wie es die Unermesslichkeit des Raums und die Groesse, Neuheit und Mannigfaltigkeit der uns umgebenden Gegenstaende mit sich bringen. Wenn ein Reisender die hohen Berggipfel unseres Erdballs, die Cataracten der grossen Stroeme, die gewundenen Thaeler der Anden zu beschreiben hat, so laeuft er Gefahr den Leser durch den eintoenigen Ausdruck seiner Bewunderung zu ermueden. Es scheint mir den Zwecken, die ich bei dieser Reisebeschreibung im Auge habe, angemessener, den eigenthuemlichen Charakter zu schildern, der jeden Landstrich auszeichnet. Man lehrt die Physiognomie einer Landschaft deste besser kennen, je genauer man die einzelnen Zuege auffasst, sie unter einander vergleicht und so auf dem Wege der Analysis den Quellen der Genuesse nachgeht, die uns das grosse Naturgemaelde bietet. Die Reisenden wissen aus Erfahrung, dass man auf der Spitze hoher Berge selten eine so schoene Aussicht hat und so mannigfaltige malerische Effekte beobachtet als auf den Gipfeln von der Hoehe des Vesuvs, des Rigi, des Puy de Dome. Colossale Berge wie der Chimborazo, der Antisana oder der Montblanc haben eine so grosse Masse, dass man die mit reichem Pflanzenwuchs bedeckten Ebenen nur in grosser Entfernung sieht und ein blaeulicher Duft gleichfoermig auf der ganzen Landschaft liegt. Durch seine schlanke Gestalt und seine eigenthuemliche Lage vereinigt nun der Pic von Teneriffa die Vortheile niedrigerer Gipfel mit denen, wie sehr bedeutende Hoehen sie bieten. Man ueberblickt auf seiner Spitze nicht allein einen ungeheuren Meereshorizont, der ueber die hoechsten Berge der benachbarten Inseln hinaufreicht, man sieht auch die Waelder von Teneriffa und die bewohnten Kuestenstriche so nahe, dass noch Umrisse und Farben in den schoensten Contrasten hervortreten. Es ist als ob der Vulkan die kleine Insel, die ihm zur Grundlage dient, erdrueckte; er steigt aus dem Schoosse des Meeres dreimal hoeher auf, als die Wolken im Sommer ziehen. Wenn sein seit Jahrhunderten halb erloschener Krater Feuergarben auswuerfe wie der Stromboli der aeolischen Inseln, so wuerde der Pik von Tenerifa dem Schiffer in einem Umkreis von mehr als 260 Meilen als Leuchtthurm dienen. Wir lagerten uns am aeussern Rande des Kraters und blickten zuerst nach Nordwest, wo die Kuesten mit Doerfern und Weilern geschmueckt sind. Vom Winde fortwaehrend hin und her getriebene Dunstmassen zu unser Fuessen boten uns das mannigfaltigste Schauspiel. Eine ebene Wolkenschicht zwischen uns den tiefen Regionen der Insel, dieselbe, von der oben die Rede war, war da und dort durch die kleinen Luftstroeme durchbrochen, welche nachgerade die von der Sonne erwaermte Erdoberflaeche zu uns heraufsandte. Der Hafen von Orotava, die darin ankernden Schiffe, die Gaerten und Weinberge um die Stadt wurden durch eine Oeffnung sichtbar, welche jeden Augenblick groesser zu werden schien. Aus diesen einsamen Regionen blickten wir nieder in eine bewohnte Welt; wir ergoetzten uns am lebhaften Contrast zwischen den duerren Flanken des Pics, seinen mit Schlacken bedeckten steilen Abhaengen, seinen pflanzenlosen Plateaus, und dem lachtenden Anblick des bebauten Landes; wir sahen, wie sich die Gewaechse nach der mit der Hoehe abnehmenden Temperatur in Zonen vertheilen. Unter dem Piton beginnen Flechten die verschlackten, glaenzenden Laven zu ueberziehen; ein Veilchen [_Viola cheiranthifolia_], das der _Viola decumbens_ nahe steht, geht am Abhang des Vulkans bis zu 1740 Toisen [3390 m] Hoehe, hoeher nicht allein als die andern krautartigen Gewaechse, sondern sogar hoeher als die Graeser, welche in den Alpen und auf dem Ruecken der Kordilleren unmittelbar an die Gewaechse aus der Familie der Kryptogamen stossen. Mit Bluethen bedechte Retamabuesche schmuecken die kleinen, von den Regenstroemen eingerissenen und durch die Seitenausbrueche verstopften Thaeler; unter der Retama folgt die Region der Farn und auf diese die der baumartigen Heiden. Waelder von Lorbeeren, Rhamnus und Erdbeerbaeumen liegen zwischen den Heidekraeutern und den mit Reben und Obstbaeumen bepflanzten Gelaenden. Ein reicher gruener Teppich breitet sich von der Ebene der Ginster und der Zone der Alpenkraeuter bis zu den Gruppen von Dattelpalmen und Musen, deren Fuss das Weltmeer zu bespuelen scheint. Ich deute hier nur die Hauptzuege dieser Pflanzenkarte an; im Folgenden gebe ich einiges Naehere ueber die Pflanzengeographie der Insel Teneriffa. Dass auf der Spitze des Pics die Doerfchen, Weinberge und Gaerten an der Kueste einem so nahe gerueckt scheinen, dazu traegt die erstaunliche Durchsichtigkeit der Luft viel bei. Trotz der bedeutenden Entfernung erkannten wir nicht nur die Haeuser, die Baumstaemme, das Takelwerk der Schiffe, wir sahen auch die reiche Pflanzenwelt der Ebenen in den lebhaftesten Farben glaenzen. Diese Erscheinung ist nicht allein dem hohen Standpunkt zuzuschreiben, sie deutet auf eine eigenthuemliche Beschaffenheit der Luft in den heissen Laendern. Unter allen Zonen erscheint ein Gegenstand, der sich auf dem Meeresspiegel befindet und von dem die Lichtstrahlen in wagrechter Richtung ausgehen, weniger lichtstark, als wenn man ihn vom Gipfel eines Berges sieht, wohin die Wasserdaempfe durch Luftschichten von abnehmender Dichtigkeit gelangen. Gleich auffallende Unterschiede werden vom Einfluss der Klimate bedingt; der Spiegel eines Sees oder eines breiten Flusses glaenzt bei gleicher Entfernung weniger, wenn man ihn vom Kamme der Schweizer Hochalpen, als wenn man ihn vom Gipfel der Cordilleren von Peru oder Mexico sieht. Je reiner und heiterer die Luft ist, desto vollstaendiger wird das Licht bei seinem Durchgang geschwaecht. Wenn man von der Suedsee her auf die Hochebene von Quito oder Antisana kommt, so wundert man sich in den ersten Tagen, wie nahe gerueckt Gegenstaende erscheinen, die sieben, acht Meilen entfernt sind. Der Pic von Teyde geniesst nur zwar nicht des Vortheils, unter den Tropen zu liegen, aber die Trockenheit der Luftsaeulen, welche fortwaehrend ueber den benachbarten afrikanischen Ebenen aufsteigen und die die Westwinde rasch herbeifuehren, verleiht der Luft der canarischen Inseln eine Durchsichtigkeit, hinter der nicht nur die Luft Neapels und Siziliens, sondern vielleicht sogar der klare Himmel Perus und Quitos zurueckstehen. Auf dieser Durchsichtigkeit beruht vornehmlich die Pracht der Landschaften unter den Tropen; sie hebt den Glanz der Farben der Gewaechse und steigert die magische Wirkung ihrer Harmonien und ihrer Contraste. Wenn eine grosse, um die Gegenstaende verbreitete Lichtmasse in gewissen Stunden des Tages die aeussern Sinne ermuedet, so wird der Bewohner suedlicher Klimate durch moralische Genuesse dafuer entschaedigt. Schwung und Klarheit der Gedanken, innerliche Heiterkeit entsprechen der Durchsichtigkeit der umgebenden Luft. Man erhaelt diese Eindruecke, ohne die Grenzen von Europa zu ueberschreiten; ich berufe mich auf die Reisenden, welche jene durch die Wunder des Gedankens und der Kusnt verherrlichten Laender gesehen haben, die gluecklichen Himmelsstriche Griechenlands und Italiens. Umsonst verlaengerten wir unseren Aufenthalt auf dem Gipfel des Pics, des Moments harrend, wo wir den ganzen Archipel der glueckseligen Inseln(18) wuerden uebersehen koennen. Wir sahen zu unseren Fuessen Palma, Gomera und die Grosse Canaria. Die Berge von Lanzerota, die bei Sonnenaufgang dunstfrei gewesen waren, huellten sich bald wieder in dichte Wolken. Nur die gewoehnliche Refraction vorausgesetzt, uebersieht das Auge bei hellen Wetter vom Gipfel des Vulkans ein Stueck Erdoberflaeche von 5700 Quadratmeilen [115000 qkm], also so viel als ein Viertheil der Oberflaeche Spaniens. Oft ist die Frage aufgeworfen worden, ob man von dieser ungeheurn Pyramide die afrikanische Kueste sehen koenne. Aber die naechsten Striche dieser Kueste sind 2 Grad 49 Minuten im Bogen, oder 56 Meilen [252 km] entfernt; da nun der Gesichtshalbmesser des Horizonts des Pics 1 Grad 47 Minuten betraegt, so kann Cap Bojador nur sichtbar werden, wenn man ihm 200 Toisen Meereshoehe gibt. Wiir wissen gar nicht, wie hoch die Schwarzen Berge bei Cap Bojador sind, sowie der Pic suedlich von diesem Vorgebirge, den die Seefahrer Penon grade nennen. Waere der Gipfel des Vulkans von Teneriffa zugaenglicher, so liessen sich dort ohne Zweifel bei gewissen Windrichtungen die Wirkungen ungewoehnlicher Refraction beobachten. Liest man die Berichte spanischer und portugiesischer Schriftsteller ueber die Existenz der fabelhaften Insel San Borondon oder Antilia, so sieht man, dass in diesen Strichen vorzueglich der feuchte West-Sued-Westwind Luftspiegelungen zur Folge hat;(19) indessen wollen wir nicht mit Viera glauben, "dass durch das Spiel der irdischen Refraction die Inseln des gruenen Vorgebirges, ja sogar die Apalachen in Amerika den Bewohnern der Canarien sichtbar werden koennen." Die Kaelte, die wir auf dem Gipfel des Pics empfanden, war fuer die Jahreszeit sehr bedeutend. Der hunderttheilige Thermometer(20) zeigte entfernt vom Boden und von den Fumarolen, die heisse Daempfe ausstossen, im Schatten 2 deg.,7. Der Wind war West, also dem entgegengesetzt, der einen grossen Teil des Jahres Teneriffa die heisse Luft zufuehrt, die ueber den gluehenden Wuesten Afrikas aufsteigt. Da die Temperatur im Hafen von Orotava, nach Herrn Savagis Beobachtung, 22 deg.,8 war, so nahm die Waerme auf 94 Toisen Hoehe um einen Grad ab. Dieses Ergebniss stimmt vollkommen mit dem ueberein, was Lamanon und Saussure auf den Spitzen des Pics und des Aetna, obwohl in sehr verschiedenen Jahreszeiten, beobachtet haben. [Lamanons Beobachtung ergiebt einen Grad auf 99 Toisen, obgleich die Temperatur des Pics um 9 deg. von der von uns beobachteten abwich. Am Aetna fand Saussure die Abnahme gleich 91 Toisen.] Die schlanke Gestalt dieser Berge bietet den Vortheil, dass man die Temperatur zweier Luftschichten fast senkrecht ueber einander beobachten kann, und in dieser Beziehung gleichen die Beobachtungen, die man bei der Besteigung des Vulkans von Teneriffa macht, denen, die man bei einer Auffahrt im Luftballon machen kann. Es ist indessen zu bemerken, dass die See wegen ihrer Durchsichtigkeit und wegen der Verdunstung weniger Waerme den hohen Luftschichten zusendet als die Ebenen; daher ist es auf vom Meer umgebenen Berggipfeln im Sommer kaelter als auf Bergen mitten im Lande; dieses Moment hat aber nur geringen Einfluss auf die Abnahme der Luftwaerme, da die Temperatur der tiefen Regionen in der Naehe des Meeres gleichfalls eine niedrigere ist. Anders verhaelt es sich mit dem Einflusse der Windrichtung und der Geschwindigkeit des aufsteigenden Stroms; letzterer erhoeht nicht selten die Temperatur der hoechsten Berge in erstaunlichem Grade. Am Abhang des Antisana im Koenigreich Quito sah ich in 2837 Toisen Hoehe den Thermometer auf 19 deg. stehen; Labillardiere beobachtete am Kraterrand des Pic von Teneriffa 18 deg.,7, wobei er alle erdenkliche Vorsicht gebraucht hatte, um den Einfluss zufaelliger Ursachen auszuschliessen. Da die Temperatur der Rhede von Santa Cruz zur selben Zeit 28 deg. war, so betrug der Unterschied zwischen der Luft an der Kueste und der auf dem Pic 9 deg.,3 statt 20 deg., die einer Waermeabnahme von einem Grad auf 94 Toisen entsprechen. Ich finde im Schiffstagebuch von l´Entrecasteaux´s Expedition, dass damals in Santa Cruz der Wind Sued-Sued-Ost war. Vielleicht wehte derselbe Wind staerker in den hohen Luftregionen; vielleicht trieb er in schiefer Richtung die warme Luft vom nahen Festlande der Spitze des Piton zu. Labillardieres Besteigung fand zudem am 17. Oktober 1791 statt, und in den Schweizer Alpen hat man die Beobachtung gemacht, dass der Temperaturunterschied zwischen Berg und Tiefland im Herbst geringer ist als im Sommer. Alle diese Schwankungen im Mass der Temperaturabnahme haben auf die Messungen mittelst des Barometers nur insofern Einfluss, als die Abnahme in den dazwischenliegenden Schichten nicht gleichfoermig ist, und von der arithmetischen gleichmaessigen Progression, wie die angewandten Formeln sie annehmen, abweicht. Wir wurden auf dem Gipfel des Pics nicht muede, die Farbe des blauen Himmelsgewoelbes zu bewundern. Ihre Intensitaet im Zenith schien uns gleich 41 deg. des Cyanometers. Man weiss nach Saussures Versuchen, dass diese Intensitaet mit der Verduennung der Luft zunimmt, und dass dasselbe Instrument zu selben Zeit bei der Priorei von Chamouni 39 deg. und auf der Spitze des Montblanc 40 deg. zeigte. Dieser Berg ist um 540 Toisen hoeher als der Vulkan von Teneriffa, und wenn trotz diesem Unterschied auf ersterem das Himmelsblau nicht so dunkel ist, so ruehrt dies wohl von der Trockenheit der afrikanischen Luft und der Naehe der heissen Zone her. Wir fingen am Kraterrand Luft auf, um sie auf der Fahrt nach Amerika chemisch zu zerlegen. Die Flasche war so gut verschlossen, dass, als wir sie nach zehn Tagen oeffneten, das Wasser mit Gewalt hineindrang. Nach mehreren Versuchen mit Salpetergas in der engen Roehre des Fontanaschen Eudiometers enthielt die Luft im Krater neun Hunderttheile weniger Sauerstoff als die Seeluft; ich gebe aber wenig auf dieses Resultat, da die Methode jetzt fuer ziemlich unzuverlaessig gilt. Der Krater des Pics hat so wenig Tiefe und die Luft darin erneuert sich so leicht, dass schwerlich mehr Stickstoff darin ist als an der Kueste. Wir wissen ueberdem aus Gay-Lussacs und Theodor Saussures Versuchen, dass die Luft in den hoechsten Luftregionen wie in den tiefsten 0,21 Sauerstoff enthaelt.(21) Wir sahen auf dem Gipfel des Pics keine Spur von Psora, Lecidium oder andern Crytogamen, kein Insekt flatterte in der Luft. Indessen findet man hie und da ein hautfluegligtes Insekt an den Schwefelmassen angeklebt, die von schwefligter Saeure feucht sind und die Oeffnungen der Fumarolen auskleiden. Es sind Bienen, die wahrscheinlich die Bluethen des _Spartium nubigenum_ aufgesucht hatten und vom Winde schief aufwaerts in diese Hoehe getrieben worden waren, wie die Schmetterlinge, welche Ramond auf dem Gipfel des Mont-Perdu gefunden. Die letzteren gehen durch die Kaelte zu Grunde, waehrend die Bienen auf dem Pic geroestet werden, wenn sie unvorsichtig den Spalten, an denen sie sich waermen wollen, zu nahe kommen. Trotz dieser Waerme, die man am Rande des Kraters unter den Fuessen spuert, ist der Aschenkegel im Winter mehrere Monate mit Schnee bedeckt. Wahrscheinlich bilden sich unter der Schneehaube grosse Hoehlungen, aehnlich denen unter den Gletschern in der Schweiz, die bestaendig eine niedrigere Temperatur haben als der Boden, auf dem sie ruhen. Der heftige kalte Wind, der seit Sonnenaufgang blies, zwang uns, am Fusse des Piton Schutz zu suchen. Haende und Gesicht waren uns erstarrt, waehrend unsere Stiefel auf dem Boden, auf den wir den Fuss setzten, verbrannten. In wenigen Minuten waren wir am Fuss des Zuckerhuts, den wir so muehsam erklommen, und diese Geschwindigkeit war zum Theil unwillkuerlich, da man haeufig in der Asche hinunterrutscht. Ungern schieden wir von dem einsamen Ort, wo sich die Natur in ihrer ganzen Grossartigkeit vor uns aufthut; wir hofften die canarischen Inseln noch einmal besuchen zu koennen, aber aus dem Plan wurde nichts, wie aus so vielen, die wir damals entwarfen. Wir gingen langsam durch das Malpays; auf losen Lavabloecken tritt man nicht sicher auf. Der Station bei den Felsen zu wird der Weg abwaerts aeusserst beschwerlich; der dichte kurze Rasen ist so glatt, dass man sich bestaendig nach hinten ueberbeugen muss, um nicht zu stuerzen. Auf der sandigen Ebene der Retama zeigte der Thermometer 22 deg.,5, und diess schien uns nach dem Frost, der uns auf dem Gipfel geschuettelt, eine erstickende Hitze. Wir hatten gar kein Wasser; die Fuehrer hatten nicht allein den kleinen Vorrath Malvasier, den wir der freundlichen Vorsage Cologans verdankten, heimlich getrunken, sondern sogar die Wassergefaesse zerbrochen. Zum Glueck war die Flasche mit der Kraterluft unversehrt geblieben. In der schoenen Region der Farn und der baumartigen Heiden genossen wir endlich einiger Kuehlung. Eine dicke Wolkenschicht huellte uns ein; sie hielt sich in 600 Toisen Hoehe ueber der Niederung. Waehrend wir durch diese Schicht kamen, hatten wir Gelegenheit, eine Erscheinung zu beobachten, die uns spaeter am Abhang der Cordilleren oefters vorgekommen ist. Kleine Luftstroeme trieben Wolkenstreifen mit verschiedener Geschwindigkeit nach entgegengesetzten Richtungen. Diess nahm sich aus, als ob in einer grossen stehenden Wassermasse kleine Wasserstroeme sich rasch nach allen Seiten bewegten. Diese theilweise Bewegung der Wolken ruehrt wahrscheinlich von sehr verschiedenen Ursachen her, und man kann sich denken, dass der Anstoss dazu sehr weit her kommen mag. Man kann den Grund in den kleinen Unebenheiten des Bodens suchen, die mehr oder weniger Waerme strahlen, in einem auf irgend einem chemischen Process beruhenden Temperaturunterschied, oder endlich in einer starken elektrischen Ladung der Dunstblaeschen. In der Naehe der Stadt Orotava trafen wir grosse Schwaerme von Canarienvoegeln [_Fringilla Canaria_. La Caille erzaehlt in seiner Reisebeschreibung nach dem Cap, auf der Insel Salvage faenden sich diese Voegel in so ungeheurer Menge, dass man in einer gewissen Jahreszeit nicht umhergehen koenne, ohne Eier zu zertreten.] Diese in Europa so wohl bekannten Voegel waren ziemlich gleichfoermig gruen, einige auf dem Ruecken gelblich; ihr Schlag glich dem der zahmen Canarienvoegel, man bemerkt indessen, dass die, welche auf der Insel Gran Canaria und auf dem kleinen Eiland Monte Clara bei Lanzerota gefanden werden, einen staerkeren und zugleich harmonischeren Schlag haben. In allen Himmelsstrichen hat jeder Schwarm derselben Vogelart seine eigene Sprache. Die gelben Canarienvoegel sind eine Spielart, die in Europa entstanden ist, und die, welche wir zu Orotava und Santa Cruz de Teneriffa in Kaefigen sahen, waren in Cadix und anderen spanischen Haefen gekauft. Aber der Vogel der canarischen Inseln, der von allen den schoensten Gesang hat, ist in Europa unbekannt, der Capirote, der so sehr die Freiheit liebt, dass er sich niemals zaehmen liess. Ich bewunderte seinen weichen, melodischen Schlag in einem Garten bei Orotava, konnte ihn aber nicht nahe genug zu Gesicht bekommen, um zu bestimmen, welcher Gattung sie angehoert. Was die Papageien betrifft, die man beim Aufenthalt des Kapitaen Cook auf Teneriffa gesehen haben will, so existiren sie nur in Reiseberichten, die einander abschreiben. Es gibt auf den Canarien wieder Papageien noch Affen, und obgleich erstere in der neuen Welt bis Nordcarolina wandern, so glaube ich doch kaum, dass in der alten ueber dem 28sten Grad noerdlicher Breite welche vorkommen. Wir kamen, als der Tag sich neigte, im Hafen von Orotava an und erhielten daselbst die unerwartete Nachricht, dass der Pizarro erst in der Nach vom 24. zum 25. unter Segel gehen werde. Haetten wir auf diesen Aufschub rechnen koennen, so waeren wir entweder laenger auf dem Pic geblieben(22) oder haetten einen Ausflug nach dem Vulkan Chahorra gemacht. Den folgenden Tag durchstreiften wir die Umgegend von Orotava. Da fuehlten wir recht, dass der Aufenthalt auf Teneriffa nicht bloss fuer den Naturforscher von Interesse ist; man findet in Orotava Liebhaber von Literatur und Musik, welche den Reiz europaeischer Gesellschaft in diese fernen Himmelsstriche verpflanzt haben. In dieser Beziehung haben die canarischen Inseln mit den uebrigen spanischen Kolonien, Havanna ausgenommen, wenig gemein. Am Vorabend des Johannistages wohnten wir einem laendlichen Feste in Herrn Littles Garten bei. Dieser Handelsmann, der den Canarien bei der letzten Getreidetheuerung bedeutende Dienste erwiesen, hat einen mit vulkanischen Truemmern bedeckten Huegel angepflanzt und an diesem koestlichen Punkt einen englischen Garten angelegt, wo man eine herrliche Aussicht auf die Pyramide des Pics, auf die Doerfer an der Kueste und die Insel Palme hat, welche die weite Meeresflaeche begrenzt. Ich kann diese Aussicht nur mit der in den Golfen von Neapel und Genua vergleichen, aber hinsichtlich der Grossartigkeit der Massen und der Fuelle des Pflanzenwuchses steht Orotave ueber beiden. Bei Einbruch der Nacht bot uns der Abhang des Vulkans auf einmal ein eigenthuemliches Schauspiel. Nach einem Brauch, den ohne Zweifel die Spanier eingefuehrt hatten, obgleich er an sich uralt ist, hatten die Hirten die Johannisfeuer angezuendet. Die zerstreuten Lichtmassen, die vom Winde gejagten Rauchsaeulen hoben sich an den Seiten des Pics vom Dunkelgruen der Waelder ab. Freudengeschrei drang aus der Ferne zu uns herueber, und schien der einzige Laut, der die Stille der Natur an jenen einsamen Orten unterbrach. Die Familie Cologan besitzt ein Landhaus naeher an der Kueste als das eben beschriebene. Der Name, den ihm der Eigenthuemer gegeben, bezeichnet den Eindruck, den dieser Landsitz macht. Das Haus *la Paz* hatte zudem noch besonderes Interesse fuer uns. Borda, dessen Tod wir bedauerten, hatte hier bei seiner letzten Reise nach den Canarien gewohnt. Auf einer kleinen Ebene in der Naehe hat er die Standlinie zur Messung der Hoehe des Pics abgesteckt. Bei dieser trigonometrischen Messung diente der grosse Drachenbaum von Orotava als Signal. Wollte einmal ein unterrichteter Reisender eine genauere Messung des Vulkans mittelst astronomischer Repetitionskreise vornehmen, so muesste er die Standlinie nicht bei Orotava, sondern bei *los Silos*, an einem Orte, *Bante* genannt, messen; nach Broussonet ist keine Ebene in der Naehe des Pics so gross wie diese. Wir botanisirten bei la Paz und fanden in Menge das _Lichen roccella_ auf basaltischem, von der See bespuelten Gestein. Die Orseille der Canarien ist ein sehr alter Handelsartikel; man bezieht aber das Moos weniger von Teneriffa als von den unbewohnten Inseln Salvage, Graciosa, Alagranza, sogar von Canaria und Hierro. Am 24. Juni Morgens verliessen wir den Hafen von Orotava; in Laguna speisten wir beim franzoesischen Consul. Er hatte die Gefaelligkeit, die Besorgung der geologischen Sammlungen zu uebernehmen, die wir dem Naturaliencabinett des Koenigs von Spanien uebermachten. Als wir vor der Stadt auf die Rhede hinausblickten, sahen wir zu unserem Schreck den Pizarro, unsere Corvette, unter Segel. Im Hafen angelangt, erfuhren wir, er lavire mit wenigen Segeln, uns erwartend. Die englischen bei Teneriffa stationirten Schiffe waren verschwunden, und wir hatten keinen Augenblick zu verlieren, um aus diesen Strichen wegzukommen. Wir schifften uns allein ein; unsere Reisegefaehrten waren Canarier gewesen, die nicht mit nach Amerika gingen. Ehe wir den Archipel der Canarien verlassen, werfen wir einen Blick auf die Geschichte des Landes. Vergeblich sehen wir uns im Periplus des Hanno und dem des Scylax nach den ersten schriftlichen Urkunden ueber die Ausbrueche des Pics von Teneriffa um. Diese Seefahrer hielten sich aengstlich an die Kuesten, sie liefen jeden Abend in eine Bay und ankerten, uns so konnten sie nichts von einem Vulkan wissen, der 56 Meilen vom Festland von Afrika liegt. Hanno berichtet indessen von leuchtenden Stroemen, die sich in das Meer zu ergiessen schienen; jede Nacht haben sich auf der Kueste viele Feuer gezeigt, und der grosse Berg, der *Goetterwagen* genannt, habe Feuergarben ausgeworfen, die bis zu den Wolken aufgestiegen. Aber dieser Berg, nordwaerts von der Insel der Gorillas,(23) bildete das Westende der Atlaskette, und es ist zudem sehr zweifelhaft, ob die von Hanno bemerkten Feuer wirklich von einem vulkanischen Ausbruch herruehrten, oder von dem bei so vielen Voelkern herrschenden Brauch, die Waelder und das duerre Gras der Savannen anzuzuenden. In neuester Zeit waren ja auch die Naturforscher, welche die Expedition unter Controadmiral d´Entrecasteaux mitmachten, ihrer Sache nicht gewiss, als sie die Insel Amsterdam mit dickem Rauch bedeckt sahen. Auf der Kueste von Caracas sah ich mehrere Naechte hinter einander roethliche Feuerstreifen von brennendem Grase, die sich taeuschend wie Lavastroeme ausnahmen, die von den Bergen herabkamen und sich in mehrere Arme theilten. Obgleich in den Reisetagebuechern des Hanno und des Scylax, so weit sie uns erhalten sind, keine Stelle vorkommt, die sich mit einigen Schein von Recht auf die canarischen Inseln beziehen liesse, ist es doch sehr wahrscheinlich, dass die Carthager und auch die Phoenicier den Pic von Teneriffa gekannt haben. [Einer der angesehensten deutschen Gelehrten, Heeren, haelt die glueckseligen Inseln Diodors von Sicilien fuer Madera und Porto Santo.] Zu Platos und Aristoteles Zeit waren dunkle Geruechte davon zu den Griechen gedrungen, nach deren Vorstellung die ganze Kueste von Afrika jenseits der Saeulen des Hercules von vulkanischem Feuer verheert war.(24) Die Inseln der Seligen, die man Anfangs im Norden, jenseits der riphaeischen Gebirge bei den Hyperboraeern [Die Vorstellung vom Glueck, der hohen Kultur und dem Reichthum der Bewohner des Nordens hatten die Griechen, die indischen Voelker und die Mexicaner mit einander gemein.], spaeter suedwaerts von Cyrenaica gesucht hatte, wurden nach Westen verlegt, dahin, wo die den Alten bekannte Welt ein Ende hatte. Was man glueckselige Inseln nannte, war lange ein schwankender Begriff, wie der Name *Dorado* bei den ersten Eroberern Amerikas. Man versetzte das Glueck an das Ende der Welt, wie man den lebhaftesten Geistesgenuss in einer idealen Welt jenseits der Grenzen der Wirklichkeit sucht. Es ist nicht zu verwundern, dass vor Aristoteles die griechischen Geographen keine genaue Kenntniss von den canarischen Inseln und ihren Vulkanen hatten. Das einzige Volk, das weit nach West und Nord die See befuhr, die Carthager, fanden ihren Vortheil dabei, wenn sie diese entlegenen Landstriche in den Schleier des Geheimnisses huellten. Der carthagische Senat duldete keine Auswanderung Einzelner und ersah diese Inseln als Zufluchtsort in Zeiten der Unruhe und politischen Unfaelle; so sollten fuer die Carthager seyn, was der freie Boden von Amerika fuer die Europaeer bei ihren buergerlichen und religioesen Zwistigkeiten geworden ist. Die Roemer wurden erst achtzig Jahre vor Octavians Regierung naeher mit den canarischen Inseln bekannt. Ein blosser Privatmann wollte den Gedanken verwirklichen, den der carthagische Senat mit weiser Vorsicht gefasst. Nach seiner Niederlage durch Sylla sucht Sertorius, muede des Waffenlaerms, eine sichere, ruhige Zufluchtsstaette. Er waehlt die glueckseligen Inseln, von denen man ihm an den Kuesten von Baetika eine reizende Schilderung entwirft. Er sammelt sorgfaeltig, was ihm von Reisenden an Nachrichten zukommt; aber in den wenigen Stuecken dieser Nachrichten, die auf uns gekommen sind, und in den umstaendlicheren Beschreibungen des Sebosus und des Juba ist niemals von Vulkanen und vulkanischen Ausbruechen die Rede. Kaum erkennt man die Insel Teneriffa und den Schnee, der im Winter die Spitze des Pics bedeckt, am Namen *Nivaria*, der einer der glueckseligen Inseln beigelegt wird. Man koennte darnach annehmen, dass der Vulkan damals kein Feuer gespien habe, wenn sich aus dem Stillschweigen von Schriftstellern etwas schliessen liesse, von denen wir nichts besitzen als Bruchstuecke und trockene Namenverzeichnisse. Umsonst sucht der Physiker in der Geschichte Urkunden ueber die aeltesten Ausbrueche des Pics; er findet nirgends welche ausser in der Sprache der Guanchen, in der das Wort "Echeyde"(25) zugleich die Hoelle und den Vulkan von Teneriffa bedeutete. Die aelteste schriftliche Nachricht von der Thaetigkeit des Vulkans, die ich habe auffinden koennen, kommt aus dem Anfang des sechzehnten Jahrhunderts. Sie findet sich in der Reisebeschreibung(26) des Aloysio Cadamusto, der im Jahr 1505 auf den Canarien landete. Dieser Reisende war nicht selbst Zeuge eines Ausbruchs, er versichert aber bestimmt, der Berg brenne fortwaehrend gleich dem Aetna und das Feuer sey von Christen gesehen worden, die als Sklaven der Guanchen auf Teneriffa lebten. Der Pic befand sich also damals nicht im Zustand der Ruhe wie jetzt, denn es ist sicher, dass kein Reisender und kein Einwohner von Teneriffa der Muendung des Pics von weitem sichtbaren Rauch, geschweige denn Flammen, hat entsteigen sehen. Es waere vielleicht zu wuenschen, dass der Schlund der *Caldera* sich weiter oeffnete, die Seitenausbrueche wuerden damit weniger heftig und die ganze Inselgruppe hatte weniger von Erdbeben zu leiden. Ich habe zu Orotava die Frage besprechen hoeren, ob anzunehmen sey, dass der Krater des Pics im Lauf der Jahrhunderte wieder in Thaetigkeit treten werde. In einer so zweifelhaften Sache kann man sich nur an die Analogie halten. Nun war nach Braccinis Bericht im Jahr 1611 der Krater des Vesuvs im Innern mit Gebuesch bewachsen. Alles verkuendete die tiefste Ruhe, und dennoch warf derselbe Schlund, der sich in ein schattiges Thal verwandeln zu wollen schien, zwanzig Jahre spaeter Feuersaeulen und ungeheure Massen Asche aus. Der Vesuv wurde im Jahr 1631 wieder so thaetig, als er im Jahr 1500 gewesen war. So koennte moeglicherweise auch der Krater des Pics sich eines Tags wieder umwandeln. Er ist jetzt eine Solfatare, aehnlich der friedlichen Solfatare von Puzzuoli; aber sie ist auf der Spitze eines noch thaetigen Vulkans gelegen. Die Ausbrueche des Pics waren seit zweihundert Jahren sehr selten, und solche lange Pausen scheinen charakteristisch fuer sehr hohe Vulkane. Der kleinste von allen, der Stromboli, ist fast in bestaendiger Thaetigkeit. Beim Vesuv sind die Ausbrueche seltener, indessen haeufiger als beim Aetna und dem Pic von Teneriffa. Die colossalen Gipfel der Anden, der Cotopaxi und der Tungurahua speien kaum einmal im Jahrhundert Feuer. Bei thaetigen Vulkanen scheint die Haeufigkeit der Ausbrueche im umgekehrten Verhaeltniss mit der Hoehe und der Masser derselben zu stehen. So schien auch der Pic nach zwei und neunzig Jahren erloschen, als im Jahr 1792 der letzte Ausbruch durch eine Seitenoeffnung im Berg Chahorra erfolgte. In diesem Zeitraum hat der Vesuv sechzehnmal Feuer gespieen. Ich habe anderwo ausgefuehrt, dass der genze gebirgigte Theil des Koenigreichs Quito anzusehen ist als ein ungeheurer Vulkan von 700 Quadratmeilen Oberflaeche, der aus verschiedenen Kegeln mit eigenen Namen, Cotopaxi, Tungurahua, Pichincha, Feuer speit. Ebenso ruht die ganze Gruppe der canarischen Inseln gleichsam auf Einem untermeerischen Vulkan. Das Feuer brach sich bald durch diese, bald durch jene der Inseln Bahn. Nur Teneriffa traegt in seiner Mitte eine ungeheure Pyramide mit einem Krater auf der Spitze, die in jahrhundertlangen Perioden aus ihren Seiten Lavastroeme ergiesst. Auf den andern Inseln haben die verschiedenen Ausbrueche an verschiedenen Stellen stattgefunden, und man findet dort keinen vereinzelnten Berg, an den die vulkanische Thaetigkeit gebunden waere. Die von uralten Vulkanen gebildete Basaltrinde scheint dort aller Orten unterhoehlt, und die Lavastroeme, die auf Lanzerota und Palma ausgebrochen sind, kommen geologisch durchaus mit dem Ausbruch ueberein, der im Jahr 1301 auf der Insel Ischia durch die Tuffe des Epomeo erfolgte. Es folgt hier die Liste der Ausbrueche, deren Andenken sich bei den Geschichtschreibern der Insel seit der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts erhalten hat. *Jahr 1558.* -- Am 15. April. Zur selben Zeit wurde Teneriffa zum erstenmal von der aus der Levante eingeschleppten Pest verheert. Ein Vulkan oeffnet sich auf der Insel Palma, nahe einer Quelle im _Partido de los Llanos_. Ein Berg steigt aus dem Boden; auf der Spitze bildet sich ein Krater, der einen hundert Toisen breiten und ueber 2500 Toisen langen Lavastrom ergiesst. Die Lava stuerzt sich ins Meer, und durch die Erhitzung des Wassers gehen die Fische in weitem Umkreis zu Grunde. [Dieselbe Erscheinung wiederholte sich 1811 bei den Azoren, als der Vulkan Sabrina auf dem Meeresboden ausbrach. Das calcinirte Skelett eines Haifisches wurde im erloschenen, mit Wasser gefuellten Krater gefunden.] *Jahr 1646.* -- Am 13. November thut sich ein Schlund auf der Insel Palma bei Tigalate auf; zwei andere bilden sich am Meeresufer. Die Laven, die sich aus diesen Spalten ergiessen, machen die beruehmte Quelle Foncaliente oder Fuente Santa versiegen, deren Mineralwasser Kranke sogar aus Europa herbeizog. Nach einer Volkssage wurde dem Ausbruch durch ein seltsames Mittel Einhalt geboten. Das Bild unserer lieben Frau zum Schnee wurde aus Santa Cruz an den Schlund des Vulkans gebracht, und alsbald fiel eine so ungeheure Masse Schnee, dass das Feuer dadurch erlosch. In den Anden von Quito wollen die Indianer die Bemerkung gemacht haben, dass die Thaetigkeit der Vulkane durch vieles einsickerndes Schneewasser gesteigert wird. *Jahr 1677.* -- Dritter Ausbruch auf der Insel Palma. Der Berg las Cabras wirft aus einer Menge kleienr Oeffnungen, die sich nacheinander bilden, Schlacken und Asche aus. *Jahr 1704.* -- Am 31. December. Der Pic von Teneriffa macht einen Seitenausbruch in der Ebene les Infantes, oberhalb Ocore, im Bezirk Guimar. Furchtbare Erdbeben gingen dem Ausbruch voran. Am 5. Januar 1705 thut sich ein zweiter Schlund in der Schlucht Almerchiga, eine Meile von Icore auf. Die Lava ist so stark, dass sie das ganze Thal Fasnia oder Areza ausfuellt. Dieser zweite Schlund hoert am 13. Januar zu speien auf. Ein dritter bildet sich am 2. Februar in der Canada de Araso. Die Lava in drei Stroemen bedroht das Dorf Guimar, wird aber im Thal Melosar durch einen Felsgrat aufgehalten, der einen unuebersteiglichen Damm bildet. Waehrend dieser Ausbrueche spuert die Stadt Orotava, die nur einen schmaler Damm von den neuen Schluenden trennt, starke Erdstoesse. *Jahr 1706.* -- Am 5. Mai. Ein weiterer Seitenausbruch des Pics von Teneriffa. Der Schlund bricht ab suedlich vom Hafen von Garachico, damls dem schoensten und besuchtesten der Insel. Die volkreiche, wohlhabende Stadt hatte eine malerische Lage am Saum eines Lorbeerwaldes. Zwei Lavastroeme zerstoeren sie in wenigen Stunden; kein Haus blieb stehen. Der Hafen, der schon im Jahr 1645 gelitten hatte, weil ein Hochwasser viel Erdreich hineingefuehrt, wurde so ausgefuellt, dass die sich aufthuermenden Laven in der Mitte seines Umfangs ein Vorgebirge bildeten. Ueberall, rings um Garachico, wurde das Erdreich voellig umgewandelt. Aus der Ebene stiegen Huegel auf, die Quellen blieben aus, und Felsmassen wurden durch die haeufigen Erdstoesse der Dammerde und des Pflanzenwuchses beraubt und blieben nackst stehen. Nur die Fischer liessen nicht vom heimathlichen Boden. Muthig, wie die Einwohner von Torre del Greco, erbauten sie wieder ein Doerfchen auf Schlackenhaufen und dem verglasten Gestein. *Jahr 1730.* -- Am 1. September. Eine der furchtbarsten Catastrophen zerstoert den Landungsplatz der Insel Lancerota. Ein neuer Vulkan bildet sich bei Temenfaya. Die Lavastroeme und die Erdstoesse, welche den Ausbruch begleiten, zerstoeren eine Menge Doerfer, worunter die alten Flecken der Guanchen Tingafa, Macintase und Guatisca. Die Stoesse dauern bis 1736 fort, und die Bewohner von Lancerota fluechten sich grossen Theils auf die Insel Fortanventra. Waehrend dieses Ausbruchs, von dem schon im vorigen Capitel die Rede war, sieht man eine dicke Rauchsaeule aus der See aufsteigen. Pyramidalische Felsen erheben sich ueber der Meeresflaeche, die Klippen werden immer groesser und verschmelzen allmaehlich mit der Insel selbst. *Jahr 1798.* -- Am 9. Juni. Seitenausbruch des Pics von Teneriffa, am Abhang des Berges Charhorra oder Venge, [Der Abhang des Berges Venge, auf dem Ausbruch stattfand, heisst Chazajane.] an einem voellig unbebauten Ort. Dieser Berg, der sich an den Pic anlehnt, galt von jeher fuer eine erloschenen Vulkan. Er besteht zwar aus festen Gebirgsarten, verhaelt sich aber doch zum Pic wie der Monte Rosso, der im Jahr 1661 aufstieg, oder die _boche nueve_, die im Jahr 1794 aufbrachen, zum Aetna und zum Vesuv. Der Ausbruch des Chahorra waehrte drei Monate und sechs Tage. Die Lava und die Schlacken wurden aus vier Muendungen in Einer Reihe ausgeworfen. Die drei bis vier Toisen hoch aufgethuermte Lava legte drei Fuss in der Stunde zurueck. Da dieser Ausbruch nur ein Jahr vor meiner Ankunft auf Teneriffa erfolgt war, so war der Eindruck desselben bei den Einwohnern noch sehr lebhaft. Ich sah bei Herrn le Gros in Durasno eine von ihm an Ort und Stelle entworfene Zeichnung der Oeffnungen des Chahorra. Don Bernardo Cologan hat diese Oeffnungen, acht Tage nachdem sie aufgebrochen, besucht und die Haupterscheinungen bei dem Ausbruch in einem Aufsatz beschrieben, von dem er mir eine Abschrift mittheilte, um sie meiner Reisebeschreibung einzuverleiben. Seitdem sind dreizehn Jahre verflossen; Bory St. Vincent ist mir mit der Veroeffentlichung des Aufsatzes zuvorgekommen, und so verweise ich den Leser auf sein interessantes Werk: _Essai sur les iles fortunees._ Ich beschraenke mich hier darauf, Einiges ueber die Hoehe mitzutheilen, zu der sehr ansehnliche Felstuecke aus den Oeffnungen des Chahorra emporgeschleudert wurden. Cologan zaehlte waehrend des Falls der Steine 12-15 Secunden, [Cologan bemerkt, der Fall habe sogar ueber 15 Sekunden gedauert, weil er den Stein mit dem Auge nicht verfolgen konnte, bis er auffiel.] das heisst er fing im Moment zu zaehlen an, wo sie ihre hoechste Hoehe erreicht hatten. Aus dieser interessanten Beobachtung geht hervor, dass die Felstuecke aus der Oeffnung ueber dreitausend Fuss hoch geschleudert wurden. Alle in dieser chronologischen Uebersicht verzeichneten Ausbrueche gehoeren den drei Inseln Palma, Teneriffa und Lancerota an. Wahrscheinlich sind vor dem sechzehnten Jahrhundert die uebrigen Inseln auch vom vulkanischen Feuer heimgesucht worden. Nach mit mitgetheilten unbestimmten Notizen laege mitten auf der Insel Ferro ein erloschener Vulkan und ein anderer auf der Grossen Canaria bei Arguineguin. Es waere aber wichtig zu erfahren, ob sich an der Kalkformation von Fortaventura oder am Granit und Glimmerschiefer von Gomera Spuren des unterirdischen Feuers zeigen. Die rein seitliche vulkanische Thaetigkeit des Pics von Teneriffa ist geologisch um so merkwuerdiger, als sie dazu beitraegt, die Berge, die sich an den Hauptvulkan anlehnen, isolirt erscheinen zu lassen. Allerdings kommen auch beim Aetna und beim Vesuv die grossen Lavastroeme auch nicht aus dem Krater selbst, und die Masse geschmolzener Stoffe steht meist im umgekehrten Verhaeltniss mit der Hoehe, in der sich die Spalte bildet, welche die Lava auswirft. Aber beim Vesuv und Aetna endet ein Seitenausbruch immer damit, dass der Krater, das heisst die eigentliche Spitze des Bergs, Feuer und Asche auswirft. Beim Pic von Teneriffa ist solches seit Jahrhunderten nicht vorgekommen. Auch beim letzten Ausbruch im Jahr 1798 blieb der Krater vollkommen unthaetig. Sein Grund hat sich nicht gesenkt, waehrend nach Leopolds von Buch scharfsinniger Bemerkung beim Vesuv die groessere oder geringere Tiefe des Kraters fast ein untruegliches Zeichen ist, ob ein neuer Ausbruch bevorsteht oder nicht. Werfen wir jetzt einen Blick darauf, wie einst geschmolzenen Felsmassen des Pics, wie die Basalte und Mandelsteine sich allmaehlich mit einer Pflanzendecke ueberzogen haben, wie die Gewaechse an den steilen Abhaengen des Vulkans vertheilt sind, welcher Charakter der Pflanzenwelt der canarischen Inseln zukommt. Im noerdlichen Theile des gemaessigten Erdstrichs bedecken cryptogamische Gewaechse zuerst die steinigte Erdrinde. Auf die Flechten und Moose, deren Lauf sich unter dem Schnee entwickelt, folgen grasartige und anderen phanerogame Pflanzen. Anders an den Grenzen des heissen Erdstrichs und zwischen den Tropen selbst. Allerdings findet man dort, was auch manche Reisende sagen moegen, nicht allein auf den Bergen, sondern auch an feuchten, schattigen Orten Funarien, Dicranum- und Bryumarten; unter den zahlreichen Arten dieser Gattungen befinden sich mehrere, die zugleich in Lappland, auf dem Pic von Teneriffa und in den blauen Bergen auf Jamaica vorkommen; im Allgemeinen aber beginnt die Vegetation in den Laendern in der Naehe der Tropen nicht mit Flechten und Moosen. Auf den Canarien, wie in Guinea und an den Felsenkuesten von Peru, sind es die Saftpflanzen, die den Grund zur Dammerde legen, Gewaechse, deren mit unzaehligen Oeffnungen und Hautgefaessen versehenen Blaetter der umgebenden Luft des darin aufgeloeste Wasser entziehen. Sie wachsen in den Ritzen des vulkanischen Gesteins und bilden gleichsam die erste vegetabilische Schicht, womit sich die Lavastroeme ueberziehen. Ueberall wo die Laven verschlackt sind oder eine glaenzende Oberflaeche haben, wie die Basaltkuppen im Norden von Lancerota, entwickelt sich die Vegetation ungemein langsam darauf, und es vergehen mehrere Jahrhunderte, bis Buschwerk darauf waechst. Nur wenn die Lava mit Tuff und Asche bedeckt ist, verliert sich auf vulkanischen Eilanden die Kahlheit, die sich in der erstene Zeit nach ihrer Bildung auszeichnet, und schmuecken sie sich mit einer ueppigen glaenzenden Pflanzendecke. In seinem gegenwaertigen Zustand zeigt die Insel Teneriffa oder das *Chinerfe* [Aus *Chinerfe* haben die Europaeer durch Corruption *Tschineriffe*, *Teneriffa* gemacht.] der Guanchen fuenf Pflanzenzonen, die man bezeichnen kann als die Regionen der Weinreben, der Lorbeeren, der Fichten, der Retama, der Graeser. Diese Zonen liegen am steilen Abhang des Pics wie Stockwerke ueber einander und haben 1750 Toisen senkrechte Hoehe, waehrend 15 Grad weiter gegen Norden in den Pyrenaeen der Schnee bereits zu 1300-1400 Toisen absoluter Hoehe herabreicht. Wenn auf Teneriffa die Pflanzen nicht bis zum Gipfel des Vulkans vordringen, so ruehrt dies nicht daher, weil ewiges Eis(27) und die Kaelte der umgebenden Luft ihnen unuebersteigliche Grenzen setzen: vielmehr lassen die verschlackten Laven des Malpays und der duerre, zerriebene Bimsstein des Piton die Gewaechse nicht an den Kraterrand gelangen. Die *erste Zone*, die der Reben, erstreckt sich vom Meeresufer bis in 2-300 Toisen Hoehe; sie ist die am staerksten bewohnte und die einzige, wo der Boden sorgfaeltig bebaut ist. In dieser tiefen Lage, im Hafen von Orotava und ueberall, wo die Winde freien Zutritt haben, haelt sich der hunderttheilige Thermometer im Winter, im Januar und Februar, um Mittag auf 15-17 deg.; im Sommer steigt die Hitze nicht ueber 25 oder 26 deg., ist also um 5-6 deg. geringer als die groesste Hitze, die jaehrlich in Paris, Berlin und St. Petersburg eintritt. Diess ergibt sich aus den Beobachtungen Savaggi´s in den Jahren 1795-1799. Die mittlere Temperatur der Kueste von Teneriffa scheint wenigstens 21 deg. (16 deg.,8 R.) zu seyn, und ihr Klima steht in der Mitte zwischen dem von Neapel und dem heissen Erdstrichs. Auf der Insel Madera sind die mittleren Temperaturen des Januar und des August, nach Heberden, 17 deg.,7 und 23 deg.,8, in Rom dagegen 5 deg.,6 und 26 deg.,1. Aber so aehnlich sich die Klimate von Madera und Teneriffa sind, kommen doch die Gewaechse er ersteren Insel im Allgemeinen in Europa leichter fort als die von Teneriffa. Der _Cheiranthus longifolius_ von Orotava z. B. erfriert in Marseille, wie de Candolle beobachtet hat, waehrend der _Cheiranthus mutabilis_ von Madera dort im Freien ueberwintert. Die Sommerhitze dauert auf Madera nicht so lang als auf Teneriffa. In der Region der Reben kommen vor acht Arten baumartiger Euphorbien, Mesembryanthemum-Arten, die vom Cap der guten Hoffnung bis zum Peloponnes verbreitet sind, die _Cacalia Kleinia_, der Drachenbaum, und andere Gewaechse, die mit ihrem nackten, gewundenen Stamm, mit den saftigen Blaettern und der blaugruenen Faerbung den Typus der Vegetation Afrikas tragen. In dieser Zone werden der Dattelbaum, der Bananenbaum, der Zuckerrohr, der indische Feigenbaum, _Arum colocasia_, dessen Wurzel dem gemeinen Volk ein nahrhaftes Mehl liefert, der Oelbaum, die europaeischen Obstarten, der Weinstock und die Getreidearten gebaut. Das Korn wird von Ende Maerz bis Anfang Mai geschnitten, und man hat mit dem Anbau des Otaheite´schen Brodbaums, des Zimmtbaums von den Molukken, des Kaffeebaums aus Arabien und des Cacaobaums aus Amerika gelungene Versuche gemacht. Auf mehreren Punkten der Kueste hat das Land ganz den Charakter einer tropischen Landschaft. Chamaerops und der Dattelbaum kommen auf der fruchtbaren Ebene von Murviedro, an der Kueste von Genua und in der Provence bei Antibes unter 39-44 Grad der Breite ganz gut fort; einige Dattelbaeume wachsen sogar innerhalb der Mauern von Rom und dauern in einer Temperatur von 2 deg.,5 unter dem Gefrierpunkt aus. Wenn aber dem suedlichen Europa nur erst ein geringes Theil von Schaetzen zugetheilt ist, welche die Natur in der Region der Palmen ausstreut, so ist die Insel Teneriffa, die unter derselben Breite liegt wie Egypten, das suedliche Persion und Florida, bereits mit denselben Pflanzengestalten geschmueckt, welche den Landschaften in der Naehe des Aequators ihre Grossartigkeit verleihen. Bei der Musterung der Sippen einheimischer Gewaechse vermisst man ungern die Baeume mit den zartgefiederten Blaettern und die baumartigen Graeser. Keine Art der zahlreichen Familie der Sensitiven ist auf ihrer Wanderung zum Archipel der Canarien vorgedrungen, waehrend sie auf beiden Continenten bis zum 38. und 40. Breitegrad vorkommen. In Amerika ist die _Schrankchia uncinata_ Wildenows [_Mimosa horridula, Michaux_] bis hinauf in die Waelder von Virginien verbreitet; in Afrika waechst die _Acacia gummifera_ auf den Huegeln bei Mogador, in Asien, westwaerts vom caspischen Meer, hat v. Biberstein die Ebenen von Ehyrvan mit _Acacia stephaniana_ bedeckt gesehen. Wenn man die Pflanzen von Lancerota und Fortaventura, die der Kueste von Marocco am naechsten liegen, genauer untersuchte, koennten sich doch unter so vielen Gewaechsen der afrikanischen Flora leicht ein paar Mimosen finden. Die *zweite Zone*, die der Lorbeeren, begreift den bewaldeten Strich von Teneriffa; es ist diess auch die Region der Quellen, die aus dem immer frischen, feuchten Rasen sprudeln. Herrliche Waelder kroenen die an den Vulkan sich lehnenden Huegel Hier wachsen vier Lorbeerarten [_Laurus indica, L. foetens, L. nobilis_ und _L. Til._. Zwischen diesen Baeumen wachsen _Aridisia excelsa_, _Rhamnus glandulosus_, _Erica arborea_, _Erica Texo._], eine der _Quercus Turneri_ aus den Bergen Tibets nahestehende Eiche, [_Quercus Canariensis, Broussonet._] die _Visnea Mocanera_, die _Myrica Faya_ der Azoren, ein einheimischer Olivenbaum (_Olea excelsa_), der groesste Baum in dieser Zone, zwei Arten _Sideroxylon_ mit ausnehmend schoenem Laub, _Arbutus callycarpa_ und andere immergruene Baume aus der Familie der Myrten. Winden und ein vom europaeischen sehr verschiedener Epheu (_Hedera canariensis_) ueberziehen die Lorbeerstaemme, und zu ihren Fuessen wuchern zahllose Farn, [_Woodwardia radicans, Asplenium palmatum, A. canariense, A. latifolium, Nothalaena subcurdata, Trichomanes canariensis, T. speciosus_ und _Davallia canariensis_.] von denen nur drei Arten [Zwei _Acrostichum_ und das _Ophyoglossum lusitanicum_.] schon in der Regin der Reben vorkommen. Auf dem mit Moosen und zartem Grad ueberzogenen Boden prangen ueberall die Bluethen der _Campanula aurea_, des _Chrysanthemum pinnatifidum_, der _Mentha canariensis_ und mehrerer strauchartiger Hypericumarten [_Hypericum canariense_, _H. floribundum_ und _H. glandulosum._]. Pflanzungen von wilden und geimpften Kastanien bilden einen weiten Guertel um das Gebiet der Quellen, welches das gruenste und lieblichste von allen ist. Die *dritte Zone* beginnt in 900 Toisen absoluter Hoehe, da wo die letzten Gebuesche von Erdbeerbaeumen, _Myrica Faya_ und des schoenen Heidekrauts stehen, das bei den Eingeborenen Texo heisst. Diese 400 Toisen breite Zone besteht ganz aus einem maechtigen Fichtenwald, in dem auch Broussonets _Juniperus Cedro_ vorkommt. Die Fichten haben sehr lange, ziemlich steife Blaetter, deren zuweilen zwei, meist aber drei in einer Scheide stecken. Da wir ihre Fruechte nicht untersuchen konnten, wissen wir nicht, ob diese Art, die im Wuchs der schottischen Fichte gleicht, sich wirklich von den achtzehn Fichtenarten unterscheidet, die wir bereits in der alten Welt kennen. Nach der Ansicht eines beruehmten Botanikers, dessen Reisen die Pflanzengeographie Europas sehr gefoerdert haben, de Candolle, unterscheidet sich die Fichte von Teneriffa sowohl von der _Pinus atlantica_ in den Bergen bei Mogador, als von der Fichte von Aleppo,(28) die dem Becken des mittellaendischen Meeres angehoert und nicht ueber die Saeulen des Herkules hinauszugehen scheint. Die letzten Fichten fanden wir am Pic etwa in 1200 Toisen Hoehe ueber dem Meer. In den Cordilleren von Neuspanien, im heissen Erdstrich, gehen die mexicanischen Fichten bis zu 2000 Toisen Hoehe. So sehr auch die verschiedenen Arten einer und derselben Pflanzengattung im Bau uebereinkommen, so verlangt doch jede zu ihrem Fortkommen einen bestimmten Grad von Waerme und Verduennung der umgebenden Luft. Wenn in den gemaessigten Landstrichen und ueberall, wo Schnee faellt, die constante Bodenwaerme etwas hoeher ist als die mittlere Lufttemperatur, so ist anzunehmen, dass in der Hoehe des Portillo die Wurzeln der Fichten ihre Nahrung aus einem Boden ziehen, in dem in einer gewissen Tiefe der Thermometer hoechstens auf 9 bis 10 Grad steigt. Die *vierte und fuenfte Zone*, die der Retama und der Graeser, liegen so hoch wie die unzugaenglichsten Gipfel der Pyrenaeen. Es ist diess der oede Landstrich der Insel, wo Haufen von Bimsstein, Obsidian und zertruemmerter Lava wenig Pflanzenwuchs aufkommen lassen. Schon oben war von den bluehenden Bueschen des Alpenginsters _(Spartium nubigenum)_ die Rede, welche Oasen in einem weiten Aschenmeer bilden. Zwei krautartige Gewaechse, _Scrophularia glabrata_ und _Viola cheiranthifolia_, gehen weiter hinauf bis ins Malpays. Ueber einem vom der afrikanischen Sonne ausgebrannten Rasen bedeckt die _Cladonia paschalis_ duerre Strecken; die Hirten zuenden sie haeufig an, wobei sich dann das Feuer sehr weit verbreitet. Dem Gipfel des Pic zu arbeiten Urceolarien und andere Flechten an der Zersetzung des verschlackten Gesteins, und so erweitert sich auf von Vulkanen verheerten Eilanden Floras Reich durch die nie stockende Thaetigkeit organischer Kraefte. Ueberblicken wir die Vegetationszonen von Teneriffa, so sehen wir, dass die ganze Insel als ein Wald von Lorbeeren, Erdbeerbaeumen und Fichten erscheint, der kaum an seinen Raendern von Menschen urbar gemacht ist, und in der Mitte ein nacktes steinigtes Gebiet umschliesst, das weder zum Ackerbau noch zur Weide taugt. Nach Broussonets Bemerkung laesst sich der Archipel der Canarien in zwei Gruppen theilen. Die erste begreift Lancerota und Fortaventura, die zweite Teneriffa, Canaria, Gomera, Ferro und Palma. Beide weichen im Habitus ihrer Vegetation bedeutend von einander ab. Die ostwaerts gelegenen Inseln, Lancerota und Fortaventura, haben weite Ebenen und nur niedrige Berge; sie sind fast quellen los, und diese Eilande haben noch mehr als die andern die Charakter vom Continent getrennter Laender. Die Winde wehen hier in derselben Richtung und zu denselben Zeiten; _Euphorbia mauritanica_, _Atropa frutescens_ und _Sonchus arborescens_ wuchern im losen Sand und dienen wie in Afrika den Kameelen als Futter. Auf der westlichen Gruppe der Canarien ist das Land hoeher, staerker bewaltet, und besser von Quellen bewaessert. Auf dem ganzen Archipel finden sich zwar mehrere Gewaechse, die auch in Portugal(29), in Spanien, auf den Azoren und im nordwestlichen Afrika vorkommen, aber viele Arten und selbst einige Gattungen sind Teneriffa, Porto-Santo und Madera eigenthuemlich, unter andern _Mocanera_, _Plocama_, _Bosea_, _Canarina_, _Drusa_, _Pittosporum_.Ein Typus, der sich als ein noerdlicher ansprechen laesst, der der Kreuzbluethen, [Von den wenigen Cruciferen in der Flora von Teneriffa fuehren wir an: _Cheiranthus longifolius_, _Ch. frutescens_, _Ch. scoparis,_ _Erysimum bicorne_, _Crambe strigosa_, _C. laevigata_.] ist auf den Canarien schon weit seltener als in Spanien und Griechenland. Weiter nach Sueden, im tropischen Landstrich beider Continente, wo die mittlere Lufttemperatur ueber 22 deg. ist, verschwinden die Kreuzbluethen fast gaenzlich. Eine Frage, die fuer die Geschichte der fortschreitenden Entwicklung des organischen Lebens auf dem Erdball von grosser Bedeutung erscheint, ist in neuerer Zeit viel besprochen worden, naemlich, ob polymorphe Gewaechse auf vulkanischen Inseln haeufiger sind als anderswo? Die Vegetation von Teneriffa unterstuetzt keineswegs die Annahme, dass die Natur auf neugebildetem Boden in Pflanzenformen weniger streng festhaelt. Broussonet, der sich so lang auf den Canarien aufgehalten, versichert, veraenderlich Gewaechse seyen nicht haeufiger als im suedlichen Europa. Wenn auf der Inseln Bourbon so viele polymorphe Arten vorkommen, sollte dies nicht vielmehr von der Beschaffenheit Bodens und des Klimas herruehren, als davon, dass die Vegetation jung ist? Wohl darf ich mir schmeicheln, mit dieser Naturskizze von Teneriffa einiges Licht ueber Gegenstaende verbreitet zu haben, die bereits von so vielen Reisenden besprochen worden sind; indessen glaube ich, dass die Naturgeschichte dieses Archipels der Forschung noch ein weites Feld darbietet. Die Leiter der wissenschaftlichen Entdeckungsfahrten, wie sie England, Frankreich, Spanien, Daenemark und Russland zu ihrem Ruhme unternommen, haben meist zu sehr geeilt, von den Canaren wegzukommen. Sie dachten, da diese Inseln so nahe bei Europa liegen, muessten sie genau beschrieben seyn; sie haben vergessen, dass das Innere von Neuholland geologisch nicht unbekannter ist als die Gebirgsarten von Lancerota und Gomera, Porto-Santo und Terceira. So viele Gelehrte bereisen Jahr fuer Jahr ohne bestimmten Zweck die besuchtesten Laender Europas. Es waere wuenschenswerth, dass einer und der andere, den aechte Liebe zur Wissenschaft beseelt und dem die Verhaeltnisse eine mehrjaehrige Reise gestatten, den Archipel der Azoren, Madera, die Canarien, die Inseln des gruenen Vorgebirgs und die Nordwestkueste von Afrika bereiste. Nur wenn man die atlantischen Inseln und das benachbarte Festland nach den selben Gesichtspunkten untersucht und die Beobachtungen zusammenstellt, gelangt man zur genauen Kenntniss der geologischen Verhaeltnisse und der Verbreitung der Thiere und Gewaechse. Bevor ich die alte Welt verlasse und in die neue uebersetze, habe ich einen Gegenstand zu beruehren, der allgmeineres Interesse bietet, weil der sich auf die Geschichte der Menschheit und die historischen Verhaengnisse bezieht, durch welche ganze Volkssstaemme vom Erdboden verschwunden sind. Auf Cuba, St. Domingo, Jamaica fragt man sich, wo die Ureinwohner dieser Laender hingekommen sind; auf Teneriffa fragt man sich, was aus den Guanchen geworden ist, deren in Hoehlen versteckte, vertrocknete Mumien ganz allein der Vernichtung entgangen sind. Im fuenfzehnten Jahrhundert holten fast alle Handelsvoelker, besonders aber die Spanier und Portugiesen, Sklaven von den Canarien, wie man sie jetzt von der Kueste von Guinea holt. [Die spanischen Geschichtsschreiber sprechen von Fahrten, welche die Hugenotten von La Rochelle unternommen haben sollen, um Guanchensklaven zu holen. Ich kann dies nicht glauben, da diese Fahrten nach dem Jahr 1530 fallen muessten.] Die christliche Religion, die in ihren Anfaengen die menschliche Freiheit so maechtig foerderte, musste der europaeischen Habsucht als Vorwand dienen. Jedes Individuum, das gefangen wurde, ehe es getauft war, verfiel der Sklaverei. Zu jener Zeit hatte man noch nicht zu beweisen gesucht, dass der Neger ein Mittelding zwischen Mensch und Thier ist; der gebraeunte Guanche und der afrikanische Neger wurden auf dem Markte zu Sevilla mit einander verkauft, und man stritt nicht ueber die Frage, ob nur Menschen mit schwarzer Haut und Wollhaar der Sklaverei verfallen sollen. Auf dem Archipel der Canarien bestanden mehrere kleine, einander feindlich gegenueber stehende Staaten. Oft war dieselbe Insel zwei unabhaengigen Fuersten unterworfen, wie in der Suedsee und ueberall, wo die Cultur noch auf tiefer Stufe steht. Die Handelsvoelker befolgten damals hier dieselbe arglistige Politik, wie jetzt auf den Kuesten von Afrika: sie leisteten den Buergerkriegen Vorschub. So wurde ein Guanche Eigenthum des andern, und dieser verkaufte jenen den Europaeern; manche zogen den Tod der Sklaverei vor und toedteten sich und ihre Kinder. So hatte die Bevoelkerung der Canarien durch den Sklavenhandel, durch die Menschenraeuberei der Piraten, besonders aber durch lange blutige Zwiste bereits starke Verluste erlitten, als Alonso de Lugo sie vollends eroberte. Den Ueberrest der Guanchen raffte im Jahr 1494 groesstentheils die beruehmte Pest, die sogenannte *Modorra* hin, die man den vielen Leichen zuschrieb, welche die Spanier nach der Schlacht bei Laguna hatten frei liegen lassen. Wenn ein halb wildes Volk, das man um sein Eigenthum gebracht, im selben Lande neben einer civilisirten Nation leben muss, so sucht es sich in den Gebirgen und Waeldern zu isoliren. Inselbewohner haben keine andere Zuflucht, und so war denn das herrliche Volk der Guanchen zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts so gut wie ausgerottet; ausser ein paar alten Maennern in Candelaria und Guimar gab es keine mehr. Es ist ein troestlicher Gedanke, dass die Weissen es nicht immer verschmaeht haben, sich mit den Eingeborenen zu vermischen; aber die heutigen Canarier, die bei den Spaniers schlechtweg *Islenos* heissen, haben triftige Gruende, eine solche Mischung in Abrede zu ziehen. In einer langen Geschlechtsfolge verwischen sich die charakteristischen Merkmale der Racen, und da die Nachkommen der Andalusier, die sich auf Teneriffa niedergelassen, selbst von ziemlich dunkler Gesichtsfarbe sind, so kann die Hautfarbe der Weissen durch die Kreuzung der Racen nicht merkbar veraendert worden seyn. Es ist Thatsache, dass gegenwaertig kein Eingeborener von reiner Race mehr lebt, und sonst ganz wahrheitsliebende Reisende sind im Irrthum, wenn sie glauben, bei der Besteigung des Pics schlanke, schnellfuessige Guanchen zu Fuehrern gehabt zu haben. Allerdings wollen einige canarische Familien vom letzten Hirtenkoenig von Guimar abstammen, aber diese Ansprueche haben wenig Grund; sie werden von Zeit zu Zeit wieder laut, wenn einer aus dem Volk, der brauner ist als seine Landsleute, Lust bekommt, sich um eine Officiersstelle im Dienste des Koenigs von Spanien umzuthun. Kurz nach der Entdeckung von Amerika, als Spanien den Gipfel seines Ruhms erstiegen hatte, war es Brauch, die sanfte Gemuethsart der Guanchen zu ruehmen, wie man in unserer Zeit die Unschuld der Bewohner von Otaheiti gepriesen hat. Bei beiden Bildern ist das Colorit glaenzender als wahr. Wenn die Voelker, erschoepft durch geistige Genuesse, in der Verfeinerung der Sitten nur Keime der Entartung vor sich sehen, so finden sie einen eigenen Reiz in der Vorstellung, dass in weit entlegenen Laendern, beim Daemmerlicht der Cultur, in der Bildung begriffene Menschenvereine eines reinen, ungestoerten Glueckes geniessen. Diesem Gefuehl verdankt Tacitus zum Theil den Beifall, der ihm geworden, als der den Roemern, den Unterthanen der Caesaren, die Sitten der Germanen schilderte. Dasselbe Gefuehl gibt den Beschreibungen der Reisenden, die seit dem Ende des verflossenen Jahrhunderts die Inseln des stillen Oceans besucht haben, den unbeschreiblichen Reiz. Die Einwohner der zuletzt genannten Inseln, die man wohl zu stark gepriesen hat und die einst Menschenfresser waren, haben in mehr als einer Beziehung Aehnlichkeit mit den Guanchen von Teneriffa. Beide sehen wir unter dem Joche eines feudalen Regiments seufzen, und bei den Guanchen war diese Staatsform, welche so leicht Kriege herbeifuehrt und sie nicht enden laesst, durch die Religion geheiligt. Die Priester sprachen zum Volk: "Achaman, der grosse Geist, hat zuerst die Edlen, die Achimenceys, geschaffen und ihnen alle Ziegen in der Welt zugetheilt. Nach den Edeln hat Achaman das gemeine Volk geschaffen, die Achicaxnas; dieses juengere Geschlecht nahm sich heraus, gleichfalls Ziegen zu verlangen; aber das hoechste Wesen erwiederte, das Volk sey dazu da, den Edeln dienstbar zu seyn, und habe kein Eigenthum noethig." Eine solche Ueberlieferung musste den reichen Vasallen der Hirtenkoenige ungemein behagen; auch stand dem Faycan oder Oberpriester das Recht zu, in den Adelstand zu erheben, und ein Gesetz verordnete, dass jeder Achimencey, der sich herbeiliesse, eine Ziege mit eigenen Haenden zu melken, seines Adels verlustig seyn sollte. Ein solches Gesetz erinnert keineswegs an die Sitteneinfalt des homerischen Zeitalters. Es befremdet, wenn man schon bei den Anfaengen der Cultur die nuetzliche Beschaeftigung mit Ackerbau und Viehzucht mit Verachtung gebrandmarkt sieht. Die Guanchen waren beruehmt durch ihren hohen Wuchs; sie erschienen als die Patagonen der alten Welt und die Geschichtschreiber uebertrieben ihre Muskelkraft, wie man vor Bougainvilles und Cordobas Reisen dem Volksstamm am Suedende von Amerika eine colossale Koerpergroesse zuschrieb. Mumien von Guanchen habe ich nur in den europaeischen Cabinetten gesehen; zur Zeit meiner Reise waren sie auf Teneriffa sehr selten; man muesste sie aber in Menge finden, wenn man die Grabhoehlen, die am oestlichen Abhang des Pics zwischen Arico und Guimar in den Fels gehauen sind, bergmaennisch aufbrechen liesse. Diese Mumien sind so stark vertrocknet, dass ganze Koerper mit der Haut oft nicht mehr als sechs bis sieben Pfund wiegen, das heisst ein Drittheil weniger als das Skelett eines gleich grossen Individuums, von dem man eben das Muskelfleisch abgenommen hat. Die Schaedelbildung aehnelt einigermassen der der weissen Race der alten Egypter, und die Schneidezaehne sind auch bei den Guanchen stumpf, wie bei den Mumien vom Nil. Aber diese Zahnform ist rein kuenstlich und bei genauerer Untersuchung der Kopfbildung der alten Guanchen haben geuebte Anatomen [Blumenbach, _Decas quinta collectionis craniorum diversarum gentium illustrium._] gefunden, dass sie im Jochbein un dim Unterkiefer von den aegyptischen Mumien bedeutend abweicht. Oeffnet man Mumien von Guanchen, so findet man Ueberbleibsel aromatischer Kraeuter, unter denen immer das _Chenopodium ambrosioides_ vorkommt; zuweilen sind die Leichen mit Schnueren geschmueckt, an denen kleine Scheiben aus gebrannter Erde haengen, die als Zahlzeichen gedient zu haben scheinen und die mt den Quippos der Peruaner, Mexicaner und Chinesen Aehnlichkeit haben. Da im Allgemeinen die Bevoelkerung von Inseln den umwandelnden Einfluessen, wie sie Folgen von Wanderungen sind, weniger ausgesetzt ist als die Bevoelkerung der Festlaender, so laesst sich annehmen, dass der Archipel der Canarien zur Zeit der Carthager und Griechen vom selben Menschenstamm bewohnt war, den die normaennischen und spanischen Eroberer vorfanden. Das einzige Denkmal, das einiges Licht auf die Herkunft der Guanchen werfen kann, ist ihre Sprache; leider sind uns aber davon nur etwa hundert fuenfzig Worte aufbehalten, die zum Theil dasselbe in der Mundart der verschiedenen Inseln bedeuten. Ausser diesen Worten, die man sorgfaeltig gesammelt, hat man in den Namen vieler Doerfer, Huegel und Thaeler wichtige Sprachreste vor sich. Die Guanchen, wie Basken, Hindus, Peruvianer und alle sehr alten Voelker, benannten die Oertlichkeiten nach der Beschaffenheit des Bodens, den sie bebauten, nach der Gestalt der Felsen, deren Hoehlen ihnen als Wohnstaetten dienten, nach den Baumarten, welche die Quellen beschatteten. Man war lange der Meinung, die Sprache der Guanchen habe keine Aehnlichkeit mit den lebenden Sprachen; aber seit die Sprachforscher durch Hornemanns Reise und durch die scharfsinnigen Untersuchungen von Marsden und Ventura auf die Berbern aufmerksam geworden sind, die, gleich den slavischen Voelkern, in Nordafrika ueber eine ungeheure Strecke verbreitet sind, hat man gefunden, dass in der Sprache der Guanchen und in den Mundarten von Chilha und Gebali mehrere Worte gleiche Wurzeln haben. Wir fuehren folgende Beispiele an: +-------------+----------------+----------------+ | | Guanchisch | Berberisch | +-------------+----------------+----------------+ | Himmel, | *Tigo*, | *Tigot.* | +-------------+----------------+----------------+ | Milch, | *Aho*, | *Acho.* | +-------------+----------------+----------------+ | Gerste, | *Temasen* | *Tomzeen.* | +-------------+----------------+----------------+ | Korb, | *Carianas* | *Carian.* | +-------------+----------------+----------------+ | Wasser, | *Aenum* | *Anan.* | +-------------+----------------+----------------+ Ich glaube nicht, dass diese Sprachaehnlichkeit ein Beweis fuer gemeinsamen Ursprung ist; aber sie deutet darauf hin, dass die Guanchen in alter Zeit in Verkehr standen mit den Berbern, einem Gebirgsvolk, zu dem die Numidier, Getuler und Garamanten verschmolzen sind und das vom Ostende des Atlas durch das Harudje und Fezzan bis zur Oase von Syuah und Audjelah sich ausbreitet. Die Eingeborenen der Canarien nannten sich Guanchen, von *Guan*, Mensch, wie die Tongusen sich *Pye* und *Donky* nennen, welche Worte dasselbe bedeuten, wie Guan. Indessen sind die Voelker, welche die Berbersprache sprechen, nicht alle desselben Stammes, und wenn Scylax in seinem Periplus die Einwohner von Cerne als ein Hirtenvolk von hohem Wuchs mit langen Haaren beschreibt, so erinnert diess an die koerperlichen Eigenschaften der canarischen Guanchen. Je genauer man die Sprachen aus philosophischem Gesichtspunkte untersucht, desto mehr zeigt sich, dass keine ganz allein steht; diesen Anschein wuerde auch die Sprache der Guanchen(30) noch weniger haben, wenn man von ihrem Mechanismus und ihrem grammatischen Bau etwas wuesste, Elemente, welche von groesserer Bedeutung sind als Wortform und Gleichlaut. Es verhaelt sich mit gewissen Mundarten wie mit den organischen Bildungen, die sich in der Reihe der natuerlichen Familien nirgends unterbringen lassen. Sie stehen nur scheinbar so vereinzelt da; der Schein schwindet, so bald man eine groessere Masse von Bildungen ueberblickt, wo dann die vermittelnden Glieder hervortreten. Gelehrt, die ueberall, wo es Mumien, Hieroglyphen und Pyramiden gibt, Egypten sehen, sind vielleicht der Ansicht, das Geschlecht Typhons und die Guanchen stehen in Zusammenhang mittelst der Berbern, aechter Atlanten, zu denen die Tibbos und Tuarycks der Wueste gehoeren. [Hornemanns Reise von Cairo nach Mourzouk.] Es genuegt hier aber an der Bemerkung, dass eine solche Annahme durch keinerlei Aehnlichkeit zwischen der Berbersprache und dem Coptischen, das mit Recht fuer ein Ueberbleibsel des alten Egyptischen gilt, unterstuetzt wird. Das Volk, das die Guanchen verdraengt hat, stammt von Spaniern und zu einem sehr kleinen Theil von Normannen ab. Obgleich diese beiden Volksstaemme drei Jahrhunderte lang demselben Klima ausgesetzt gewesen sind, zeichnet sich dennoch der letztere durch weissere Haut aus. Die Nachkommen der Normannen wohnen im Thal Taganana zwischen Punte de Naga und Punta de Hidalgo. Die Namen Grandville und Dampierre kommen in diesem Bezirke noch ziemlich haeufig vor. Die Canarier sind ein redliches, maessiges und religioeses Volk; zu Haus zeigen sie aber weniger Betriebsamkeit als in fremden Laendern. Ein unruhiger Unternehmungsgeist treibt diese Insulaner, wie die Biscayer und Catalanen, auf die Philippinen, auf die Marianen, und in Amerika ueberall hin, wo es spanische Colonien gibt, von Chili und dem la Plata bis nach Neumexico. Ihnen verdankt man grossentheils die Fortschritte des Ackerbaus in den Colonien. Der ganze Archipel hat kaum 160,000 Einwohner, und der *Islenos* sind vielleicht in der neuen Welt mehr als in ihrer alten Heimath. +-------------+--------------+-------+-----------+--------------+ | | hatte auf Q. | i. J. | Einwohner | auf die Q.M. | | | Seemeilen | | | | +-------------+--------------+-------+-----------+--------------+ |Teneriffa | 73 | 1790 | 70,000, | 958 | +-------------+--------------+-------+-----------+--------------+ |Fortaventura | 63 | 1790 | 9,000, | 142 | +-------------+--------------+-------+-----------+--------------+ |Die grosse | 60 | 1790 | 50,000, | 833 | |Canaria | | | | | +-------------+--------------+-------+-----------+--------------+ |Palma | 27 | 1790 | 22,600, | 837 | +-------------+--------------+-------+-----------+--------------+ |Lancerota | 26 | 1790 | 10,000, | 384 | +-------------+--------------+-------+-----------+--------------+ |Gomera | 14 | 1790 | 7,400, | 528 | +-------------+--------------+-------+-----------+--------------+ |Ferro | 7 | 1790 | 5,000, | 714 | +-------------+--------------+-------+-----------+--------------+ An Wein werden auf Teneriffa geerntet 20-24,000 Pipes, worunter 5000 Malvasier; jaehrliche Ausfuhr von Wein 8-9000 Pipes; Gesammt-Getreideernte des Archipels 54,000 Fanegas zu hundert Pfund. In gemeinen Jahren reicht diese Ernte aus zum Unterhalt der Einwohner, die grossentheils von Mais, Kartoffeln und Bohnen (_Frisoles_) leben. Der Anbau des Zuckerrohrs und der Baumwolle ist von geringem Belang, und die vornehmsten Handelsartikel sind Wein, Branntwein, Orseille und Soda. Bruttoeinnahme der Regierung, die Tabakspacht eingerechnet, 240,000 Piaster. Auf nationaloekonomische Eroerterungen ueber die Wichtigkeit der canarischen Inseln fuer die Handelsvoelker Europas lasse ich mich nicht ein. Ich beschaeftigte mich waehrend meines Aufenthalts zu Caracas und in der Havana lange mit statistischen Untersuchungen ueber die spanischen Colonien, ich stand in genauer Verbindung mit Maennern, die auf Teneriffe bedeutende Aemter bekleidet, und so hatte ich Gelegenheit, viele Angaben ueber den Handel von Santa Cruz und Orotava zu sammeln. Da aber mehrere Gelehrte nach mir die Canarien besucht haben, standen ihnen dieselben Quellen zu Gebot, und ich entferne ohne Bedenken aus meinem Tagebuch, was in Werken, die vor dem meinigen erschienen sind, genau verzeichnet steht. Ich beschraenke mich hier auf einige Bemerkungen, mit denen die Schildung, die ich vom Archipel der Canarien entworfen, geschlossen seyn mag. Es ergeht diesen Inseln, wie Egypten, der Krimm und so vielen Laendern, welche von Reisenden, welche in Contrasten Wirkung suchen, ueber das Maass gepriesen oder heruntergesetzt worden sind. Die einen schildern von Orotava aus, wo sie ans Land gestiegen, Teneriffa als einen Garten der Hesperiden; sie koennen das milde Klima, den fruchtbaren Boden, den reichen Anbau nicht genug ruehmen; andere, die sich in Santa Cruz aufhalten mussten, sahen in den glueckseligen Inseln nichts als ein kahles, duerres, von einem elenden, geistesbeschraenkten Volke bewohntes Land. Wir haben gefunden, dass die Natur auf diesem Archipelagus, wie in den meisten gebirgigen und vulkanischen Laendern, ihre Gaben sehr ungleich vertheilt hat. Die canarischen Inseln leiden im Allgemeinen an Wassermangel; aber wo sich Quellen finden, wo kuenstlich bewaessert wird oder haeufig Regen faellt, da ist auch der Boden ausnehmend fruchtbar. Das niedere Volk ist fleissig, aber es entwickelt seine Thaetigkeit ungleich mehr in fernen Colonien als auf Teneriffa selbst, wo dieselbe auf Hindernisse stoesst, die eine kluge Verwaltung allmaehlich aus dem Wege raeumen koennte. Die Auswanderung wird abnehmen, wenn man sich entschliesst, das unangebaute Grundeigenthum des Staats unter der Einwohnerschaft zu vertheilen, die Laendereien, welche zu den Majoraten der grossen Familien gehoeren, zu verkaufen und allmaehlich die Feudalrechte abzuschaffen. Die gegenwaertige Bevoelkerung der Canarien erscheint allerdings unbedeutend, wenn man sie mit der Bevoelkerung mancher europaeischen Laender vergleicht. Die Insel Madera, deren fleissige Bewohner einen fast von Pflanzenerde entbloessten Felsen bebauen, ist siebenmal kleiner als Teneriffa, und doch doppelt so stark bevoelkert; aber die Schriftsteller, die sich darin gefallen, die Entvoelkerung der spanischen Colonien mit so grellen Farben zu schildern und den Grund davon in der kirchlichen Hierarchie suchen, uebersehen, dass ueberall seit der Regierung Philipps V. die Zahl der Einwohner in mehr oder minder rascher Zunahme begriffen ist. Bereits ist auf den Canaren die Bevoelkerung relativ staerker als in beiden Castilien, in Estremadure und in Schottland. Alle Inseln zusammengerueckt stellen ein Gebirgsland dar, das um ein Siebentheil weniger Flaecheninhalt hat als die Insel Corsica und doch gleich viel Einwohner zaehlt. Obgleich die Inseln Fortaventura und Lancerota, die am schlechtesten bevoelkert sind, Getreide ausfuehren, waehrend Teneriffa gewoehnlich nicht zwei Drittheile seines Bedarfs erzeugt, so darf man doch daraus nicht den Schluss ziehen, dass auf letzterer Insel die Bevoelkerung aus Mangel an Lebensmitteln nicht zunehmen koennte. Die canarischen Inseln sind noch auf lange vor den Uebeln der Ueberbevoelkerung bewahrt, deren Ursachen Mathus so sicher und scharfsinnig entwickelt hat. Das Elend des Volks ist um vieles gelindert worden, seit der Kartoffelbau eingefuehrt ist und man angefangen hat mehr Mais als Gerste und Weizen zu bauen. Die Bewohner der Canarien sind ihrem Charakter nach ein Gebirgsvolk und ein Inselvolk zugleich. Will man sie richtig beurtheilen, muss man sie nicht nur in ihrer Heimath sehen, wo ihr Fleiss auf gewaltige Hemmnisse stoesst; man muss sie beobachten in den Steppen der Provinz Caracas, auf dem Ruecken der Anden, auf den gluehenden Ebenen der Philippinen, ueberall wo sie, einsam in unbewohnten Laendern, Gelegenheit finden die Kraft und die Thaetigkeit zu entwickeln, welcher der wahre Reichthum des Colonisten sind. Die Canarier gefallen sich darin, ihr Land als einen Theil des europaeischen Spaniens zu betrachten, und sie haben auch wirklich die castilianische Literatur bereichert. Die Namen Clavigo (Verfasser des *Pensador*), Viera, Yriarte und Betancourt sind in Wissenschaft und Literatur mit Ehren genannt; das canarische Volk besietzt die lebhafte Einbildungskraft, die den Bewohnern von Andalusien und Grenada eigen ist, und es ist zu hoffen, dass die glueckseligen Inseln, wo der Mensch wie ueberall die Segnungen und die harte Hand der Natur empfindet, dereinst einen eingebornen Dichter finden, der sie wuerdig besingt. ------------------ 10 Die Schwaeche der Lebenskraft zeigt sich an den Maulbeerbaeumen, die auf magerem sandigen Boden in der Naehe des baltischen Meeres gezogen werden. Die Spaetfroeste thun ihnen weit weher als den Maulbeerbaeumen in Piemont. In Italien bringt ein Frost von 5 Grad unter dem Gefrierpunkt kraeftige Orangenbaeume nicht um. Diese Baeume, die weniger empfindlich sind als Citronen, erfrieren nach Galesio erst bei -10 deg. der hunderttheiligen Scale. 11 Adanson wundert sich, dass die Baobabs nicht von andern Reisenden beschrieben worden seyen. Ich finde in der Sammlung des Grynaeus, dass schon Aloysio Cadamosto vom hohen Alter dieser ungeheuren Baeume spricht, die er im Jahr 1504 gesehen, und von denen er ganz richtig sagt: _"eminentia altitudinis non quadrat magnitudini." Cadam. navig. c. 42_. Am Senegeal und bei Praya auf den Cap Verdischen Inseln haben Adanson und Staunton Adansonien gesehen, deren Stamm 56 bis 60 Fuss im Umfang hatte. Den Baobab mit 34 Fuss Durchmesser hat Golberry im Thal der zwei Gagnack gesehen. 12 Ebenso verhaelt es sich mit den Platanen _(Platanus occidentalis)_, die Michaux zu Marietta am Ufer des Ohio gemessen hat und die 20 Fuss ueber dem Boden noch 15 7/10 Fuss im Durchmesser hatten. Die Taxus, die Kastanien, die Eichen, die Platanen, die kahlen Cypressen, die Bombax, die Mimosen, die Caesalpinen, die Hymenaeen und die Drachenbaeume sind, wie mir scheint, die Gewaechse, bei denen in verschiedenen Klimaten Faelle von so ausserordentlichem Wachsthum vorkommen. Eine Eiche, die zugelcih mit gallischen Helmen im Jahr 1809 in den Torfgruben im Departement der Somme beim Dorf Aseux, sieben Lieues von Abbeville, gefunden wurde, gibt dem Drachenbaum von Orotava in der Dicke nichts nach. Nach Angabe von Traullee hatt der Stamm der Eiche 14 Fuss Durchmesser. 13 Schousboue (Flora von Marocco) erwaehnt seiner nicht einmal unter den cultivirten Pflanzen, waehrend er doch vom Cactus, von der Agave und der Yucca spricht. Die Gestalt des Drachenbaumes kommt verschiedenen Arten der Gattung Dracaena am Cap der Guten Hoffnung, in China und auf Neuseeland zu; aber in der neuen Welt vertritt die Yucca die Stelle derselben; denn die _Dracaena borealis_ d'Aitons ist eine _Convallaria_, deren Habitus sie auch hat. Der im Handel unter dem Namen Drachenblut bekannte adstringierende Saft kommt nach unseren Untersuchungen an Ort und Stelle von verschiedenen amerikanischen Pflanzen, die nicht derselben Gattung angehoeren, unter denen sich einige Lianen befinden. In Laguna verfertigt man in Nonnenkloestern Zahnstocher, die mit dem Saft des Drachenbaumes gefaerbt sind, und die man uns sehr anpries, weil sie das Zahnfleische conserviren sollten. 14 Diese Benennung war schon zu Anfang des vorigen Jahrhunderts im Brauch. Edens, der alle spanischen Woerter verdreht, wie noch heute die meisten Reisenden, nennt sie *Stancha*; es ist Bordas *Station des rochers*, wie aus den daselbst beobachteten Barometerhoehen hervorgeht. Diese Hoehen waren nach Cordier im Jahr 1803 19 Zoll 9,5 Linien, und nach Borda und Varela im Jahr 1776 19 Zoll 9,8 Linien, waehrend er Barometer zu Orotava bis auf eine Linie ebenso hoch stand. 15 In den meisten Erdhoehlen, z. B. in der von Saint George, zwischen Riort und Rolle, bildet sich an den Kalksteinwaenden selbst im Sommer eine duenne Schichte durchsichtigen Eises. Pictet hat die Beobachtung gemacht, dass der Thermometer alsdann in der Luft der Hoehle nicht unter 2 - 3 deg. steht, so dass man das Frieren des Wassers einer oertlichen, sehr raschen Verdunstung zuzuschreiben hat. 16 In der Rechung wurden fuer 91 deg. 54' scheinbaren Abstands vom Zenith 57' 7" Refraction angenommen. Die Sonne erscheint bei ihrem Aufgang auf dem Pic von Teneriffa um so viel frueher, als sie braucht, um einen Bogen von 1 deg. 54' zurueckzulegen. Fuer den Gipfel des Chimborazo nimmt dieser Bogen nur um 41' zu. Die Alten hatten so uebertriebenen Vorstellungen von der Beschleunigung des Sonnenaufgangs auf dem Gipfel hoher Berge, dass sie behaupteten, die Sonne sey auf dem Berg Athos drei Stunden frueher sichtbar, als am Ufer des aegeischen Meeres. (Strabo Buch VII.) Und doch ist der Athos nach Delambre nur 713 Toisen hoch. 17 Diese Frage ist mit grossem Scharfsinn von Breislack in seiner _Introduzzione alle Geologia_ eroertert. Der Cotopaxi und der Popocatepetl, die ich im Jahr 1804 Rauch und Asche auswerfen sah, liegen weiter vom grossen Ocean und dem Meere der Antillen als Grenoble vom Mittelmeer und Orleans vom atlantischen Meer. Man kann es allerdings nicht als einen blossen Zufall ansehen, dass man keinen thaetigen Vulkan entdeckt hat, der ueber 40 Seemeilen von der Meereskueste laege; aber die Hypothese, nach der das Meerwasser von den Vulkanen aufgesogen, destillirt und zersetzt wuerde, scheint mit sehr zweifelhaft. 18 Von allen kleinen canarischen Inseln ist nur die Rocca del Este vom Pic auch bei hellem Wetter nicht zu sehen. Sie liegt 3 deg.,5 ab, Salvage dagegen nur 2 deg. 1'. Die Insel Madera, die 4 deg. 29' entfernt ist, waere nur dann zu sehen, wenn ihre Berge ueber 3000 Toisen hoch waeren. 19 "_La refraction de par todo._" Wir haben schon oben bemerkt, dass die amerikanischen Fruechte, welche das Meer haeufig an die Kuesten von Ferro und Gomera wirft, frueher fuer Gewaechse der Insel San Borondon gehalten wurden. Dieses Land, das nach der Volkssage von einen Erzbischof und sechs Bischoefen regiert wurde, und das, nach Pater Feijoos Ansicht, das auf einer Nebelschicht projicirte Bild der Insel Ferro ist, wurde im sechzehnten Jahrhundert vom Koenig von Portugal Ludwig Perdigon geschenkt, als dieser sich zur Eroberung desselben ruestete. 20 Nach Odonell und Armstrong stand auf dem Gipfel des Pics am 2. August 1806 um acht Uhr Morgnes der Thermometer im Schatten auf 13 deg.,8, in der Sonne auf 20 deg.,5; Unterschied oder Wirkung der Sonne: 6 deg.,7. 21 Im Merz 1805 fingen Gay-Lussac und ich beim Hospiz auf dem Mont Cenis in einer stark elektrisch geladenen Wolke Luft auf und zerlegten sie im Volta´schen Eudometer. Sie enthielt keinen Wasserstoff und nicht um 0,002 weniger Sauerstoff als die Pariser Luft, die wir in hermetisch verschlossenen Flaschen bei uns hatten. 22 Da viele Reisende, welche bei Santa Cruz de Teneriffa anlegen, die Besteigung des Pics unterlassen, weil sie nicht wissen, wie viel Zeit man dazu braucht, so sind die folgenden Angaben wohl nicht unwillkommen. Wenn man bis zum Haltpunkt der Englaender sich der Maulthiere bedient, braucht man von Orotava aus zur Besteigung des Pics und zur Rueckkehr in den Hafen 21 Stunden; naemlich von Orotava zum Pino del Dornajito 3 Stunden, von da zur Felsenstation 6, von da nach der Caldera 3 1/2. Fuer die Rueckkehr rechne ich 9 Stunden. Es handelt sich dabei nur von der Zeit, die man unterwegs zubringt, keineswegs von der, die man auf die Untersuchung der Produkte des Pic oder zum Ausruhen verwendet. In einem halben Tag gelangt man von Santa Cruz de Teneriffa nach Orotava. 23 Auf dieser Insel sah der carthaginensische Feldherr zum erstenmal eine grosse menschenaehnliche Affenart, die Gorillas. Er beschreibt sie als durchaus behaarte Weiber, und als hoechst boesartig, weil sie sich mit Naegeln und Zaehnen wehrten. Er ruehmt sich, ihrer drei die Haut abgezogen zu haben, um sie mitzunehmen. Gosselin verlegt die Insel der Gorillas an die Muendung des Flusses Nun, aber nach dieser Annahme muesste der Sumpf, in dem Hanno eine Menge Elephanten weiden sah, unter 351/2 Grad Breite liegen, beinahe am Nordende von Afrika. _ 24 Aristoteles, Mirab. Auscultat._ Solinus sagt vom Atlas: _vertex semper nivalis lucet nocturnis ignibus_; aber dieser Atlas ist gleich dem Berge Meru der Hindus ein aus richtigen Begriffen und mythischen Fictionen zusammengesetztes Ding, und lag nicht auf einer der hesperischen Inseln, wie Abbe Viera und nach ihm verschiedene Reisende annehmen, die den Pic von Teneriffa beschreiben. Die folgenden Stellen lassen keinen Zweifel hierueber: Herodot IV, 184. Strabo XVII. Mela III, 10. Plinius V, 1. Solinus I, 24, sogar Diodor von Sicilien III. 25 Der Berg hiess auch *Aya-dyrma*, in welchem Wort Horn (_de Origin. Americ. p._ 155 und 185) den alten Namen des Atlas findet, der nach Strabo, Plinius und Solinus *Dyris* war. Diese Ableitung ist hoechst zweifelhaft; lagt man auf die Vokale mehr Werth, als sie bei den orientalischen Voelkern haben, so findet man *Dyris* fast ganz in *Daran*, wie die arabischen Geographen den oestlichen Theil des Atlasgebirges nennen. _ 26 Non silendum puto de insula Teneriffa quae et eximie colitur et inter orbis insulas est eminentior. Nam coelo sereno eminus conspicitur, adeo ut qui absunt ab ea ad leucas hispanas sexaginta vel septuaginta, non difficulter eam intueantur. Quod cernatur a longe id efficit acuminatus lapis adamantinus, instar pyramidis, in medio. Qui metiti sunt lapidem ajunt altitudine leucarum quindecim mensuram excedere ab imo ad summum verticem. Is lapis jugiter flagrat, instar Aetnae montis; id affirmant nostri Christiani qui capti aliquando haec animadvertere. __Al. Cadamusti__ Navigatio ad terras incognitas c. 8._ 27 Obgleich der Pic von Teneriffa sich nur in den Wintermonaten mit Schnee bedeckt, koennte der Vulkan doch die seiner Breite entsrpechende Schneegrenze erreichen, und wenn er Sommers ganz schneefrei ist, so koennte diess nur von der freien Lage des Berges in der weiten See, von der Haeufigkeit aufsteigender sehr warmer Winde oder von der hohen Temperatur der Asche des Piton herruehren.. Beim gegenwaertigen Stand unserer Kenntnisse lassen sich diese Zweifel nicht heben. Vom Parallel der Berge Mexicos bis zum Parallel der Pyrenaeen und der Alpen, zwischen dem 20. und dem 45. Grad ist die Curve des ewigen Schnees durch keine direkte Messung bestimmt worden, und da sich durch die wenigen Punkte, welche uns unter 0 deg., 20 deg., 45 deg., 62 deg. und 71 deg. noerdlicher Breite bekannt sind, unendliche viele Curven ziehen lassen, so kann die Beobachtung nur sehr mangelhaft durch Rechnung ergaenzt werden. Ohne es bestimmt zu behaupten, kann man als wahrscheinlich annehmen, dass unter 28 deg. 17' die Schneegrenze ueber 1900 Toisen liegt. Vom Auquator an, wo der Schnee mit 2460 Toisen, also etwa in der Hoehe des Montblanc beginnt, bis zum 20. Breitegrad, also bis zur Grenze des heissen Erdstrichs, rueckt der Schnee nur 100 Toisen herab; laesst sich demnach annehmen, dass 8 Grad weiter in einem Klima, das fast noch durchaus als ein tropisches erscheint, der Schnee schon 400 Toisen tiefer stehen sollte? Selbst vorausgesetzt, der Schnee rueckte vom 20. bis zum 45. Breitegrad in arithmetischer Progression herab, was den Beobachtungen widerspricht, so finge der ewige Schnee unter der Breite des Pic erst bei 2050 Toisen ueber der Meeresflaeche an, somit 550 Toisen hoeher als in den Pyrenaeen und in der Schweiz. Dieses Ergebniss wird noch durch andere Beobachtungen unterstuetzt. Die mittlere Temperatur der Luftschicht, mit der der Schnee im Sommer in Beruehrung kommt, ist in den Alpen ein paar Grad unter, unter dem Aequator ein paar Grad ueber dem Gefrierpunkt. Angenommen, unter 281/2 Grad sey die Temperatur gleich Null, so ergibt sich nach dem Gesetz der Waermeabnahme, auf 98 Toisen einen Grad gerechnet, das der Schnee in 2058 Toisen ueber einer Ebene mit einer mittleren Temperatur von 21 deg., wie sie der Kueste von Teneriffa zukommt, lieben bleiben muss. Diese Zahl stimmt fast ganz mit der, welche sich bei der Annahme einer arithmetischen Progression ergibt. Einer der Hochgipfel der Sierra de Nevada de Grenada, der Pico de Beleta, dessen absolute Hoehe 1781 Toisen betraegt, ist bestaendig mit Schnee bedeckt; da aber die untere Grenze des Schnees hier nicht gemessen worden ist, so traegt dieser Berg, der unter 37 deg. 10' der Breite liegt, zur Loesung des vorliegenden Problems nichts bei. Durch die Lage des Vulkans von Teneriffa mitten auf einer nicht grossen Insel kann die Curve des ewigen Schnees schwerlich hinaufgeschoben werden. Wenn die Winter auf Inseln weniger streng sind, so sind dagegen auch die Sommer weniger heiss, und die Hoehe des Schnees haengt nicht sowohl von der ganzen mittleren Jahrestemperatur als vielmehr von der mittlere Waerme der Sommermonate ab. Auf dem Aetna beginnt der Schnee schon bei 1500 Toisen oder selbst etwas tiefer, was bei einem unter 371/2 deg. der Breite gelegenen Gipfel ziemlich auffallend erscheint. In der Naehe des Polarkreises, wo die Sommerhitze durch den fortwaehrend aus dem Meere aufsteigenden Nebel gemildert wird, zeigt sich der Unterschied zwischen Inseln oder Kuesten und dem inneren Lande hoechst auffallend. Auf Island z. B. ist auf dem Osterjoeckull, unter 65 deg. der Breite, die Grenze des ewigen Schnees in 482, in Norwegen dagegen, unter 67 deg., fern von der Kueste in 600 Toisen Hoehe, und doch sind hier die Winter ungleich strenger, folglich die mittlere Jahrestemperatur geringer als in Island. Nach diesen Angaben erscheint es als wahrscheinlich, dass Bouquer und Saussure im Irrthum sind, wenn sie annehmen, dass der Pic von Teneriffa die untere Grenze des ewigen Schrees erreiche. Unter 28 deg. 17' der Breite ergeben sich fuer diese Grenze wenigstens 1950 Toisen, selbst wenn man sie zwischen dem Aetna und den Bergen von Mexico durch Interpolation berechnet. Dieser Punkt wird vollstaendig ins Reine gebracht werden, wenn einmal der westliche Theil des Atlas gemessen ist, wo bei Marocco unter 311/2 Grad Breite ewiger Schnee liegt. _ 28 Pinus halepensis._ Nach de Candolles Bemerkung hiesse diese Fichte, die in Portugal fehlt und am Abhang von Frankreicht und Spanien gegen das Mittelmeer in Italien, in Kleinasien und in der Barbarei vorkommt besser _Pinus mediterranea._ Sie ist der herrschende Baum in den Fichtenwaeldern des suedoestlichen Frankreichs, wo sie von Gonan und Gerard mit der _Pinus sylvestris_ verwechselt worden ist. 29 Willdenow und ich haben unter den Pflanzen vom Pic von Teneriffa das schoene _Satyrium diphyllum_ (_Orchis cordata, Willd._) erkannt, die Link in Portugal gefunden. Die Canarien haben nicht die _Dicksonia Culcita_, den einzigen Baumfarn, der unter 39 deg. der Breite vorkommt, wohl aber _Asplenium palmatun_ und _Myrica Faya_ mit der Flora der Azoren gemein. Letzterer Baum findet sich in Portugal wild, Hofmannsegg hat sehr alte Staemme gesehen, es bleibt aber zweifelhaft, ob er in diesen Theil unseres Continents einheimisch oder eingefuehrt ist. Denkt man ueber die Wanderungen der Gewaechse nach zieht man in Betracht, dass es geologisch moeglich ist, dass Portugal, die Azoren, die Canarien und die Atlaskette einst durch nunmehr im Meer versunkene Laender zusammengehangen habe, so erscheint das Vorkommen der _Myrica Facya_ im westlichen Europa zum mindestens ebenso auffallend, als wenn die Fichte von Aleppe auf den Azoren vorkaeme. 30 Nach Vaters Untersuchungen zeigt die Sprache der Guanchen folgende Aehnlichkeiten mit den Sprachen weit aus einander gelegener Voelker: Hund bei den Huronen in Amerika _aguienon_, bei den Guanchen aguyan; *Mensch* bei den Peruanern _cari_, bei den Guanchen _coran_; *Koenig* bei den Mandingos in Afrika _monso_, bei den Guanchen _monsey_. Der Name der Insel Gomera kommt um Worte Gomer zum Vorschein, das der Name eines Berberstammes ist. (*Vater*, Untersuchungen ueber Amerika, S. 170.) Die Guanchischen Worte _alcorac_, Gott, und _almogaron_, Tempel, scheinen arabischen Ursprungs, wenigstens bedeutet in letzterer Sprache _almoharram_ *heilig*. DRITTES KAPITEL Ueberfahrt von Teneriffa an die Kueste von Suedamerika -- Ankunft in Cumana Am 25. Juni Abends verliessen wir die Rhede von Santa Cruz und schlugen den Weg nach Suedamerika ein. Es wehte stark aus Nordost und das Meer schlug in Folge der Gegenstroemungen kurze gedraengte Wellen. Die canarischen Inseln, auf deren hohen Bergen ein roethlicher Duft lag, verloren wir bald aus dem Gesicht. Nur der Pic zeigte sich von Zeit zu Zeit in Blinken, wahrscheinlich, weil der in der hohen Luftregion herrschende Wind dann und wann die Wolken um den Piton verjagte. Zum erstenmal empfanden wir, welchen lebhaften Eindruck der Anblick von Laendern an der Grenze des heissen Erdguertels, wo die Natur so reich, so grossartig und so wundervoll auftritt, auf unser Gemueth macht. Wir hatten nur kurze Zeit auf Teneriffa verweilt, und doch schieden wir von der Insel, als haetten wir lange dort gelebt. Unsere Ueberfahrt von Santa Cruz nach Cumana, dem oestlichsten Hafen von Terra Firma, war so schoen als je eine. Wir schnitten den Wendekreis des Krebses am 27., und obgleich der *Pizarro* eben kein guter Segler war, legten wir doch den neunhundert Meilen [4050 km] langen Weg von Kueste von Afrika zur Kueste der neuen Welt in zwanzig Tagen zurueck. Wir fuhren auf 50 Meilen [225 km] westwaerts am Vorgebirge Bojador, am weissen Vorgebirge und an den Inseln des gruenen Vorgebirges vorueber. Ein paar Landvoegel, der der starke Wind auf die hohe See verschlagen, zogen uns einige Tage nach. Haetten wir nicht unsere Laenge mittelst der Seeuhren genau gekannt, so waeren wir versucht gewesen zu glauben, wir seyen ganz nahe der afrikanischen Kueste. Unser Weg war derselbe, den seit Kolumbus erster Reise alle Fahrzeuge nach den Antillen einschlagen. Vom Parallel von Madera bis zum Wendekreis nimmt dabei die Breite rasch ab, waehrend man an Laenge fast nichts zulegt; hat man die Zone des bestaendigen Passatwindes erreicht, so faehrt man von Ost nach West auf einer ruhigen, friedlichen See, die bei den spanischen Seefahrern _el Golfo de las Damas_ heisst. Wie alle, welche diese Striche befahren, machten auch wir die Beobachtung, dass, je weiter man gegen Westen rueckt, der Passat, der Anfangs Ost-Nord-Ost war, immer mehr Ostwind wird. Hadley(31) hat in einer beruehmten Abhandlung die Theorie des Passats entwickelt, wie sie gemeiniglich angenommen ist, aber die Erscheinung ist eine weit verwickeltere, als die meisten Physiker glauben. Im atlantischen Ocean ist die Laenge wie die Abweichung der Sonne von Einfluss auf die Richtung und die Grenzen der Passatwinde. Dem neun Continent zu gehen sie in beiden Halbkugeln 8 bis 9 Grad ueber den Wendekreis hinauf, waehrend in der Naehe von Afrika die veraenderlichen Winde weit ueber den 28. oder 27. Grad hinunter herrschen. Es ist im Interesse der Meteorologie und der Schifffahrt zu bedauern, dass die Veraenderungen, denen die Luftstroemungen unter den Tropen im stillen Ocean unterliegen, weit weniger bekannt sind als das Verhalten derselben Stroeme in einem engeren Meeresbecken, wo die nicht weit auseinander liegenden Kuesten von Guinea und Brasilien ihre Einfluesse geltend machen. Die Schiffer wissen seit Jahrhunderten, dass im atlantischen Ocean der Aequator nicht mit der Linie zusammenfaellt, welche die Passatwinde aus Nordort und die aus Suedost scheidet. Diese Linie liegt, nach Hadley richtiger Beobachtung, unter dem 3. bis 4. Grad noerdlicher Breite, und wenn ihre Lage daher ruehrt, dass die Sonne in der noerdlichen Halbkugel laenger verweilt, so weist sie darauf hin, dass die Temperaturen der beiden Halbkugeln [Nimmt man mit Aepinus an, dass die suedliche Halbkugel nur um 1/14 kaelter ist als die noerdliche, so ergibt die Rechnung fuer die noerdliche Grenze des Ost-Sued-Ost-Passats 1 deg. 28'.] sich verhalten wie 11 zu 9. In der Folge, wenn von der Luft ueber der Suedsee die Rede ist, werden wir sehen, dass westwaerts von Amerika der Suedost-Passat nicht so weit ueber den Aequator hinausreicht als im atlantischen Ocean. Der Unterschied in der Luftstroemung dem Aequator zu vom einen und vom andern Pol her kann ja nicht unter allen Laengengraden derselbe seyn, das heisst auf Punkten der Erdkugel, wo die Festlaender sehr verschieden breit sind und sich mehr oder minder weit gegen die Pole erstrecken. Es ist bekannt, dass auf der Ueberfahrt von Santa Cruz nach Cumana, wie von Acapulco nach den Philippinen, die Matrosen fast keine Hand an die Segel zu legen brauchen. Man faehrt in diesen Strichen, als ginge es auf einem Flusse hinunter, und es ist zu glauben, dass es kein gewagtes Unternehmen waere, die Fahrt mit einer Schaluppe ohne Verdeck zu machen. Weiter westwaerts aber, an der Kueste von St. Marta und im Meerbusen von Mexico weht der Wind sehr stark und macht die See sehr unruhig.(32) Je weiter wir uns von der afrikanischen Kueste entfernten, desto schwaecher wurde der Wind; oft blieb er einige Stunden ganz aus, und diese Windstillen wurden regelmaessig durch elektrische Erscheinungen unterbrochen. Schwarze, dichte, scharf umrissene Wolken zogen sich im Ost zusammen; man konnte meinen, es sey eine Boe im Anzug und man werde die Marssegel einreffen muessen, aber nicht lange, so erhob sich der Wind wieder, es fielen einige schwere Regentropfen und das Gewitter verzog sich, ohne dass man hatte donnern hoeren. Es war interessant, waehrend dessen die Wirkung schwarzer Wolken zu beobachten, die einzeln und sehr tief durch das Zenith liefen. Man spuerte, wie der Wind allmaehlig staerker oder schwaecker wurde, je nachdem die kleinen Haufen von Dunstblaeschen sich naeherten oder entfernten, ohne dass die Elektrometer mit langer Metallstange und brennendem Docht in den untern Luftschichten eine Aenderung in der elektrischen Spannung anzeigten. Mittels solcher kleinen, mit Windstillen wechselnden Boeen gelangt man in den Monaten Juni und Juli von den canarischen Inseln nach den Antillen oder an die Kuesten von Suedamerika. Im heissen Erdstrich loesen sich die meteorologischen Vorgaenge aeusserst regelmaessig ab, und das Jahr 1803 wird in den Annalen der Schifffahrt lange denkwuerdig bleiben, weil mehrere Schiffe, die von Cadix nach Cumana gingen, unter 14 deg. der Laenge und 48 deg. der Breite umlegen mussten, weil mehrere Tage lang ein heftiger Wind aus Nord-Nord-West blies. Welch bedeutende Stoerung im regelmaessigen Lauf der Luftstroemungen muss man annehmen, um sich von einem solchen Gegenwind Rechenschaft zu geben, der ohne Zweifel auch den regelmaessigen Gang des Barometers in seiner stuendlichen Schwankung gestoert haben wird! Einige spanische Seefahrer haben neuerlich einen andern Weg nach den Antillen und zur Kueste von Terra Firma als den von Christoph Columbus zuerst eingeschlagenen zur Sprache gebracht. Sie schlagen vor, man sollte nicht gerade nach Sued steuern, um den Passat aufzusuchen, sondern auf einer Diagonale zwischen Cap St. Vincent und Amerika in Laenge und Breite zugleich vorruecken. Dieser Weg, der die Fahrt abkuerzt, da man den Wendekreis etwa 20 deg. westwaerts vom Punkte schneidet, wo ohn die Schiffe gewoehnlich schneiden, ist von Admiral Gravina mehreremale mit Glueck eingeschlagen worden. Dieser erfahrene Seemann, der in der Schlacht von Trafalgar einen ruehmlichen Tod fand, kam im Jahr 1802 auf diesem schiefen Wege mehrere Tage vor der franzoesischen Flotte nach St. Domingo, obgleich er zufolge eines Befehls des Madrider Hofs mit seinem Geschwader im Hafen von Ferrel hatte einlaufen und sich dort eine Zeitlang aufhalten muessen. Diese neue Verfahren kuerzt die Ueberfahrt von Cadix nach Cumana etwa um ein Zwanzigtheil ab; da man aber erst unter dem 40. Grad der Laenge die Tropen betritt, so laeuft man Gefahr, laenger mit den veraenderlichen Winden zu thun zu haben, die bald aus Sued, bald aus Suedwest blasen. Beim alten Verfahren wird der Nachtheil, dass man einen laengeren Weg macht, dadruch ausgeglichen, dass man sicher ist, in den Passat zu gelangen und ihn auf einem groesseren Stueck der Ueberfarht benuetzen zu koennen. Waehrend meines Aufenthalt in den spanischen Colonien sah ich mehrere Kauffahrer an kommen, die aus Furcht vor Kapern den schiefen Weg eingeschlagen hatten und ausnehmend rasch heruebergekommen waren; nur nach wiederholten Versuchen wird man sich bestimmt ueber einen Punkt aussprechen koennen, der zum mindesten so wichtig ist als die Wahl des Meridians, auf dem man bei der Fahrt nach Buenos Ayres oder Cap Horn den Aequator schneiden soll. Nichts geht ueber die Pracht und die Milde des Klimas im tropischen Weltmeer. Waehrend der Passatwind stark blies, stand der Thermometer bei Tage auf 23-24 Grad, bei Nacht zwischen 22 und 22,5. Um den Reiz dieser gluecklichen Erdstriche in der Naehe des Aequators voll zu empfinden, muss man in rauher Jahreszeit von Acapulco oder von den Kuesten von Chili nach Europa gesegelt haben. Welcher Abstand zwischen den stuermischen Meeren in noerdlichen Breiten und diesen Strichen, wo in der Natur ewige Ruhe herrscht! Wenn die Rueckfahrt aus Mexiko oder Suedamerika nach den spanischen Kuesten zu kurz und so angenehm waere als die Reise aus der alten in die neue Welt, so waere die Zahl der Europaeer, die sich in den Kolonien niedergelassen, lange nicht so gross, als sie jetzt ist. Das Meer, in dem die Azoren und die Bermuden liegen, durch das man kommt, wenn man in hohen Breiten nach Europa zurueckfaehrt, fuehrt bei den Spanier den seltsamen Namen _Golfe de las Yeguas_. [Der Meerbusen der Stuten.] Colonisten, die an die See nicht gewoehnt sind, und lange einsam in den Waeldern von Guyana, in den Savanen von Caracas oder auf den Cordilleren von Peru gelebt haben, fuerchten sich vor dem Seestrich bei den Bermuden mehr als jetzt die Bewohner von Lima vor der Fahrt um Cap Horn. Sie uebertreiben in der Einbildung die Gefahren einer Ueberfahrt, die nur im Winter bedenktlich ist. Sie verschieben es von Jahr zu Jahr, ein Vorhaben auszufuehren, das ihnen gewagt erscheint, und meist ueberrascht sie der Tod, waehrend sie sich zur Rueckreise ruesten. Noerdlich von den Inseln des Gruenen Vorgebirges stiessen wir auf grosse Buendel schwimmenden Tangs. Es war die tropische Seetraube, _Fucus natans_, die nur bis zu 40 deg. noerdlicher und suedlicher Breite auf dem Gestein unter dem Meeresspiegel waechst. Diese Algen schienen hier, wie suedwestlich von der Bank von Neufoundland, das Vorhandenseyn der Stroemungen anzuzeigen. Die Seestriche, wo viel einzelner Tag vorkommt, und die mit Seegewaechsen bedeckten Strecken, welche Columbus mit grossen Wiesen vergleicht und die der Mannschaft der Santa Maria unter 42 deg. der Laenge Schrecken einjagten, sind nicht mit einander zu verwechseln. Durch die Vergleichung vieler Schiffstagebuecher habe ich mich ueberzeugt, dass es im Becken des noerdlichen Atlantischen Oceans zwei solcher mit Algen bedeckten Strecken gibt, die nichts miteinander zu tun haben. Die groesste derselben(33) liegt etwas westlich vom Meridian von Fayal, einer der azorischen Inseln, zwischen 35 und 36 deg. der Breite. Die Meerestemperatur betraegt in diesem Strich 16 bis 20 Grad, und die Nordostwinde, die dort zuweilen sehr stark sind, treiben schwimmende Tanginseln in tiefe Breiten, bis zum 24., ja bis zum 20. Grad. Die Schiffe, die von Montevideo und vom Kap der guten Hoffnung nach Europa zurueckfahren, kommen ueber diese Fucusbank, die nach den spanischen Schiffern von den kleinen Antillen und von den canarischen Inseln gleich weit entfernt ist; die Ungeschicktesten koennen darnach ihre Laenge berichtigen. Die zweite Fucusbank ist wenig bekannt; sie liegt unter 22 und 26 deg. der Breite, 80 Seemeilen [148 km] westlich vom Meridian der Bahamainseln, und ist von weit geringerer Ausdehnung. Man stoesst auf sie auf der Fahrt von den Caycosinseln nach den Bermuden. Allerdings kennt man Tangarten mit 800 Fuss [260 m] langen Stengeln [_Fucus giganteus_, _Forster_ oder _Laminaria pyrifera_, _Lamouroux_.], und diese Cryptogamen der hohen See wachsen sehr rasch; dennoch ist kein Zweifel darueber, dass in den oben beschriebenen Strichen die Tange keinesweg am Meeresboden haften, sondern in einzelnen Buendeln auf dem Wasser schwimmen. In diesem Zustand koennen diese Gewaechse nicht viel laenger fortvegetiren als ein vom Stamm abgerissener Baumast. Will man sich Rechenschaft davon geben, wie es kommt, dass bewegliche Massen sich seit Jahrhunderten an denselben Stellen befinden, so muss man annehmen, dass sie vom Gestein 73 bis 92 m unter der Meeresflaeche herkommen und der Nachwuchs fortwaehrend wieder ersetzt, was die tropische Stroemung wegreisst. Diese Stroemung fuehrt die tropische Seetraube in hohe Breiten, an die Kuesten von Norwegen und Frankreich, und die Algen werden suedwaerts von den Azoren keineswegs vom *Golfstrom* zusammengetrieben, wie manche Seeleute meinen. Es waere zu wuenschen, dass die Schiffer in diesen mit Pflanzen bedeckten Strichen haeufiger das Senkblei auswaerfen; man versichert, hollaendische Seeleute haben mittelst Leinen aus Seidenfaeden zwischen der Bank von Neufoundland und der schottischen Kueste eine Reihe von Untiefen gefunden. Wie und wodurch die Algen in Tiefen, in denen nach der allgemeinen Annahme das Meer wenig bewegt ist, losgerissen werden, darueber ist man noch nicht im Klaren. Wir wissen nur nach den schoenen Beobachtungen von Lamouroux, dass die Algen zwar vor der Entwicklung ihrer Fructificationen ausnehmend fest am Gestein haengen, dagegen nach dieser Zeit oder in der Jahreszeit, wo bei ihnen wie bei den Landpflanzen die Vegetation stockt, sehr leicht abzureissen sind. Fische und Weichthiere, welche die Stengel der Tange benagen, moegen wohl auch dazu beitragen, sie von ihren Wurzeln zu loesen. Vom 22. Breitengrad an fanden wir die Meeresflaeche mit fliegenden Fischen [_Exocoetus volitans._] bedeckt; sie schnellten sich fuenfzehn, ja achtzehn Fuss [4,5, ja 6 m] in die Hoehe und fielen auf den Oberlauf nieder. Ich scheue mich nicht, hier gleichfalls einen Gegenstand zu beruehren, von dem die Reisenden so viel sprechen, als von Delphinen und Haifischen, von der Seekrankheit und dem Leuchten des Meeres. Alle diese Dinge bieten den Physikern noch lange Stoff genug zu anziehenden Beobachtungen, wenn sie sich ganz besonders damit beschaeftigen. Die Natur ist eine unerschoepfliche Quelle der Forschung, und im Mass, als die Wissenschaft vorschreitet, bietet sie dem, der sie recht zu befragen weiss, immer wieder eine neue Seite, von der er sie bis jetzt nicht betrachtet hatte. Ich erwaehne der fliegenden Fische, um die Naturkundigen auf die ungeheure Groesse ihrer Schwimmblase aufmerksam zu machen, die bei einem 6,4 Zoll langen Fisch 3,6 Zoll lang und 0,9 breit ist und 31/2 Kubikzoll [60 ml] Luft enthaelt. Die Blase nimmt ueber die Haelfte vom Koerperinhalt des Thieres ein, und traegt somit wahrscheinlich dazu bei, dass es so leicht ist. Man koennte sagen, dieser Luftbehaelter diese ihm vielmehr zum Fliegen als zum Schwimmen, denn die Versuche, die Provenzal und ich angestellt, beweisen, dass dieses Organ selbst bei den Arten, die damit versehen sind, zu der Bewegung an die Wasserflaeche herauf nicht durchaus nothwendig ist. Bei einem jungen 5,0 Zoll langen Exocoetus bot jede der Brustflossen, die als Fluegen diesen, der Luft bereits eine Oberflaeche von 3 7/10 Quadratzoll dar. Wir haben gefunden, dass die neun Nervenstraenge, die zu den zwoelf Strahlen dieser Flossen verlaufen, fast dreimal dicker sind als die Nerven der Bauchflossen. Wenn man die ersteren Nerven galvanisch reizt, so gehen die Strahlen, welche die Haut der Brustflossen tragen, fuenfmal kraeftiger auseinander, als die der andern Flossen, wenn man sie mit denselben Metallen galvanisirt. Der Fisch kann sich ab er auch zwanzig Fuss [6,5 m] weit wagrecht fortschnellen, ehe er mit der Spitze seiner Flossen die Meeresflaeche wieder beruehrt. Man hat diese Bewegung und die eines flachen Steines, der auffallend und wieder abprallend ein paar Fuss hoch ueber die Wellen huepft, ganz richtig zusammengestellt. So ausnehmend rasch die Bewegung ist, kann man doch deutlich sehen, dass das Thier waehrend des Sprungs die Luft schlaegt, das heisst, dass es die Brustflossen abwechselnd ausbreitet und einzieht. Dieselbe Bewegung beobachtet man am fliegenden Seescorpion auf den japanischen Fluessen, der gleichfalls eine grosse Schwimmblase hat, waehrend sie den meisten Seescorpionen, die nicht fliegen, fehlt [_Scorpaena porcus_, _S. scrofa_, _S. dactyloptera_, Delaroche.]. Die Exocoetus koennen, wie die meisten Kiementhiere, ziemlich lange und mittelst derselben Organe im Wasser und in der Luft athmen, das heisst der Luft wie dem Wasser den darin enthaltenen Sauerstoff entziehen. Sie bringen einen grossen Theil ihres Lebens in der Luft zu, aber ihr elendes Leben wird ihnen dadurch nicht leichter gemacht. Verlassen sie das Meer, um den gefraessigen Goldbrassen zu entgehen, so begegnen sie in der Luft den Fregatten, Albatrossen und andern Voegeln, die sie im Flug erschnappen. So werden an den Ufern des Orinoco Rudel von Cabiais, [_Cavia Capybara._ L.] wenn sie vor den Krokodilen aus dem Wasser fluechten, am Ufer die Beute der Jaguars. Ich bezweifle indessen, dass sich die fliegenden Fische allein um der Verfolgung ihrer Feinde zu entgehen, aus dem Wasser schnellen. Gleich den Schwalben schiessen sie zu Tausenden Fort, gerade aus und immer gegen die Richtung der Wellen. In unsern Himmelsstrichen sieht man haeufig am Ufer eines klaren, von der Sonne beschienenen Flusses einzeln stehende Fische, die somit nichts zu fuerchten haben koennen, sich ueber die Wasserflaeche schnellen, als machte es ihnen Vergnuegen, Luft zu athmen. Warum sollte dieses Spiel nicht noch haeufiger und laenger bei den Exocoetus vorkommen, die vermoege der Form ihrer Brustflossen und ihres geringen specifischen Gewichtes sich sehr leicht in der Luft halten? Ich fordere die Forscher auf, zu untersuchen, ob andere fliegende Fische, z. B. _Exocoetus exiliens_, _Trigla volitans_ und _T. horundo_ auch so grosse Schwimmblasen haben wie der tropische Exocoetus. Dieser geht mit dem warmen Wasser des Golfstroms nach Norden. Die Schiffsjungen schneiden ihm zum Spass ein Stueck der Brustflossen ab und behaupten, diese wachsen wieder, was mir mit den bei andern Fischfamilien gemachten Beobachtungen nicht zu stimmen scheint. Zur Zeit, da ich von Paris abreiste, hatten die Versuche, welche _Dr._ Broddelt in Jamaica mit der Luft in der Schwimmblase des Schwertfisches angestellt, einige Physiker zur Annahme veranlasst, dass unter den Tropen dieses Organ bei den Seefischen reines Sauerstoffgas enthalte. Auch ich hatte diese Vorstellung, und so war ich ueberrascht, als ich in der Schwimmblase des Exocoetus nur 0,04 Sauerstoff auf 0,94 Stickstoff und 0,02 Kohlensaeure fand. Der Antheil des letzteren Gases, der mittelst der Absorption durch Kalkwasser in graduirten Roehren gemessen wurde, [Anthracometer, gekruemmte Roehren mit einer grossen Kugel.] schien constanter als der des Sauerstoffs, von dem einige Exemplare fast noch einmal so viel zeigten. Nach Biots, Cosigliachi´s und Delaroche´s interessanten Beobachtungen muss man annehmen, dass der von Broddelt secirte Schwertfisch in grossen Meerestiefen gelebt habe, wo manche Fische bis zu 94 Procent Sauerstoff in ihrer Schwimmblase zeigen. Am 1. Juli, unter 17 deg. 42' der Breite und 34 deg. 21' der Laenge stiessen wir auf die Truemmer eines Wrackes. Wir konnten einen Mastbaum sehen, der mit schwimmendem Tang ueberzogen war. In einem Strich, wo die See bestaendig ruhig ist, konnte das Fahrzeug nicht Schiffbruch gelitten haben. Vielleicht dass diese Truemmer aus den noerdlichen stuermischen Meeren kamen, und infolge der merkwuerdigen Drehung, welche die Wasser des Atlantischen Meeres in der noerdlichen Halbkugel erleiden, wieder zum Fleck zurueckwanderte, wo das Schiff zugrunde gegangen. Am dritten und vierten fuhren wir ueber den Theil des Oceans, wo die Karten die Bank des Maalstroms verzeichne; mit Einbruch der Nacht aenderte man den Curs, um einer Gefahr auszuweichen, deren Vorhandenseyn so zweifelhaft ist, als das der Inseln Fonseco und Santa Anna.(34) Es waere wohl klueger gewesen, den Curs beizubehalten. Die alten Seekarten wimmeln von sogenannten wachenden Klippen, die zum Theil allerdings vorhanden sind, groesstentheils aber sich von optischen Taeuschungen herschreiben, die auf der See haeufiger sind als im Binnenland. Die Lage der wirklich gefaehrlichen Punkte ist meist wie auf Gerathewohl angegeben; sie waren von Schiffern gesehen worden, die ihre Laenge nur auf ein paar Grade kannten, und meist kann man sicher darauf rechnen, keine Klippen zu finden, wenn man den Punkten zusteuert, wo sie auf den Karten angegeben sind. Als wir dem vorgeblichen Maalstrom nahe waren, konnten wir am Wasser keine andere Bewegung bemerken, als ein Stroemung nach Nordwest, die uns nicht so viel in Laenge zuruecklegen liess, als wir gewuenscht haetten. Die Staerke dieser Stroemung nimmt zu, je naeher man dem neuen Continente kommt; sie wird durch die Bildung der Kuesten von Brasilien und Guyana abgelenkt, nicht durch die Gewaesser des Orinoco und des Amazonenstroms, wie manche Physiker behaupten. Seit unserem Eintritt in die heisse Zone wurden wir nicht muede, in jeder Nacht die Schoenheit des suedlichen Himmels zu bewundern, an dem, je weiter wir nach Sueden vorrueckten, immer neue Sternbilder vor unseren Blicken aufstiegen. Ein sonderbares, bis jetzt ganz unbekanntes Gefuehl wird in einem rege, wenn man dem Aequator zu, und namentlich beim Uebergang aus der einen Halbkugel in die andere, die Sterne, die man von Kindheit auf kennt, immer tiefer hinabruecken und endlich verschwinden sieht. Nichts mahnt den Reisenden so auffallend an die ungeheure Entfernung seiner Heimath, als der Anblick eines neuen Himmels. Die Gruppirung der grossen Sterne, einige zerstreute Nebelflecke, die an Glanz mit der Milchstrasse wetteifern, Strecken, die sich durch ihr tiefes Schwarz auszeichnen, geben dem Suedhimmel eine ganz eigenthuemliche Physiognomie. Dieses Schauspiel regt selbst die Einbildungskraft von Menschen auf, die den physischen Wissenschaften sehr ferne stehen und zum Himmelsgewoebe aufblicken, wie man eine schoene Landschaft oder eine grossartige Aussicht bewundert. Man braucht kein Botaniker zu seyn, um schon am Anblick der Pflanzenwelt den heissen Erdstrich zu erkennen, und wer auch keine astronomischen Kenntnisse hat, wer von Flamsteads und Lacaille's Himmelskarten nichts weiss, fuehlt, dass er nicht in Europa ist, wenn er das ungeheure Sternbild des Schiffs oder die leuchtenden Magellanschen Wolken am Horizont aufsteigen sieht. Erde und Himmel, Allem in den Aequinoctiallaendern drueckt sich der Stempel des Fremdartigen auf. Die niedrigen Luftregionen waren seit einigen Tage mit Dunst erfuellt. Erst in der Nacht vom vierten zum fuenften Juli, unter 16 deg. Breite, sahen wir das suedliche Kreuz zum erstenmal deutlich; es war stark geneigt und erschien von Zeit zu Zeit zwischen den Wolken, deren Mittelpunkt, wenn das Wetterleuchten dadurch hinzuckte, wie Silberlicht aufflammte. Wenn es einem Reisenden gestattet ist, von seinen persoenlichen Empfindungen zu sprechen, so darf ich sagen, dass ich in dieser Nacht einen der Traeume meiner fruehesten Jugend in Erfuellung gehen sah. Wenn man anfaengt geographische Karten zu betrachten und Schilderungen der Seefahrer zu lesen, so fuehlt man fuer gewisse Laender und gewisse Klimate eine Art Vorliebe, von der man sich in reiferem Alter keine Rechenschaft zu geben vermag. Eindruecke der Art aeussern einen nicht ungebedeutenden Einfluss auf unsere Entschluesse, und wie instinkmaessig suchen wir Gegenstaenden, die schon so lange eine geheime Anziehungskraft fuer uns gehabt, wirklich nahe zu kommen. Als ich mich mit dem Himmel beschaeftigte, nicht um Astronomie zu treiben, sondern nur um die Sterne kennen zu lernen, empfand ich eine bange Unruhe, die Menschen, die ein sitzendes Leben lieben, ganz fremd ist. Der Hoffnung entsagen zu sollen, jemals jene herrlichen Sternbilder am Suedpol zu erblicken, das schien mit sehr hart. Im ungeduldigen Drange, die Aequatoriallaender kennen zu lernen, konnte ich nicht die Augen zum Sterngewoelbe aufschlagen, ohne an das suedliche Kreuz zu denken und mir die erhabenen Verse Dante's vorzusagen, welche sich nach den beruehmtesten Auslegern auf jenes Sternbild beziehen:(35) Jo mi volsi a man destra e posi mente All´ altro polo, e vidi quattro stelle, Non viste mai fuor ch´ alla prima gente. Goder parea lo ciel di lor fiammelle, O settentrional vedovo sito, Pio che privato se di mirar quelle! Unsere Freude beim Erscheinen des suedlichen Kreuzes wurde lebhaft von denjenigen unter der Mannschaft getheilt, die in den Colonien gelebt hatten. In der Meereseinsamkeit begruesst man einen Stern wie einen Freund, von dem man lange Zeit getrennt gewesen. Bei den Portugiesen und Spaniern steigert sich diese gemuethliche Theilnahme noch durch besondere Gruende: religioeses Gefuehl zieht sie zu einem Sternbild hin, dessen Gestalt an das Wahrzeichen des Glaubens mahnt, das ihre Vaeter in den Einoeden der neuen Welt aufgepflanzt. Da die zwei grossen Sterne, welche Spitze und Fuss des Kreuzes bezeichnen, ungefaehrt dieselbe Rectascension haben, so muss das Sternbild, wenn es durch den Meridian geht, fast senkrecht stehen. Dieser Umstand ist allen Voelkern jenseits des Wendekreises und in der suedlichen Halbkugel bekannt. Man hat sich gemerkt, zu welcher Zeit bei Nacht in den verschiedenen Jahreszeiten das suedliche Kreuz aufrecht oder geneigt ist. Es ist eine Uhr, die sehr regelmaessig etwa vier Minuten im Tag vorgeht, und an keiner anderen Sterngruppe laesst sich die Zeit mit blossem Auge so genau beobachten. Wie oft haben wir unsere Fuehrer in den Savannen von Venezuela oder in der Wueste zwischen Lima und Truxillo sagen hoeren: "Mitternacht ist vorueber, das Kreuz faengt an sich zu neigen!" Wie oft haben wir uns bei diesen Worten an den ruehrenden Auftritt erinnert, wo Paul und Virginie an der Quelle des Faecherpalmenflusses zum letztenmale mit einander sprechen und der Greis beim Anblick des suedlichen Kreuzes sie mahnt, dass es Zeit sey zu scheiden! Die letzten Tage unserer Ueberfahrt waren nicht so guenstig, als das milde Klima und die ruhige See hoffen liessen. Nicht die Gefahren der See stoerten uns in unserem Genusse, aber der Keim eines boesartigen Fiebers entwickelte sich unter uns, je naeher wir den Antillen kamen. Im Zwischendeck war es furchtbar heiss und der Raum sehr beschraenkt. Seit wir den Wendekreis ueberschritten, stand der Thermometer auf 34 bis 36 Grad. Zwei Matrosen, mehrere Passagiere und, was ziemlich auffallend ist, zwei Neger von der Kueste von Guinea und ein Mulattenkind wurden von einer Krankheit befallen, die epidemisch zu werden drohte. Die Symptome waren nicht bei allen Kranken gleich bedenklich; mehrere aber, und gerade die kraeftigsten, delirirten schon am zweiten Tage und die Kraefte lagen voellig darnieder. Bei der Gleichgueltigkeit, mit der an Bord der Paketboote alles behandelt wird, was mit der Fuehrung des Schiffes und der Schnelligkeit der Ueberfahrt nichts zu thun hat, dachte der Kapitaen nicht daran, gegen die Gefahr, die uns bedrohte, die gemeinsten Mittel vorzukehren. Es wurde nicht geraeuchert, und ein unwissender, phlegmatischer galicischer Wundarzt verordnete Aderlaessen, weil er das Fieber der sogenannten Schaerfe und Verderbnis des Blutes zuschrieb. Es war keine Unze Chinarinde an Bord, und wir hatten vergessen, beim Einschiffen uns selbst damit zu versehen; unsere Instrumente hatten uns mehr Sorge gemacht als unsere Gesundheit, und wir hatten unbedachterweise vorausgesetzt, dass es an Bord eines spanischen Schiffes nicht an peruanischer Fieberrinde fehlen koenne. Am achten Juli genas ein Matrose, der schon in den letzten Zuegen lag, durch einen Zufall, der der Erwaehnung wohl werth ist. Seine Haengematte war so befestigt, dass zwischen seinen Gesicht und dem Deck keine zehn Zoll [26 cm] Raum blieben. In dieser Lage konnte man ihm unmoeglich die Sakramente reichen; nach dem Brauch auf den spanischen Schiffen haette das Allerheiligste mit brennenden Kerzen herbeigebracht werden und die ganze Mannschaft dabei seyn muessen. Man schaffte daher den Kranken an einen luftigen Ort bei der Lucke, wo man aus Segeln und Flaggen ein kleines viereckiges Gemach hergestellt hatte. Hier sollte er liegen bis zu seinem Tode, den man nahe glaubte; aber kaum war er aus einer uebermaessig heissen, stockenden, mit Miasmen erfuellten Luft in eine kuehlere, reinere, fortwaehrend erneuerte gebracht, so kam er allmaehlich aus seiner Betaeubung zu sich. Mit dem Tage, da er aus dem Zwischendeck fortgeschafft worden, fing die Genesung an, und wie denn in der Arzneikunde dieselben Thatsachen zu Stuetzen der entgegengesetzten Systeme werden, so wurde unser Arzt durch diesen Fall von Wiedergenesung in seiner Ansicht von der Entzuendung des Bluts und von der Nothwendigkeit des Eingreifens durch Aderlaessen, abfuehrende und asthenische Mittel aller Art bestaerkt. Wir bekamen bald die verderblichen Folgen dieser Behandlung zu sehen und sehnten uns mehr als je nach dem Augenblick, wo wir die Kueste Amerikas betreten koennte. Seit mehreren Tagen war die Schaetzung der Steuerleute um 1 deg. 12' von der Laenge abgewichen, die mir mein Chronometer angab. Dieser Unterschied ruehrte weniger von der allgemeinen Stroemung her, die ich den "Rotationsstrom" genannte habe, als von dem eigenthuemlichen Zuge des Wassers nach Nordwest, von der Kueste von Brasilien gegen die kleinen Antillen, wodurch die Ueberfahrt von Cayenne nach der Insel Guadeloupe abgekuerzt wird.(36) Am zwoelften Juli glaubte ich ankuendigen zu koennen, dass Tags darauf vor Sonnenaufgang Land in Sicht seyn werde. Wir befanden uns jetzt nach meinen Beobachtungen unter 10 deg. 46' der Breite und 60 deg. 54' westlicher Laenge. Einige Reihen Mondsbeobachtungen bestaetigten die Angabe des Chronometers; aber wir wussten besser, wo sich die Corvette befand, als wo das Land lag, dem unser Curs zuging und das auf den franzoesischen, spanischen und englischen Karten so verschieden angegeben ist. Die aus den genauen Beobachtungen von Churruca, Fidalgo und Noguera sich ergebenden Laengen waren damals noch nicht bekannt gemacht. Die Steuerleute verliessen sich mehr auf das Log als auf den Gang eines Chronometers; sie laechelten zu der Behauptung, dass bald Land in Sicht kommen muesse, und glaubten, man habe noch zwei, drei Tage zu fahren. Es gereichte mir daher zu grosser Befriedigung, als ich am dreizehnten gegen sechs Uhr Morgens hoerte, man sehe von den Masten ein sehr hohes Land, jedoch wegen des Nebels, der darauf lag, nur undeutlich. Es windete sehr stark und die See war sehr unruhig. Es regnete hie und da in grossen Tropfen und Alles deutete auf ungestuemes Wetter. Der Capitaen des Pizarro hatte beabsichtigt, durch den Canal zwischen Tabago und Trinidad zu laufen, und da er wusste, dass unsere Corvette sehr langsam wendete, so fuerchtete er gegen Sueden unter dem Wind und der Muendung des Dragon nahe zu kommen. Wir waren allerdings unserer Laenge sicherer als der Breite, da seit dem elften keine Beobachtung um Mittag gemacht worden war. Nach doppelten Hoehen, die ich nach Douwes Methode am Morgen aufgenommen hatte, befanden wir uns in 11 deg. 6' 50", somit 15 Minuten weiter nach Nord als nach der Schaetzung. Die Gewalt, mit der der grosse Orinocostrom seine Gewaesser in den Ocean ergiesst, mag in diesen Strichen immerhin den Zug der Stroemungen steigern; wenn man aber behauptet, bis auf 60 Meilen von der Muendung des Orinoco habe das Meerwasser eine andere Farbe und sey weniger gesalzen, so ist diess ein Maehrchen der Kuestenpiloten. Der Einfluss der maechtigsten Stroeme Amerikas, des Amazonenstroms, des la Plata, des Orinoco, des Mississippi, des Magdalenenstroms, ist in dieser Beziehung in weit engere Grenzen eingeschlossen, als man gemeiniglich glaubt. Obgleich das Ergebnis der doppelten Sonnenhoehen hinlaenglich bewies, dass das hohe Land, das am Horizont aufstieg, nicht Trinidad war, sondern Tabago, steuerte der Capitaen dennoch nach Nord-Nord-West fort, um letztere Insel aufzusuchen, die sogar auf Bordas schoener Karte des atlantischen Oceans fuenf Minuten zu weit suedlich gesetzt ist. Man sollte kaum glauben, dass an Kuesten, welche von allen Handelsvoelkern besucht werden, so auffallende Irrthuemer in der Breite sich Jahrhunderte lang erhalten koennten. Ich habe diesen Gegenstand anderswo besprochen, und so bemerke ich hier nur, dass sogar auf der neuesten Karte von Westindien von Arrowsmith, die im Jahr 1803, also lange nach Churrucas Beobachtungen erschienen ist, die Breiten der verschiedenen Vorgebirge von Tabago und Trinidad um 6-11 Minuten falsch angegeben sind. Durch die Beobachtung der Sonnenhoehe um Mittag wurde die Breite, wie ich sie nach Douwes Verfahren erhalten, vollkommen bestaetigt. Es blieb kein Zweifel mehr ueber den Schiffsort den Inseln gegenueber, und man beschloss, um das noerdliche Vorgebirge von Tabago zu laufen, zwischen dieser Insel und la Grenada durchzugehen und auf einen Hafen der Insel Margarita loszusteuern. In diesen Strichen liefen wir jeden Augenblick Gefahr, von Kapern aufgebracht zu werden, aber zu unserem Glueck war die See sehr unruhig und ein kleiner, englischer Kutter ueberholte uns, ohne uns nur anzurufen. Bonpland und mir war vor einem solchen Unfall weniger bang, seit wir so nahe am amerikanischen Festland sicher waren, dass wir nicht nach Europa zurueckgebracht wurden. Der Anblick der Insel Tabago ist hoechst malerisch. Es ist ein sorgfaeltig bebauter Felsklumpen. Des blendende Weiss des Gesteines sticht angenehm vom Gruen zerstreuter Baumgruppen ab. Sehr hohe cylindrische Fackeldisteln kroenen die Bergkaemme und geben der tropischen Landschaft einen ganz eigenen Charakter. Schon ihr Anblick sagt dem Reisenden, dass er eine amerikanische Kueste vor sich hat: denn die Cactus gehoeren ausschliesslich der neuen Welt an, wie die Heidekraeuter der alten. Der nordoestliche Theil der Insel Tabago ist der gebirgigste, nach den Hoehenwinkeln, die ich mit dem Sextanten genommen, scheinen indessen die hoechsten Gipfel an der Kueste nicht ueber 140-150 Toisen [270 bis 290 m] hoch zu seyn. Am suedlichen Vorgebirge senkt sich das Land und laeuft in die "Sandspitze" aus, die nach meiner Rechnung unter 10 deg. 20' 13" der Breite und 62 deg. 47' 30" der Laenge liegt. Wir sahen mehrere Felsen ueber dem Wasserspiegel, an denen sich die See mit Ungestuem brach, und beobachteten grosse Regelmaessigkeit in der Neigung und dem Streichen der Schichten, die unter einem Winkel von 60 deg. nach Suedost fallen. Es waere zu wuenschen dass ein geuebter Mineralog die grossen und kleinen Antillen von der Kueste von Paria bis zum Vorgebirge von Florida bereiste und die ehemalige, durch Stroemungen, Erderschuetterungen und Vulkane auseinander gerissene Bergkette untersuchte. Wir waren eben um das Nordcap von Tabago und die kleine Insel St. Giles gelaufen, als man vom Mastkorb ein feindliches Geschwader signalisirte. Wir wendeten sogleich und die Passagiere wurden unruhig, da mehrere ihr kleines Vermoegen in Waaren gesteckt hatten, die sie in den spanischen Colonien zu verwerthen gedachten. Das Geschwader schien sich nicht zu ruehren, und es zeigte sich bald, dass man eine Menge einzelner Klippen fuer Segel angesehen hatte. Wir fuhren ueber die Untiefe zwischen Tabago und la Grenada. Die Farbe der See war nicht merkbar veraendert, aber ein paar Zoll unter der Oberflaeche zeigte der Thermometer nur 23 deg., waehrend er ostwaerts auf hoher See unter derselben Breite und gleichfalls an der Meeresflaeche auf 25 deg.,6 stand. Trotz der Stroemung zeigte die geringe Temperatur des Wassers die Untiefe an, die nur auf wenigen Karten angegeben ist. Nach Sonnenuntergang wurde der Wind schwaecher, und je naeher der Mond zum Zenith rueckte, desto mehr klaerte sich der Himmel auf. In dieser und in den folgenden Naechten fielen wieder sehr viele Sternschnuppen; gegen Nord zeigten sie sich nicht so haeufig als gegen Sued, ueber Terra Firma, an deren Kueste wir jetzt hinzufahren anfingen. Diese Vertheilung weist darauf hin, dass diese Meteore, ueber deren Wesen wir noch so sehr im Unklaren sind, zum Theil von oertlichen Ursachen abhaengig seyn moegen. Am 14. bei Sonnenaufgang kam die Bocca de Dragon in Sicht. Wir konnten die Insel Chacachacarreo sehen, das westlichste der Eilande zwischen dem Vorgebirge Paria und dem nordwestlichen Vorgebirge von Trinidad. Fuenf Meilen von der Kueste, bei der *Punte de la Baca*, wurden wir gewahr, dass eine eigenthuemliche Stroemung die Corvette nach Sued trieb. Durch den Zug des Wassers, das aus der Bocca de Dragon kommt, und durch die Bewegung von Ebbe und Fluth entsteht eine Gegenstroemung. Man warf das Senkblei aus und fand 36-43 Faden Tiefe ueber einem Grund von gruenlichem, sehr feinem Thon. Nach Dampiers Grundsaetzen haetten wir in der Naehe einer von sehr hohen, steil aufsteigenden Gebirgen gebildeten Kueste keine so geringe Meerestiefe erwartet. Wir lotheten fort bis zum _Cabo de tres puntas_ und fanden ueberall erhoehten Meeresgrund, dessen Umriss das Streichen der ehemaligen Meereskueste zu bezeichnen scheint. Die Temperatur des Meeres war hier 23-24 Grad, somit 1,5 bis 2 Grad niedriger als auf hoher See, das heisst jenseits der Raender der Bank. Das _Cabo de tres puntas_, von Columbus selbst so benannt [Im August 1598.], liegt nach meinen Beobachtungen unter 65 deg. 4' 5" der Laenge. Es erschien uns um so hoeher, da seine gezackten Gipfel in Wolken gehuellt waren. Das ganze Ansehen der Berge von Paria, ihre Farbe und besonders ihre meist runden Umrisse liessen uns vermuthen, dass die Kueste aus Granit bestehe; die Folge zeigte aber, wie sehr man sich, selbst wenn man sein Lebenlang in Gebirgen gereist ist, irren kann, wenn man ueber die Beschaffenheit der Gebirgsart aus der Ferne urtheilt. Wir benuetzten eine Windstille, die ein paar Stunden anhielt, um die Intensitaet der magnetischen Kraft beim _Cabo de tres puntas_ genau zu bestimmen. Wir fanden sie groesser als auf hoher See ostwaerts von Tabago, im Verhaeltniss von 257 zu 229. Waehrend der Windstille trieb uns die Stroemung rasch nach West. Ihre Geschwindigkeit betrug 3 Meilen in der Stunde; sie nahm zu, je naeher wir dem Meridian der *Testigos* kamen, eines Haufens von Klippen, die aus der weiten See aufsteigen. Als der Mond unterging, bedeckte sich der Himmel mit Wolken, der Wind wurde wieder staerker und es stuerzte ein Platzregen nieder, wie sie dem heissen Erdstrich eigen sind und wir auf unsern Zuegen im Binnenlande sie so oft durchgemacht haben. Die an Bord des Pizarro ausgebrochene Seuche breitete sich rasch aus, seit wir uns nahe der Kueste von Terra Firma befanden; der Thermometer stand bei Nacht regelmaessig zwischen 22 und 23 deg., bei Tag zwischen 24 und 27 deg.. Die Congestionen gegen den Kopf, die ausnehmende Trockenheit der Haut, das Daniederliegen der Kraefte, alle Symptome wurden immer bedenklicher; wir waren aber so ziemlich am Ziele unserer Fahrt, und so hofften wir alle Kranke genesen zu sehen, wenn man sie an der Insel Margarita oder im Hafen von Cumana, die fuer sehr gesund gelten, ans Land bringen koennte. Diese Hoffnung ging nicht ganz in Erfuellung. Der juengste Passagier bekam das boesartige Fieber und unterlag ihm, blieb aber zum Glueck das einzige Opfer. Es war ein junger Asturier von neunzehn Jahren, der einzige Sohn einer armen Wittwe. Mehrere Umstaende machten den Tod des junge Mannes, aus dessen Gesicht viel Gefuehl und grosse Gutmuethigkeit sprachen, ergreifend fuer uns. Er war mit Widerstreben zu Schiffe gegangen; er hatte seine Mutter durch den Ertrag seiner Arbeit unterstuetzen wollen, aber diese hatte ihre Liebe und den eigenen Vortheil dem Gedanken zum Opfer gebracht, dass ihr Sohn, wenn er in die Colonien ginge, bei einem reichen Verwandten, der auf Cuba lebte, sein Glueck machen koennte. Der unglueckliche junge Mann verfiel rasch in Betaeubung, redete dazwischen irre und starb am dritten Tage der Krankheit. Das gelbe Fieber oder schwarze Erbrechen rafft in Vera Cruz nicht leicht die Kranken so furchtbar schnell dahin. Ein anderer, noch juengerer Asturier wich keinen Augenblick vom Bette des Kranken und bekam, was ziemlich auffallend ist, die Krankheit nicht. Er wollte mit seinem Landsmann nach San Jago de Cuba gehen und sich dort von ihm im Hause des Verwandten einfuehren lassen, auf den sie ihre ganze Hoffnung gesetzt hatten. Es war herzzerreissend, wie der, welcher den Freund ueberlebte, sich seinem tiefen Schmerze ueberliess und die unseligen Ratschlaege verwuenschte, die ihn in ein fernes Land getrieben, wo er nun allein und verlassen dastand. Wir standen beisammen auf dem Verdeck in trueben Gedanken. Es war kein Zweifel mehr, das Fieber, das an Bord herrschte, hatte seit einigen Tagen einen boesartigen Charakter angenommen. Unsere Blicke hingen an einer gebirgigen, wuesten Kueste, auf die zuweilen ein Mondstrahl durch die Wolken fiel. Die leise bewegte See leuchtete in schwachem phosphorischen Schein; man hoerte nichts als das eintoenige Geschrei einiger grosser Seevoegel, die das Land zu suchen schienen. Tiefe Ruhe herrschte ringsum am einsamen Ort; aber diese Ruhe der Natur stand im Widerspiel mit den schmerzlichen Gefuehlen in unserer Brust. Gegen acht Uhr wurde langsam die Todtenglocke gelaeutet; bei diesem Trauerzeichen brachen die Matrosen ihre Arbeit ab und liessen sich zu kurzem Gebet auf die Kniee nieder, eine ergreifende Handlung, die an die Zeiten gemahnt, wo die ersten Christen sich als Glieder Einer Familie betrachteten, und die auch jetzt noch die Menschen im Gefuehl gemeinsamen Ungluecks einander naeher bringt. In der Nacht schaffte man die Leiche des Asturiers auf das Verdeck, und auf die Vorstellung des Priesters wurde er erst nach Sonnenaufgang ins Meer geworfen, damit man die Leichenfeier nach dem Gebrauch der roemischen Kirche vornehmen konnte. Kein Mann an Bord, den nicht das Schicksal des jungen Mannes ruehrte, den wir noch vor wenigen Tagen frisch und gesund gesehen hatten. Der eben erzaehlte Vorfall zeigte uns, wie gefaehrlich dieses boesartige oder atactische Fieder sey, und wenn die langen Windstillen die Ueberfahrt von Cumana nach Havana verzoegerten, so musste man besorgen, dass es viele Opfer fordern koennte. An Bord eines Kriegsschiffs oder eines Transportschiffs machen einige Todesfaelle gewoehnlich nicht mehr Eindruck, als wenn man in einer volkreichen Stadt einem Leichenzug begegnet. Anders an Bord eines Paketboots mit kleiner Mannschaft, wo zwischen Menschen, die dasselbe Reiseziel haben, sich naehere Beziehungen knuepfen. Die Passagiere auf dem Pizarro spuerten zwar noch nichts von den Vorboten der Krankheit, beschlossen aber doch, das Fahrzeug am naechsten Landungsplatz zu verlassen und die Ankunft eines andern Postschiffes zu erwarten, um ihren Weg nach Cuba oder Mexico fortzusetzen. Sie betrachteten das Zwischendeck des Schiffes als einen Herd der Ansteckung, und obgleich es mir keineswegs erwiesen schien, dass das Fieber durch Beruehrung anstecke, hielt ich es doch durch die Vorsicht geraten, in Cumana ans Land zu gehen. Es schien mir wuenschenswerth, Neuspanien erst nach einem laengeren Aufenthalt an den Kuesten von Venezuela und Paria zu besuchen, wo der unglueckliche Loeffling nur sehr wenige naturgeschichtliche Beobachtungen hatte machen koennen. Wir brannten vor Verlangen, die herrlichen Gewaechse, die Bose und Bredemeyer auf ihrer Reise in Terra Firma gesammelt und die eine Zierde der Gewaechshaeuser zu Schoenbrunn und Wien sind, auf ihrem heimathlichen Boden zu sehen. Es haette uns sehr wehe getan, in Cumana oder Guayra zu landen, ohne das Innere eines von den Naturforschern so wenig betretenen Landes zu betreten. Der Entschluss, den wir in der Nacht vom vierzehnten auf den fuenfzehnten Juli fassten, aeusserte einen gluecklichen Einfluss auf den Verfolg unserer Reisen. Statt einiger Wochen verweilten wir ein ganzes Jahr in Terra Firma; ohne die Seuche an Bord des Pizarro waeren wir nie an den Orinoco, an den Cassiquiare und an die Grenze der portugiesischen Besitzungen am Rio Negro gekommen. Vielleicht verdanken wir es auch dieser unserer Reiserichtung, dass wir waehrend eines so langen Aufenthaltes in den Aequinoctiallaendern so gesund blieben. Bekanntlich schweben die Europaeer in den ersten Monaten, nachdem sie unter den gluehenden Himmel der Tropen versetzt worden, in sehr grosser Gefahr. Sie betrachten sich als acclimatisirt, wenn sie die Regenzeit auf den Antillen, in Vera Cruz oder Carthagena ueberstanden haben. Diese Meinung ist nicht unbegruendet, obgleich es nicht an Beispielen fehlt, dass Leute, die bei der ersten Epidemie des gelben Fiebers durchgekommen, in einem der folgenden Jahre Opfer der Seuche werden. Die Faehigkeit, sich zu acclimatisieren, scheint im umgekehrten Verhaeltniss zu stehen mit dem Unterschied zwischen der mittleren Temperatur der heissen Zone und der des Geburtslandes des Reisenden oder Colonisten, der das Klima wechselt, weil die Lufttemperatur den maechtigsten Einfluss auf die Reizbarkeit und die Vitalitaet der Organe aeussert. Ein Preusse, ein Pole, ein Schwede sind mehr gefaehrdet, wenn sie auf die Inseln oder nach Terra Firma kommen, als ein Spanier, ein Italiener und selbst ein Bewohner des suedlichen Frankreichs. Fuer die nordischen Voelker betraegt der Unterschied in der mittleren Temperatur 19-21 Grad, fuer die suedlichen nur 9-10. Wir waren so gluecklich, die Zeit, in der der Europaeer nach der Landung die groesste Gefahr laeuft, im ausnehmend heissen, aber sehr trockenen Klima von Cumana zu verleben, einer Stadt, die fuer sehr gesund gilt. Haetten wir unsern Weg nach Vera Cruz fortgesetzt, so haetten wir leicht das Loos mehrerer Passagiere des Paketboots *Aleudia* theilen koennen, das mit dem *Pizarro* in die Havana kam, als eben das *schwarze Erbrechen* auf Cuba und an der Ostkueste von Mexico schreckliche Verheerungen anrichtete. Am 15. Morgens, ungefaehr gegenueber dem kleinen Berge St. Joseph, waren wir von einer Menge schwimmenden Tangs umgeben. Die Stengel desselben hatten die sonderbaren, wie Blumenkelche und Federbuesche gestalteten Anhaenge, wie sie Don Hypolite Ruiz auf seiner Rueckkehr aus Chili beobachtet und in einer besondern Abhandlung als die Geschlechtsorgane des _Fucus natans_ beschrieben hat. Ein gluecklicher Zufall setzte uns in den Stand, eine Beobachtung zu berichtigen, die sich nur Einmal der Naturforschung dargeboten hatte. Die Buendel Tang, welche Bonpland aufgefischt hatte, waren durchaus identisch mit den Exemplaren, die wir der Gefaelligkeit der gelehrten Verfasser der peruanischen Flora verdankten. Als wir beide unter dem Mikroscop untersuchten, fanden wir, dass diese angeblichen Befruchtungswerkzeuge, diese Pistille und Staubfaeden eine neue Gattung Pflanzenthiere aus der Familie der Ceratophyten seyen. Die Kelche, welche Ruiz fuer Pistille hielt, entspringen aus hornartigen, abgeplatteten Stielen, die so fest mit der Substand des Fucus zusammenhaengen, dass man sie gar wohl fuer blosse Rippen halten koennte; aber mit einem sehr duennen Messer gelingt es, sie abzuloesen, ohne das Parenchym zu verletzen. Die nicht gegliederten Stiele sind Anfangs schwarzbraun, werden aber, wenn sie vertrocknen, weiss und zerreiblich. In diesen Zustand brausen sie mit Saeuren auf, wie die kalkigte Substanz der Sertularia, deren Spitzen mit den Kelchen des von Ruiz beobachteten Fucus Aehnlichkeit haben. In der Suedsee, auf der Ueberfahrt von Guayaquil nach Acapulco, haben wir an der tropischen Seetraube dieselben Anhaengsel gefunden, und eine sehr sorgfaeltige Untersuchung ueberzeugte uns, dass sich hier ein Zoophyt an den Tang heftet, wie der Epheu den Baumstamm umschlingt. Die unter dem Namen weiblicher Bluethen beschriebenen Organe sind ueber zwei Linien lang, und schon diese Groesse haette den Gedanken an wahrhafte Pistille nicht aufkommen lassen sollen. Die Kueste von Paria zieht sich nach West fort und bildet eine nicht sehr hohe Felsmauer mit abgerundeten Gipfeln und wellenfoermigen Umrissen. Es dauerte lange, bis wir die hohe Kueste der Insel Margarita zu sehen bekamen, wo wir einlaufen sollten, um hinsichtlich der englischen Kreuzer, und ob es gefaehrlich sey, bei Guayra anzulegen, Erkundigung einzuziehen. Sonnenhoehen, die wir unter sehr guenstigen Umstaengen genommen, hatten uns gezeigt, wie unrichtig damals selbst die gesuchtesten Seekarten waren. Am 15. Morgens, wo wir uns nach dem Chronometer unter 66 deg. 1' 15" der Laenge befanden, waren wir noch nicht im Meridian der Insel St. Margarita, waehrend wir nach der verkleinerten Karte des atlantischen Oceans ueber das westliche sehr hohe Vorgebirge der Insel, das unter 66 deg. 0' der Laenge gesetzt ist, bereits haetten hinaus seyn sollen. Die Kuesten von Terra Firma wurden vor Fidalgos, Nogueras und Tiscars, und ich darf wohl hinzufuegen, vor meinen astronomischen Beobachtungen in Cumana, so unrichtig gezeichnet, dass fuer die Schifffahrt daraus haetten Gefahren erwachsen koennen, wenn nicht das Meer in diesen Strichen bestaendig ruhig waere. Ja die Fehler in der Breite waren noch groesser als die in der Laenge, denn die Kueste von Neuandalusien laeuft westwaerts vom _Capo de tres Puntas_ 15-20 Meilen weiter nach Norden, als auf den vor dem Jahr 1800 erschienenen Karten angegeben ist. Gegen elf Uhr Morgens kam uns ein sehr niedriges Eiland zu Gesicht, auf dem sich einige Sandduenen erhoben. Durch das Fernrohr liess sich keine Spur von Bewohnern oder von Anbau entdecken. Hin und wieder standen cylindrische Cactus wie Kandelaber. Der fast pflanzenlose Boden schien sich wellenfoermig zu bewegen infolge der starken Brechung, welche die Sonnenstrahlen erleiden, wenn sie durch Luftschichten hindurchgehen, die auf einer stark erhitzten Flaeche aufliegen. Die Luftspiegelung macht, dass in allen Zonen Wuesten und sandiger Strand sich wie bewegte See ausnehmen. Das flache Land, das wir vor uns hatten, stimmte schlecht zu der Vorstellung, die wir uns von der Insel Margarita gemacht. Waehrend man beschaeftigt war, die Angaben der Karten zu vergleichen, ohne sie in Uebereinstimmung bringen zu koennen, signalisirte man vom Mast einige kleine Fischerboote. Der Capitaen des Pizarro rief sie durch einen Kanonenschuss herbei; aber ein solches Zeichen dient zu nichts in Laendern, wo der Schwache, wenn er dem Starken begegnet, glaubt sich nur auf Vergewaltigungen gefasst machen zu muessen. Die Boote ergriffen die Flucht nach Westen zu, und wir sahen uns hier in derselben Verlegenheit, wie bei unserer Ankunft auf den Canarien vor der kleinen Insel Graciosa. Niemand an Bord war je in der Gegend am Land gewesen. So ruhig die See war, so schien doch die Naehe eines kaum ein paar Fuss hohen Eilandes Vorsichtsmassregeln zu erheischen. Man steuerte nicht weiter dem Lande zu, und warf eilends den Anker aus. Kuesten, aus der Ferne gesehen, verhalten sich wie Wolken, in denen jeder Beobachter die Gegenstaende erblickt, die seine Einbildungskraft beschaeftigen. Da unsere Aufnahmen und die Angabe des Chronometers mit den Karten, die uns zur Hand waren, im Widerspruch standen, so verlor man sich in eitlen Muthmassungen. Die einen hielten Sandhaufen fuer Indianerhuetten und deuteten auf den Punkt, wo nach ihnen das Fort Pampatar liegen musste; andere sahen die Ziegenheerden, welche im duerren Thal von San Juan so haeufig sind; sie zeigten die hohen Berge von Macanao, die ihnen halb in Wolken gehuellt schienen. Der Capitaen beschloss einen Steuermann ans Land zu schicken; man legte Hand an, um die Schaluppe ins Wasser zu lassen, da das Boot auf der Rhede von Santa Cruz durch die Brandung stark gelitten hatte. Da die Kueste ziemlich fern war, konnte die Rueckfahrt zur Corvette schwierig werden, wenn der Wind Abends stark wurde. Als wir uns eben anschickten, ans Land zu gehen, sah man zwei Piroguen an der Kueste hinfahren. Man rief sie durch einen zweiten Kanonenschuss an, und obgleich man die Flagge von Castilien aufgezogen hatte, kamen sie doch nur zoegernd herbei. Diese Piroguen waren, wie alle der Eingeborenen, aus Einem Baumstamm, und in jeder befanden sich achtzehn Indianer vom Stamme der Guayqueries [Guaykari], nackt bis zum Guertel und von hohem Wuchs. Ihr Koerperbau zeugte von grosser Muskelkraft und ihre Hautfarbe war ein Mittelding zwischen braun und kupferroth. Von weitem, wie sie unbeweglich dasassen und sich vom Horizont abhoben, konnte man sie fuer Bronzestatuen halten. Diess war uns um so auffallender, da es so wenig dem Begriff entsprach, den wir uns nach manchen Reiseberichten von der eigenthuemlichen Koerperbildung und der grossen Koerperschwaeche der Eingeborenen gemacht hatten. Wir machten in der Folge die Erfahrung, und brauchten deshalb die Grenzen der Provinz Cumana nicht zu ueberschreiten, wie auffallend die Guayqueries aeusserlich von den Chaymas und den Caraiben verschieden sind. So nahe alle Voelker Amerikas miteinander verwandt scheinen, da sie ja derselben Race angehoeren, so unterscheiden sich doch die Staemme nicht selten bedeutend im Koerperwuchs, in der mehr oder weniger dunkeln Hautfarbe, im Blick, aus dem den einen Seelenruhe und Sanftmuth, bei andern ein unheimliches Mittelding von Truebsinn und Wildheit spricht. Sobald die Piroguen so nahe waren, dass man die Indianer spanisch anrufen konnte, verloren sie ihr Misstrauen und fuhren geradezu an Bord. Wir erfuhren von ihnen, das niedrige Eiland, bei dem wir geankert, sey die Insel Coche, die immer unbewohnt gewesen und an der die spanischen Schiffe, die aus Europa kommen, gewoehnlich weiter noerdlich zwischen derselben und der Insel Margarita durchgehen, um im Hafen von Pampatar einen Lootsen einzunehmen. Unbekannt in der Gegend, waren wir in den Canal suedlich von Coche gerathen, und da die englischen Kreuzer sich damals haeufig in diesen Strichen zeigten, hatten uns die Indianer fuer ein feindliches Fahrzeug angesehen. Die suedliche Durchfahrt hat allerdings bedeutende Vortheile fuer Schiffe, die von Cumana nach Barcelona gehen; sie hat weniger Wassertiefe als die noerdliche, weit schmalere Durchfahrt, aber man laeuft nicht Gefahr aufzufahren, wenn man sich nahe an den Inseln Lobos und Moros del Tunal haelt. Der Canal zwischen Coche und Margarita wird durch die Untiefen am nordwestlichen Vorgebirge von Coche und durch die Bank an der Punte de Mangles eingeengt. Die Guayqueries gehoeren zum Stamm civilisirter Indianer, welche auf den Kuesten von Margarita und in den Vorstaedten von Cumana wohnen. Nach den Caraiben des spanischen Guyana sind sie der schoenste Menschenschlag in Terra Firma. Sie geniessen verschiedener Vorrechte, da sie seit der ersten Zeit der Eroberung sich als treue Freunde der Castilianer bewaehrt haben. Der Koenig von Spanien nennt sie daher auch in seinen Handschreiben "seine lieben, edlen und getreuen Guayqueries". Die Indianer, auf die wir in den zwei Piroguen gestossen, hatten den Hafen von Cumana in der Nacht verlassen. Sie wollten Bauholz in den Cedrowaeldern [_Cedrela odorata_ Linne] holen, die sich vom Cap San Jose bis ueber die Muendung des Rio Carupano hinaus erstrecken. Sie gaben uns frische Cocosnuesse und einige Fische von der Gattung _Choetodon_, deren Farben wir nicht genug bewundern konnten. Welche Schaetze enthielten in unseren Augen die Kaehne der armen Indianer! Ungeheure Vijaoblaetter [_Heliconia bihai._] bedeckten Bananenbueschel; der Schuppenpanzer eines Tatou [Armadill, _Dasypus_, _Cachicamo_], die Frucht der _Crescentia cujete_, die den Eingeborenen als Trinkgefaesse dienen, Naturkoerper, die in den europaeischen Cabinetten zu den gemeinsten gehoeren, hatten ungemeinen Reiz fuer uns, weil sie uns lebhaft daran mahnten, dass wir uns im heissen Erdguertel befanden und das laengstersehnte Ziel erreicht hatten. Der *Patron* einer der Piroguen erbot sich, an Bord des Pizarro zu bleiben, um uns als Lootse zu dienen. Der Mann empfahl sich durch sein ganzes Wesen; er war ein scharfsinniger Beobachter und hatte sich in lebhafter Wissbegier mit den Meeresprodukten wie mit den einheimischen Gewaechsen abgegeben. Ein gluecklicher Zufall fuegte es, dass der erste Indianer, dem wir bei unserer Landung begegneten, der Mann war, dessen Bekanntschaft unseren Reisezwecken aeusserst foerderlich wurde. Mit Vergnuegen schreibe ich in dieser Erzaehlung den Namen Carlos del Pino nieder, so hiess der Mann, der uns sechzehn Monate lang auf unseren Zuegen laengs der Kuesten und im inneren Lande begleitet hat. Gegen Abend liess der Capitaen der Corvette den Anker lichten. Bevor wir die Untiefe oder den _Placer_ bei Coche verliessen, bestimmte ich die Laenge des oestlichen Vorgebirges der Insel und fand sie 66 deg. 11' 53". Westwaerts steuernd hatten wir bald die kleine Insel Cubagua vor uns, die jetzt ganz oede ist, frueher aber durch Perlenfischerei beruehmt war. Hier hatten die Spanier unmittelbar nach Columbus und Ojedas Reisen eine Stadt unter dem Namen Neucadix gegruendet, von der keine Spur mehr vorhanden ist. Zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts waren die Perlen von Cubagua in Sevilla und Toledo, wie auf den grossen Messen von Augsburg und Bruegge bekannt. Da Neucadix kein Wasser hatte, so musste man es an der benachbarten Kueste aus dem Manzanaresflusse holen, obgleich man es, ich weiss nicht warum, beschuldigte, dass es Augenentzuendungen verursache. Die Schriftsteller jener Zeit sprechen alle vom Reichthum der ersten Ansiedler und vom Luxus, den sie getrieben; jetzt erheben sich Duenen von Flugsand auf der unbewohnten Kueste und der Name Cubagua ist auf unseren Karten kaum verzeichnet. In diesem Striche angelangt, sahen wir die hohen Berge von Kap Macanao im Westen der Insel Margarita majestaetisch am Horizont aufsteigen. Nach den Hoehenwinkeln, die wir in 18 Meilen Entfernung nahmen, moegen diese Gipfel 500-600 Toisen absolute Hoehe haben. Nach Louis Berthoud´s Chronometer liegt Cap Macanao unter 66 deg. 47' 5" Laenge. Ich nahm die Felsen am Ende des Vorgebirges auf, nicht die sehr niedrige Landzunge, die nach West fortstreicht und sich in eine Untiefe verliert. Die Laenge, die ich fuer Macanao gefunden, und die, welche ich oben fuer die Ostspitze der Insel Coche angegeben, weichen von Fidalgos Beobachtungen nur um 4 Zeitsecunden ab. Der Wind war sehr schwach; der Capitaen hielt es fuer rathsamer, bis zu Tagesanbruch zu laviren. Er scheute sich, bei Nacht in den Hafen von Cumana einzulaufen, und ein ungluecklicher Zufall, der vor kurzem eben hier vorgekommen war, schien diese Vorsicht zu gebieten. Ein Paketboot hatte Anker geworfen, ohne die Laternen auf dem Hintertheil anzuzuenden; man hielt es fuer ein feindliches Fahrzeug und die Batterien von Cumana gaben Feuer darauf. Dem Capitaen des Postschiffes wurde ein Bein weggerissen und er starb wenige Tage darauf in Cumana. Wir brachten die Nacht zum Theil auf dem Verdeck zu. Der indianische Lootse unterhielt uns von den Thieren und Gewaechsen seines Landes. Wir hoerten zu unserer grossen Freude, wenige Meilen von der Kueste sey ein gebirgiger, von Spaniern bewohnter Landstrich, wo empfindliche Kaelte herrsche, und auf den Ebenen kommen zwei sehr verschiedene Krokodile [_Crocodilus acutus_ und _C. Bava_.] vor, ferner Boas, elektrische Aale [_Gymnotus electricus_, _Temblador_.] und mehrere Tigerarten. Obgleich die Worte *Bava*, *Cachicamo* und *Temblador* uns ganz unbekannt waren, liess uns die naive Beschreibung der Gestalt und der Sitten der Thiere alsbald die Arten erkennen, welche die Creolen so benennen. Wir dachten nicht daran, dass diese Thiere ueber ungeheure Landstriche zerstreut sind, und hofften, sie gleich in den Waeldern bei Cumana beobachten zu koennen. Nichts reizt die Neugierde des Naturkundigen mehr als der Bericht von den Wundern eines Landes, das er betreten soll. Am 16. Juli 1799, bei Tagesanbruch, lag eine gruene, malerische Kueste vor uns. Die Berge von Neuandalusien begrenzten, halb von Wolken verschleiert, nach Sueden den Horizont. Die Stadt Cumana mit ihrem Schloss erschien zwischen Gruppen von Cocosbaeumen. Um neun Uhr morgens, ein und vierzig Tage nach unserer Abfahrt von Corunna, gingen wir im Hafen vor Anker. Die Kranken schleppten sich auf das Verdeck um sich am Anblick eines Landes zu laben, wo ihre Leiden ein Ende finden sollten. ------------------ 31 Dass fortwaehrend ein oberer Luftstrom vom Aequator zu den Polen und ein unterer von den Polen zum Aequator geht, diess ist, die Arago dargethan hat, schon von Hooke erkannt worden. Seine Ideen hierueber entwickelte der beruehmte englische Physiker in einer Rede vom Jahr 1686. "Ich glaube," fuegt er hinzu, "dass sich mehrere Erscheinungen in der Luft und auf dem Meere, namentlich die Winde, aus Polarstroemen erklaeren lassen." Hadley fuehrt diese interessante Stelle nicht an; andererseits nimmt Hooke, wo er auf die Passatwinde selbst zu sprechen kommt, Galileis unrichtige Theorie an, nach der sich die Erde und die Luft mit verschiedener Geschwindigkeit bewegen sollen. 32 Die spanischen Seeleute nennen die sehr starken Passatwinde in Cartagena _los brisotes de la Santa Martha_ und im Meerbusen von Mexico _las brizas pardas_. Bei letzteren Winden ist der Himmel grau und umwoelkt. 33 Phoenicische Fahrzeuge scheinen in "in 30 Tagen Schiffahrt und mit dem Ostwind" zum *Grasmeer* gekommen zu seyn, das bei den Spaniern und Portugiesen _Mar de Sargazo_ heisst. Ich habe anderswo dargetan, dass diese Stelle im Buche des Aristoteles "_De Mirabilibus_" sich nicht wohl, wie eine aehnliche Stelle im Periplus des Scylax, auf die Kueste von Afrika beziehen kann. Setzt man voraus, dass das Gras bedeckte Meer, das die phoenicischen Schiffe in ihrem Lauf aufhielt, das _Mar de Sargazo_ gar, so braucht man nicht anzunehmen, dass die Alten im Atlantischen Meer ueber den 30. Grad westlicher Laenge vom Meridian von Paris hinausgekommen seyen. 34 Die Karten von Jefferys und Van-Keulen geben vier Inseln an, die nichts als eingebildete Gefahren sind: die Inseln Garca und Santa Anna, westlich von den Azoren, die gruene Insel (unter 14 deg. 52' Breite, 28 deg. 30' Laenge) und die Insel Fonseco (unter 13 deg. 15' Breite, 57 deg. 10' Laenge). Wie kann man an die Existenz von vier Inseln in von Tausenden von Schiffen befahrenen Strichen glauben, da von so vielen kleinen Riffen und Untiefen, die seit hundert Jahren von leichtglaeubien Schiffern angegeben worden sind, sich kaum zwei oder drei bewahrheitet haben? Was die allgemeine Frage betrifft, mit welchen Grade von Wahrscheinlichkeit sich annehmen laesst, dass zwischen Europa und Amerika eine auf eine Meile sichtbare Insel werde entdeckt werden, so koennte man sie einer strengen Rechnung unterwerfen, wenn man die Zahl der Fahrzeuge kennte, die seit dreihundert Jahren jaehrlich das atlantische Meer befahren, und wenn man dabei die ungleiche Vertheilung der Fahrzeuge in verschiedenen Strichen beruechsichtigte. Befaende sich der Maalstrom, nach Van-Keulens Angabe unter 16 deg. Breite und 39 deg. 30' Laenge, so waeren wir am 4. Juli darueber weggefahren. 35 Rechts an des andern Poles Firmament Boten sich dar vier Sterne meinen Blicken, Die nur dem ersten Paar zu schaun vergoennt. Ihr Schimmer schien den Himmel zu entzuecken: O mitternaecht´ger Bogen, so verwaist, Weil du an ihnen nie dich kannst erquicken! (Nach Kannegiessers Uebersetzung). 36 Im atlantischen Meere ist ein Strich, wo das Wasser immer milchigt erscheint, obgleich die See dort sehr tief ist. Diese merkwuerdige Erscheinung zeigt sich unter der Breite der Insel Dominica und etwa unter 57 deg. der Laenge. Sollte an diesem Punkt, noch oestlicher als Barbados, ein versunkenes vulkanisches Eiland unter dem Meerespiegel liegen? VIERTES KAPITEL Erster Auftenthalt in Cumana. -- Die Ufer des Manzanares Wir waren am 16. Juli mit Tagesanbruch auf dem Ankerplatz, gegenueber der Muendung des Rio Manzanares, angelangt, konnten uns aber erst spaet am Morgen ausschiffen, weil wir den Besuch der Hafenbeamten abwarten mussten. Unsere Blicke hingen an den Gruppen von Cocosbaeumen, die das Ufer saeumten und deren ueber sechzig Fuss [20 m] hohe Staemme die Landschaft beherrschten. Die Ebene war bedeckt mit Bueschen von Cassien, Capparis und den baumartigen Mimosen, die gleich den Pinien Italiens ihre Zweige schirmartig ausbreiten. Die gefiederten Blaetter der Palmen hoben sich von einem Himmelsblau ab, das keine Spur von Dunst truebte. Die Sonne stieg rasch zum Zenith auf; ein blendendes Licht war in der Luft verbreitet und lag auf den weisslichen Huegeln mit zerstreuten cylindrischen Cactus und auf dem ewig ruhigen Meere, dessen Ufer von Alcatras [Ein brauner Pelikan von der Groesse des Schwans. _Pelicanus fuscus_, _Linne_.], Reihern und Flamingo bevoelkert sind. Das glaenzende Tageslicht, die Kraft der Pflanzenfarben, die Gestalten der Gewaechse, das bunte Gefieder der Voegel, alles trug den grossartigen Stempel der tropischen Natur. Cumana, die Hauptstadt von Neuandalusien, liegt eine Meile [4,5 km] vom Landungsplatz oder der Batterie _de la Bocca_, bei der wir ans Land gestiegen, nachdem wir ueber die Barre des Manzanares gefahren. Wir hatten ueber eine weite Ebene [_El Salado_] zu gehen, die zwischen der Vorstadt der Guayqueries und der Kueste liegt. Die starke Hitze wurde durch die Strahlung des zum Theil pflanzenlosen Bodens noch gesteigert. Der hunderttheilige Thermometer, in den weissen Sand gesteckt, zeigte 37 deg.,7. In kleinen Salzwasserlachen stand er auf 30 deg.,5, waehrend im Hafen von Cumana die Temperatur des Meeres an der Oberflaeche meist 25 deg.,2 bis 26 deg.,3 betraegt. Die erste Pflanze, die wir auf dem amerikanischen Festland pflueckten, war die _Avicennia tomentosa_ (_Mangle prieto_), die hier kaum zwei Fuss hoch wird. Dieser Strauch, das _Sesuvium_, die gelbe _Gomphrena_ und die Cactus bedecken den mit salzsaurem Natron geschwaengerten Boden; sie gehoeren zu den wenigen Pflanzen, die, wie die europaeischen Heiden, gesellig leben, und dergleichen in der heissen Zone nur am Meeresufer und auf den hohen Plateaus der Anden vorkommen. Nicht weniger interessant ist die die cumanische Avicennia durch eine andere Eigenthuemlichkeit: diese Pflanze gehoert dem Gestade und der Kueste von Malabar gemeinschaftlich an. Der indische Lootse fuehrte uns durch seinen Garten, der viel mehr einem Gehoelz als einem bebauten Lande glich. Er zeigte uns als Beweis der Fruchtbarkeit des Klimas einen Kaesebaum _(Bombax heptaphyllum)_, dessen Stamm im vierten Jahre bereits gegen dritthalb Fuss [75 cm] Durchmesser hatte. Wir haben an Ufern des Orinoco und des Magdalenenflusses die Beobachtung gemacht, dass die Bombax, die Carolineen, die Ochromen und andere Baeume aus der Familie der Malven ausnehmend rasch wachsen. Ich glaube aber doch, dass die Angabe des Indianers ueber das Alter des Kaesebaumes etwas uebertrieben war; denn in der gemaessigten Zone, auf dem feuchten und warmen Boden Nordamerikas zwischen dem Mississippi und den Aleghanis werden die Baeume in zehn Jahren nicht ueber einen Fuss [32 cm] dick, und das Wachsthum ist dort im Allgemeinen nur um ein Fuenftheil rascher als in Europa, selbst wenn man zum Vergleich die Platane, den Tulpenbaum und _Cupressus disticha_ waehlt, die zwischen neun und fuenfzehn Fuss [3 und 4,5 m] dick werden. Im Garten des Lootsen am Gestade von Cumana sahen wir auch zum erstenmal einen *Guama*(37) voll Bluethen, deren zahlreiche Staubfaeden sich durch ihre ungemeine Laenge und ihren Silberglanz auszeichnen. Wir gingen durch die Vorstadt der Indianer, deren Strassen geradlinigt und mit kleinen, ganz neuen Haeusern von sehr freundlichem Ansehen besetzt sind. Dieser Stadttheil war infolge des Erdbebens, das Cumana anderthalb Jahre vor unserer Ankunft zerstoert hatte, eben erst neu aufgebaut worden. Kaum waren wir auf einer hoelzernen Bruecke ueber den Manzanares gegangen, in dem hier Bava oder Krokodile von der kleinen Art vorkommen, begegneten uns ueberall die Spuren dieser schrecklichen Katastrophe; neue Gebaeude erhoben sich auf den Truemmern der alten. Wir wurden vom Capitaen des Pizarro zum Statthalter der Provinz, Don Vicente Emparan, gefuehrt, um ihm die Paesse zu ueberreichen, die das Staatssecretariat uns ausgestellt. Er empfing uns mit der Offenheit und edlen Einfachheit, die von jeher Zuege des baskischen Volkscharakters waren. Ehe er zum Statthalter von Portobelo und Cumana ernannt wurde, hatte er sich als Schiffscapitaen in der koeniglichen Marine ausgezeichnet. Sein Name erinnert an einen der merkwuerdigsten und traurigsten Vorfaelle in der Geschichte der Seekriege. Nach dem letzten Bruch zwischen Spanien und England schlugen sich zwei Brueder des Statthalters Emparan bei Nacht vor dem Hafen von Cadix mit ihren Schiffen, weil jeder das andere Schiff fuer ein feindliches hielt. Der Kampf war so furchtbar, dass beide Schiffe fast zugleich sanken. Nur ein sehr kleiner Theil der beiderseitigen Mannschaft wurde gerettet, und die beiden Brueder hatten das Unglueck, einander kurz vor ihrem Tode zu erkennen. Der Statthalter von Cumana aeusserte sich sehr zufrieden ueber unseren Entschluss, uns eine Zeitlang in Neuandalusien aufzuhalten, das zu jener Zeit in Europa kaum dem Namen nach bekannt war, und das in seinen Gebirgen und an den Ufern seiner zahlreichen Stroeme der Naturforschung das reichste Feld der Beobachtung bietet. Der Statthalter zeigte uns mit einheimischen Pflanzen gefaerbte Baumwolle und schoene Moebeln ganz aus einheimischen Hoelzern; er interessirte sich lebhaft fuer alle physischen Wissenschaften und fragte uns zu unserer grossen Verwunderung, ob wir nicht glaubten, dass die Luft unter dem schoenen tropischen Himmel weniger Stickstoff _(azotico)_ enthalte als in Spanien, oder ob, wenn das Eisen hierzulande rascher oxydire, dies allein von der groesseren Feuchtigkeit herruehre, die der Haarhygrometer anzeige. Dem Reisenden kann der Name des Vaterlandes, wenn er ihn auf einer fernen Kueste aussprechen hoert, nicht lieblicher in den Ohren klingen, als uns hier die Worte Stickstoff, Eisenoxyd, Hygrometer. Wir wussten, dass wir, trotz der Befehle des Hofs und der Empfehlung eines maechtigen Ministers, bei unserem Aufenthalt in den spanischen Colonien mit zahllosen Unannehmlichkeiten zu kaempfen haben wuerden, wenn es uns nicht gelang, bei den Regenten dieser ungeheuren Landstrecken besondere Theilnahme fuer uns zu wecken. Emparan war ein zu warmer Freund der Wissenschaft, um es seltsam zu finden, dass wir so weit hergekommen, um Pflanzen zu sammeln und die Lage gewisser Oertlichkeiten astronomisch zu bestimmen. Er argwoehnte keine andern Beweggruende unserer Reise als die in unseren Paessen angegebenen, und die oeffentlichen Beweise von Achtung, die er uns waehrend unseren langen Aufenthaltes in seinem Regierungsbezirke gegeben, haben Grosses dazu beigetragen, uns ueberall in Suedamerika eine freundliche Aufnahme zu verschaffen. Am Abend liessen wir unsere Instrumente ausschiffen und fanden zu unserer Befriedigung keines beschaedigt. Wir mietheten ein geraeumiges, fuer die astronomischen Beobachtungen guenstig gelegenes Haus. Man genoss darin, wenn der Suedwind wehte, einer angenehmen Kuehle; die Fenster waren ohne Scheiben, nicht einmal mit Papier bezogen, das in Cumana meist statt des Glases dient. Saemmtliche Passagiere des Pizarro verliessen das Schiff, aber die vom boesartigen Fieber Befallenen genasen sehr langsam. Wir sahen welche, die nach einem Monat, trotz der guten Pflege, die ihnen von ihren Landsleuten geworden, noch erschrecklich blass und mager waren. In den Spanischen Colonien ist die Gastfreundschaft so gross, dass ein Europaeer, kaeme er auch ohne Empfehlung und ohne Geldmittel an, so ziemlich sicher auf Unterstuetzung rechnen kann, wenn er krank in irgend einem Hafen ans Land geht. Die Catalonier, Galizier und Biscayer stehen im staerksten Verkehr mit Amerika. Sie bilden dort gleichsam drei gesonderte Corporationen, die auf die Sitten, den Gewerbsfleiss und den Handel der Colonien bedeutenden Einfluss haben. Der aermste Einwohner von Siges oder Vigo ist sicher, im Hause eines catalonischen oder galizischen *Pulpero* (Kraemer) Aufnahme zu finden, ob er nun nach Chile oder nach Mexiko oder auf die Philippinen kommt. Ich habe die ruehrendsten Beispiele gesehen, wie fuer unbekannte Menschen ganze Jahre lang unverdrossen gesorgt wird. Man kann hoeren, Gastfreundschaft sey leicht zu ueben in einem herrlichen Klima, wo es Nahrungsmittel im Ueberfluss gibt, wo die einheimischen Gewaechse wirksame Heilmittel liefern, und der Kranke in seiner Haengematte unter einem Schuppen das noethige Obdach findet. Soll man aber die Ueberlast, welche die Ankunft eines Fremden, dessen Gemuethsart man nicht kennt, einer Familie verursacht, fuer nichts rechnen? und die Beweise gefuehlvoller Theilnahme, die aufopfernde Sorgfalt der Frauen, die Geduld, die waehrend einer langen, schweren Wiedergenesung nimmer ermuedet, soll man von dem allen absehen? Man will die Beobachtung gemacht haben, dass, vielleicht mit Ausnahme einiger sehr volkreichen Staedte, seit den ersten Niederlassungen spanischer Ansiedler in der neuen Welt die Gastfreundschaft nicht merkbar abgenommen habe. Der Gedanke thut wehe, dass diess allerdings anders werden muss, wenn einmal Bevoelkerung und Industrie in den Colonien rascher zunehmen, und wenn sich auf der Stufe gesellschaftlicher Eintwicklung, die man als vorgeschrittene Kultur zu bezeichnen pflegt, die alte castilianische Offenheit allmaehlich verliert. Unter den Kranken, die in Cumana an Land kamen, befand sich ein Neger, der einige Tage nach unserer Ankunft in Raserei verfiel; er starb in diesem klaeglichen Zustand, obgleich sein Herr, ein siebzigjaehriger Mann, der Europa verlassen hatte, um in San Blas, am Eingang des Golfs von Californien, eine neue Heimath zu suchen, ihm alle erdenkliche Pflege hatte zu Theil werden lassen. Ich erwaehne dieses Falls, um zu zeigen, dass zuweilen Menschen, die im heissen Erdstrich geboren sind, aber in einem gemaessigten Klima gelebt haben, den verderblichen Einfluessen der tropischen Hitze erliegen. Der Neger war ein junger Mensch von achtzehn Jahren, sehr kraeftig und auf der Kueste von Guinea geboren. Durch mehrjaehrigen Aufenthalt auf der Hochebene von Castilien hatte aber seine Constitution den Grad von Reizbarkeit erhalten, der die Miasmen der heissen Zone fuer die Bewohner noerdlicher Laenger so gefaehrlich macht. Der Boden, auf dem die Stadt Cumana liegt, gehoert einer geologisch sehr interessanten Bildung an. Da mir aber seit meiner Rueckkehr nach Europa einige Reisende mit der Beschreibung von Kuestenstrichen, die sie nach mir besucht, zuvorgekommen sind, so beschraenke ich mich hier auf Bemerkungen, die ausserhalb des Kreises ihrer Beobachtungen fallen. Die Kette der Kalkalpen des Brigantin und Tataraqual streicht von Ost nach West vom Gipfel *Imposible* bis zum Hafen von Mochima und nach Campanario. In einer sehr fernen Zeit scheint das Meer diesen Gebirgsdamm von der Felsen kueste von Araya und Maniquarez getrennt zu haben. Der weite Golf von Cariaco ist durch einen Einbruch des Meeres entstanden, und ohne Zweifel stand damals an der Suedkueste das ganze mit salzsaurem Natron getraenkte Land, durch das der Manzanares laeuft, unter Wasser. Ein Blick auf den Stadtplan von Cumana laesst diese Thatsache so unzweifelhaft erscheinen, als dass die Becken von Paris, Oxford und Wien einst Meerboden gewesen. Das Meer zog sich langsam zurueck und legte das weite Gestade trocken, auf dem sich eine Huegelgruppe erhebt, die aus Gips und Kalkstein von der neuesten Bildung besteht. Die Stadt Cumana lehnt sich an diese Huegel, die einst ein Eiland im Golf von Cariaco waren. Das Stueck der Ebene norwaerts von der Stadt heisst "der kleine Strand" (_Plaga chica_); sie dehnt sich gegen Ost bis zur Punta Delgada aus, und hier bezeichnet ein enges mit _Gomphrena flava_ bedecktes Thal den Punkt, wo einst der Durchbruch der Gewaesser stattfand. Dieses Tal, dessen Eingang durch kein Aussenwerk vertheidigt wird, erscheint als der Punkt, von wo der Platz einem Angriff am meisten ausgesetzt ist. Der Feind kann in voller Sicherheit zwischen der *Punta Arenas del Barigon* und der Muendung des Manzanares durchgehen, wo die See 40-50 [73-91 m] und weiter nach Suedost sogar 87 Faden [159 m] tief ist. Er kann an der *Punta Delgada* landen und das Fort St. Antonio und die Stadt Cumana im Ruecken angreifen, ohne dass er vom Feuer der westlichen Batterien auf der Playa Chica an der Muendung des Stroms und beim *Cerro Colorado* etwas zu fuerchten haette. Der Huegel aus Kalkstein, den wir, wie oben bemerkt, als eine Insel im ehemaligen Golf betrachten, ist mit Fackeldisteln bedeckt. Manche davon sind 30-40 Fuss [10-13 m] hoch und ihr mit Flechten bedeckter, in mehrere Aeste kronleuchterartig getheilter Stamm nimmt sich hoechst seltsam aus. Bei Maniquarez an der Punta Araya massen wir einen Cactus, dessen Stamm ueber vier Fuss neun Zoll [1,54 m] Umfang hatte. Ein Europaeer, der nur die Fackeldisteln unserer Gewaechshaeuser kennt, wundert sich, wenn er sieht, dass das Holz dieses Gewaechses mit dem Alter sehr hart wird, dass es Jahrhunderte lang der Luft und Feuchtigkeit widersteht, und dass es die Indianer von Cumana vorzugsweise zu Rudern und Tuerschwellen verwenden. Nirgends in Suedamerika kommen die Gewaechse aus der Familie der Nopaleen haeufiger vor als in Cumana, Coro, Curacao und auf der Insel Margarita. Nur dort koennte der Botaniker nach langem Aufenthalt eine Monographie der Cactus schreiben, die nicht in Hinsicht auf Bluethen und Fruechte, aber nach der Form des gegliederten Stamms, nach der Zahl der Graeten und der Stellung der Stacheln ausnehmend viele Varietaeten bilden. Wir werden in der Folge sehen, wie diese Gewaechse, die fuer ein heisses, trockenes Klima, wie das Egyptens und Californiens, charakteristisch sind, immer mehr verschwinden, wenn man von Terra Firma ins Innere des Landes kommt. Die Cactusgebuesche spielen auf duerrem Boden in Suedamerika dieselbe Rolle wie in unseren noerdlichen Laendern die mit Binsen und Hydrocharideen bewachsenen Brueche. Ein Ort, wo stachlichte Cactus von hohem Wuchs in Reihen stehen, gilt fast fuer undurchdringlich. Solche Stellen, *Tunales* genannt, halten nicht allein den Eingeborenen auf, der bis zum Guertel nackt ist, sie sind ebensosehr von den Staemmen gefuerchtet, die ganz bekleidet gehen. Auf unsern einsamen Spaziergaengen versuchten wir es manchmal in den *Tunal* einzudringen, der die Spitze des Schlossberges kroent und durch den zum Theil ein Fussweg fuehrt. Hier liesse sich der Bau dieses sonderbaren Gewaechses an Tausenden von Exemplaren beobachten. Zuweilen wurden wir von der Nacht ueberrascht, denn in diesem Klima gibt es fast keine Daemmerung. Unsere Lage war dann desto bedenklicher, da der *Cascabel* oder die Klapperschlange, der *Coral* und andere Schlangen mit Giftzaehnen zur Legezeit solche heissen trockenen Orte aufsuchen, um ihre Eier in den Sand zu legen. Das Schloss St. Antonio liegt auf der westlichen Spitze des Huegels, aber nicht auf dem hoechsten Punkt; es wird gegen Osten von einer nicht befestigten Hoehe beherrscht. Der *Tunal* gilt hier und ueberall in den spanischen Niederlassungen fuer ein nicht unwichtiges militaerisches Vertheidigungsmittel. Wo man Erdwerke anlegt, suchen die Ingenieurs recht viele stachlichte Fackeldisteln darauf anzubringen und ihr Wachsthum zu befoerdern, wie man auch die Krokodile in den Wassergraeben der festen Plaetze hegt. In einem Klima, wo die organische Natur eine so gewaltige Triebkraft hat, zieht der Mensch fleischfressende Reptilien und mit furchtbaren Stacheln bewehrte Gewaechse zu seiner Vertheidigung herbei. Das Schloss St. Antonio, wo man an Festtagen die Flagge von Castilien aufzieht, liegt nur 30 Toisen [58,5 m] ueber dem Wasserspiegel des Meerbusens von Cariaco. Auf seinem kahlen Kalkhuegel beherrscht es die Stadt und liegt, wenn man in den Hafen einfaehrt, hoechst malerisch da. Es hebt sich hell von der dunkeln Wand der Gebirge ab, deren Gipfel bis zur Schneeregion aufsteigen und deren duftiges Blau mit dem Himmelsblau verschmilzt. Geht man vom Fort St. Antonio gegen Suedwest herab, so kommt man am Abhang desselben Felsen zu den Truemmern des alten Schlosses Santa Maria. Dies ist ein herrlicher Punkt, um gegen Sonnenuntergang des kuehlen Seewindes und der Aussicht auf den Meerbusen zu geniessen. Die hohen Berggipfel der Insel Margarita erscheinen ueber der Felsenkueste der Landenge von Araya; gegen Westen mahnen die kleinen Inseln Caracas, Picuito und Boracha an die Katastrophe, durch welche die Kueste von Terra Firma zerrissen worden ist. Diese Eilande gleichen Festungswerken, und da die Sonne die untern Luftschichten, die See und das Erdreich ungleich erwaermt, so erscheinen ihre Spitzen infolge der Luftspiegelung hinaufgezogen, wie die Enden der grossen Vorgebirge der Kueste. Mit Vergnuegen verfolgt man bei Tage diese wechseln den Erscheinungen; bei Einbruch der Nacht sieht man dann, wie die in der Luft schwebenden Gesteinmassen sich wieder auf ihre Grundlage niedersenken, und das Gestirn, das der organischen Natur Leben verleiht, scheint durch die veraenderliche Beugung seiner Strahlen den starren Fels vom Fleck zu ruecken und duerre Sandebenen wellenfoermig zu bewegen. Die eigentliche Stadt Cumana liegt zwischen dem Schlosse St. Antonio und den kleinen Fluessen Manzanares und Santa Catalina. Das durch die Arme des ersteren Flusses gebildete Delta ist ein fruchtbares Land, bewachsen mit Mammea, Achra, Bananen und anderen Gewaechsen, die in den Gaerten oder *Charas* der Indianer gebaut werden. Die Stadt hat kein ausgezeichnetes Gebaeude aufzuweisen, und bei der Haeufigkeit von Erdbeben wird sie schwerlich je welche haben. Starke Erdstoesse kommen zwar im selben Jahre in Cumana nicht so haeufig vor als in Quito, wo durch praechtige, sehr hohe Kirchen stehen; aber die Erdbeben in Quito sind nur scheinbar so heftig, und in Folge der eigenthuemlichen Beschaffenheit des Bodens und der Art der Bewegung stuerzt kein Gebaeude ein. In Cumana, wie in Lima und mehreren anderen Staedten, die weit von den Schluenden thaetiger Vulkane liegen, wird die Reihe schwacher Erdstoesse nach Ablauf vieler Jahre leicht durch groessere Katastrophen unterbrochen, die in ihren Wirkungen dener einer springenden Mine aehnlich sind. Wir werden oefters Gelegenheit haben, auf diese Erscheinungen zurueckzukommen, zu deren Erklaerung so viele eitle Theorien ersonnen worden sind, und fuer die man eine Classification gefunden zu haben glaubte, wenn man senkrechte und wagrechte Bewegungen, stossende und wellenfoermige Bewegungen annahm.(38) Die Vorstaedte von Cumana sind fast so stark bevoelkert wie die alte Stadt. Es sind ihrer drei: Die der *Serritos* auf dem Wege nach der Plaga chica, wo einige schoene Tamarindenbaeume stehen, die suedoestlich gelegene, San Francisco genannt, und die grosse Vorstadt der Guayqueries. Der Name dieses Indianerstammes war vor der Eroberung ganz unbekannt. Die Eingeborenen, die denselben jetzt fuehren, gehoerten frueher zu der Nation der Guaraunos, die nur noch auf dem Sumpfboden zwischen den Armen des Orinoco lebt. Alte Maenner versicherten mich, die Sprache ihrer Vorfahren sey eine Mundart des Guaraunosprache gewesen, aber seit hundert Jahren gebe es in Cumana und auf Margarita keinen Eingeborenen vom Stamme mehr, der etwas anderes spreche als castilianisch. Das Wort *Guayqueries* verdankt, gerade wie die Worte *Peru* und *Peruaner*, seinen Ursprung einem blossen Missverstaendnisse. Als die Begleiter des Columbus an der Insel Margarita hinfuhren, auf deren Nordkueste noch jetzt der am hoechsten stehende Theil dieser Nation wohnt, stiessen sie auf einige Eingeborene, die Fische harpunirten, indem sie einen mit einer sehr feinen Spitze versehenen, an einen Strick gebundenen Stock gegen sie schleuderten. Sie fragten sie in haytischer Sprache, wie sie hiessen: die Indianer aber meinten, die Fremden erkundigten sich nach den Harpunen aus dem harten, schweren Holz der Macanapalme und antworteten: *Guaike*, *Guaike*, das heisst: spitziger Stock. Die Guayqueries, ein gewandtes, civilisirtes Fischervolk, unterscheiden sich jetzt auffallend von den wilden Guaraunos am Orinoco, die ihre Huetten an den Staemmen der Morichepalme aufhaengen. Die Bevoelkerung von Cumana ist in der neuesten Zeit viel zu hoch angegeben worden. Im Jahre 1800 schaetzten sie Ansiedler, die in nationaloekonomischen Untersuchungen wenig Bescheid wissen, auf 20,000 Seelen, wogegen koenigliche bei der Landesregierung angestellte Beamte meinten, die Stadt samt den Vorstaedten habe nicht 12,000. Depons gibt in seinem schaetzbaren Werk ueber die Provinz Caracas der Stadt im Jahre 1802 gegen 28,000 Einwohner; andere geben im Jahr 1810 30,000 an. Wenn man bedenkt, wie langsam die Bevoelkerung in Terra Firma zunimmt, und zwar nicht auf dem Land, sondern in den Staedten, so laesst sich bezweifeln, dass Cumana bereits um ein Drittheil volkreicher seyn sollte als Vera Cruz, der vornehmste Hafen des Koenigreichs Neuspanien. Es laesst sich auch leicht darthun, dass im Jahr 1802 die Bevoelkerung kaum ueber 18,000 bis 19,000 Seelen betrug. Es waren mir verschiedene Notizen ueber die statistischen Verhaeltnisse des Landes zu Hand, welche die Regierung hatte zusammenstellen lassen, als die Frage verhandelt wurde, ob die Einkuenfte aus der Tabakspacht durch eine Personalsteuer ersetzt werden koennten, und ich darf mir schmeicheln, dass meine Schaetzung auf ziemlich sichern Grundlagen ruht. Eine im Jahr 1792 vorgenommene Zaehlung ergab fuer die Stadt Cumana, ihre Vorstaedte und die einzelnen Haeuser auf eine Meile in der Runde nur 10,740 Einwohner. Ein Schatzbeamter, Don Manuel Navarete, versichert, dass man sich bei dieser Zaehlung hoechstens um ein Drittheil oder ein Viertheil geirrt haben koenne. Vergleicht man die jaehrlichen Taufregister, so macht sich von 1792 bis 1800 nur eine geringe Zunahme bemerklich. Die Weiber sind allerdings sehr fruchtbar, besonders die eingeborenen, aber wenn auch die Pocken im Lande noch unbekannt sind, so ist doch die Sterblichkeit unter den kleinen Kindern furchtbar gross, weil sie in voelliger Verwahrlosung aufwachsen und die ueble Gewohnheit haben, unreife, unverdauliche Fruechte zu geniessen. Die Zahl der Geburten betraegt im Durchschnitt 520 bis 600, was auf eine Bevoelkerung von hoechstens 16,800 Seelen schliessen laesst. Man kann versichert seyn, dass saemmtliche Indianerkinder getauft und in das Taufregister der Pfarre eingetragen sind, und nimmt man an, die Bevoelkerung sey im Jahr 1800 26,000 Seelen stark gewesen, so kaeme auf dreiundvierzig Koepfe nur Eine Geburt, waehrend sich die Geburten zur Gesammtbevoelkerung in Frankreich wie 28 zu 100 und in den tropischen Strichen von Mexico wie 17 zu 100 verhalten. Vermuthlich wird sich die indianische Vorstadt allmaehlich bis zum Landungsplatz ausdehnen, da die Flaeche, auf der noch keine Haeuser oder Huetten stehen, hoechstens 340 Toisen lang ist. Dem Strande zu ist die Hitze etwas weniger drueckend als in der Altstadt, wo wegen des Zurueckprallens der Sonnenstrahlen vom Kalkboden und der Naehe des Berges St. Antonio die Temperatur der Luft ungemein hoch steigt. In der Vorstadt der Guayqueries haben die Seewinde freien Zutritt, der Boden ist Thon und damit, wie man glaubt, den heftigen Stoessen der Erdbeben weniger ausgesetzt, als die Haeuser, die sich an die Felsen und Huegel am rechten Ufer des Manzanares lehnen. Bei der Muendung des kleinen Flusses Santa Catalina ist der Saum des Ufers mit sogenannten Wurzeltraegern [_Rhizophora Mangle._] besetzt; aber diese *Manglares* sind nicht gross genug, um der Salubritaet der Luft in Cumana Eintrag zu thun. Im uebrigen ist die Ebene theils kahl, theils bedeckt mit Bueschen von _Sesubium portulacastrum_, _Gomphrena flava_, _Gomphrena myrtifolia_, _Talinum cuspidatum_, _Talinum cumanense_ und _Portulaca lanuginosa_. Unter diesen krautartigen Gewaechsen erheben sich da und dort die _Avicennia tomentosa_, die _Scoparia dulcus_, eine strauchartige Mimose mit sehr reizbaren Blaettern, besonders aber Cassien, deren in Suedamerika so viele vorkommen, dass wir auf unsern Reisen mehr als dreissig neue Arten zusammengebracht haben. Geht man zur indischen Vorstadt hinaus und am Fluss gegen Sued hinauf, so kommt man zuerst an ein Cactusgebuesch und dann an einen wunderschoenen Platz, den Tamarindenbaeume, Brasilienholzbaeume, Bombax und andere durch ihr Laub und ihre Bluethen ausgezeichnete Gewaechse beschatten. Der Boden bietet hier gute Weide, und Melkereien, aus Rohr erbaut, liegen zerstreut zwischen den Baumgruppen. Die Milch bleibt frisch, wenn man nicht in der Frucht des Flaschenkuerbisbaums, die ein Gewebe aus sehr dichten Holzfasern ist, sondern in poroesen Thongefaessen von Maniquarez aufbewahrt. In Folge eines in noerdlichen Laendern herrschenden Vorurtheils habe ich geglaubt, in der heissen Zone geben die Kuehe keine sehr fette Milch; aber der Aufenthalt in Cumana, besonders aber die Reise ueber die weiten mit Graesern und krautartigen Mimosen bewachsenen Ebenen von Calabozo haben mich belehrt, dass sich die Wiederkaeuer Europas vollkommen an das heisseste Klima gewoehnen, wenn sie nur Wasser und gutes Futter finden. Die Milchwirthschaft ist in den Provinzen Neuandalusien, Barcelona und Venezuela ausgezeichnet, und haeufig ist die Butter auf den Ebenen der heissen Zone besser als auf dem Ruecken der Anden, wo fuer die Alppflanzen die Temperatur in keiner Jahreszeit hoch genug ist und sie daher weniger aromatisch sind als auf den Pyrenaeen, auf den Bergen Estremaduras und Griechenlands. Den Einwohnern Cumanas ist die Kuehlung durch den Seewind lieber als der Blick ins Gruene, und so kennen sie fast keinen andern Spaziergang als den grossen Strand. Die Castilianer, denen man nachsagt, sie seyen im allgemeinen keine Freunde von Baeumen und Vogelgesang, haben ihre Sitten und ihre Vorurtheile in die Colonien mitgenommen. In Terra Firma, Mexico und Peru sieht man selten einen Eingeborenen einen Baum pflanzen allein in der Absicht, sich Schatten zu schaffen, und mit Ausnahme der Umgegend der grossen Hauptstaedte weiss man in diesen Laendern so gut wie nichts von Alleen. Die duerre Ebene von Cumana zeigt nach starken Regenguessen eine merkwuerdige Erscheinung. Der durchnaesste, von den Sonnenstrahlen erhitzte Boden verbreitet jenen Bisamgeruch, der in der heissen Zone Thieren der verschiedensten Klassen gemein ist, dem Jaguar, den kleinen Arten von Tigerkatzen, dem Cabiai [_Cavia capybara_, _Linne_], Galinazogeier [_Vultur aura_, _Linne_], dem Krokodil, den Vipern und Klapperschlangen. Die Gase, die das Vehikel dieses Aromas sind, scheinen sich nur in dem Maasse zu entwickeln, als der Boden, der die Reste zahlloser Reptilien, Wuermer und Insekten enthaelt, sich mit Wasser schwaengert. Ich habe indianische Kinder vom Stamme der Chaymas achtzehn Zoll lange und sieben Linien breite [40 cm lange und 15 mm breite] Scolopender oder Tausendfuesse aus dem Boden ziehen und verzehren sehen. Wo man den Boden aufgraebt, muss man staunen ueber die Massen organischer Stoffe, die wechselnd sich entwickeln, sich umwandeln oder zersetzen. Die Natur scheint in diesen Himmelsstrichen kraftvoller, fruchtbarer, man moechte sagen mit dem Leben verschwenderischer. Am Strande und bei den Melkereien, von denen eben die Rede war, hat man, besonders bei Sonnenaufgang, eine sehr schoene Aussicht auf die Gruppe hoher Kalkberge. Da diese Gruppe im Hause, wo wir wohnten, nur unter einem Winkel von drei Grad erscheint, diente sie mir lange dazu, die Veraenderungen in der irdischen Refraction mit den meteorologischen Veraenderungen in der irdischen Refraction zu vergleichen. Die Gewitter bilden sich mitten in dieser Cordillere, und man sieht von weitem, wie die dicken Wolken sich in starken Regen aufloesen, waehrend in Cumana sechs bis acht Monate lang kein Tropfen faellt. Der hoechste Gipfel der Bergkette, der sogenannte Brigantin, nimmt sich hinter dem Brito und dem Tetaraqual hoechst malerisch aus. Sein Name ruehrt her von der Gestalt eines sehr tiefen Thals an seinem noerdlichen Abhang, das dem Inneren eines Schiffes gleicht. Der Gipfel des Bergs ist fast ganz kahl und abgeplattet, wie der Gipfel des Mawna-Roa auf den Sandwichinseln; es ist eine senkrechte Wand, oder, um mich des bezeichnenderen Ausdruckes der spanischen Schiffer zu bedienen, ein Tisch, eine _mesa_. Diese eigenthuemliche Bildung und die symmetrische Lage einiger Kegel, die den Brigantin umgeben, brachten mich anfaenglich auf die Vermuthung, dass diese Berggruppe, die ganz aus Kalkstein besteht, Glieder der Basalt- oder Trappformation enthalten moechte. Der Statthalter von Cumana hatte im Jahr 1797 muthige Maenner ausgeschickt, die das voellig unbewohnte Land untersuchen und einen geraden Weg nach Neu-Barcelona ueber den Gipfel der *Mesa* eroeffnen sollten. Man vermuthete mit Recht, dieser Weg werde kuerzer und fuer die Gesundheit der Reisenden nicht so gefaehrlich seyn als der laengs der Kueste, den die Couriere von Caracas einschlagen; aber alle Bemuehungen, ueber die Bergkette zu kommen waren fruchtlos. In diesen Laendern Amerikas, wie in Neuholland(39) im Westen von Sidney, bietet nicht sowohl die Hoehe der Cordilleren als die Gestaltung des Gesteins schwer zu besiegende Hindernisse. Durch das von den Gebirgen im Innern und dem suedlichen Abhang des *Cerro de San Antonio* gebildete Laengenthal fliesst der Manzanares. In der ganzen Umgegend von Cumana ist diess der einzige ganz bewaldete Landstrich; er heisst die *Ebene der Charas*, [*Chacra*, verdorben *Chara*, heisst eine von einem Garten umgebene Huette.] wegen der vielen Pflanzungen, welche die Einwohner seit einigen Jahren den Fluss entlang versucht haben. Ein schmaler Pfad fuehrt vom Huegel von San Francisco durch den Forst zum Kapuzinerhospiz, einem hoechst angenehmen Landhaus, das die aragonesischen Moenche fuer alte entkraeftete Missionaere, die ihres Amtes nicht mehr walten koennen, gebaut haben. Gegen Ost werden die Waldbaeume immer kraeftiger und man sieht hier und da einen Affen [Der gemeine *Machi* oder Heulaffe.], die sonst in der Gegend sehr selten sind. Zu den Fuessen der Capparis, Bauhinien und des Zygophyllum mit goldgelben Bluethen breitet sich ein Teppich vom Bromelien [Chihuchihue, aus der Familie der Ananas.] aus, deren Geruch und deren kuehles Laub die Klapperschlangen hieher ziehen. Der Manzanares hat sehr klares Wasser und zum Glueck nichts mit dem Madrider Manzanares gemein, der unter seiner praechtigen Bruecke noch schmaeler erscheint. Er entspringt, wie alle Fluesse Neuandalusiens, in einem Striche der Savanen (Llanos), der unter dem Namen der Plateaus von Jonoro, Amana und Guanipa bekannt ist und beim indianischen Dorfe San Fernando die Gewaesser des Rio Juanillo aufnimmt. Man hat der Regierung oefter, aber immer vergeblich, den Vorschlag gemacht, beim ersten *Ipure* ein Wehr bauen zu lassen, um die Ebene der Charas kuenstlich zu bewaessern, denn der Boden ist trotz seiner scheinbaren Duerre ausnehmend fruchtbar, sobald Feuchtigkeit zu der herrschenden Hitze hinzukommt. Die Landleute, die im Allgemeinen in Cumana nicht wohlhabend sind, sollten nach und nach die Auslagen fuer die Schleusse ersetzen. Bis das Projekt in Ausfuehrung kommt, hat man Schoepfraeder, durch Maulthiere getriebene Pumpen und andere sehr unvollkommene Wasserwerke angelegt. Die Ufer des Manzanares sind sehr freundlich, von Mimosen, Erythrina, Ceiba und anderen Baeumen von riesenhaftem Wuchs beschattet. Ein Fluss, dessen Temperatur zur Zeit des Hochwassers auf 22 deg. faellt, waehrend der Thermometer der Luft auf 30-33 deg. steht, ist eine unschaetzbare Wohltat in einem Lande, wo das ganze Jahr eine furchtbare Hitze herrscht und man den Trieb hat, mehrere Male des Tages zu baden. Die Kinder bringen sozusagen einen Teil ihres Lebens im Wasser zu; alle Einwohner, selbst die weiblichen Glieder der reichsten Familien, koennen schwimmen, und in einem Lande, wo der Mensch dem Naturstande noch so nahe ist, hat man sich, wenn man morgens einander begegnet, nichts Wichtigeres zu fragen, als ob der Fluss heute kuehler sey als gestern. Man hat verschiedene Bademethoden. So besuchten wir jeden Abend eine Zirkel sehr achtungswerter Personen in der Vorstadt der Guaykari. Da stellte man bei schoenem Mondschein Stuehle ins Wasser; Maenner und Frauen waren leicht bekleidet, wie in manchen Baedern des noerdlichen Europas, und die Familie und die Fremden blieben ein paar Stunden im Flusse sitzen, rauchten Cigarren dazu und unterhielten sich nach Landessitte von der ungemeinen Trockenheit der Jahreszeit, vom starken Regenfall in den benachbarten Distrikten, besonders aber vom Luxus, den die Damen in Cumana den Damen in Caracas und Havana zum Vorwurf machen. Durch die *Bavas* oder kleinen Krokodile, die jetzt sehr selten sind und den Menschen nahe kommen, ohne anzugreifen, liess sich die Gesellschaft durchaus nicht stoeren. Diese Tiere sind drei bis vier Fuss [1 bis 1,3 m] lang; wir haben nie eines im Manzanares gesehen, wohl aber Delphine, die zuweilen bei Nacht im Flusse heraufkommen und die Badenden erschrecken, wenn sie durch ihre Luftloecher Wasser spritzen. Der Hafen von Cumana ist eine Reede, welche die Flotten von ganz Europa aufnehmen koennte. Der ganze Meerbusen von Cariaco, der sechsunddreissig Semeilen [67 km] lang und sechs bis acht [11 bis 15 km] breit ist, bietet vortrefflichen Ankergrund. Der Grosse Ozean an der Kueste von Peru kann nicht stiller und ruhiger seyn als das Meer der Antillen von Portocabello an, namentlich aber vom Vorgebirge Codera bis zur Landspitze von Paria. Von den Stuermen bei den Antillischen Inseln spuert man nie etwas in diesem Strich, wo man in Schaluppen ohne Verdeck das Meer befaehrt. Die einzige Gefahr im Hafen von Cumana ist eine Untiefe, *Baxo del Morro roxo*, die von West nach Ost 900 Toisen [1750 m] lang ist und so steil abfaellt, dass man dicht dabei ist, ehe man sie gewahr wird. Ich habe die Lage von Cumana etwas ausfuehrlich beschrieben, weil es mir wichtig schien, eine Gegend kennenzulernen, die seit Jahrhunderten der Herd der fruchtbarsten Erdbeben war. Ehe wir von diesen ausserordentlichen Erscheinungen sprechen, erscheint es mir als zweckmaessig, die verschiedenen Zuege des von mir entworfenen Naturbildes zusammenzufassen. Die Stadt liegt am Fusse eines kahlen Huegels und wird von einem Schlosse beherrscht. Kein Glockenturm, keine Kuppel faellt von weitem dem Reisenden ins Auge, nur einige Tamarinden-, Kokosnuss- und Dattelstaemme erheben sich ueber die Haeuser mit platten Daechern. Die Ebene ringsum, besonders dem Meere zu ist truebselig, staubig und duerr, wogegen ein frischer, kraeftiger Pflanzenwuchs von weitem den geschlaengelten Lauf des Flusses bezeichnet, der die Stadt von den Vorstaedten, die Bevoelkerung von europaeischer und gemischter Abkunft von den kupferfarbenen Eingeborenen trennt. Der freistehende, kahle, weisse Schlossberg San Antonio wirft zugleich eine grosse Masse Licht und strahlender Waerme zurueck; er besteht aus Breccien, deren Schichten versteinerte Seetiere einschliessen. In weiter Ferne gegen Sueden streicht dunkel ein maechtiger Gebirgszug hin. Dies sind die hohen Kalkalpen von Neuandalusien, wo dem Kalk Sandsteine und andere neuere Bildungen aufgelagert sind. Majestaetische Waelder bedecken diese Kordillere im innern Land und haengen durch ein bewaldetes Tal mit dem nackten, tonigen und salzhaltigen Boden zusamen, auf dem Cumana liegt. Einige Voegel von bedeutender Groesse tragen zur eigentuemlichen Physiognomie des Landes bei. Am Gestade und am Meerbusen sieht man Scharen von Fischreihern und Alcatras, sehr plumpen Voegeln, die gleich den Schwaenen mit gehobenen Fluegeln ueber das Wasser gleiten. Naeher bei den Wohnstaetten der Menschen sind Tausende von Galinazogeiern, wahre Chakals unter dem Gefieder, rastlos beschaeftigt, tote Tiere zu suchen. Ein Meerbusen, auf dessen Grunde heisse Quellen vorkommen, trennt die sekundaeren Gebirgsbildungen vom primitiven Schiefergebirge der Halbinsel Araya. Beide Kuesten werden von einem ruhigen, blauen, bestaendig vom selben Winde leicht bewegten Meere bespuelt. Ein reiner, trockener Himmel, an dem nur bei Sonnenaufgaug leichtes Gewoelk aufzieht, ruht auf der See, auf der baumlosen Halbinsel und der Ebene von Cumana, waehrend man zwischen den Berggipfeln im Inneren Gewitter sich bilden, sich zusammenziehen und in fruchtbaren Regenguessen sich entladen sieht. So zeigen denn an diesen Kuesten, wie am Fusse der Anden, Himmel und Erde scharfe Gegensaetze von Heiterkeit und Bewoelkung, von Trockenheit und gewaltigen Wasserguessen, von voelliger Kahlheit und ewig neu sprossendem Gruen. Auf dem neuen Continent unterscheiden sich die Niederungen an der See von den Gebirgslaendern im Innern so scharf, wie die Ebenen Unteraegyptens von den hochgelegenen Plateaus Abyssiniens. Zu den Zuegen, welche, wie oben angedeutet, der Kuestenstrich von Neu-Andalusien und der von Peru gemein haben, kommt nun noch, dass die Erdbeben dort wie hier gleich haeufig sind, und dass die Natur fuer diese Erscheinungen beidemal dieselben Grenzen einzuhalten scheint. Wir selbst haben in Cumana sehr starke Erdstoesse gespuert, eben war man daran, die vor kurzem eingestuerzten Gebaeude wieder aufzurichten, und so hatten wir Gelegenheit, uns an Ort und Stelle ueber die Vorgaenge bei der furchtbaren Katastrophe vom 14. Dezember 1797 genau zu erkundigen. Diese Angaben werden um so mehr Interesse haben, da die Erdbeben bisher weniger aus physischem und geologischem Gesichtspunkt, als vielmehr nur wegen ihrer schrecklichen Folgen fuer die Bevoelkerung und fuer das allgemeine Wohl ins Auge gefasst worden sind. Es ist eine an der Kueste von Cumana und auf der Insel Margarita sehr verbreitete Meinung, dass der Meerbusen von Cariaco sich infolge der Zertruemmerung des Landes und eines gleichzeitigen Einbruches des Meeres gebildet habe. Die Erinnerung an diese gewaltige Umwaelzung hatte sich unter den Indianern bis zum Ende des fuenfzehnten Jahrhunderts erhalten, und wie erzaehlt wird, sprachen die Eingeborenen bei der dritten Reise des Christoph Kolumbus davon wie von einem ziemlich neuen Ereignis. Im Jahre 1530 wurden die Bewohner der Kuesten von Paria und Cumana durch neue Erdstoesse erschreckt. Das Meer stuerzte ueber das Land her, und das kleine Fort, das Jakob Castellon bei Neutoledo gebaut hatte, wurde gaenzlich zerstoert. Zugleich bildete sich eine ungeheure Spalte in den Bergen von Cariaco, am Ufer des Meerbusens dieses Namens, und eine gewaltige Masse Salzwasser, mit Asphalt vermischt, sprang aus dem Glimmerschiefer hervor. Am Ende des sechzehnten Jahrhunderts waren die Erdbeben sehr haeufig, und nach den Ueberlieferungen, die sich in Cumana erhalten haben, ueberschwemmte das Meer oefter den Strand und stieg 15-20 Toisen [30-39 m] hoch an. Die Einwohner fluechteten sich auf den Cerro de San Antonio und auf den Huegel, auf dem jetzt das kleine Kloster San Francisco steht. Man glaubt sogar, infolge dieser haeufigen Ueberschwemmungen habe man das an den Berg gelehnte Stadtviertel angelegt, das zum Teil auf dem Anhang desselben liegt. Da es keine Chronik von Cumana gibt, und da sich wegen der bestaendigen Verheerungen der Termiten oder weissen Ameisen in den Archiven keine Urkunde befindet, die ueber 150 Jahre hinaufreicht, so weiss man nicht genau, wann diese fruehen Erdbeben stattgefunden haben. Man weiss nur, dass naeher unserer Zeit das Jahr 1766 fuer die Ansiedler das entsetzlichste und zugleich fuer die Naturgeschichte des Landes merkwuerdigste gewesen ist. Seit fuenfzehn Monaten hatte eine Trockenheit geherrscht, wie sie zuweilen auch auf den Inseln des Gruenen Vorgebirges beobachtet wird, als am 21. Oktober 1766 die Stadt Cumana von Grund aus zerstoert wurde. Das Gedaechtnis dieses Tages wird alljaehrlich mit einem Gottesdienst und einer feierlichen Prozession begangen. In wenigen Minuten stuerzten saemtliche Haeuser zusammen. An verschiedenen Orten der Provinz tat sich die Erde auf und spie nach Schwefel riechendes Wasser aus. Diese Ausbrueche waren besonders haeufig auf einer Ebene, die sich gegen Casanay, zwei Meilen oestlich von Cumana hinzieht, und die unter dem Namen *terra de hueca*, _hohler Boden_, bekannt ist, weil sie ueberall von warmen Quellen unterhoehlt zu seyn scheint. Waehrend der Jahre 1766 und 1767 lagerten die Einwohner von Cumana in den Strassen und begannen mit dem Wiederaufbau ihrer Haeuser erst, als sich die Erdbeben nur noch alle Monate wiederholten. Hier auf der Kueste traten damals dieselben Erscheinungen ein, die man auch im Koenigreich Quito unmittelbar nach der grossen Katastrophe vom 4. Februar 1797 beobachtet hat. Waehrend sich der Boden bestaendig wellenfoermig bewegte, war es, als wollte sich die Luft im Wasser aufloesen. Durch ungeheure Regenguesse schwollen die Fluesse an; das Jahr war ausnehmend fruchtbar, und die Indianer, deren leichten Huetten die staerksten Erdstoesse nichts anhaben, feierten nach einen uralten Aberglauben durch festlichen Tanz den Untergang der Welt und ihre bevorstehende Wiedergeburt. Nach der Ueberlieferung waren beim Erdbeben von 1766, wie bei einem andern sehr merkwuerdigen im Jahr 1794, die Stoesse blosse wagerechte wellenfoermige Bewegungen; erst am Unglueckstage des 14. Dezember 1797 spuerte man in Cumana zum erstenmal eine hebende Bewegung von unten nach oben. Ueber vier Fuenftheile der Stadt wurden damals voellig zerstoert, und der Stoss, der von einem starken unterirdischen Getoese begleitet war, glich, wie in Riobamba, der Explosion einer in grosser Tiefe angelegten Mine. Zum Glueck ging dem heftigen Stoss eine leichte wellenfoermige Bewegung voraus, so dass die meisten Bewohner sich auf die Strasse fluechten konnten, und von denen, die eben in den Kirchen waren, nur wenige das Leben verloren. Man glaubt in Cumana allgemein, die verheerendsten Erdbeben werden durch ganz schmale Schwingungen des Bodens und durch ein Sausen angekuendigt, und Leuten, die an solche Vorfaelle gewoehnt sind, entgeht solches nicht. In diesem verhaengnisvollen Augenblicke hoert man ueberall den Ruf: _Misericordia! tembla, tembla!_ [Erbarmen! sie (die Erde) bebt! sie bebt!] und es kommt selten vor, dass ein blinder Laerm durch einen Eingeborenen veranlasst wird. Die Aengstlichen achten auf das Benehmen der Hunde, Ziegen und Schweine. Die letzteren, die einen ausnehmend scharfen Geruch haben und gewoehnt sind im Boden zu wuehlen, verkuenden die Naehe der Gefahr durch Unruhe und Geschrei. Wir lassen es dahingestellt, ob sie das unterirdische Getoese zuerst hoeren, weil sie naeher am Boden sind, er ob etwa Gase, die der Erde entsteigen, auf ihre Organe wirken. Dass letzteres moeglich ist, laesst sich nicht laeugnen. Als ich mich in Peru aufhielt, wurde ein Fall beobachtet, der mit diesen Erscheinungen zusammenhaengt und der schon oefters vorgekommen war. Nach starken Erdstoessen wurde das Gras af den Savanen von Tucuman ungesund; es brach eine Viehseuche aus und viele Stuecke scheinen durch die boesen Duenste, die der Boden ausstiess, betaeubt oder erstickt worden zu seyn. In Cumana spuerte man eine halbe Stunde vor der grossen Katastrophe am 14. Dezember 1797 am Klosterberg von San Francisco einen starken Schwefelgeruch. Am selben Orte war das unterirdische Getoese, das von Suedost nach Suedwest fortzurollen schien, am staerksten. Zugleich sah man am Ufer des Manzanares, beim Hospiz der Kapuziner und im Meerbusen von Cariaco bei Mariguitar Flammen aus dem Boden schlagen. Wir werden in der Folge sehen, dass letztere in nicht vulkanischen Laendern so auffallende Erscheinung in den aus Alpenkalk bestehenden Gebirgen bei Cumanacao, im Thale des Rio Bordones, auf der Insel Margarita und mitten in dn Savanen oder *LLanos* von Neu-Andalusien ziemlich haeufig ist. In diesen Savanen steigen Feuergarben zu bedeutender Hoehe auf; man kann sie Stunden lang an den duerrsten Orten beobachten, und man versichert, wenn man den Boden, dem der brennbare Stoff entstroemt, untersuche, sey keinerlei Spale darin zu bemerken. Dieses Feuer, das an die Wasserstoffquellen oder *Salse* in Modena und an die Irrlichter unserer Suempfe erinnert, zuendet das Gras nicht an, wahrscheinlich weil die Saeule des sich entbindenden Gases mit Stickstoff und Kohlensaeure vermengt ist und nicht bis zum Boden herab brennt. Das Volk, da uebrigens hier zu Land nicht so aberglaeubisch ist als in Spanien, nennt diese roethlichen Flammen seltsamerweise "die Seele des Tyrannen Aguirre;" Lopez d'Aguirre soll naemlich, von Gewisensbissen gefoltert, in dem Lande umgehen, das er mit seinen Verbrechen befleckt.(40) Durch das grosse Erdbeben von 1797 ist die Untiefe an der Muendung des Rio Bordones in ihrem Umriss veraendert worden. Aehnliche Hebungen sind bei der voelligen Zerstoerung Cumanas im Jahr 1766 bobachtet worden. Die Punta Delgada an der Westkueste des Meerbusens von Cariaco wurde damals bedeutend groesser, und im Rio Guarapiche beim Dorfe Maturin entstand eine Klippe, wobei ohne Zweifel der Boden des Flusses durch elastische Fluessigkeiten zerrissen und emporgehoben wurde. Wir verfolgen die lokalen Veraenderungen, welche die verschiedenen Erdbeben in Cumana hervorgebracht, nicht weiter. Dem Plane dieses Werkes entsprechend suchen wir vielmehr die Ideen unter allgemeine Gesichtspunkte zu bringen und alles, was mit diesen schrecklichen und zugleich so schwer zu erklaerenden Vorgaengen zusammenhaengt, in Einen Rahmen zusammenzufassen. Wenn Naturforscher, welche die Schweizer Alpen oder die Kuesten Lapplands besuchen, unsere Kenntniss von den Gletschern und dem Nordlicht erweitern, so laesst sich von Einem, der das spanische Amerika bereist hat, erwarten, dass er sein Hauptaugenmerk auf Vulkane und Erdbeben gerichtet haben werde. Jeder Strich des Erdballs liefert der Forschung eigenthuemliche Stoffe, und wenn wi nicht hoffen duerfen, die Ursachen der Naturerscheinungen zu ergruenden, so muessen wir wenigstens versuchen, die Gesetze derselben kennen zu lernen und durch Vergleichung zahlreicher Thatsachen das Gemeinsame und immer Wiederkehrende vom Veraenderlichen und Zufaelligen zu unterscheiden. Die grossen Erdbeben, die nach einer langen Reihe kleiner Stoesse eintreten, scheinen in Cumana nichts Periodisches zu haben. Man hat sie nach achtzig, nach hundert und manchmal nach nicht dreissig Jahren sich wiederholen sehen, waehrend an der Kueste von Peru, z. B. in Lima, die Epochen, die jedesmal durch die gaenzliche Zerstoerung der Stadt bezeichnet werden, unverkennbar mit einer gewissen Regelmaessigkeit eintreten. Dass die Einwohner selbst an einen solchen Typus glauben, ist auch vom besten Einfluss auf die oeffentliche Ruhe und die Erhaltung des Gewerbefleisses. Man nimmt allgemein an, dass es ziemlich lange Zeit braucht, bis dieselben Ursachen wieder mit derselben Gewalt wirken koennen; aber dieser Schluss ist nur dann richtig, wenn man die Erdstoesse als lokale Erscheinungen auffasst, wenn man unter jedem Punkt des Erdballes, der grossen Erschuetterungen ausgesetzt ist, einen besonderen Herd annimmt. Ueberall, wo sich neue Gebaeude auf den Truemmern der alten erhoben, hoert man Leute, die nicht bauen wollen, aeussern, auf die Zerstoerung Lissabons am ersten November 1755 sey bald eine zweite, gleich schreckliche gefolgt, am 31. Maerz 1761. Nach einer uralten, auch in Cumana, Acapulco und Lima sehr verbreiteten Meinung [_Ariostoteles, Meteorologica, Lib. II. Seneca, Quaest. natur., Lib. VI, c. 12._] stehen die Erdbeben und der Zustand der Luft vor dem Eintreten derselben sichtbar in Zusammenhang. An der Kueste von Neu-Andalusien wird man aengstlioch, wenn bei grosser Hitze und nach langer Trockenheit der Seewind auf einmal aufhoert und der im Zenith reine wolkenlose Himmel sich bis zu sechs, acht Grad ueber dem Horizont mit einem roethlichen Duft ueberzieht. Diese Vorzeichen sind indessen sehr unsicher und wenn man sich nachher alle Vorgaenge im Luftkreis zur Zeit der staerksten Erschuetterungen vergegenwaertigt, so zeigt sich, dass heftige Stoesse so gut bei feuchtem als bei trockenem Wetter, so gut bei starkem Wind als bei drueckend schwueler stiller Luft eintreten koennen. Nach den vielen Erdbeben, die ich noerdlich vom Aequator, auf dem Festland und in Meeresbecken, an der Kueste und in 4870 m Hoehe erlebt, will es mir scheinen, als ob die Schwingungen des Bodens und der vorgehende Zustand der Luft im allgemeinen nicht viel miteinander zu tun haetten. Dieser Ansicht sind auch viele gebildete Maenner in den spanischen Kolonien, deren Erfahrung sich, wo nicht auf ein groesseres Stueck der Erdoberflaeche, so doch auf eine laengere Reihe von Jahren erstreckt. In europaeischen Laendern dagegen, wo Erdbeben im Verhaeltniss zu Amerika selten vorkommen, sind sie Physiker geneigt, die Schwingungen des Bodens und irgend ein Meteor, das zufaellig zur selben Zeit erscheint, in nahe Beziehung zu bringen. So glaubt man in Italien an einen Zusammenhang zwischen dem Sirocco und Erdbeben, und in London sah man das haeufige Vorkommen von Sternschnuppen und jene Suedlichter, die seitdem von Dalton oefters beobachtet worden sind, als die Vorlaeufer der Erdstoesse an, die man im Jahr 1748 bis zum Jahr 1756 spuerte. An den Tagen, wo die Erde durch starke Stoesse erschuettert wird, zeigt sich unter den Tropen keine Stoerung in der regelmaessigen stuendlichen Schwankung des Barometers. Ich habe mich in Cumana, Lima und Riobamba hievon ueberzeugt; auf diesen Umstand sind die Physiker umso mehr aufmerksam zu machen, als man auf St. Domingo in der Stadt Cap Francais unmittelbar vor dem Erdbeben von 1770 den Wasserbarometer um 21/2 Zoll will haben fallen sehen [Dieses Fallen entspricht nur zwei Linien Quecksilber.]. So erzaehlt man auch bei der Zerstoerung von Oran habe sich ein Apotheker mit seiner Familie gerettet, weil er wenige Minuten vor der Katastrophe zufaellig auf seinen Barometer gesehen und bemerkt habe, dass das Quecksilber auffallend stark falle. Ich weiss nicht, ob dieser Behauptung Glauben zu schenken ist; da es fast unmoeglich ist, waehrend der Stoesse selbst, die Schwankungen im Luftdruck zu beobachten, so muss man sich begnuegen, auf den Barometer vor oder nach dem Vorfall zu sehen. Im gemaessigten Erdstrich aeussern die Nordlichter nicht immer Einfluss auf die Declination der Magnetnadel und die Intensitaet der magnetischen Kraft; so wirken vielleicht die Erdbeben nicht gleichmaessig auf die us umgebende Luft. Es ist schwerlich in Zweifel zu ziehen, dass in weiter Ferne von den Schluenden taetiger Vulkane der durch Erdstoesse geborstene und erschuetterte Boden zuweilen Gase in die Luft ausstroemen laesst. Wie schon oben angefuehrt, brachen in Cumana aus dem trockensten Boden Flammen und mit schweflichter Saeure vermischte Daempfe hervor. An anderen Orten spie ebendaselbst der Boden Wasser und Erdpech aus. In Riobamba bricht eine brennbare Schlammasse, *Moya* genannt, aus Spalten, die sich wieder schliessen, und tuermt sich zu ansehnlichen Huegeln auf. Sieben Meilen [31 km] von Lissabon, bei Colares, sah man waehrend des furchtbaren Erdbebens vom 1. November 1755 Flammen und eine dicke Rauchsaeule aus der Felswand bei Alvidras und nach einigen Augenzeugen aus dem Meere selbst hervorbrechen. Der Rauch dauerte mehrere Tage und wurde desto staerker, je lauter das unterirdische Getoese war, das die Stoesse begleitete. In die Atmosphaere ausstroemende elastische Fluessigkeiten koennen lokal auf den Barometer wirken, freilich nicht durch ihre Masse, die im Verhaeltnis zur ganzen Luftmasse sehr unbedeutend ist, sondern weil sich, sobald ein grosser Ausbruch erfolgt, wahrscheinlich ein aufsteigender Strom bildet, der den Luftdruck vermindert. Ich bin geneigt, anuzunehmen, dass bei den meisten Erdbeben der erschuetterte Boden nichts von sich gibt, und dass, wenn wirklich Gase und Daempfe ausstroemen, diess weit nicht so oft vor den Stoessen, als waehrend derselben und hernach stattfindet. Aus diesem letzteren Umstand erklaert sich eine Erscheinung, die schwerlich abzulaeugnen ist, ich meine den raethselhaften Einfluss, den die Erdbeben im tropischen Amerika auf das Klima und den Eintritt der nassen und der trockenen Jahreszeit aeussern. Wenn die Erde erst im Moment der Erschuetterung selbst eine Veraenderung in der Luft hervorbringt, so sieht man ein, warum so selten ein auffallender meteorologischer Vorgang als Vorbote dieser grossen Umwaelzungen in der Natur erscheint. Fuer die Annahme, dass bei den Erdbeben in Cumana elastische Fluessigkeiten durch die Erdoberflaeche zu entweichen suchen, scheint das furchtbare Getoese zu sprechen, das man waehrend der Erdstoesse auf der Ebene der *Charas* am Rande der Brunnen vernimmt. Zuweilen werden Wasser und Sand ueber 6,5 m hoch emporgeschleudert. Aehnliche Erscheinungen entgingen schon dem Scharfsinn der Alten nicht, die in den Laendern Griechenlands und Kleinasiens wohnten, wo es sehr viele Hoehlen, Erdspalten und unterirdische Stroeme gibt. Das gleichfoermige Walten der Natur erzeugt allerorten dieselben Vorstellungen ueber die Ursachen der Erdbeben und ueber die Mittel, durch welche der Mensch, der so leicht das Mass seiner Kraefte vergisst, die Wirkungen der Ausbrueche aus der Tiefe mildern zu koennen meint. Was ein grosser roemischer Naturforscher vom Nutzen der Brunnen und Hoehlen sagt,(41) wiederholen in der Neuen Welt die unwissendsten Indianer in Quito, wenn sie den Reisenden die *Guaicos* oder Hoehlen am Pichincha zeigen. Das unterirdische Getoese, das bei Erdbeben so haeufig vorkommt, ist meist ausser Verhaeltniss mit der Kraft der Erdstoesse. In Cumana geht es denselben immer zuvor, waehrend man in Quito und neuerdings in Caracas und auf den Antillen, nachdem die Stoesse laengst aufgehoert haben, einen Donner wie vom Feuer einer Batterie gehoert hat. Eine dritte Classe dieser Erscheinungen, und die merkwuerdigste von allen ist das Monate lang fortwaehrende unterirdische Donnerrollen, ohne dass dabei die geringste Wellenbewegung des Bodens zu spueren waere. In allen den Erdbeben ausgesetzten Laendern sieht man als die Veranlassung und den Herd der Erdstoesse den Punkt an, wo, wahrscheinlich in Folge einer eigenthuemlichen Anordnung der Gesteinschichten, die Wirkungen am auffallendsten sind. So glaubt man in Cumana, der Schlossberg von San Antonio besonders aber der Huegel, auf dem das Kloster San Francisco liegt, enthalten eine ungeheure Masse Schwefel und andere brennbare Stoffe. Man vergisst, dass die Geschwindigkeit, mit der sich die Schwingungen auf grosse Entfernung, sogar ueber das Becken des Oceans fortpflanzen, deutlich darauf hinweist, dass der Mittelpunkt der Bewegung von der Erdoberflaeche sehr weit entfernt ist. Ohne Zweifel aus demselben Grunde sind die Erdbeben nicht an gewisse Gebirgsarten gebunden, wie manche Physiker behaupten, sondern alle sind vielmehr gleich geeignet, die Bewegung fortzupflanzen. Um nicht den Kreis meiner eigenen Erfahrung zu ueberschreiten, nenne ich nur die Granite von Lima und Acapulco, den Gneis von Caracas, den Glimmerschiefer der Halbinsel Araya, den Urgebirgsschiefer von Tepecuacuilco in Mexico, die secundaeren Kalksteine des Apennins, Spaniens und Neu-Andalusiens, endlich die Trapp-Porphyre der Provinzen Quito und Popayan. An allen diesen Orten wird der Boden haeufig durch die heftigsten Stoesse erschuettert; aber zuweilen werden in derselben Gebirgsart die obenauf gelagerten Schichten zu einem unueberwindlichen Hinderniss fuer die Fortpflanzung der Bewegung. So sah man schon in den saechsischen Erzgruben die Bergleute wegen Bebungen, die sie empfunden, erschrocken ausfahren, waehrend man an der Erdoberflaeche nichts davon gespuert hatte. Wenn nun auch in den weitentlegensten Laendern die Urgebirge, die secundaeren und die vulkanischen Gebirgsarten an den krampfhaften Zuckungen des Erdballs in gleichem Masse theilnehmen nehmen, so laesst sich doch nicht in Abrede ziehen, dass in einem nicht sehr ausgedehnten Landstrich gewisse Gebirgsarten die Fortpflanzung der Stoesse hemmen. In Cumana z. B. wurden vor der grossen Katastrophe im Jahr 1797 die Erdbeben nur laengs der aus Kalk bestehenden Suedkueste des Meerbusens von Cariaco bis zur Stadt dieses Namens gespuert, waehrend auf der Halbinsel Araya und im Dorfe Maniquarez der Boden an denselben Bewegungen keinen Theil nahm. Die Bewohner dieser Nordkueste, die aus Glimmerschiefer besteht, bauten ihre Huetten auf unerschuetterlichem Boden; ein 3000-4000 Toisen breiter Meerbusen lag zwischen ihnen und einer durch die Erdbeben mit Truemmern bedeckten und verwuesteten Ebene. Mit dieser auf die Erfahrung von Jahrhunderten gebauten Sicherheit ist es vorbei: mit dem 14. December 1797 scheinen sich im Innern der Erde neue Verbindungswege geoeffnet zu haben. Jetzt empfindet man es in Araya nicht nur, wenn in Cumana der Boden bebt, das Vorgebirge aus Glimmerschiefer ist seinerseits zum Mittelpunkt von Bewegungen geworden. Bereits wird zuweilen im Dorfe Maniquarez der Boden stark erschuettert, waehrend man an der Kueste von Cumana der tiefsten Ruhe geniesst, und doch ist der Meerbusen von Cariaco nur 60-80 Faden tief. Man will beobachtet haben, dass auf dem Festlande wie auf den Inseln die West- und Suedkuesten den Stoessen am meisten ausgesetzt seyen. Diese Beobachtung sieht im Zusammenhang mit den Ideen hinsichtlich der Lage der grossen Gebirgsketten und der Richtung ihrer steilsten Abhaenge, wie sie sich schon lange in der Geologie geltend gemacht haben; das Vorhandenseyn der Cordillere von Caracas und die Haeufigkeit der Erdbeben an den Ost- und Nordkuesten von Terra Firma, im Meerbusen von Paria, in Carupano, Cariaco und Cumana beweisen, wie wenig begruendet jene Ansicht ist. In Neu-Andalusien, wie in Chili und Peru, gehen die Erdstoesse den Kuesten nach und nicht weit ins Innere des Landes hinein. Dieser Umstand weist, wie wir bald sehen werden, darauf hin, dass die Ursachen der Erdbeben und der vulkanischen Ausbrueche in engem Verbande stehen. Wuerde der Boden an den Kuesten desshalb staerker erschuettert, weil diese die am tiefsten gelegenen Punkte des Landes sind, warum waeren dann in den Savanen oder Prairien, die kaum acht oder zehn Toisen ueber dem Meeresspiegel liegen, die Stoesse nicht eben so oft und eben so stark zu fuehlen? Die Erdbeben in Cumana sind mit denen auf den kleinen Antillen verkettet, und man hat sogar vermutet, sie koennten mit den vulkanischen Erscheinungen in den Kordilleren der Anden in einigem Zusammenhang stehen. Am 11. Februar 1797 erlitt der Boden der Provinz Quito eine Umwaelzung, durch die, trotz der sehr schwachen Bevoelkerung des Landes, gegen 40,000 Eingeborene unter den Truemmern ihrer Haeuser begraben wurden, in Erdspalten stuerzten oder in den ploetzlich neu gebildeten Seen ertranken. Zur selben Zeit wurden die Bewohner der oestlichen Antillen durch Erdstoesse erschreckt, die erst nach acht Monaten aufhoerten, als der Vulkan auf Guadeloupe Bimssteine, Asche und Wolken von Schwefeldaempfen ausstiess. Auf diesen Ausbruch vom 29. September, waehrenddessen man lange anhaltendes unterirdisches Bruellen hoerte, folgte am 14. Dezember das grosse Erdbeben von Cumana. Ein anderer Vulkan der Antillen, der auf St. Vincent, hat seitdem ein neues Beispiel solcher Wechselbeziehungen geliefert. Er hatte seit 1718 kein Feuer mehr gespieen, als er im Jahre 1812 wieder auswarf. Die gaenzliche Zerstoerung der Stadt Caracas erfolgte 34 Tage vor diesem Ausbruch, und starke Bodenschwingungen wurden sowohl auf den Inseln als an den Kuesten von Terra Firma gespuert. Man hat laengst die Bemerkung gemacht, dass die Wirkungen grosser Erdbeben sich ungleich weiter verbreiten als die Erscheinungen der taetigen Vulkane. Beobachtet man in Italien die Umwaelzungen des Erdbodens, betrachtet man die Reihe der Ausbrueche des Vesuv und des Aetna genau, so entdeckt man, so nahe auch diese Berge beieinander liegen, kaum Spuren gleichzeitiger Taetigkeit. Dagegen unterliegt es keinem Zweifel, dass bei den beiden letzten Erdbeben von Lissabon(42) das Meer bis in die Neue Welt hinueber in Aufregung geriet, z. B. bei der Insel Barbados, die ueber 5400 km von der Kueste von Portugal liegt. Verschiedene Tatsachen weisen darauf hin, dass die Erdbeben und die vulkanischen Ausbrueche(43) in engem ursaechlichen Zusammenhang stehen. In Pasto hoerten wir, die schwarze dicke Rauchsaeule, die im Jahre 1797 seit mehreren Monaten dem Vulkan in der Naehe dieser Stadt entstiegen war, sey zur selben Stunde verschwunden, wo sechzig Meilen [270 km] gegen Sued die Staedte Riobamba, Hambata und Tacunga durch einen ungeheuren Stoss ueber den Haufen geworfen wurden. Setzt man sich im Inneren eines brennenden Kraters neben die Huegel, die sich durch die Schlacken- und Aschenauswuerfe bilden, so fuehlt man mehrere Sekunden vor jedem einzelnen Ausbruch die Bewegung des Bodens. Wir haben dies im Jahre 1805 auf dem Vesuv beobachtet, waehrend der Berg gluehende Schlacken auswarf: wir waren im Jahre 1802 Zeugen diesselben Vorganges gewesen, als wir am Rande des ungeheuren Kraters des Pichincha standen, aus dem uebrigens eben nur schweflig saure Daempfe aufstiegen. Alles weist darauf hin, dass das eigentlich Wirksame bei den Erdbeben darin besteht, dass elastische Fluessigkeiten einen Ausweg suchen, um sich in der Luft zu verbreiten. An den Kuesten der Suedsee pflanzt sich diese Wirkung oft fast augenblicklich sechshundert Meilen [2700 km] weit, von Chile bis zum Meerbusen von Guayaquil fort, und zwar scheinen, was sehr merkwuerdig ist, die Erdstoesse desto staerker zu seyn, je weiter ein Ort von den thaetigen Vulkanen abliegt. Die mit Floetzen von sehr neuer Bildung bedeckten Granitberge Calabriens, die aus Kalk bestehende Kette des Apennins, die Grafschaft Perigord, die Kuesten von Spanien und Portugal, die von Peru und Terra Firma liefern deutliche Belege fuer diese Behauptung. Es ist als wuerde die Erde desto staerker erschuettert, je weniger die Bodenflaeche Oeffnungen hat, die mit den Hoehlungen im Innern in Verbindung stehen. In Neapel und Messina, am Fuss des Cotopaxi und des Tunguragua fuerchtet man die Erdbeben nur, so lange nicht Rauch und Feuer aus der Muendung der Vulkane bricht. Ja im Koenigreich Quito brachte die grosse Katastrophe von Riobamba, von der oben die Rede war, mehrere unterrichtete Maenner auf den Gedanken, dass das unglueckliche Land wohl nicht so oft verwuestet wuerde, wenn das unterirdische Feuer den Porphyrdom des Chimborazo durchbrechen koennte und dieser kolossale Berg sich wieder in einen thaetigen Vulkan verwandelte. Zu allen Zeiten haben analoge Thatsachen zu denselben Hypothesen gefuehrt. Die Griechen, die, wie wir, die Schwingungen des Bodens der Spannung elastischer Fluessigkeiten zuschrieben, fuehrten zur Bekraeftigung ihrer Ansicht an, dass die Erdbeben auf der Insel Euboea gaenzlich aufgehoert haben, seit sich aus der Ebene von Lelante eine Erdspalte gebildet. Wir haben versucht, am Schluss dieses Kapitels die allgemeinen Erscheinungen zusammenzustellen, welche die Erdbeben unter verschiedenen Himmelsstrichen begleiten. Wir haben gezeigt, dass die unterirdischen Meteore so festen Gesetzen unterliegen, wie die Mischung der Gase, die unsern Luftkreis bilden. Wir haben uns aller Betrachtungen ueber das Wesen der chemischen Agentien enthalten, die als Ursachen der grossen Umwaelzungen erscheinen, welche die Erdoberflaeche von Zeit zu Zeit erleidet. Es sey hier nur daran erinnert, dass diese Ursachen in ungeheuren Tiefen liegen, und dass man sie in den Erdbildungen zu suchen hat, die wir Urgebirge nennen, wohl gar unter der erdigen, oxydierten Kruste, in Tiefen, wo die halbmetallischen Grundlagen der Kieselerde, der Kalkerde, der Soda und der Pottasche gelagert sind. Man hat in neuester Zeit den Versuch gemacht, die Erscheinungen der Vulkane und Erdbeben als Wirkungen des Galvanismus aufzufassen, der sich bei eigenthuemlicher Anordnung ungleichartiger Erdschichten entwickeln soll. Es laesst sich nicht laeugnen, dass haeufig, wenn im Verlauf einiger Stunden starke Erdstoesse auf einander folgen, die elektrische Spannung der Luft im Augenblick, wo der Boden am staerksten erschuettert wird, merkbar zunimmt; um aber diese Erscheinung zu erklaeren, braucht man seine Zuflucht nicht zu einer Hypothese zu nehmen, die in geradem Widerspruch steht mit allem, was bis jetzt ueber den Bau unseres Planeten und die Anordnung seiner Erdschichten beobachtet worden ist. ------------------ _ 37 Inga spuria_. Die weissen Staubfaeden, 60 bis 70 an der Zahl, sitzen an einer gruenlichen Blumenkrone, haben Seidenglanz und an der Spitze einen gelben Staubbeutel. Die Bluethe der Guama ist 18 Linien [4 cm] lang. Dieser schoene Baum, der am liebsten an feuchten Orten waechst, wird zwischen 8 und 10 Toisen [15,5 und 19,5 m] hoch. 38 Diese Eintheilung schreibt sich schon aus der Zeit des Posidonius her. Es ist die _succusio_ und die _inclinatio_ des Seneca (_Quaestiones naturales. Lib. VI. c. 21_). Aber schon der Scharfsinn der Alten machte die Bemerkung, dass die Art und Weise der Erdstoesse viel zu veraenderlich ist, als dass man sie unter solche vermeintliche Gesetze bringen koennte. (Plato bei Plutarch _de placit. Philos. L. III. c. 15._) 39 Die blauen Berge in Neuholland, die Berge von Carmathen und Landsdown, sind bei hellem Wetter auf 50 Meilen nicht mehr sichtbar. Nimmt man den Hoehenwinkel zu einem halben Grad an, so haetten diese Berge etwa 620 Toisen absoluter Hoehe. 40 Wenn das Volk in Cumana und auf der Insel Margarita von _el tirano_ spricht, so ist immer der schaendliche Lopez d'Aguirre gemeint, der im Jahr 1560 sich am Aufstand Fernandos de Guzman gegen den Statthalter von Omegua und Dorado, Pedro de Ursua, betheiligtwe, und sich nachher selbst _traidor_, Verraether, nannte. 41 Plinius: _In puteis est remedium, quale et crebi specus praebent: conceptum enim spiritum exhalant, quod in certis notatur oppidis, quae minus quatiuntur, crebis ad eluviem cuniculus cavata (Plin. L. II. c. 82)._ Noch gegenwaertig glaubt man in der Hauptstadt von St. Domingo, dass die Brunnen die Kraft der Erdstoesse schwaechen. Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, dass die Erklaerung, die Seneca von den Erdbeben gibt (_Natur. Quaest. Lib. VI. c. 4_ bis _31_), den Keim alles dessen enthaelt, was in unserer Zeit ueber die Wirkung elastischer, im Inneren des Erdballes eingeschlossener Daempfe gesagt worden ist. 42 Am 1. November 1755 und 31. Maerz 1761. Beim ersteren Erdbeben ueberschwemmte das Meer in Europa die Kuesten von Schweden, England und Spanien, in Amerika die Inseln Antiqua, Barbados und Martinique. Auf Barbados, wo die Flut gewoehnlich nur 24-28 Zoll [640 bis 746 mm] hoch steigt, stieg das Wasser in der Bucht von Carlisle zwanzig Fuss [6,5 m] hoch. Es wurde zugleich "tintenschwarz", ohne Zweifel, weil sich der Asphalt, der im Meerbusen von Cariaco, wie bei der Insel Trinidad, auf dem Meeresboden haeufig vorkommt, mit dem Wasser vermengt hatte. Auf den Antillen und auf mehreren Schweizer Seen wurde eine auffallende Bewegung des Wassers sechs Stunden vor dem ersten Stoss, den man in Lissabon spuerte, beobachtet. In Cadiz sah man auf acht Meilen [36 km] weit aus der offenen See einen sechzig Fuss [20 m] hohen Wasserberg anruecken; er stuerzte sich auf die Kueste und zerstoerte eine Menge Gebaeude, aehnlich wie die achtzig Fuss [56 m] hohe Flutwelle, die am 9. Juni 1586 beim Erdbeben von Lima den Hafen von Callao ueberschwemmte. In Amerika hatte man auf dem Ontariosee seit Oktober 1755 eine starke Aufregung des Wassers beobachtet. Diese Erscheinungen weisen darauf hin, dass auf ungeheure Strecken hin unterirdische Verbindungen bestehen. Bei der Zusammenstellung der meist weit auseinanderliegenden Zeitpunkte, in denen Lima und Guatemala voellig zerstoert wurden, glaubte man hin und wieder die Bemerkung zu machen, als ob sich eine Wirkung langsam den Kordilleren entlang geaeussert haette, bald von Nord nach Sued, bald von Sued nach Nord. Ich gebe hier vier dieser auffallenden Zeitpunkte: +----------------------+---------------------+ |Mexiko | Peru | +----------------------+---------------------+ |(Breite 13 deg. 32´ Nord) | (Breite 12 deg. 6´ Sued) | +----------------------+---------------------+ |30. Nov. 1577, | 17. Juni 1578, | +----------------------+---------------------+ |4. Maerz 1679, | 17. Juni 1678, | +----------------------+---------------------+ |12. Febr. 1689, | 10. Okt. 1688, | +----------------------+---------------------+ |27. Sept. 1717, | 8. Febr. 1716. | +----------------------+---------------------+ Ich gestehe, wenn die Erdstoesse nicht gleichzeitig sind, oder doch kurz nacheinander folgen, so erscheint die angebliche Fortpflanzung der Bewegung sehr zweifelhaft. 43 Dieser ursaechliche Zusammenhang, den schon die Alten erkannten, beschaeftigte die Geister nach der Entdeckung von Amerika wieder sehr lebhaft. Diese Entdeckung vergnuegte nicht allein die Neugier der Menschen durch neue Naturprodukte, sie erweiterte auch ihre Vorstelluugen von der physischen Beschaffenheit der Laender, von den Spielarten des Menschengeschlechts und von den Wanderungen der Voelker. Man kann die Beschreibungen der aeltesten spanischen Reisenden, namentlich die des Jesuiten Acosta, nicht lesen, ohne jeden Augenblick freudig zu staunen, wie maechtig der Anblick eines grossen Festlandes, die Betrachtung einer wundervollen Natur und die Beruehrung mit Menschen von anderer Race auf die Geistesentwicklung in Europa gewirkt haben. Der Keim sehr vieler physikalischer Wahrheiten ist in den Schriften des sechzehnten Jahrhunderts niedergelegt, und dieser Keim haette Fruechte getragen, waere er nicht durch Fanatismus und Aberglauben erstickt worden. FUeNFTES KAPITEL Die Halbinsel Araya -- Salzsuempfe -- Die Truemmer des Schlosses Santiago Die ersten Wochen unseres Aufenthaltes in Cumana verwendeten wir dazu, unsere Instrumente zu berichtigen, in der Umgegend zu botanisieren und die Spuren des Erdbebens vom 14. Dezember 1797 zu beobachten. Die Mannigfaltigkeit der Gegenstaende, die uns zumal in Anspruch nahmen, liess uns nur schwer den Weg zu geordneten Studien und Beobachtungen finden. Wenn unsere ganze Umgebung den lebhaftesten Reiz fuer uns hatte, so machten dagegen unsere Instrumente die Neugier der Einwohnerschaft rege. Wir wurden sehr durch Besuche von der Arbeit abgezogen, und wollte man nicht Leute vor den Kopf stossen, die so seelevergnuegt durch einen Dollond die Sonnenflecken betrachteten oder auf galvanische Beruehrung einen Frosch sich bewegen sahen, so musste man sich wohl herbeilassen, auf oft verworrene Fragen Auskunft zu geben und stundenlang dieselben Versuche zu wiederholen. So ging es uns fuenf ganze Jahre, so oft wir uns an einem Orte aufhielten, wo man in Erfahrung gebracht hatte, dass wir Mikroskope, Fernrohre oder elektromotorische Apparate besitzen. Dergleichen Auftritte wurden meist desto angreifender, je verworrener die Begriffe waren, welche die Besucher von Astronomie und Physik hatten, welche Wissenschaften in den spanischen Colonien den sonderbaren Titel: "neue Philosophie," _nueva filosofia_ fuehren. Die Halbgelehrten sahen mit einer gewissen Geringschaetzung auf uns herab, wenn sie hoerten, dass sich unter unsern Buechern weder das _spectac1e de la nature_ vom Abbe Pluche, noch der _cours de physique_ von Sigand la Fond, noch das Woerterbuch von Valmont de Bomare befanden. Diese drei Werke und der _traite d'economie politique_ von Baron Bielfeld sind die bekanntesten und geachtetsten fremden Buecher im spanischen Amerika von Caracas und Chili bis Guatimala und Nordmexico. Man gilt nur dann fuer gelehrt, wenn man die Uebersetzungen derselben recht oft citiren kann, und nur in den grossen Hauptstaedten, in Lima, Santa Fe de Bogota und Mexico, fangen die Namen Haller, Cavendish und Lavoisier an jene zu verdraengen, deren Ruf seit einem halben Jahrhundert populaer geworden ist. Die Neugierde, mit der die Menschen sich mit den Himmelserscheinungen und verschiedenen naturwissenschaftlichen Gegenstaenden abgeben, aeussert sich ganz anders bei altcivilisirten Voelkern als da, wo die Geistesentwicklung noch geringe Fortschritte gemacht hat. In beiden Faellen finden sich in den hoechsten Staenden viele Personen, die den Wissenschaften ferne stehen; aber in den Colonien und bei jungen Voelkern ist die Wissbegier keineswegs muessig und voruebergehend, sondern entspringt aus dem lebendigen Trieb, sich zu belehren; sie aeussert sich so arglos und naiv, wie sie in Europa nur in frueher Jugend auftritt. Erst am 28. Juli konnte ich eine ordentliche Reihe astronomischer Beobachtungen beginnen, obgleich mir viel daran lag, die Laenge, wie sie Louis Berthouds Chronometer angab, kennen zu lernen. Der Zufall wollte, dass in einem Lande, wo der Himmel bestaendig rein und klar ist, mehrere Naechte sternlos waren. Zwei Stunden nach dem Durchgang der Sonne durch den Meridian zog jeden Tag ein Gewitter aus und es wurde mir schwer rorrespondirende Sonnenhoehen zu erhalten, obgleich ich in verschiedenen Intervallen drei, vier Gruppen aufnahm. Die vom Chronometer angegebene Laenge von Cumana differirte nur um 4 Secunden Zeit von der, welche ich durch Himmelsbeobachtungen gefunden, und doch hatte unsere Ueberfahrt einundvierzig Tage gewaehrt und bei der Besteigung des Pic von Teneriffa war der Chronometer starken Temperaturwechseln ausgesetzt gewesen. Aus meinen Beobachtungen in den Jahren 1799 und 1800 ergibt sich als Gesammtresultat, dass der grosse Platz von Cumana unter 10 deg. 27' 52" der Breite und 66 deg. 30' 2" der Laenge liegt. Die Bestimmung der Laenge gruendet sich auf den Uebertrag der Zeit, aus Monddistanzen, auf die Sonnenfinsterniss vom 28. Oktober 1799 und aus zehn Immersionen der Jupiterstrabanten, verglichen mit in Europa angestellten Beobachtungen. Sie weicht nur um sehr weniges von der ab, die Fidalgo vor mir, aber durch rein chronometrische Mittel gefunden. Unsere aelteste Karte des neuen Continents, die von Diego Ribeiro, Geographen Kaiser Carls des Fuenften, setzt Cumana unter 9 deg. 30' Breite, was um 58 Minuten von der wahren Breite abweicht und einen halben Grad von der, die Jefferys in seinem im Jahr 1794 herausgegebenen "Amerikanischen Steuermann" angibt. Dreihundert Jahre lang zeichnete man die ganze Kueste von Paria zu weit suedlich, weil in der Naehe der Insel Trinidad die Stroemungen nach Nord gehen und die Schiffer nach der Angabe des Logs weiter gegen Sued zu seyn glauben, als sie wirklich sind. Am 17. August machte ein Hof oder eine Lichtkrone um den Mond den Einwohnern viel zu schaffen. Man betrachtete es als Vorboten eines starken Erdstosses, denn nach der Volksphysik stehen alle ungewoehnlichen Erscheinungen in unmittelbarem Zusammenhang. Die farbigen Kreise um den Mond sind in den noerdlichen Laendern weit seltener als in der Provence, in Italien und Spanien. Sie zeigen sich, und diess ist auffallend, bei reinem Himmel, wenn das gute Wetter sehr bestaendig scheint. In der heissen Zone sieht man fast jede Nacht schoene prismatische Farben, selbst bei der groessten Trockenheit. Zuweilen habe ich zwischen dem 15. Grad der Breite und dem Aequator sogar um die Venus kleine Hoefe gesehen; man konnte Purpur, Orange und Violett unterscheiden; aber um Sirius, Canopus und Achernar habe ich niemals Farben gesehen. Waehrend der Mondhof in Cumana zu sehen war, zeigte der Hygrometer grosse Feuchtigkeit an; die Wasserduenste schienen aber so vollkommen aufgeloest, oder vielmehr so elastisch und gleichfoermig verbreitet, dass sie der Durchsichtigkeit der Luft keinen Eintrag thaten. Der Mond ging nach einem Gewitterregen hinter dem Schlosse San Antonio auf. Wie er am Horizont erschien, sah man zwei Kreise, einen grossen, weisslichen von 44 Grad Durchmesser und einen kleinen, der in allen Farben des Regenbogens glaenzte und 1 Grad 43 Minuten breit war. Der Himmelsraum zwischen beiden Kronen war dunkelblau. Bei 40 Grad Hoehe verschwanden sie, ohne dass die meteorologischen Instrumente die geringste Veraenderung in den niedern Luftregionen anzeigten. Die Erscheinung hatte nichts Auffallendes ausser der grossen Lebhaftigkeit der Farben, neben dem Umstand, dass nach Messungen mit einem Ramsden?schen Sextanten die Mondscheibe nicht ganz in der Mitte der Hoefe stand. Ohne die Messung haette man glauben koennen, diese Excentricitaet ruehre von der Projection der Kreise auf die scheinbare Concavitaet des Himmels her. Die Form der Hoefe und die Farben, welche in der Luft unter den Tropen beim Mondlicht zu Tage kommen, verdienen es von den Physikern von Neuem in den Kreis der Beobachtungen gezogen zu werden. In Mexico habe ich bei vollkommen klarem Himmel breite Streifen in den Farben des Regenbogens ueber das Himmelsgewoelbe und gegen die Mondscheibe hin zusammenlaufen sehen; dieses merkwuerdige Meteor erinnert an das von Cotes im Jahr 1716 beschriebene. Wenn unser Haus in Cumana fuer die Beobachtung des Himmels und der meteorologischen Vorgaenge sehr guenstig gelegen war, so mussten wir dagegen zuweilen bei Tage etwas ansehen, was uns empoerte. Der grosse Platz ist zum Teil mit Bogengaengen umgeben, ueber denen eine lange hoelzerne Galerie hinlaeuft, wie man sie in allen heissen Laendern sieht. Hier wurden die Schwarzen verkauft, die von der afrikanischen Kueste herueberkommen. Unter allen europaeischen Regierungen war die von Daenemark die erste und lange die einzige, die den Sklavenhandel abgeschafft hat, und dennoch waren die ersten Sklaven, die wir aufgestellt sahen, auf einem daenischen Sklavenschiff gekommen. Der gemeine Eigennutz, der mit Menschenpflicht, Nationalehre und den Gesetzen des Vaterlandes im Streite liegt, laesst sich durch nichts in seinen Speculationen stoeren. Die zum Verkauf ausgesetzten Sklaven waren junge Leute von fuenfzehn bis zwanzig Jahren. Man lieferte ihnen jeden Morgen Kokosoel, um sich den Koerper damit einzureiben und die Haut glaenzend schwarz zu machen. Jeden Augenblick erschienen Kaeufer und schaetzten nach der Beschaffenheit der Zaehne Alter und Gesundheitszustand der Sklaven; sie rissen ihnen den Mund auf, ganz wie es auf dem Pferdemarkt geschieht. Dieser entwuerdigende Brauch schreibt sich aus Afrika her, wie die getreue Schilderung zeigt, die Cervantes nach langer Gefangenschaft bei den Mauren in einem seiner Theaterstuecke [_El trado de Argel._] vom Verkauf der Christensklaven in Algier entwirft. Es ist ein empoerender Gedanke, dass es noch heutigen Tages auf den Antillen spanische Ansiedler gibt, die ihre Sklaven mit dem Glueheisen zeichnen, um sie wieder zu erkennen, wenn sie entlaufen. So behandelt man Menschen, die anderen Menschen die Muehe des Saeens, Ackerns und Erntens ersparen [_La Bruyere, Characteres cap. XI._]. Je tieferen Eindruck der erste Verkauf von Negern in Cumana auf uns gemacht hatte, desto mehr wuenschten wir uns Glueck, dass wir uns bei einem Volk und auf einem Continent befanden, wo ein solches Schauspiel sehr selten vorkommt und die Zahl der Sklaven im Allgemeinen hoechst unbedeutend ist. Dieselbe betrug im Jahr 1800 in den Provinzen Cumana und Barcelona nicht ueber sechstausend, waehrend man zur selben Zeit die Gesammtbevoelkerung auf hundert und zehntausend schaetzte. Der Handel mit afrikanischen Sklaven, den die spanischen Gesetze niemals beguenstigt haben, ist jetzt voellig bedeutungslos auf Kuesten, wo im sechzehnten Jahrhundert der Handel mit amerikanischen Sklaven schauerlich lebhaft war. Macarapan, frueher Amaracapana genannt, Cumana, Araya und besonders Neu-Cadix, das auf dem Eiland Cubagua angelegt worden war, konnten damals fuer Comptoirs gelten, die zur Betreibung des Sklavenhandels errichtet waren. Girolamo Benzoni aus Mailand, der im Alter von zweiundzwanzig Jahren nach Terra Firma gekommen war, machte im Jahr 1542 an den Kuesten von Bordones, Cariaco und Paria Raubzuege mit, bei denen unglueckliche Eingeborene weggeschleppt wurden. Er erzaehlt sehr naiv und oft mit einem Gefuehlsausdruck, wie er bei den Geschichtschreibern jener Zeit selten vorkommt, von den Grausamkeiten, die er mit angesehen. Er sah die Sklaven nach Neu-Cadix bringen, wo sie mit dem Glueheisen auf Stirne und Armen gezeichnet und den Beamten der Krone der Quint entrichtet wurde. Aus diesem Hafen wurden sie nach Haiti oder St. Domingo geschickt, nachdem sie mehrmals die Herren gewechselt, nicht weil sie verkauft wurden, sondern weil die Soldaten mit Wuerfeln um sie spielten. Unser erster Ausflug galt der Halbinsel Araya und jenen ehemals durch Sklavenhandel und die Perlenfischerei vielberufenen Landstrichen. Am 19. August gegen zwei Uhr nach Mitternacht schifften wir uns bei der indischen Vorstadt auf dem Manzanares ein. Unser Hauptzweck bei dieser kleinen Reise war, die Truemmer des alten Schlosses von Araya zu besehen, die Salzwerke zu besuchen und auf den Bergen, welche die schmale Halbinsel Maniquarez bilden, einige geologische Untersuchungen anzustellen. Die Nacht war koestlich kuehl, Schwaerme leuchtender Insekten [_Elater noctilucus._] glaenzten in der Luft, auf dem mit Sesuvium bedeckten Boden und in den Mimosenbueschen am Fluss. Es ist bekannt, wie haeufig die Leuchtwuermer in Italien und im ganzen mittaglichen Europa sind; aber ihr malerischer Eindruck ist gar nicht zu vergleichen mit den zahllosen zerstreuten, sich hin und her bewegenden Lichtpunkten, welche im heissen Erdstrich der Schmuck der Naechte sind, wo einem ist, als ob das Schauspiel, welches das Himmelsgewoelbe bietet, sich auf der Erde, auf der ungeheuren Ebene der Grasfluren wiederholte. Als wir Fluss abwaerts an die Pflanzungen oder *Charas* kamen, sahen wir Freudenfeuer, die Neger angezuendet hatten. Leichter, gekraeuselter Rauch stieg zu den Gipfeln der Palmen auf und gab der Mondscheibe einen roethlichen Schein. Es war Sonntag Nacht und die Sklaven tanzten zur rauschenden, eintoenigen Musik einer Guitarre. Der Grundzug im Charakter der afrikanischen Voelker von schwarzer Rasse ist ein unerschoepfliches Mass von Beweglichkeit und Frohsinn. Nachdem er die Woche ueber hart gearbeitet, tanzt und musicirt der Sklave am Feiertage dennoch lieber, als dass er ausschlaeft. Hueten wir uns, ueber diese Sorglosigkeit, diesen Leichtsinn hart zu urteilen, wird ja doch dadurch ein Leben voll Entbehrung und Schmerz versuesst. Die Barke, in der wir ueber den Meerbusen von Cariaco fuhren, war sehr geraeumig. Man hatte grosse Jaguarfelle ausgebreitet, damit wir bei Nacht ruhen koennten. Noch waren wir nicht zwei Monate in der heissen Zone, und bereits waren unsere Organe so empfindlich fuer den kleinsten Temperaturwechsel, dass wir vor Frost nicht schlafen konnten. Zu unserer Verwunderung sahen wir, dass der hunderttheilige Thermometer auf 21 deg.,8 stand. Dieser Umstand, der allen, die lange in beiden Indien gelebt haben, wohl bekannt ist, verdient von den Physiologen beachtet zu werden. Boucher erzaehlt, auf dem Gipfel der _Montagne Pelee_ auf Martiniques [der Berg ist nach verschiedenen Angaben zwischen 666 und 736 Toisen hoch] haben er und seine Begleiter vor Frost gebebt, obgleich die Waerme noch 21 1/2 Grad betrug. In der anziehenden Reisebeschreibung des Capitaen Bligh, der in Folge einer Meuterei an Bord des Schiffes Bounty zwoelfhundert Meilen in einer offenen Schaluppe zuruecklegen musste, liest man, dass er zwischen dem zehnten und zwoelften Grad suedlicher Breite weit mehr vom Frost als vom Hunger gelitten.(44) Im Januar 1803, bei unserem Aufenthalt in Guayaquil, sahen wir die Eingeborenen sich ueber Kaelte beklagen und sich zudecken, wenn der Thermometer auf 23 deg.,8 fiel, waehrend sie bei 30 deg.,5 die Hitze erstickend fanden. Es brauchte nicht mehr als sieben bis acht Grad, um die entgegengesetzten Empfindungen von Frost und Hitze zu erzeugen, weil an diesen Kuesten der Suedsee die gewoehnliche Lufttemperatur 28 deg. betraegt. Die Feuchtigkeit, mit der sich die Leitungsfaehigkeit der Lust fuer den Waermestoff aendert, spielt bei diesen Empfindungen eine grosse Rolle. Im Hafen von Guayaquil, wie ueberall in der heissen Zone auf tief gelegenem Boden, kuehlt sich die Lust nur durch Gewitterregen ab, und ich habe beobachtet, dass, waehrend der Thermometer auf 23 deg.,8 faellt, der Deluc'sche Hygrometer auf 50-52 Grad stehen bleibt; dagegen steht er auf 37 bei einer Temperatur von 30 deg.,5. In Cumana hoert man bei starken Regenguessen in den Strassen schreien: _"Que hielo! Estoy emparamado!"_(45) und doch faellt der dem Regen ausgesetzte Thermometer nur auf 21 deg.,5. Aus allen diesen Beobachtungen geht hervor, dass man zwischen den Wendekreisen auf Ebenen, wo die Lufttemperatur bei Tag fast bestaendig ueber 27 deg. ist, bei Nacht das Beduerfniss fuehlt, sich zuzudecken, so oft bei feuchter Luft der Thermometer um 4-51/2 Grad faellt. Gegen acht Uhr Morgens stiegen wir an der Landspitze von Araya bei der "Neuen Saline" ans Land. Ein einzelnes Haus steht auf einer kahlen Ebene neben einer Batterie von drei Kanonen, auf die sich seit Zerstoerung des Forts St. Jakob die Verteidigung dieser Kueste beschraenkt. Der Salineninspektor bringt sein Leben in einer Haengematte zu, in der er den Arbeitern seine Befehle erteilt, und eine _Lancha del rey_ (koenigliche Barke) fuehrt ihm jede Woche von Cumana seine Lebensmittel zu. Man wundert sich, dass bei einem Salzwert, das frueher bei den Englaendern, Hollaendern und anderen Seemaechten Eifersucht erregte, kein Dorf oder auch nur ein Hof liegt. Kaum findet man am Ende der Landspitze von Araya ein paar armselige indianische Fischerhuetten. Man uebersieht von hier aus zugleich das Eiland Cubagua, die hohen Berggipfel von Margarita, die Truemmer des Schlosses St. Jakob, den Cerro de la Vela und das Kalkgebirge des Brigantin, das gegen Sueden den Horizont begrenzt. Wie reich die Halbinsel Araya an Kochsalz ist, wurde schon Alonso Nino bekannt, als er im Jahr 1499 in Colombo's, Djeda's und Amerigo Vespucci's Fussstapfen diese Laender besuchte. Obgleich die Eingeborenen Amerikas unter allen Voelkern des Erdballes am wenigsten Salz verbrauchen, weil sie fast allein von Pflanzenkost leben, scheinen doch bereits die Guaykari im Ton- und Salzboden der *Punta Arenas* gegraben zu haben. Selbst die jetzt die *neuen* genannten Salzwerke, am Ende des Vorgebirgs Araya, waren schon in der fruehsten Zeit in Gang. Die Spanier, die sich zuerst auf Cubagua und bald nachher auf der Kueste von Cumana niedergelassen hatten, beuteten schon zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts die Salzsuempfe aus, die sich als Lagunen nordwestlich vom Cerro de la Vela hinziehen. Da das Vorgebirge Araya damals keine staendige Bevoelkerung hatte, machten sich die Hollaender den natuerlichen Reichtum des Bodens zunutze, den sie fuer ein Gemeingut aller Nationen ansahen. Heutzutage hat jede Kolonie ihre eigenen Salzwerke und die Schiffahrtskunst ist so weit fortgeschritten, dass die Cadizer Handelsleute mit geringen Kosten spanisches und portugiesisches Salz 1900 Meilen [8500 km] weit in die oestliche Halbkugel senden koennen, um Montevideo und Buenos Aires mit ihrem Bedarf fuer das Einsalzen zu versorgen. Solche Vortheile waren zur Zeit der Eroberung unbekannt; die Industrie in den Colonien war damals noch so weit zurueck, dass das Salz von Araya mit grossen Kosten nach den Antillen, nach Carthagena und Portobelo verschifft wurde. Im Jahr 1605 schickte der Madrider Hof bewaffnete Fahrzeuge nach Punta Araya, mit dem Befehl, daselbst auf Station zu liegen und die Hollaender mit Gewalt zu vertreiben. Diese fuhren nichts desto weniger fort heimlich Salz zu holen, bis man im Jahr 1622 bei den Salzwerken ein Fort errichtete, das unter dem Namen _Castillo de Santiago_ oder _Real Fuerza de Araya_ beruehmt geworden ist. Die grossen Salzsuempfe sind auf den aeltesten spanischen Karten bald als Bucht, bald als Lagune angegeben. Laet, der seinen _Orbis novus_ im Jahr 1633 schrieb und sehr gute Nachrichten von diesen Kuesten hatte, sagt sogar ausdruecklich, die Lagune sey von der See durch eine ueber der Fluthhoehe gelegene Landenge getrennt gewesen. Im Jahr 1726 zerstoerte ein ausserordentliches Ereigniss die Saline von Araya und machte das Fort, das ueber eine Million harter Piaster gekostet hatte, unnuetz. Man spuerte einen heftigen Windstoss, eine grosse Seltenheit in diesen Strichen, wo die See meist nicht unruhiger ist als das Wasser unserer Fluesse; die Fluth drang weit ins Land hinein und durch den Einbruch des Meeres wurde der Salzsee in einen mehrere Meilen langen Meerbusen verwandelt. Seitdem hat man noerdlich von der Huegelkette, welche das Schloss von der Nordkueste der Halbinsel trennt, kuenstliche Behaelter oder Kasten angelegt. Der Salzverbrauch war in den Jahren 1799 und 1800 in den beiden Provinzen Cumana und Barcelona zwischen neun und zehn tausend Fanegas, jede zu sechzehn Arrobas oder vier Centnern. Dieser Verbrauch ist sehr betraechtlich, und es ergeben sich dabei, wenn man 50,000 Indianer abrechnet, die nur sehr wenig Salz verzehren, sechzig Pfund auf den Kopf. In Frankreich rechnet man, nach Necker, nur zwoelf bis vierzehn Pfund, und der Unterschied ruehrt daher, dass man so viel Salz zum Einsalzen braucht. Das gesalzene Ochsenfleisch, *Tasajo* genannt, ist im Handel von Barcelona der vornehmste Ausfuhrartikel. Von neun bis zehn tausend Fanegas Salz, welche die beiden Provinzen zusammen liefern, kommen nur dreitausend vom Salzwerk von Araya; das uebrige wird bei Morro de Barcelona, Pozuelos, Piritu und im *Golfo triste* aus Meerwasser gewonnen. In Mexico liefert der einzige Salzsee *Pennon Blanco* jaehrlich ueber 250,000 Fanegas unreines Salz. Die Provinz Caracas hat schoene Salzwerke bei den Klippen los Noquez; das frueher aus der kleinen Insel Tortuga gelegene ist auf Befehl der spanischen Regierung zerstoert worden. Man grub einen Kanal, durch den das Meer zu den Salzsuempfen dringen konnte. Andere Nationen, die auf den kleinen Antillen Colonien haben, besuchten diese unbewohnte Insel, und der Madrider Hof fuerchtete in seiner argwoehnischen Politik, das Salzwerk von Tortuga moechte Veranlassung zu einer festen Niederlassung werden, wodurch dem Schleichhandel mit Terra Firma Vorschub geleistet wuerde. Die Salzwerke von Araya werden erst seit dem Jahr 1792 von der Regierung selbst betrieben. Bis dahin waren sie in den Haenden indianischer Fischer, die nach Belieben Salz bereiteten und verkauften, wofuer sie der Regierung nur die maessige Summe von 300 Piastern bezahlten. Der Preis der Fanega war damals vier Realen; [In dieser Reisebeschreibung sind alle Preise in harten Piastern und Silberrealen, _reales de plata_ ausgedrueckt. Acht Realen gehen auf einen harten Piaster oder 105 Sous franzoesischen Geldes.] aber das Salz war sehr unrein, grau, und enthielt sehr viel salzsaure und schwefelsaure Bittererde. Da zudem die Ausbeutung von Seiten der Arbeiter aeusserst unregelmaessig betrieben wurde, so fehlte es oft an Salz zum Einsalzen des Fleisches und der Fische, das in diesen Laendern fuer den Fortschritt des Gewerbfleisses von grossem Belang ist, da das indianische niedere Volk und die Sklaven von Fischen und etwas *Tasajo* leben. Seit die Provinz Cumana unter der Intendauz von Caracas steht, besteht die Salzregie, und die Fanega, welche die Guayqueries fuer einen halben Piaster verkauften, kostet anderthalb Piaster. Fuer diese Preiserhoehung leistet nur geringen Ersatz, dass das Salz reiner ist und dass die Fischer und Colonisten es das ganze Jahr im Ueberfluss beziehen koennen. Die Salinenverwaltung von Araya brachte im Jahr 1799 dem Schatze 8000 Piaster jaehrlich ein. Aus diesen statistischen Notizen geht hervor, dass die Salzbereitung in Araya, als Industriezweig betrachtet, von keinem grossen Belang ist. Der Thon, aus dem zu Araya das Salz gewonnen wird, kommt mit dem *Salzthon* ueberein, der in Berchtesgaden und in Suedamerika in Zipaquira mit dem Steinsalz vorkommt. Das salzsaure Natron ist in diesem Thon nicht in sichtbaren Theilchen eingesprengt, aber sein Vorhandenseyn laesst sich leicht bemerklich machen. Wenn man die Masse mit Regenwasser netzt und der Sonne aussetzt, schiesst das Salz in grossen Krystallen an. Die Lagune westlich vom Schloss Santiago zeigt alle Erscheinungen, wie sie von Lepechin, Gmelin und Pallas in den sibirischen Salzseen beobachtet worden sind. Sie nimmt uebrigens nur das Regenwasser auf, das durch die Thonschichten durchsickert und sich am tiefsten Punkte der Halbinsel sammelt. So lange die Lagune den Spaniern und Hollaendern als Salzwerk diente, stand sie mit der See in keiner Verbindung; neuerdings hat man nun diese Verbindung wieder aufgehoben, indem man an der Stelle, wo das Meer im Jahr 1726 eingebrochen war, einen Faschinendamm anlegte. Nach grosser Trockenheit werden noch jetzt vom Boden der Lagune drei bis vier Kubikfuss grosse Klumpen krystallisirten, sehr reinen salzsauren Natrons heraufgefoerdert. Das der brennenden Sonne ausgesetzte Salzwasser des Sees verdunstet an der Oberflaeche; in der gesaettigten Loesung bilden sich Salzkrusten, sinken zu Boden, und da Kristalle von derselben Zusammensetzung und der gleichen Gestalt einander anziehen, so wachsen die kristallinischen Massen von Tag zu Tag an. Man beobachtet im Allgemeinen, dass das Wasser ueberall, wo sich Lachen im Thonboden gebildet haben, salzhaltig ist. Im neuen Salzwerk bei den Batterien von Araya leitet man allerdings das Meerwasser in die Kasten, wie in den Salzsuempfen im mittaeglichen Frankreich; aber auf der Insel Margarita bei Pampadar wird das Salz nur dadurch bereitet, dass man suesses Wasser den salzhaltigen Thon auslaugen laesst. Das Salz, das in Thonbildungen enthalten ist, darf nicht verwechselt werden mit dem Salz, das im Sand am Meeresufer vorkommt, und das an den Kuesten der Normandie ausgebeutet wird. Diese beiden Erscheinungen haben, aus geologischen Gesichtspunkt betrachtet, so gut wie nichts mit einander gemein. Ich habe salzhaltigen Thon am Meeresspiegel, bei Punta Araya, und in 2000 Toisen Hoehe in den Cordilleren von Neugrenada gesehen. Wenn derselbe am erstgenannten Ort unter einer Muschelbreccie von sehr neuer Bildung liegt, so tritt er dagegen bei Ischl in Oesterreich als maechtige Schicht im Alpenkalk auf, der, obgleich gleichfalls juenger als die Existenz organischer Wesen auf der Erde, doch sehr alt ist, wie die vielen Gebirgsglieder zeigen, die ihm aufgelagert sind. Wir wollen nicht in Zweifel ziehen, dass das reine [das von Wieliczka und Peru] oder mit salzhaltigem Thon vermengte Steinsalz [das von Hallein, Ischl und Zipaquira] der Niederschlag eines alten Meeres seyn koenne; alles weist aber darauf hin, dass es sich unter Naturverhaeltnissen gebildet hat, die sehr bedeutend abweichen mussten von denen, unter welchen die jetzigen Meere in Folge allmaehliger Verdunstung hie und da ein paar Koerner salzsauren Natrons im Ufersande niederschlagen. Wie der Schwefel und die Steinkohle sehr weit auseinander liegenden Formationen angehoeren, kommt auch das Steinsalz bald im Uebergangsgips, bald im Alpenkalk, bald in einem mit sehr neuem Muschelsandstein bedeckten Salzthon (Punta Araya), bald in einem Gips vor, der juenger ist als die Kreide. Das neue Salzwerk von Araya besteht aus fuenf Behaeltern oder Kasten, von denen die groessten eine regelmaessige Form und 2300 Quadrattoisen Oberflaeche haben. Die mittlere Tiefe betraegt acht Zoll. Man bedient sich sowohl des Regenwassers, das sich durch Einsickerung am tiefsten Punkt der Ebene sammelt, als des Meerwassers, das durch Kanaele hereingeleitet wird, wenn der Wind die See an die Kueste treibt. Dieses Salzwerk ist nicht so guenstig gelegen wie die Lagune. Das Wasser, das in die letztere faellt, kommt von staerker geneigten Abhaengen und hat ein groesseres Bodenstueck ausgelaugt. Die Indianer pumpen mit der Hand das Meerwasser aus einem Hauptbehaelter in die Kasten. Leicht liesse sich indessen der Wind als Triebkraft benuetzen, da der Seewind fortwaehrend stark aus die Kueste blaest. Man hat nie daran gedacht, weder die bereits ausgelangte Erde wegzuschaffen, noch Schachte im Salzthon niederzutreiben, um Schichten aufzusuchen, die reicher an salzsaurem Natron sind. Die Salzarbeiter klagen meist ueber Regenmangel, und beim neuen Salzwerk scheint es mir schwer auszumitteln, welches Quantum von Salz allein auf Rechnung des Seewassers kommt. Die Eingeborenen schaetzen es aus ein Sechstheil des ganzen Ertrags. Die Verdunstung ist sehr stark und wird durch den bestaendigen Luftzug gesteigert; das Salz wird aber auch am achtzehnten bis zwanzigsten Tage, nachdem man die Behaelter gefuellt, ausgezogen. Wir fanden (am 19. August um 3 Uhr Nachmittags) die Temperatur des Salzwassers in den Kasten 32 deg.,5, waehrend die Luft im Schatten 27 deg.,2 und der Sand an der Kueste in sechs Zoll Tiefe 42 deg.,5 zeigte. Wir tauchten den Thermometer in die See und sahen ihn zu unserer Ueberraschung nur auf 23 deg. steigen. Diese niedrige Temperatur ruehrt vielleicht von den Untiefen her, welche die Halbinsel Araya und die Insel Margarita umgeben, und an deren Abfaellen sich tiefere Wasserschichten mit den oberflaechlichen vermischen. Obgleich das salzsaure Natron aus der Halbinsel Araya nicht so sorgfaeltig bereitet wird als in den europaeischen Salzwerken, ist es dennoch reiner und enthaelt weniger salzsaure und schwefelsaure Erden. Wir wissen nicht, ob diese Reinheit dem Antheil von Salz, den das Meer liefert, zuzuschreiben ist; denn wenn auch die Menge der im Meerwasser geloesten Salze hoechst wahrscheinlich unter allen Himmelsstrichen dieselbe ist,(46) so weiss man doch nicht, ob auch das Verhaeltnis zwischen dem salzsauren Natron, der salzsauren und schwefelsauren Bittererde und dem schwefelsauren und kohlensauren Kalk sich gleich bleibt. Nachdem wir die Salinen besehen und unsere geodaetischen Arbeiten beendet hatten, brachen wir gegen Abend auf, um einige Meilen weiterhin in einer indianischen Huette bei den Truemmern des Schlosses von Araya die Nacht zu zuzubringen. Unsere Instrumente und unseren Mundvorrat schickten wir voraus; denn wenn wir von der grossen Hitze und der Reverberation des Bodens erschoepft waren, spuerten wir in diesen Laendern nur abends und in der Morgenkuehle Esslust. Wir wandten uns nach Sued und gingen zuerst ueber die kahle mit Salzton bedeckte Ebene und dann ueber zwei aus Sandstein bestehende Huegelketten, zwischen denen die Lagune liegt. Die Nacht ueberraschte uns, waehrend wir einen schmalen Pfad verfolgten, der einerseits vom Meer, andererseits von senkrechten Felswaenden begrenzt ist. Die Flut war im raschen Steigen und engte unseren Weg mit jedem Schritt mehr ein. Am Fusse des alten Schlosses von Araya angelangt lag ein Naturbild mit einem melancholischen, romantischen Anstrich vor uns, und doch wurde weder durch die Kuehle des finsteren Forstes, noch durch die Grossartigkeit der Pflanzengestalten die Schoenheit der Truemmer gehoben. Sie liegen auf einem kahlen, duerren Berge, mit Agaven, Saeulenkaktus und Mimosen bewachsen und gleichen nicht sowohl einem Werke von Menschenhand, als vielmehr Felsmassen, die in den aeltesten Umwaelzungen des Erdballes zertruemmert worden. Wir wollten Halt machen, um das grossartige Schauspiel zu geniessen und den Untergang der Venus zu beobachten, deren Scheibe von Zeit zu Zeit zwischen dem Gemaeuer des Schlosses erschien; aber der Mulatte, der uns als Fuehrer diente, wollte verdursten und drang lebhaft in uns, umzukehren. Er hatte laengst gemerkt, dass wir uns verirrt hatten, und da er hoffte, durch die Furcht auf uns zu wirken, sprach er bestaendig von Tigern und Klapperschlangen. Giftige Reptilien sind allerdings beim Schlosse Araya sehr haeufig, und erst vor kurzem waren beim Eingang des Dorfes Maniquarez zwei Jaguars erlegt worden. Nach den aufbehaltenen Fellen waren sie nicht viel kleiner als die ostindischen Tiger. Vergeblich fuehrten wir unserem Fuehrer zu Gemuet, dass diese Tiere an einer Kueste, wo die Ziegen ihnen reichliche Nahrung bieten, keinen Menschen anfallen; wir mussten nachgeben und hingehen, woher wir gekommen waren. Nachdem wir drei Viertelstunden ueber einen von der steigenden Flut bedeckten Strand gegangen, stiess der Neger zu uns, der unsern Mundvorrath getragen hatte; da er uns nicht kommen sah, war er unruhig geworden und uns entgegengegangen. Er fuehrte uns durch ein Gebuesch von Fackeldisteln zu der Huette einer indianischen Familie. Wir wurden mit der herzlichen Gastfreundschaft aufgenommen, die man in diesen Laendern bei Menschen aller Kasten findet. Von aussen war die Huette, in der wir unsere Haengematten befestigten, sehr sauber; wir fanden daselbst Fische, Bananen u. dgl. Und, was im heissen Landstrich ueber die ausgesuchtesten Speisen geht, vortreffliches Wasser. Des anderen Tages bei Sonnenaufgang sahen wir, dass die Huette, in der wir die Nacht zugebracht, zu einem Haufen kleienr Wohnungen am Ufer des Salzsees gehoerte. Es sind dies die schwachen Ueberbleibsel eines ansehnlichen Dorfes, das sich einst um das Schloss gebildet. Die Truemmer einer Kirche waren halb im Sand begraben und mit Strauchwerk bewachsen. Nachdem im Jahre 1762 das Schloss von Araya, um die Unterhaltungskosten der Besatzung zu sparen, gaenzlich zerstoert worden war, zogen sich die in der Umgegend angesiedelten Indianer und Farbigen allmaehlich nach Maniquarez, Cariaco und in die indianische Vorstadt von Cumana. Nur wenige blieben aus Anhaenglichkeit an den Heimathboden am wilden, oeden Ort. Diese armen Leute leben vom Fischfang, der an den Kuesten und auf dem Untiefen in der Naehe aeusserst ergiebig ist. Sie schienen mit ihrem Loos zufrieden und fanden die Frage seltsam, warum sie keine Gaerten haetten unsd keine nutzbaren Gewaechse bauten. "Unsere Gaerten," sagten sie, "sind drueben ueber der Meerenge; wir bringen Fische nach Cumana und verschaffen uns dafuer Bananen, Cocosnuesse und Manioc." Diese Wirtschaft, die der Traegheit zusagt, ist in Maniquarez und auf der ganzen Halbinsel Araya Brauch. Der Hauptreichtum der Einwohner besteht in Ziegen, die sehr gross und schoen sind. Sie laufen frei umher wie die Ziegen auf dem Pic von Tenerifa; sie sind voellig verwildert und man zeichnet sie wie die Maultiere, weil sie nach Aussehen, Farbe und Zeichnung nicht zu unterscheiden waeren. Die wilden Ziegen sind hellbraun und nicht verschiedenfarbig wie die zahmen. Wenn ein Colonist auf der Jagd eine Ziege schiesst, die nicht seine eigene ist, so bringt er sie sogleich dem Nachbar, dem sie gehoert. Zwei Tage lang hoerten wir als von einer selten vorkommenden Niedertraechtigkeit davon sprechen, dass einem Einwohner von Maniquarez eine Ziege abhanden gekommen, und dass wahrscheinlich eine Familie in der Nachbarschaft sich guethlich damit gethan habe. Dergleichen Zuege, die fuer grosse Sittenreinheit beim gemeinen Volk sprechen, kommen haeufig auch in Neu-Mexiko, in Canada und in den Laendern westlich von den Aleghanys vor. Unter den Farbigen, deren Huetten um den Salzsee stehen, befand sich ein Schuhmacher von castilianischem Blute. Er nahm uns mit dem Ernst und der Selbstgefaelligkeit auf, die unter diese Himmelsstrichen fast allen Leuten eigen sind, die sich fuer besonders begabt halten. Er war eben daran, die Sehne seines Bogens zu spannen und Pfeile zu spitzen, um Voegel zu schiessen. Sein Gewerbe als Schuster konnte in einem Lande, wo die meisten Leute barfuss gehen, nicht viel eintragen; er beschwerte sich auch, dass das europaeische Pulver so teuer sey und ein Mann wie er zu denselben Waffen greifen muesse wie die Indianer. Der Mann war das gelehrte Orakel des Dorfs; er wusste, wie sich das Salz durch den Einfluss der Sonne und des Vollmonds bildet, er kannte die Vorzeichen der Erdbeben, die Merkmale, wo sich Gold und Silber im Boden finden, und die Arzneipflanzen, die er, wie alle Colonisten von Chili bis Californien, in heisse und kalte [reizende oder schwaechende, sthenische oder asthenische nach Browns System] eintheilte. Er hatte die geschichtlichen Ueberlieferungen des Landes gesammelt, und gab uns interessante Notizen ueber die Perlen von Cubagua, welchen Luxusartikel er hoechst wegwerfend behandelte. Um uns zu zeigen, wie bewandert er in der heiligen Schrift sey, fuehrte er wohlgefaellig den Spruch Hiobs an, dass Weisheit hoeher zu waegen ist denn Perlen. Seine Philosophie ging nicht ueber den engen Kreis der Lebensbeduerfnisse hinaus. Ein derber Esel, der eine tuechtige Ladung Bananen an den Landungsplatz tragen koennte, war das hoechste Ziel seiner Wuensche. Nach einer langen Rede ueber die Eitelkeit menschlicher Herrlichkeit zog er aus einer Ledertasche sehr kleine und truebe Perlen und drang uns dieselben auf. Zugleich hiess er uns, es in unsere Schreibtafel aufzuzeichnen, dass ein armer Schuster von Araya, aber ein weisser Mann und von edlem castilischen Blute, uns etwas habe schenken koennen, das drueben ueber dem Meer fuer eine grosse Kostbarkeit gelte. Ich komme dem Versprechen, das ich dem braven Manne gab, etwas spaet nach und freue mich, dabei bemerken zu koennen, dass seine Uneigennuetzigkeit ihm nicht gestattete, irgend eine Verguetung anzunehmen. An der Perlenkueste sieht es allerdings so armselig aus, wie im "Gold- und Diamantenland," in Choco und Brasilien; aber mit dem Elend paart sich hier nicht die zuegellose Gewinnsucht, wie sie durch Schaetze des Mineralreichs erzeugt wird. Die Perlenmuschel ist auf den Untiefen, sie sich von Kap Paria zum Kap Vela erstrecken, sehr haeufig. Die Insel Margarita, Cubagua, Coche, Punta Araya und die Muendung des Rio la Hacha waren im sechzehnten Jahrhundert beruehmt, wie im Altertum der Persische Meerbusen und die Insel Taprobante. [_Strabo lib. XV. Plinius Lib. IX, c. 35, Lib. XII, c. 18. Solinus, Polyhistor c. 68_; besonders _Athenaeus, Deipnosoph. Lib. III, c. 45._] Es ist nicht richtig, wie mehrere Geschichtsschreiber behaupten, dass die Eingeborenen Amerikas die Perlen als Luxusartikel nicht gekannt haben sollen. Die Spanier, die zuerst an Terra Firma landeten, sahen bei den Wilden Hals- und Armbaender, und bei den zivilisierten Voelkern in Mexiko und Peru waren Perlen von schoener Form ungemein gesucht. Ich habe die Basaltbueste einer mexikanischen Priesterin bekanntgemacht, [Humboldt, _Atlas pittoresque_ Tafel 1 und 2.] deren Kopfputz, der auch sonst mit der *Calantica* der Isiskoepfe Aehnlichkeit hat, mit Perlen besetzt ist. Las Casas und Benzoni erzaehlen, und zwar nicht ohne Uebertreibung, wie grausam man mit den Indianern und Negwern umging, die man zur Perlenfischerei brauchte. In der ersten Zeit der Eroberung lieferte die Insel Coche allein 1500 Mark Perlen monatlich. Der *Quint*, den die koeniglichen Beamten vom Ertrag an Perlen erhoben, belief sich auf 15,000 Dukaten, nach dem damaligen Werth der Metalle und in Betracht des starken Schmuggels eine sehr bedeutende Summe. Bis zum Jahre 1530 scheint sich der Werth der nach Europa gesendeten Perlen im Jahresdurchschnitt auf mehr als 800,000 Piaster belaufen zu haben. Um zu ermessen, von welcher Bedeutung dieser Handelszweig in Sevilla, Toledo, Antwerpen und Genua seyn mochte, muss man bedenken, dass zur selben Zeit alle Bergwerke Amerikas nicht zwei Millionen Piaster lieferten und dass die Flotte Ovandos fuer unermesslich reich galt, weil sie gegen 2600 Mark Silber fuehrte. Die Perlen waren desto gesuchter, da der asiatische Luxus auf zwei gerade entgegengesetzten Wegen nach Europa gedrungen war, von Konstantinopel her, wo die Palaeologen reich mit Perlen gestickte Kleider trugen, und von Granada her, wo die maurischen Koenige sassen, an deren Hof der ganze asiatische Prunk herrschte. Die ostindischen Perlen waren geschaetzter als die westindischen; indessen kamen doch die letzteren in der ersten Zeit nach der Entdeckung von Amerika in Menge in den Handel. In Italien wie in Spanien wurde die Insel Cubagua das Ziel zahlreicher Handelsunternehmungen. Benzoni erzaehlt, was einem gewissen Ludwig Lampagnano begegnete, dem Karl der Fuenfte das Privilegium ertheilt hatte, mit fuenf "Caravelen" an die Kueste von Cumana zu gehen und Perlen zu fischen. Die Ansiedler schickten ihn mit der kecken Antwort heim, der Kaiser gehe mit etwas, das nicht sein gehoere, allzu freigebig um; es stehe ihm nicht das Recht zu, ueber Austern zu verfuegen, die auf dem Meeresboden leben. Gegen das Ende des sechzehnten Jahrhunderts nahm die Perlenfischerei rasch ab, und nach Laets Angabe(47) hatte sie im Jahr 1633 laengst aufgehoert. Durch den Gewerbfleiss der Venediger, welche die echten Perlen taeuschen nachmachten, und den starken Gebrauch der geschnittenen Diamanten [Das Schneiden der Diamanten wurde im Jahre 1456 von Ludwig de Berquen erfunden; in allgemeinen Gebrauch kam es aber erst im folgenden Jahrhundert.] wurden die Fischereien in Cubagua weniger eintraeglich. Zugleich wurden die Perlenmuscheln seltener, nicht wie man nach der Volkssage glaubt, weil die Tiere vom Geraeusch der Ruder verscheucht wurden, sondern, weil man im Unverstand die Muscheln zu Tausenden abgerissen und so ihrer Fortpflanzung Einhalt getan hatte. Die Perlenmuschel ist noch von zarterer Constitution als die meisten andern kopflosen Weichthiere. Auf der Insel Ceylon, wo in der Bucht von Condeatchy die Perlenfischerei sechshundert Taucher beschaeftigt und der jaehrliche Ertrag ueber eine halbe Million steigt, hat man das Thier vergeblich auf andere Kuestenpunkte zu verpflanzen gesucht. Die Regierung gestattet die Fischerei nur einen Monat lang, waehrend man in Cubagua die Muschelbank das ganze Jahr hindurch ausbeutete. Um sich eine Vorstellung davon zu machen, in welchem Masse die Taucher unter diesem Thiergeschlecht aufraeumen, muss man bedenken, dass manches Fahrzeug in zwei, drei Wochen ueber 35,000 Muscheln aufnimmt. Das Thier lebt nur neun bis zehn Jahre und die Perlen fangen erst im vierten Jahre an zum Vorschein zu kommen. In 10,000 Muscheln ist oft nicht Eine werthvolle Perle. Nach der Sage oeffneten die Fischer auf der Bank bei der Insel Margarita die Muscheln Stueck fuer Stueck; auf Ceylon schuettet man die Thiere aus und laesst sie faulen, und um die Perlen zu gewinnen, welche nicht an den Schalen haengen, wascht man die Haufen thierischen Gewebes aus, gerade wie man in den Minen den Sand auswascht, der Gold- oder Zinngeschiebe oder Diamanten enthaelt. Gegenwaertig bringt das spanische Amerika nur noch die Perlen in den Handel, die aus dem Meerbusen von Panama und von der Muendung des Rio de la Hacha kommen. Auf den Untiefen um Cubagua, Coche und Margarita ist die Fischerei aufgegeben, wie an der californischen Kueste.(48) Man glaubt in Cumana, die Perlenmuschel habe sich nach zweihundertjaehriger Ruhe wieder bedeutend vermehrt [Im Jahr 1812 sind bei Margarita einige Versuche gemacht worden, die Perlenfischerei wieder aufzunehmen], und man fragt sich, warum die Perlen, die man jetzt in Muscheln findet, die an den Fischnetzen haengen bleiben [Die Einwohner von Araya verkaufen zuweilen solche kleine Perlen an die Kaufleute von Cumana. Der gewoehnliche Preis ist ein Piaster fuer das Dutzend.], so klein sind und so wenig Glanz haben, waehrend man bei der Ankunft der Spanier sehr schoene bei den Indianern fand, die doch schwerlich darnach tauchten. Diese Frage ist desto schwerer zu beantworten da wir nicht wissen, ob etwa Erdbeben die Beschaffenheit des Seebodens veraendert haben, oder ob Richtungsaenderungen in untermeerischen Stroemen auf die Temperatur des Wassers oder auf die Haeufigkeit gewisser Weichthiere, von denen sich die Muscheln naehren, Einfluss geaeussert haben. Am 20. Morgens fuehrte uns der Sohn unseres Wirths, ein sehr kraeftiger Indianer, ueber den Barigon und Caney ins Dorf Maniquarez. Es waren vier Stunden Weges. Durch das Rueckprallen der Sonnenstrahlen vom Sand stieg der Thermometer auf 31.3 deg.. Die Saeulenkaktus, die am Wege stehen, geben der Landschaft einen gruenen Schein, ohne Kuehle und Schatten zu bieten. Unser Fuehrer setzte sich, ehe er eine Meile [5 km] gegangen war, jeden Augenblick nieder. Im Schatten eines schoenen Tamarindenbaumes bei den Casas de la Vela wollte er sich gar niederlegen, um den Anbruch der Nacht abzuwarten. Ich hebe diesen Charakterzug hervor, da er einem ueberall entgegentritt, so oft man mit den Indianern reist, und zu den irrigsten Vorstellungen von der Koerperverfassung der verschiedenen Menschenracen Anlass gegeben hat. Der kupferfarbene Eingeborene, der besser als der reisende Europaeer an die gluehende Hitze des Himmelsstriches gewoehnt ist, beklagt sich nur deshalb mehr darueber, weil ihn kein Reiz antreibt. Geld ist keine Lockung fuer ihn, und hat er sich je einmal durch Gewinnsucht verfuehren lassen, so reut ihn sein Entschluss, sobald er auf dem Wege ist. Derselbe Indianer aber, der sich beklagt, wenn man ihm beim Botanisieren eine Pflanzenbuechse zu tragen gibt, treibt einen Kahn gegen die rascheste Stroemung und rudert so vierzehn bis fuenfzehn Stunden in einem fort, weil er sich zu den Seinen zuruecksehnt. Will man die Muskelkraft der Voelker richtig schaetzen lernen, muss man sie ? unter Umstaenden beobachten, wo ihre Handlungen durch einen gleich kraeftigen Willen bestimmt werden. Wir besahen in der Naehe die Truemmer des Schlosses Santiago, das durch seine ausnehmend feste Bauart merkwuerdig ist. Die Mauern aus behauenen Steinen sind fuenf Fuss dick; man musste sie mit Minen sprengen; man sieht noch Mauerstuecke von sieben-, achthundert Quadratfuss, die kaum einen Riss zeigen. Unser Fuehrer zeigte uns eine Cisterne (_el aljibe_), die dreissig Fuss tief ist und, obgleich ziemlich schadhaft, den Bewohnern der Halbinsel Araya Wasser liefert. Diese Cisterne wurde im Jahr 1681 vom Statthalter Don Juan Padilla Guardiola vollendet, demselben, der in Cumana das kleine Fort Santa Maria gebaut hat. Da der Behaelter mit einem Gewoelbe im Rundbogen geschlossen ist, so bleibt das Wasser darin frisch und sehr gut. Conserven, die den Kohlenwasserstoff zersetzen und zugleich Wuermern und Insekten zum Aufenthalt dienen, bilden sich nicht darin. Jahrhunderte lang hatte man geglaubt, die Halbinsel Araya habe gar keine Quellen suessen Wassers, aber im Jahr 1797 haben die Einwohner von Maniquarez nach langem vergeblichem Suchen doch solches gefunden. Als wir ueber die kahlen Huegel am Vorgebirge Cirial gingen, spuerten wir einen starken Bergoelgeruch. Der Wind kam vom Orte her, wo die Bergoelquellen liegen, deren schon die ersten Beschreibungen dieser Laender erwaehnen. -- Das Toepfergeschirr von Maniquarez ist seit unvordenklicher Zeit beruehmt, und dieser Industriezweig ist ganz in den Haenden der Indianerweiber. Es wird noch gerade so fabriziert wie vor der Eroberung. Dieses Verfahren ist einerseits eine Probe vom Zustand der Kuenste in ihrer Kindheit und andererseits von der Starrheit der Sitten, die allen eingeborenen Voelkern Amerikas als ein Charakterzug eigen ist. In dreihundert Jahren konnte die Toepferscheibe keinen Eingang auf einer Kueste finden, die von Spanien nur dreissig bis vierzig Tagreisen zur See entfernt ist. Die Eingeborenen haben eine dunkle Vorstellung davon, dass es ein solches Werkzeug gibt, und sie wuerden sich desselben bedienen, wenn man ihnen das Muster in die Hand gaebe. Die Thongruben sind eine halbe Meile oestlich von Maniquarez. Dieser Thon ist das Zersetzungsprodukt eines durch Eisenoxyd roth gefaerbten Glimmerschiefers. Die Indianerinnen nehmen vorzugsweise solchen, der viel Glimmer enthaelt. Sie formen mit grossem Geschick Gefaesse von zwei bis drei Fuss Durchmesser mit sehr regelmaessiger Kruemmung. Da sie den Brennofen nicht kennen, so schichten sie Strauchwerk von Desmanthus, Cassia und baumartiger Capparis um die Toepfe und brennen sie in freier . Luft. Weiter westwaerts von der Thongrube liegt die Schlucht der *Mina* (Bergwerk). Nicht lange nach der Eroberung sollen venetianische Goldschuerfer dort Gold aus dem Glimmerschiefer gewonnen haben. Dieses Metall scheint hier nicht auf Quarzgaengen vorzukommen, sondern im Gestein eingesprengt zu seyn, wie zuweilen im Granit und Gneiss. Wir trafen in Maniquarez Kreolen, die von einer Jagdpartie auf Cubagua kamen. Die Hirsche von der kleinen Art sind auf diesem unbewohnten Eilande so haeufig, dass man taeglich drei und vier schiessen kann. Ich weiss nicht, wie die Thiere hinuebergekommen sind; denn Laet und andere Chronisten des Landes, die von der Gruendung von Neucadix berichten, sprechen nur von der Menge Kaninchen auf der Insel. Der *Venado* auf Cubagua gehoert zu einer der vielen kleinen amerikanischen Hirscharten, die von den Zoologen lange unter dem allgemeinen Namen _Cervus Americanus_ zusammengeworfen wurden. Er scheint mir nicht identisch mit der _Biche des Savanes_ von Guadeloupe oder dem *Guazuti* in Paraguay, der auch in Rudeln lebt. Sein Fell ist auf dem Ruecken rothbraun, am Bauche weiss; es ist gefleckt, wie beim Axis. In den Ebenen am Cari zeigte man uns als eine grosse Seltenheit in diesen heissen Laendern eine weisse Spielart. Es war eine Hirschkuh von der Groesse des europaeischen Rehs und von aeusserst zierlicher Gestalt. *Albinos* kommen in der Neuen Welt sogar unter den Tigern vor. Azara sah einen Jaguar, auf dessen ganz weissem Fell man nur hier und da gleichsam einen Schatten von den runden Flecken sah. Fuer den merkwuerdigsten, man kann sagen fuer den wunderbarsten aller Naturkoerper auf der Kueste von Araya gilt beim Volke der *Augenstein*, _Piedra de los ojos_. Dieses Gebilde aus Kalkerde ist in aller Munde; nach der Volksphysik ist es ein Stein und ein Thier zugleich. Man findet es im Sande, und da ruehrt es sich nicht; nimmt man es aber einzeln auf und legt es auf eine ebene Flaeche, z. B. auf einen Zinn- oder Fayence-Teller, so bewegt es sich, sobald man es durch Citronsaft reizt. Steckt man es ins Auge, so dreht sich das angebliche Tier um sich selbst und schiebt jeden fremden Koerper heraus, der zufaellig ins Auge geraten ist. Auf der neuen Saline und im Dorfe Maniquarez brachte man uns solche Augensteine zu Hunderten, und die Eingeborenen machten uns den Versuch mit dem Citronsaft eifrig vor. Man wollte uns Sand in die Augen bringen, damit wir uns selbst von der Wirksamkeit des Mittels ueberzeugten. Wir sahen alsbald, dass diese Steine die duennen, poroesen Deckel kleiner einschaliger Muscheln sind. Sie haben 1-4 Linien Durchmesser; die eine Flaeche ist eben, die andere gewoelbt. Diese Kalkdeckel brausen mit Zitronensaft auf und ruecken von der Stelle, indem sich die Kohlensaeure entwickelt. In Folge aehnlicher Reaction bewegt sich zuweilen das Brod im Backofen auf wagerechter Flaeche, was in Europa zum Volksglauben an bezauberte Oefen Anlass gegeben hat. Die _pietras de los ojos_ wirken, wenn man sie ins Auge schiebt, wie die kleinen Perlen und verschiedene runde Samen, deren sich die Wilden in Amerika bedienen, um den Thraenenfluss zu steigern. Diese Erklaerungen waren aber gar nicht nach dem Geschmack der Einwohner von Araya. Die Natur erscheint dem Menschen desto groesser, je geheimnissvoller sie ist, und die Volksphysik weist alles von sich, was einfach ist. Ostwaerts von Maniquarez an der Suedkueste liegen nahe an einander drei Landzungen, genannt Punta de Soto, Punta de la Brea und Punta Guaratarito. In dieser Gegend besteht der Meeresboden offenbar aus Glimmerschiefer, und aus dieser Gebirgsart entspringt bei Punta de la Brea, aber achtzig Fuss vom Ufer, eine *Naphthaquelle*, deren Geruch sich weit in die Halbinsel hinein verbreitet. Man musste bis zum halben Leibe ins Wasser gehen, um die interessante Erscheinung in der Naehe zu beobachten. Das Wasser ist mit _Zostera_ bedeckt, und mitten in einer sehr grossen Bank dieses Gewaechses sieht man einen freien runden Fleck von drei Fuss Durchmesser, auf dem einzelne Massen von _Ulva lactuca_ schwimmen. Hier kommen die Quellen zu Tag. Der Boden des Meerbusens ist mit Sand bedeckt, und das Bergoel, das durchsichtig und von gelber Farbe der eigentlichen Naphtha nahe kommt, sprudelt stossweise unter Entwicklung von Luftblasen hervor. Stampft man den Boden mit den Fuessen fest, so sieht man die kleinen Quellen wegruecken. Die Naphtha bedeckt das Meer ueber tausend Fuss [320 m] weit. Nimmt man an, dass das Fallen der Schichten sich gleich bleibt, so muss der Glimmerschiefer wenige Toisen unter dem Sande liegen. Der Salzthon von Araya enthaelt festes, zerreibliches Bergoel. Dieses geologische Verhaeltniss zwischen salzsaurem Natron und Erdpech kommt in allen Steinsalzgruben und bei allen Salzquellen vor; aber als ein hoechst merkwuerdiger Fall erscheint das Vorkommen einer Naphtaquelle in einer Urgebirgsart. Alle bis jetzt bekannten gehoeren secundaeren Formationen an, und dieser Umstand schien fuer die Annahme zu sprechen, dass alles mineralische Harz Produkt der Zersetzung von Pflanzen und Thieren oder des Brandes der Steinkohlen sey. Auf der Halbinsel Araya aber fliesst Naphtha aus dem Urgebirge selbst, und diese Erscheinung wird noch bedeutender, wenn man bedenkt, dass in diesem Urgebirge der Herd des unterirdischen Feuers ist, dass man am Rande brennender Krater zuweilen Naphthageruch bemerkt, und dass die meisten heissen Quellen Amerikas aus Gneis und Glimmerschiefer hervorbrechen. Nachdem wir uns in der Umgegend von Maniquarez umgesehen, bestiegen wir ein Fischerboot, um nach Cumana zurueckzukehren. Nichts zeigt so deutlich, wie ruhig die See in diesen Strichen ist, als die Kleinheit und der schlechte Zustand dieser Kaehne, die ein sehr hohes Segel fuehren. Der Kahn, den wir ausgesucht hatten, weil er noch am wenigsten beschaedigt war, zeigte sich so leck, dass der Sohn des Steuermannes fortwaehrend mit einer Tutuma, der Frucht der _Crescentia cujete_, das Wasser ausschoepfen musste. Es kommt im Meerbusen von Cariaco, besonders nordwaerts von der Halbinsel Araya, nicht selten vor, dass die mit Kokosnuessen beladenen Piroguen umschlagen, wenn sie zu nahe am Winde gerade gegen den Wellenschlag steuern. Vor solchen Unfaellen fuerchten sich aber nur Reisende, die nicht gut schwimmen koennen; denn wird die Pirogue von einem indianischen Fischer mit seinem Sohne gefuehrt, so dreht der Vater den Kahn wieder um und macht sich daran, das Wasser hinauszuschaffen, waehrend der Sohn schwimmend die Kokosnuesse zusammenholt. In weniger als einer Viertelstunde ist die Pirogue wieder unter Segel, ohne dass der Indianer in seinem unerschoepflichen Gleichmut eine Klage haette hoeren lassen. Die Einwohner von Araya, die wir auf der Rueckkehr vom Orinoco noch einmal besuchten, haben nicht vergessen, dass ihre Halbinsel einer der Punkte ist, wo sich am fruehesten Castilianer niedergelassen. Sie sprechen gerne von der Perlenfischerei, von den Ruinen des Schlosses Santiago, das, wie sie hoffen, einst wieder aufgebaut wird, ueberhaupt von dem, was sie den ehemaligen Glanz des Landes nennen. In China und Japan gilt alles, was man erst seit zweitausend Jahren kennt, fuer neue Erfindung; in den europaeischen Niederlassungen erscheint ein Ereigniss, das dreihundert Jahre, bis zur Entdeckung von Amerika hinausreicht, als ungemein alt. Dieser Mangel an alter Ueberlieferung, der den jungen Voelkern in den Vereinigten Staaten wie in den spanischen und portugiesischen Besitzungen eigen ist, verdient alle Beachtung. Er hat nicht nur etwas Peinliches fuer den Reisenden, der sich dadurch um den hoechsten Genuss der Einbildungskraft gebracht sieht, er aeussert auch seinen Einfluss auf die mehr oder minder starken Bande, die den Colonisten an den Boden fesseln, auf dem er wohnt, an die Gestalt der Felsen, die seine Huette umgeben, an die Baeume, in deren Schatten seine Wiege gestanden. Bei den Alten, z. B. bei Phoeniziern und Griechen, gingen Ueberlieferungen und geschichtliches Bewusstseyn des Volks vom Mutterland auf die Colonien ueber, erbten dort von Geschlecht zu Geschlecht fort und aeusserten fortwaehrend den besten Einfluss auf Geist, Sitten und Politik der Ansiedler. Das Klima in jenen ersten Niederlassungen ueber dem Meere war vom Klima des Mutterlandes nicht sehr verschieden. Die Griechen in Kleinasien und aus Sicilien entfremdeten sich nicht den Einwohnern von Argos, Athen und Corinth, von denen abzustammen ihr Stolz war. Grosse Uebereinstimmuug in Sitte und Brauch that das ihrige dazu, eine Verbindung zu befestigen, die sich auf religioese und politische Interessen gruendete. Haeufig opferten die Colonien die Erstlinge ihrer Ernten in den Tempeln der Mutterstaedte, und wenn durch einen unheilvollen Zufall das heilige Feuer auf den Altaeren von Hestia erloschen war, so schickte man von hinten in Jonien nach Griechenland und liess es aus den Prytaneen wieder holen. Ueberall, in Cyrenaica wie an den Ufern des Sees Maeotis, erhielten sich die alten Ueberlieserungen des Mutterlandes. Andere Erinnerungen, die gleich maechtig zur Einbildungskraft sprechen, hafteten an den Colonien selbst. Sie hatten ihre heiligen Haine, ihre Schutzgottheiten, ihren lokalen Mythenkreis; sie hatten, was den Dichtungen der fruehesten Zeitalter Leben und Dauer verleiht, ihre Dichter, deren Ruhm selbst ueber das Mutterland Glanz verbreitete. Dieser und noch mancher andern Vortheile entbehren die heutigen Ansiedlungen. Die meisten wurden in einem Landstrich gegruendet, wo Klima, Naturprodukte, der Anblick des Himmels und der Landschaft ganz anders sind als in Europa. Wenn auch der Ansiedler Bergen, Fluessen, Thaelern Namen beilegt, die an vaterlaendische Landschaften erinnern, diese Namen verlieren bald ihren Reiz und sagen den nachkommenden Geschlechtern nichts mehr. In fremdartiger Naturumgebung erwachsen aus neuen Beduerfnissen andere Sitten; die geschichtlichen Erinnerungen verblassen allmaehlich, und die sich erhalten, knuepfen sich fortan gleich Phantasiegebilden weder an einen bestimmten Ort, noch an eine bestimmte Zeit. Der Ruhm Don Pelagio's und des Cid Campeador ist bis in die Gebirge und Waelder Amerikas gedrungen; dem Volk kommen je zuweilen diese glorreichen Namen auf die Zunge, aber sie schweben seiner Seele vor wie Wesen aus einer idealen Welt, aus dem Daemmer der Fabelzeit. Der neue Himmel, das ganz veraenderte Klima, die physische Beschaffenheit des Landes wirken weit staerker auf die gesellschaftlichen Zustaende in den Colonien ein, als die gaenzliche Trennung vom Mutterland. Die Schifffahrt hat im neuerer Zeit solche Fortschritte gemacht, dass die Muendungen des Orinoco und Rio de la Plata naeher bei Spanien zu liegen scheinen, als einst der Phasis und Tartessus von den griechischen und phoenicischen Kuesten. Man kann auch die Bemerkung machen, dass sich in gleich weit von Europa entfernten Laendern Sitten und Ueberlieferungen desselben im gemaessigten Erdstrich und auf dem Ruecken der Gebirge unter dem Aequator mehr erhalten haben, als in den Tieflaendern der heissen Zone. Die Aehnlichkeit der Naturumgebung traegt in gewissem Grad dazu bei, innigere Beziehungen zwischen den Colonisten und dem Mutterland aufrecht zu erhalten. Dieser Einfluss physischer Ursachen auf die Zustaende jugendlicher gesellschaftlicher Vereine tritt besonders auffallend hervor, wenn es sich von Gliedern desselben Volksstannnes handelt, die sich noch nicht lange getrennt haben. Durchreist man die neue Welt, so meint man ueberall da, wo das Klima den Anbau des Getreides gestattet, mehr Ueberlieferungen, einem lebendigeren Andenken an das Mutterlaud zu begegnen. In dieser Beziehung kommen Pennsylvanien, Neu-Mexico und Chili mit den hochgelegenen Plateaus von Quito und Neuspanien ueberein, die mit Eichen und Fichten bewachsen sind. Bei den Alten waren die Geschichte, die religioesen Vorstellungen und die physische Beschaffenheit des Landes durch unausloesliche Bande verknuepft. Um die Landschaften und die alten buergerlichen Stuerme des Mutterlandes zu vergessen, haette der Ansiedler auch dem von seinen Voreltern ueberlieferten Goetterglauben entsagen muessen. Bei den neueren Voelkern hat die Religion, so zu sagen, keine Localfarbe mehr. Das Christenthum hat den Kreis der Vorstellungen erweitert, es hat alle Voelker darauf hingewiesen, dass sie Glieder Einer Familie sind, aber eben damit hat es das Nationalgefuehl geschwaecht; es hat in beiden Welten die uralten Ueberlieferungen des Morgenlandes verbreitet, neben denen, die ihm eigenthuemlich angehoeren. Voelker von ganz verschiedener Herkunft und voellig abweichender Mundart haben damit gemeinschaftliche Erinnerungen erhalten, und wenn durch die Missionen in einem grossen Theil des neuen Festlandes die Grundlagen der Cultur gelegt worden sind, so haben eben damit die christlichen kosmogonischen und religioesen Vorstellungen ein merkbares Uebergewicht ueber die rein nationalen Erinnerungen erhalten. Noch mehr: die amerikanischen Colonien sind fast durchaus in Laendern angelegt, wo die dahingegangenen Geschlechter kaum eine Spur ihres Daseyns hinterlassen haben. Nordwaerts vom Rio Gila, an den Usern des Missouri, auf den Ebenen, die sich im Osten der Anden ausbreiten, gehen die Ueberlieferungen nicht ueber ein Jahrhundert hinauf. In Peru, in Guatimala und in Mexico sind allerdings Truemmer von Gebaeuden, historische Malereien und Bildwerke Zeugen der alten Kultur der Eingeborenen; aber in einer ganzen Provinz findet man kaum ein paar Familien, die einen klaren Begriff von der Geschichte der Incas und der mexikanischen Fuersten haben. Der Eingeborene hat seine Sprache, seine Tracht und seinen Volkscharakter behalten; aber mit dem Aufhoeren des Gebrauches der Quippus und der symbolischen Malereien, durch die Einfuehrung des Christentums und andere Umstaende, die ich anderswo auseinander gesetzt, sind die geschichtlichen und religioesen Ueberlieferungen allmaehlich untergegangen. Andererseits sieht der Ansiedler von europaeischer Abkunft veraechtlich auf alles herab, was sich auf die unterworfenen Voelker bezieht. Er sieht sich in die Mitte gestellt zwischen die fruehere Geschichte des Mutterlandes und die seines Geburtslandes, und die eine ist ihm so gleichgueltig wie die andere; in einem Klima, wo bei dem geringen Unterschied der Jahreszeiten der Ablauf der Jahre fast unmerklich wird, ueberlaesst er sich ganz dem Genusses der Gegenwart und wirft selten einen Blick in Vergangene Zeiten. Aber auch welch ein Abstand zwischen der eintoenigen Geschichte neuerer Niederlassungen und dem lebenvollen Bilde, das Gesetzgebung, Sitten und politische Stuerme der alten Colonien darbieten! Ihre durch abweichende Regierungsformen verschieden gefaerbte geistige Bildung machte nicht selten die Eifersucht der Mutterlaender rege. Durch diesen gluecklichen Wetteifer gelangten Kunst und Literatur in Jonien, Grossgriechenland und Sicilien zur herrlichsten Entwicklung. Heutzutage dagegen haben die Colonien weder eine eigene Geschichte noch eine eigene Literatur. Die in der neuen Welt haben fast nie maechtige Nachbarn gehabt, und die gesellschaftlichen Zustaende haben sich immer nur allgemach umgewandelt. Des politischen Lebens bar, haben diese Handels- und Ackerbaustaaten an den grossen Welthaendeln immer nur passiven Antheil genommen. Die Geschichte der neuen Kolonien hat nur zwei merkwuerdige Ereignisse aufzuweisen, ihre Gruendung und ihre Trennung vom Mutterlande. Da Erstere ist reich an Erinnerungen, die sich wesentlich an die von den Colonisten bewohnten Laender knuepfen; aber statt Bilder des friedlichen Fortschrittes des Gewerbefleisses und der Entwickelung der Gesetzgebung in den Kolonien vorzufuehren, erzaehlt diese Geschichte nur von veruebtem Unrecht und von Gewaltthaten. Welchen Reiz koennen jene ausserordentlichen Zeiten haben, wo die Spanier unter Carls V. Regierung mehr Mut als sittliche Kraft entwickelten, und die ritterliche Ehre wie der kriegerische Ruhm durch Fanatismus und Golddurst befleckt wurden? Die Colonisten sind von sanfter Gemuethsart, sie sind durch ihre Lage den Nationalvorurtheilen enthoben, und so wissen sie die Thaten bei der Eroberung nach ihrem wahren Werthe zu schaetzen. Die Maenner, die sich damals ausgezeichnet, sind Europaeer, sind Krieger des Mutterlandes. In den Augen des Colonisten sind sie Fremde, denn drei Jahrhunderte haben hingereicht, die Bande des Blutes aufzuloesen. Unter den "Konquistadoren" waren sicher rechtschaffene und edle Maenner, aber sie verschwinden in der Masse und konnten der allgemeinen Verdammnis nicht entgehen. Ich glaube hiermit die hauptsaechlichsten Ursachen angegeben zu haben, aus denen in den heutigen Kolonien die Nationalerinnerungen sich verlieren, ohne dass andere, auf das nunmehr bewohnte Land sich beziehende, wuerdig in ihre Stelle traeten. Dieser Umstand, wir koennen es nicht genug wiederholen, aeussert einen bedeutenden Einfluss auf die ganze Lage der Ansiedler. In der stuermevollen Zeit einer staatlichen Wiedergeburt sehen sie sich auf sich selbst gestellt, und es ergeht ihnen, wie einem Volke, das es verschmaehte, seine Geschichtsbuecher zu befragen und aus den Unfaellen vergangner Jahrhunderte Lehren der Weisheit zu schoepfen. ------------------ 44 Die Mannschaft der Schaluppe wurde haeufig von den Wellen durchnaesst; wir wissen aber, dass unter dieser Breite die Temperatur des Meerwassers nicht unter 23 deg. seyn kann, und dass die durch Verdunstung entstehende Abkuehlung in Naechten, wo die Lufttemperaur selten ueber 25 deg. steigt, nur unbetraechtlich ist. 45 "Welche Eiseskaelte. Ich friere, als waere ich auf dem Ruecken der Berge!" [Das provincielle Wort _emparamarse_ laesst sich nur durch lange Umschreibung wiedergeben. _Paramo_, peruanisch _Puna_ ist ein Name, den man auf allen Karten des spanischen Amerikas findet. Er bedeutet in den Colonien weder eine Wueste noch eine "_lande_", sondern einen gebirgigen, mit verkrueppelten Baeumen bewachsenen, den Winden ausgesetzten Landstrich, wo es bestaendig nasskalt ist. In der heissen Zone liegen die Paramos gewoehnlich 1600-2000 Toisen hoch. Es faellt haeufig Schnee, der nur ein paar Stunden liegen bleibt; denn man darf die Worte _Paramo_ und _Puna_ nicht, wie es den Geographen haeufig begegnet, mit dem Wort _Nevado_ peruanisch _Ritticapa_ verwechseln, was einen zur Linie des ewigen Schnees emporragenden Berg bedeutet. Diese Begriffe sind fuer die Geologie und die Pflanzengeographie sehr wichtig, weil man in Laendern, wo noch kein Berggipfel gemessen ist, eine richtige Vorstellung von der *geringsten Hoehe* erhaelt, zu der sich die Cordilleren erheben, wenn man die Worte _Paramo_ und _Nevado_ aussucht. Da die Paramos fast bestaendig in kalten, dichten Nebel gehuellt sind, so sagt das Volk in Santa Fe und Mexico: _cae un paramito_, wenn ein feiner Regen faellt und die Lufttemperatur bedeutend abnimmt. Aus _Paramo_ hat man _emparamarse_ gemacht, d. h. frieren, als waere man auf dem Ruecken der Anden. 46 Mit Ausnahme der Binnenmeere und der Laender, wo sich Polargletscher bilden. Dieses Sichgleichbleiben des Salzgehaltes des Meeres erinnert an die noch weit groessere Gleichfoermigkeit der Vertheilnng des Sauerstoffs im Luftmeer. In beiden Elementen wird das Gleichgewicht in der Loesung oder im Gemenge durch Stroemungen hergestellt und erhalten. 47 "_Insularum Cubaguae et Coches quondam fuit dignitos, quum unionum captura floreret, nunc, illa deficiente, obscura admodum fama_" Laet. Nov. Orbis, p. 669. Dieser sorgfaeltige Compilater sagt, wo er von der Punta Araya spricht, weiter, das Land sey dergestalt in Vergessenheit gerathen, "_ut vix ulla alia Americae meridionalis pars hodie obscurior sit_" 48 Es wundert mich, auf unsern Reisen nirgends gehoert zu haben, dass in Suedamerika Perlen in Suesswassermuscheln gefunden worden waeren, und doch kommen manche Arten der Gattung _Unio_ in den peruanischen Fluessen in grosser Menge vor. SECHSTES KAPITEL Die Berge von Neuandalusien -- Das Tal von Cumanacoa -- Der Gipfel des Cocollar -- Missionen der Chaymasindianer Unserem ersten Ausflug auf die Halbinsel Araya folgte bald ein zweiter und lehrreicherer ins Innere des Gebirges zu den Missionen der Chaymasindianer. Gegenstaende von mannigfaltiger Anziehungskraft sollten uns dort in Anspruch nehmen. Wir betraten jetzt ein mit Waeldern bedecktes Land; wir sollten ein Kloster besuchen, das im Schatten von Palmen und Baumfarnen in einem engen Thale liegt, wo man, mitten im heissen Erdstrich, koestliche Kuehle geniesst. In den benachbarten Bergen gibt es dort Hoehlen, welchen von Tausenden von Nachtvoegeln bewohnt sind, und was noch lebendiger zur Einbildungskraft spricht als alle Wunder der physischen Welt, jenseits dieser Berge lebt ein vor Kurzem noch nomadisches Volk, kaum aus dem Naturzustande getreten, wild, jedoch nicht barbarisch, geistesbeschraenkt, nicht weil es lange versunken war, sondern weil es eben nichts weiss. Zu diesen so maechtig anziehenden Gegenstaenden kamen noch geschichtliche Erinnerungen. Am Vorgebirge Paria sah Kolumbus zuerst das Festland; hier laufen die Taeler aus, die bald von den kriegerischen, menschenfressenden Caraiben, bald von den zivilisierten Handelsvoelkern Europas verwuestet wurden. Zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts wurden die ungluecklichen Einwohner auf den Kuesten von Carupano, Macarapas und Caracas behandelt, wie zu unsrer Zeit die Einwohner der Kueste von Guinea. Bereits wurden die Antillen angebaut und man fuehrte dort die Gewaechse der Alten Welt ein; aber in Terra Firma kam es lange zu keienr ordentlichen und planmaessigen Niederlassung. Die Spanier besuchten die Kueste nur, um sich mit Gewalt oder im Tauschhandel Sklaven, Perlen, Goldkoerner und Farbholz zu verschaffen. Durch den Schein gewaltigen Religionseifers meinte man diese unersaettliche Habsucht in eine hoehere Sphaere zu heben. So hat jedes Jahrhundert seine eigene geistige und sittliche Farbe. Der Handel mit den kupferfarbigen Eingebornen fuehrte zu denselben Unmenschlichkeiten wie der Negerhandel; er hatte auch dieselben Folgen, Sieger und Unterworfene verwilderten dadurch. Von Stunde an wurden die Kriege unter den Eingeborenen haeufiger; die Gefangenen wurden aus dem innern Lande an die Kueste geschleppt und an die Weissen verkauft, die sie auf ihren Schiffen fesselten. Und doch waren die Spanier damals und noch lange nachher eines der civilisirtesten Voelker Europas. Ein Abglanz der Herrlichkeit, in der in Italien Kunst und Literatur bluehten, hatte sich ueber alle Voelker verbreitet, deren Sprache dieselbe Quelle hat wie die Sprache Dantes und Petrarcas. Man sollte glauben, in dieser maechtigen geistigen Entwicklung, bei solch erhabenem Schwung der Einbildungskraft haetten sich die Sitten saenftigen muessen. Aber jenseits der Meere, ueberall, wo der Golddurst zum Missbrauch der Gewalt fuehrt, haben die europaeischen Voelker in allen Abschnitten der Geschichte denselben Charakter entwickelt. Das herrliche Jahrhundert Leos X. trat in der neuen Welt mit einer Grausamkeit auf, wie man sie nur den finstersten Jahrhunderten zutrauen sollte. Man wundert sich aber nicht so sehr ueber das entsetzliche Bild der Eroberung von Amerika, wenn man daran denkt, was trotz der Segnungen einer menschlicheren Gesetzgebung noch jetzt auf den Westkuesten von Afrika vorgeht. Der Sklavenhandel hatte dank den von Karl V. zur Geltung gebrachten Gundsaetzen auf Terra Firma laengst aufgehoert; aber die Conquistadoren setzten ihre Streifzuege ins Land fort, und damit den kleinen Krieg, der die amerikanische Bevoelkerung herabbrachte, dem Nationalhass immer frische Nahrung gab, auf lange Zeit die Keime der Cultur erstickte. Es war Pflicht der Religion, dass sie der Menschheit einigen Trost brachte fuer die Greuel, die in iherem Namen veruebt worden; sie fuehrte fuer die Eingeborenen das Wort vor dem Richterstuhl der Koenige, sie widersetzte sich den Gewalttaetigkeiten der Pfruendeninhaber, sie vereinigte umherziehende Staemme zu den kleinen Gemeinden, die man *Missionen* nennt und die der Entwickelung des Ackerbaues Vorschub leisten. So haben sich allmaehlich, aber in gleichfoermiger, planmaessiger Entwicklung jene grossen moenchischen Niederlassungen gebildet, jenes merkwuerdige Regiment, das immer darauf hinausgeht, sich abzuschliessen, und Laender, die vier und fuenfmal groesser sind als Frankreich, den Moenchsorden unterwirft. Einrichtungen, die trefflich dazu dienten, dem Blutvergiessen Einhalt zu thun und den ersten Grund zur gesellschaftlichen Entwicklung zu legen, sind in der Folge dem Fortschritt derselben hindelich geworden. Die Abschliessung hatte zur Folge, dass die Indianer so ziemlich blieben, was sie waren, als ihre zerstreuten Huetten noch nicht um das Haus des Missionars beisammen lagen. Ihre Zahl hat ansehnlich zugenommen, keineswegs aber ihr geistiger Gesichtskreis. Sie haben mehr und mehr von der Charakterstaerke und der natuerlichen Lebendigkeit eingebuesst, die aus allen Stufen menschlicher Entwicklung die edlen Fruechte der Unabhaengigkeit sind. Man hat Alles bei ihnen, sogar die unbedeutendsten Verrichtungen des haeuslichen Lebens, der unabaenderlichen Regel unterworfen, und so hat man sie gehorsam gemacht, zugleich aber auch dumm. Ihr Lebensunterhalt ist meist gesicherter, ihre Sitten sind milder geworden; aber der Zwang und das truebselige Einerlei des Missionsregiments lastet auf ihnen und ihr duesteres, verschlossenes Wesen verraeth, wie ungern sie die Freiheit der Ruhe zum Opfer gebracht haben. Die Moenchszucht innerhalb der Klostermauern entzieht zwar dem Staate nuetzliche Buerger, indessen mag sie immerhin hie und da Leidenschaften zur Ruhe bringen, grosse Schmerzen lindern, der geistigen Vertiefung foerderlich seyn; aber in die Wildnisse der neuen Welt verpflanzt, auf alle Beziehungen des buergerlichen Lebens angewendet, muss sie desto verderblicher wirken, je laenger sie andauert. Sie haelt von Geschlecht zu Geschlecht die geistige Entwicklung nieder, sie hemmt den Verkehr unter den Voelkern, sie weist Alles ab, was die Seele erhebt und den Vorstellungskreis erweitert. Aus allen diesen Ursachen zusammen verharren die Indianer in den Missionen in einem Zustand von Uncultur, der Stillstand heissen muesste, wenn nicht auch die menschlichen Vereine denselben Gesetzen gehorchten, wie die Entwicklung des menschlichen Geistes ueberhaupt, wenn sie nicht Rueckschritte machten, eben weil sie nicht fortschreiten. Am 4. September um 5 Uhr morgens brachen wir zu unserem Ausflug zu den Chaymas-Indianern und in die hohe Gebirgsgruppe von Neu-Andalusien auf. Man hatte uns geraten, wegen der sehr beschwerlichen Wege unser Gepaeck moeglichst zu beschraenken. Zwei Lasttiere reichten auch hin, unseren Mundvorrat, unsere Instrumente und das noetige Papier zum Pflanzentrocknen zu tragen. In derselben Kiste waren ein Sextant, ein Inclinationscompass, ein Apparat zur Ermittlung der magnetischen Declination, Thermometer und ein Saussure'scher Hygrometer. Auf diese Jnstrumente beschraenkten wir uns bei kleineren Ausfluegen immer. Mit dem Barometer musste noch vorsichtiger umgegangen werden, als mit dem Chronometer, und ich bemerke hier, dass kein Instrument dem Reisenden mehr Last und Sorge macht. Wir liessen ihn in den fuenf Jahren von einem Fuehrer tragen, der uns zu Fuss begleitete, aber selbst diese ziemlich kostspielige Vorsicht schuetzte ihn nicht immer vor Beschaedigung. Nachdem wir die Zeiten von Ebbe und Fluth im Luftmeere genau beobachtet, das heisst die Stunden, zu denen der Barometer unter den Tropen taeglich regelmaessig steigt und faellt, sahen wir ein, dass wir das Relief des Landes mittelst des Barometers wuerden aufnehmen koennen, ohne correspondirende Beobachtungen in Cumana zu Huelfe zu nehmen. Die groessten Schwankungen im Luftdruck betragen in diesem Klima an der Kueste nur 1-1,3 Linien, und hat man ein einziges mal, an welchem Ort und zu welcher Stunde es sey, die Quecksilberhoehe beobachtet, so lassen sich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit die Abweichungen von diesem Stand das ganze Jahr hindurch und zu allen Stunden des Tages und der Nacht angeben. Es ergibt sich daraus, dass im heissen Erdstrich durch den Mangel an correspondirenden Beobachtungen nicht leicht Fehler entstehen koennen, die mehr als 12-15 Toisen ausmachen, was wenig zu bedeuten hat, wenn es sich von geologischen Aufnahmen, oder vom Einfluss der Hoehe auf das Klima und die Vertheilung der Gewaechse handelt. Der Morgen war koestlich kuehl. Der Weg oder vielmehr der Fusspfad nach Cumanacoa fuehrt am rechten Ufer des Manzanares hin ueber das Kapuzinerhospiz, das in einem kleinen Gehoelze von Gayacbaeumen und baumartigen Capparis liegt. Nachdem wir von Cumana aufgebrochen, hatten wir auf dem Huegel von San Francisco in der kurzen Morgendaemmerung eine weite Aussicht ueber die See, ueber die mit goldgelb bluehender Bava [_Zygophyllum arboreum, Jacq._] bedeckte Ebene und die Berge des Brigantin. Es fiel uns auf, wie nahe uns die Cordillere gerueckt schien, bevor die Scheibe der ausgehenden Sonne den Horizont erreicht hatte. Das Blau der Berggipfel ist dunkler, ihre Umrisse erscheinen schaerfer, ihre Massen treten deutlicher hervor, so lange nicht die Durchsichtigkeit der Luft durch die Duenste beeintraechtigt wird, die Nachts in den Thaelern lagern und im Maasse, als die Luft sich zu erwaermen beginnt, in die Hoehe steigen. Beim Hospiz Divina Pastora wendet sich der Weg nach Nordost und laeuft zwei Meilen ueber einen baumlosen Landstrich, der frueher Seeboden war. Man findet hier nicht nur Cactus, Buesche des cistusblaetterigen Tribulus und die schoene purpurfarbige Euphorbie, die in Havana unter dem seltsamen Namen _Dictamno real_ gezogen wird, sondern auch _Aviceunia_, _Allionia_, _Peruvium_, _Thalinum_ und die meisten Portulaceen, die am Golf von Cariaco vorkommen. Diese geographische Vertheilung der Gewaechse weist, wie es scheint, auf den Umriss der alten Kueste hin und spricht dafuer, dass, wie oben bemerkt worden, die Huegel, an deren Suedabhang wir hinzogen, einst eine durch einen Meeresarm vom Festland getrennte Insel bildeten. Nach zwei Stunden Weges gelangten wir an den Fuss der hohen Bergkette im Inneren, die vom Brigantin bis zum Cerro de San Lorenzo von Ost nach West streicht. Hier beginnen neue Gebirgsarten und damit ein anderer Habitus des Pflanzenwuchses. Alles erhaelt einen grossartigeren, malerischeren Charakter. Der quellenreiche Boden ist nach allen Richtungen von Wasserfaeden durchzogen. Baeume von riesiger Hoehe, mit Schlinggewaechsen bedeckt, steigen aus den Schluchten empor; ihre schwarze, von der Sonnengluth und vom Sauerstoff der Luft verbrannte Rinde sticht ab vom frischen Gruen der Pothos und der Dracontien, deren lederartige glaenzende Blaetter nicht selten mehrere Fuss lang sind. Es ist nicht anders, als ob unter den Tropen die parasitischen Monocotyledonen die Stelle des Mooses und der Flechten unserer noerdlichen Landstriche vertraeten. Je weiter wir kamen, desto mehr erinnerten uns die Gesteinmassen sowohl nach Gestalt als Gruppierung an Schweizer und Tiroler Landschaften. In diesen amerikanischen Alpen wachsen noch in bedeutenden Hoehen Helikonien, Cosstus, Maranta und andere Pflanzen aus der Familie der Canna-Arten, die in der Naehe der Kueste nur niedrige, feuchte Orte aufsuchen. So kommt es, dass die heisse Erdzone und das noerdliche Europa die interessante Eigentuemlichkeit gemein haben, dass in einer bestaendig mit Wasserdampf erfuellten Luft, wie auf einem vom schmelzenden Schnee durchfeuchteten Boden die Vegetation in den Gebirgen ganz den Charakter einer Sumpfvegetation zeigt. Wir kamen in der Schlucht los Frailes und zwischen Cuesta de Caneyes und dem Rio Guriental an Huetten vorbei, die von Mestizen bewohnt sind. Jede Huette liegt mitten in einem Gehege, das Bananenbaeume, Melonenbaeume, Zuckerrohr und Mais einfriedigt. Man muesste sich wundern, wie klein diese Flecke urbar gemachten Landes sind, wenn man nicht bedaechte, dass ein mit Pisang angepflanzter Morgen Landes gegen zwanzigmal mehr Nahrungsstoff liefert, als die gleiche mit Getreide bestellte Flaeche. In Europa bedecken unsere nahrhaften Grasarten, Weizen, Gerste, Roggen, weite Landstrecken; ueberall, wo die Voelker sich von Cerealien naehren, stossen die bebauten Grundstuecke nothwendig an einander. Anders in der heissen Zone, wo der Mensch sich Gewaechse aneignen konnte, die ihm weit reichere und fruehere Ernten liefern. In diesen gesegneten Landstrichen entspricht die unermessliche Fruchtbarkeit des Bodens der Gluthhitze und der Feuchtigkeit der Lust. Ein kleines Stueck Boden, auf dem Bananenbaeume, Manioc, Yams und Mais stehen, ernaehrt reichlich eine zahlreiche Bevoelkerung. Dass die Huetten einsam im Walde zerstreut liegen, wird fuer den Reisenden ein Merkmal der Ueberfuelle der Natur; oft reicht ein ganz kleiner Fleck urbaren Landes fuer den Bedarf mehrerer Familien hin. Diese Betrachtungen ueber den Ackerbau in heissen Landstrichen erinnern von selbst daran, welch inniger Verband zwischen dem Umfang des urbar gemachten Landes und dem gesellschaftlichen Fortschritt besteht. So gross die Fuelle der Lebensmittel ist, die dieser Reichthum des Bodens, die strotzende Kraft der organischen Natur hervorbringt, dennoch wird die Culturentwicklung der Voelker dadurch niedergehalten. In einem milden, gleichfoermigen Klima kennt der Mensch kein anderes dringendes Beduerfniss als das der Nahrung. Nur wenn dieses Beduerfniss sich geltend macht, fuehlt er sich zur Arbeit getrieben, und man sieht leicht ein, warum sich im Schoosse des Ueberflusses, im Schatten von Bananen- und Brodfruchtbaeumen, die Geistesfaehigkeiten nicht so rasch entwickeln als unter einem strengen Himmel, in der Region der Getreidearten, wo unser Geschlecht in ewigem Kampf mit den Elementen liegt. Wirft man einen Blick auf die von ackerbautreibenden Voelkern bewohnten Laender, so sieht man, dass die bebauten Grundstuecke durch Wald von einander getrennt bleiben oder unmittelbar an einander stossen, und dass solches nicht nur von der Hoehe der Bevoelkerung, sondern auch von der Wahl der Nahrungsgewaechse bedingt wird. In Europa schaetzen wir die Zahl der Einwohner nach der Ausdehnung des urbaren Landes; unter den Tropen dagegen, im heissesten und feuchtesten Striche von Suedamerika, scheinen sehr stark bevoelkerte Provinzen beinahe wueste zu liegen, weil der Mensch zu seinem Lebensunterhalt nur wenige Morgen bebaut. Diese Umstaende, die alle Aufmerksamkeit verdienen, geben sowohl der physischen Gestaltung des Landes als dem Charakter der Bewohner ein eigenes Gepraege; beide erhalten dadurch in ihrem ganzen Wesen etwas Wildes, Rohes, wie es zu einer Natur passt, deren urspruengliche Physiognomie durch die Kunst noch nicht verwischt ist. Ohne Nachbarn, fast ohne allen Verkehr mit Menschen, erscheint jede Ansiederfamilie wie ein vereinzelter Volksstamm. Diese Vereinzelung hemmt den Fortschritt der Kultur, die sich nur in dem Maass entwickeln kann, als der Menschenverein zahlreicher wird und die Bande zwischen den einzelnen sich fester knuepfen und vervielfaeltigen; die Einsamkeit entwickelt aber auch und staerkt im Menschen das Gefuehl der Unabhaengigkeit und Freiheit; sie naehrt jenen Stolz, der von jeher die Voelker von castilianischem Blute ausgezeichnet hat. Dieselben Ursachen, deren maechtiger Einfluss uns weiterhin noch oft beschaeftigen wird, haben zur Folge, dass dem Boden, selbst in den am staerksten bevoelkerten Laendern des tropischen Amerika, der Anstrich von Wildheit erhalten bleibt, der in gemaessigten Klimaten sich durch den Getreidebau verliert. Unter den Tropen nehmen die ackerbauenden Voelker weniger Raum ein; die Herrschaft des Menschen reicht nicht so weit; er tritt nicht als unumschraenkter Gebieter auf, der die Bodenoberflaeche nach Gefallen modelt, sondern wie ein fluechtiger Gast, der in Ruhe des Segens der Natur geniesst. In der Umgegend der volkreichsten Staedte starrt der Boden noch immer von Waeldern oder ist mit einem dichten Pflanzenfilz ueberzogen, den niemals eine Pflugschar zerrissen hat. Die wildwachsenden Pflanzen beherrschen noch durch ihre Masse die angebauten Gewaechse und bestimmen allein den Charakter der Landschaft. Allem Vermuthen nach wird dieser Zustand nur aeusserst langsam einem andern Platz machen. Wenn in unsern gemaessigten Landstrichen es besonders der Getreidebau ist, der dem urbaren Lande einen so truebselig eintoenigen Anstrich gibt, so erhaelt sich, aller Wahrscheinlichkeit nach, in der heissen Zone selbst bei zunehmender Bevoelkerung die Grossartigkeit der Pflanzengestalten, das Gepraege einer jungfraeulichen, ungezaehmten Natur, wodurch diese so unendlich anziehend und malerisch wird. So werden denn, in Folge einer merkwuerdigen Verknuepfung physischer und moralischer Ursachen, durch Wahl und Ertrag der Nahrungsgewaechse drei wichtige Momente vorzugsweise bestimmt: das gesellige Beisammenleben der Familien oder ihre Vereinzelung, der raschere oder langsamere Fortschritt der Cultur, und die Physiognomie der Landschaft. Je tiefer wir in den Wald hineinkamen, desto mehr zeigte uns das Barometer, dass der Boden mehr anstieg. Die Baumstaemme boten uns hier einen ganz eigenen Anblick; eine Grasart mit quirlfoermigen Zweigen klettert, gleich einer Liane, acht, zehn Fuss [2,6 bis 3,25 m hoch] und bildet ueber dem Wege Gewinde, die sich im Luftzuge schaukeln. Gegen drei Uhr nachmittags hielten wir auf einer kleinen Hochebene an, *Quetepe* genannt, die etwa 190 Toisen [370 m] ueber dem Meere liegt. Es stehen hier einige Huetten an einer Quelle, deren Wasser bei den Eingeborenen als sehr kuehl und gesund beruehmt ist. Wir fanden das Wasser wirklich ausgezeichnet; es zeigte 22,5 deg. der hundertteiligen Scale (18 deg. R.), waehrend das Thermometer an der Luft auf 28,7 deg. stand. Die Quellen, die von benachbarten hoeheren Bergen herabkommen, geben haeufig eine zu rasche Abnahme der Luftwaerme an. Nimmt man als mittlere Temperatur des Wassers an der Kueste von Cumana 26 deg. an, so folgt daraus, wenn nicht andere lokale Ursachen auf die Temperatur der Quellen Einfluss aeussern, dass die Quelle von Quetepe sich erst in mehr als 350 Toifen absoluter Hoehe so bedeutend abkuehlt. Da hier von Quellen die Rede ist, die in der heissen Zone in der Ebene oder in unbedeutender Hoehe zu Tage kommen, so sey bemerkt, dass nur in Laendern, wo die mittlere Sommertemperatur von der durchschnittlichen des ganzen Jahres bedeutend abweicht, die Einwohner in der heissesten Jahreszeit sehr kaltes Quellwasser trinken koennen. Die Lappen bei Umeo und Soersele, unter dem 65. Breitegrad, erfrischen sich an Quellen, deren Temperatur im August kaum 2 bis 3 Grad ueber dem Frierpunkt steht, waehrend bei Tage die Luftwaerme im Schatten auf 26 oder 27 Grad steigt. In unsern gemaessigten Landstrichen, in Frankreich und Deutschland, ist der Abstand zwischen der Luft und den Quellen niemals ueber 16-17 Grad, und unter den Tropen steigt er selten auf 6-7 Grad. Man gibt sich leicht Rechenschaft von diesen Erscheinungen, wenn man weiss, dass die Temperatur in der Tiefe des Bodens und die der unterirdischen Quellen fast ganz uebereinkonnnt mit der mittleren Jahrestemperatur der Luft, und dass diese von der mittleren Sommerwaerme desto mehr abweicht, je mehr man sich vom Aequator entfernt. -- Die magnetische Inclination war in Quetepe 40 deg.,7 der hunderttheiligen Scale, der Cyanometer gab das Blau des Himmels im Zenith nur zu 84 deg. an, ohne Zweifel weil die Regenzeit seit mehreren Tagen begonnen und die Luft bereits Wasserdunst aufgenommen hatte. Auf einem Sandsteinhuegel ueber der Quelle hatten wir eine prachtvolle Aussicht auf das Meer, das Vorgebirge Macanao und die Halbinsel Maniquarez. Ein ungeheurer Wald breitete sich zu unseren Fuessen bis zum Ocean hinab; die Baumwipfel, mit Lianen behangen, mit langen Bluethenbuescheln gekroent, bildeten einen ungeheuren gruenen Teppich, dessen tiefdunkle Faerbung das Licht in der Luft noch glaenzender erscheinen liess. Dieser Anblick ergriff uns um so mehr, da uns hier zum erstenmal die Vegetation der Tropen in ihrer Massenhaftigkeit entgegentrat. Auf dem Huegel von Quetepe, unter den Staemmen von _Malpighia corolloboefolia_ mit stark lederartigen Blaettern, in Gebueschen von _Polygala montana_, brachen wir die ersten Melastomen, namentlich die schoene Art, die unter dem Namen _Melastoma rufescens_ beschrieben worden. Dieser Aussichtspunkt wird uns lange in Gedaechtnis bleiben; der Reisende behaelt die Orte lieb, wo er zuerst ein Pflanzengeschlecht angetroffen, das er bis dahin nie wild wachsend gesehen. Weiter gegen Suedwest wird der Boden duerr und sandig; wir erstiegen eine ziemlich hohe Berggruppe, welche die Kueste von den grossen Ebenen oder Savannen an den Ufern des Orinoko trennt. Der Teil dieser Berggruppe, durch den der Weg nach Cumanacoa laeuft, ist pflanzenlos und faellt gegen Nord und Sued steil ab. Er fuehrt den Namen *Imposible*, weil man meint, bei einer feindlichen Landung wuerden die Einwohner von Cumana auf diesem Gebirgskamm eine Zufluchtsstaette finden. Wir kamen kurz vor Sonnenuntergang auf dem Gipfel an, und ich konnte eben noch ein paar Stundenwinkel aufnehmen, um mittelst des Chronometers die Laenge des Orts zu bestimmen. Die Aussicht auf dem Imposible ist noch schoener und weiter als auf der Ebene Quetepe. Deutlich konnten wir mit blossem Auge den abgestutzten Gipfel des Brigantin, dessen geographische Lage genau zu kennen so wichtig waere, den Landungsplatz und die Rhede von Cumana sehen. Die Felsenkueste von Araya lag nach ihrer ganzen Laenge vor uns. Besonders fiel uns die merkwuerdige Bildung eines Hafens auf, den man _Laguna grande_ oder _Laguna de Obispo_ nennt. Ein weites, von hohen Bergen umgebenes Becken steht durch einen schmalen Canal, durch den nur Ein Schiff fahren kann, mit dem Meerbusen von Cariaco in Verbindung. In diesem Hafen, den Fidalgo genau aufgenommen hat, koennten mehrere Geschwader neben einander ankern. Es ist ein voellig einsamer Ort, den nur einmal im Jahr die Fahrzeuge besuchen, welche Maulthiere nach den Antillen bringen. Hinten in der Bucht liegen einige Weiden. Unser Blick verfolgte die Windungen des Meeresarms, der sich wie ein Fluss durch senkrechte, kahle Felsen sein Bett gegraben hat. Dieser merkwuerdige Anblick erinnert an die phantastische Landschaft, die Leonardo da Vinci aus dem Hintergrund seines beruehmten Bildnisses der Joconda [Mona Lisa, Gattin des Francesco del Gioconde] angebracht hat. Wir konnten mit dem Chronometer den Moment beobachten, in dem die Sonnenscheibe den Meereshorizont beruehrte. Die erste Beruehrung fand statt um 6 Uhr 8 Minuten 13 Secunden, die zweite um 6 Uhr 10 Min. 26 Sec. mittlere Zeit. Diese Beobachtung, die fuer die Theorie der irdischen Strahlenbrechung nicht ohne Belang ist, wurde auf dem Gipfel des Berges in 296 Toisen absoluter Hoehe angestellt. Mit dem Untergang der Sonne trat eine sehr rasche Abkuehlung der Luft ein. Drei Minuten nach der letzten scheinbaren Beruehrung der Scheibe mit dem Meereshorizont fiel das Thermometer ploetzlich von 25,2 deg. auf 21,3 deg.. Wurde diese auffallende Abkuehlung etwa durch einen aufsteigenden Strom bewirkt? Die Luft war indessen ruhig und kein wagrechter Luftzug zu bemerken. Die Nacht brachten wir in einem Hause zu, wo ein Militaerposten von acht Mann unter einem spanischen Unteroffizier liegt. Es ist ein Hospiz, das neben einem Pulvermagazin liegt und wo der Reisende alle Bequemlichkeit findet. Dasselbe Commando bleibt fuenf bis sechs Monate lang auf dem Berg. Man nimmt dazu vorzugsweise Soldaten, die *Chacras* oder Pflanzungen in der Gegend haben. Als nach der Einnahme der Insel Trinidad durch die Englaender im Jahr 1797 der Stadt Cumana ein Angriff drohte, fluechteten sich viele Einwohner nach Cumanacoa und brachten ihre werthvollste Habe in Schuppen unter, die man in der Eile auf dem Gipfel des Imposible aufgeschlagen. Man war entschlossen, bei einem ploetzlichen feindlichen Ueberfall nach kurzem Widerstand das Schloss San Antonio aufzugeben und die ganze Kriegsmacht der Provinz um den Berg zusammenzuziehen, der als der Schluessel der Llanos anzusehen ist. Die kriegerischen Ereignisse, deren Schauplatz nach der seitdem eingetretenen politischen Umwaelzung diese Gegend wurde, haben bewiesen, wie richtig jener erste Plan berechnet war. Der Gipfel des Imposible ist, soweit meine Beobachtung reicht, mit einem quarzigen, versteinerungslosen Sandstein bedeckt. Die Schichten desselben streichen hier wie auf dem Ruecken der benachbarten Berge ziemlich regelmaessig von Nord-Nord-Ost nach Sued-Sued-West. Diese Richtung ist auch im Urgebirge der Halbinsel Araya und laengs der Kueste von Venezuela die haeufigste. Am noerdlichen Abhang des Imposible, bei Penas Negras, kommt aus dem Sandstein, der mit Schieferthon wechsellagert, eine starke Quelle zu Tag. Man sieht an diesem Punkt von Nordwest nach Suedost streichende, zerbrochene, fast senkrecht ausgerichtete Schichten. Die Llaneros, das heisst die Bewohner der Ebenen, schicken ihre Produkte, namentlich Mais, Leder und Vieh ueber den Imposible in den Hafen von Cumana. Wir sahen rasch hintereinander Indianer oder Mulatten mit Maulthieren ankommen. Der einsame Ort erinnerte mich lebhaft an die Naechte, die ich oben auf dem St. Gotthard zugebracht. Es brannte an mehreren Stellen in den weiten Waldungen um den Berg. Die roethlichen, halb in ungeheure Rauchwolken gehuellten Flammen gewaehrten das grossartigste Schauspiel. Die Einwohner zuenden die Waelder an, um die Weiden zu verbessern und das Unterholz zu vertilgen, unter dem das Gras erstickt, das hierzulande schon selten genug ist. Haeufig entstehen auch ungeheure Waldbraende durch die Unvorsichtigkeit der Indianer, die auf ihren Zuegen die Feuer, an denen sie gekocht haben, nicht ausloeschen. Durch diese Zufaelle sind auf dem Wege von Cumana nach Cumanacoa die alten Baeume seltener geworden; und die Einwohner machen die richtige Bemerkung, dass an verschiedenen Orten der Provinz die Trockenheit zugenommen habe, nicht allein weil der Boden durch die vielen Erdbeben von Jahr zu Jahr mehr zerklueftet wird, sondern auch weil er nicht mehr so stark bewaldet ist wie zur Zeit der Eroberung. Ich stand Nachts auf, um die Breite des Orts nach dem Durchgang Fomahaults durch den Meridian zu bestimmen. Es war Mitternacht; ich starrte vor Kaelte, wie unser Fuehrer, und doch stand der Thermometer noch auf 19 deg.,7 (15 deg. R.). In Cumana sah ich ihn nie unter 21 deg. fallen; aber das Haus auf dem Imposible, in dem wir die Nacht zubrachten, lag auch 258 Toisen ueber dem Meeresspiegel. Bei der Casa de la Polvora beobachtete ich die Inclination der Magnetnadel; sie war gleich 40 deg.,5. Die Zahl der Schwingungen in zehn Minuten Zeit betrug 233; die Intensitaet der magnetischen Kraft hatte somit zwischen der Kueste und dem Berg zugenommen, was vielleicht von eisenschuessigem Gestein herruehrte, das die auf dem Alpenkalk gelagerten Sandsteinschichten enthalten mochten. Am 5. September vor Sonnenaufgang brachen wir vom Imposible auf. Der Weg abwaerts ist fuer Lasttiere sehr gefaehrlich; der Pfad ist meist nur 15 Zoll [40 cm] breit und laeuft beiderseits an Abgruenden hin. Im Jahr 1797 hatte man sehr zweckmaessig beschlossen, von St. Fernando bis an den Berg eine gute Strasse anzulegen. Die Strasse war sogar zu einem Drittheil bereits fertig; leider hatte man damit in der Ebene am Fuss des Imposible begonnen, und das schwierigste Stueck des Wegs wurde gar nicht in Angriff genommen. Die Arbeit gerieth aus einer der Ursachen ins Stocken, aus denen aus allen Fortschrittsprojekten in den spanischen Colonien nichts wird. Verschiedene Civilbehoerden nahmen das Recht in Anspruch, die Arbeit mit zu leiten. Das Volk bezahlte geduldig den Zoll fuer einen Weg, der gar nicht da war, bis der Statthalter von Cumana den Missbrauch abstellte. Wenn man vom Imposible herabkommt, sieht man den Alpenkalk unter dem Sandstein wieder zum Vorschein kommen. Da die Schichten meist nach Sued und Suedost fallen, so kommen am Suedabhang des Berges sehr viele Quellen zu Tag. In der Regenzeit werden diese Quellen zu reissenden Bergstroemen, die im Schatten von Hura, Cuspa und Cecropia mit silberglaenzenden Blaettern niederstuerzen. Die *Cuspa*, die in der Umgegend von Cumana und Bordones ziemlich haeufig vorkommt, ist ein den europaeischen Botanikern noch unbekannter Baum. Er diente lange nur als Bauholz uns seit dem Jahre 1797 unter dem Namen Cascarilla oder Quinquina von Neuandalusien beruehmt geworden. Sein Stamm wird kaum 15 bis 20 Fuss [5 bis 6,5 m] hoch; seine wechselstaendigen Blaetter sind glatt, ganzrandig, eifoermig. Seine sehr duenne, blassgelbe Rinde ist ein ausgezeichnetes Fiebermittel; dieselbe hat sogar mehr Bitterkeit als die Rinden der echten Cinchonen, aber diese Bitterkeit ist nicht so unangenehm. Die Cuspa wird mit sehr guten Erfolg als weingeistiger Extrakt und als waesseriger Aufguss sowohl bei Wechselfiebern als bei boesartigen Fiebern gegeben. Emparan, der Statthalter von Cumana, hat den Aerztn in Cadiz einen ansehnlichen Vorrat davon geschickt, und nach den kuerzlichen Mittheilungen Don Pedro Francos, Pharmaceuten am Militaerspital zu Cumana, hat man in Europa die Cuspa fuer fast ebenso wirksam erklaert, als die Quinquina von Santa Fe. Man behauptet, in Pulverform gereicht, habe sie vor letzterer den Vorzug, da sie bei Kranken mit geschwaechtem Unterleib den Magen weniger angreife. Als wir aus der Schlucht, die sich am Imposible hinabzieht, herauskamen, betraten wir einen dichten Wald, durch den eine Menge kleiner Fluesse laufen, die man leicht durchwatet. Wir machten die Bemerkung, dass die Cecropia, die durch die Stellung ihrer Aeste und den schlanken Stamm an den Palmenhabitus erinnert, je nachdem der Boden duerr oder sumpfig ist, mehr oder weniger silberfarbige Blaetter treibt. Wir sahen Staemme, deren Laub auf beiden Seiten ganz gruen war. Die Wurzeln dieser Baeume waren unter Bueschen von Dorstenia versteckt, die nur feuchte, schattige Orte liebt. Mitten im Wald, an den Ufern des Rio Erdeno, findet man, wie am Suedabhang des Cocollar, Melonenbaeume und Orangenbaeume mit grossen suessen Fruechten wild wachsend. Es sind wahrscheinlich Ueberbleibsel einiger Conucas oder indianischer Pflanzungen; denn auch der Orangenbaum kann in diesen Landstrichen nicht zu den urspruenglich hier heimischen Gewaechsen gerechnet werden, so wenig wie der Pisang, der Melonenbaum, der Mais, der Manioc und so viele andere nutzbare Gewaechse, deren eigentliche Heimat wir nicht kennen, obgleich sie den Menschen seit uralter Zeit auf seinen Wanderungen begleitet haben. Wenn ein eben aus Europa angekommener Reisender zum erstenmal die Waelder Suedamerikas betritt, so hat er ein ganz unerwartetes Naturbild vor sich. Alles was er sieht, erinnert nur entfernt an die Schilderungen, welche beruehmte Schriftsteller an den Ufern des Mississippi, in Florida und in andern gemaessigten Laendern der neuen Welt entworfen haben. Bei jedem Schritt fuehlt er, dass er sich nicht an den Grenzen der heissen Zone befindet, sondern mitten darin, nicht auf einer der antillischen Inseln, sondern auf einem gewaltigen Continent, wo Alles riesenhaft ist, Berge, Stroeme und Pflanzenmassen. Hat er Sinn fuer landschaftliche Schoenheit, so weiss er sich von seinen mannigfaltigen Empfindungen kaum Rechenschaft zu geben. Er weiss nicht zu sagen, was mehr sein Staunen erregt, die feierliche Stille der Einsamkeit oder die Schoenheit der einzelnen Gestalten und ihrer Kontraste oder die Kraft und die Fuelle des vegetabilischen Lebens. Es ist als haette der mit Gewaechsen ueberladene Boden gar nicht Raum genug zu ihrer Entwicklung. Ueberall verstecken sich die Baumstaemme hinter einen gruenen Teppich, und wollte man all die Orchideen, die Pfeffer- und Pothosarten, die auf einem einzigen Heuschreckenbaum oder amerikanischen Feigenbaum [_Ficus gigantea._] wachsen, sorgsam verpflanzen, so wuerde ein ganzes Stueck Land damit bedeckt. Durch diese wunderliche Aufeinanderfolge erweitern die Waelder, wie die Fels und Gebirgswaende, den Bereich der organischen Natur. -- Dieselben Lianen, die am Boden kriechen, klettern zu den Baumwipfeln empor und schwingen sich, mehr als hundert Fuss [30 m] hoch, vom einen zum anderen. So kommt es, dass, da die Schmarotzergewaechse sich ueberall durcheinander wirren, der Botaniker Gefahr laeuft, Blueten, Fruechte und Laub, die verschiedenen Arten gehoeren, zu verwechseln. Wir wanderten einige Stunden im Schatten dieser Woelbungen, durch die man kaum hin und wieder den blauen Himmel sieht. Er schien mir um so tiefer indigoblau, da das Gruen der tropischen Gewaechse meist einen sehr kraeftigen, ins Braeunliche spiegelnde Ton hat. Zerstreute Felsmassen waren mit einem grossen Baumfarn bewachsen, der sich vom _Polypodium arboreum_ der Antillen wesentlich unterscheidet. Hier sahen wir zum erstenmal jene Nester in Gestalt von Flaschen oder kleinen Taschen, die an den Aesten der niedrigsten Baeume aufgehaengt sind. Es sind Werke des bewunderungswuerdigen Bautriebes der Drosseln, deren Gesang sich mit dem heiseren Geschrei der Papageien und Aras mischte. Die letzteren, die wegen der lebhaften Farben ihres Gefieders allgemein bekannt sind, flogen nur paarweise, waehrend die eigentlichen Papageien in Schwaermen von mehreren hundert Stueck umherfliegen. Man muss in diesen Laendern, besonders in den heissen Thaelern der Anden gelebt haben, um es fuer moeglich zu halten, dass zuweilen das Geschrei dieser Voegel das Brausen der Bergstroeme, die von Fels zu Fels stuerzen, uebertoent. Eine starke Meile vor dem Dorfe San Fernando kamen wir aus dem Walde heraus. Ein schmaler Fusspfad fuehrt auf mehreren Umwegen in ein offenes, aber ausnehmend feuchtes Land. Unter dem gemaessigten Himmelsstrich haetten unter solchen Umstaenden Graeser und Riedgraeser einen weiten Wiesenteppich gebildet; hier wimmelte der Boden von Wasserpflanzen mit pfeilfoermigen Blaettern, besonders von Canna-Arten, unter denen wir die prachtvollen Bluethen der Costus, der Thalien und Heliconien erkannten. Diese saftigen Gewaechse werden acht bis zehn Fuss hoch, und wo sie dicht beisammen stehen, koennten sie in Europa fuer kleine Waelder gelten. Das herrliche Bild eines Wiesgrundes und eines mit Blumen durchwirkten Rasens ist den niedern Landstrichen der heissen Zone fast ganz fremd und findet sich nur auf den Hochebenen der Anden wieder. Bei San Fernando war die Verdunstung unter den Strahlen der Sonne so stark, dass wir, da wir sehr leicht gekleidet waren, durchnaesst wurden, wie in einem Dampfbade. Am Wege wuchs eine Art Bambusrohr, das die Indianer Jagua oder Guadua nennen und das ueber vierzig Fuss [13 m] hoch wird. Nichts kann zierlicher sein als diese baumartige Grasart. Form und Stellung der Blaetter geben ihr ein Ansehen von Leichtigkeit, das mit dem hohen Wuchs angenehm kontrastiert. Der glatte, glaenzende Stamm der Jagua ist meist den Bauchufern zugeneigt und schwankt beim leisesten Luftzuge hin und her. So hoch auch das Rohr [_Arundo donax_] im mittaeglichen Europa waechst, so gibt es doch keinen Begriff vom Aussehen der baumartigen Graeser, und wollte ich nur meine eigene Erfahrung sprechen lassen, so moechte ich behaupten, dass von allen Pflanzengestalten unter den Tropen keine die Einbildungskraft des Reisenden mehr anregt als der Bambus und der Baumfarn. Die ostindischen Bambus, die _calumets des hauts_ [_Bambusa_, oder vielmehr _Nestus alpina_] der Insel Bourbon, der Guaduas Suedamerikas, vielleicht sogar die riesenhaften Arundinarien an den Ufern des Mississippi, gehoeren derselben Pflanzengruppe an. In Amerika sind aber die Bambusanen nicht so haeufig, als man gewoehnlich glaubt. In den Suempfen sind auf den grossen unter Wasser stehenden Ebenen am untern Orinoco, am Apure und Atabapo fehlen sie fast ganz, wogegen sie im Nordwesten, in Neugrenada und im Koenigreich Quito mehrere Meilen lange dichte Waelder bilden. Der westliche Abhang der Anden erscheint als ihre eigentliche Heimath, und was ziemlich auffallend ist, wir haben sie nicht nur in tiefen, kaum ueber dem Meer gelegenen Landstrichen, sondern auch in den hohen Thaelern der Cordilleren bis in 860 Toisen Meereshoehe angetroffen. Der Weg mit dem Bambusgebuesch zu beiden Seiten fuehrte uns zum kleinen Dorfe San Fernando, das auf einer schmalen, von sehr steilen Kalksteinwaenden umgebenen Ebene liegt. Es war die erste Mision, die wir in Amerika betraten.(49) Die Haeuser oder vielmehr Huetten der Chaymasindianer sind weit auseinander gerueckt und nicht von Gaerten umgeben. Die breiten geraden Strassen schneiden sich unter rechten Winkeln; die sehr duennen, unsoliden Waende bestehen aus Letten oder Lianenzweigen. Die gleichfoermige Bauart, das ernste schweigsame Wesen der Einwohner, die ausnehmende Reinlichkeit in den Haeusern, alles erinnert an die Gemeinden der maehrischen Brueder. Jede indianische Familie baut draussen vor dem Dorfe ausser ihren eigenen Garten den *Conuco de la comunidad*. In diesem arbeiten die Erwachsenen beider Geschlechter morgens und abends je eine Stunde. In den Missionen, die der Kueste zu liegen, ist der Gemeindegarten meist eine Zucker- oder Indigoplantage, welcher der Missionar vorsteht, und deren Ertrag, wenn das Gesetz streng befolgt wird, nur zur Erhaltung der Kirche und zur Anschaffung von Paramenten verwendet werden darf. Auf dem grossen Platze mitten im Dorfe stehen die Kirche, die Wohnung des Missionars und das bescheidene Gebaeude, das pomphaft *Case des Rey*, "koenigliches Haus", betitelt wird. Es ist eine foermliche Karawanserei, wo die Reisenden Obdach finden, und, wie wir oft erfahren, eine wahre Wohltat in einem Lande, wo das Wort Wirtshaus noch unbekannt ist. Die _Casas des Rey_ findet man in allen spanischen Kolonien, und man koennte meinen, sie seyen eine Nachahmung der nach dem Gesetze Manco-Capacs errichteten *Tambos* in Peru. Wir waren an die Ordensleute, die den Missionen der Chaymas-Indianer vorstehen, durch ihren Syndicus in Cumana empfohlen. Diese Empfehlung kam uns desto mehr zu statten, als die Missionaere, sey es aus Besorgniss fuer die Sittlichkeit ihrer Pfarrkinder, oder um die moenchische Zucht der zudringlichen Neugier Fremder zu entziehen, oft an einer alten Verordnung festhalten, nach welcher kein Weisser weltlichen Standes sich laenger als eine Nacht in einem indianischen Dorfe aufhalten darf. Will man in den spanischen Missionen angenehm reisen, so darf man sich meist nicht allein auf den Pass des Madrider Staatssecretariats oder der Civilbehoerden verlassen, man muss sich mit Empfehlungen geistlicher Behoerden versehen; am wirksamsten sind die der Gardians der Kloester und der in Rom residirenden Ordensgenerale, vor denen die Missionare weit mehr Respekt haben als vor den Bischoefen. Die Missionen bilden, ich sage nicht nach ihren urspruenglichen canonischen Satzungen, aber thatsaechlich eine so ziemlich unabhaengige Hierarchie fuer sich, die in ihren Ansichten selten mit der Weltgeistlichkeit uebereinstimmt. Der Missionar von San Fernando war ein sehr bejahrter, aber noch sehr kraeftiger und munterer Kapuziner aus Aragon. Seine bedeutende Koerperrundung, sein guter Humor, sein Interesse fuer Gefechte und Belagerungen stimmten schlecht zu der Vorstellung, die man sich im Norden vom schwaermerischen Truebsinn und dem beschaulichen Leben der Missionare macht. So viel ihm auch eine Kuh zu tun gab, die des anderen Tages geschlachtet werden sollte, empfing uns doch der alte Ordensmann ganz freundlich und erlaubte uns, unsere Haengematten in einem Gange seines Hauses zu befestigen. Er sass den groessten Teil des Tages ueber in einem grossen Armstuhle von rotem Holz und beklagte sich bitter ueber die Traegheit und Unwissenheit seiner Landsleute. Er richtete tausenderlei Fragen an uns ueber den eigentlichen Zweck unserer Reise, die ihm sehr gewagt und zum wenigsten ganz unnuetz schien. Hier wie am Orinoco wurde es uns sehr beschwerlich, dass sich die Spanier mitten in den Waeldern Amerikas fuer die Kriege und politischer Stuerme der alten Welt immer noch so lebhaft interessiren. Unser Missionaer schien uebrigens mit seiner Stellung vollkommen zufrieden. Er behandelte die Indianer gut, er sah die Mission gedeihen, er pries in begeisterten Worten das Wasser, die Bananen, die Milch des Landes. Als er unsere Instrumente, unsere Buecher und getrockneten Pflanzen sah, konnte er sich eines boshaften Laechelns nicht enthalten, und er gestand mit der in diesem Klima landesueblichen Naivitaet, von allen Genuessen dieses Lebens, den Schlaf nicht ausgenommen, sey doch gutes Kuhfleisch, *carne de vaca*, der koestlichste; die Sinnlichkeit quillt eben ueberall ueber, wo es an geistiger Beschaeftigung fehlt. Oft bat uns unser Wirth, mit ihm die Kuh zu besuchen, die er eben gekauft hatte, und am andern Tage bei Tagesanbruch mussten wir sie nach Landessitte schlachten sehen; man machte ihr einen Schnitt durch die Haeckse, ehe man ihr das breite Messer in die Halswirbel stiess. So widrig dieses Geschaeft war, so lernten wir dabei doch die ausnehmende Fertigkeit der Chaymas kennen, deren acht in weniger als zwanzig Minuten das Thier in kleine Stuecke zerlegten. Die Kuh hatte nur sieben Piaster gekostet, und diess galt fuer sehr viel. Am selben Tag hatte der Missionar einem Soldaten aus Cumana, der ihm nach mehreren vergeblichen Versuchen endlich am Fuss die Ader geschlagen, achtzehn Piaster bezahlt. Dieser Fall, so unbedeutend er scheint, zeigt recht auffallend, wie hoch in uncultivirten Laendern die Arbeit dem Werth der Naturprodukte gegenueber im Preise steht. Die Mission San Fernando wurde zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts an der Stelle gegruendet, wo die kleinen Fluesse Manzanares und Lucasperez sich vereinigen. Eine Feuersbrunst, welche die Kirche und die Huetten der Indianer in Asche legte, gab den Anlass, dass die Kapuziner das Dorf an dem schoenen Punkt, wo es jetzt liegt, wieder aufbauten. Die Zahl der Familien ist auf hundert gestiegen, und der Missionar machte gegen uns die Bemerkung, dass der Brauch, die jungen Leute im dreizehnten oder vierzehnten Jahre zu verheirathen, zu dieser raschen Zunahme der Bevoelkerung viel beitrage. Er zog in Abrede, dass die Chaymas-Indianer so frueh altern, als die Europaeer gewoehnlich glauben. Das Regierungswesen in diesen indianischen Gemeinden ist uebrigens sehr verwickelt; sie haben ihren Gobernador, ihre Alguazils Majors und ihre Milizoffiziere, und diese Beamten sind lauter kupferfarbene Eingeborene. Die Schuetzencompagnie hat ihre Fahnen und uebt sich mit Bogen und Pfeilen im Zielschiessen; es ist die Buergerwehr des Landes. Solch kriegerische Anstalten und einem rein moenchischen Regiment kamen uns sehr seltsam vor. In der Nacht vom fuenften September und am andern Morgen lag ein dicker Nebel, und doch waren wir nur hundert Toisen ueber dem Meeresspiegel. Bevor wir aufbrachen, mass ich geometrisch den grossen Kalkberg, der achthundert Toisen suedlich von San Fernando liegt und nach Norden steil abfaellt. Sein Gipfel ist nur 215 Toisen hoeher als der grosse Dorfplatz, aber kahle Felsmassen, die sich aus der dichten Pflanzendecke erheben, geben ihm etwas sehr Grossartiges. Der Weg von San Fernando nach Cumana fuehrt ueber kleine Pflanzungen durch ein offenes feuchtes Tal. Wir wateten durch viele Baeche. Im Schatten stand das Thermometer nicht ueber 30 deg., wir waren ab er unmittelbar den Sonnenstrahlen ausgesetzt, weil die Bambus am Wege nur wenig Schutz gewaehren, und wir hatten stark von der Hitze zu leiden. Wir kamen durch das Dorf Arenas, das von Indianers desselben Stammes wie die von San Fernando bewohnt ist; aber Arenas ist keine Mission mehr; die Eingeborenen stehen unter einem Pfarrer und sind nicht so nackt und kultivierter als jene. Ihre Kirche ist im Lande wegen einiger rohen Malereien bekannt; auf einem schmalen Fries sind Guerteltiere, Kaimane, Jaguare und andere Tiere der Neuen Welt abgebildet. In diesem Dorfe wohnt ein Landmann Namens Francisco Lozano, der eine physiologische Merkwuerdigkeit ist, und der Fall macht Eindruck auf die Einbildungskraft, wenn er auch den bekannten Gesetzen der organischen Natur vollkommen entspricht. Der Mann hat einen Sohn mit seiner eigenen Milch aufgezogen. Die Mutter war krank geworden, da nahm der Vater das Kind, um es zu beruhigen, zu sich ins Bett und drueckte es an die Brust. Lozano, damals zweiundreissig Jahre alt, hatte es bis dahin nicht bemerkt, dass er Milch gab, aber infolge der Reizung der Brustwarze, an der das Kind saugte, schoss die Milch ein. Dieselbe war fett und sehr suess. Der Vater war nicht wenig erstaunt, als seine Brust schwoll, und saeugte fortan das Kind fuenf Monate lang zwei-, dreimal des Tages. Seine Nachbarn wurden aufmerksam auf ihn, er dachte aber nicht daran, die Neugierde auszubeuten, wie er wohl in Europa getan haette. Wir sahen das Protokoll, das ueber den merkwuerdigen Fall aufgenommen worden. Augenzeugen desselben leben noch, und sie versicherten uns, der Knabe habe waehrend des Stillens nichts bekommen als die Milch des Vaters. Lozano war nicht zu Hause, als wir die Missionen bereisten, besuchte uns aber in Cumana. Er kam mit seinem Sohne, der schon 13 bis 14 Jahre als war. Bonpland untersuchte die Brust des Vaters genau und fand sie runzlig, wie bei Weibern, die gesaeugt haben. Er bemerkte, dass besonders die linke Brust sehr ausgedehnt war, und Lozano erklaerte dies aus dem Umstande, dass niemals beide Brueste gleich viel Milch gegeben. Der Statthalter Don Vicente Emparan hat eine ausfuehrliche Beschreibung des Falles nach Cadiz geschickt. Es kommt bei Menschen und Thieren nicht gar selten vor, dass die Brust maennlicher Individuen Milch enthaelt, und das Klima scheint auf diese mehr oder weniger reichliche Absonderung keinen merkbaren Einfluss zu aeussern. Die Alten erzaehlen von der Milch der Boecke aus Lemnos und Corsica; Noch in neuester Zeit war in Hannover ein Bock, der jahrelang einen Tag um den anderen gemolken wurde und mehr Milch gab als die Ziegen. Unter den Merkmalen der vermeintlichen Schwaechlichkeit der Amerikaner fuehren die Reisenden auch auf, dass die Maenner Milch in den Bruesten haben [Man hat sogar alles Ernstes behauptet, in einem Teile Brasiliens werden die Kinder von den Maennern, nicht von den Weibern gesaeugt.]. Es ist indessen hoechst unwahrscheinlich, dass solches bei einem ganzen Volksstamm in irgend einem der heutigen Reisenden unbekannten Landstriche Amerikas beobachtet worden sein sollte, und ich kann versichern, dass der Fall gegenwaertig in der Neuen Welt nicht haeufiger vorkommt als in der Alten. Der Landmann in Arenas, dessen Geschichte wir soeben erzaehlt, ist nicht vom kupferfarbenen Stamm der Chaymas, er ist ein Weisser von europaeischem Blut. Ferner haben Petersburger Anatomen die Beobachtung gemacht, dass Milch in den Bruesten der Maenner beim niederen russischen Volke weit haeufiger vorkommt, als bei suedlicheren Voelkern, und die Russen haben nie fuer schwaechlich und weibisch gegolten. Es gibt unter den mancherlei Spielarten unseres Geschlechts eine, bei der der Busen zur Zeit der Mannbarkeit einen ansehnlichen Umfang erhaelt. Lozano gehoerte nicht dazu, und er versicherte uns wiederholt, erst durch die Reizung der Brust in Folge des Saugens sey bei ihm die Milch gekommen. Dadurch wird bestaetigt, was die Alten beobachtet haben: "Maenner, die etwas Milch haben, geben ihrer in Menge, sobald man an den Bruesten saugt." [_Aristoteles, Historia animalium. Lib. III. c. 20_] Diese sonderbare Wirkung eines Nervenreizes war den griechischen Schaefern bekannt; die auf dem Berge Oeta rieben den Ziegen, die noch nicht geworfen hatten, die Euter mit Nesseln, um die Milch herbeizulocken. Ueberblickt man die Lebenserscheinungen in ihrer Gesammtheit, so zeigt sich, dass keine ganz fuer sich allein steht. In allen Jahrhunderten werden Beispiele erzaehlt von jungen, nicht mannbaren Maedchen oder von bejahrten Weibern mit eingeschrumpften Bruesten, welche Kinder saeugten. Bei Maennern kommt solches weit seltener vor, und nach vielem Suchen habe ich kaum zwei oder drei Faelle finden koennen. Einer wird vom veronesischen Anatomen Alexander Benedictus angefuehrt, der am Ende des fuenfzehnten Jahrhunderts lebte. Er erzaehlt, ein Syrier habe nach dem Tode der Mutter sein Kind, um es zu beschwichtigen, an die Brust gedrueckt. Sofort schoss die Milch so stark ein, dass der Vater sein Kind allein saeugen konnte. Andere Beispiele werden von Santorellus, Feria und Robert, Bischof von Cork, berichtet. Da die meisten dieser Faelle ziemlich entlegenen Zeiten angehoeren, ist es von Interesse fuer die Physiologie, dass die Erscheinung zu unserer Zeit bestaetigt werden konnte. Sie haengt uebrigens genau mit dem Streit ueber die Endursachen zusammen. Dass auch der Mann Brueste hat, ist den Philosophen lange ein Stein des Anstosses gewesen, und noch neuerdings hat man geradezu behauptet: "Die Natur habe die Faehigkeit zu saeugen dem einen Geschlecht versagt, weil diese Faehigkeit gegen die Wuerde des Mannes waere." In der Naehe der Stadt Cumanacoa wird der Boden ebener und das Thal nach und nach weiter. Die kleine Stadt liegt auf einer kahlen, fast kreisrunden, von hohen Bergen umgebenen Ebene und nimmt sich von aussen sehr truebselig aus. Die Bevoelkerung ist kaum 2300 Seelen stark; zur Zeit des Vaters Caulin im Jahr 1753 betrug sie nur 600. Die Haeuser sind sehr niedrig, unsolid und, drei oder vier ausgenommen, saemmtlich aus Holz. Wir brachten indessen unsere Instrumente ziemlich gut beim Verwalter der Tabaksregie, Don Juan Sanchez, unter, einem liebenswuerdigen, geistig sehr regsamen Mann. Er hatte uns eine geraeumige, bequeme Wohnung einrichten lassen; wir blieben vier Tage hier und er liess sich nicht abhalten, uns auf allen unsern Ausfluegen zu begleiten. Cumanacoa wurde im Jahre 1717 von Domingo Arias gegruendet, als er von einem Kriegszuge zurueckkam, den er an die Muendung des Guarapiche unternommen, um eine von franzoesischen Freibeutern begonnene Niederlassung zu zerstoeren. Die Stadt hiess anfangs San Baltazar de las Arias, aber der indische Name verdraengte jenen, wie der Name Caracas den Namen Santiago de Leon, den man noch haeufig auf unseren Karten sieht, in Vergessenheit gebracht hat. Als wir den Barometer oeffneten, sahen wir zu unserer Ueberraschung das Quecksilber kaum 7,3 Linien tiefer stehen als an der Kueste, und doch schien das Instrument in ganz gutem Stand. Die Ebene, oder vielmehr das Plateau, auf dem Cumanacoa steht; liegt nicht mehr als 104 Toisen ueber dem Meeresspiegel, und diess ist drei oder viermal weniger, als man in Cumana glaubt, weil man dort von der Kaelte in Cumanacoa die uebertriebensten Vorstellungen hat. Aber der klimatische Unterschied zwischen zwei so nahen Orten ruehrt vielleicht weniger von der hohen Lage des letzteren her als von oertlichen Verhaeltnissen, wozu wir rechnen, dass die Waelder sehr nahe, die niedergehenden Luftstroeme, wie in allen eingeschlossenen Thaelern, haeufig, die Regenniederschlaege und die Nebel sehr stark sind, wodurch einen grossen Theil des Jahres hindurch die unmittelbare Wirkung der Sonnenstrahlen geschwaecht wird. Da die Waermeabnahme unter den Tropen und Sommers in der gemaessigten Zone ungefaehr gleich ist, so sollte der geringe Hoehenunterschied von 100 Toisen nur einen Unterschied in der mittleren Temperatur von 1 bis 11/2 Grad verursachen; wir werden aber bald sehen, dass derselbe ueber vier Grad betraegt. Dieses kuehle Klima faellt um so mehr auf, da es noch in der Stadt Carthago, in Tomependa am Ufer des Amazonenstroms und in den Thaelern von Aragua, westwaerts von Caracas, sehr heiss ist, lauter Orte, die in 200-480 Toisen absoluter Meereshoehe liegen. In der Ebene wie im Gebirge laufen die Linien gleicher Waerme (Isothermen) nicht immer dem Aequator oder der Erdoberflaeche parallel, und darin besteht eben die grosse Aufgabe der Meteorologie, den Lauf dieser Linien zu ermitteln und durch alle von oertlichen Ursachen bedingte Abweichungen hindurch die constanten Gesetze der Waermevertheilung zu erfassen. Der Hafen von Cumana liegt von Cumanacoa nur etwa sieben Seemeilen. Am ersteren Orte regnet es fast nie, waehrend an letzterem die Regenzeit sechs bis sieben Monate dauert. Die trockene Jahreszeit waehrt in Cumanacoa von der Winter- bis zur Sommer- Tag- und Nachtgleiche. Strichregen sind im April, Mai und Juni ziemlich haeufig; spaeter wird es wieder sehr trocken, vom Sommersolstitium bis Ende August; nunmehr tritt die eigentliche Regenzeit ein, die bis zum November anhaelt und in der das Wasser in Stroemen vom Himmel giesst. Nach der Breite von Cumanacoa geht die Sonne das einemal am 16. April, das anderemal am 27. August durch das Zenith, und aus dem eben Angefuehrten geht hervor, dass diese beiden Durchgaenge mit dem Eintreten der grossen Regenniederschlaege und der starken elektrischen Entladungen zusammenfallen. Unser erster Aufenthalt in den Missionen fiel in die Regenzeit. Jede Nacht war der Himmel mit schweren Wolken wie mit einem dichten Schleier umzogen, und nur durch Ritzen im Gewoelk konnte ich ein paar Sternbeobachtungen anstellen. Das Thermometer stand auf 18,5-20 deg. (14 deg.,8-16 deg. R.), und dies ist in der heissen Zone und fuer das Gefuehl des Reisenden, der von der Kueste herkommt, bedeutend kuehl. In Cumana sah ich die Temperatur bei Nacht niemals unter 21 deg. sinken. Der Delucsche Hygrometer zeigte in Cumanacoa 85 deg., und, was auffallend ist, sobald das Gewoelk sich zerstreute und die Sterne in ihrer ganzen Pracht leuchteten, ging das Instrument aus 55 deg. zurueck. Gegen Morgen nahm die Temperatur wegen der starken Verdunstung nur langsam zu und noch um zehn Uhr war sie nicht ueber 21 deg.. Am heissesten ist es von Mittag bis drei Uhr, wo dann der Thermometer auf 26-27 deg. steht. Zur Zeit der groessten Hitze, etwa zwei Stunden nach dem Durchgang der Sonne durch den Meridian, zog fast regelmaessig ein Gewitter auf, das auch zum Ausbruch kam. Dicke, schwarze, sehr niedrig ziehende Wolken loesten sich in Regen auf; diese Guesse dauerten zwei bis drei Stunden, und waehrend derselben fiel der Thermometer um 5-6 Grad. Gegen fuenf Uhr hoerte der Regen ganz auf, die Sonne kam aber bis zum Untergang nicht leicht zum Vorschein und der Hygrometer ging dem Trockenpunkte zu; aber um acht oder neun Uhr Abends waren wir schon wieder in eine dicke Wolkenschicht gehuellt. Dieser Witterungswechsel erfolgt, wie man uns versicherte, durchaus gesetzmaessig Monate lang einen Tag wie den andern, und doch laesst sich nicht der geringste Luftzug spueren. Nach vergleichenden Beobachtungen muss ich annehmen, dass es in Cumanacoa bei Nacht um 2-3, bei Tag um 4-5 Grad kuehler ist als in Cumana. Diese Unterschiede sind sehr bedeutend, und wenn man statt meteorologischer Instrumente nur sein Gefuehl befragte, so wuerde man sie fuer noch bedeutender halten. Die Vegetation auf der Ebene um die Stadt ist sehr einfoermig, aber infolge der grossen Feuchtigkeit der Luft ungemein frisch. Ihre Haupteigentuemlichkeiten sind ein baumartiges Solanum, das 13 m hoch wird, die _Urtica baccifera_ und eine neue Art der Gattung _Guettarda_. Der Boden ist sehr fruchtbar und er waere auch leicht zu bewaessern, wenn man von den vielen Baechen, deren Quellen das ganze Jahr nicht versiegen, Kanaele zoege. Das wichtigste Erzeugnis ist der Tabak, und nur diesem verdankt es die kleine, schlecht gebaute Stadt, wenn sie einen gewissen Ruf hat. Seit der Einfuehrung der Pacht (_Estanco real de Tabaco_) im Jahre 1779 ist der Tabaksbau in der Provinz Cumana fast ganz auf Cumanacoa beschraenkt. Die ganze Tabaksernte muss an die Regierung verkauft werden, und um dem Schmuggel zu steuern, oder vielmehr nur ihn einzuschraenken, liess man geradezu nur an einem Punkte Tabak bauen. Aufseher streifen durch das Land; sie zerstoeren jede Anpflanzung, die sie ausserhalb der zum Bau angewiesenen Distrikte finden, und geben die Ungluecklichen an, die es wagen, selbstgemachte Cigarren zu rauchen. Diese Aufseher sind meist Spanier und fast eben so grob wie die Menschen, die in Europa dieses Handwerk treiben. Diese Grobheit hat nicht wenig dazu beigetragen, den Hass zwischen den Colonien und dem Mutterland zu schueren. Nach dem Tabak auf der Insel Cuba und dem vom Rio Negro hat der Cumana am meisten Arom. Er uebertrifft allen aus Neuspanien und der Provinz Varinas. Wir theilen Einiges ueber den Bau desselben mit, weil er sich wesentlich vom Tabaksbau in Virginien unterscheidet. Schon der Umstand, dass im Thale von Cumanacoa die Gewaechse aus der Familie der Solaneen so ausnehmend stark entwickelt sind, besonders die vielen Arten von _Solanum arborescens_, von _Aquartia_ und _Cestrum_ weisen darauf hin, dass hier der Boden fuer den Tabaksbau sehr geeignet seyn muss. Die Aussaat wird im September vorgenommen; zuweilen wartet man damit bis zum Dezember, was aber fuer den Ausfall der Ernte nicht so gut ist. Die Wurzelblaetter zeigen sich am achten Tage; man bedeckt die jungen Pflanzen mit grossen Heliconien- und Bananenblaettern, um sie der unmittelbaren Einwirkung der Sonne zu entziehen, und reutet das Unkraut, das unter den Tropen furchtbar schnell aufschiesst, sorgfaeltig aus. Der Tabak wird sofort einen und einen halben Monat, nachdem der Samen aufgegangen, in einen fetten, gut gelockerten Boden versetzt. Die Pflanzen werden in geraden Reihen drei, vier Fuss voneinander gesteckt; man jaetet sie fleissig und koepft den Hauptstengel mehrmals, bis blaeulich gruene Flecken auf den Blaettern als Wahrzeichen der *Reife* sich zeigen. Im vierten Monat faengt man an sie abzunehmen, und diese erste Ernte ist in wenigen Tagen vorueber. Besser waere es, die Blaetter nacheinander abzunehmen, so wie sie trocken werden. In guten Jahren schneiden die Pflanzer den Stock, wenn der vier Fuss hoch ist, ab, und der Wurzelschoss treibt so rasch neue Blaetter, dass sie schon am 13. oder 14. Tage geerntet werden koennen. Diese haben sehr lockeres Zellgewebe; sie enthalten mehr Wasser, mehr Eiweiss und weniger von dem scharfen, fluechtigen, im Wasser schwer loeslichen Stoff, an den die eigenthuemlich reizende Wirkung des Tabaks gebunden scheint. Der Tabak wird in Cumanacoa nach dem Verfahren behandelt, das bei den Spaniern _de cura seca_ heisst. Man haengt die Blaetter an Cocuizafasern [_Agave americana_] auf, loest die Rippen ab und dreht sie zu Straengen. Der zubereitete Tabak sollte im Juni in die koeniglichen Magazine geschafft werden, aber aus Faulheit und weil sie dem Bau des Mais und des Maniok mehr Aufmerksamkeit schenken, machen die Leute den Tabak selten vor August fertig. Begreiflich verlieren die Blaetter an Arom, wenn sie zu lange der feuchten Luft ausgesetzt bleiben. Der Verwalter laesst den Tabak sechzig Tage unberuehrt in den koeniglichen Magazinen liegen; dann schneidet man die Buendel auf, um die Qualitaet zu pruefen. Findet der Verwalter den Tabak gut zubereitet, so bezahlt er dem Pflanzer fuer die Aroba von fuenfundzwanzig Pfund drei Piaster. Dasselbe Gewicht wird auf Rechnung der Krone fuer zwoelf einen halben Piaster wieder verkauft. Der faule (_potrido_) Tabak, d. h. der noch einmal gegaehrt hat, wird oeffentlich verbrannt, und der Pflanzer, der von der koeniglichen Pacht Vorschuesse erhalten hat, kommt unwiderruflich um die Fruechte seiner langen Arbeit. Wir sahen auf dem grossen Platz Haufen von fuenfhundert Arobas vernichten, aus denen man in Europa sicher Schnupftabak gemacht haette. Der Boden von Cumanacoa eignet sich fuer diesen Culturzweig so ausgezeichnet, dass der Tabak ueberall, wo der Same Feuchtigkeit findet, wildwaechst. So kommt er beim Cerro del Cuchivano und bei der Hoehle von Caripe vor. In Cumanacoa, wie in den benachbarten Distrikten von Aricagua und San Lorenzo, wird uebrigens nur die Tabaksart mit grossen sitzenden Blaettern, der sogenannte virginische Tabak [_Nicotiana tabacum_] gebaut. Ganz unbekannt ist der Tabak mit gestielten Blaettern [_Nicotiana rustica_], der eigentliche *Yetl* der alten Mexicaner, den man in Deutschland sonderbarerweise tuerkischen Tabak nennt. Waere der Tabaksbau frei, so koennte die Provinz Cumana einen grossen Theil von Europa damit versehen; ja, andere Distrikte scheinen sich fuer die Erzeugung dieser Colonialwaare ganz so gut zu eignen wie das Thal von Cumanacoa, wo der uebermaessige Regen nicht selten dem Arom der Blaetter Eintrag thut. Gegenwaertig, wo der Tabaksbau auf ein paar Quadratmeilen beschraenkt ist, betraegt der ganze Ertrag der Ernte nur 6000 Arobas. Die beiden Provinzen Cumana und Barcelona verbrauchen aber 12,000, und der Ausfall wird aus dem spanischen Guyana gedeckt. In der Gegend von Cumanacoa geben sich im Durchschnitt nur 1500 Personen mit dem Tabaksbau ab, lauter Weisse; die Eingeborenen vom Stamme der Chaymas lassen sich durch Aussicht auf Gewinn selten dazu verlocken, auch haelt es die Pacht nicht fuer gerathen, denselben Vorschuesse zu machen. Beschaeftigt man sich mit der Geschichte unserer Culturpflanzen, so sieht man mit Ueberraschung, dass vor der Eroberung der Gebrauch des Tabaks ueber den groessten Theil von Amerika verbreitet war, waehrend man die Kartoffel weder in Mexico, noch auf den Antillen kannte, wo sie doch in gebirgigen Lagen sehr gut fortkommt. Ferner wurde in Portugal schon im Jahr 1559 Tabak gebaut, waehrend die Kartoffel erst am Ende des siebzehnten und zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts in den europaeischen Ackerbau ueberging. Letzteres Gewaechs, das fuer das Wohl der menschlichen Gesellschaft so bedeutsam geworden ist, hat sich auf beiden Continenten weit langsamer verbreitet, als ein Produkt, das nur fuer einen Luxusartikel gelten kann. Das wichtigste Produkt nach dem Tabak ist im Thale von Cumanacoa der Indigo. Die Pflanzungen in Cumanacoa, San Fernando und Arenas liefern eine Waare, die im Handel noch geschaetzter ist als der Indigo von Caracas; er kommt an Glanz und Fuelle der Farbe oft dem Indigo von Guatimala nahe. Aus letzterer Provinz ist der Samen von _Indigofera Anil_ die neben _Indigofera tinctoria_ gebaut wird, zuerst auf die Kueste von Cumana gekommen. Da im Thale von Cumanacoa sehr viel Regen faellt, so gibt eine vier Fuss hohe Pflanze nicht mehr Farbstoff als eine dreimal kleinere in den trockenen Thaelern von Aragua, westlich von der Stadt Caracas. Alle Indigofabriken, die wir gesehen, sind nach demselben Plane eingerichtet. Zwei Weichkuepen, in denen das Kraut "faulen" soll, stehen neben einander. Jede misst fuenfzehn Quadratfuss und ist zwei einen halben Fuss tief. Aus diesen obern Kufen laeuft die Fluessigkeit in die Stampfkasten, zwischen denen die Wassermuehle angebracht ist. Der Baum des grossen Rades laeuft zwischen diesen Kasten durch, und an ihm sitzen an langen Stielen die Loeffel zum Stampfen. Aus einer weiten Abseihekuepe kommt der farbhaltige Bodensatz in die Trockenkasten und wird daselbst auf Brettern aus Brasilholz ausgebreitet, die mittelst kleiner Rollen unter Dach gebracht werden koennen, wenn unerwartet Regen eintritt. Diese geneigten, sehr niedrigen Daecher geben den Trockenkasten von weitem das Ansehen von Treibhaeusern. Im Thale von Cumanacoa verlaeuft die Gaehrung des Krauts, das man "faulen" laesst, ungemein rasch. Sie waehrt meist nicht laenger als vier bis fuenf Stunden. Diess kann nur von der Feuchtigkeit des Klimas herruehren und daher, dass waehrend der Entwicklung der Pflanze die Sonne nicht scheint. Ich glaube auf meinen Reisen die Bemerkung gemacht zu haben, dass je trockener das Klima ist, die Kufe um so langsamer arbeitet und die Stengel zugleich desto mehr Indigo aus der niedersten Oxydationsstufe enthalten. In der Provinz Caracas, wo 562 Cubikfuss locker aufgeschichteten Krautes 35 bis 40 Pfund trockenen Indigo geben, kommt die Fluessigkeit erst nach zwanzig, dreissig oder fuenfunddreissig Stunden in die Stampfe. Wahrscheinlich erhielten die Einwohner von Cumanacoa mehr Farbestoff aus dem Kraut, wenn sie dasselbe laenger in der ersten Kufe weichen liessen. Ich habe waehrend meines Aufenthalts in Cumana den etwas schweren kupferfarbigen Indigo von Cumanacoa und den von Caracas zur Vergleichung in Schwefelsaeure aufgeloest, und die Aufloesung des ersteren schien mir weit satter blau. Trotz der ausgezeichneten Beschaffenheit der Produkte und der Fruchtbarkeit des Bodens ist der Landbau in Cumanacoa noch voellig in der Kindheit. Arenas, San Fernando und Cumanacoa bringen in den Handel nur 3000 Pfund Indigo, der im Lande 4500 Piaster werth ist. Es fehlt an Menschenhaenden und die schwache Bevoelkerung nimmt durch die Auswanderung in die Llanos taeglich ab. Diese unermesslichen Savanen naehren den Menschen reichlich, weil sich das Vieh dort so leicht vermehrt, waehrend der Indigo- und Tabaksbau viel Sorge und Muehe macht. Der Ertrag des letzteren ist desto unsicherer, da die Regenzeit bald laenger, bald kuerzer dauert. Die Pflanzer sind von der koeniglichen Pacht, die ihnen Vorschuesse macht, voellig abhaengig, und hier, wie in Georgien und Virginien, baut man lieber Nahrungsgewaechse als Tabak. Man hatte neuerdings der Regierung den Vorschlag gemacht, auf koenigliche Kosten fuenfhundert Neger anzuschaffen und sie den Pflanzern abzugeben, die im Stande waeren, in zwei oder drei Jahren den Ankaufspreis abzutragen. Dadurch hoffte man die jaehrliche Tabaksernte auf 15,000 Arobas zu bringen. Zu meiner Freude habe ich viele Grundeigenthuemer sich gegen dieses Projekt aussprechen hoeren. Es stand nicht zu hoffen, dass man, nach dem Vorgang mancher Provinzen der Vereinigten Staaten, nach einer gewissen Reihe von Jahren den Schwarzen oder ihren Nachkommen die Freiheit schenken wuerde; desto bedenklicher schien es, zumal nach den entsetzlichen Vorgaengen auf St. Domingo, die Sklavenbevoelkerung in Terra Firma zu vermehren. Weise Politik hat nicht selten dieselben Folgen, wie die edelsten und seltensten Regungen der Gerechtigkeit und Menschenliebe. Die mit Hoefen und Indigo- und Tabakspflanzungen bedeckte Ebene von Cumanacoa ist von Bergen umgeben, die besonders gegen Sued hoeher ansteigen und fuer den Physiker und den Geologen gleich interessant sind. Alles weist darauf hin, dass das Thal ein alter Seeboden ist; auch fallen die Berge, welche einst das Ufer desselben bildeten, dem See zu senkrecht ab. Der See hatte nur Arenas zu einen Abfluss. Beim Graben von Hausfundamenten stiess man bei Cumanacoa auf Schichten von Geschieben, mit kleinen zweischaligen Muscheln darunter. Nach der Angabe mehrerer glaubwuerdiger Personen sind sogar vor mehr als dreissig Jahren hinten in der Schlucht San Juanillo zwei ungeheure Schenkelknochen gefunden worden, die vier Fuss lang waren und ueber dreissig Pfund wogen. Die Indianer hielten sie, wie noch heute das Volk in Europa, fuer Riesenknochen, waehrend die Halbgelehrten im Lande, die das Privilegium haben, Alles zu erklaeren, alles Ernstes versicherten, es seyen Naturspiele und keiner grossen Beachtung werth. Diese Leute beriefen sich bei ihrer Behauptung auf den Umstand, dass menschliche Gebeine im Boden von Cumanacoa sehr rasch vermodern. Zum Schmuck der Kirchen am Allerseelentag laesst man Schaedel aus den Kirchhoefen an der Kueste kommen, wo der Boden mit Salzen geschwaengert ist. Die vermeintlichen Riesenknochen wurden nach Cumana gebracht. Ich habe mich dort vergeblich darnach umgesehen; aber nach den fossilen Knochen, die ich aus andern Strichen Suedamerikas heimgebracht und die von Cuvier genau untersucht worden, gehoerten die riesigen Schenkelknochen von Cumanacoa wahrscheinlich einer ausgestorbenen Elephantenart an. Es kann befremden, dass dieselben in so geringer Hoehe ueber dem gegenwaertigen Wasserspiegel gefunden worden; denn es ist sehr merkwuerdig, dass die fossilen Reste von Mastodonten und Elephanten, die ich aus den tropischen Laendern von Mexico, Neugrenada, Quito und Peru mitgebracht, nicht in tief gelegenen Strichen (wo in gemaessigten Zonen Megatherien am Rio Luxan(50) und in Virginien, grosse Mastodonten am Ohio und fossile Elephanten am Susquehanna vorkommen), sondern auf den in sechshundert bis vierzehnhundert Fuss Hoehe gelegenen Hochebenen erhoben wurden. Als wir dem suedlichen Rand des Beckens von Cumanacoa zugingen, sahen wir den Turimiquiri vor uns liegen. Eine ungeheure Felswand, das Ueberbleibsel eines alten Kuestenstrichs, steigt mitten im Walde empor. Weiter nach West, beim Cerro del Cuchivano, erscheint die Bergkette wie durch ein Erdbeben aus einander gerissen. Die Spalte ist ueber hundert fuenfzig Toisen breit und von senkrechten Felsen umgeben. Tief beschattet von den Baeumen, deren verschlungene Zweige nicht Raum haben sich auszubreiten, nahm sich die Spalte aus wie eine durch einen Erdfall entstandene Grube. Ein Bach, der Rio Juagua, laeuft durch die Spalte, die ungemein malerisch ist und Risco del Cuchivano heisst. Der kleine Fluss entspringt sieben Meilen weit gegen Suedwest am Fusse des Brigantin und bildet schoene Faelle, ehe er in die Ebene von Cumanacoa auslaeuft. Wir besuchten oefters einen kleinen Hof, Conuco de Bermudez, dem Erdspalt von Cuchivano gegenueber. Man baut hier auf feuchtem Boden Bananen, Tabak und mehrere Arten von Baumwollenbaeumen, besonders die, deren Wolle nanking-gelb ist und die auf der Insel Margarita so haeufig vorkommt. Der Eigenthuemer sagte uns, der Erdspalt sey von Jaguars bewohnt. Diese Thiere bringen den Tag in Hoehlen zu und schleichen bei Nacht um die Wohnungen. Da sie reichliche Nahrung haben, werden sie bis sechs Fuss lang. Ein solcher Tiger hatte im verflossenen Jahr ein zum Hof gehoeriges Pferd verzehrt. Er schleppte seine Beute bei hellem Mondschein ueber die Savane unter einen ungeheur dicken Ceibabaum. Vom Winseln des verendenden Pferdes erwachten die Sklaven im Hofe. Sie rueckten mitten in der Nacht aus, bewaffnet mit Spiessen und *Machetes*(51). Der Tiger lag auf seiner Beute und liess sie ruhig herankommen; er erlag erst nach langem hartnaeckigem Widerstand. Dieser Fall und viele andere, von denen wir an Ort und Stelle Kunde erhielten, zeigt, dass der grosse Jaguar [_Felis Onca, Linne_, die Buffon _panthere oillee_ nennt und in Afrika zu Hause glaubt. Wir werden spaeter Gelegenheit haben, auf diesen fuer die Zoologie und Thiergeographie wichtigen Punkt zurueckzukommen.] von Terra Firma, wie der Jaguarete in Paraguay und der eigentliche asiatische Tiger, vor dem Menschen nicht fliehen, wenn ihm dieser zu Leibe geht und die Zahl der Angreifenden ihn nicht scheu macht. Die Zoologen wissen jetzt, dass Buffon die groesste amerikanische Katzenart ganz falsch beurtheilt hat. Was der beruehmte Schriftsteller von der Feigheit der Tiger der neuen Welt sagt, gilt nur von den kleinen Ocelots, oder Pantherkatzen, und wir werden bald sehen, dass am Orinoco der aechte amerikanische Jaguar sich zuweilen ins Wasser stuerzt, um die Indianer in ihren Piroguen anzugreifen. Dem Hofe Bermudez gegenueber liegen die Oeffnungen zweier geraeumigen Hoehlen im Erdspalt des Cuchivano; von Zeit zu Zeit schlagen Flammen daraus empor, die man bei Nacht sehr weit sieht. Die benachbarten Berge sind dann davon beleuchtet, und nach der Hoehe der Felsen, ueber welche diese brennenden Duenste hinanfreichen, waere man versucht zu glauben, dass sie mehrere hundert Fuss hoch werden. Beim letzten grossen Erdbeben in Cumana war diese Erscheinung von einem unterirdischen dumpfen, anhaltenden Getoese begleitet. Sie kommt vorzueglich in der Regenzeit vor, und die Besitzer der dem Berge Cuchivano gegenueber liegenden Pflanzungen versichern, die Flammen zeigen sich seit dem December 1797 haeufiger. Auf einer botanischen Excursion nach Rinconada versuchten wir vergeblich in die Spalte einzudringen. Wir haetten die Felsen, die in ihrem Schosse die Ursachen dieses merkwuerdigen Feuers zu bergen schienen, gerne naeher untersucht; aber die ueppige Vegetation, die in einander geschlungenen Lianen und Dornstraeucher liessen uns nicht vorwaerts kommen. Zum Glueck nahmen die Bewohner des Thals lebhaften Antheil an unsern Forschungen, nicht sowohl weil sie sich vor einem vulkanischen Ausbruch fuerchteten, als weil sie sich in den Kopf gesetzt hatten, der Risco del Cuchivano enthalte eine Goldgrube. Es half nichts, dass wir ihnen auseinandersetzten, warum wir an Gold im Muschelkalk nicht glauben koennten; sie wollten einmal wissen, "was der deutsche Bergmann vom Reichthum des Erzgangs halte." Seit Karls des Fuenften Zeit und seit die Welser, die Alsinger und Sailer in Coro und Caracas als Statthalter gesessen, hat sich in Terra Firma im Volk der Glaube an das besondere bergmaennische Geschick der Deutschen erhalten. Wohin ich in Suedamerika kam, ueberall, sobald man erfuhr, wo ich hersey, zeigte man mir Muster von Erzen. In den Colonien ist jeder Franzose ein Arzt, jeder Deutsche ein Bergmann. Die Pflanzer bahnten mit ihren Sklaven einen Weg durch den Wald bis zum ersten Fall des Rio Juagua, und am 10. September machten wir unsern Ausflug nach dem Risco del Cuchivano. Kaum hatten wir die Schlucht betreten, so merkten wir, dass Tiger in der Naehe waren, sowohl an einem frisch zerrissenen Stachelschwein, als am Gestank ihres Kothes, der dem der europaeischen Katze gleicht. Zur Vorsicht gingen die Indianer nach dem Hof zurueck und brachten Hunde von sehr kleiner Race mit. Man behauptet, wenn man dem Jaguar auf schmalem Pfad begegne, springe er zuerst auf den Hund los, nicht auf den Menschen. Wir stiegen nicht am Ufer des Baches, sondern an der Felswand ueber dem Wasser hinauf. Man geht an einem zwei-, dreihundert Fuss tiefen Abgrund hin auf einem ganz schmalen Vorsprung, wie auf dem Wege von Grindelwald am Mettenberg hin zum grossen Gletscher. Wird der Vorsprung so schmal, dass man nicht mehr weiss, wohin man den Fuss setzen soll, so steigt man zum Bach hinunter, watet durch oder laesst sich von einem Sklaven hinueber tragen, und klimmt an der andern Bergwand weiter. Das Niederklettern ist ziemlich muehselig, und man darf sich nicht auf die Lianen verlassen, die wie grosse Stricke von den Baumgipfeln niederhaengen. Die Ranken- und Schmarotzergewaechse haengen nur locker an den Aesten, die sie umschlingen; ihre Stengel haben zusammen ein ganz ansehnliches Gewicht, und wenn man auf abschuessigem Boden sich mit dem Koerper an Lianen haengt, laeuft man Gefahr eine ganze gruene Laube niederzureissen. Je weiter wir kamen, desto dichter wurde die Vegetation. An mehreren Stellen hatten die Baumwurzeln, die in die Spalten zwischen den Schichten hineingewachsen waren, das Kalkgestein zersprengt. Wir konnten kaum die Pflanzen fortbringen, die wir bei jedem Schritte aufnahmen. Die Cannas, die Heliconien mit schoenen purpurnen Bluethen, die Costus und andere Gewaechse aus der Familie der Amomeen werden hier acht bis zehn Fuss hoch. Ihr helles frisches Gruen, ihr Seidenglanz und ihr strotzendes Fleisch stechen grell ab vom braeunlichen Ton der Baumfarn mit dem zartgefiederten Laub. Die Indianer hieben mit ihren grossen Messern Kerben in die Baumstaemme und machten uns auf die Schoenheit der rothen und goldgelben Hoelzer aufmerksam, die einst bei unsern Moebelschreinern und Drehern sehr gesucht seyn werden. Sie zeigten uns ein Gewaechs mit zusammengesetzter Bluethe, das zwanzig Fuss hoch ist (_Eupatorium laevigatum, Lamarck_), die sogenannte *Rose von Belveria* (_Brownea racemosa_), beruehmt wegen ihrer herrlichen purpurrothen Bluethen, und das einheimische *Drachenblut*, eine noch nicht beschriebene Art Croton, deren rother adstringirender Saft zur Staerkung des Zahnfleisches gebraucht wird. Sie unterschieden die Arten durch den Geruch, besonders aber durch Kauen der Holzfasern. Zwei Eingeborene, denen man dasselbe Holz zu kauen gibt, sprechen, meist ohne sich zu besinnen, denselben Namen aus. Wir konnten uebrigens von den scharfen Sinnen unserer Fuehrer nicht viel Nutzen ziehen; denn wie soll man zu Blaettern, Bluethen oder Fruechten gelangen, die auf Staemmen wachsen, deren ersten Aeste fuenfzig, sechzig Fuss ueber dem Boden sind? Mit Ueberraschung sieht man in dieser Schlucht die Baumrinde, sogar den Boden mit Moosen und Flechten ueberzogen. Diese Cryptogamen sind hier so haeufig wie im Norden. Die feuchte Luft und der Mangel an direktem Sonnenlicht beguenstigen ihre Entwicklung, und doch betraegt die Temperatur bei Tag 25, bei Nacht 19 Grad. Die angebliche Goldgrube von Cuchivano, die wir untersuchen sollten, ist nichts als ein Loch, das man in eine der schwarzen, an Schwefelkies reichen Mergelschichten im Kalk zu graben angefangen. Das Loch liegt auf der rechten Seite des Rio Inagua an einem Punkt, wohin man vorsichtig klettern muss, weil der Bach hier ueber acht Fuss tief ist. Der Schwefelkies ist hell goldgelb und man sieht ihm nicht an, dass er Kupfer enthaelt. Die Mergelschicht, in der er vorkommt, streicht ueber den Bach hinueber. Das Wasser spuelt die metallisch glaenzenden Koerner aus, und desshalb glaubt das Volk, der Bach fuehre Gold. Man erzaehlt, nach dem grossen Erdbeben im Jahr 1766 habe das Wasser des Inagua so viel Gold gefuehrt, dass Maenner, "die weit her gekommen, und von denen man nicht gewusst, wo sie zu Hause seyen," Goldwaeschen angelegt haetten; sie seyen aber bei Nacht und Nebel verschwunden, nachdem sie eine Menge Gold gesammelt. Es braucht keines Beweises, dass diess ein Maehrchen ist; die Kiese in den Quarzgaengen des Glimmerschiefers sind allerdings sehr oft goldhaltig; aber nichts berechtigt bis jetzt zur Annahme, dass der Schwefelkies im Mergelschiefer des Alpenkalks gleichfalls Gold enthalte. Einige direkte Versuche auf nassem Weg, die ich waehrend meines Aufenthalts in Caracas angestellt, thun dar, dass der Schwefelkies von Cuchivano durchaus nicht goldhaltig ist. Unsern Fuehrern behagte mein Unglaube sehr schlecht; ich hatte gut sagen, aus dieser angeblichen Goldgrube koennte man hoechstens Alaun und Eisenvitriol gewinnen; sie lasen nichtsdestoweniger heimlich jedes Stueckchen Schwefelkies auf, das sie im Wasser glaenzen sahen. Je aermer ein Land an Erzgruben ist, desto leichter wird es in der Einbildung der Einwohner, die Schaetze aus dem Schosse der Erde zu holen. Wie viele Zeit haben wir auf unserer fuenfjaehrigen Reise verloren, um auf das dringende Verlangen unserer Wirthe Schluchten zu untersuchen, in denen schwefelkieshaltige Schichten seit Jahrhunderten den stolzen Namen _Minas de Oro_ fuehren! Wie oft sahen wir laechelnd zu, wenn Leute aller Staende, Beamte, Dorfgeistliche, ernste Missionaere mit unermuedlicher Geduld Hornblende oder gelben Glimmer zerstiessen, um mittelst Quecksilbers das Gold auszuziehen! Die leidenschaftliche Gier, mit der man nach Erzen sucht, erscheint doppelt auffallend in einem Lande, wo man den Boden kaum umzuwenden braucht, um ihm reiche Ernten zu entlocken. Nachdem wir den Schwefelkies am Rio Juagua untersucht, gingen wir weiter in der Schlucht hinauf, die sich wie ein enger, von sehr hohen Baeumen beschatteter Kanal fortzieht. Nach sehr beschwerlichem Marsch und ganz durchnaesst, weil wir so oft ueber den Bach gegangen waren, langten wir am Fuss der Hoehlen des Cuchivano an, aus denen man vor einigen Jahren die Flammen hatte brechen sehen. Achthundert Toisen hoch steigt senkrecht eine Felswand auf. In einem Landstrich, wo der ueppige Pflanzenwuchs ueberall den Boden und das Gestein bedeckt, kommt es selten vor, dass ein grosser Berg in senkrechtem Durchschnitt seine Schichten zeigt. Mitten in diesem Durchschnitt, leider dem Menschen unzugaenglich, liegen die Spalten, die zu zwei Hoehlen fuehren. Sie sollen von denselben Nachtvoegeln bewohnt seyn, die wir bald in der Cueva del Guacharo bei Caripe werden kennen lernen. Wir ruhten am Fuss der Hoehlen aus. Hier sah man die Flammen hervorkommen, welche in den letzten Jahren haeufiger geworden sind. Unsere Fuehrer und der Paechter, ein verstaendiger, mit den Oertlichkeiten der Provinz wohl bekannter Mann, verhandelten nach der Weise der Creolen ueber die Gefahr, der die Stadt Cumanacoa ausgesetzt waere, wenn der Cuchivano ein thaetiger Vulkan wuerde, _se veniesse a reventar_. Es schien ihnen unzweifelhast, dass seit dem grossen Erdbeben von Quito und Cumana im Jahr 1797 Neu-Andalusien vom unterirdischen Feuer immer mehr unterhoehlt werde. Sie brachten die Flammen zur Sprache, die man in Cumana hatte aus dem Boden schlagen sehen, und die Stoesse, die man jetzt an Orten empfindet, wo man frueher nichts von Erdbeben wusste. Sie erinnerten daran, dass man in Macarapan seit einigen Monaten oefters Schwefelgeruch spuere. Auf diese und aehnliche Erscheinungen, die uns damals in ihrem Munde auffielen, gruendeten sie Prophezeiungen, die fast saemmtlich in Erfuellung gegangen sind. Entsetzliche Zerstoerungen haben im Jahr 1812 in Caracas stattgefunden, zum Beweis, welch gewaltige Unruhe im Nordosten von Terra Firma in der Natur herrscht. Was ist wohl aber die Ursache der feurigen Erscheinungen, die man am Cuchivano beobachtet? Ich weiss wohl, dass man zuweilen die Luftsaeule, die ueber der Muendung brennender Vulkane aufsteigt, in hellem Lichte glaenzen sieht. Dieser Lichtschein, den man von brennendem Wasserstoffgas herleitet, wurde von Chillo aus auf dem Gipfel des Cotopaxi zu einer Zeit beobachtet, wo der Berg ziemlich ruhig schien. Ich weiss, dass die Alten erzaehlen, auf dem _Mons Albanus_ bei Rom, dem heutigen _Monte cavo_ sey zuweilen bei Nacht Feuer gesehen worden; aber der _Mons albanus_ ist ein erst in neuerer Zeit erloschener Vulkan, der noch zu Catos Zeit Rapilli auswarf [_Albano monte biduum continenter lapidibus pluit. Livius XXV. 7._], waehrend der Cuchivano ein Kalkberg ist in einer Gegend, wo weit und breit keine Trappbildungen vorkommen. Kann man jene Flammen etwa daraus erklaeren, dass das Wasser, wenn es mit den Kiesen im Mergelschiefer in Beruehrung kommt, zersetzt wird? Ist das Feuer, das aus den Hoehlen des Cuchivano kommt, brennendes Wasserstoffgas? Das Wasser, das durch den Kalkstein sickert und durch die Schwefelschichten zersetzt wird, und die Erdbeben von Cumana, die Lager gediegenen Schwefels bei Carupano und die schwefligt sauren Daempfe, die man zuweilen in den Savanen spuert: zwischen all dem liesse sich leicht ein Zusammenhang denken; es ist auch nicht zu bezweifeln, dass, wenn sich bei der starken Affinitaet zwischen dem Eisenoxyd und den Erden bei hoher Temperatur Wasser ueber Schwefelkiesen zersetzt, die Entbindung von Wasserstoffgas erfolgen kann, welche mehrere neuere Geologen eine so wichtige Rolle spielen lassen. Aber bei vulkanischen Ausbruechen tritt weit constanter schwefligte Saeure auf als Wasserstoff, und der Geruch, den man zuweilen bei starken Erdstoessen verspuert, ist vorzugsweise der Geruch von schwefligter Saeure. Ueberblickt man die vulkanischen Erscheinungen und die Erdbeben im Ganzen, bedenkt man, in welch ungeheuren Entfernungen sich die Stoesse unter dem Meeresboden fortpflanzen, so laesst man bald Erklaerungen fallen, die von unbedeutenden Schichten von Schwefelkies und bituminoesem Mergel ausgehen. Nach meiner Ansicht koennen die Stoesse, die man in der Provinz Cunana so haeufig spuert, so wenig den zu Tag ausgehenden Gebirgsarten zugeschrieben werden, als die Stoesse, welche die Apenninen erschuettern, Asphaltadern oder brennenden Erdoelquellen. Alle diese Erscheinungen haengen von allgemeineren, fast haette ich gesagt, tiefer liegenden Ursachen her, und der Herd der vulkanischen Wirkungen ist nicht in den secundaeren Gebirgsbildungen, aus denen die aeussere Erdrinde besteht, sondern in sehr bedeutender Tiefe unter der Oberflaeche in den Urgebirgsarten zu suchen. Je weiter die Geologie fortschreitet, desto mehr sieht man ein, wie wenig man mit den Theorien ausrichtet, die sich auf wenige, rein oertliche Beobachtungen gruenden. Nach Meridianhoehen des suedlichen Fisches, die ich in der Nacht vom 7. September beobachtet, liegt Cumanacoa unter 10 deg. 16' 11" der Breite; die Angabe der geschaetztesten Karten ist also um 1/4 Grad unrichtig. Die Neigung der Magnetnadel fand ich gleich 42 deg.,60 und die Intensitaet der magnetischen Kraft gleich 228 Schwingungen in zehn Zeitminuten; die Intensitaet war demnach um neun Schwingungen oder 1/25 geringer als in Ferrol. Am zwoelften setzten wir unsere Reise nach dem Kloster Caripe, dem Hauptort der Chaymas-Missionen, fort. Wir zogen der geraden Strasse den Umweg ueber die Berge Cocollar und Turimiquiri vor, die nicht viel hoeher sind als der Jura. Der Weg laeuft zuerst ostwaerts drei Meilen ueber die Hochebene von Cumanacoa, den alten Seeboden, und biegt dann nach Sued ab. Wir kamen durch das kleine indianische Dorf Aricagua, das von bewaldeten Huegeln umgeben sehr freundlich daliegt. Von hier an ging es bergauf und wir hatten ueber vier Stunden zu steigen. Dieses Stueck des Weges ist sehr angreifend; man setzt zweiundzwanzigmal ueber den Pututucuar, ein reissendes Bergwasser voll Kalksteinbloecken. Hat man auf der _Cuesta del Cocollar_ zweitausend Fuss Meereshoehe erreicht, so sieht man zu seiner Ueberraschung fast keine Waelder, oder auch nur grosse Baeume mehr. Man geht ueber eine ungeheure, mit Graesern bewachsene Hochebene. Nur Mimosen mit halbkugeliger Krone und drei bis vier Fuss hohem Stamm unterbrechen die oede Einfoermigkeit der Savanen. Ihre Aeste sind gegen den Boden geneigt oder breiten sich schirmartig aus. Ueberall, wo Abhaenge oder halb mit Erde bedeckte Gesteinmassen sich zeigen, breitet die Clusia oder der Cupey mit den grossen Nymphaeenbluethen sein herrliches Gruen aus. Die Wurzeln dieses Baums haben zuweilen acht Zoll Durchmesser und gehen oft schon fuenfzehn Fuss ueber dem Boden vom Stamme ab. Nachdem wir noch lange bergan gestiegen waren, kamen wir auf einer kleinen Ebene zum _Hato del Cocollar_. Es ist diess ein Hof, der 408 Toisen hoch ganz allein auf dem Plateau liegt. In dieser Einsamkeit blieben wir drei Tage, vortrefflich verpflegt von dem Eigenthuemer [Don Mathias Yturburi, ein geborener Biscayer], der vom Hafen von Cumana an unser Begleiter gewesen war. Wir fanden daselbst bei der reichen Weide Milch, vortreffliches Fleisch und vor allem ein herrliches Klima. Bei Tag stieg der hunderttheilige Thermometer nicht ueber 22 oder 23 Grad, kurz vor Sonnenuntergang fiel er auf 19 und bei Nacht zeigte er kaum 14. Bei Nacht war es daher um sieben Grad kuehler als an der Kueste, was, da die Hochebene des Cocollar nicht so hoch liegt, als die Stadt Caracas, wiederum auf eine ausnehmend rasche Waermeabnahme hinweist. So weit das Auge reicht, sieht man auf dem hohen Punkt nichts als kahle Savanen; nur hin und wieder tauchen aus den Schluchten kleine Baumgruppen auf, und trotz der scheinbaren Einfoermigkeit der Vegetation findet man ausnehmend viele sehr interessante Pflanzen. Wir fuehren hier nur an eine prachtvolle Lobelia mit purpurnen Bluethen, die _Brownea coccinea_ die ueber hundert Fuss hoch wird, und vor allen den *Pejoa*, der im Lande beruehmt ist, weil seine Blaetter, wenn man sie zwischen den Fingern zerreibt, einen koestlichen aromatischen Geruch von sich geben. Was uns aber am meisten am einsamen Ort entzueckte, das war die Schoenheit und Stille der Naechte. Der Eigenthuemer des Hofes blieb mit uns wach. Er schien sich daran zu weiden, wie Europaeer, die eben erst unter die Tropen gekommen, sich nicht genug wundern konnten ueber die frische Fruehlingsluft, deren man nach Sonnenuntergang hier aus den Bergen geniesst. In jenen fernen Laendern, wo der Mensch die Gaben der Natur noch voll zu schaetzen weiss, preist der Grundeigenthuemer das Wasser seiner Quelle, den gesunden Wind, der um den Huegel weht, und dass es keine schaedlichen Insekten gibt, wie wir in Europa uns der Vorzuege unseres Wohnhauses oder des malerischen Effekts unserer Pflanzungen ruehmen. Unser Wirth war mit einer Mannschaft, die an der Kueste des Meerbusens von Paria Holzschlaege fuer die spanische Marine einrichten sollte, in die neue Welt gekommen. In den grossen Mahagoni-, Cedrela- und Brasilholzwaeldern, die um das Meer der Antillen her liegen, dachte man die groessten Staemme auszusuchen, sie im Groben so zuzuhauen, wie man sie zum Schiffsbau braucht, und sie jaehrlich auf die Werfte von Caraques bei Cadix zu schicken. Aber weisse, nicht acclimatisirte Maenner mussten der anstrengenden Arbeit, der Sonnengluth und der ungesunden Luft der Waelder erliegen. Dieselben Luefte, welche mit den Wohlgeruechen der Bluethen, Blaetter und Hoelzer geschwaengert sind, fuehren auch den Keim der Aufloesung in die Organe. Boesartige Fieber rafften mit den Zimmerleuten der koeniglichen Marine die Aufseher der neuen Anstalt weg, und die Bucht, der die ersten Spanier wegen des truebseligen, wilden Aussehens der Kueste den Namen _"Golfo triste"_ gegeben, wurde das Grab der europaeischen Seeleute. Unser Wirth hatte das seltene Glueck, diesen Gefahren zu entgehen; nachdem er den groessten Theil der Seinigen hatte hinsterben sehen, zog er weit weg von der Kueste auf die Berge des Cocollar. Ohne Nachbarschaft, im ungestoerten Besitz eines Savanenstrichs von fuenf Meilen, geniesst er hier der Unabhaengigkeit, wie die Vereinzelung sie gewaehrt, und der Heiterkeit des Gemueths, wie sie schlichten Menschen eigen ist, die in reiner, staerkender Luft leben. Nichts ist dem Eindruck majestaetischer Ruhe zu vergleichen, den der Anblick des gestirnten Himmels an diesem einsamen Ort in einem hinterlaesst. Blickten wir bei Einbruch der Nacht hinaus ueber die Prairien, die bis zunm Horizont fortstreichen, ueber die gruen bewachsene, sanft gewellte Hochebene, so war es uns, gerade wie in den Steppen am Orinoco, als saehen wir weit weg das gestirnte Himmelsgewoelbe auf dem Ocean ruhen. Der Baum, unter dem wir sassen, die leuchtenden Insekten, die in der Luft tanzten, die glaenzenden Sternbilder im Sueden, Alles mahnte uns daran, wie weit wir von der Heimatherde waren. Und wenn nun, inmitten dieser fremdartigen Natur, aus einer Schlucht heraus das Schellengelaeute einer Kuh oder das Bruellen des Stieres zu unsern Ohren drang, dann sprang mit einemmal der Gedanke an die Heimath ins uns auf. Es war, als hoerten wir aus weiter, weiter Ferne Stimmen, die ueber das Weltmeer herueber riefen und uns mit Zauberkraft aus einer Hemisphaere in die andere versetzten. So wunderbar beweglich ist die Einbildungskraft des Menschen, die ewige Quelle seiner Freuden und seiner Schmerzen! In der Morgenkuehle machten wir uns auf, den Turimiquiri zu besteigen. So heisst der Gipfel des Cocollar, der mit dem Brigantin nur Einen Gebirgsstock bildet, welcher bei den Eingeborenen frueher Sierra de los Tageres hiess. Man macht einen Theil des Wegs auf Pferden, die frei in den Savanen laufen, zum Theil aber an den Sattel gewoehnt sind. So plump ihr Aussehen ist, klettern sie doch ganz flink den schluepfrigsten Rasen hinaus. Wir machten zuerst bei einer Quelle Halt, die nicht aus dem Kalkstein, sondern noch aus einer Schichte quarzigen Sandsteins kommt. Ihre Temperatur war 21 deg., also um 1 deg.,5 geringer als die der Quelle von Quetepe; der Hoehenunterschied betraegt aber auch gegen 220 Toisen. Ueberall, wo der Sandstein zu Tage kommt, ist der Boden eben und bildet gleichsam kleine Plateaus, die wie Stufen ueber einander liegen. Bis zu 700 Toisen und sogar darueber ist der Berg, wie alle in der Nachbarschaft, nur mit Graesern bewachsen. In Cumana schreibt man den Umstand, dass keine Baeume mehr vorkommen, der grossen Hoehe zu; vergegenwaertigt man sich aber die Vertheilung doer Gewaechse in den Cordilleren der heissen Zone, so sieht man, dass die Berggipfel in Neu-Andalusien lange nicht zu der obern Baumgrenze hinaufreichen, die in dieser Breite mindestens 1600 Toisen hoch liegt. Ja der kurze Rasen zeigt sich auf dem Cocollar stellenweise sogar schon bei 350 Toisen ueber dem Meer und man kann auf demselben bis zu 1000 Toisen Hoehe gehen; weiter hinauf, ueber diesem mit Graesern bedeckten Guertel, befindet sich auf dem Menschen fast unzugaenglichen Gipfeln ein Waeldchen von Cedrela, Javillos(52) und Mahagonibaeumen. Nach diesen lokalen Verhaeltnissen muss man annehmen, dass die Bergsavanen des Cocollar und Turimiquiri ihre Entstehung nur der verderblichen Sitte der Eingeborenen verdanken, die Waelder anzuzuenden, die sie in Weideland verwandeln wollen. Jetzt, da Graeser und Alppflanzen seit dreihundert Jahren den Boden mit einem dicken Filz ueberzogen haben, koennen die Baumsamen sich nicht mehr im Boden befestigen und keimen, obgleich Wind und Voegel sie fortwaehrend von entlegenen Waeldern in die Savanen heruebertragen. Das Klima auf diesen Bergen ist so mild, dass beim Hofe auf dem Cocollar der Baumwollenbaum, der Kaffeebaum, sogar das Zuckerrohr gut fortkommen. Trotz aller Behauptungen der Einwohner an der Kueste ist unter dem 10. Grad der Breite auf Bergen, die kaum hoeher sind als der Mont d'Or und der Puy de Dome, niemals Reif gesehen worden. Die Weiden auf dem Turimiquiri nehmen an Guete ab, je hoeher sie liegen. Ueberall, wo zerstreute Felsmassen Schatten bieten, kommen Flechten und verschiedene europaeische Moose vor. _Melastoma xanthostachis_ und ein Strauch (_Palicourea rigida_), dessen grosse lederartige Blaetter im Wind wie Pergament rauschen, wachsen hie und da in der Savane. Aber die Hauptzierde des Rasens ist ein Liliengewaechs mit goldgelber Bluethe, die _Marica martinicensis_. Man findet sie in den Provinzen Cumana und Caracas meist erst in 400 bis 500 Toisen Hoehe. Die Gebirgsarten des Turimiquiri sind ein Alpenkalk, aehnlich dem bei Cumanacoa, und ziemlich duenne Schichten Mergel und quarziger Sandstein. Im Kalkstein sind Klumpen von braunem Eisenoxyd und Spatheisen eingesprengt. An mehreren Stellen habe ich ganz deutlich beobachtet, dass der Sandstein dem Kalk nicht nur aufgelagert ist, sondern dass beide nicht selten in Wechsellagerung vorkommen. Man unterscheidet im Lande den abgerundeten Gipfel des Turimiquiri und die spitzen Pics oder *Cucuruchos*, die dicht bewaldet sind und wo es viele Tiger gibt, auf die man wegen des grossen und schoenen Fells Jagd macht. Den runden begrasten Gipfel fanden wir 707 Toisen hoch. Von diesem Gipfel laeuft nun nach West ein steiler Felskamm aus, der eine Seemeile von jenem durch eine ungeheure Spalte unterbrochen ist, die gegen den Meerbusen von Cariaco hinunterlaeuft. An der Stelle, wo der Kamm haette weiter laufen sollen, erheben sich zwei Bergspitzen aus Kalkstein, von denen die noerdliche die hoehere ist. Diess ist der eigentliche Cucurucho de Turimiquiri, der fuer hoeher gilt als der Brigantin, der den Schiffern, die der Kueste von Cumana zusteuern, so wohl bekannt ist. Nach Hoehenwinkeln und einer ziemlich kurzen Standlinie, die wir auf dem abgerundeten kahlen Gipfel zogen, massen wir den Spitzberg oder Cucurucho und fanden ihn 350 Toisen hoeher als unsern Standort, so dass seine absolute Hoehe ueber 1050 Toisen betraegt. Man geniesst auf dem Turimiquiri einer der weitesten und malerischsten Aussichten. Vom Gipfel bis hinunter zum Meer liegen Bergketten vor einem, die parallel von Ost nach West streichen und Laengenthaeler zwischen sich haben. Da in letztere eine Menge kleiner, von den Bergwassern ausgespuelter Thaeler unter rechtem Winkel muenden, so stellen sich die Seitenketten als Reihen gleich vieler bald abgerundeter, bald kegelfoermiger Hoehen dar. Bis zum Imposible sind die Berghaenge meist ziemlich sanft; weiterhin werden die Abfaelle sehr steil und streichen hinter einander fort bis zum Ufer des Meerbusens von Cariaco. Die Umrisse dieser Gebirgsmassen erinnern an die Ketten des Jura, und die einzige Ebene, die sich darin findet, ist das Thal von Cumanacoa. Es ist als saehe man in einen Trichter hinunter, auf dessen Boden unter zerstreuten Baumgruppen das indianische Dorf Aricagua erscheint. Gegen Nord hob sich eine schmale Landzunge, die Halbinsel Araya, braun vom Meere ab, das, von den ersten Sonnenstrahlen beleuchtet, ein glaenzendes Licht zurueckwarf. Jenseits der Halbinsel begrenzte den Horizont das Vorgebirge Macanao, dessen schwarzes Gestein gleich einem ungeheuren Bollwerk aus dem Wasser aufsteigt. Der Hof auf dem Cocollar am Fusse des Turimiquiri liegt unter 10 deg. 9' 32" der Breite. Die Inclination der Magnetnadel fand ich gleich 42 deg. 10'. Die Nadel schwang 220mal in zehn Zeitminuten. Die im Kalk liegenden Brauneisensteinmassen moegen die Intensitaet der magnetischen Kraft um ein Weniges steigern. Am 14. September gingen wir vom Cocollar zur Mission San Antonio hinunter. Der Weg fuehrt Anfangs ueber Savanen, die mit grossen Kalksteinbloecken uebersaeet sind, und dann betritt man dichten Wald. Nachdem man zwei sehr steile Berggraete ueberstiegen, hat man ein schoenes Thal vor sich, das fuenf Meilen lang fast durchaus von Ost nach West streicht. In diesem Thale liegen die Missionen San Antonio und Guanaguana. Erstere ist beruehmt wegen einer kleinen Kirche aus Backsteinen, in ertraeglichem Styl, mit zwei Thuermen und dorischen Saeulen. Sie gilt in der Umgegend fuer ein Wunder. Der Gardian der Kapuziner wurde mit diesem Kirchenbau in nicht ganz zwei Sommern fertig, obgleich er nur Indianer aus seinem Dorfe dabei verwendet hatte. Die Saeulencapitaele, die Gesimse und ein mit Sonnen und Arabesken gezierter Fries wurden aus mit Ziegelmehl vermischtem Thon modellirt. Wundert man sich, an der Grenze Lapplands Kirchen im reinsten griechischen Styl [In Skelestar bei Torneo. S. Buch, Reise in Norwegen] anzutreffen, so ueberraschen einen dergleichen erste Kunstversuche noch mehr in einem Erdstrich, wo noch Alles den Stempel menschlicher Urzustaende traegt und von den Europaeern erst seit etwa vierzig Jahren der Grund zu kuenftiger Cultur gelegt wurde. Der Statthalter der Provinz missbilligte es, dass in Missionen mit solchem Luxus gebaut werde, und zum grossen Leidwesen der Moenche wurde die Kirche nicht ausgebaut. Die Indianer von San Antonio sind weit entfernt, solches gleichfalls zu beklagen; sie sind insgeheim mit dem Spruche des Statthalters vollkommen einverstanden, weil er ihrer natuerlichen Traegheit behagt. Sie machen sich eben so wenig aus architektonischen Ornamenten als einst die Eingeborenen in den Jesuitenmissionen in Paraguay. Ich hielt mich in der Mission San Antonio nur auf, um auf den Barometer zu sehen und ein paar Sonnenhoehen zu nehmen. Der grosse Platz liegt 216 Toisen ueber Cumana. Jenseits des Dorfs durchwateten wir die Fluesse Colorado und Guarapiche, die beide in den Bergen des Cocollar entspringen und weiter unten, ostwaerts, sich vereinigen. Der Colorado hat eine sehr starke Stroennmg und wird bei seiner Muendung breiter als der Rhein; der Guarapiche ist, nachdem er den Rio Areo aufgenommen, ueber fuenf und zwanzig Faden tief. An seinen Ufern waechst eine ausnehmend schoene Grasart, die ich zwei Jahre spaeter, als ich den Magdalenenstrom hinausfuhr, gezeichnet habe. Der Halm mit zweizeiligen Blaettern wird 15 bis 20 Fuss hoch. Unsere Maulthiere konnten sich durch den dicken Morast auf dem schmalen ebenen Weg kaum durcharbeiten. Es goss in Stroemen vom Himmel; der ganze Wald erschien in Folge des starken anhaltenden Regens wie Ein Sumpf. Gegen Abend langten wir in der Mission Guanaguana an, die so ziemlich in derselben Hoehe liegt, wie das Dorf San Antonio. Es that sehr noth, dass wir uns trockneten. Der Missionaer nahm uns sehr herzlich auf. Es war ein alter Mann, der, wie es schien, seine Indianer sehr verstaendig behandelte. Das Dorf steht erst seit dreissig Jahren am jetzigen Fleck, frueher lag es weiter nach Sueden und lehnte sich an einen Huegel. Man wundert sich, mit welcher Leichtigkeit man die Wohnsitze der Indianer verlegt. Es gibt in Suedamerika Doerfer, die in weniger als einem halben Jahrhundert dreimal den Ort gewechselt haben. Den Eingeborenen knuepfen so schwache Bande an den Boden, auf dem er wohnt, dass er den Befehl, sein Haus abzureissen und es anderswo wieder aufzubauen, gleichmuethig aufnimmt. Ein Dorf wechselt seinen Platz wie ein Lager. Wo es nur Thon, Rohr, Palmblaetter und Heliconienblaetter gibt, ist die Huette in wenigen Tagen wieder fertig. Diesen gewaltsamen Aenderungen liegt oft nichts zu Grunde als die Laune eines frisch aus Spanien angekommenen Missionaers, der meint, die Mission sey dem Fieber ausgesetzt oder liege nicht luftig genug. Es ist vorgekommen, dass ganze Doerfer mehrere Stunden weit verlegt wurden, bloss weil der Moench die Aussicht aus seinem Hause nicht schoen oder weit genug fand. Guanaguana hat noch keine Kirche. Der alte Geistliche, der schon seit dreissig Jahren in den Waeldern Amerikas lebte, aeusserte gegen uns, die Gemeindegelder, d. h. der Ertrag der Arbeit der Indianer, muessten zuerst zum Bau des Missionshauses, dann zum Kirchenbau und endlich fuer die Kleidung der Indianer verwendet werden. Er versicherte in wichtigem Ton, von dieser Ordnung duerfe unter keinem Vorwand abgegangen werden. Nun, die Indianer, die lieber ganz nackt gehen als die leichtesten Kleider tragen, koennen gut warten, bis die Reihe an sie kommt. Die geraeumige Wohnung des *Padre* war eben fertig geworden, und wir bemerkten zu unserer Ueberraschung, dass das Haus, das ein plattes Dach hatte, mit einer Menge Kaminen wie mit Thuermchen geziert war. Sie sollten, belehrte uns unser Wirth, ihn an sein geliebtes Heimathland, und in der tropischen Hitze an die aragonesischen Winter erinnern. Die Indianer in Guanaguana bauen Baumwolle fuer sich, fuer die Kirche und fuer den Missionaer. Der Ertrag gilt als Gemeindeeigenthum und mit den Gemeindegeldern werden die Beduerfnisse des Geistlichen und die Kosten des Gottesdienstes bestritten. Die Eingeborenen haben hoechst einfache Vorrichtungen, um den Samen von der Baumwolle zu trennen. Es sind hoelzerne Cylinder von sehr kleinem Durchmesser, zwischen denen die Baumwolle durchlaeuft und die man wie Spinnraeder mit dem Fusse umtreibt. Diese hoechst mangelhaften Maschinen leisten indessen gute Dienste und man faengt in den andern Missionen an sie nachzuahmen. Ich habe anderswo, in meinem Werke ueber Mexico, auseinander gesetzt, wie sehr die Sitte, die Baumwolle mit dem Samen zu verkaufen, den Transport in den spanischen Colonien erschwert, wo alle Waaren auf Maulthieren in die Seehaefen kommen. Der Boden ist in Guanaguana eben so fruchtbar wie im benachbarten Dorfe Aricagua, das gleichfalls seinen indianischen Namen behalten hat. Eine *Almuda* (1850 Quadrattoisen) traegt in guten Jahren 25-30 Fanegas Mais, die Fanega zu hundert Pfund. Aber hier wie ueberall, wo der Segen der Natur die Entwicklung der Industrie hemmt, macht man nur ganz wenige Morgen Landes urbar, und kein Mensch denkt daran, mit dem Anbau der Nahrungspflanzen zu wechseln. Die Indianer in Guanaguana erzaehlten mir als etwas Ungewoehnliches, im verflossenen Jahr seyen sie, ihre Weiber und Kinder drei Monate lang _al monte_ gewesen, das heisst, sie seyen in den benachbarten Waeldern umhergezogen, um sich von saftigen Pflanzen, von Palmkohl, von Farnwurzeln und wilden Baumfruechten zu naehren. Sie sprachen von diesem Nomadenleben keineswegs wie von einem Nothstand. Nur der Missionaer hatte dabei zu leiden gehabt, weil das Dorf ganz verlassen stand und die Gemeindegenossen, als sie aus den Waeldern wieder heim kamen, weniger lenksam waren als zuvor. Das schoene Thal von Guanaguana laeuft gegen Ost in die Ebenen von Punzere und Terecen aus. Gerne haetten wir diese Ebenen besucht, um die Quellen von Bergoel zwischen den Fluessen Guarapiche und Areo zu untersuchen; aber die Regenzeit war foermlich eingetreten, und wir hatten taeglich vollauf zu thun, um die gesammelten Pflanzen zu trocknen und aufzubewahren. Der Weg von Guanaguana nach dem Dorfe Punzere fuehrt entweder ueber San Felix, oder ueber Caycara und Guahuta, wo sich ein *Hato* (Hof fuer Viehzucht) der Missionaere befindet. An letzterem Orte findet man, nach dem Bericht der Indianer, grosse Schwefelmassen, nicht in Gips oder Kalkstein, sondern in geringer Tiefe unter der Flaeche des Bodens in Thonschichten. Dieses auffallende Vorkommen scheint Amerika eigenthuemlich; wir werden demselben im Koenigreich Quito und in Neugrenada wieder begegnen. Vor Punzere sieht man in den Savanen Saeckchen von Seidengewebe an den niedrigsten Baumaesten haengen. Es ist diess die _seda silvestre_ oder einheimische wilde Seide, die einen schoenen Glanz hat, aber sich sehr rauh anfuehlt. Der Nachtschmetterling, der sie spinnt, kommt vielleicht mit denen in den Provinzen Gnanaxuato und Antioquia ueberein, die gleichfalls wilde Seide liefern. Im schoenen Walde von Punzere kommen zwei Baeume vor, die unter den Namen Curucay und Canela bekannt sind; ersterer liefert ein von den *Pinches* oder indianischen Zauberern sehr gesuchtes Harz, der zweite hat Blaetter, die nach aechtem Ceylonzimmt riechen. Von Punzere laeuft der Weg ueber Terecen und Neu-Palencia, das eine neue Niederlassung von Canariern ist, nach dem Hafen San Juan, der am rechten Ufer des Rio Areo liegt, und man muss in einer Pirogue ueber diesen Fluss setzen, wenn man zu den beruehmten Bergoelquellen von Buen Pastor gehen will. Man beschrieb sie uns als kleine Schachte oder Trichter, die sich von selbst im sumpfigen Boden gebildet haben. Diese Erscheinung erinnert an den Asphaltsee oder *Chapapote* auf der Insel Trinidad, der in gerader Linie von Buen Pastor nur 35 Seemeilen entfernt ist. Nachdem wir eine Weile mit dem Verlangen gekaempft, den Guarapiche hinunter in den _Golfo triste_ zu fahren, wandten wir uns gerade den Bergen zu. Die Thaeler von Guanaguana und Caripe sind durch eine Art Damm oder Grat aus Kalkstein, der unter dem Namen _Cuchilla de Guanaguana_ weit und breit beruehmt ist, von einander getrennt [Im ganzen spanischen Amerika bedeutet _cuchilla_ Messerklinge, einen Bergkamm mit sehr steilen Abhaengen.]. Wir fanden den Uebergang beschwerlich, weil wir damals noch nicht in den Cordilleren gereist waren, aber so gefaehrlich, als man ihn in Cumana schildert, ist er keineswegs. Allerdings ist der Weg an mehreren Stellen nur 14 oder 15 Zoll breit; der Bergsattel, ueber den er weglaeuft, ist mit kurzem, sehr glattem Rasen bedeckt, die Abhaenge zu beiden Seiten sind ziemlich jaeh, und wenn der Reisende fiele, koennte er auf dem Grase sieben, achthundert Fuss hinunterrollen. Indessen sind die Bergseiten vielmehr nur starke Boeschungen als eigentliche Abgruende, und die Maulthiere hier zu Lande haben einen so sichern Gang, dass man sich ihnen ruhig anvertrauen kann. Ihr Benehmen ist ganz wie das der Saumthiere in der Schweiz und in den Pyrenaeen. Je wilder ein Land ist, desto feinfuehliger und schaerfer witternd wird der Instinkt der Hausthiere. Spueren die Maulthiere eine Gefahr, so bleiben sie stehen und wenden den Kopf hin und her, bewegen die Ohren auf und ab; man sieht, sie ueberlegen, was zu thun sey. Sie kommen langsam zum Entschluss, aber derselbe faellt immer richtig aus, wenn er frei ist, das heisst, wenn ihn der Reisende nicht unvorsichtigerweise stoert oder uebereilt. Wenn man in den Anden sechs, sieben Monate auf entsetzlichen Wegen durch die von den Bergwassern zerrissenen Gebirge zieht, da entwickelt sich die Intelligenz der Reitpferde und Lastthiere auf wahrhaft erstaunliche Weise. Man kann auch die Gebirgsbewohner sagen hoeren: "Ich gebe Ihnen nicht das Maulthier, das den bequemsten Schritt hat, sondern das vernuenftigste, _la mas racional_." Dieses Wort aus dem Munde des Volks, die Frucht langer Erfahrung, widerlegt das System, das in den Thieren nur belebte Maschinen sieht, wohl besser als alle Beweisfuehrung der speculativen Philosophie. Auf dem hoechsten Punkt des Kammes oder der Cuchilla von Guanaguana angelangt, hatten wir eine interessante Fernsicht. Wir uebersahen mit Einem Blick die weiten Prairien oder Savanen von Maturin und am Rio Tigre, den Spitzberg Turimiquiri und zahllose parallel streichende Bergketten, die von weitem einer wogenden See gleichen. Gegen Nordost oeffnet sich das Thal, in dem das Kloster Caripe liegt. Sein Anblick ist um so einladender, als es bewaldet ist und so von den kahlen, nur mit Gras bewachsenen Bergen umher freundlich absticht. Wir fanden die absolute Hoehe der Cuchilla gleich 548 Toisen; sie liegt also 329 Toisen ueber dem Missionshaus von Guanaguana. Steigt man auf sehr krummem Pfade vom Bergkamme nieder, so betritt man bald ein ganz bewaldetes Land. Der Boden ist mit Moos und einer neuen Art Drosera bedeckt, die im Wuchs der Drosera unserer Alpen gleicht. Je naeher man dem Kloster Caripe kommt, desto dichter wird der Wald, desto ueppiger die Vegetation. Alles bekommt einen andern Charakter, sogar die Gebirgsart, in der wir von Punta Delgada an gewesen waren. Die Kalksteinschichten werden duenner; sie bilden Mauern, Gesimse und Thuerme wie in Peru, im Pappenheimschen und bei Dicow in Gallizien. Es ist nicht mehr Alpenkalk, sondern eine Formation, welche jenem uebergelagert ist, analog dem Jurakalk. Der Weg von der Cuchilla herab ist bei weitem nicht so lang als der hinaus. Wir fanden, dass das Thal von Caripe 200 Toisen hoeher liegt als das Thal von Guanaguana. Ein Bergzug von unbedeutender Breite trennt zwei Becken; das eine ist koestlich kuehl, das andere als furchtbar heiss verrufen. Solchen Contrasten begegnet man in Mexico, in Neu-Grenada und Peru haeufig, aber im Nordosten von Suedamerika sind sie selten. Unter allen hochgelegenen Thaelern in Neu-Andalusien ist auch nur das von Caripe [absolute Hoehe des Klosters 412 Toisen] sehr stark bewohnt. In einer Provinz mit schwacher Bevoelkerung, wo die Gebirge weder eine sehr bedeutende Masse, noch ausgedehnte Hochebenen haben, findet der Mensch wenig Anlass, aus den Ebenen wegzuziehen und sich in gemaessigteren Gebirgsstrichen niederzulassen. ------------------ 49 In den spanischen Kolonien heisst *Mision* oder *Pueblo de Mision* ein Anzahl Wohnungen um eine Kirche herum, wo ein Missionar, der Ordensgeistlicher ist, den Gottesdienst versieht. Die indianischen Doerfer, die unter der Obhut von Pfarrers stehen, heissen *Pueblos de Doctrina*. Man unterscheidet noch weiter den *Cura doctrinero*, den Pfarrer einer indianischen Gemeinde, und den *Cura rector*, den Pfarrer eines von Weissen oder Farbigen bewohnten Dorfes. 50 Das virginische Megatherium ist der Megalonyx Jeffersons. Alle diese ungeheuren Knochen, die man *auf den Ebenen* der neuen Welt, noerdlich oder suedlich vom Aequator gefunden, gehoeren nicht der heissen, sondern der gemaessigten Zone an. Andererseits macht Pallas die Bemerkung, dass in Sibirien, also auch noerdlich vom Wendekreis, fossile Knochen in den gebirgigen Landestheilen gar nicht vorkommen. Diese eng mit einander verknuepften Thatsachen scheinen den Weg zur Auffindung eines wichtigen geologischen Gesetzes zu bahnen. 51 Grosse Messer mit sehr langen Klingen, aehnlich den Jagdmessern. In der heissen Zone geht man nicht ohne *Machete* in den Wald, sowohl um die Lianen und Baumaeste abzuhauen, die einem den Weg sperren, als um sich gegen wilde Thiere zu vertheidigen. _ 52 Hura crepitans_, aus der Familie der Euphorbien. Dieser Baum wird ungeheuer dick; im Thal von Curiepe zwischen Cap Codera und Caracas mass Bonpland Kufen aus Javilloholz, die vierzehn Fuss lang und acht breit waren. Diese Kufen aus Einem Stueck dienen zur Aufbewahrung des Guarapo oder Zuckerrohrsasts und der Melasse. Die Samen des Javillo sind ein starkes Gift, und die Milch, die aus dem Bluethenstengel quillt, wenn man ihn abbricht, hat uns oft Augenschmerz verursacht, wenn zufaellig auch nur ein ganz klein wenig davon zwischen die Augenlider kam. SIEBENTES KAPITEL Das Kloster Caripe -- Die Hoehle des Guacharo -- Nachtvoegel Eine Allee von Perseabaeumen fuehrte uns zum Hospiz der aragonesischen Kapuziner. Bei einem Kreuz aus Brasilholz mitten auf einem grossen Platz machten wir Halt. Das Kreuz ist von Baenken umgeben, wo die kranken und schwachen Moenche ihren Rosenkranz beten. Das Kloster lehnt sich an eine ungeheure, senkrechte, dicht bewachsene Felswand. Das blendend weisse Gestein blickt nur hin und wieder hinter dem Laube vor. Man kann sich kaum eine malerischere Lage denken; sie erinnerte mich lebhaft an die Thaeler der Grafschaft Derby und an die hoehlenreichen Berge bei Muggendorf in Franken. An die Stelle der europaeischen Buchen und Ahorne treten hier die grossartigeren Gestalten der Ceiba und der Praga- und Irassepalmen. Unzaehlige Quellen brechen aus den Bergwaenden, die das Becken von Caripe kreisfoermig umgeben und deren gegen Sued steil abfallende Haenge tausend Fuss hohe Profile bilden. Diese Quellen kommen meist aus Spalten oder engen Schluchten hervor. Die Feuchtigkeit, die sie verbreiten, befoerdert das Wachsthum der grossen Baeume, und die Eingeborenen, welche einsame Orte lieben, legen ihre *Conucos* laengs dieser Schluchten an. Bananen und Melonenbaeume stehen hier um Gebuesche von Baumfarn. Dieses Durcheinander von cultivirten und wilden Gewaechsen gibt diesen Punkten einen eigenthuemlichen Reiz. An den nackten Bergseiten erkennt man die Stellen, wo Quellen zu Tage kommen, schon von weitem an den dichten Massen von Gruen, die anfangs am Gestein zu haengen scheinen und sich dann den Windungen der Baeche nach ins Thal hinunter ziehen. Wir wurden von den Moenchen im Hospiz mit der groessten Zuvorkommenheit aufgenommen. Der Pater Gardian war nicht zu Hause; aber er war von unserem Abgang von Cumana in Kenntniss gesetzt und hatte Alles aufgeboten, um uns den Aufenthalt angenehm zu machen. Das Hospiz hat einen innern Hof mit einem Kreuzgang, wie die spanischen Kloester. Dieser geschlossene Raum war sehr bequem fuer uns, um unsere Instrumente unterzubringen und zu beobachten. Wir trafen im Kloster zahlreiche Gesellschaft: junge, vor Kurzem aus Europa angekommene Moenche sollten eben in die Missionen vertheilt werden, waehrend alte kraenkliche Missionaere in der scharfen gesunden Gebirgsluft von Caripe Genesung suchten. Ich wohnte in der Zelle des Gardians, in der sich eine ziemlich ansehnliche Buechersammlung befand. Ich fand hier zu meiner Ueberraschung neben Feijos _teatro critico_ und den "erbaulichen Briefen" auch Abbe Nollets "_traite d'electricite_." Der Fortschritt in der geistigen Entwicklung ist, sollte man da meinen, sogar in den Waeldern Amerikas zu spueren. Der juengste Kapuziner von der letzten Mission(53) hatte eine spanische Uebersetzung von Chaptals Chemie mitgebracht. Er gedachte dieses Werk in der Einsamkeit zu studiren, in der er fortan fuer seine uebrige Lebenszeit sich selbst ueberlassen seyn sollte. Ich glaube kaum, dass bei einem jungen Moenche, der einsam am Ufer des Rio Tigre lebt, der Wissenstrieb wach und rege bleibt; aber so viel ist sicher und gereicht dem Geist des Jahrhunderts zur Ehre, dass wir bei unserern Aufenthalt in den Kloestern und Missionen Amerikas nie eine Spur von Unduldsamkeit wahrgenommen haben. Die Moenche in Caripe wussten wohl, dass ich im protestantischen Deutschland zu Hause war. Mit den Befehlen des Madrider Hofes in der Hand, hatte ich keinen Grund, ihnen ein Geheimniss daraus zu machen; aber niemals that irgend ein Zeichen von Misstrauen, irgend eine unbescheidene Frage, irgend ein Versuch, eine Controverse anzuknuepfen, dem wohlthuenden Eindruck der Gastfreundschaft, welche die Moenche mit so viel Herzlichkeit und Offenheit uebten, auch nur den geringsten Eintrag. Wir werden weiterhin untersuchen, woher diese Duldsamkeit der Missionare ruehrt und wie weit sie geht. Das Kloster liegt an einem Orte, der in alter Zeit Areocuar hiess. Seine Meereshoehe ist ungefaehr dieselbe wie die der Stadt Caracas oder des bewohnten Strichs in den blauen Bergen von Jamaica. Auch ist die mittlere Temperatur dieser drei Punkte, die alle unter den Tropen liegen, so ziemlich dieselbe. In Caripe fuehlt man das Beduerfniss, sich Nachts zuzudecken, besonders bei Sonnenaufgang. Wir sahen den hunderttheiligen Thermometer um Mitternacht zwischen 16 und 171/2 Grad (12 deg.,8-14 R.) stehen, Morgens zwischen 19 und 20. Gegen ein Uhr Nachmittags stand er nur auf 21 deg. bis 22 deg.,5. Es ist diess eine Temperatur, bei der die Gewaechse der heissen Zone noch wohl gedeihen; gegenueber der uebermaessigen Hitze auf den Ebenen bei Cumana koennte man sie eine Fruehlingstemperatur nennen. Das Wasser, das man in poroesen Thongesaessen dem Luftzug aussetzt, kuehlt sich in Caripe waehrend der Nacht auf 13 deg. ab. Ich brauche nicht zu bemerken, dass solches Wasser einem fast eiskalt vorkommt, wenn man in Einem Tage entweder von der Kueste oder von den gluehenden Savanen von Terezen ins Kloster kommt und daher gewoehnt ist, Flusswasser zu trinken, das meist 25-26 deg. (20-20 deg.,8 R.) warm ist. Die mittlere Temperatur des Thals von Caripe scheint, nach der des Monats September zu schliessen, 18 deg.,5 zu seyn. Nach den Beobachtungen, die man in Cumana gemacht, weicht unter dieser Zone die Temperatur des Septembers von der des ganzen Jahres kaum um einen halben Grad ab. Die mittlere Temperatur von Caripe ist gleich der des Monats Juni zu Paris, wo uebrigens die groesste Hitze 10 Grad mehr betraegt als an den heissesten Tagen in Caripe. Da das Kloster nur 400 Toisen ueber dem Meere liegt, so faellt es auf, wie rasch die Waerme von der Kueste an abnimmt. Wegen der dichten Waelder koennen die Sonnenstrahlen nicht vom Boden abprallen, und dieser ist feucht und mit einem dicken Gras- und Moosfilz bedeckt. Bei anhaltend nebligter Witterung ist von Sonnenwirkung ganze Tage lang nichts zu spueren und gegen Einbruch der Nacht wehen frische Winde von der Sierra del Guacharo ins Thal herunter. Die Erfahrung hat ausgewiesen, dass das gemaessigte Klima und die leichte Luft des Orts dem Anbau des Kaffeebaums, der bekanntlich hohe Lagen liebt, sehr foerderlich sind. Der Superior der Kapuziner, ein thaetiger, aufgeklaerter Mann, hat in seiner Provinz diesen neuen Kulturzweig eingefuehrt. Man baute frueher Indigo in Caripe, aber die Pflanze, die starke Hitze verlangt, lieferte hier so wenig Farbstoff, dass man es aufgab. Wir fanden im Gemeinde-Conuco viele Kuechenkraeuter, Mais, Zuckerrohr und fuenftausend Kaffeestaemme, die eine reiche Ernte versprachen. Die Moenche hofften in wenigen Jahren ihrer dreimal so viel zu haben. Man sieht auch hier wieder, wie die geistliche Hierarchie ueberall, wo sie es mit den Anfaengen der Cultur zu thun hat, in derselben Richtung ihre Thaetigkeit entwickelt. Wo die Kloester es noch nicht zum Reichthum gebracht haben, auf dem neuen Continent wie in Gallien, in Syrien wie im noerdlichen Europa, ueberall wirken sie hoechst vortheilhaft auf die Urbarmachung des Bodens und die Einfuehrung fremdlaendischer Gewaechse. In Caripe stellt sich der Gemeinde-Conuco als ein grosser schoener Garten dar. Die Eingeborenen sind gehalten, jeden Morgen von sechs bis zehn Uhr darin zu arbeiten. Die Alcaden und Alguazils von indianischem Blut fuehren dabei die Aufsicht. Es sind das die hohen Staatsbeamten, die allein einen Stock tragen duerfen und vom Superior des Klosters angestellt werden. Sie legen auf jenes Recht sehr grosses Gewicht. Ihr pedantischer, schweigsamer Ernst, ihre kalte, geheimnissvolle Miene, der Eifer, mit dem sie in der Kirche und bei den Gemeindeversammlungen repraesentiren, kommt den Europaeern hoechst lustig vor. Wir waren an diese Zuege im Charakter des Indianers noch nicht gewoehnt, fanden sie aber spaeter gerade so am Orinoco, in Mexico und Peru bei Voelkern von sehr verschiedenen Sitten und Sprachen. Die Alcaden kamen alle Tage ins Kloster, nicht sowohl um mit den Moenchen ueber Angelegenheiten der Mission zu verhandeln, als unter dem Vorwand, sich nach dem Befinden der kuerzlich angekommenen Reisenden zu erkundigen. Da wir ihnen Branntwein gaben, wurden die Besuche haeufiger, als die Geistlichen gerne sahen. So lange wir uns in Caripe und in den andern Missionen der Chaymas aufhielten, sahen wir die Indianer ueberall milde behandeln. Im Allgemeinen schien uns in den Missionen der aragonesischen Kapuziner grundsaetzlich eine Ordnung und eine Zucht zu herrschen, wie sie leider in der neuen Welt selten zu finden sind. Missbraeuche, die mit dem allgemeinen Geist aller kloesterlichen Anstalten zusammenhaengen, duerfen dem einzelnen Orden nicht zur Last gelegt werden. Der Gardian des Klosters Verkauft den Ertrag des Gemeinde-Conuco, und da alle Indianer darin arbeiten, so haben auch alle gleichen Theil am Gewinn. Mais, Kleidungsstuecke, Ackergeraethe, und, wie man versichert, zuweilen auch Geld werden unter ihnen vertheilt. Diese Moenchsanstalten haben, wie ich schon oben bemerkt, Aehnlichkeit mit den Gemeinden der maehrischen Brueder; sie foerdern die Entwicklung in der Bildung begriffener Menschenvereine, und in den katholischen Gemeinden, die man Missionen nennt, wird die Unabhaengigkeit der Familien und die Selbststaendigkeit der Genossenschaftsglieder mehr geachtet, als in den protestantischen Gemeinden nach Zinzendorfs Regel. Am beruehmtesten ist das Thal von Caripe, neben der ausnehmenden Kuehle des Klimas, durch die grosse *Cueva* oder Hoehle des *Guacharo*. In einem Lande, wo man so grossen Hang zum Wunderbaren hat, ist eine Hoehle, aus der ein Strom entspringt und in der Tausende von Nachtvoegeln leben, mit deren Fett man in den Missionen kocht, natuerlich ein unerschoepflicher Gegenstand der Unterhaltung und des Streits. Kaum hat daher der Fremde in Cumana den Fuss ans Land gesetzt, so hoert er zum Ueberdruss vom Augenstein von Araya, vom Landmann in Arenas, der sein Kind gesaeugt, und von der Hoehle des Guacharo, die mehrere Meilen lang seyn soll. Lebhafte Theilnahme an Naturmerkwuerdigkeiten erhaelt sich ueberall, wo in der Gesellschaft kein Leben ist, wo in truebseliger Eintoenigkeit die alltaeglichen Vorkommnisse sich abloesen, bei denen die Neugierde keine Nahrung findet. Die Hoehle, welche die Einwohner eine "Fettgrube" nennen, liegt nicht im Thal von Caripe selbst, sondern drei kleine Meilen vom Kloster gegen West-Sued-West. Sie muendet in einem Seitenthale aus, das der *Sierra des Guacharo* zulaeuft. Am 18. September brachen wir nach der Sierra auf, begleitet von den indianischen Alcaden und den meisten Ordensmaennern des Klosters. Ein schmaler Pfad fuehrte zuerst anderthalb Stunden lang suedwaerts ueber eine lachende, schoen beraste Ebene, dann wandten wir uns westwaerts an einem kleinen Flusse hinauf, der aus der Hoehle hervorkommt. Man geht drei Viertelstunden lang aufwaerts bald im Wasser, das nicht tief ist, bald zwischen dem Fluss und einer Felswand, auf sehr schluepfrigem, morastigem Boden. Zahlreiche Erdfaelle, umherliegende Baumstaemme, ueber welche die Maulthiere nur schwer hinueber kommen, die Rankengewaechse am Boden machen dieses Stueck des Weges sehr ermuedend. Wir waren ueberrascht, hier, kaum 500 Toisen ueber dem Meere, eine Kreuzbluethe zu finden, den _Raphanus pinnatus_. Man weiss, wie selten Arten dieser Familie unter den Tropen sind; sie haben gleichsam einen *nordischen Typus*, und auf diesen waren wir hier auf dem Plateau von Caripe, in so geringer Meereshoehe, nicht gefasst. Wenn man am Fuss des hohen Guacharoberges nur noch vierhundert Schritte von der Hoehle entfernt ist, sieht man den Eingang noch nicht. Der Bach laeuft durch eine Schlucht, die das Wasser eingegraben, und man geht unter einem Felsenueberhang, so dass man den Himmel gar nicht sieht. Der Weg schlaengelt sich mit dem Fluss und bei der letzten Biegung steht man auf einmal vor der ungeheuren Muendung der Hoehle. Der Anblick hat etwas Grossartiges selbst fuer Augen, die mit der malerischen Scenerie der Hochalpen vertraut sind. Ich hatte damals die Hoehlen am Pic von Derbyshire gesehen, wo man, in einem Rachen ausgestreckt, unter einem zwei Fuss hohen Gewoelbe ueber einen unterirdischen Fluss setzt. Ich hatte die schoene Hoehle von Treshemienshiz in den Karpathen befahren, ferner die Hoehlen im Harz und in Franken, die grosse Grabstaetten sind fuer die Gebeine von Tigern, Hyaenen und Baeren, die so gross waren, wie unsere Pferde. Die Natur gehorcht unter allen Zonen unabaenderlichen Gesetzen in der Vertheilung der Gebirgsarten, in der aeusseren Gestaltung der Berge, selbst in den gewaltsamen Veraenderungen, welche die aeussere Rinde unseres Planeten erlitten hat. Nach dieser grossen Einfoermigkeit konnte ich glauben, die Hoehle von Caripe werde im Aussehen von dem, was ich der Art auf meinen frueheren Reisen beobachtet, eben nicht sehr abweichen; aber die Wirklichkeit uebertraf meine Erwartung weit. Wenn einerseits alle Hoehlen nach ihrer ganzen Bildung, durch den Glanz der Stalaktiten, in allem, was die unorganisches Natur betrifft, auffallende Aehnlichkeit mit einander haben, so gibt andererseits der grossartige tropische Pflanzenwuchs der Muendung eines solchen Erdlochs einen ganz eigenen Charakter. Die Cueva del Guacharo oeffnet sich im senkrechten Profil eines Felsen. Der Eingang ist nach Sued gekehrt; es ist eine Woelbung achtzig Fuss breit und siebzig hoch, also bis auf ein Fuenftheil so hoch als die Colonnade des Louvre. Auf dem Fels ueber der Grotte stehen riesenhafte Baeume. Der Mamei und der Genipabaum mit breiten glaenzenden Blaettern strecken ihre Aeste gerade gen Himmel, waehrend die des Courbaril und der Erythrina sich ausbreiten und ein dichtes gruenes Gewoelbe bilden. Pothos mit saftigen Stengeln, Oxalis und Orchideen von seltsamem Bau [Ein _Dendrobium_ mit goldgelber, schwarzgefleckter, drei Zoll langer Bluethe] wachsen in den duerrsten Felsspalten, waehrend vom Winde geschaukelte Rankengewaechse sich vor dem Eingang der Hoehle zu Gewinden verschlingen. Wir sahen in diesen Blumengewinden eine violette Bignonie, das purpurfarbige Dolichos und zum erstenmal die prachtvolle Solandra, deren orangegelbe Bluethe eine ueber vier Zoll lange fleischige Roehre hat. Es ist mit dem Eingang der Hoehlen, wie mit der Ansicht der Wasserfaelle; der Hauptreiz besteht in der mehr oder weniger grossartigen Umgebung, die den Charakter der Landschaft bestimmt. Welcher Contrast zwischen der Cueva de Caripe und den Hoehlen im Norden, die von Eichen und duestern Lerchen beschattet sind! Aber diese Pflanzenpracht schmueckt nicht allein die Aussenseite des Gewoelbes, sie dringt sogar in den Vorhof der Hoehle ein. Mit Erstaunen sahen wir, dass achtzehn Fuss hohe praechtige Heliconien mit Pisangblaettern, Pragapalmen und baumartige Arumarten die Ufer des Baches bis unter die Erde saeumten. Die Vegetation zieht sich in die Hoehle von Caripe hinein, wie in die tiefen Felsspalten in den Anden, in denen nur ein Daemmerlicht herrscht, und sie hoert erst 30-40 Schritte vom Eingang auf. Wir massen den Weg mittelst eines Stricks und waren gegen vier hundert dreissig Fuss weit gegangen, ehe wir noethig hatten die Fackeln anzuzuenden. Das Tageslicht dringt so weit ein, weil die Hoehle nur Einen Gang bildet, der sich in derselben Richtung von Suedost nach Nordwest hineinzieht. Da wo das Licht zu verschwinden anfaengt, hoert man das heisere Geschrei der Nachtvoegel, die, wie die Eingeborenen glauben, nur in diesen unterirdischen Raeumen zu Hause sind. Der Guacharo hat die Groesse unserer Huehner, die Stimme der Ziegenmelker und Procnias, die Gestalt der geierartigen Voegel mit Buescheln steifer Seide um den krummen Schnabel. Streicht man nach Cuvier die Ordnung der _Picae_ (Spechte), so ist dieser merkwuerdige Vogel unter die _Passeres_ stellen, deren Gattungen fast unmerklich in einander uebergehen. Ich habe ihn im zweiten Band meiner _Observations de zoologie et d'anatomie comparee_ in einer eigenen Abhandlung unter dem Namen _Steatornis_ (Fettvogel) beschrieben. Er bildet eine neue Gattung, die sich von _Caprimulgus_ durch den Umfang der Stimme, durch den ausnehmend starken mit einem doppelten Zahn versehenen Schnabel, durch den Mangel der Haut zwischen den vorderen Zehengliedern wesentlich unterscheidet. In der Lebensweise kommt er sowohl den Ziegenmelkern als den Alpenkraehen [_Corvus Pyrrhocorax_] nahe. Sein Gefieder ist dunkel graublau, mit kleinen schwarzen Streifen und Tupfen; Kopf, Fluegel und Schwanz zeigen grosse, weisse, herzfoermige, schwarz gesaeumte Flecken. Die Augen des Vogels koennen das Tageslicht nicht ertragen, sie sind blau und kleiner als bei den Ziegenmelkern. Die Fluegel haben 17-18 Schwungfedern und ihre Spannung betraegt 31/2 Fuss. Der Guacharo verlaesst die Hoehle bei Einbruch der Nacht, besonders bei Mondschein. Es ist so ziemlich der einzige koernerfressende Nachtvogel, den wir bis jetzt kennen; schon der Bau seiner Fuesse zeigt, dass er nicht jagt wie unsere Eulen. Er frisst sehr harte Samen, wie der Nussheher (_Corvus cariocatactes_) und der _Pyrrhocorax_. Letzterer nistet auch in Felsspalten und heisst der "Nachtrabe." Die Indianer behaupten, der Guacharo gehe weder Insekten aus der Ordnung der Lamellicornia (Kaefern), noch Nachtschmetterlingen nach, von denen die Ziegenmelker sich naehren. Man darf nur die Schnaebel des Guacharo und des Ziegenmelkers vergleichen, um zu sehen, dass ihre Lebensweise ganz verschieden seyn muss. Schwer macht man sich einen Begriff vom furchtbaren Laerm, den Tausende dieser Voegel im dunkeln Innern der Hoehle machen. Er laesst sich nur mit dem Geschrei unserer Kraehen vergleichen, die in den nordischen Tannenwaeldern gesellig leben und auf Baeumen nisten, deren Gipfel einander beruehren. Das gellende durchdringende Geschrei der Guacharos hallt wider vom Felsgewoelbe und aus der Tiefe der Hoehle kommt es als Echo zurueck. Die Indianer zeigten uns die Nester der Voegel, indem sie Fackeln an eine lange Stange banden. Sie stacken 60-70 Fuss hoch ueber unsern Koepfen in trichterfoermigen Loechern, von denen die Decke wimmelt. Je tiefer man in die Hoehle hinein kommt, je mehr Voegel das Licht der Copalfackeln aufscheucht, desto staerker wird der Laerm. Wurde es ein paar Minuten ruhiger um uns her, so erschallte von weither das Klaggeschrei der Voegel, die in andern Zweigen der Hoehle nisteten. Die Banden loesten einander im Schreien ordentlich ab. Jedes Jahr um Johannistag gehen die Indianer mit Stangen in die Cueva del Guacharo und zerstoeren die meisten Nester. Man schlaegt jedesmal mehrere tausend Voegel todt, wobei die Alten, als wollten sie ihre Brut vertheidigen, mit furchtbarem Geschrei den Indianern um die Koepfe fliegen. Die Jungen, die zu Boden fallen, werden auf der Stelle ausgeweidet. Ihr Bauchfell ist stark mit Fett durchwachsen, und eine Fettschicht laeuft vom Unterleib zum After und bildet zwischen den Beinen des Vogels eine Art Knopf. Dass koernerfressende Voegel, die dem Tageslicht nicht ausgesetzt sind und ihre Muskeln wenig brauchen, so fett werden, erinnert an die uralten Erfahrungen beim Maesten der Gaense und des Viehs. Man weiss, wie sehr dasselbe durch Dunkelheit und Ruhe befoerdert wird. Die europaeischen Nachtvoegel sind mager, weil sie nicht wie der Guacharo von Fruechten, sondern vom duerftigen Ertrag ihrer Jagd leben. Zur Zeit der "Fetternte" (_cosecha de la manteca_), wie man es in Caripe nennt, bauen sich die Indianer aus Palmblaettern Huetten am Eingang und im Vorhof der Hoehle. Wir sahen noch Ueberbleibsel derselben. Hier laesst man das Fett der jungen, frisch getoedteten Voegel am Feuer aus und giesst es in Thongefaesse. Dieses Fett ist unter dem Namen Guacharoschmalz oder Oel (_manteca_ oder _aceite_) bekannt; es ist halbfluessig, hell und geruchlos. Es ist so rein, dass man es laenger als ein Jahr aufbewahren kann, ohne dass es ranzig wird. In der Kloesterkueche zu Caripe wurde kein anderes Fett gebraucht als das aus der Hoehle, und wir haben nicht bemerkt, dass die Speisen irgend einen unangenehmen Geruch oder Geschmack davon bekaemen. Die Menge des gewonnenen Oels steht mit dem Gemetzel, das die Indianer alle Jahre in der Hoehle anrichten, in keinem Verhaeltniss. Man bekommt, scheint es, nicht mehr als 150 bis 160 Flaschen (zu 44 Kubikzoll) ganz reine Manteca; das uebrige weniger helle wird in grossen irdenen Gefaessen aufbewahrt. Dieser Industriezweig der Eingeborenen erinnert an das Sammeln des Taubenfetts [Das _pigeon oil_ kommt von der Wandertaube, _Columba migratoria_.] in Carolina, von dem frueher mehrere tausend Faesser gewonnen wurden. Der Gebrauch des Guacharofetts ist in Caripe uralt und die Missionare haben nur die Gewinnungsart geregelt. Die Mitglieder einer indianischen Familie Namens Morocoymas behaupten von den ersten Ansiedlern im Thale abzustammen und als solche rechtmaessige Eigenthuemer der Hoehle zu seyn; sie beanspruchen das Monopol des Fetts, aber in Folge der Klosterzucht sind ihre Rechte gegenwaertig nur noch Ehrenrechte. Nach dem System der Missionare haben die Indianer Guacharooel fuer das ewige Kirchenlicht zu liefern; das Uebrige, so behauptet man, wird ihnen abgekauft. Wir erlauben uns kein Urtheil weder ueber die Rechtsansprueche der Morocoymas, noch ueber den Ursprung der von den Moenchen den Indianern auferlegten Verpflichtung. Es erschiene natuerlich, dass der Ertrag der Jagd denen gehoerte, die sie anstellen; aber in den Waeldern der neuen Welt, wie im Schoosse der europaeischen Cultur, bestimmt sich das oeffentliche Recht darnach, wie sich das Verhaltniss zwischen dem Starken und dem Schwachen, zwischen dem Eroberer und dem Unterworfenen gestaltet. Das Geschlecht der Guacharos ware laengst ausgerottet, wenn nicht mehrere Umstaende zur Erhaltung desselben zusammenwirkten. Aus Aberglauben wagen sich die Indianer selten weit in die Hoehle hinein. Auch scheint derselbe Vogel in benachbarten, aber dem Menschen unzugaenglichen Hoehlen zu nisten. Vielleicht bevoelkert sich die grosse Hoehle immer wieder mit Colonien, welche aus jenen kleinen Erdloechern ausziehen; denn die Missionaere versicherten uns, bis jetzt habe die Menge der Voegel nicht merkbar abgenommen. Man hat junge Guacharos in den Hafen von Cumana gebracht; sie lebten da mehrere Tage, ohne zu fressen, da die Koerner, die man ihnen gab, ihnen nicht zusagten. Wenn man in der Hoehle den jungen Voegeln Kropf und Magen ausschneidet, findet man mancherlei harte, trockene Samen darin, die unter dem seltsamen Namen "Guacharosamen" (_semilla del Guacharo_) ein vielberufenes Mittel gegen Wechselfieber sind. Die Alten bringen diese Samen den Jungen zu. Man sammelt sie sorgfaeltig und laesst sie den Kranken in Cariaco und andern tief gelegenen Fieberstrichen zukommen. Wir gingen in die Hoehle hinein und am Bache fort, der daraus entspringt. Derselbe ist 28-30 Fuss breit. Man verfolgt das Ufer, so lange die Huegel aus Kalkincrustationen diess gestatten; oft, wenn sich der Bach zwischen sehr hohen Stalaktitenmassen durchschlaengelt, muss man in das Bette selbst hinunter, das nur zwei Fuss tief ist. Wir hoerten zu unserer Ueberraschung, diese unterirdische Wasserader sey die Quelle des Rio Caripe, der wenige Meilen davon, nach seiner Vereinigung mit dem kleinen Rio de Santa Maria, fuer Piroguen schiffbar wird. Am Ufer des unterirdischen Baches fanden wir eine Menge Palmholz; es sind Ueberbleibsel der Staemme, auf denen die Indianer zu den Vogelnestern an der Decke der Hoehle hinaufsteigen. Die von den Narben der alten Blattstiele gebildeten Ringe dienen gleichsam als Sprossen einer aufrecht stehenden Leiter. Die Hoehle von Caripe behaelt, genau gemessen, auf 472 Meter oder 1458 Fuss dieselbe Richtung, dieselbe Breite und die anfaengliche Hoehe von 60-70 Fuss. Ich kenne auf beiden Continenten keine zweite Hoehle von so gleichfoermiger, regelmaessiger Gestalt. Wir hatten viele Muehe, die Indianer zu bewegen, dass sie ueber das vordere Stueck hinausgingen, das sie allein jaehrlich zum Fettsammeln besuchen. Es brauchte das ganze Ansehen der Patres, um sie bis zu der Stelle zu bringen, wo der Boden rasch unter einem Winkel von 60 Grad ansteigt und der Bach einen kleinen unterirdischen Fall bildet. Diese von Nachtvoegeln bewohnte Hoehle ist fuer die Indianer ein schauerlich geheimnissvoller Ort; sie glauben, tief hinten wohnen die Seelen ihrer Vorfahren. Der Mensch, sagen sie, soll Scheu tragen vor Orten, die weder von der Sonne, *Zis*, noch vom Monde, *Nuna*, beschienen sind. Zu den Guacharos gehen, heisst so viel, als zu den Vaetern versammelt werden, sterben. Daher nahmen auch die Zauberer, *Piaches*, und die Giftmischer, *Imorons*, ihre naechtlichen Gaukeleien am Eingang der Hoehle vor, um den Obersten der boesen Geister, *Ivorokiamo*, zu beschwoeren. So gleichen sich unter allen Himmelsstrichen die aeltesten Mythen der Voelker, vor allen solche, die sich aus zwei die Welt regierende Kraefte, auf den Aufenthalt der Seelen nach dem Tod, auf den Lohn der Gerechten und die Strafe der Boesen beziehen. Die verschiedensten und darunter die rohesten Sprachen haben gewisse Bilder mit einander gemein, weil diese unmittelbar aus dem Wesen unseres Denk- und Empfindungsvermoegens fliessen. Finsterniss wird aller Orten mit der Vorstellung des Todes in Verbindung gebracht. Die Hoehle von Caripe ist der Tartarus der Griechen, und die Guacharos, die unter klaeglichem Geschrei ueber dem Wasser flattern, mahnen an die stygischen Voegel. Da wo der Bach den unterirdischen Fall bildet, stellt sich das dem Hoehleneingang gegenueber liegende, gruen bewachsene Gelaende ungemein malerisch dar. Man sieht vom Ende eines geraden, 240 Toisen langen Ganges daraus hinaus. Die Stalaktiten, die von der Decke herabhaengen und in der Luft schwebenden Saeulen gleichen, heben sich von einem gruenen Hintergrunde ab. Die Oeffnung der Hoehle erscheint um die Mitte des Tages auffallend enger als sonst, und wir sahen sie vor uns im glaenzenden Lichte, das Himmel, Gewaechse und Gestein zumal widerstrahlen. Das ferne Tageslicht stach grell ab von der Finsterniss, die uns in diesen unterirdischen Raeumen umgab. Wir hatten unsere Gewehre fast auf Gerathewohl abgeschossen, so oft wir aus dem Geschrei und dem Fluegelschlagen der Nachtvoegel schliessen konnten, dass irgendwo recht viele Nester beisammen seyen. Nach mehreren fruchtlosen Versuchen gelang es Bonpland, zwei Guacharos zu schiessen, die, vom Fackelschein geblendet, uns nachflatterten. Damit fand ich Gelegenheit, den Vogel zu zeichnen, der bis dahin den Zoologen ganz unbekannt gewesen war. Wir erkletterten nicht ohne Beschwerde die Erhoehung, ueber die der unterirdische Bach herunter kommt. Wir sahen da, dass die Hoehle sich weiterhin bedeutend verengert, nur noch 40 Fuss hoch ist und nordostwaerts in ihrer urspruenglichen Richtung, parallel mit dem grossen Thale des Caripe, fortstreicht. In dieser Gegend der Hoehle setzt der Bach eine schwaerzlichte Erde ab, die grosse Aehnlichkeit hat mit dem Stoff, der in der Muggendorfer Hoehle in Franken "Opfererde" heisst. Wir konnten nicht ausfindig machen, ob diese feine, schwammigte Erde durch Spalten im Gestein, die mit dem Erdreich ausserhalb in Verbindung stehen, hereinfaellt, oder ob sie durch das Regenwasser, das in die Hoehle dringt, hereingefloetzt wird. Es war ein Gemisch von Kieselerde, Thonerde und vegetabilischem Detritus. Wir gingen in dickem Koth bis zu einer Stelle, wo uns zu unserer Ueberraschung, eine unterirdische Vegetation entgegentrat. Die Samen, welche die Voegel zum Futter fuer ihre Jungen in die Hoehle bringen, keimen ueberall, wo sie auf die Dammerde fallen, welche die Kalkincrustationen bedeckt. Vergeilte Stengel mit ein paar Blattrudimenten waren zum Theil zwei Fuss hoch. Es war unmoeglich, Gewaechse, die sich durch den Mangel an Licht nach Form, Farbe und ganzem Habitus voellig umgewandelt hatten, specifisch zu unterscheiden. Diese Spuren von Organisation im Schosse der Finsterniss reizten gewaltig die Neugier der Eingeborenen, die sonst so stumpf und schwer anzuregen sind. Sie betrachteten sie mit stillem, nachdenklichem Ernst, wie er sich an einem Orte ziemte, der fuer sie solche Schauer hat. Diese unterirdischen bleichen, formlosen Gewaechse mochten ihnen wie Gespenster erscheinen, die vom Erdboden hieher gebannt waren. Mich aber erinnerten sie an eine der gluecklichsten Zeiten meiner fruehen Jugend, an einen langen Aufenthalt in den Freiberger Erzgruben, wo ich ueber das Vergeilen der Pflanzen Versuche anstellte, die sehr verschieden ausfielen, je nachdem die Luft rein war oder viel Wasserstoff und Stickstoff enthielt. Mit aller ihrer Autoritaet konnten die Missionaere die Indianer nicht vermoegen, noch weiter in die Hoehle hinein zu gehen. Je mehr die Decke sich senkte, desto gellender wurde das Geschrei der Guacharos. Wir mussten uns der Feigheit unserer Fuehrer gefangen geben und umkehren. Man sah auch ueberall so ziemlich das Naemliche. Ein Bischof von St. Thomas in Guyana scheint weiter gekommen zu seyn als wir; er hatte vom Eingang bis zum Punkt, wo er Halt machte, 2500 Fuss gemessen, und die Hoehle lief noch weiter sort. Die Erinnerung an diesen Vorfall hat sich im Kloster Caripe erhalten, nur weiss man den Zeitpunkt nicht genau. Der Bischof hatte sich mit dicken Kerzen aus weissem spanischem Wachs versehen; wir hatten nur Fackeln aus Baumrinde und einheimischem Harz. Der dicke Rauch solcher Fackeln in engem unterirdischem Raum thut den Augen weh und macht das Athmen beschwerlich. Wir gingen dem Bache nach wieder zur Hoehle hinaus. Ehe unsere Augen vom Tageslicht geblendet wurden, sahen wir vor der Hoehle draussen das Wasser durch das Laub der Baeume glaenzen. Es war, als stuende weit weg ein Gemaelde vor uns und die Oeffnung der Hoehle waere der Rahmen dazu. Als wir endlich heraus waren, setzten wir uns am Bache nieder und ruhten von der Anstrengung aus. Wir waren froh, dass wir das heisere Geschrei der Voegel nicht mehr hoerten und einen Ort hinter uns hatten, wo sich mit der Dunkelheit nicht der wohlthuende Eindruck der Ruhe und Stille paart. Wir konnten es kaum glauben, dass der Name der Hoehle von Caripe bis jetzt in Europa voellig unbekannt gewesen seyn sollte. Schon wegen der Guacharos haette sie beruehmt werden sollen; denn ausser den Bergen von Caripe und Cumanacoa hat man diese Nachtvoegel bis jetzt nirgends angetroffen. Die Missionaere hatten am Eingang der Hoehle ein Mahl zurichten lassen. Pisang- und Bijaoblaetter, die seidenartig glaenzen, dienten uns, nach Landessitte als Tischtuch. Wir wurden trefflich bewirthet, sogar mit geschichtlichen Erinnerungen die so selten sind in Laendern, wo die Geschlechter einander abloesten, ohne eine Spur ihres Daseyns zu hinterlassen. Wohlgefaellig erzaehlten uns unsere Wirthe, die ersten Ordensleute, die in diese Berge gekommen, um das kleine Dorf Santa Maria zu gruenden, haben einen Monat lang in der Hoehle hier gelebt und auf einem Stein bei Fackellicht das heilige Messopfer gefeiert. Die Missionaere hatten am einsamen Orte Schutz gefunden vor der Verfolgung eines Haeuptlings der Tuapocans, der am Ufer des Rio Caripe sein Lager aufgeschlagen. So viel wir uns auch bei den Einwohnern von Caripe, Cumanacoa und Cariaco erkundigten, wir hoerten nie, dass man in der Hoehle des Guacharo je Knochen von Fleischfressern oder Knochenbreccien mit Pflanzenfressern gefunden haette, wie sie in den Hoehlen Deutschlands und Ungarns oder in den Spalten des Kalksteins bei Gibraltar vorkommen. Die fossilen Knochen der Megatherien, Elephanten und Mastodonten, welche Reisende aus Suedamerika mitgebracht, gehoeren saemmtlich dem ausgeschwemmten Land in den Thaelern und auf hohen Plateans an. Mit Ausnahme des Megalonyx,(54) eines Faulthiers von der Groesse eines Ochsen, das Jefferson beschrieben, kenne ich bis jetzt auch nicht Einen Fall, dass in einer Hoehle der neuen Welt ein Thierskelett gefunden worden waere. Dass diese zoologische Erscheinung hier so ausnehmend selten ist, erscheint weniger auffallend, wenn man bedenkt, dass es in Frankreich, England und Italien auch eine Menge Hoehlen gibt, in denen man nie eine Spur von fossilen Knochen entdeckt hat. Die interessanteste Beobachtung, welche der Physiker in den Hoehlen anstellen kann, ist die genaue Bestimmung ihrer Temperatur. Die Hoehle von Caripe liegt ungefaehr unter 10 deg. 10' der Breite, also mitten im heissen Erdguertel, und 506 Toisen ueber dem Spiegel des Wassers im Meerbusen von Cariaco. Wir fanden im September die Temperatur der Luft im Innern durchaus zwischen 18 deg.,4 und 18 deg.,9 der hunderttheiligen Scale. Die aeussere Luft hatte 16 deg.,2. Beim Eingang der Hoehle zeigte der Thermometer an der Luft 17 deg.,6, aber im Wasser des unterirdischen Bachs bis hinten in der Hoehle 16 deg.,8. Diese Beobachtungen sind von grosser Bedeutung, wenn man ins Auge fasst, wie sich zwischen Wasser, Luft und Boden die Waerme ins Gleichgewicht zu setzen strebt. Ehe ich Europa verliess, beklagten sich die Physiker noch, dass man so wenig Anhaltspunkte habe, um zu bestimmen, was man ein wenig hochtrabend *die Temperatur des Erdinnern* heisst, und erst in neuerer Zeit hat man mit einigem Erfolg an der Loesung dieses grossen Problems der unterirdischen Meteorologie gearbeitet. Nur die Steinschichten, welche die Rinde unseres Planeten bilden, sind der unmittelbaren Forschung zugaenglich, und man weiss jetzt, dass die mittlere Temperatur dieser Schichten sich nicht nur nach der Breite und der Meereshoehe veraendert, sondern dass sie auch je nach der Lage des Orts im Verlauf des Jahrs regelmaessige Schwingungen um die mittlere Temperatur der benachbarten Luft beschreibt. Die Zeit ist schon fern, wo man sich wunderte, wenn man in andern Himmelsstrichen in Hoehlen und Brunnen eine andere Temperatur beobachtete, als in den Kellern der Pariser Sternwarte. Dasselbe Instrument, das in diesen Kellern 12 Grad zeigt, steigt in unterirdischen Raeumen auf Madera bei Funchal aus 16 deg.,2, im St. Josephsbrunnen in Cairo auf 21 deg.,2, in den Grotten der Insel Cuba auf 22-23 Grad. Diese Zunahme ist ungefaehr proportional der Zunahme der mittleren Lufttemperaturen vom 48. Grad der Breite bis zum Wendekreis. Wir haben eben gesehen, dass in der Hoehle des Guacharo das Wasser des Baches gegen 2 Grad kuehler ist als die umgebende Luft im unterirdischen Raum. Das Wasser, ob es nun durch das Gestein sickert oder ueber ein steinigtes Bette fliesst, nimmt unzweifelhaft die Temperatur des Gesteins oder des Bettes an. Die Luft in der Hoehle dagegen steht nicht still, sie communicirt mit der Atmosphaere draussen. Und wenn nun auch in der heissen Zone die Schwankungen in der aeussern Temperatur sehr unbedeutend sind, so bilden sich dennoch Stroemungen, durch welche die Luftwaerme im Innern periodische Veraenderungen erleidet. Demnach koennte man die Temperatur des Wassers, also 16 deg.,8, als die Bodentemperatur in diesen Bergen betrachten, wenn man sicher waere, dass das Wasser nicht rasch von benachbarten hoeheren Bergen herabkommt. Aus diesen Betrachtungen folgt, dass, wenn man auch keine ganz genauen Resultate erhaelt, sich doch in jeder Zone *Grenzzahlen* auffinden lassen. In Caripe, unter den Tropen, ist in 500 Toisen Meereshoehe die mittlere Temperatur der Erde nicht unter 16 deg.,8; diess geht aus der Messung der Temperatur des unterirdischen Wassers hervor. So laesst sich nun aber auch beweisen, dass diese Temperatur des Bodens nicht hoeher seyn kann als 19 deg., weil die Luft in der Hoehle im September 18 deg.,7 zeigt. Da die mittlere Luftwaerme im heissesten Monat 19 deg.,5 nicht uebersteigt, so wuerde man sehr wahrscheinlich zu keiner Zeit des Jahres den Thermometer in der Luft der Hoehle ueber 19 deg. steigen sehen. Diese Ergebnisse, wie so manche andere, die wir in dieser Reisebeschreibung mittheilen, moegen fuer sich betrachtet von geringem Belang scheinen; vergleicht man sie aber mit den kuerzlich von Leopold von Buch und Wahlenberg unter dem Polarcirkel angestellten Beobachtungen, so verbreiten sie Licht ueber den Haushalt der Natur im Grossen und ueber den bestaendigen Waermeaustausch zwischen Luft und Boden zu Herstellung des Gleichgewichts. Es ist kein Zweifel mehr, dass in Lappland die feste Erdrinde eine um 3 bis 4 Grad *hoehere* mittlere Temperatur hat als die Luft. Bringt die Kaelte, welche in den Tiefen des tropischen Meeres in Folge der Polarstroeme fortwaehrend herrscht, im heissen Erdstrich eine merkbare Verminderung der Temperatur des Bodens hervor? Ist diese Temperatur dort *niedriger* als die der Luft? Das wollen wir in der Folge untersuchen, wenn wir in den hohen Regionen der Cordilleren mehr Beobachtungen zusammengebracht haben werden. ------------------ 53 Ausser den Doerfern, in denen Eingeborene unter der Obhut eines Geistlichen stehen, nennt man in den spanischen Colonien *Mission* auch die jungen Moenche, die mit einander aus einem spanischen Hafen abgehen, um in der neuen Welt oder auf den Philippinen die Niederlassungen der Ordensgeistlichen zu ergaenzen. Daher der Ausdruck: "in Cadix eine neue *Mission* holen." 54 Der Megalonyx wurde in den Hoehlen von Green-Briar in Virginien gefunden, 1500 Meilen vom Megatherium, dem er sehr nahe steht und das so gross war wie ein Nashorn. ACHTES KAPITEL Abreise von Caripe. -- Berg und Wald Santa Maria. -- Die Mission Catuaro. -- Hafen von Cariaco. Rasch verflossen uns die Tage, die wir im Kapuzinerkloster in den Bergen von Caripe zubrachten, und doch war unser Leben so einfach als einfoermig. Von Sonnenaufgang bis Einbruch der Nacht streiften wir durch die benachbarten Waelder und Berge, um Pflanzen zu sammeln, deren wir nie genug beisammen haben konnten. Konnten wir des starken Regens wegen nicht weit hinaus, so besuchten wir die Huetten der Indianer, den Gemeinde-Conuco oder die Versammlungen, in denen die Alcaden jeden Abend die Arbeiten fuer den folgenden Tag austheilen. Wir kehrten erst ins Kloster zurueck, wenn uns die Glocke ins Refectorium an den Tisch der Missionaere rief. Zuweilen gingen wir mit ihnen frueh Morgens in die Kirche, um der "_Doctrina_" beizuwohnen, das heisst dem Religionsunterricht der Eingeborenen. Es ist ein zum wenigsten sehr gewagtes Unternehmen, mit Neubekehrten ueber Dogmen zu verhandeln, zumal wenn sie des Spanischen nur in geringem Grade maechtig sind. Andererseits verstehen gegenwaertig die Ordensleute von der Sprache der Chaymas so gut wie nichts, und die Aehnlichkeit gewisser Laute verwirrt den armen Indianern die Koepfe so sehr, dass sie sich die wunderlichsten Vorstellungen machen. Ich gebe nur Ein Beispiel. Wir sahen eines Tags, wie sich der Missionaer grosse Muehe gab, darzuthun, dass _infierno_ die Hoelle, und _invierno_ der Winter, nicht dasselbe Ding seyen, sondern so verschieden wie Hitze und Frost. Die Chaymas kennen keinen andern Winter als die Regenzeit, und unter der "Hoelle der Weissen" dachten sie sich einen Ort, wo die Boesen furchtbaren Regenguessen ausgesetzt seyen. Der Missionaer verlor die Geduld, aber es half Alles nichts: der erste Eindruck, den zwei aehnliche Consonanten hervorgebracht, war nicht mehr zu verwischen; im Kopfe der Neophyten waren die Vorstellungen Regen und Hoelle, _invierno_ und _infierno_, nicht mehr aus einander zu bringen. Nachdem wir fast den ganzen Tag im Freien zugebracht, schrieben wir Abends im Kloster unsere Beobachtungen und Bemerkungen nieder, trockneten unsere Pflanzen und zeichneten die, welche nach unserer Ansicht neue Gattungen bildeten. Die Moenche liessen uns volle Freiheit und wir denken mit Vergnuegen an einen Aufenthalt zurueck, der so angenehm als fuer unser Unternehmen foerderlich war. Leider war der bedeckte Himmel in einem Thal, wo die Waelder ungeheure Wassermassen an die Luft abgeben, astronomischen Beobachtungen nicht guenstig. Ich blieb Nachts oft lange auf, um den Augenblick zu benuetzen, wo sich ein Stern vor seinem Durchgang durch den Meridian zwischen den Wolken zeigen wuerde. Oft zitterte ich vor Frost, obgleich der Thermometer nie unter 16 Grad fiel. Es ist diess in unserem Klima die Tagestemperatur gegen Ende Septembers. Die Instrumente blieben mehrere Stunden im Klosterhof aufgestellt, und fast immer harrte ich vergebens. Ein paar gute Beobachtungen Fomahaults und Denebs im Schwan ergaben fuer Caripe 10 deg. 10' 14" Breite, wornach es auf der Karte von Caulin um 18', auf der von Arrowsmith um 14' unrichtig eingezeichnet ist. Der Verdruss, dass der bedeckte Himmel uns die Sterne entzog, war der einzige, den wir im Thal von Caripe erlebt. Wildheit und Friedlichkeit, Schwermuth und Lieblichkeit, beides zusammen ist der Charakter der Landschaft. Inmitten einer so gewaltigen Natur herrscht in unserm Innern nur Friede und Ruhe. Ja noch mehr, in der Einsamkeit dieser Berge wundert man sich weniger ueber die neuen Eindruecke, die man bei jedem Schritte erhaelt, als darueber, dass die verschiedensten Klimate so viele Zuege mit einander gemein haben. Auf den Huegeln, an die das Kloster sich lehnt, stehen Palmen und Baumfarn; Abends, wenn der Himmel auf Regen deutet, schallt das eintoenige Geheul der rothen Bruellaffen durch die Luft, das dem fernen Brausen des Windes im Walde gleicht. Aber trotz dieser unbekannten Toene, dieser fremdartigen Gestalten der Gewaechse, all dieser Wunder einer neuen Welt, laesst doch die Natur den Menschen aller Orten eine Stimme hoeren, die in vertrauten Lauten zu ihm spricht. Der Rasen am Boden, das alte Moos und das Farnkraut auf den Baumwurzeln, der Bach, der ueber die geneigten Kalksteinschichten niederstuerzt, das harmonische Farbenspiel von Wasser, Gruen und Himmel, Alles ruft dem Reisenden wohlbekannte Empfindungen zurueck. Die Naturschoenheiten dieser Berge nahmen uns voellig in Anspruch, und so wurden wir erst am Ende gewahr, dass wir den guten gastfreundlichen Moenchen zur Last fielen. Ihr Vorrath von Wein und Weizenbrod war nur gering, und wenn auch der eine wie das andere dort zu Lande bei Tisch nur als Luxusartikel gelten, so machte es uns doch sehr verlegen, dass unsere Wirthe sie sich selbst versagten. Bereits war unsere Brodration auf ein Viertheil herabgekommen, und doch noethigte uns der furchtbare Regen, unsere Abreise noch einige Tage zu verschieben. Wie unendlich lang kam uns dieser Aufschub vor! wie bange war uns vor der Glocke, die uns ins Refectorium rief! Das Zartgefuehl der Moenche liess uns recht lebhaft empfinden, wie ganz anders wir hier daran waren als die Reisenden, die darueber zu klagen haben, dass man ihnen in den coptischen Kloestern Ober-Egyptens ihren Mundvorrath entwendet. Endlich am 22. September brachen wir auf mit vier Maulthieren, die unsere Instrumente und Pflanzen trugen. Wir mussten den nordoestlichen Abhang der Kalkalpen von Neu-Andalusien, die wir als die grosse Kette des Brigantin und Cocollar bezeichnet, hinunter. Die mittlere Hoehe dieser Kette betraegt nicht leicht ueber 6-700 Toisen, und sie laesst sich in dieser wie in geologischer Hinsicht mit dem Jura vergleichen. Obgleich die Berge von Cumana nicht sehr hoch sind, so ist der Weg hinunter gegen Cariaco zu doch sehr beschwerlich, ja sogar gefaehrlich. Besonders beruechtigt ist in dieser Beziehung der Cerro de Santa Maria, an dem die Missionaere hinauf muessen, wenn sie sich von Cumana in ihr Kloster Caripe begeben. Oft, wenn wir diese Berge, die Anden von Peru, die Pyrenaeen und die Alpen, dir wir nach einander besucht, verglichen, wurden wir inne, dass die Berggipfel von der geringsten Meereshoehe nicht selten die unzugaenglichsten sind. Als das Thal von Caripe hinter uns lag, kamen wir zuerst ueber eine Huegelkette, die nordostwaerts vom Kloster liegt. Der Weg fuehrte immer bergan ueber eine weite Savane auf die Hochebene *Guardia de San Augustin*. Hier hielten wir an, um auf den Indianer zu warten, der den Barometer trug; wir befanden uns in 533 Toisen absoluter Hoehe, etwas hoeher als der Hintergrund der Hoehle des Guacharo. Die Savanen oder natuerlichen Wiesen, die den Klosterkuehen eine treffliche Weide bieten, sind voellig ohne Baum und Buschwerk. Es ist diess das eigentliche Bereich der Monocothyledonen, denn aus dem Grase erhebt sich nur da und dort eine Agave [_Agave americana_] (Maguey), deren Bluethenschaft ueber 26 Fuss hoch wird. Auf der Hochebene von Guardia sahen wir uns wie auf einen alten, vom langen Aufenthalt des Wassers wagrecht geebneten Seeboden versetzt, Man meint noch die Kruemmungen des alten Ufers zu erkennen, die vorspringenden Landzungen, die steilen Klippen, welche Eilande gebildet. Auf diesen frueheren Zustand scheint selbst die Vertheilung der Gewaechse hinzudeuten. Der Boden des Beckens ist eine Savane, waehrend die Raender mit hochstaemmigen Baeumen bewachsen sind. Es ist wahrscheinlich das hoechst gelegene Thal in den Provinzen Cumana und Venezuela. Man kann bedauern, dass ein Landstrich, wo man eines gemaessigten Klimas geniesst, und der sich ohne Zweifel zum Getreidebau eignete, voellig unbewohnt ist. Von dieser Ebene geht es fortwaehrend abwaerts bis zum indianischen Dorf Santa Cruz. Man kommt zuerst ueber einen jaehen, glatten Abhang, den die Missionaere seltsamerweise das *Fegefeuer* nennen. Er besteht aus verwittertem, mit Thon bedecktem Schiefersandstein und die Boeschung scheint furchtbar steil; denn in Folge einer sehr gewoehnlichen optischen Taeuschung scheint der Weg, wenn man oben auf der Anhoehe hinunter sieht, unter einem Winkel von mehr als 60 Grad geneigt. Beim Hinabsteigen naehern die Maulthiere die Hinterbeine den Vorderbeinen, senken das Kreuz und rutschen auf Gerathewohl hinab. Der Reiter hat nichts zu befahren, wenn er nur den Zuegel fahren laesst und dem Thiere keinerlei Zwang anthut. An diesem Punkte sieht man zur Linken die grosse Pyramide des Guacharo. Dieser Kalksteinkegel nimmt sich sehr malerisch aus, man verliert ihn aber bald wieder aus dem Gesicht, wenn man den dicken Wald betritt, der unter dem Namen *Montana de Santa Maria* bekannt ist. Es geht nun sieben Stunden lang in einem fort abwaerts, und kaum kann man sich einen entsetzlicheren Weg denken; es ist ein eigentlicher _chemin des echelles,_ eine Art Schlucht, in der waehrend der Regenzeit die wilden Wasser von Fels zu Fels abwaerts stuerzen. Die Stufen sind zwei bis drei Fuss hoch, und die armen Lastthiere messen erst den Raum ab, der erforderlich ist, um die Ladung zwischen den Baumstaemmen durchzubringen, und springen dann von einem Felsblock auf den andern. Aus Besorgniss, einen Fehltritt zu thun, bleiben sie eine Weile stehen, als wollten sie die Stelle untersuchen, und schieben die vier Beine zusammen wie die wilden Ziegen. Verfehlt das Thier den naechsten Steinblock, so sinkt es bis zum halben Leib in den weichen, ockerhaltigen Thon, der die Zwischenraeume der Steine ausfuellt. Wo diese fehlen, finden Menschen- und Thierbeine Halt an ungeheuren Baumwurzeln. Dieselben sind oft zwanzig Zoll dick und gehen nicht selten hoch ueber dem Boden vom Stamme ab. Die Creolen vertrauen der Gewandtheit und dem gluecklichen Instinkt der Maulthiere so sehr, dass sie auf dem langen, gefaehrlichen Wege abwaerts im Sattel bleiben. Wir stiegen lieber ab, da wir Anstrengung weniger scheuten, als jene, und gewoehnt waren langsam vorwaerts zu kommen, weil wir immer Pflanzen sammelten und die Gebirgsarten untersuchten. Da unser Chronometer so schonend behandelt werden musste, blieb uns nicht einmal eine Wahl. Der Wald, der den steilen Abhang des Berges von Santa Maria bedeckt, ist einer der dichtesten, die ich je gesehen. Die Baeume sind wirklich ungeheuer hoch und dick. Unter ihrem dichten, dunkelgruenen Laub herrscht bestaendig ein Daemmerlicht, ein Dunkel, weit tiefer als in unsern Tannen-, Eichen- und Buchenwaeldern. Es ist als koennte die Luft trotz der hohen Temperatur nicht all das Wasser aufnehmen, das der Boden, das Laub der Baeume, ihre mit einem uralten Filz von Orchideen, Peperomien und andern Saftpflanzen bedeckten Staemme ausduensten. Zu den aromatischen Geruechen, welche Bluethen, Fruechte, sogar das Holz verbreiten, kommt ein anderer, wie man ihn bei uns im Herbst bei nebligtem Wetter spuert. Wie in den Waeldern am Orinoco sieht man auch hier, wenn man die Baumwipfel ins Auge fasst, haeufig Dunststreifen an den Stellen, wo ein paar Sonnenstrahlen durch die dicke Lust dringen. Unter den majestaetischen Baeumen, die 120 bis 130 Fuss hoch werden, machten uns die Fuehrer auf den *Curucay* von Terecen aufmerksam, der ein weisslichtes, fluessiges, starkriechendes Harz gibt. Die indianischen Voelkerschaften der Cumanagotas und Tagires raeucherten einst damit vor ihren Goetzen. Die jungen Zweige haben einen angenehmen, aber etwas zusammenziehenden Geschmack. Nach dem Curucay und ungeheuren, ueber 9 und 10 Fuss dicken Hymenaeastaemmen nahmen unsere Aufmerksamkeit am meisten in Anspruch: das Drachenblut (_Croton sanguifluum_), dessen purpurbrauner Saft an der weissen Rinde herabfliesst; der Farn *Calahuala*, der nicht derselbe ist wie der in Peru, aber fast eben so heilkraeftig, und die Irasse-, Macanilla-, Corozo- und Pragapalmen. Letztere gibt einen sehr schmackhaften "Palmkohl," den wir im Kloster Caripe zuweilen gegessen. Von diesen Palmen mit gefiederten, stachligten Blaettern stachen die Baumfarn aeusserst angenehm ab. Einer derselben, _Cyathea speciosa_ wird ueber 35 Fuss hoch, eine ungeheure Groesse fuer ein Gewaechs aus dieser Familie. Wir fanden hier und im Thal von Caripe fuenf neue Arten Baumfarn; zu Linnes Zeit kannten die Botaniker ihrer nicht vier auf beiden Continenten. Man bemerkt, dass die Baumfarn im Allgemeinen weit seltener sind als die Palmen. Die Natur hat ihnen gemaessigte, feuchte, schattige Standorte angewiesen. Sie scheuen den unmittelbaren Sonnenstrahl, und waehrend der Pumos, die Corypha der Steppen und andere amerikanische Palmenarten die kahlen, gluehend heissen Ebenen aussuchen, bleiben die Farn mit Baumstaemmen, die von weitem wie Palmen aussehen, dem ganzen Wesen cryptogamer Gewaechse treu. Sie lieben versteckte Plaetze, das Daemmerlicht, eine feuchte, gemaessigte, stockende Luft. Wohl gehen sie hie und da bis zur Kueste hinab, aber dann nur im Schutze dichten Schattens. Dem Fusse des Berges von Santa Maria zu wurden die Baumfarn immer seltener, die Palmen haeufiger. Die schoenen Schmetterlinge mit grossen Fluegeln, die Nymphalen, die ungeheuer hoch fliegen, mehrten sich: Alles deutete darauf, dass wir nicht mehr weit von der Kueste und einem Landstrich waren, wo die mittlere Tagestemperatur 28-30 Grad der hunderttheiligen Scale betraegt. Der Himmel war bedeckt und drohte mit einem der Guesse, bei denen zuweilen 1 bis 1,3 Zoll Regen an Einem Tage faellt. Die Sonne beschien hin und wieder die Baumwipfel, und obgleich wir vor ihrem Strahl geschuetzt waren, erstickten wir beinahe vor Hitze. Schon rollte der Donner in der Ferne, die Wolken hingen am Gipfel des hohen Guacharogebirgs, und das klaegliche Geheul der Araguatos, das wir in Caripe bei Sonnenuntergang so oft gehoert hatten, verkuendete den nahen Ausbruch des Gewitters. Wir hatten hier zum erstenmal Gelegenheit, diese Heulaffen in der Naehe zu sehen. Sie gehoeren zur Gattung _Alouate_ (_Stentor_, Geoffroy), deren verschiedene Arten von den Zoologen lange verwechselt worden sind. Waehrend die kleinen amerikanischen Sapajus, die wie Sperlinge pfeifen, ein einfaches, duennes Zungenbein haben, liegt die Zunge bei den grossen Affen, den Alouaten und Marimondas, ans einer grossen Knochentrommel. Ihr oberer Kehlkopf hat sechs Taschen, in denen sich die Stimme faengt, und wovon zwei, taubennestfoermige, grosse Aehnlichkeit mit dem untern Kehlkopf der Voegel haben. Der den Araguatos eigene klaegliche Ton entsteht, wenn die Luft gewaltsam in die knoecherne Trommel einstroemt. Ich habe diese den Anatomen nur sehr unvollstaendig bekannten Organe an Ort und Stelle gezeichnet und die Beschreibung nach meiner Rueckkehr nach Europa bekannt gemacht [_Observations de zoologie_]. Bedenkt man, wie gross bei den Alouatos die Knochenschachtel ist und wie viele Heulaffen in den Waeldern von Cumana und Guyana auf einem einzigen Baum beisammensitzen, so wundert man sich nicht mehr so sehr ueber die Staerke und den Umfang ihrer vereinigten Stimmen. Der Araguato, bei den Tamanacas-Indianern Aravata, bei den Maypures Marave genannt, gleicht einem jungen Baeren. Er ist vom Scheitel des kleinen, stark zugespitzten Kopfes bis zum Anfang des Wickelschwanzes drei Fuss lang; sein Pelz ist dicht und rothbraun von Farbe; auch Brust und Bauch sind schoen behaart, nicht nackt wie beim _Mono colorado_ oder Bueffons _Alouate roux_ den wir auf dem Wege von Carthagena nach Santa-Fe de Bogota genau beobachtet haben. Das Gesicht des Araguato ist blauschwarz, die Haut desselben fein und gefaltet. Der Bart ist ziemlich lang, und trotz seines kleinen Gesichtswinkels von nur 30 Grad hat er in Blick und Gesichtsausdruck so viel Menschenaehnliches als die Marimonda (_Simia Belzebuth_) und der Kapuziner am Orinoco (_S. chiropotes_). Bei den Tausenden von Araguatos, die uns in den Provinzen Cumana, Caracas und Guyana zu Gesicht gekommen, haben wir nie weder an einzelnen Exemplaren, noch an ganzen Banden einen Wechsel im Rothbraun des Pelzes an Ruecken und Schultern wahrgenommen. Durch die Farbe unterschiedene Spielarten schienen mir ueberhaupt bei den Affen nicht so haeufig zu seyn, als die Zoologen annehmen, und bei den gesellig lebenden Arten sind sie vollends sehr selten. Der Araguato bei Caripe ist eine neue Art der Gattung _Stentor_, die ich unter dem Namen _Simia ursina_ bekannt gemacht habe. Ich habe ihn lieber so benannt als nach der Farbe des Pelzes, und zwar desto mehr, da die Griechen bereits einen stark behaarten Affen unter dem Namen _Arctopithekos_ kannten. Derselbe unterscheidet sich sowohl vom Uarino (_Simia Guariba_) als vom _Alouate roux_ (_S. Seniculus_). Blick, Stimme, Gang, Alles an ihm ist truebselig. Ich habe ganz junge Araguatos gesehen, die in den Huetten der Indianer aufgezogen wurden; sie spielen nie wie die kleinen Sagoins, und Lopez del Gomara schildert zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts ihr ernstes Wesen sehr naiv, wenn er sagt: "*Der Aranata de los Cumaneses* hat ein Menschengesicht, einen Ziegenbart und eine gravitaetische Haltung (_honrado gesto_)." Ich habe anderswo die Bemerkung gemacht, dass die Affen desto truebseliger sind, je mehr Menschenaehnlichkeit sie haben. Ihre Munterkeit und Beweglichkeit nimmt ab, je mehr sich die Geisteskraefte bei ihnen zu entwickeln scheinen. Wir hatten Halt gemacht, um den Heulaffen zuzusehen, wie sie zu dreissig, vierzig in einer Reihe von Baum zu Baum auf den verschlungenen wagrechten Aesten ueber den Weg zogen. Waehrend dieses neue Schauspiel uns ganz in Anspruch nahm, kam uns ein Trupp Indianer entgegen, die den Bergen von Caripe zuzogen. Sie waren voellig nackt, wie meistens die Eingeborenen hier zu Lande. Die ziemlich schwer beladenen Weiber schlossen den Zug; die Maenner, sogar die kleinsten Jungen, waren alle mit Bogen und Pfeilen bewaffnet. Sie zogen still, die Augen am Boden, ihres Wegs. Wir haetten gerne von ihnen erfahren, ob es noch weit nach der Mission Santa Cruz sey, wo wir uebernachten wollten. Wir waren voellig erschoepft und der Durst quaelte uns furchtbar. Die Hitze wurde drueckender, je naeher das Gewitter kam, und wir hatten auf unserem Weg keine Quelle gefunden, um den Durst zu loeschen. Da die Indianer uns immer _si Padre, no Padre_ zur Antwort gaben, meinten wir, sie verstehen ein wenig Spanisch. In den Augen der Eingeborenen ist jeder Weisse ein Moench, ein Pater; denn in den Missionen zeichnet sich der Geistliche mehr durch die Hautfarbe als durch die Farbe des Gewandes aus. Wie wir auch den Indianern mit Fragen, wie weit es noch sey, zusetzten, sie erwiederten offenbar auf gerathewohl _si_ oder _no_, und wir konnten aus ihren Antworten nicht klug werden. Diess war uns um so verdriesslicher, da ihr Laecheln und ihr Geberdenspiel verriethen, dass sie uns gerne gefaellig gewesen waeren, und der Wald immer dichter zu werden schien. Wir mussten uns trennen; die indianischen Fuehrer, welche die Chaymassprache verstanden, waren noch weit zurueck, da die beladenen Maulthiere bei jedem Schritt in den Schluchten stuerzten. Nach mehreren Stunden bestaendig abwaerts ueber zerstreute Felsbloecke sahen wir uns unerwartet am Ende des Waldes von Santa Maria. So weit das Auge reichte, lag eine Grasflur vor uns, die sich in der Regenzeit frisch begruent hatte. Links sahen wir in ein enges Thal hinein, das sich dem Guacharogebirge zuzieht und im Hintergrunde mit dichtem Walde bedeckt ist. Der Blick streifte ueber die Baumwipfel weg, die 800 Fuss tief unter dem Weg sich wie ein hingebreiteter, dunkelgruener Teppich ausnahmen. Die Lichtungen im Walde glichen grossen Trichtern, in denen wir an der zierlichen Gestalt und den gefiederten Blaettern Praga- und Irassepalmen erkannten. Vollends malerisch wird die Landschaft dadurch, dass die Sierra del Guacharo vor einem liegt. Ihr noerdlicher, dem Meerbusen von Cariaco zugekehrter Abhang ist steil und bildet eine Felsmauer, ein fast senkrechtes Profil, ueber dreitausend Fuss hoch. Diese Wand ist so schwach bewachsen, dass man die Linien der Kalkschichten mit dem Auge verfolgen kann. Der Gipfel der Sierra ist abgeplattet und nur am Ostende erhebt sich, gleich einer geneigten Pyramide, der majestaetische Pic Guacharo. Seine Gestalt erinnert an die Aiguilles und Hoerner der Schweizer Alpen (Schreckhoerner, Finsteraarhorn). Da die meisten Berge mit steilem Abhang hoeher scheinen, als sie wirklich sind, so ist es nicht zu verwundern, dass man in den Missionen der Meinung ist, der Guacharo ueberrage den Turimiquiri und den Brigantin. Die Savane, ueber die wir zum indianischen Dorfe Santa Cruz zogen, besteht aus mehreren sehr ebenen Plateaus, die wie Stockwerke ueber einander liegen. Diese geologische Erscheinung, die in allen Erdstrichen vorkommt, scheint darauf hinzudeuten, dass hier lange Zeit Wasserbecken uebereinander lagen und sich in einander ergossen. Der Kalkstein geht nicht mehr zu Tage aus; er ist mit einer dicken Schicht Dammerde bedeckt. Wo wir ihn im Walde von Santa Maria zum letztenmale sahen, fanden wir Nester von Eisenerz darin, und, wenn wir recht gesehen haben, ein Ammonshorn; es gelang uns aber nicht, es loszubrechen. Es mass sieben Zoll im Durchmesser. Diese Beobachtung ist um so interessanter, als wir sonst in diesem Theile von Suedamerika nirgends einen Ammoniten gesehen haben. Die Mission Santa Cruz liegt mitten in der Ebene. Wir kamen gegen Abend daselbst an, halb verdurstet, da wir fast acht Stunden kein Wasser gehabt hatten. Der Thermometer zeigte 26 Grad; wir waren auch nur noch 190 Toisen ueber dem Meer. Wir brachten die Nacht in einer der Ajupas zu, die man "Haeuser des Koenigs" nennt, und die, wie schon oben bemerkt, den Reisenden als *Tombo* oder Caravanserai dienen. Wegen des Regens war an keine Sternbeobachtung zu denken, und wir setzten des andern Tags, 23. September, unsern Weg zum Meerbusen von Cariaco hinunter fort. Jenseits Santa Cruz faengt der dichte Wald von Neuem an. Wir fanden daselbst unter Melastomenbueschen einen schoenen Farn mit Blaettern gleich denen der Osmunda, die in der Ordnung der Polypodiaceen eine neue Gattung (_Polybotria_) bildet. Von der Mission Catuaro aus wollten wir ostwaerts ueber Santa Rosalia, Casanay, San Josef, Carupano, Rio-Carives und den Berg Paria gehen, erfuhren aber zu unserern grossen Verdruss, dass der starke Regen die Wege bereits ungangbar gemacht habe und wir Gefahr laufen, unsere frisch gesammelten Pflanzen zu verlieren. Ein reicher Cacaopflanzer sollte uns von Santa Rosalia in den Hafen von Carupano begleiten. Wir hatten noch zu rechter Zeit gehoert, dass er in Geschaeften nach Cumana muesse. So beschlossen wir denn, uns in Cariaco einzuschiffen und gerade ueber den Meerbusen, statt zwischen der Insel Margarita und der Landenge Araya durch, nach Cumana zurueckzufahren. Die Mission Catuaro liegt in ungemein wilder Umgebung. Hochstaemmige Baeume stehen noch um die Kirche her und die Tiger fressen bei Nacht den Indianern ihre Huehner und Schweine. Wir wohnten beim Geistlichen, einem Moenche von der Congregation der Observanten, dem die Kapuziner die Mission uebergeben hatten, weil es ihrem eigenen Orden an Leuten fehlte. Er war ein Doktor der Theologie, ein kleiner, magerer, fast uebertrieben lebhafter Mann; er unterhielt uns bestaendig von dem Process, den er mit dem Gardian seines Klosters fuehrte, von der Feindschaft seiner Ordensbrueder, von der Ungerechtigkeit der Alcaden, die ihn ohne Ruecksicht auf seine Standesvorrechte ins Gefaengniss geworfen. Trotz dieser Abenteuer war ihm leider die Liebhaberei geblieben, sich mit metaphysischen Fragen, wie er es nannte, zu befassen. Er wollte meine Ansicht hoeren ueber den freien Willen, ueber die Mittel, die Geister von ihren Koerperbanden frei zu machen, besonders aber ueber die Thierseelen, lauter Dinge, ueber die er die seltsamsten Ideen hatte. Wenn man in der Regenzeit sich durch Waelder durchgearbeitet hat, ist man zu Spekulationen der Art wenig aufgelegt. Uebrigens war in der kleinen Mission Catuaro Alles ungewoehnlich, sogar das Pfarrhaus. Es hatte zwei Stockwerke und hatte dadurch zu einem hitzigen Streit zwischen den weltlichen und geistlichen Behoerden Anlass gegeben. Dem Gardian der Kapuziner schien es zu vornehm fuer einen Missionaer und er hatte die Indianer zwingen wollen, es niederzureissen; der Statthalter hatte kraeftige Einsprache gethan und auch seinen Willen gegen die Moenche durchgesetzt. Ich erwaehne dergleichen an sich unbedeutende Vorfaelle nur, weil sie einen Blick in die innere Verwaltung der Missionen werfen lassen, die keineswegs immer so friedlich ist, als man in Europa glaubt. Wir trafen in der Mission Catuaro den Corregidor des Distrikts, einen liebenswuerdigen, gebildeten Mann. Er gab uns drei Indianer mit, die mit ihren Machetes vor uns her einen Weg durch den Wald bahnen sollten. In diesem wenig betretenen Lande ist die Vegetation in der Regenzeit so ueppig, dass ein Mann zu Pferd auf den schmalen, mit Schlingpflanzen und verschlungenen Baumaesten bedeckten Fusssteigen fast nicht durchkommt. Zu unserem grossen Verdruss wollte der Missionaer von Catuaro uns durchaus nach Cariaco begleiten. Wir konnten es nicht ablehnen; er liess uns jetzt mit seinen Faseleien ueber die Thierseelen und den menschlichen freien Willen in Ruhe, er hatte uns aber nunmehr von einem ganz andern, traurigeren Gegenstand zu unterhalten. Den Unabhaengigkeitsbestrebungen, die im Jahr 1798 in Caracas beinahe zu einem Ausbruch gefuehrt haetten, war eine grosse Aufregung unter den Negern zu Coro, Maracaybo und Cariaco vorangegangen und gefolgt. In letzterer Stadt war ein armer Neger zum Tod verurtheilt worden, und unser Wirth, der Seelsorger von Catuaro, ging jetzt hin, um ihm seinen geistlichen Beistand anzubieten. Wie lang kam uns der Weg vor, auf dem wir uns in Verhandlungen einlassen mussten "ueber die Nothwendigkeit des Sklavenhandels, ueber die angeborene Boesartigkeit der Schwarzen, ueber die Segnungen, welche der Race daraus erwachsen, dass sie als Sklaven unter Christen leben!" Gegenueber dem "Code noir" der meisten andern Voelker, welche Besitzungen in beiden Indien haben, ist die spanische Gesetzgebung unstreitig sehr mild. Aber vereinzelt, auf kaum urbar gemachtem Boden leben die Neger in Verhaeltnissen, dass die Gerechtigkeit, weit entfernt sie im Leben kraeftig schuetzen zu koennen, nicht einmal im Stande ist die Barbareien zu bestrafen, durch die sie ums Leben kommen. Leitet man eine Untersuchung ein, so schreibt man den Tod des Sklaven seiner Kraenklichkeit zu, dem heissen, nassen Klima, den Wunden, die man ihm allerdings beigebracht, die aber gar nicht tief und durchaus nicht gefaehrlich gewesen. Die buergerliche Behoerde ist in Allem, was die Haussklaverei angeht, machtlos, und wenn man ruehmt, wie guenstig die Gesetze wirken, nach denen die Peitsche die und die Form haben muss und nur so und so viel Streiche *auf einmal* gegeben werden duerfen, so ist das reine Taeuschung. Leute, die nicht in den Colonien oder doch nur auf den Antillen gelebt haben, sind meist der Meinung, da es im Interesse des Herrn liege, dass seine Sklaven ihm erhalten bleiben, muessen sie desto besser behandelt werden, je weniger ihrer seyen. Aber in Cariaco selbst, wenige Wochen bevor ich in die Provinz kam, toedtete ein Pflanzer, der nur acht Neger hatte, ihrer sechs durch unmenschliche Hiebe. Er zerstoerte muthwillig den groessten Theil seines Vermoegens. Zwei der Sklaven blieben auf der Stelle todt, mit den vier andern, die kraeftiger schienen, schiffte er sich nach dem Hafen von Cumana ein, aber sie starben auf der Ueberfahrt. Vor dieser abscheulichen That war im selben Jahr eine aehnliche unter gleich empoerenden Umstaenden begangen worden. Solche furchtbare Unthaten blieben so gut wie unbestraft; der Geist, der die Gesetze macht, und der, der sie vollzieht, haben nichts mit einander gemein. Der Statthalter von Cumana war ein gerechter, menschenfreundlicher Mann; aber die Rechtsformen sind streng vorgeschrieben und die Gewalt des Statthalters geht nicht so weit, um Missbraeuche abzustellen, die nun einmal von jedem europaeischen Colonisationssystem untrennbar sind. Der Weg durch den Wald von Catuaro ist nicht viel anders als der vom Berge Santa Maria herab; auch sind die schlimmsten Stellen hier eben so sonderbar getauft wie dort. Man geht wie in einer engen, durch die Bergwasser ausgespuelten, mit feinem, zaehem Thon gefuellten Furche dahin. Bei den jaehsten Abhaengen senken die Maulthiere das Kreuz und rutschen hinunter; das nennt man nun *Saca-Manteca*, weil der Koth so weich ist wie *Butter*. Bei der grossen Gewandtheit der einheimischen Maulthiere ist dieses Hinabgleiten ohne alle Gefahr. Der Weg fuehrt ueber die Felsschichten herab, die am Ausgehenden Stufen von verschiedener Hoehe bilden, und so ist es auch hier ein wahrer "chemin des echelles." Weiterhin, wenn man zum Wald heraus ist, kommt man zum Berge *Buenavista*. Er verdient den Namen, denn von hier sieht man die Stadt Cariaco in einer weiten, mit Pflanzungen, Huetten und Gruppen von Cocospalmen bedeckten Ebene. Westwaerts von Cariaco breitet sich der weite Meerbusen aus, den eine Felsmauer vom Ocean trennt; gegen Ost zeigen sich, gleich blauen Wolken, die hohen Gebirge von Areo und Paria. Es ist eine der weitesten, prachtvollsten Aussichten an der Kueste von Neu-Andalusien. Wir fanden in Cariaco einen grossen Theil der Einwohner in ihren Haengematten krank am Wechselfieber. Diese Fieber werden im Herbst boesartig und gehen in Ruhren ueber. Bedenkt man, wie ausserordentlich fruchtbar und feucht die Ebene ist, und welch ungeheure Masse von Pflanzenstoff hier zersetzt wird, so sieht man leicht, warum die Luft hier nicht so gesund seyn kann wie ueber dem duerren Boden von Cumana. Nicht leicht finden sich in der heissen Zone grosse Fruchtbarkeit des Bodens, haeufige, lange dauernde Wasserniederschlaege, eine ungemein ueppige Vegetation beisammen, ohne dass diese Vortheile durch ein Klima ausgewogen wuerden, das der Gesundheit der Weissen mehr oder weniger gefaehrlich wird. Aus denselben Ursachen, welche den Boden so fruchtbar machen und die Entwicklung der Gewaechse beschleunigen, entwickeln sich auch Gase aus dem Boden, die sich mit der Luft mischen und sie ungesund machen. Wir werden oft Gelegenheit haben, auf die Verknuepfung dieser Erscheinungen zurueckzukommen, wenn wir den Cacaobau und die Ufer des Orinoco beschreiben, wo es Flecke gibt, an denen sich sogar die Eingeborenen nur schwer acclimatisiren. Im Thale von Cariaco haengt uebrigens die Ungesundheit der Luft nicht allein von den eben erwaehnten allgemeinen Ursachen ab; es machen sich dabei auch lokale Verhaeltnisse geltend. Es wird nicht ohne Interesse seyn, den Landstrich, der die Meerbusen von Cariaco und von Paria von einander trennt, naeher zu betrachten. Vom Kalkgebirge des Brigantin und Cocollar laeuft ein starker Ast nach Nord und haengt mit dem Urgebirg an der Kueste zusammen. Dieser Ast heisst _Sierra de Meapire_; der Stadt Cariaco zu fuehrt er den Namen _Cerro grande de Cariaco_. Er schien mir im Durchschnitt nicht ueber 150-200 Toisen hoch; wo ich ihn untersuchen konnte, besteht er aus dem Kalkstein des Uferstrichs. Mergel- und Kalkschichten wechseln mit andern, welche Quarzkoerner enthalten. Wer die Reliefbildung des Landes zu seinem besondern Studium macht, muss es auffallend finden, dass ein quergelegter Gebirgskamm unter rechtem Winkel zwei Ketten verbindet, deren eine, suedliche, aus secundaeren Gebirgsbildungen besteht, waehrend die andere, noerdliche, Urgebirge ist. Auf dem Gipfel des Cerro de Meapire sieht man das Gebirge einerseits nach dem Meerbusen von Paria, andererseits nach dem von Cariaco sich abdachen. Ostwaerts und westwaerts vom Kamm liegt ein niedriger, sumpfiger Boden, der ohne Unterbrechung fortstreicht, und nimmt man an, dass die beiden Meerbusen dadurch entstanden sind, dass der Boden durch Erdbeben zerrissen worden ist und sich gesenkt hat, so muss man voraussetzen, dass der Cerro de Meapire diesen gewaltsamen Erschuetterungen widerstanden hat, so dass der Meerbusen von Paria und der von Cariaco nicht zu Einem verschmelzen konnten. Waere dieser Felsdamm nicht da, so bestuende wahrscheinlich auch die Landenge nicht. Vom Schlosse Araya bis zum Cap Paria wuerde die ganze Gebirgsmasse an der Kueste eine schmale, Margarita parallel laufende, viermal laengere Insel bilden. Diese Ansichten gruenden sich nicht nur auf unmittelbare Untersuchung des Bodens und die Schluesse aus der Reliefbildung desselben; schon ein Blick auf die Umrisse der Kuesten und die geognostische Karte des Landes muss auf dieselben Gedanken bringen. Die Insel Margarita hat, wie es scheint, frueher mit der Kuestenkette von Araya durch die Halbinsel Chacopata und die caraibischen Inseln Lobo und Coche zusammengehangen, wie die Kette noch jetzt mit den Gebirgen des Cocollar und von Caripe durch den Gebirgskamm Meapire zusammenhaengt. Im gegenwaertigen Zustand der Dinge sieht man die feuchten Ebenen, die ost- und westwaerts vom Kamm streichen und uneigentlich die Thaeler von San Bonifacio und Cariaco heissen, sich fortwaehrend in das Meer hinaus verlaengern. Das Meer zieht sich zurueck, und diese Verrueckung der Kueste ist besonders bei Cumana auffallend. Wenn die Hoehenverhaeltnisse des Bodens darauf hinweisen, dass die Meerbusen von Cariaco und Paria frueher einen weit groesseren Umfang hatten, so laesst sich auch nicht in Zweifel ziehen, dass gegenwaertig das Land sich allmaehlich vergroessert. Bei Cumana wurde im Jahr 1791 eine Batterie, die sogenannte Bocca, dicht am Meer gebaut, im Jahr 1799 sahen wir sie weit im Lande liegen. An der Muendung des Rio Nevari, beim Morro de Nueva Barcelona, zieht sich das Meer noch rascher zurueck. Diese lokale Erscheinung ruehrt wahrscheinlich von Anschwemmungen her, deren Zunahmeverhaeltnisse noch nicht gehoerig beobachtet sind. Geht man von der Sierra de Meapire, welche die Landenge zwischen den Ebenen von San Bonifacio und von Cariaco bildet, herab, so kommt man gegen Ost an den grossen Putacuao, der mit dem Rio Areo in Verbindung steht und 4-5 Meilen breit ist. Das Gebirgsland um dieses Becken ist nur den Eingeborenen bekannt. Hier kommen die grossen Boas vor, welche die Chaymas-Indianer *Guainas* nennen, und denen sie einen Stachel unter dem Schwanz andichten. Geht man von der Sierra Meapire nach West hinunter, so betritt man zuerst einen "hohlen Boden" (_tierra hueca_), der bei dem grossen Erdbeben des Jahres 1766 in zaehes Erdoel gehuellten Asphalt auswarf; weiterhin sieht man eine Unzahl warmer, schwefelwasserstoffhaltiger Quellen aus dem Boden brechen, und endlich kommt man zum See Campoma, dessen Ausduenstungen zum Theil die Ungesundheit des Klimas von Cariaco veranlassen. Die Eingeborenen glauben, der Boden sey desshalb hohl, weil die warmen Wasser sich hier aufgestaut haben, und nach dem Schall des Hufschlags scheinen sich die unterirdischen Hoehlungen von West nach Ost bis Casanay, drei bis viertausend Toisen weit zu erstrecken. Ein Fluesschen, der Rio Azul, laeuft durch diese Ebenen. Sie sind zerklueftet in Folge von Erdbeben, die hier einen besondern Herd haben und sich selten bis Cumana fortpflanzen. Das Wasser des Rio Azul ist kalt und hell; er entspringt am westlichen Abhang des Meapire, und man glaubt, er sey desshalb so stark, weil das Gewaesser des Putacuao-Sees auf der andern Seite des Gebirgszugs durchsickere. Das Fluesschen und die schwefelwasserstoffhaltigen Quellen ergiessen sich zusammen in die Laguna de Campoma. So heisst ein weites Sumpfland, das in der trockenen Jahreszeit in drei Becken zerfaellt, die nordwestlich von der Stadt Cariaco am Ende des Meerbusens liegen. Uebelriechende Duenste steigen fortwaehrend vom stehenden Sumpfwasser auf. Sie riechen nach Schwefelwasserstoff und zugleich nach faulen Fischen und zersetzten Vegetabilien. Die Miasmen bilden sich im Thale von Cariaco gerade wie in der roemischen Campagna; aber durch die tropische Hitze wird ihre verderbliche Kraft gesteigert. Durch die Lage der Laguna von Campoma wird der Nordwest, der sehr oft nach Sonnenuntergang weht, den Einwohnern der kleinen Stadt Cariaco hoechst gefaehrlich. Sein Einfluss unterliegt desto weniger einem Zweifel, da die Wechselfieber dem Sumpfe zu, der der Hauptherd der faulen Miasmen ist, immer haeufiger in Nervenfieber uebergehen. Ganze Familien freier Neger, die an der Nordkueste des Meerbusens von Cariaco kleine Pflanzungen besitzen, liegen mit Eintritt der Regenzeit siech in ihren Haengematten. Diese Fieber nehmen den Charakter remittirender boesartiger Fieber an, wenn man sich, erschoepft von langer Arbeit und starker Hautansduenstung, dem feinen Regen aussetzt, der gegen Abend haeufig faellt. Die Farbigen, besonders aber die Creolenneger, widerstehen den klimatischen Einfluessen mehr als irgend ein anderer Menschenschlag. Man behandelt die Kranken mit Limonade, mit dem Aufguss von _Scoparia dulcis_, selten mit Euspare, das heisst mit der Chinarinde von Angostura. Im Ganzen ist bei den Epidemien in Cariaco die Sterblichkeit geringer, als man erwarten sollte. Wenn das Wechselfieber mehrere Jahre hinter einander einen Menschen befaellt, so greift es den Koerper stark an und bringt ihn herunter; aber dieser Schwaechezustand, der in ungesunden Gegenden so haeufig vorkommt, fuehrt nicht zum Tode. Auch ist es merkwuerdig, dass hier, wie in der roemischen Campagna, der Glaube herrscht, die Luft sey in dem Masse ungesunder geworden, je mehr Morgen Landes man urbar gemacht. Die Miasmen, die diesen Ebenen entsteigen, haben indessen nichts gemein mit jenen, die sich bilden, wenn man einen Wald niederschlaegt und nun die Sonne eine dicke Schicht abgestorbenen Laubs erhitzt; bei Cariaco ist das Land kahl und sehr sparsam bewaldet. Soll man glauben, dass frisch ausgewaehlte und vom Regen durchfeuchtete Dammerde die Luft mehr verderbt als der dichte Pflanzenfilz, der einen nicht bebauten Boden bedeckt? Zu diesen oertlichen Ursachen kommen andere, weniger zweifelhafte. Das nahe Meeresufer ist mit Manglebaeumen, Avicennien und andern Baumarten mit adstringirender Rinde bedeckt. Alle Tropenbewohner sind mit den schaedlichen Ausduenstungen dieser Gewaechse bekannt, und man fuerchtet sie desto mehr, wenn Wurzeln und Stamm nicht immer unter Wasser stehen, sondern abwechselnd nass und von der Sonne erhitzt werden. Die Manglebaeume erzeugen Miasmen, weil sie, wie ich anderswo gezeigt habe, einen thierisch-vegetabilischen, an Gerbstoff gebundenen Stoff enthalten. Man behauptet, der Kanal, durch den die Laguna de Campoma mit dem Meer zusammenhaengt, liesse sich leicht erweitern und so dem stehenden Wasser ein Abfluss verschaffen. Die freien Neger, die das Sumpfland haeufig betreten, versichern sogar, der Durchstich brauchte gar nicht tief zu seyn, da das kalte, klare Wasser des Rio Azul sich auf dem Boden des Sees befindet und man beim Nachgraben aus den untern Schichten trinkbares, geruchloses Wasser erhaelt. Die Stadt Cariaco ist mehreremale von den Caraiben verheert worden. Die Bevoelkerung hat rasch zugenommen, seit die Provinzialbehoerden, den Verboten des Madrider Hofs zuwider, nicht selten dem Handel mit fremden Colonien Vorschub geleistet haben. Sie hat sich in zehn Jahren verdoppelt und betrug im Jahr 1800 ueber 6000 Seelen. Die Einwohner treiben sehr fleissig Baumwollenbau; die Baumwolle ist sehr schoen und es werden mehr als 10,000 Centner erzeugt. Die leeren Huelsen der Baumwolle werden sorgsam verbrannt; wirft man sie in den Fluss, wo sie faulen, so erzeugen sie Ausduenstungen, die man fuer schaedlich haelt. Der Bau des Cacaobaums hat in letzter Zeit sehr abgenommen. Dieser koestliche Baum traegt erst im achten bis zehnten Jahr. Die Frucht ist schwer in Magazinen aufzubewahren, und nach Jahresfrist "geht sie an," wenn sie noch so sorgfaeltig getrocknet worden ist. Dieser Nachtheil ist fuer den Colonisten von grossem Belang. Auf diesen Kuesten ist je nach der Laune eines Ministeriums und dem mehr oder minder kraeftigen Widerstand der Statthalter der Handel mit den Neutralen bald verboten, bald mit gewissen Beschraenkungen gestattet. Die Nachfrage nach einer Waare und die Preise, die sich nach der Nachfrage bestimmen, unterliegen daher dem raschesten Wechsel. Der Colonist kann sich diese Schwankungen nicht zu Nutze machen, weil sich der Cacao in den Magazinen nicht haelt. Die alten Cacaostaemme, die meist nur bis zum vierzigsten Jahre tragen, sind daher nicht durch junge ersetzt worden. Im Jahr 1792 zaehlte man ihrer noch 254,000 im Thal von Cariaco und am Ufer des Meerbusens. Gegenwaertig zieht man andere Culturzweige vor, welche gleich im ersten Jahr einen Ertrag liefern, und deren Produkte nicht nur nicht so lange aus sich warten lassen, sondern auch leichter aufzubewahren sind. Solche sind Baumwolle und Zucker, die nicht der Verderbniss unterliegen wie der Cacao und sich aufbewahren lassen, so dass man sie im guenstigsten Zeitpunkt losschlagen kann. Die Umwandlungen, die in Folge der fortschreitenden Cultur und des Verkehrs mit Fremden Sitten und Charakter der Kuestenbewohner erlitten, haben anuch bestimmend mitgewirkt, wenn sie jetzt diesem und jenem Culturzweig den Vorzug geben. Jenes Mass in der sinnlichen Begierde, jene Geduld, die lange warten kann, jene Gemuethsruhe, welche die truebselige Eintoenigkeit des einsamen Lebens ertragen laesst, verschwinden nach und nach aus dem Charakter der Hispano-Amerikaner. Sie werden unternehmender, leichtsinniger, beweglicher und werfen sich mehr auf Unternehmungen, die einen raschen Ertrag geben. Nur im Innern der Provinz, ostwaerts von der Sierra de Meapire, auf dem unbebauten Boden von Carupano an durch das Thal San Bonifacio bis zum Meerbusen von Paria entstehen neue Cacaopflanzungen. Sie werden dort desto eintraeglicher, je mehr die Luft ueber dem frisch urbar gemachten, von Waeldern umgebenen Land stockt, je mehr sie mit Wasser und mephitischen Duensten geschwaengert ist. Hier leben Familienvaeter, welche, treu den alten Sitten der Colonisten, sich und ihren Kindern langsam, aber sicher Wohlstand erarbeiten. Sie behelfen sich bei ihrer muehsamen Arbeit mit einem einzigen Sklaven; sie brechen mit eigener Hand den Boden um, ziehen die jungen Cacaobaeume im Schatten der Erythrina und der Bananenbaeume, beschneiden den erwachsenen Baum, vertilgen die Massen von Wuermern und Insekten, welche Rinde, Blaetter und Bluethen anfallen, legen Abzugsgraeben an, und unterziehen sich sieben, acht Jahre lang einem elenden Leben, bis der Cacaobaum anfaengt Ernten zu liefern. Dreissig tausend Staemme sichern den Wohlstand einer Familie auf anderthalb Generationen. Wenn durch die Baumwolle und den Kaffee der Bau des Cacao in der Provinz Caracas und im kleinen Thale von Cariaco beschraenkt worden ist, so hat dagegen letzterer Zweig der Colonialindustrie im Innern der Provinzen Neubarcelona und Cumana zugenommen. Warum die Cacaopflanzungen sich von West nach Ost mehr und mehr ausbreiten, ist leicht einzusehen. Die Provinz Caracas ist die am fruehesten bebaute; je laenger aber ein Land urbar gemacht ist, desto baumloser wird es in der heissen Zone, desto duerrer, desto mehr den Winden ausgesetzt. Dieser Wechsel in der aeussern Natur ist dem Gedeihen des Cacaobaums hinderlich, und desshalb gehen die Pflanzungen in der Provinz Caracas ein und haeufen sich dafuer westwaerts auf unberuehrtem, erst kuerzlich urbar gemachtem Boden. Die Provinz Neu-Andalusien allein erzeugte im Jahr 1799 18,000-20,000 Fanegas Cacao (zu 40 Piastern die Fanega in Friedenszeiten), wovon 5000 nach der Insel Trinidad geschmuggelt wurden. Der Cacao von Cumana ist ohne allen Vergleich besser als der von Guayaquil. Die in Cariaco herrschenden Fieber noethigten uns zu unserem Bedauern, unsern Aufenthalt daselbst abzukuerzen. Da wir noch nicht recht acclimatisirt waren, so riethen uns selbst die Colonisten, an die wir empfohlen waren, uns auf den Weg zu machen. Wir lernten in der Stadt viele Leute kennen, die durch eine gewisse Leichtigkeit des Benehmens, durch umfassenderen Ideenkreis und, darf ich hinzusetzen, durch entschiedene Vorliebe fuer die Regierungssorm der Vereinigten Staaten verriethen, dass sie viel mit dem Ausland in Verkehr gestanden. Hier hoerten wir zum erstenmal in diesem Himmelsstriche die Namen Franklin und Washington mit Begeisterung aussprechen. Neben dem Ausdruck dieser Begeisterung bekamen wir Klagen zu hoeren ueber den gegenwaertigen Zustand von Neu-Andalusien, Schilderungen, oft uebertriebene, des natuerlichen Reichthums des Landes, leidenschaftliche, ungeduldige Wuensche fuer eine bessere Zukunft. Diese Stimmung musste einem Reisenden ausfallen, der unmittelbarer Zeuge der grossen politischen Erschuetterungen in Europa gewesen war. Noch gab sich darin nichts Feindseliges, Gewaltsames, keine bestimmte Richtung zu erkennen. Gedanken und Ausdruck hatten die Unsicherheit, die, bei den Voelkern wie beim Einzelnen, als ein Merkmal der halben Bildung, der voreilig sich entwickeln den Kultur erscheint. Seit die Insel Trinidad eine englische Colonie geworden ist, hat das ganze oestliche Ende der Provinz Cumana, zumal die Kueste von Paria und der Meerbusen dieses Namens ein ganz anderes Gesicht bekommen. Fremde haben sich da niedergelassen und den Bau des Kaffeebaums, des Baumwollenstrauchs, des otaheitischen Zuckerrohrs eingefuehrt. In Carupano, im schoenen Thal des Rio Caribe, in Guire und im neuen Flecken Punta de Pietro gegenueber dem Puerto d'Espana auf Trinidad hat die Bevoelkerung sehr stark zugenommen. Im _Golfo triste_ ist der Boden so fruchtbar, dass der Mais jaehrlich zwei Ernten und das 380ste Korn gibt. Die Vereinzelung der Niederlassungen hat dem Handel mit fremden Colonien Vorschub geleistet, und seit dem Jahr 1797 ist eine geistige Umwaelzung eingetreten, die in ihren Folgen dem Mutterland noch lange nicht verderblich geworden waere, haette nicht das Ministerium fort und fort alle Interessen gekraenkt, alle Wuensche missachtet, Es gibt in den Streitigkeiten der Colonien mit dem Mutterland, wie fast in allen Volksbewegnngen, einen Moment, wo die Regierungen, wenn sie nicht ueber den Gang der menschlichen Dinge voellig verblendet sind, durch kluge, fuersichtige Maessigung das Gleichgewicht herstellen und den Sturm beschwoeren koennen. Lassen sie diesen Zeitpunkt voruebergehen, glauben sie durch physische Gewalt eine moralische Bewegung niederschlagen zu koennen, so gehen die Ereignisse unaufhaltsam ihren Gang und die Trennung der Colonien erfolgt mit desto verderblicherer Gewaltsamkeit, wenn das Mutterland waehrend des Streits seine Monopole und seine fruehere Gewalt wieder eine Zeitlang hatte aufrecht erhalten koennen. Wir schifften uns Morgens sehr frueh ein, in der Hoffnung, die Ueberfahrt ueber den Meerbusen von Cariaco in Einem Tage machen zu koennen. Das Meer ist hier nicht unruhiger als unsere grossen Landseen, wenn sie vom Winde sanft bewegt werden. Es sind vom Landungsplatz nach Cumana nur zwoelf Seemeilen. Als wir die kleine Stadt Cariaco im Ruecken hatten, gingen wir westwaerts am Flusse Carenicuar hin, der schnurgerade wie ein kuenstlicher Kanal durch Gaerten und Baumwollenpflanzungen laeuft. Der ganze, etwas sumpfige Boden ist aufs sorgsamste angebaut. Waehrend unseres Aufenthalts in Peru wurde hier auf trockeneren Stellen der Kaffeebau eingefuehrt. Wir sahen am Flusse indianische Weiber ihr Zeug mit der Frucht des *Parapara* (_Sapindus saponaria_) waschen. Feine Waesche soll dadurch sehr mitgenommen werden. Die Schale der Frucht gibt einen starken Schaum und die Frucht ist so elastisch, dass sie, wenn man sie auf einen Stein wirft, drei, viermal sieben bis acht Fuss hoch aufspringt. Da sie kugeligt ist, verfertigt man Rosenkraenze daraus. Kaum waren wir zu Schiffe, so hatten wir mit widrigen Winden zu kaempfen. Es regnete in Stroemen und ein Gewitter brach in der Naehe aus. Schaaren von Flamingos, Reihern und Cormorans zogen dem Ufer zu. Nur der Alcatras, eine grosse Pelicanart, fischte ruhig mitten im Meerbusen weiter. Wir waren unser achtzehn Passagiere, und auf der engen, mit Rohzucker, Pisangbuescheln und Cocosnuessen ueberladenen Pirogue (Fancha) konnten wir unsere Instrumente und Sammlungen kaum unterbringen. Der Rand des Fahrzeugs stand kaum ueber Wasser. Der Meerbusen ist fast ueberall 45-50 Faden tief, aber am oestlichen Ende bei Curaguaca findet das Senkblei fuenf Meilen weit nur 3-4 Faden. Hier liegt der Baxo de la Cotua, eine Sandbank, die bei der Ebbe als Eiland ueber Wasser kommt. Die Piroguen, die Lebensmittel nach Cumana bringeng stranden manchmal daran, aber immer ohne Gefahr, weil die See hier niemals hoch geht und scholkt. Wir fuhren ueber den Strich des Meerbusens, wo auf dem Boden der See heisse Quellen entspringen. Es war gerade Fluth und daher der Temperaturwechsel weniger merkbar; auch fuhr unsere Pirogue zu nahe an der Suedkueste hin. Man sieht leicht, dass man Wasserschichten von verschiedener Temperatur antreffen muss, je nachdem die See mehr oder minder tief ist, oder je nachdem die Stroemungen und der Wind die Mischung des warmen Quellwassers und des Wassers des Golfs befoerdern. Diese heissen Quellen, die, wie behauptet wird, auf 10,000-12,000 Quadrattoisen die Temperatur der See erhoehen, sind eine sehr merkwuerdige Erscheinung. Geht man vom Vorgebirge Paria westwaerts ueber Irapa, _Aguas calientes_, den Meerbusen von Cariaco, den Brigantin und die Thaeler von Aragua bis zu den Schneegebirgen von Merida, so findet man auf einer Strecke von mehr als 150 Meilen eine ununterbrochene Reihe von warmen Quellen. Der widrige Wind und der Regen noethigten uns bei Pericantral, einem kleinen Hofe aus der Suedkueste des Meerbusens, zu landen. Diese ganze, schoen bewachsene Kueste ist fast ganz unbebaut; man zaehlt kaum 700 Einwohner und ausser dem Dorfe Mariguitar sieht man nichts als Pflanzungen von Cocosbaeumen, die die Oelbaeume des Landes sind. Diese Palme waechst in beiden Continenten in einer Zone, wo die mittlere Jahrestemperatur nicht unter 20 deg. betraegt. Sie ist, wie der Chamaerops im Becken des Mittelmeers, eine wahre "Kuestenpalme." Sie zieht Salzwasser dem suessen Wasser vor und kommt im Innern des Landes, wo die Luft nicht mit Salztheilchen geschwaengert ist, lange nicht so gut fort als auf den Kuesten. Wenn man in Terra Firma oder in den Missionen am Orinoco Cocosnussbaeume weit von der See pflanzt, wirft man ein starkes Quantum Salz, oft einen halben Scheffel, in das Loch, in das die Cocosnuesse gelegt werden. Unter den Culturgewaechsen haben nur noch das Zuckerrohr, der Bananenbaum, der Mammei und der Avocatier, gleich dem Cocosnussbaum, die Eigenschaft, dass sie mit suessem oder mit Salzwasser begossen werden koennen. Dieser Umstand beguenstigt ihre Verpflanzung, und das Zuckerrohr von der Kueste gibt zwar einen etwas salzigten Saft, derselbe eignet sich aber, wie man glaubt, besser zur Branntweindestillation als der Saft aus dem Binnenlande. Im uebrigen Amerika wird der Cocosnussbaum meist nur um die Hoefe gepflanzt, und zwar um der essbaren Frucht willen; am Meerbusen von Cariaco dagegen sieht man eigentliche Pflanzungen davon. Man spricht in Cumana von einer _hacienda de coco_, wie von einer _hacienda de cana_ oder _cacao_. Auf fruchtbarem, feuchtem Boden faengt der Cocosbaum im vierten Jahre an reichlich Fruechte zu tragen; auf duerrem Lande dagegen erhaelt man vor dem zehnten Jahre keine Ernte. Der Baum dauert nicht ueber 80-100 Jahre aus, und er ist dann im Durchschnitt 70-80 Fuss hoch. Dieses rasche Wachsthum ist desto ausfallender, da andere Palmen, z. B. der Moriche (_Mauritia flexuosa_) und die _Palma de Sombrero_ (_Coripha tectorum_), die sehr lange leben, im sechzigsten Jahr oft erst 14-18 Fuss hoch sind. In den ersten dreissig bis vierzig Jahren traegt am Meerbusen von Cariaco ein Cocosbaum jeden Monat einen Bueschel mit 10-14 Fruechten, von denen jedoch nicht alle reif werden. Man kann im Durchschnitt jaehrlich auf den Baum 100 Nuesse rechnen, die acht Flascos [Der Flasco zu 70-80 Pariser Cubikzoll] Oel geben. Der Flasco gilt zwei einen halben Silberrealen oder 32 Sous. In der Provence gibt ein dreissigjaehriger Oelbaum zwanzig Pfund oder sieben Flascos Oel, also etwas weniger als der Cocosbaum. Es gibt im Meerbusen von Cariaco Haciendas mit 8000-9000 Cocosbaeumen; ihr malerischer Anblick erinnert an die herrlichen Dattelpflanzungen bei Elche in Murcia, wo auf einer Quadratmeile ueber 70,000 Palmstaemme bei einander stehen. Der Cocosbaum traegt nur bis zum dreissigsten bis vierzigsten Jahr reichlich, dann nimmt der Ertrag ab und ein hundertjaehriger Stamm ist zwar nicht ganz unfruchtbar, bringt aber sehr wenig mehr ein. In der Stadt Cumana wird sehr viel Cocosnussoel geschlagen; es ist klar, geruchlos und ein gutes Brennmaterial. Der Handel damit ist so lebhaft als auf der Westkueste von Afrika der Handel mit Palmoel, das von _Elays guinneensis_ kommt. Dieses ist ein Speiseoel. In Cumana sah ich mehr als einmal Piroguen ankommen, die mit 3000 Cocosnuessen beladen waren. Ein Baum von gutem Ertrag gibt ein jaehrliches Einkommen von 21/2 Piastern (14 Francs 5 Sous), da aber auf den _Haciendas de Coco_ Staemme von verschiedenem Alter durch einander stehen, so wird bei Schaetzungen durch Sachverstaendige das Kapital nur zu 4 Piastern angenommen. Wir verliessen den Hof Pericantral erst nach Sonnenuntergang. Die Suedkueste des Meerbusens in ihrem reichen Pflanzenschmuck bietet den lachendsten Anblick, die Nordkueste dagegen ist felsigt, nackt und duerr. Trotz des duerren Bodens und des seltenen Regens, der zuweilen fuenfzehn Monate ausbleibt, wachsen auf der Halbinsel Araya (wie in der Wueste Canound in Indien) 30-50 Pfund schwere *Patillas* oder Wassermelonen. In der heissen Zone ist die Luft etwa zu 9/10 mit Wasserdunst gesaettigt und die Vegetation erhaelt sich dadurch, dass die Blaetter die wunderbare Eigenschaft haben, das in der Luft aufgeloeste Wasser einzusaugen. Wir hatten auf der engen, ueberladenen Pirogue eine recht schlechte Nacht und befanden uns um drei Uhr Morgens an der Muendung des Rio Manzanares. Wir waren seit mehreren Wochen an den Anblick der Gebirge, an Gewitterhimmel und finstere Waelder gewoehnt, und so fielen uns jetzt die Naturverhaeltnisse von Cumana, der ewig heitere Himmel, der kahle Boden, die Masse des ueberall zurueckgeworfenen Lichtes doppelt auf. Bei Sonnenaufgang sahen wir Tamurosgeier (_Vultur aura_) zu Vierzigen und Fuenfzigen auf den Cocosnussbaeumen sitzen. Diese Voegel hocken zum Schlafen in Reihen zusammen, wie die Huehner, und sie sind so traege, dass sie, lange ehe die Sonne untergeht, aufsitzen und erst wieder erwachen, wenn ihre Scheibe bereits ueber dem Horizont steht. Es ist, als ob die Baeume mit gefiederten Blaettern nicht minder traege waeren. Die Mimosen und Tamarinden schliessen bei heiterem Himmel ihre Blaetter 25-30 Minuten vor Sonnenuntergang, und sie oeffnen sie am Morgen erst, wenn die Scheibe bereits eben so lang am Himmel steht. Da ich Sonnen-Auf- und Untergang ziemlich regelmaessig beobachtete, um das Spiel der Luftspiegelung und der irdischen Refraction zu verfolgen, so konnte ich auch die Erscheinungen des Pflanzenschlafs fortwaehrend im Auge behalten. Ich fand sie gerade so in den Steppen, wo der Blick aus den Horizont durch keine Unebenheit des Bodens unterbrochen wird. Die sogenannten Sinnpflanzen und andere Schotengewaechse mit seinen, zarten Blaettern empfinden, scheint es, da sie den Tag ueber an ein sehr starkes Licht gewoehnt sind, Abends die geringste Abnahme in der Staerke der Lichtstrahlen, so dass fuer diese Gewaechse, dort wie bei uns, die Nacht eintritt, bevor die Sonnenscheibe ganz verschwunden ist. Aber wie kommt es, dass in einem Erdstriche, wo es fast keine Daemmerung gibt, die ersten Sonnenstrahlen die Blaetter nicht um so staerker aufregen, da durch die Abwesenheit des Lichts ihre Reizbarkeit gesteigert worden seyn muss? Laesst sich vielleicht annehmen, dass die Feuchtigkeit, die sich durch die Erkaltung der Blaetter in Folge der naechtlichen Strahlung auf dem Parenchym niederschlaegt, die Wirkung der ersten Sonnenstrahlen hindert? In unsern Himmelsstrichen erwachen die Schotengewaechse mit reizbaren Blaettern schon ehe die Sonne sich zeigt, in der Morgendaemmerung. ------------------ ***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK REISE IN DIE AEQUINOCTIAL-GEGENDEN DES NEUEN CONTINENTS. BAND 1.*** CREDITS September 3, 2007 Project Gutenberg TEI edition 01 R. Stephan and K. Stueber A WORD FROM PROJECT GUTENBERG This file should be named 22492.txt or 22492.zip. This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/dirs/2/2/4/9/22492/ Updated editions will replace the previous one -- the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works to protect the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the rules is very easy. 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To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at http://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. 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