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Siehe „Bemerkungen zur Textgestalt“ im Anhang.
Copyright by S. Hirzel in Leipzig 1920
Die Firma Albert Bonnier in Stockholm besitzt das alleinige Übersetzungsrecht
für folgende Sprachen: Dänisch-norwegisch, Englisch (für England mit Kolonien
und Amerika), Finnisch, Französisch, Holländisch, Japanisch, Italienisch,
Schwedisch und Spanisch
Die folgenden Erinnerungen verdanken ihre Entstehung nicht einer Neigung zum Schreiben, sondern vielfachen Bitten und Anregungen, die von außen an mich herantraten.
Nicht ein Geschichtswerk wollte ich verfassen sondern die Eindrücke wiedergeben, unter denen mein Leben sich vollzog, und die Richtlinien klar legen, nach denen ich glaubte, denken und handeln zu müssen. Fern lag es mir, eine Rechtfertigungs- oder Streitschrift zu verfassen, am fernsten aber war mir der Gedanke an Selbstverherrlichung. Als Mensch habe ich gedacht, gehandelt und geirrt. Maßgebend in meinem Leben und Tun war für mich nicht der Beifall der Welt sondern die eigene Überzeugung, die Pflicht und das Gewissen.
Inmitten der schwersten Zeit unseres Vaterlandes niedergeschrieben, entstanden die folgenden Erinnerungsblätter doch nicht unter dem bitteren Drucke der Hoffnungslosigkeit. Mein Blick ist und bleibt unerschütterlich vorwärts und aufwärts gerichtet.
Ich widme das Buch dankbar allen Denen, die mit mir im Feld und in der Heimat für des Reiches Größe und Dasein kämpften.
Zur Einführung V Erster Teil. Aus Kriegs- und Friedensjahren bis 1914 3-67 Meine Jugend 3-15 Hindenburg-Beneckendorff 3-5. Eltern und früheste Jugend 6-8. Im Kadettenkorps 9-15. Im Kampf um Preußens und Deutschlands Größe 16-47 Im 3. Garderegiment zu Fuß 16-17. 1866. Ins Feld 18. Bei Soor 19. Königgrätz 20-25. Nach Königgrätz 26. In die Heimat zurück 26-27. In Hannover 28-29. 1870. Wieder ins Feld 30. Bei St. Privat 31-35. Nach der Schlacht bei St. Privat 36. In die Schlacht bei Sedan 37-38. Sedan 39. Vor Paris 40-41. Kaiserproklamation 41-42. In Paris 42-44. Die Kommune 45-46. Der zweite Einzug in Berlin 47. Friedensarbeit 48-63 Kriegsakademie 48. Generalstab 49-50. Bei Generalkommando und Division 50-52. Kompagniechef 52-53. Im Großen Generalstab 53-56. Lehrer an der Kriegsakademie 57. Im Kriegsministerium 58. Regimentskommandeur 58-59. Korpschef 59-60. Divisionskommandeur 60. Kommandierender General 61-62. Abschied 63. Übergang in den Ruhestand 64-67 Deutsches Heer und Volk 64-66. Ausblick 66-67. Zweiter Teil. Kriegführung im Osten 69-144 Der Kampf um Ostpreußen 71-99 Kriegsausbruch und Berufung 71-74 Deutsche Politik und Dreibund 71-73. Mobilmachung 74. Zur Front 75-79 Armeeführer. General Ludendorff 75. Lage im Osten 76. Verhältnis zu General Ludendorff 77-79. Tannenberg 79-91 Im Armee-Hauptquartier 79. Russische Absichten 80. Entwickelung des Schlachtenplans 81. Gefahr von Seite Rennenkampfs 82. Stärkeverhältnisse 83. Die Marienburg 84. Tannenberg 85. Entwickelung der Schlacht 86-87. Entscheidungskampf 88-89. Ergebnis 90-91. Die Schlacht an den masurischen Seen 91-99 Neue Aufgaben 91-93. Rennenkampf 93-94. Zum Angriff vor 95. Verlauf der Schlacht 96-99. Der Feldzug in Polen 100-116 Abschied von der 8. Armee 100-104 Zusammenwirken mit der österreichisch-ungarischen Heeresleitung 100-102. Nach Schlesien 102-104. Der Vormarsch 104-108 Operative Lage 104-105. Polnische Zustände 106. Kämpfe bei Iwangorod und Warschau 106-107. Russische Gegenoperation 108. Der Rückzug 109-112 Neue Pläne 109. Weiterer Widerstand in Polen 110. Rückzug an die schlesische Grenze 111-112. Oberbefehlshaber im Osten 112. Unser Gegenangriff 112-116 Wechselspiel der Operationen 112-115. Ende der Kämpfe in Polen 116. 1915 117-134 Frage der Kriegsentscheidung 117-122 Kämpfe und Operationen im Osten 122-130 Ansichten der österreichisch-ungarischen Heeresleitung 123. Winterschlacht in Masuren 124-125. Russische Gegenangriffe 125. Unsere allgemeine Offensive im Osten. Rolle des Oberkommandos Ost 126-127. Eigene Pläne. Nowo Georgiewsk. Wilna 128-130. Lötzen 130-133 Kowno 133-134 Das Feldzugsjahr 1916 bis Ende August 135-144 Der Russenangriff gegen die deutsche Ostfront 135-140 Der Winter 1915/16 135-136. Schlacht am Naroczsee 137-140. Der Russenangriff gegen die österreichisch-ungarische Ostfront 140-144 Verdun und Italien 140-141. Wolhynien und Bukowina 142-143. Erweiterung des Befehlsbereichs 143-144. Dritter Teil. Von der Übertragung der Obersten Heeresleitung bis zur Zertrümmerung Rußlands 145-294 Berufung zur Obersten Heeresleitung 147-167 Chef des Generalstabes des Feldheeres 147-148 Kriegslage Ende August 1916 148-150 Politische Lage 150-154 Die deutsche Oberste Kriegsleitung 154-161 Die österreichisch-ungarische Wehrmacht 156-158. Das bulgarische und türkische Heer 158-159. Unsere Leistungen im Kriege 160-161. Pleß 161-167 König Ferdinand von Bulgarien 162. Kaiser Franz Joseph 163. Generaloberst Conrad von Hötzendorf 163-164. Enver Pascha 164-165. General Jekoff 165. Talaat Pascha 166-167. Radoslawow 167. Leben im Großen Hauptquartier 168-175 Regelmäßiger Tagesverlauf 168-172. Besucher 173-175. Kriegsereignisse bis Ende 1916 176-198 Der rumänische Feldzug 176-187 Unsere politische und militärische Lage zu Rumänien 176-177. Bulgarischer Angriff in Mazedonien 178. Rumänische Kriegserklärung 179. Bisheriger Feldzugsplan 179-181. Niederwerfung Rumäniens 182-187. Kämpfe an der mazedonischen Front 187-189 Auf den asiatischen Kriegsschauplätzen 189-192 Die Ost- und Westfront bis zum Ende des Jahres 1916 192-198 Unterstützung Rumäniens durch Rußland 192-194. Fortdauer der Kämpfe vor Verdun 194-195. Zum erstenmal an der Westfront 196-198. Meine Stellung zu politischen Fragen 199-218 Äußere Politik 199-210 Politik und Kriegführung 200-201. Polnische Frage 201-203. Polnische Freiwilligentruppen 203-204. Irrige Hoffnungen 204. Dobrudscha-Frage 205-206. Politische Erregung in Bulgarien 206-207. Türkische Politik 207-210. Die Friedensfrage 210-215 Innere Politik 215-218 „Hindenburg-Programm“ 216. Vaterländischer Hilfsdienst 216-218. Vorbereitungen für das kommende Feldzugsjahr 219-237 Unsere Aufgaben 219-227 Allgemeine Lage Winter 1916-17. Aufgezwungene Verteidigung 219-222. „Siegfriedstellung“ 223. Ablehnung von Angriffsplänen in Italien und Mazedonien 224-227. Aufgabe der Türkei für 1917 227. Der Unterseebootkrieg 228-234 Blockade und Menschlichkeit 228-229. Amerikanische Munition 229. Hoffnungen verbunden mit dem Unterseebootkrieg 230-232. Erwägungen und Entscheidung 232-233. Der höchste Einsatz 234. Kreuznach 235-237 Der feindliche Ansturm im ersten Halbjahr 1917 238-251 Im Westen 238-244 Vorbereitung für die Abwehrschlachten 238-240. Frühjahrsschlacht bei Arras 240-242. Doppelschlacht Aisne-Champagne 242-244. Im nahen und fernen Orient 244-246 An der Ostfront 246-251 Russische Revolution 246-247. Eigene Zurückhaltung 247-248. Weiterentwickelung des russischen Umsturzes 248-249. Letzte russische Anstürme 250-251. Unser Gegenstoß im Osten 252-258 Das Wagnis des Gegenstoßes 252-254. Tarnopol 254-255. Riga und Ösel 256-258. Angriff auf Italien 259-263 Fortsetzung der feindlichen Angriffe im zweiten Halbjahr 1917 264-293 Im Westen 264-268 Ausgang der flandrischen Schlacht 264-265. Cambrai 265-267. Erfahrungen 267-268. Angriffe der Franzosen 268. Auf dem Balkan 268 In Asien 269-276 Englische Operationen in Asien 269-272. Pläne zur Wiedereroberung Bagdads 272-273. Verhältnisse im türkischen Heere 274. Unsere Unterstützungen 275-276. Ein Blick auf die inneren Zustände von Staaten und Völkern Ende 1917 277-293 Der türkische Staat 277-279. Bulgarien 280-283. Österreich-Ungarn 283-284. Die deutsche Heimat 284-288. Frankreich 288-289. England 290. Italien 290-291. Vereinigte Staaten von Nordamerika 291. Kriegsverlängerung 291-293. Vierter Teil. Entscheidungskampf im Westen 295-354 Die Frage der Westoffensive 297-314 Absichten und Aussichten für 1918 297-312 Aussichten und Vertrauen 297-301. Angriffsabsichten 301. Lage und Entschluß 301-303. Truppenschulung 304. Vereinigung der Kräfte im Westen 305. Schwierigkeiten im Osten 306-307. Finnische Expedition 308. Österreichisch-ungarische Unterstützung 308-309. Truppen aus Bulgarien und der Türkei 310. Defensive 1918? 311-312. Spa und Avesnes 312-314 Unsere drei Angriffsschlachten 315-338 Die „Große Schlacht“ in Frankreich 315-321 Die Schlacht an der Lys 321-326 Die Schlacht bei Soissons und Reims 327-333 Die Schlacht 328-331. Die Menschlichkeit auf dem Schlachtfelde 332-333. Rückblick und Ausblick Ende Juni 1918 333-338 Im Angriff gescheitert 339-354 Der Plan zur Schlacht bei Reims 339-343 Die Schlacht bei Reims 343-354 Unser Angriff 343-346. Ergebnis 347. Des Feindes Gegenstoß 348-351. Entschluß zur Räumung des Marnebogens 351. Haltung unserer Truppen 352. Bedeutung des Schlachtausgangs 353-354. Fünfter Teil. Über unsere Kraft 355-402 In die Verteidigung geworfen 357-366 Der 8. August 357-361 Die Folgen des 8. August und die Fortsetzung unserer Kämpfe im Westen bis Ende September 362-366 Der Kampf unserer Bundesgenossen 367-389 Bulgariens Zusammenbruch 367-377 Der Sturz der türkischen Macht in Asien 377-383 Militärisches und Politisches aus Österreich-Ungarn 383-389 Unterstützung unserer Westfront 384. Kämpfe in Albanien 385. Erstreben des Kriegsendes 386. Graf Czernin 386-388. Graf Burian 388. Letzte österreichische Friedensversuche 389. Dem Ende entgegen 390-402 Vom 29. September zum 26. Oktober 390-397 Verhältnisse an der Kampffront 390-391. Unser schwerster Entschluß 392-393. Unser Waffenstillstands- und Friedensangebot 394-395. Fortschreitender Zerfall der Heimat 396-397. Vom 26. Oktober zum 9. November 397-402 Das Ende des Widerstandes unserer Bundesgenossen 398-399. Die höchste Spannung und das Zerreißen 400-402. Mein Abschied 403-406 Personenverzeichnis 407-409
An einem Frühlingsabend des Jahres 1859 sagte ich als 11jähriger Knabe am Gittertor des Kadettenhauses zu Wahlstatt in Schlesien meinem Vater Lebewohl. Der Abschied galt nicht nur dem geliebten Vater sondern gleichzeitig meinem ganzen bisherigen Leben. Aus diesem Gefühl heraus stahlen sich Tränen aus meinen Augen. Ich sah sie auf meinen „Waffenrock“ fallen. „In diesem Kleid darf man nicht schwach sein und weinen“ fuhr es mir durch den Kopf; ich riß mich empor aus meinem kindlichen Schmerz und mischte mich nicht ohne Bangen unter meine nunmehrigen Kameraden.
Soldat zu werden war für mich kein Entschluß, es war eine Selbstverständlichkeit. Solange ich mir im jugendlichen Spiel oder Denken einen Beruf wählte, war es stets der militärische gewesen. Der Waffendienst für König und Vaterland war in unserer Familie eine alte Überlieferung.
Unser Geschlecht, die „Beneckendorffs“, entstammt der Altmark, wo es
urkundlich im Jahre 1280 zum erstenmal auftritt. Von hier fand es, dem Zuge
der Zeit folgend, über die Neumark seinen Weg nach Preußen herauf. Dort
waren schon manche Träger meines Namens in den Reihen der Deutschritter als
Ordensbrüder oder „Kriegsgäste“ gegen die Heiden und Polen zu Felde gezogen.
Später gestalteten sich unsere Beziehungen mit dem Osten durch Gewinn
Der Name „Hindenburg“ trat erst 1789 zu dem unsrigen. Wir waren mit diesem Geschlecht in der neumärkischen Zeit durch Heiraten in Verbindung getreten. Auch die Großmutter meines im Regiment „von Tettenborn“ dienenden und in Ostpreußen bei Heiligenbeil ansässigen Urgroßvaters war eine Hindenburg. Deren unverheirateter Bruder, welcher zuletzt als Oberst unter Friedrich dem Großen gekämpft hatte, vermachte seine beiden, in dem schon mit der ostpreußischen Erbschaft zu Brandenburg gekommenen, später aber Westpreußen zugeteilten Kreise Rosenberg gelegenen Güter Neudeck und Limbsee seinem Großneffen unter der Bedingung der Vereinigung beider Namen. Diese wurde von König Friedrich Wilhelm II. genehmigt, und seitdem wird bei Abkürzung des Doppelnamens die Benennung „Hindenburg“ angewendet.
Die Güter bei Heiligenbeil wurden infolge dieser Erbschaft verkauft. Auch Limbsee mußte, der Not gehorchend, nach den Befreiungskriegen veräußert werden. Aber Neudeck ist heute noch im Besitz unserer Familie; es gehört der Witwe meines nächstältesten Bruders, der nicht ganz zwei Jahr jünger als ich war, so daß unsere Lebenswege in treuer Liebe nahe nebeneinander herliefen. Auch er wurde Kadett und durfte seinem Könige lange Jahre als Offizier in Krieg und Frieden dienen.
In Neudeck lebten zu meiner Kinderzeit meine Großeltern. Jetzt ruhen sie,
wie auch meine Eltern und viele Andere meines Namens, auf dem dortigen
Friedhof. Fast alljährlich kehrten wir bei den Großeltern, anfänglich noch
unter beschwerlichen Postreisen, als Sommerbesuch ein. Tiefen Eindruck
machte es mir dann, wenn mein Großvater, der bis 1801 im Regiment „von
Langenn“ gedient hatte, davon erzählte, wie er im Winter 1806/7 bei
Napoleon I. im nahen Schloß Finckenstein als Landschaftsrat um Erlaß von
Kontributionen bitten
Nach dem Tode meiner Großeltern zogen meine Eltern 1863 nach Neudeck. Wir fanden also von da ab dort, in den uns so vertrauten Räumen, das Elternhaus. Wo ich einst in jungen Jahren so gern geweilt hatte, da habe ich mich später oft mit Frau und Kindern von des Lebens Arbeit ausgeruht.
So ist denn Neudeck für mich die Heimat, der feste Mittelpunkt auch meiner engeren Familie geworden, dem unser ganzes Herz gehört. Wohin mich auch innerhalb des deutschen Vaterlandes mein Beruf führte, ich fühlte mich stets als Altpreuße.
Als Soldatenkind wurde ich 1847 in Posen geboren. Mein Vater war zu der Zeit Leutnant im 18. Infanterie-Regiment. Meine Mutter war die Tochter des damals auch in Posen lebenden Generalarztes Schwickart.
Das einfache, um nicht zu sagen harte Leben eines preußischen Landedelmannes
oder Offiziers in bescheidenen Verhältnissen, das in der Arbeit und
Pflichterfüllung seinen wesentlichsten Inhalt fand, gab naturgemäß unserm
ganzen Geschlecht sein Gepräge. Auch mein Vater ging daher völlig in seinem
Berufe auf. Aber er fand hierbei immer noch Zeit, sich Hand in Hand mit
meiner Mutter der Erziehung seiner Kinder – ich hatte noch zwei jüngere
Brüder und eine Schwester – zu widmen. Das sittlich tief angelegte, aber
auch auf das praktische Leben gerichtete Wesen meiner teuren Eltern zeigte
auch nach außen hin eine vollendete Harmonie. In gegenseitiger
Das Los des Soldaten, zu wandern, führte meine Eltern von Posen nach Köln, Graudenz, Pinne in der Provinz Posen, Glogau und Kottbus. Dann nahm mein Vater den Abschied und zog nach Neudeck.
Von Posen habe ich aus damaliger Zeit nur wenig Erinnerung. Mein Großvater
mütterlicherseits starb bald nach meiner Geburt. Er hatte sich 1813 in der
Schlacht bei Kulm als Militärarzt das Eiserne Kreuz am Kombattantenbande
erworben, weil er ein führerlos und
Im Jahre 1848 hatte der polnische Aufstand auch auf die Provinz Posen übergegriffen. Mein Vater war mit seinem Regiment zur Bekämpfung dieser Bewegung ausgerückt. Die Polen bemächtigten sich nun vorübergehend der Herrschaft in der Stadt. Zur Feier des Einzugs ihres Führers Miroslawski sollten alle Häuser illuminiert werden. Meine Mutter war außerstande, sich diesem Zwange zu entziehen. Sie zog sich in ein Hinterzimmer zurück und tröstete sich, an meiner Wiege sitzend, mit dem Gedanken, daß gerade auf diesen Tag, den 22. März, der Geburtstag des „Prinzen von Preußen“ fiel, so daß die Lichter an den Fenstern der Vorderzimmer in ihrem Herzen diesem galten. 23 Jahre später war das damalige Wiegenkind im Spiegelsaale zu Versailles Zeuge der Kaisererklärung Wilhelms I., des einstigen Prinzen von Preußen.
Unser Aufenthalt in Köln und Graudenz war nur von kurzer Dauer. Aus der Kölner Zeit schwebt mir das Bild des mächtigen, jedoch noch unvollendeten Domes vor.
In Pinne führte mein Vater nach damaligem Brauch vier Jahre hindurch als
überzähliger Hauptmann eine Landwehrkompagnie. Er war dienstlich nicht sehr
beansprucht, so daß er sich gerade in der Zeit, in welcher sich mein
jugendlicher Geist zu regen begann, uns Kindern besonders widmen konnte. Er
unterrichtete mich bald in Geographie und Französisch, während mir der
Schullehrer Kobelt, dem ich noch heute eine dankbare Erinnerung bewahre,
Lesen, Schreiben und Rechnen beibrachte. Aus dieser Zeit stammt meine
Immer mehr entwickelte sich in diesen Jahren und aus dieser Art der Erziehung ein Verhältnis zu meinen Eltern, das zwar ganz auf den Boden unbedingter Autorität gestellt war, das aber zugleich auch bei uns Kindern weit mehr das Gefühl grenzenlosen Vertrauens als blinder Unterwerfung unter eine zu strenge Herrschaft wachrief.
Pinne ist ein kleines Städtchen mit angrenzendem Rittergut. Letzteres
gehörte einer Frau von Rappard, in
In die Glogauer Zeit fällt mein Eintritt in das Kadettenkorps. Ich hatte dort vorher je zwei Jahre die Bürgerschule und das evangelische Gymnasium besucht. Wie ich höre, hat man mir in Glogau dadurch ein freundliches Andenken bewahrt, daß eine an unserm damaligen Wohnhaus angebrachte Tafel an meinen dortigen Aufenthalt erinnert. Ich habe die Stadt zu meiner Freude wiedergesehen, als ich Kompagniechef im benachbarten Fraustadt war.
Rückblickend auf die bisher geschilderte Zeit darf ich wohl sagen, daß meine
erste Erziehung auf die gesündeste Grundlage gestellt war. Ich fühlte daher
beim Abschied aus dem Elternhause, daß ich unendlich viel zurückließ, aber
ich empfand doch auch, daß mir unendlich viel auf den weiteren Lebensweg
mitgegeben war. Und so ist es mein ganzes Leben hindurch geblieben. Lange
durfte ich mich
Das Leben in dem preußischen Kadettenkorps war damals, man kann wohl sagen, bewußt und gewollt rauh. Die Erziehung war neben der Schulbildung auf eine gesunde Entwicklung des Körpers und des Willens gestellt. Tatkraft und Verantwortungsfreudigkeit wurden ebenso hoch bewertet als Wissen. In dieser Art der Erziehung lag keine Einseitigkeit sondern eine gewisse Stärke. Die einzelne Persönlichkeit sollte und konnte sich auch in ihren gesunden Besonderheiten frei entwickeln. Es war etwas von dem Yorkschen Geiste in jener Erziehung, ein Geist, der so oft von oberflächlichen Beurteilern falsch aufgefaßt worden ist. Gewiß war York gegen sich wie gegen andere ein harter Soldat und Erzieher, aber er war es auch, der für jeden seiner Untergebenen das Recht und die Pflicht des freien selbständigen Handelns forderte, wie er selbst diese Selbständigkeit gegen jedermann zum Ausdruck brachte. Der Yorksche Geist ist daher nicht nur in seiner militärischen Straffheit sondern auch in seiner Freiheit einer der kostbarsten Züge unseres Heeres gewesen.
Für die humanistische Bildung anderer Schulen, soweit sie sich vorherrschend
mit den alten Sprachen beschäftigt, habe ich nur wenig Verständnis. Der
praktische Nutzen für das Leben bleibt mir unklar. Als Mittel zum Zweck
betrachtet, nehmen meiner Meinung nach die toten Sprachen im Lehrplan viel
zu viel Zeit und Kraft in Anspruch, und als Sonderstudium gehören sie in
spätere Lebensjahre. Ich wünschte, auf die Gefahr hin, für einen Böotier
gehalten zu werden, daß in solchen Schulen auf Kosten von Latein und
Griechisch die lebenden Sprachen, neuere Geschichte, Deutsch, Geographie und
Turnen mehr in den Vordergrund gestellt würden. Muß denn das, was im dunklen
Mittelalter das einzige war, an welches sich die Bildung anklammern
Aus dem eben Gesagten soll keine Mißachtung des Altertums an sich herausklingen. Dessen Geschichte hat im Gegenteil von früher Jugend an auf mich eine große Anziehungskraft ausgeübt. Vornehmlich war es die der Römer, welche mich fesselte. Sie hatte für mich etwas Gewaltiges, fast Dämonisches, ein Eindruck, der mir in spätern Lebensjahren bei dem Besuche Roms besonders lebhaft vor Augen trat und sich unter anderm darin äußerte, daß mich dort die Denkmäler der alten ewigen Stadt mehr anzogen als die Schöpfungen italienischer Renaissance.
Roms kluges Erkennen der Vorzüge und Mängel völkischer Eigentümlichkeiten, seine rücksichtslose Selbstsucht, die im eigenen Interesse kein Mittel Freund und Feind gegenüber verschmähte, seine geschickt aufgemachte tugendhafte Entrüstung, wenn die Feinde einmal mit gleichem vergalten, sein Ausspielen aller Leidenschaften und Schwächen innerhalb der feindlichen Völker, wie es in so kluger Weise ganz besonders den germanischen Stämmen gegenüber angewendet wurde und hier mehr nutzte als Waffengebrauch, fand nach meinen späteren Erfahrungen sein Spiegelbild und seine Vervollkommnung in der britischen Staatsweisheit, der es gelang, all diese Seiten diplomatischer Kunst bis zur höchsten Verfeinerung und Welttäuschung auszubauen.
Meine Jugendhelden suchte ich bei aller Verehrung des Altertums nur unter
meinen eigenen Volksgenossen. Offen und ehrlich spreche ich meine Auffassung
dahin aus, daß wir nicht so einseitig und undankbar sein dürfen, über der
Bewunderung für einen Alcibiades oder Themistokles, für die verschiedenen
Katos oder Fabier so manche derjenigen Männer ganz zu übersehen, die in der
Geschichte
Vor solcher Weltfremdheit bewahrten uns im Kadettenkorps unsere Lehrer und
Erzieher, und ich danke ihnen das noch heute. Dieser Dank gebührt
vornehmlich einem damaligen Leutnant von Wittich. Ich war ihm, als ich nach
Wahlstatt kam, durch einen Verwandten empfohlen worden, und er nahm sich
meiner stets besonders freundlich an. Selbst erst vor wenigen Jahren dem
Kadettenkorps entwachsen, fühlte er ganz mit uns, beteiligte sich gern an
unseren Spielen, besonders den Schneeballgefechten im Winter, wirkte überall
erfrischend und anregend und besaß obenein ein hervorragendes Lehrtalent. Er
hat mich 1859 in Sexta in Geographie und sechs Jahre später in Berlin in
Selekta im Geländeaufnehmen unterrichtet, und als ich nach weitern Jahren
die Kriegsakademie besuchte, fand ich auch dort wieder den Generalstabsmajor
von Wittich als Lehrer vor. Dieser beschäftigte sich schon als Leutnant mit
Kriegsgeschichte und gab uns manchmal während der sonntäglichen Spaziergänge
durch Anlage kleiner Übungen in geeignetem Gelände anschauliche Bilder über
den Gang der Schlachten, welche damals, 1859, in Oberitalien geschlagen
wurden, wie z. B. Magenta und Solferino. Später, in Berlin, regte er mich,
den Kadetten, auch bereits zum Studium der Kriegsgeschichte an und lenkte
dadurch mein jugendliches Interesse in Bahnen, die für meinen weiteren
Werdegang von Bedeutung waren. Ist doch die Kriegsgeschichte der beste
Lehrmeister für die höhere Truppenführung. Als ich später in den Generalstab
versetzt wurde, gehörte ihm Oberstleutnant von Wittich auch noch an
bedeutsamer Stelle an, und schließlich sind wir beide sogar noch
gleichzeitig Kommandierende Generale, also Befehlshaber über Armeekorps,
gewesen. Das hatte der kleine Sextaner in Wahlstatt
Unter der harten Schulung des Kadettenlebens hat unser Frohsinn nicht gelitten. Ich wage es zu bezweifeln, daß sich das frische jugendliche Toben, dem natürlicherweise die gelegentliche Steigerung bis zum tollen Übermut nicht fehlte, in irgend welchen anderen Bildungsanstalten mehr geltend machte, als bei uns Kadetten. Wir fanden in unseren Erziehern meist verständnisvolle, milde Richter.
Ich selbst war zunächst keineswegs das, was man im gewöhnlichen Leben einen Musterschüler nennt. Anfangs hatte ich eine aus früheren Krankheiten zurückgebliebene körperliche Schwächlichkeit zu überwinden. Als ich dann dank der gesunden Erziehungsart allmählich erstarkte, hatte ich anfänglich wenig Neigung dazu, mich den Wissenschaften besonders zu widmen. Erst langsam erwachte in dieser Beziehung mein Ehrgeiz, der sich mit den Jahren bei gutem Erfolge immer mehr steigerte und mir schließlich unverdientermaßen den Ruf eines besonders begabten Schülers einbrachte.
Bei allem Stolz, mit welchem ich mich „Königlicher Kadett“ nannte, begrüßte
ich doch die Tage der Einkehr in das Elternhaus stets mit unendlichem Jubel.
Die Reisen waren in der damaligen Zeit, besonders während des Winters,
freilich nicht einfach. Je nach dem Reiseziel wechselten langsame
Bahnfahrten in ungeheizten Wagen mit noch langsamern Postfahrten ab. Aber
alle diese Schwierigkeiten traten in den Hintergrund bei der Aussicht, die
Heimat, Eltern und Geschwister wiederzusehen. Der Sehnsucht des Sohnes
schlug das Herz der Mutter am wärmsten entgegen. So entsinne ich mich noch
meiner ersten Weihnachtsheimkehr nach Glogau. Ich war mit anderen Kameraden
die ganze Nacht hindurch von Liegnitz in der Post gefahren. Noch im Dunkeln
trafen wir, durch Schneefall verspätet, in Glogau ein. Da saß die liebe
Mutter in der schwach erleuchteten, kaum erwärmten sogenannten
Passagierstube an wollenen
In mein erstes Kadettenjahr fiel im Sommer 1859 ein Besuch des damaligen Prinzen Friedrich Wilhelm, des späteren Kaisers Friedrich, und seiner Gemahlin in Wahlstatt. Wir sahen fast alle bei dieser Gelegenheit zum ersten Male Mitglieder unseres Königshauses. Noch nie hatten wir beim Parademarsch unsere Beine so hoch geworfen, noch nie bei dem sich hieran anschließenden Vorturnen so halsbrecherische Übungen gemacht als an diesem Tage. Und von der Güte und Leutseligkeit des Prinzenpaares sprachen wir noch lange Zeit.
Im Oktober des gleichen Jahres wurde zum letzten Male der Geburtstag König Friedrich Wilhelms IV. gefeiert. Unter diesem schwergeprüften Herrscher habe ich also die preußische Uniform angelegt, die bis an mein Lebensende mein Ehrenkleid bleiben soll. Ich hatte die Ehre, der verwitweten Gemahlin des Königs, der Königin Elisabeth, im Jahre 1865 als Leibpage zugeteilt zu werden. Die Taschenuhr, die Ihre Majestät mir damals schenkte, hat mich in drei Kriegen treulich begleitet.
Ostern 1863 wurde ich nach Sekunda und hierdurch nach Berlin versetzt. Das dortige Kadettenhaus lag in der neuen Friedrichstraße unweit des Alexanderplatzes. Ich lernte nun zum ersten Male Preußens Hauptstadt kennen und durfte jetzt endlich bei den Frühjahrsparaden mit Aufstellung Unter den Linden und Vorbeimarsch auf dem Opernplatz sowie bei den Herbstparaden auf dem Tempelhofer Felde meinen Allergnädigsten Herrn, König Wilhelm I., sehen.
Einen ebenso erhebenden als ernsten Ton brachte in unser Kadettenleben der
Beginn des Jahres 1864. Der Krieg gegen Dänemark brach aus, und ein Teil
unserer Kameraden schied im Frühjahr von uns, um in die Reihen der
kämpfenden Truppen zu treten. Mich selbst verhinderte leider noch das
jugendliche Alter daran, zu der
Über die politischen Gründe, die zu dem Kriege führten, zerbrachen wir uns den Kopf noch nicht. Aber wir hatten doch schon das stolze Empfinden, daß in das matte und haltlose Wesen des Deutschen Bundes endlich einmal ein erfrischender Wind gefahren war, und daß die Tat wieder mehr gelten sollte als das Wort und die Aktenbündel. Im übrigen verfolgten wir mit glühendem Interesse die kriegerischen Ereignisse, wohnten freudig klopfenden Herzens der Einbringung der eroberten Geschütze und dem Siegeseinzug der Truppen als Zuschauer bei und glaubten zu dem Gefühl berechtigt zu sein, einen Teil jenes Geistes in uns zu haben, der auf den dänischen Kampffeldern unsere Truppen zum Erfolge führte. War es zu verwundern, wenn wir seitdem kaum den Tag erwarten konnten, der uns selbst in die Reihen unserer Armee führen sollte?
Bevor dies geschah, wurde uns noch die Ehre und das Glück zuteil, unserm König persönlich vorgestellt zu werden. Wir wurden zu dem Zweck in das Schloß geführt und hatten dort Seiner Majestät Namen und Stand des Vaters zu nennen. Kein Wunder, daß da mancher in der Aufregung erst kein Wort hervorbrachte und dann die Worte durcheinander warf. Hatten wir doch noch nie unserm greisen Herrscher so nahe gegenüber gestanden, ihm noch nie so scharf in das gütige Auge geblickt und seine Stimme gehört. Ernste Worte sprach der König zu uns. Er ermahnte uns, auch in schweren Stunden unsere Schuldigkeit zu tun. Bald sollten wir Gelegenheit haben, dies in die Tat umzusetzen. Manche von uns haben ihre Treue mit dem Tode besiegelt.
Im Frühjahr 1866 verließ ich das Kadettenkorps. Allezeit bin ich seitdem
dieser militärischen Erziehungsanstalt auf Grund meiner persönlichen
Erfahrungen und Neigungen dankbar und treu ergeben geblieben. Ich freute
mich immer der hoffnungsvollen jungen Kame
Am 7. April 1866 trat ich als „Sekondlieutenant“ in das 3. Garderegiment zu Fuß ein. Das Regiment gehörte zu denjenigen Truppenteilen, die gelegentlich der großen Vermehrung aktiver Verbände 1859/60 neu errichtet worden waren. Das junge Regiment hatte sich, als ich in dasselbe eintrat, bereits im Feldzug 1864 Lorbeeren erworben. Die Ruhmesgeschichte eines Truppenteiles schlingt ein einigendes Band um alle seine Angehörigen und liefert einen Kitt, der sich auch in den schwersten Kriegslagen bewährt. Hierin liegt ein unzerstörbares Etwas, das auch dann weiterwirkt, wenn, wie im letzten großen Kriege, Regimenter wiederholt einen förmlichen Neuaufbau durchmachen mußten. Übriggebliebene Reste des alten Geistes durchströmten die neuen Teile in kurzer Zeit.
Ich fand in meinem Regiment, das aus dem 1. Garde-Regiment zu Fuß hervorgegangen war, die gute, alte Potsdamer Schule, den Geist, der den besten Überlieferungen des damaligen preußischen Heeres entsprach. Das preußische Offizierkorps dieser Zeit war nicht mit Glücksgütern gesegnet, und das war gut. Sein Reichtum bestand in seiner Bedürfnislosigkeit. Das Bewußtsein eines besonderen persönlichen Verhältnisses zu seinem König – der Vasallentreue, wie ein deutscher Historiker sich ausdrückt – durchdrang das Leben der Offiziere und entschädigte sie für manche materielle Entbehrung. Diese ideale Auffassung war für die Armee von unschätzbarem Vorteil. Das Wort „ich dien'“ hatte dadurch einen ganz besonderen Klang.
Vielfach wurde behauptet, daß eine solche Auffassung eine Absonderung der Offiziere den anderen Berufsklassen gegenüber veranlaßt hätte. Ich habe diese Einseitigkeit im Offizierstande niemals in höherem Maße gefunden wie in jedem anderen Beruf, der auf sich hält und sich daher unter Seinesgleichen am wohlsten fühlt. Ein in den Grundzügen wohl zutreffendes Bild des damaligen Geistes innerhalb des preußischen Offizierskorps findet sich in einer Abhandlung über den Kriegsminister von Roon. Dort wird das Offizierskorps dieser Zeit ein aristokratischer Berufsstand genannt, fest und kräftig in sich geschlossen, aber durchaus nicht verknöchert oder dem allgemeinen Leben abgekehrt, auch keineswegs ohne eine Beimischung liberaler Elemente, fachmännisch nüchtern aber auch fachmännisch reich. Gegen das alte Ideal der weiten Menschlichkeit habe sich in ihm das neue der strammen Berufsbildung erhoben. Seine eifrigsten Vertreter habe es in den Söhnen der alten monarchisch-konservativen Schichten Preußens gefunden. Es sei getragen gewesen von einem starken Gefühl der staatlichen Macht, von einem friderizianischen Zuge, der Preußen in seinem Heere neue Betätigung in der Welt ersehnte.
Als ich beim Regiment in seinem damaligen Standort Danzig eintraf, warfen die politischen Ereignisse der folgenden Monate schon ihre Schatten voraus. Zwar war die Mobilmachung gegen Österreich noch nicht ausgesprochen, aber der Befehl zur Erhöhung des Mannschaftsstandes war ergangen und in voller Ausführung begriffen.
Angesichts des bevorstehenden Entscheidungskampfes zwischen Preußen und
Österreich bewegten sich unsere politischen und militärischen Gedankengänge
völlig in den Bahnen Friedrichs des Großen. Dementsprechend führten wir auch
in Potsdam, wohin das Regiment nach seiner vollendeten Mobilmachung verlegt
worden war, unsere Grenadiere an den Sarg dieses unvergeßlichen Herrschers.
Auch der Tagesbefehl unserer Armee vor dem Einmarsch in Böhmen
Politisch empfanden wir die Notwendigkeit einer Machtentscheidung zwischen Österreich und uns, weil für beide Großmächte nebeneinander in dem damaligen Bundesverhältnis keine freie Betätigungsmöglichkeit vorhanden war. Einer von beiden mußte weichen, und da solches durch staatliche Verträge nicht zu erreichen war, hatten die Waffen zu sprechen. Über diese Auffassung hinaus war von einer nationalen Feindschaft gegen Österreich bei uns keine Rede. Das Gefühl der Stammesgemeinschaft mit den damals noch ausschlaggebenden deutschen Elementen der Donaumonarchie war zu stark entwickelt, als daß sich feindliche Empfindungen hätten durchsetzen können. Der Verlauf des Feldzuges bewies dies auch mehrfach. Gefangene wurden von unserer Seite meist wie Landsleute behandelt, mit denen man sich nach durchgefochtenem Streite gern wieder verträgt. Die Landeseinwohner auf feindlichem Gebiete, sogar der größte Teil der tschechischen Bevölkerung, zeigten uns meist ein derartiges Entgegenkommen, daß sich in den Unterkunftsorten das Leben und Treiben wie in deutschen Manöverquartieren abspielte.
Nicht nur in Gedanken sondern auch in der Wirklichkeit schritten wir in diesem Kriege auf friderizianischen Bahnen. So brach das Gardekorps auf viel betretenen Kriegspfaden von Schlesien her bei Braunau in Böhmen ein. Und der Verlauf unseres ersten Gefechtes, desjenigen bei Soor, führte uns am 28. Juni in dem gleichen Gelände und in der nämlichen Richtung von Eipel auf Burkersdorf gegen den Feind, in der sich einst am 30. September 1747 während der damaligen Schlacht bei Soor Preußens Garde inmitten der in den starren Formen der Lineartaktik anrückenden Armee des großen Königs vorbewegt hatte.
Unser 2. Bataillon, bei dessen 5. Kompagnie ich den nach dem damaligen Reglement aus dem dritten Gliede gebildeten 1. Schützenzug führte, hatte an diesem Tage kaum Gelegenheit, in vorderster Linie einzugreifen, weil wir den taktischen Anschauungen dieser Zeit entsprechend zu der schon vor dem Gefecht ausgesonderten Reserve gehörten. Immerhin hatten wir aber doch wenigstens Gelegenheit, uns in einem Gehölz nordwestlich Burkersdorf mit österreichischer Infanterie herumzuschießen und Gefangene zu machen, sowie später ungefähr zwei Eskadrons feindlicher Ulanen, welche in einem Grunde ahnungslos hielten, durch unser Feuer zu vertreiben und ihnen ihre Fahrzeuge abzunehmen. In letzteren befanden sich unter anderm die Regimentskasse, welche abgeliefert wurde, viele Brote, welche unsere Grenadiere auf ihre Bajonette gespießt in das Biwak bei Burkersdorf brachten, und das Kriegstagebuch, welches in dem gleichen Heft wie das des italienischen Feldzuges von 1859 niedergeschrieben war. Vor etwa 12 Jahren lernte ich einen älteren Herrn, einen Mecklenburger, kennen, der damals in österreichischen Diensten als Leutnant bei einer der Ulanen-Eskadrons gestanden hatte. Er beichtete mir, daß er bei dieser Gelegenheit seine neue Ulanka eingebüßt hätte, die für den Einzug in Berlin bestimmt gewesen war.
Da ich bei Soor nicht viel erlebt hatte, so mußte ich mich damit begnügen, wenigstens Pulver gerochen und einen Teil jener seelischen Stimmung durchgemacht zu haben, welche die Truppe bei ihrer ersten Berührung mit dem Gegner ergreift.
Aus meiner Kampfbegeisterung heraus wurde ich am nächsten Tage sozusagen mit
der Rückseite der Medaille bekannt gemacht. Mir oblag mit 60 Grenadieren die
traurige Pflicht, das Gefechtsfeld nach Toten abzusuchen und diese zu
beerdigen, eine ernste Arbeit, die dadurch erschwert wurde, daß das Getreide
noch auf dem Halm stand. Mit knapper Not erreichte ich, vielfach andere
Truppenteile durch Laufen im Chausseegraben überholend, mit meinen Leuten am
Nachmittag mein Bataillon, das sich schon im Gros der Division
Der 30. Juni versetzte mich in die nüchterne Wirklichkeit kriegerischen Kleinkrams. Ich mußte mit schwacher Bedeckung etwa 30 Wagen voll Gefangener im Nachtmarsch nach Trautenau bringen, dort in die nunmehr leeren Fahrzeuge Verpflegung aufnehmen und mit dieser dann wieder nach Königinhof zurückkehren. Erst am 2. Juli früh konnte ich mich meiner Kompagnie wieder anschließen. Es war hohe Zeit, denn schon der nächste Tag rief uns auf das Schlachtfeld von Königgrätz.
Nachdem ich in der folgenden Nacht mit meinem Zuge eine Patrouille in der Richtung auf die Festung Josephstadt ausgeführt hatte, standen wir am Morgen des 3. Juli ziemlich ahnungslos im naßkalten Vorposten-Biwak am Südausgang von Königinhof herum. Da ertönte das Alarmsignal, und bald darauf kam der Befehl, rasch Kaffee zu kochen und dann marschbereit zu sein. Aufmerksame Lauscher konnten bald heftiges Geschützfeuer aus südwestlicher Richtung vernehmen. Die Anschauungen über den Grund des Gefechtslärms waren geteilt. Im allgemeinen überwog die Meinung, daß die von der Lausitz her in Böhmen eingedrungene 1. Armee des Prinzen Friedrich Karl – wir gehörten zur 2. des Kronprinzen – irgendwo auf ein vereinzeltes österreichisches Korps gestoßen sei.
Der nun eintreffende Vormarschbefehl wurde mit Jubel begrüßt. Sah doch der Gardist mit hellem Neid auf die bisherigen glänzenden Erfolge, die das links von uns vorgedrungene V. Armeekorps unter General von Steinmetz bisher errungen hatte. Unter strömendem Regen, trotz kühler Witterung in Schweiß gebadet, wateten wir mühsam in langgezogenen Kolonnen auf grundlosen Wegen vorwärts. Ein erregter Eifer hatte sich eingestellt und steigerte sich bei mir zu der Sorge, daß wir vielleicht zu spät kommen könnten.
Diese Besorgnis erwies sich bald als unnötig. Der Kanonendonner wurde, nachdem wir aus dem Elbtal heraufgestiegen waren, immer deutlicher hörbar. Auch sahen wir gegen 11 Uhr einen höheren Stab zu Pferde auf einer Anhöhe neben unserem Wege halten, sorgsam durch die Ferngläser nach Süden spähend. Es war das Oberkommando der 2. Armee, an seiner Spitze unser Kronprinz, der spätere Kaiser Friedrich. Sein damaliger Generalstabschef, General von Blumenthal, hat mir nach Jahren über diesen Augenblick folgendes erzählt:
„Gerade als die 1. Gardedivision auf unergründlichen Wegen an uns vorbeizog, bat ich den Kronprinzen, mir die Hand zu geben. Als dieser mich daraufhin fragend anblickte, fügte ich hinzu, daß ich ihm zur gewonnenen Schlacht gratulieren wolle. Das österreichische Geschützfeuer schlüge überall nach Westen, ein Beweis dafür, daß der Feind auf der ganzen Linie durch die 1. Armee gefesselt wäre, sodaß wir ihm jetzt in die Flanke und teilweise in den Rücken kämen. Angesichts solcher Lage war nur noch anzuordnen, daß das Gardekorps rechts, das VI. Korps links einer trotz des Nebels weithin sichtbaren, von zwei mächtigen Lindenbäumen gekrönten, bei Horenowes gelegenen Höhe weiter vorgehen sollten, während das I. und V. Korps, die noch im Anmarsch auf das Schlachtfeld begriffen waren, diesen Korps zu folgen hätten. Weiteres hatte der Kronprinz an dem Tage kaum noch zu befehlen.“
Unsere Bewegung wurde zunächst noch querfeldein fortgesetzt, dann
marschierten wir auf, und bald wurden uns die ersten Granaten von den Höhen
seitwärts Horenowes entgegengeschickt. Die österreichische Artillerie
bewahrheitete ihren guten, alten Ruf. Eines der ersten Geschosse verwundete
meinen Kompagnie-Führer, ein anderes tötete dicht hinter mir meinen
Flügelunteroffizier und bald schlug auch eine Granate mitten in unsere
Kolonne ein und setzte 25 Mann außer Gefecht. Als dann aber das Feuer
verstummte und die Höhen uns kampflos in die Hände fielen, weil es sich hier
nur
Zwischen Chlum und Nedelist traf unser Halbbataillon – eine damals sehr
beliebte Gefechtsformation – im Nebel und Getreide überraschend auf
feindliche, von Süden vorkommende Infanterie. Sie wurde durch das überlegene
Zündnadelgewehr bald zum Weichen gebracht. Ihr mit meinem Schützenzuge in
aufgelöster Ordnung folgend, stieß ich plötzlich auf eine österreichische
Batterie, die in rücksichtsloser Kühnheit herbeieilte, abprotzte und uns
eine Kartätschlage entgegenschleuderte. Von einer Kugel, die mir den Helm
durchbohrte, am Kopf gestreift, brach ich für kurze Zeit bewußtlos zusammen.
Als ich mich wieder aufraffte, drangen wir in die Batterie ein. Fünf
Geschütze waren unser, die drei anderen entkamen. Das war ein
Der Zufall wollte es, daß im Verlauf des letzten großen Krieges dieses mein erstes Schlachterlebnis in Österreich bekannt wurde. Ein verabschiedeter ehemaliger Offizier, Veteran von 1866, schrieb mir infolgedessen aus Reichenberg in Böhmen, daß er bei Königgrätz als Regimentskadett in der von mir angegriffenen Batterie gestanden habe, und belegte diese Tatsache durch eine Skizze. Da er noch einige freundliche Worte hinzufügte, dankte ich ihm herzlich, und so war zwischen den einstigen Gegnern ein recht kameradschaftlicher Briefwechsel zustande gekommen.
Als ich den oben erwähnten Hohlweg erreichte, hielt ich Umschau. Die
feindlichen Jäger waren im Regendunst verschwunden. Die umliegenden Dörfer
– vor mir Wsestar, rechts Rosberitz und links Sweti – waren merkbar noch
in Feindes Hand; um Rosberitz wurde bereits gekämpft. Ich selbst war mit
meinem Zug allein. Hinter mir war nichts von den Unsrigen zu sehen. Die
geschlossenen Abteilungen waren mir nicht südwärts gefolgt, sondern schienen
sich nach rechts gewendet zu haben. Ich beschloß, meiner Einsamkeit auf dem
weiten Schlachtfelde dadurch ein Ende zu machen, daß ich mich in dem Hohlweg
nach Rosberitz heranzog. Bevor ich mein Ziel erreichte, brausten noch
mehrere österreichische Schwadronen, mich mit meiner Handvoll Leuten nicht
bemerkend, an mir vorüber. Sie überschritten vor mir den Hohlweg an einer
flachen Stelle und stießen kurze Zeit darauf, wie mir das lebhafte
Gewehrfeuer verriet, im Gelände nordöstlich Rosberitz auf mir unsichtbare
diesseitige Infanterie. Bald rasten von dorther ledige Pferde zurück und
schließlich jagte alles wieder an mir vorbei. Ich schickte noch einige
Kugeln
Die Lage in Rosberitz war, als ich dort eintraf, eine ernste. Ungestüm vordrängende Züge und Kompagnien verschiedener Regimenter unserer Division waren daselbst auf sehr überlegene feindliche Kräfte geprallt. Hinter unsern schwachen Abteilungen befanden sich zunächst keine Verstärkungen. Die Masse der Division war von dem hochgelegenen Dorfe Chlum angezogen worden und stand dort in heftigem Kampf. Mein Halbbataillon, mit dem ich mich am Ostrande von Rosberitz glücklich wieder vereinigte, war daher die erste Hilfe.
Wer mehr überrascht ist, die Österreicher oder wir, vermag ich nicht zu
beurteilen. Jedenfalls drängen die zusammengeballten feindlichen Massen von
drei Seiten auf uns, um das Dorf wieder ganz in Besitz zu nehmen. So
fürchterlich unser Zündnadelgewehr auch wirkt, über die stürzenden ersten
Reihen kommen immer wieder neue auf uns zu. So entsteht in den Dorfgassen
zwischen den brennenden, strohbedeckten Häusern ein mörderisches
Handgemenge. Von Kampf in geordneten Verbänden ist keine Rede mehr. Jeder
sticht und schießt um sich, so viel er kann. Prinz Anton von Hohenzollern
vom 1. Garderegiment bricht schwerverwundet zusammen. Fähnrich von Woyrsch,
der jetzige Feldmarschall, bleibt mit einigen Leuten im
Weiter wollen wir in wilder Erbitterung nicht zurückgehen. Major Graf Waldersee vom 1. Garde-Regiment zu Fuß, der 1870 vor Paris als Kommandeur des Garde-Grenadierregiments Königin Augusta fiel, läßt als ältester anwesender Offizier die bei uns befindlichen beiden Fahnen in die Erde stecken; um diese geschart werden die Verbände wieder geordnet. Schon nahen auch von rückwärts Verstärkungen. Und so geht es denn bald wieder mit schlagenden Tambours vorwärts, dem Feinde entgegen, der sich mit der Besitzergreifung des Dorfes begnügt hat. Auch dieses räumt er bald, um sich der allgemeinen Rückzugsbewegung seines Heeres anzuschließen.
In Rosberitz fanden wir den Prinzen von Hohenzollern wieder, der aber nach kurzer Zeit im Lazarett zu Königinhof seinen Wunden erlag. Seine treue Bedeckung hatte der Feind als Gefangene mitgeführt. Auch aus meinem Zuge teilten mehrere Grenadiere dieses Schicksal, nachdem sie sich in einer Ziegelei tapfer verteidigt hatten. Als wir zwei Tage später auf dem Weitermarsch abends südwestlich der Festung Königgrätz Biwaks bezogen, fanden sich die braven Leute wieder bei uns ein. Der Kommandant der Festung hatte sie in der Richtung auf die preußischen Biwakfeuer hinausgeschickt, um der Sorge ihrer Ernährung enthoben zu sein. Sie hatten das Glück, gerade ihren eigenen Truppenteil vorzufinden.
Als Abschluß des Kampfes gingen wir noch bis Wsestar vor und blieben dort, bis wir das Schlachtfeld verließen. Der Arzt wollte mich wegen meiner Kopfwunde in ein Lazarett schicken; ich begnügte mich aber in Erwartung einer zweiten Schlacht hinter der Elbe mit Umschlägen und einem leichten Verbande und durfte fortan auf den Märschen statt des Helmes die Mütze tragen.
Eigenartige Gefühle waren es, welche mich am Abend des 3. Juli bewegten.
Nächst dem Dank gegen Gott den Herrn herrschte besonders das stolze
Bewußtsein vor, an einem Werke mitgetan zu haben, das ein neues Ruhmesblatt
in der Geschichte des preußischen Heeres und
Als wir am 6. Juli die Elbe bei Pardubitz auf einer Kriegsbrücke überschritten, erwartete dort der Kronprinz das Regiment und sprach uns seine Anerkennung über das Verhalten in der Schlacht aus. Wir dankten mit lautem Hurra und zogen weiter, stolz auf das uns von dem Oberbefehlshaber unserer Armee und Erben der Krone Preußens gespendete Lob, freudig bereit, ihm zu neuen Kämpfen zu folgen.
Der weitere Verlauf des Feldzuges brachte uns aber nur noch Märsche und somit keine erwähnenswerten Erlebnisse. Der am 22. Juli eintretende Waffenstillstand traf uns in Niederösterreich, etwa 40 km von Wien entfernt. Als wir von hier aus bald darauf den Rückmarsch in die Heimat antraten, begleitete uns ein unheimlicher Gast, die Cholera. Erst allmählich verließ sie uns, nicht ohne noch manches Opfer aus unseren Reihen gefordert zu haben.
An der Eger blieben wir einige Wochen stehen. Während dieser Zeit traf ich mich mit meinem Vater, der als Johanniter in einem Lazarett auf dem Schlachtfelde von Königgrätz tätig war, in Prag. Wir ließen diese Gelegenheit nicht vorübergehen, ohne das naheliegende Schlachtfeld unseres großen Königs zu besuchen. Wie waren wir erstaunt, dort neben dem vom preußischen Staat nach dem Befreiungskriege für den bei Prag gefallenen Feldmarschall Grafen Schwerin errichteten Denkmal ein zweites zu finden, das bereits lange Zeit vorher Kaiser Joseph II., ein Bewunderer Friedrichs des Großen, zur Ehrung des gegnerischen Helden dort hatte setzen lassen.
Die Erinnerung an den Besuch dieses Schlachtfeldes wurde in mir im Verlauf
des letzten Krieges wieder besonders lebendig. Liegt
Am 2. September überschritten wir in Fortsetzung des Rückmarsches die böhmisch-sächsische Grenze, dann am 8. September auf der Chaussee Großenhain-Elster die Grenze der Mark Brandenburg. Eine Ehrenpforte begrüßte uns. Durch sie kehrten wir unter den Klängen des „Heil Dir im Siegerkranz“ in die Heimat zurück. Mit welchen Gefühlen, bedarf keiner Erläuterung.
Am 20. September war der feierliche Einzug in Berlin. Die Paradeaufstellung erfolgte auf dem jetzigen Königsplatz, damals einem sandigen Exerzierplatz. Wo jetzt das Generalstabsgebäude steht, befand sich ein Holzhof, der mit der Stadt durch einen mit Weiden besetzten Weg verbunden war. Krolls „Etablissement“ gab es dagegen bereits. Vom Aufstellungsplatze weg rückte die Einzugstruppe durch das Brandenburger Tor die Linden herauf zum Opernplatz. Dort war der Vorbeimarsch vor Seiner Majestät dem König. Blücher, Scharnhorst und Gneisenau sahen von ihren Postamenten zu. Sie konnten mit uns zufrieden sein!
Zum Einrücken in die Paradeaufstellung hatte sich mein Bataillon am
Floraplatz versammelt. Dort wurde mir vom Kommandeur der Rote Adlerorden
4. Klasse mit Schwertern mit der Weisung überreicht, ihn sofort anzulegen,
weil die neuen Auszeichnungen beim Einzug getragen werden sollten. Als ich
mich ziemlich ratlos umsah, trat aus der Menge der Zuschauer eine ältere
Dame heraus und befestigte mit einer Stecknadel das Ehrenzeichen auf meiner
Brust. So
Nach dem Kriege wurde dem 3. Garderegiment Hannover als Friedensgarnison zugewiesen. Man wollte dadurch wohl der bisherigen Hauptstadt eine Aufmerksamkeit erweisen. Ungern gingen wir hin, als aber nach 12 Jahren die Scheidestunde durch Versetzung des Regiments nach Berlin schlug, da war wohl keiner in dessen Reihen, dem die Trennung nicht schwer wurde. Ich selbst hatte die schöne Stadt, die ich schon 1873 verlassen mußte, so lieb gewonnen, daß ich mich später nach meiner Verabschiedung dorthin zurückzog.
Bald hatten wir in dem neuen Standort Bekanntschaften angeknüpft. Manche Hannoveraner hielten sich freilich aus politischen Gründen gänzlich zurück. Wir haben die Treue gegen das angestammte Herrscherhaus nie verurteilt, so sehr wir von der Notwendigkeit der Einverleibung Hannovers in Preußen durchdrungen waren. Nur da, wo das Welfentum im Verhalten einzelner seinen Schmerz nicht mit Würde trug, sondern sich in Ungezogenheiten, Beleidigungen oder Widersetzlichkeiten gefiel, sahen wir in ihm einen Gegner.
Immer mehr lebten wir uns im Laufe der Jahre in Hannover ein, das in
glücklichster Weise die Vorteile einer Großstadt nicht mit den Nachteilen
einer solchen vereinigt. Eine rege, vornehme Geselligkeit, welche später,
nach dem französischen Kriege, dadurch ihren Höhepunkt erreichte, daß Ihre
Königlichen Hoheiten der Prinz Albrecht von Preußen und Gemahlin dort
jahrelang weilten, wechselte mit dem Besuch des vorzüglichen Hoftheaters ab,
der dem jungen Offizier für ein Billiges ermöglicht war. Herrliche
Parkanlagen und einer der schönsten deutschen Wälder, die Eilenriede,
umgeben die Stadt; an ihnen konnte man sich in dienstfreien Stunden zu Fuß
und zu Pferde erfreuen. Und nahmen wir an den Manövern
Im Sommer 1867 besuchte Seine Majestät der König zum ersten Male Hannover. Ich stand bei der Ankunft in der Ehrenkompagnie vor dem Palais im Georgspark und wurde von meinem Kriegsherrn durch die Frage beglückt, bei welcher Gelegenheit ich mir den Schwerterorden verdient hätte. In spätern Jahren, nachdem ich mir noch das Eiserne Kreuz für 1870/71 erworben hatte, hat mein Kaiser und König die gleiche Frage noch manchesmal bei Versetzungs- und Beförderungsmeldungen an mich gerichtet. Stets durchzuckte es mich dann mit ebensolchem Stolz und ebensolcher Freude wie damals.
Immer fester fügten sich die staatlichen, militärischen und sozialen Verhältnisse Hannovers ineinander. Bald sollte sich auch diese neue Provinz auf blutigen Schlachtfeldern als ebenbürtiger Bestandteil Preußens bewähren!
Bei Ausbruch des Krieges 1870 rückte ich als Adjutant des 1. Bataillons ins
Feld. Mein Kommandeur, Major von Seegenberg, hatte die Feldzüge von 1864 und
1866 im Regiment als Kompagniechef mitgemacht. Er war ein kriegserprobter
altpreußischer Soldat
Der Beginn des Feldzuges brachte für das Regiment, wie für das ganze Gardekorps, insofern schmerzliche Enttäuschungen, als wir in wochenlangen Märschen nicht an den Feind kamen. Erst nachdem wir bereits die Mosel oberhalb Pont à Mousson überschritten und beinahe die Maas erreicht hatten, riefen uns die Ereignisse westlich Metz am 17. August in die dortige Gegend. Wir bogen nach Norden ab und trafen nach außerordentlich anstrengendem Marsch am Abend dieses Tages auf dem Schlachtfelde von Vionville ein. Die Spuren des furchtbaren Ringens unseres III. und X. Armeekorps am vorhergehenden Tage traten uns allenthalben vor die Augen. Über die Kriegslage erfuhren wir soviel wie nichts. So marschierten wir auch am 18. August von unseren Biwakplätzen bei Hannonville westlich Mars la Tour in eine uns noch ziemlich unklare Lage hinein und erreichten gegen Mittag Doncourt. Der bis dorthin verhältnismäßig kurze Marsch, ausgeführt in dichten Massenformationen unter unliebsamer Kreuzung mit dem sächsischen (XII.) Korps, in glühender Hitze, in dichten Staubwolken, ohne die Möglichkeit genügender Wasserversorgung seit dem vorausgehenden Tage, war zu einer großen Anstrengung geworden. Ich selbst hatte auf dem Marsch erst das Grab eines bei den 2. Gardedragonern gefallenen Vetters auf dem Friedhof von Mars la Tour besucht und dann Gelegenheit genommen, über das Angriffsfeld der 38. Infanteriebrigade und des 1. Garde-Dragoner-Regiments zu reiten. Reihen, ja stellenweise ganze Haufen von Gefallenen, Preußen wie Franzosen, in und nördlich einer Schlucht, bewiesen, welch ein mörderischer Kampf hier auf den allernächsten Entfernungen geführt worden war.
Bei Doncourt machen wir Halt und denken ans Abkochen. Gerüchte, daß Bazaine
nach Westen abmarschiert und damit entkommen sei, verbreiten sich. Die
Begeisterung vom Vormittag ist ziemlich abgeflaut. Plötzlich beginnt in
östlicher Richtung eine gewaltige
Um einen frontalen Angriff gegen die feindliche Stellung zu vermeiden, wenden wir uns in einer Wiesenschlucht, etwa fünf Kilometer gleichlaufend zur feindlichen Front, nach Norden auf Ste. Marie aux Chênes. Das Dorf wird von der Avantgarde unserer Division und Teilen des links von uns auf Auboué marschierenden XII. Korps angegriffen und besetzt. Nach Gewinnung von Ste. Marie marschiert unsere Brigade dicht südlich des Dorfes, mit der Front nach diesem, auf. Wir ruhen. Freilich eine eigenartige Ruhe. Verirrte Kugeln aus St. Privat vorgeschobener feindlicher Schützen schlagen ab und zu in unsere dicht geschlossenen Formationen ein. Leutnant von Helldorff, vom 1. Garderegiment, wird in meiner Nähe erschossen; sein Vater, Bataillonskommandeur im gleichen Regiment, war 1866 bei Königgrätz in Rosberitz auch unweit von mir gefallen. Mehrere Leute werden verwundet.
Ich betrachte mir die Lage. In östlicher Richtung, fast in der rechten Flanke unserer jetzigen Front, liegt auf einer allmählich ansteigenden Höhe St. Privat, mit dem etwa zwei Kilometer entfernten Ste. Marie aux Chênes durch eine gradlinige, mit Pappeln bestandene Chaussee verbunden. Das Gelände nördlich dieser Straße ist durch die Baumreihen großenteils der Sicht entzogen, macht aber den gleichen deckungslosen Eindruck, wie das Feld südlich der Chaussee. Auf den Höhen selbst herrscht eine fast unheimliche Stille. Unwillkürlich strengt sich das Auge an, dort vermutete Geheimnisse zu entdecken. Ihnen durch Aufklärung den Schleier zu nehmen, scheint man auf unserer Seite nicht für nötig zu halten. So bleiben wir denn ruhig liegen.
Gegen 5½ Uhr nachmittags trifft unsere Brigade der Angriffsbefehl. Wir sollen hart östlich Ste. Marie vorbei in nördlicher Richtung antreten und dann jenseits der Chaussee gegen St. Privat zum Angriff einschwenken. Das Bedenken, daß diese künstliche Bewegung von St. Privat her in der rechten Flanke gefaßt würde, drängt sich sofort auf.
Kurz bevor sich unsere Bataillone erheben, wird das ganze Gelände um St.
Privat lebendig und hüllt sich in den Qualm feuernder französischer Linien.
Die nicht zu unserer Division gehörige 4. Gardebrigade geht nämlich bereits
südlich der Chaussee vor. Gegen sie wendet sich daher vorläufig die ganze
Kraft der gegnerischen Wirkung. Diese Truppe würde in kürzester Zeit zur
Schlacke ausbrennen, wenn wir, die 1. Gardebrigade, nicht baldmöglich
nördlich der Chaussee angreifen und dadurch Entlastung schaffen würden.
Freilich, dort hinüberzukommen, erscheint fast unmöglich. Mein Kommandeur
reitet mit mir vor, um das Gelände einzusehen und dem Bataillon im Rahmen
der Brigade die Marschrichtung anzugeben. Ein ununterbrochener Feuerorkan
fegt jetzt auch gegen uns über das ganze Feld. Doch wir müssen versuchen,
die eingeleitete Bewegung durchzuführen. Es gelingt uns auch, die Straße zu
über
Um sein Bataillon aus der Anstauung der Massen nordöstlich Ste. Marie herauszubringen und ihm die für den Kampf notwendige Armfreiheit zu schaffen, läßt mein Kommandeur dasselbe nicht gleich die Front auf St. Privat nehmen, sondern setzt mit ihm zunächst in einer Falte des Geländes die bisherige nördliche Bewegung fort. So schieben wir uns in leidlicher Deckung so weit seitlich heraus, daß wir nach dem Einschwenken den linken Flügel der Brigade bilden. In diesem Verhältnis gelangen wir unter zunehmenden Verlusten in die Gegend halbwegs Ste. Marie-Roncourt.
Bevor wir uns von hier aus zu einer Umfassung von St. Privat anschicken
können, müssen wir bei Roncourt, das die Sachsen von Auboué aus noch nicht
erreicht zu haben scheinen, klar sehen. Ich reite hin, finde das Dorf von
Freund und Feind unbesetzt, bemerke aber in den Steinbrüchen östlich des
Dorfes französische Infanterie. Es gelingt mir, noch rechtzeitig zwei
Kompagnien meines Bataillons
In der Front nimmt unterdessen das blutige Ringen seinen Fortgang. Von feindlicher Seite aus ein ununterbrochen rollendes Infanteriefeuer aus mehreren Linien, das alles Leben auf dem weiten, deckungslosen Angriffsfeld niederzudrücken versucht. Auf unserer Seite eine lückenreiche Linie loser Truppentrümmer, die sich aber nicht nur am Boden festkrallen, sondern wie in krampfhaften Zuckungen sich immer wieder auf den Gegner zu stürzen versuchen. Mit verhaltenem Atem sehe ich auf diese Schlachtszenen, aufs äußerste gespannt, ob nicht ein feindlicher Gegenstoß unsere Truppen wieder zurückschleudern würde. Doch die Franzosen bleiben bis auf einen nicht über das erste Anreiten hinauskommenden Versuch, mit Kavallerie nördlich um St. Privat herum vorzubrechen, starr in ihren Stellungen.
Eine Atempause im Infanteriekampf tritt ein. Beide Teile sind erschöpft und
liegen sich, nur wenig feuernd, gegenüber. Die Waffenruhe auf dem
Schlachtfelde ist so ausgesprochen, daß ich vom linken Flügel bis fast zur
Mitte der Brigade und zurück in der Feuerlinie entlang reite, ohne das
Gefühl einer Gefahr zu haben. Aber dann beginnt die Zermürbungsarbeit
unserer vorgezogenen Artillerie, und bald schieben sich außerdem die
frischen Kräfte der 2. Gardebrigade von Ste. Marie her in die im Verbluten
begriffenen Reste der 4. und 1. ein, während von Nordwesten auch sächsische
Hilfe naht. Der Druck, der auf der schwer ringenden Infanterie
Als ich spät Abends die Reste unseres Bataillons zählte und dann am andern Morgen die noch viel schwächern Trümmer der übrigen Teile meines Regimentes wiedersah, als die innere Abspannung eintrat, da kamen weichere Seiten menschlichen Gefühles zu ihrer Geltung. Man denkt dann nicht nur an das, was im Kampfe gewonnen wurde sondern auch an das, was dieser Erfolg gekostet hat. Das 3. Garderegiment hatte einen Gesamtverlust von 36 Offizieren, 1060 Unteroffizieren und Mannschaften aufzuweisen, davon tot 17 Offiziere und 304 Mann. Ähnliche Zahlen ergaben sich bei allen Garde-Infanterie-Regimentern. Im Verlauf des letzten großen Krieges sind Gefechtsverluste in der Höhe, wie sie die Garde bei St. Privat erlitten, innerhalb unserer Infanterieregimenter häufig geworden. Ich konnte aus meinen damaligen Erfahrungen ermessen, was das für die Truppe bedeutet. Welch eine Masse bester, vielfach unersetzlicher Kräfte sinken da ins Grab! Welch ein herrlicher Geist muß aber andererseits in unserem Volke lebendig gewesen sein, um trotzdem in jahrelangem Ringen unsere Armee weiter kampfkräftig zu erhalten!
Am 19. August begruben wir unsere Toten, und am 20. nachmittags marschierten
wir nach Westen ab. Unser Divisionskommandeur, Generalleutnant von Pape,
sprach uns unterwegs seine Anerkennung für unsere Erfolge aus und betonte,
daß wir damit aber nur unsere
Welche militärische Kritik man auch an den Kampf um St. Privat anlegen mag, er verliert jedenfalls dadurch nichts von seiner inneren Größe. Sie liegt in dem Geiste, in dem die Truppe die stundenlange furchtbare Krisis ertrug und schließlich siegreich überwand. Dieses Gefühl war für uns in der Erinnerung an den 18. August fortan ausschlaggebend. Die ernste Stimmung, die sich durch die Schlacht unserer Mannschaften bemächtigt hatte, verflüchtigte sich bald; dafür erhielt sich der Stolz auf die persönlichen Leistungen und die Taten der Gesamtheit bis auf den heutigen Tag. Noch im Jahre 1918 feierte ich, wieder auf feindlichem Boden, den Tag von St. Privat mit dem 3. Garderegiment, dem ich dank der Gnade meines Königs wieder angehörte. Mehrere „alte Herren“, Mitkämpfer von 1870, darunter auch der früher erwähnte Major a. D. von Seel, waren zu dem Gedenktag aus der Heimat an die Front geeilt. Es war das letztemal, daß ich das stolze Regiment gesehen habe!
Wie ich höre, sind die Denkmäler der preußischen Garde auf den Höhen von St. Privat jetzt von unseren Gegnern niedergerissen worden. Sollte dies wirklich wahr sein, so glaube ich nicht, daß solche Tat geeignet ist, deutsches Heldentum zu erniedrigen. Vielfach habe ich deutsche Offiziere und Soldaten vor französischen Kriegsdenkmälern, auch wenn sie auf deutschem Boden standen, in stiller Ehrung weilen sehen und ihnen die Achtung vor gegnerischen Leistungen und Opfern nachempfunden.
Nach der Schlacht übernahm mein Bataillonskommandeur als der einzige unverwundete Stabsoffizier die Führung des Regiments. Ich blieb auch in der neuen Stellung sein Adjutant.
Der Verlauf derjenigen Operation, die bei Sedan ihren denkwürdigen Abschluß fand, brachte wenig Bemerkenswertes für mich. Das Vorspiel, die Schlacht bei Beaumont, durchlebten wir am 30. August in der Reserve stehend nur als Zuschauer. Auch am 1. September verfolgte ich den Gang der Schlacht vornehmlich in der Rolle eines Beobachters. Das Gardekorps bildete den nordöstlichen Teil des eisernen Ringes, der sich im Laufe des Tages um die Armee Mac Mahons schloß. Die 1. Gardebrigade stand im besondern von morgens bis nachmittags hinter den östlich des Grundes von Givonne gelegenen Höhen abwartend bereit. Ich benutzte diese Untätigkeit dazu, mich zu den am Höhenrande in langer Linie aufgefahrenen Gardebatterien zu begeben, welche ihre Geschosse über den Grund hinweg in die auf den jenseitigen, meist bewaldeten Höhen stehenden Franzosen schleuderten. Von hier hatte man einen beherrschenden Blick auf die ganze Gegend vom Ardenner Wald bis zum Abfall gegen die Maas. Im besondern lag das Höhengelände von Illy und die französische Stellung westlich des Givonne-Baches einschließlich des Bois de la Garenne zum Greifen nahe vor mir. Die Katastrophe der französischen Armee entwickelte sich also geradezu vor meinen Augen. Ich konnte verfolgen, wie der deutsche Feuerkreis sich allmählich um den unglücklichen Gegner schloß, und wie die Franzosen heldenhafte, aber von Anbeginn an völlig aussichtslose Versuche machten, durch einzelne Vorstöße unsere Umklammerung zu durchbrechen. Für mich hatte der Kampf noch ein besonderes Interesse. Am Tage vor der Schlacht hatte ich nämlich beim Durchmarsch durch Carignan von einem gesprächigen französischen Sattler, bei dem ich mir im Vorbeireiten eine Reitpeitsche kaufte, erfahren, daß der französische Kaiser bei seiner Armee sei. Ich meldete dies weiter, fand aber keinen Glauben. Als ich am Schlachttage angesichts der sich immer mehr vollendenden feindlichen Vernichtung die Äußerung tat: „In diesem Kessel befindet sich auch Napoleon“, wurde ich ausgelacht. Mein Triumph, als sich später meine Ansicht bestätigte, war groß.
Mein Regiment kam an diesem Tage nicht zu einer größeren Gefechtstätigkeit. Wir folgten gegen 3 Uhr nachmittags dem 1. Garderegiment über den Givonne-Abschnitt. Zu diesem Zeitpunkt war dem französischen Widerstand durch unsere von allen Seiten wirkende Artillerie schon die Waffe aus der Hand geschlagen worden. Es handelte sich eigentlich nur noch darum, den Feind gegen Sedan zusammenzupressen, um ihm die Aussichtslosigkeit weiteren Widerstandes recht nachdrücklich vor die Augen zu führen. Die Vernichtungsbilder, die ich bei diesem Vorgehen an dem Nordostrand des Bois de la Garenne sah, übertrafen alle Schrecken, die mir je auf Schlachtfeldern entgegengetreten sind.
Schon zwischen 4 und 5 Uhr richteten wir uns in unsern Biwaks ein. Die Schlacht war beendet. Nur ein Gewehrschuß fiel noch gegen Abend und eine Kugel pfiff über uns hinweg. Als wir zum Waldrand aufblickten, schwang dort ein Turko mit drohender Gebärde sein Gewehr und verschwand dann mit langen Sätzen im Dunkel der Bäume.
Niemals, vorher wie nachher, habe ich die Nacht auf einem Schlachtfeld mit
dem Gefühle gleicher restloser Befriedigung verbracht, wie hier. Träumte
doch jeder, nachdem das „Nun danket alle Gott“ verklungen war, von einem
baldigen Kriegsende. Hierin wurden wir freilich bitter enttäuscht. Der Krieg
ging weiter. Diese Fortsetzung des französischen Widerstandes nach der
Schlacht von Sedan hat man bei uns oft nur als eine unnütze französische
Selbstzerfleischung angesehen. Ich konnte diesem Urteil nicht beipflichten
und habe dem Weitblick der damaligen Diktatoren den Beifall nicht versagen
können. Zeigte sich doch darin, daß die französische Republik die Waffen da
aufnahm, wo das Kaiserreich sie niederzulegen gezwungen war, meiner Ansicht
nach nicht nur ein vorbildlicher patriotischer Geist sondern auch ein weiter
staatsmännischer Zukunftsblick. Ich glaube noch heute, daß Frankreich mit
einem Versagen seines Widerstandswillens in diesem
Der 2. September brachte uns vormittags den Besuch des Kronprinzen, dem wir die erste Nachricht von der Gefangennahme Napoleons und seiner Armee verdankten, und nachmittags den unseres Königs und Kriegsherrn. Von dem beispiellosen Jubel, mit dem der Monarch empfangen wurde, vermag man sich kaum eine Vorstellung zu machen. Die Mannschaften waren nicht in Reih und Glied zu halten. Sie umringten ihren heißgeliebten Herrn und küßten ihm Hände und Füße. Seine Majestät sah seine Garden zum ersten Male in diesem Feldzuge; er dankte uns tränenden Auges für das, was wir bei St. Privat geleistet hatten. Das war reicher Lohn für jene schweren Stunden! Im Gefolge des Königs befand sich auch Bismarck. Er ritt in olympischer Ruhe am Ende der Kavalkade, wurde aber erkannt und bekam ein besonderes Hurra, das er schmunzelnd entgegennahm. Moltke war nicht zugegen.
Am 3. September mittags bekam mein Regiment Befehl, gegen Sedan vorzugehen
und alle noch außerhalb der Festung befindlichen Franzosen in diese
hineinzudrängen. Hierdurch sollte verhindert werden, daß die sich zahlreich
im Vorgelände herumtreibenden Gegner verleitet würden, die massenhaft
umherliegenden Gewehre zu ergreifen und einen, wenn auch aussichtslosen
Durchbruchsversuch zu wagen. Ich ritt voraus durch das Bois de la Garenne
bis auf die Höhen dicht über der Stadt. Die die Landschaft belebenden
Rothosen erwiesen sich als harmlose Sucher nach Mänteln und Decken, welche
sie in die Gefangenschaft mitnehmen wollten. Das Eingreifen des Regiments
wurde daher unnötig; einige Patrouillen anderer Truppenteile, die in der
Nähe biwakierten, genügten. Als ich dem mir nachfolgenden Regiment mit
dieser Meldung entgegenritt, sah ich im Gehölz auf der nach Norden führenden
Chaussee eine Staubwolke. Ein französischer Militärarzt, der vor der in ein
Lazarett umgewandelten Querimont-Ferme stand und mich ein Stück Weges
begleitete,
Am Abend dieses Tages verließen wir das Schlachtfeld und rückten in nahe Quartiere. Von diesen aus traten wir dann nach einem Ruhetage den Vormarsch auf Paris an. Dieser führte uns zunächst über das Schlachtfeld von Beaumont und später durch Gegenden, welche im letzten großen Kriege der Schauplatz schwerer Kämpfe gewesen sind. Am 11. und 12. September lag das Regiment in Craonne und Corbény, zwei freundlichen Städtchen am Fuße des Winterberges. Und am 28. Mai 1918 stand ich während der Schlacht bei Soissons-Reims neben meinem Allerhöchsten Kriegsherrn auf ebendemselben Winterberge. Ich machte Seine Majestät darauf aufmerksam, daß ich vor 48 Jahren dort unten im Quartier gelegen hätte. Von den beiden Orten waren kaum noch Trümmer übriggeblieben. Das Haus, in welchem ich an der Marktecke in Corbény gewohnt hatte, war unter Schutt und Asche nicht mehr herauszufinden. Auch der Winterberg, 1870 ein grüner, teilweise bewaldeter Rücken, zeigte nur kahle, steile Kalkhänge, von denen Geschosse, Hacke und Spaten die letzte Erdkrume entfernt hatten. Ein bei aller damaliger Siegesfreude trauriges Wiedersehen!
Am 19. September sahen wir von der Hochfläche bei Gonesse aus, 8 km nordöstlich St. Denis, zum ersten Male die
französische Hauptstadt. Die vergoldeten Kuppeln des Invalidendoms und
anderer Kirchen funkelten im Morgensonnenstrahl. Ich glaube, daß die
Kreuzfahrer einst mit ähnlichen Gefühlen auf Jerusalem geblickt haben, wie
wir jetzt auf das zu unseren Füßen liegende Paris. Früh um 3 Uhr waren wir
im Dunkeln aufgebrochen und lagen nun den ganzen schönen Herbsttag über auf
den Stoppelfeldern zum Eingreifen bereit, im Falle bei uns oder den
Nachbardivisionen das Besetzen und Einrichten der Vorpostenstellungen auf
Statt eines baldigen vollen Erfolges hatten wir vor Paris noch monatelang recht anstrengenden und undankbaren Einschließungsdienst auszuüben, der an unserer Front nur selten durch kleinere Ausfallgefechte unterbrochen wurde. In die Eintönigkeit solcher Tätigkeit brachte erst die Weihnachtszeit mit der Beschießung der Forts eine militärisch belebende Zugluft.
Die Mitte des Januar brachte dann für mich ein besonderes Erleben. Ich wurde mit einem Sergeanten als Vertreter des Regiments zur Kaiserproklamation nach Versailles entsandt. Den Befehl hierzu bekam ich am 16. Januar abends. Noch in dieser Nacht hatte ich mich in dem 15 km entfernten Margency einzufinden, woselbst vom Oberkommando der Maas-Armee für die Unterbringung aller aus östlichen Quartieren kommenden Abordnungen gesorgt war. Von dort sollten wir uns am 17. über St. Germain nach Versailles begeben. Zu Pferde konnte ich den etwa 40 km weiten Weg nicht zurücklegen, weil ich Gepäck mit mir führen mußte. Da setzte ich mich denn mit meinem Sergeanten und Burschen kurz entschlossen auf den Packwagen der Leibkompagnie des 1. Garderegiments, die mit mir im gleichen Ort lag und auch nach Versailles befohlen war. Im Schritt ging es so bei starker Kälte durch nächtliche Finsternis nach Margency, wo uns in einer Villa geheizte Kamine, gutes Strohlager und Tee erwarteten.
Am 18. früh eröffnete mir der Führer der Leibkompagnie, daß er soeben
angewiesen sei, nicht nach Versailles zu marschieren sondern zum Regiment
zurückzukehren. Glücklicherweise nahm mich und meinen Burschen ein anderer
Kamerad mit auf seinen zweiräderigen
Die Feier am 18. ist genugsam bekannt. Sie war für mich reich an Eindrücken. Am erhebendsten und zugleich ergreifendsten wirkte selbstredend die Person meines Allergnädigsten Königs und Herrn. Seine ruhige, schlichte, alles beherrschende Würde gab der Feier eine größere Weihe als aller äußere Glanz. Die herzenswarme Begeisterung für den erhabenen Herrscher war aber auch bei allen Teilnehmern, welchem deutschen Volksstamme sie auch angehörten, gleich groß. Die Freude über das „Deutsche Reich“ brachten wohl unsere süddeutschen Brüder am lebhafteren zum Ausdruck. Wir Preußen waren darin zurückhaltender, aus historischen Gründen, die uns unsern eigenen Wert zu einer Zeit schon hatten erkennen lassen, in der Deutschland nur ein geographischer Begriff war. Das sollte fortan anders werden!
Am Abend des 18. waren die in Versailles anwesenden Generale zur Tafel bei Seiner Majestät dem Kaiser in der Präfektur befohlen. Wir übrigen waren Gäste des Kaisers im Hotel „de France“.
Der 19. Januar begann mit einer Besichtigung des alten französischen Königsschlosses mit seiner stolzen, den Ruhm Frankreichs verewigenden Gemäldesammlung. Auch der weitausgedehnte Park wurde besucht. Da rief uns plötzlich Kanonendonner in die Stadt zurück. Die Besatzung von Versailles war bereits alarmiert und im Ausmarsch begriffen. Es handelte sich um den großen Ausfall der Franzosen vom Mont Valerien her. Wir beobachteten den Kampfverlauf eine Zeitlang als Schlachtenbummler. Nachmittags traten wir dann die Rückfahrt an, und spät in der Nacht erreichte ich wieder mein Regimentsstabsquartier Villers le Bel, 8 km nördlich St. Denis, dankbar dafür, daß ich den großen geschichtlichen Augenblick hatte miterleben und meinem nunmehrigen Kaiser zujubeln dürfen.
Der vergebliche Ausfall vom Mont Valerien war die letzte große Kraftäußerung Frankreichs. Ihm folgte am 26. die Kapitulation von Paris und am 28. der allgemeine Waffenstillstand. Gleich nach der Übergabe der Forts wurde unsere Brigade westwärts in die zwischen dem Mont Valerien und St. Denis gelegene Seinehalbinsel geschoben. Wir bezogen gute, schön gelegene Quartiere hart am Flußufer, Paris gegenüber in der Nähe des Pont de Neuilly.
Von dort aus hatte ich Gelegenheit, Paris wenigstens oberflächlich
kennenzulernen. Am 2. März morgens ritt ich in Begleitung einer
Gardehusaren-Ordonnanz über die eben genannte Brücke nach dem Triumphbogen.
Ich umging diesen ebensowenig wie am Tage vorher mein Freund, der damalige
Husarenleutnant von Bernhardi, der als erster in Paris einrückte. Dann ritt
ich die Champs Elysées herunter über die Place de la Concorde und durch die
Tuilerien bis hinein in den Hof des Louvre, schließlich an der Seine entlang
und durch den Bois de Boulogne wieder nach Hause. Ich ließ auf
So wenig ich geneigt bin, einem Kosmopolitismus zu huldigen, so weit entfernt war ich stets von Voreingenommenheit andern Völkern gegenüber; trotz aller wesensfremden Eigenschaften verkannte ich ihre guten Seiten nicht. So hat das französische Volk zwar für mich ein zu lebhaftes und daher zu rasch wechselndes Temperament; andererseits aber finde ich in dem Elan, der gerade in schwersten Zeiten in diesem Volke ganz einzigartig lebendig werden kann, einen besondern Vorzug. Vor allem schätze ich es, daß kraftvolle Persönlichkeiten so hinreißend auf die Masse zu wirken und sie derartig in ihren Bannkreis zu ziehen vermögen, daß die französische Nation imstande ist, aus Hingabe zu einem vaterländischen Ideal jegliche Art von Sonderinteressen bis zur völligen Hinopferung zurückzustellen. In eigenartigem Gegensatz hierzu steht das im letzten großen Kriege oft bis zum Sadismus gesteigerte und daher nicht durch zu lebhaftes Temperament entschuldbare Verhalten der Franzosen gegen wehrlose Gefangene.
Am Tage nach meinem Besuch in Paris hatte das Gardekorps die hohe Ehre und unendliche Freude, vor seinem Kaiser und König auf den Longchamps in Parade zu stehen. In alter preußischer Strammheit defilierten die kampferprobten Regimenter vor ihrem Kriegsherrn, auf dessen Befehl sie jederzeit bereit waren, erneut ihr Leben für den Schutz und die Ehre des Vaterlandes einzusetzen. Zu einem wirklichen Einzug in Paris, wie er vorher andern Armeekorps beschieden gewesen war, kam es für uns nicht mehr, weil inzwischen der Präliminarfriede abgeschlossen war und Deutschland den in ehrlichem Kampfe besiegten Gegner nicht den Kelch der Demütigung bis auf die Neige leeren lassen wollte.
Festlich begingen wir dann auch vor Paris am 22. März den Geburtstag Seiner
Majestät. Es war ein herrlicher, warmer Früh
Aber ganz so früh, als wir hofften, sollten wir Frankreich nicht verlassen. Wir mußten vielmehr zunächst noch an der Nordfront von Paris in und bei St. Denis stehenbleiben und wurden dort Zeugen des Kampfes der französischen Regierung gegen die Kommune.
Die erste Entwickelung der neuen revolutionären Ereignisse hatten wir schon während der Belagerung verfolgen können. Die Zuchtlosigkeit extremer politischer Kreise dem Gouverneur von Paris gegenüber war uns bekannt. Als die Waffenruhe eintrat, begann die umstürzlerische Bewegung sich immer mehr hervorzuwagen. Bismarck hatte den französischen Machthabern zugerufen: „Sie sind durch die Revolution emporgekommen, eine neue Revolution wird Sie wieder wegfegen.“ Er schien recht behalten zu sollen.
Im allgemeinen war unser Interesse an diesen umstürzlerischen Vorgängen
anfänglich gering. Erst von Mitte März ab, als die Kommune die Herrschaft an
sich zu reißen begann, und die Entwickelung immer mehr zum offenen Kampfe
zwischen Versailles und Paris drängte, erhöhte sich unsere Aufmerksamkeit.
Zeitungen und Flüchtlinge unterrichteten uns über die Vorgänge im Inneren
der Stadt. Während nunmehr deutsche Korps Frankreichs Hauptstadt im Norden
und Osten gewissermaßen als Verbündete der Regierungstruppen absperrten,
gingen letztere in langwierigen Kämpfen von Süden und Westen her zum Angriff
auf Paris über. Die Ereignisse außerhalb der Festungsumwallung konnte man am
besten von den Höhen bei Sannois, 6 km
nordwestlich von Paris an der Seine gelegen, beobachten. Geschäftsgewandte
Franzosen hatten dort Fernrohre aufgestellt, die sie den deutschen Soldaten
gegen
Aus dem hochgelegenen Fenster in St. Denis sah ich schließlich eines Tages das Ende der Kommune mit an. Außerhalb des Hauptwalles von Paris vorgehende Regierungstruppen umgingen den Montmartre westlich und erstürmten bald darauf über dessen damals noch unbebauten Nordhang hinweg die weit beherrschende Höhe, das letzte Bollwerk des Aufstandes.
Ich betrachte es als eine bittere Ironie des Schicksals, daß die einzige politische Partei Europas, die damals, wie ich wohl annehmen darf, in völliger Verkennung der wahren Vorgänge diese Bewegung verherrlichte, zur Zeit in unserem Vaterlande gezwungen ist, mit aller Schärfe gegen kommunistische Bestrebungen vorzugehen. Es ist dies ein Beweis dafür, wohin doktrinäre Einseitigkeiten führen, bis die praktische Erfahrung aufklärend eingreift.
Mit dem warnenden Beispiel der zuletzt geschilderten Vorgänge im Herzen kehrten wir Anfang Juni der Hauptstadt Frankreichs den Rücken und trafen nach dreitägiger Eisenbahnfahrt in unserem glücklicheren, siegreichen Vaterlande ein.
Der Einzug in Berlin erfolgte diesmal vom Tempelhofer Felde aus. Vertreter aller deutschen Truppenteile waren neben dem Gardekorps hierbei beteiligt. Die Hoffnung auf einen siegreichen dritten Einzug durch das Brandenburger Tor, die ich nicht meinetwegen sondern um meines Kaisers und Königs und um des Vaterlandes willen lange im innersten Herzensgrunde gehegt hatte, sollte nicht in Erfüllung gehen!
Mit reichen Erfahrungen auf allen kriegerischen Gebieten waren wir vom französischen Boden in die Heimat zurückgekehrt. Mit dem einigen Vaterland war ein deutsches Einheitsheer geschaffen, an dessen Grundgedanken die staatlichen Sonderheiten nur oberflächliche Abweichungen bedingt hatten. Die Einheitlichkeit in der kriegerischen Auffassung war von jetzt ab ebenso gewährleistet wie die Einheitlichkeit der Organisation, der Bewaffnung und Ausbildung. Es lag im natürlichen Verlauf der deutschen Entwicklung, daß die preußischen Erfahrungen und Einrichtungen für den weiteren Ausbau des Heeres ausschlaggebend wurden.
Die Friedensarbeit setzte allenthalben wieder ein. Ich verblieb für die nächsten Jahre noch im Truppendienst, folgte dann aber meiner Neigung zu einer höheren militärischen Ausbildung, bereitete mich zur Kriegsakademie vor und fand im Jahre 1873 Aufnahme in diese.
Das erste Jahr entsprach nicht ganz meinen Erwartungen. Anstatt mit
Kriegsgeschichte und neuzeitiger Gefechtslehre wurden wir auf diesem Gebiet
der Militärwissenschaften damals lediglich mit Geschichte alter Kriegskunst
und früherer Taktiken abgespeist, also mit Nebendingen. Dazu mußten wir
zwangsweise Mathematik hören, die nur ganz wenige von uns später als
Trigonometer in der Landesaufnahme ausnutzen wollten. Erst die beiden
letzten Jahre und die Kommandierung zu andern Waffen in den Zwischenkursen
brach
Nicht wenig trug hierzu auch das vielseitige gesellige Leben Berlins bei. Ich hatte die Ehre, zu dem engern Kreise Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Alexander von Preußen herangezogen zu werden, und kam dadurch nicht nur mit hohen Militärs sondern auch mit Männern der Wissenschaft sowie des Staats- und Hofdienstes in Berührung.
Nach Beendigung meines Kommandos zur Kriegsakademie kehrte ich zunächst für ein halbes Jahr zum Regiment nach Hannover zurück und wurde dann im Frühjahr 1877 zum Großen Generalstab kommandiert.
Im April 1878 erfolgte meine Versetzung in den Generalstab unter Beförderung zum Hauptmann. Wenige Wochen darauf wurde ich dem Generalkommando des II. Armeekorps in Stettin zugewiesen. Hiermit begann meine militärische Laufbahn außerhalb der Truppe, zu welch letzterer ich bis zu meiner Ernennung zum Divisionskommandeur nur zweimal zurückkehrte.
Der Generalstab war wohl eines der bemerkenswertesten Gefüge innerhalb des
Gesamtrahmens unseres deutschen Heeres. Neben der strengen hierarchischen
Kommandogewalt bildete er ein besonderes Element, das sich auf das hohe
geistige Ansehen des Chefs des Generalstabes der Armee, also des
Feldmarschalls Graf Moltke, stützte. Durch die Friedensschulung der
Generalstabsoffiziere war die Gewähr geschaffen, daß im Kriegsfalle ein
einheitlicher Zug
Ich glaube, daß es der deutsche Generalstab in seiner Gesamtheit verstanden hat, seine außerordentlich schwere Aufgabe zu erfüllen. Seine Leistungen waren bis zuletzt meisterhaft, mögen auch Fehler und Irrtümer im einzelnen vorgekommen sein. Ich wüßte kein ehrenderes Zeugnis für ihn, als daß die Gegner seine Auflösung durch die Friedensbedingungen gefordert haben.
Man hat im Generalstabsdienst vielfach eine Geheimwissenschaft vermutet. Nichts verkehrter als das. Wie unsere gesamte kriegerische Tätigkeit so beruht auch die des Generalstabes lediglich auf der Anwendung der gesunden Vernunft auf den gerade vorliegenden Fall. Hierbei war oft neben höherem Gedankenflug gewissenhafte Beschäftigung mit aller möglichen Kleinarbeit erforderlich. Ich habe manch hochbegabten Offizier kennengelernt, der durch Versagen in letzterer Richtung entweder als Generalstabsoffizier nicht brauchbar war, oder als solcher ein Nachteil für die Truppe wurde.
Meine Stellung beim Generalkommando belastete mich als jüngsten
Generalstabsoffizier natürlich hauptsächlich mit solcher Kleinarbeit.
Anfangs wirkte das enttäuschend, dann gewann ich Liebe zur Sache, da ich
ihre Notwendigkeit für die Durchführung der großen Gedanken und für das Wohl
der Truppe erkannte. Nur bei den alljährlichen Generalstabsreisen konnte ich
mich als Handlanger des Korpschefs mit größeren Verhältnissen beschäftigen.
Im Jahre 1879 hatte das II. Korps Kaisermanöver und erwarb sich die Anerkennung Seiner Majestät. Ich lernte bei dieser Gelegenheit den russischen General Skobeleff kennen, der zu der Zeit, nach dem Türkenkriege, auf der Höhe seines Ruhmes stand. Er machte den Eindruck eines rücksichtslos energischen, frischen und wohl auch ganz befähigten höhern Führers. Sein Renommieren berührte weniger angenehm.
Nicht unerwähnt darf ich lassen, daß ich mich in Stettin verheiratet habe. Meine Frau ist auch ein Soldatenkind als Tochter des Generals von Sperling, welcher 1866 beim VI. Korps und 1870/71 bei der 1. Armee Generalstabschef war und gleich nach dem französischen Kriege starb. Ich fand in meiner Frau eine liebende Gattin, die treulich und unermüdlich Freud und Leid, alle Sorge und Arbeit mit mir teilte und so mein bester Freund und Kamerad wurde. Sie schenkte mir einen Sohn und zwei Töchter. Ersterer hat im großen Kriege als Generalstabsoffizier seine Schuldigkeit getan. Beide Töchter sind verheiratet, ihre Männer haben im letzten großen Kriege gleichfalls vor dem Feinde gestanden.
1881 wurde ich zur 1. Division nach Königsberg versetzt. Diese Verwendung machte mich selbständiger, brachte mich der Truppe näher und führte mich in meine Heimatsprovinz.
Aus meinem dortigen dienstlichen Leben möchte ich besonders hervorheben, daß der bekannte Militärschriftsteller General von Verdy du Vernois zeitweise mein Kommandeur war. Der General war eine hochbegabte, interessante Persönlichkeit. Er verfügte infolge seines reichen Erlebens in hohen Generalstabsstellen während der Kriege 1866 und 1870/71 über außergewöhnliche Kenntnis der entscheidenden Ereignisse damaliger Zeit. Auch hatte er schon früher durch seine Zuteilung zum Hauptquartier des russischen Oberkommandos in Warschau während des polnischen Aufstandes 1863 einen tiefen Einblick in die politischen Verhältnisse an unserer Ostgrenze gewonnen. Die Mitteilungen aus seinem Leben, die er mit einer glänzenden Erzählerkunst vortrug, waren deshalb nicht nur vom militärischen sondern auch vom politischen Standpunkte in hohem Grade belehrend. General von Verdy war außerdem auf dem Gebiete der angewandten Kriegslehre bahnbrechend. Ich lernte daher unter seiner Anleitung und im gegenseitigen Meinungsaustausch sehr viel für meine spätere Lehrtätigkeit an der Kriegsakademie. So wirkte der geistvolle Mann in verschiedenen Richtungen äußerst anregend auf mich ein. Er war mir stets ein gütiger Vorgesetzter, der mir sein volles Vertrauen schenkte.
Auch meines damaligen Korps-Generalstabschefs, Oberst von Bartenwerffer, erinnere ich mich gern in Dankbarkeit. Seine Generalstabsreisen und Aufgaben für die Winterarbeiten des Generalstabes waren meisterhaft angelegt, seine Kritiken besonders lehrreich.
Vom Stabe der 1. Division wurde ich nach drei Jahren als Kompagniechef in
das Infanterieregiment 58, Standort Fraustadt in Posen, versetzt. Ich hatte
bei dieser Rückkehr in den Frontdienst eine Kompagnie zu übernehmen, die
fast ausschließlich polnischen Ersatz hatte. Die Schwierigkeiten, die der
Verständigung zwischen Vorgesetzten und Untergebenen und damit der Erziehung
und Ausbildung durch den Mangel gegenseitiger Sprachkenntnis im Wege stehen,
lernte ich hierbei in ihrem ganzen Umfange kennen. Ich
Gern denke ich auch heute noch an meine leider nur fünfvierteljährige Kompagniechefszeit zurück. Ich lernte zum ersten Male das Leben in einer kleinen, halbländlichen Garnison kennen, fand außer im Kameradenkreise auch freundliche Aufnahme auf benachbarten Gütern und stand wieder einmal in unmittelbarem Verkehr mit dem Soldaten. Ich bemühte mich redlich, auf die Eigenart jedes einzelnen einzugehen und knüpfte so ein festes Band zwischen mir und meinen Untergebenen. Darum wurde mir die Trennung von meiner Kompagnie sehr schwer trotz aller äußern Vorteile, welche mir die Rückkehr in den Generalstab brachte.
Diese erfolgte im Sommer 1885 durch Versetzung in den Großen Generalstab.
Nach wenigen Monaten wurde ich Major. Ich kam in die Abteilung des damaligen
Oberst Graf von Schlieffen, des späteren Generals und Chefs des
Generalstabes der Armee, wurde aber
An einem mehrtägigen Übungsritte bei Zossen im Frühjahre 1886, der dem Zweck diente, Bestimmungen der Felddienstordnung vor ihrer Einführung praktisch zu erproben, nahm auch Seine Königliche Hoheit der Prinz Wilhelm von Preußen teil. Es war für mich das erste Mal, daß ich die Ehre hatte, meinem späteren Kaiser, König und Herrn, Wilhelm II., zu begegnen. Im darauffolgenden Winter wohnte der damalige Prinz einem Kriegsspiel des Großen Generalstabes bei. Ich führte bei dieser Gelegenheit die russische Armee.
Wenn in jenen Jahren der Generalfeldmarschall Graf Moltke auch schon den nähern Verkehr mit den Abteilungen des Großen Generalstabes seinem nunmehrigen Gehilfen, dem General Graf Waldersee, überließ, so beherrschte doch sein Geist und sein Ansehen alles. Es bedarf wohl keiner besonderen Versicherung, daß Graf Moltke eine allseitige, grenzenlose Verehrung genoß, und daß sich niemand von uns seinem wunderbaren Einfluß entziehen konnte.
Ich kam unter den dargelegten Verhältnissen nur selten in unmittelbaren
dienstlichen Verkehr mit dem Feldmarschall, hatte aber ab und zu das Glück,
ihm außerdienstlich zu begegnen. Eine für seine Persönlichkeit wie für seine
Anschauungen gleich kennzeichnende Szene erlebte ich in einer
Abendgesellschaft beim Prinzen Alexander. Wir betrachteten nach Tisch ein
Gemälde von Camphausen, das Zusammentreffen des Prinzen Friedrich Karl mit
dem Kronprinzen auf dem Schlachtfelde von Königgrätz darstellend. Der in der
Gesellschaft anwesende General von Winterfeldt erzählte aus
Zu Kaisers Geburtstag waren die Generale und Stabsoffiziere des Generalstabes Gäste des Feldmarschalls. Bei einer solchen Gelegenheit behauptete einer der Herrn, daß Moltkes Kaisertoast einschließlich der Anrede und des ersten „Hoch“ nicht mehr als zehn Worte enthalten würde. Hieraus entstand eine Wette, bei der ich Unparteiischer war. Der dagegen Wettende verlor, denn der Feldmarschall sagte nur: „Meine Herrn, der Kaiser hoch!“ Worte, die in unserm Kreise und aus diesem Munde wahrlich genügten. Im nächsten Jahre sollte die gleiche Wette abgeschlossen werden, aber der Gegenpart dankte dafür. Er hätte dieses Mal gewonnen, denn Graf Moltke sagte: „Meine Herrn, Seine Majestät der Kaiser und König Er lebe hoch!“ Das sind elf Worte.
Übrigens war Graf Moltke im geselligen Verkehr durchaus nicht schweigsam, sondern ein sehr liebenswürdiger, anregender Unterhalter mit viel Sinn für Humor.
Im Jahre 1891 sah ich den Feldmarschall zum letzten Male, und zwar auf
seinem Totenbett. Ich durfte am Morgen nach seinem Hinscheiden vor ihn
treten. Der Entschlafene lag aufgebahrt ohne die übliche Perücke, so daß die
wundervolle Form seines Kopfes voll zur Geltung kam. Es fehlte nur ein
Lorbeerkranz um seine Schläfe, um das Bild eines idealen Cäsarenkopfes zu
vervollständigen. Wie viele gewaltigen Gedanken waren in diesem Kopfe
entstanden, welch
Schon 3 Jahre vorher war unser erster, so großer Kaiser von uns gegangen. Ich war zur Totenwache im Dom kommandiert und durfte dort meinem über Alles geliebten Kaiserlichen und Königlichen Herrn den letzten Dienst erweisen. Meine Gedanken führten mich über Memel, Königgrätz und Sedan nach Versailles. Sie fanden ihren Abschluß in der Erinnerung an einen Sonntag des vorhergehenden Jahres, an dem ich in der Mitte der jubelnden Menge am Kaiserlichen Palais unter dem historischen Eckfenster stand. Getragen von der allgemeinen Begeisterung hob ich damals meinen fünfjährigen Sohn in die Höhe und ließ ihn unseren greisen Herrn mit den Worten sehen: „Vergiß diesen Augenblick in deinem ganzen Leben nicht, dann wirst du auch immer recht tun.“ Nun war seine große Herrscher- und Menschenseele hingegangen zu den Kameraden, denen er wenige Jahre vorher durch den sterbenden Generalfeldmarschall von Roon seinen Gruß entboten hatte.
Auf meinem Schreibtisch liegt ein grauer Marmorblock. Er stammt aus dem alten Dom und von der Stelle, auf welcher der Sarg meines Kaisers gestanden hat. Ein lieberes Geschenk konnte mir nie gemacht werden. Welche Gefühle bei Anblick dieses Steines besonders heutzutage in mir wach werden, das brauche ich wohl nicht erst in Worte zu kleiden.
Dem Sohn Wilhelms, Kaiser Friedrich, Deutschlands Stolz und Hoffnung, war
keine lange Regierungszeit beschieden. Eine unheilbare Krankheit raffte ihn
wenige Monate nach dem Tode des Vaters hinweg. Der Große Generalstab befand
sich zu dieser Zeit auf einer Generalstabsreise in Ostpreußen. Wir wurden
daher in
Das Schicksal fügte es für mich günstig, daß ich innerhalb des Generalstabes eine sehr abwechslungsreiche Verwendung fand. Noch während meiner Zuteilung zum Großen Generalstab wurde mir der Unterricht der Taktik an der Kriegsakademie übertragen. Ich fand in dieser Tätigkeit eine hohe Befriedigung und übte sie fünf Jahre hindurch aus. Freilich waren die Anforderungen an mich sehr groß, da ich neben diesem Amt gleichzeitig andern Dienst tun mußte, zuerst im Großen Generalstab und später als erster Generalstabsoffizier beim Generalkommando des III. Armeekorps. Unter diesen Verhältnissen erschien der Tag mit 24 Stunden oftmals zu kurz. Durcharbeitete Nächte wurden zur Gewohnheit.
Viele hochbegabte, zu den schönsten Hoffnungen berechtigende junge Offiziere lernte ich während dieser akademischen Lehrtätigkeit kennen. Mancher Namen gehören jetzt der Geschichte an. Ich nenne hier nur Lauenstein, Lüttwitz, Freytag-Loringhoven, Stein und Hutier. Auch zwei türkische Generalstabsoffiziere waren mir in dieser Zeit auf die Dauer von etwa zwei Jahren beigegeben: Schakir Bey und Tewfyk Effendi. Der eine hat es später in seiner Heimat bis zum Marschall, der andere bis zum General gebracht.
Beim Generalkommando des III. Korps war der jüngere General von Bronsart mein Kommandierender General, ein hochbegabter Offizier, der 1866 und 1870/71 im Generalstab tätig gewesen war, und später gleich seinem älteren Bruder Kriegsminister wurde.
In ein gänzlich anderes Arbeitsgebiet wie bisher führte mich im Jahre 1889
meine Verwendung im Kriegsministerium. Ich hatte dort eine Abteilung des
Allgemeinen Kriegsdepartements zu übernehmen. Zurückzuführen ist diese
Veränderung auf den Umstand,
So wenig diese Verwendung anfänglich meinen Wünschen und Neigungen entsprach, so sehr schätzte ich doch später den Nutzen, den ich durch den Einblick in mir bis dahin fremde Arbeitsgebiete und Verhältnisse gewann. Ich hatte reichlich Gelegenheit, die wohl kaum ganz vermeidliche Umständlichkeit des Geschäftsbetriebes und des Formelwesens im Verein mit dem dadurch bedingten Hervortreten bureaukratischer Auffassung untergeordneterer Persönlichkeiten, zugleich aber auch die große Pflichttreue kennen zu lernen, mit der überall in äußerster Anspannung der Kräfte gearbeitet wurde.
Zu meinen anregendsten Aufgaben gehörten die Schaffung einer Feldpioniervorschrift und die Einführung der Verwendung der schweren Artillerie in der Feldschlacht. Beides hat sich im großen Kriege bewährt.
Die Gesamtleistungen des Kriegsministeriums, sowohl im Frieden als auch ganz besonders im letzten Kriege, sind der größten Anerkennung wert. Eine ruhige und sachliche Forschung wird erst imstande sein, dieses Urteil in seiner vollen Berechtigung zu bestätigen.
So sehr ich auch schließlich meine Verwendung im Kriegsministerium als für mich nutzbringend schätzen gelernt hatte, so warm begrüßte ich doch die Befreiung aus meinem bureaukratischen Joch, als ich im Jahre 1893 zum Kommandeur des Infanterieregiments 91 in Oldenburg ernannt wurde.
Die Stellung eines Regimentskommandeurs ist die schönste in der Armee. Der
Kommandeur drückt dem Regiment, dem Träger der Tradition im Heere, seinen
Stempel auf. Erziehung des Offizierkorps nicht nur in dienstlicher sondern
auch in geselliger Beziehung, Leitung und Überwachung der Ausbildung der
Truppe sind seine wichtigen Aufgaben. Ich bemühte mich, im Offizierkorps
ritter
Ihre Königliche Hoheiten der Großherzog und die Großherzogin waren mir
gnädig gesonnen, das gleiche galt vom erbgroßherzoglichen Paare. Ich fand
auch sonst überall gute Aufnahme und habe mich in der freundlichen
Gartenstadt sehr wohl gefühlt. Die ruhige, schlichte Art der Oldenburger
Bevölkerung sagte mir zu. Gern und dankbar denke ich daher an meine
Oldenburger Zeit zurück. Die Gnade meines Kaisers brachte mich zu meiner
großen Freude an meinem 70jährigen Geburtstage wieder mit meinem einstigen
Regiment durch à la suite-Stellung in Verbindung.
So zähle ich mich denn auch heute noch zu den Oldenburgern.
Durch meine Ernennung zum Chef des Generalstabes des VIII. Armeekorps in Coblenz kam ich im Jahre 1896 zum ersten Male in nähere Berührung mit unserer Rheinprovinz. Der heitere Sinn und das freundliche Entgegenkommen des Rheinländers berührten mich durchaus angenehm: an das leichtere Hinweggleiten über ernstere Lebensfragen und eine im Verhältnis zu dem Norddeutschen weichere Art des Empfindens mußte ich mich dagegen offen gestanden erst gewöhnen. Der Gang unserer geschichtlichen Entwickelung und die Verschiedenheiten in den geographischen und wirtschaftlichen Verhältnissen erklären ja durchaus manche Unterschiede im Denken und Fühlen. Hieraus aber jetzt ein Lostrennungsbedürfnis der Rheinlande von Preußen folgern zu wollen, ist meiner Ansicht nach ein Frevel und schnöder Undank.
Das frohe Leben am Rhein zog übrigens auch mich in seinen Bann, und ich
verlebte dort viele
Mein Kommandierender General war anfänglich der mir schon vom Großen
Generalstab her als Abteilungschef und auch vom
Diesem hohen Herrn durfte ich 3½ Jahre zur Seite stehen. Ich zähle diese Jahre mit zu den schönsten meines Lebens. Sein edler Sinn, in dem sich Hoheit mit gewinnender Herzlichkeit vereinte, seine vorbildliche, unermüdliche Pflichttreue verbunden mit soldatischer Art und Begabung erwarben ihm rasch die Liebe und das Vertrauen nicht nur seiner Untergebenen, sondern auch der rheinischen Bevölkerung.
Während meiner Chefzeit hatte das VIII. Korps 1897 Kaisermanöver. Seine Majestät der Kaiser und König war mit den Leistungen in Parade und Felddienst zufrieden. Zu den Festlichkeiten in Coblenz zählte auch die Enthüllung des Denkmals Kaiser Wilhelms I. am Deutschen Eck, jenem schöngelegenen Punkte, an welchem die Mosel der Feste Ehrenbreitstein gegenüber in den Rhein mündet.
Infolge meiner fast vier Jahre langen Verwendung als Generalstabschef eines Armeekorps war ich im Dienstalter so weit vorgerückt, daß meine Ernennung zum Kommandeur einer Infanteriebrigade nicht mehr in Frage kam. Ich wurde daher nach dieser Zeit im Jahre 1900 zum Kommandeur der 28. Division in Karlsruhe ernannt.
Diesem Allerhöchsten Befehl folgte ich mit ganz besonderer Freude. Meine bisherigen dienstlichen Beziehungen zum Erbgroßherzog ließen mich auch bei Ihren Königlichen Hoheiten dem Großherzog und der Großherzogin ein unendlich gnädiges Wohlwollen finden, das sich auch auf meine Frau übertrug und uns hoch beglückte. Dazu das herrliche Badener Land mit all seinen landschaftlichen Schönheiten und seinen treuherzigen Bewohnern und Karlsruhe mit seinen zahlreichen Anregungen in Kunst und Wissenschaft, mit seiner alle Berufskreise umfassenden Geselligkeit.
In der Division vereinigen sich zum ersten Male alle drei Waffen unter einer
Kommandostelle. Der Dienst eines Divisionskommandeurs
Mit inniger Dankbarkeit im Herzen verließ ich im Januar 1903 Karlsruhe, weil mich das Vertrauen meines Allerhöchsten Kriegsherrn an die Spitze des IV. Armeekorps berief.
Ich übernahm damit eine unendlich verantwortungsreiche Stellung, in der man in der Regel länger als auf andern militärischen Posten verbleibt, und in der man, ähnlich wie als Regimentskommandeur, nur unter höhern Gesichtspunkten, dem Ganzen sein Gepräge gibt. Ich handelte im übrigen nach meinen bisherigen Grundsätzen und glaube Erfolge erreicht zu haben. Die Liebe meiner Untergebenen, auf die ich immer hohen Wert als auf eine der Wurzeln guter dienstlicher Leistungen gelegt habe, äußerte sich wenigstens in herzerfreuender Weise, als ich nach 8¼jähriger Tätigkeit mein schönes Amt niederlegte.
Schon im ersten Jahre hatte ich die Ehre, mein Armeekorps Seiner Majestät im Kaisermanöver, mit einer Parade auf dem Schlachtfeld von Roßbach beginnend, vorführen zu dürfen. Ich erntete Allerhöchste Anerkennung, die ich dankbar auf meinen Vorgänger und auf meine Truppen zurückführte.
In diesen Manövertagen hatte ich die Auszeichnung, Ihrer Majestät der Kaiserin vorgestellt zu werden. Dieser ersten Begegnung sind später in ernster Zeit Tage gefolgt, in denen ich immer wieder erkennen konnte, was die hohe Frau ihrem erhabenen Gemahl, dem Vaterlande und auch mir war.
Das IV. Armeekorps gehörte zu meiner Zeit zur
Armee-Inspektion Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Leopold von Bayern.
Ich lernte in ihm einen hervorragenden Führer und vortrefflichen Soldaten
kennen. Wir sollten uns später auf dem östlichen Kriegsschauplatz
wiederfinden. Der Prinz unterstellte sich mir dort in hochherziger Weise im
Interesse der großen Sache, obgleich er mir im
Magdeburg, mein Standort, wird oft von solchen, die es nicht kennen, unterschätzt. Es ist eine schöne alte Stadt, deren „Breiter Weg“ und deren ehrwürdiger Dom als Sehenswürdigkeiten gelten müssen. Seit der Schleifung der Festung sind über deren Grenzen hinaus ansehnliche, allen modernen Anforderungen entsprechende Vorstädte entstanden. Was der nächsten Umgegend Magdeburgs an Naturschönheiten versagt ist, hat man durch weitausgedehnte Parkanlagen zu ersetzen gewußt. Auch für Kunst und Wissenschaft ist durch Theater, Konzerte, Museen, Vorträge und dergleichen gesorgt. Man sieht also, daß man sich dort auch außerdienstlich wohl fühlen kann, besonders wenn man so angenehme gesellige Verhältnisse vorfindet, wie es uns beschieden war.
Dem Verkehr in der Stadt schloß sich ein solcher an den Höfen von Braunschweig, Dessau und Altenburg sowie auf zahlreichen Landsitzen an. Sie alle zu nennen, würde zu weit führen. Aber eines von uns alljährlich wiederholten mehrtägigen Besuches bei meinem jetzt 93jährigen, ehrwürdigen väterlichen Freunde, dem General der Kavallerie Graf Wartensleben auf Carow, muß ich doch in besonderer Dankbarkeit gedenken.
Auch an Jagdgelegenheit war kein Mangel. Ganz abgesehen von den bekannten großen Hasen- und Fasanenjagden der Provinz Sachsen sorgten Hofjagden in Letzlingen, Mosigkau bei Dessau, Blankenburg im Harz und im Altenburgischen sowie Treibjagden und Pirschfahrten auf mehreren Gütern dafür, daß man auch auf Schwarz-, Dam-, Rot-, Reh- und Auerwild zu Schuß kam.
Immer mehr reifte allmählich in mir der Entschluß, aus der Armee auszuscheiden. Ich hatte in meiner militärischen Laufbahn viel mehr erreicht, als ich je zu hoffen wagte. Krieg stand nicht in Aussicht, und so erkannte ich es für eine Pflicht an, jüngeren Kräften den Weg nach vorwärts freizumachen, und erbat im Jahre 1911 meinen Abschied. Da sich die falsche Legendenbildung dieses unbedeutenden Ereignisses bemächtigt hat, so erkläre ich ausdrücklich, daß keinerlei Reibungen dienstlicher oder gar persönlicher Art diesen Schritt veranlaßt haben.
Der Abschied von liebgewonnenen, langjährigen Beziehungen und besonders von meinem IV. Korps, das mir fest ans Herz gewachsen war, wurde mir nicht leicht. Aber es mußte sein! Ich ahnte nicht, daß ich nach wenigen Jahren wieder zum Schwerte greifen und dann gleich meinem einstigen Armeekorps Kaiser und Reich, König und Vaterland erneut dienen durfte.
Im Verlauf meiner langjährigen Dienstzeit habe ich fast alle deutschen Stämme kennen gelernt. Ich glaube daher beurteilen zu können, über welch einen Reichtum wertvollster Eigenarten unser Volk verfügt, und wie kaum ein anderes Land der Welt in solcher Vielseitigkeit die Vorbedingungen für ein reiches geistiges und seelisches Leben in sich birgt als Deutschland.
Mit treugehorsamstem Dank gegen meinen Kaiser und König, unter den heißesten Wünschen für seine Armee und in vollem Vertrauen auf die Zukunft unseres Vaterlandes war ich aus dem aktiven Dienst geschieden und blieb doch im Innern immer Soldat.
Das reiche Erleben auf allen Gebieten meines Berufes ließ mich zufrieden auf meine bisherige Tätigkeit zurückblicken. Nichts war imstande, mir das Gesamtbild zu trüben, über dem der Zauber der Verwirklichung glühender Jugendträume lag. Der Übergang zur selbstgewählten Ruhe vollzog sich daher auch bei mir nicht ohne Heimweh nach dem verlassenen Wirkungskreise, nicht ohne Sehnsucht nach den Reihen der Armee. Die Hoffnung, daß im Falle einer Gefahr fürs Vaterland mein Kaiser mich wieder rufen würde, der Wunsch, meine letzten Kräfte seinem Dienste zu widmen, verlor in der Stille meines veränderten Daseins nichts von seiner Stärke.
In der Zeit, in der ich die Armee verließ, pulsierte dort ein
außergewöhnlich starkes geistiges Leben. Der erfrischende Kampf zwischen
Altem und Neuem, zwischen rücksichtslosen Fortschritten und ängstlichem
Zurückhalten suchte und fand seinen Ausgleich in den praktischen Erfahrungen
der jüngsten Kriege. Diese Erfahrungen ließen trotz der neuen Bahnen, die
sie uns öffneten, keinen Zweifel darüber, daß inmitten der Wertsteigerung
aller Kampfmittel die Wertschätzung der Erziehung, der sittlichen Bildung
des Soldaten die gleiche wie bisher bleiben mußte. Die herzhafte Tat hatte
den Vorrang vor
Man hat im Frieden vielfach geglaubt, der Armee Unproduktivität vorwerfen zu
können. Mit vollem Rechte, wenn man unter Produktivität die Schaffung von
materiellen Werten versteht, mit ebensolchem Unrecht, wenn man die
Produktivität von höheren, sittlichen Gesichtspunkten auffaßt. Wer nicht aus
Vorurteil und Übelwollen unsere militärische Friedensarbeit von vornherein
verwarf, mußte in der Armee die trefflichste Schule für Wille und Tat, ja
geradezu für Freude an der Tat anerkennen. Wieviele Tausende von Menschen
haben unter ihrem Einfluß erst gelernt, was sie körperlich und seelisch zu
leisten vermochten, haben in ihr das Selbstvertrauen und die innere
Eigenkraft gewonnen, die ihnen dann durch das ganze Leben erhalten blieb. Wo
hatte der Gleichheitsgedanke und Einheitssinn des Volkes eine
durchgreifendere Vertretung gefunden als in der alle gleichmachenden Schule
unseres großen, vaterländischen Heeres? In ihm wurde der Hang zum
schrankenlosen Sichselbstleben mit seinen Gesellschaft und Staat auflösenden
Bestrebungen durch straffe Selbstzucht des Einzelnen zum Wohle für die
Allgemeinheit segensvoll geläutert und umgewandelt. Das Heer schulte und
verstärkte jenen machtvollen organisatorischen Trieb, den wir in unserem
Vaterlande allenthalben fanden, auf dem Gebiete des Staatslebens, wie auf
dem der Wissenschaft, im Handel wie in der Technik, in der Industrie wie in
den Arbeitermassen, in der Landwirtschaft wie im Gewerbe. Die Überzeugung
von der Notwendigkeit, ja von dem Segen der Unterordnung des einzelnen unter
das Wohl des Ganzen war dem deutschen
Auf den Kampffeldern Europas, Asiens und Afrikas hat denn auch der deutsche Offizier und Soldat den Beweis geliefert, daß unsere Heereserziehung die richtige war. Wenn auch unter mancherlei Einwirkungen die lange Dauer des letzten Krieges auf einige Naturen einen entsittlichenden Einfluß ausübte, oder unter den entnervenden Eindrücken seelischer und körperlicher Überanspannung die moralischen Begriffe sich teilweise verwirrten, sowie auch unter zahlreichen Versuchungen bislang tadelfreie Charaktere schwach wurden, der innerste Kern des Heeres blieb trotz der unerhörtesten Belastung sittlich gesund und seiner Aufgabe gewachsen.
Man hat der bisherigen Armee vorgeworfen, daß sie sich bemühte, den freien Menschen zum willenlosen Werkzeug herabzuwürdigen. Auf den Schlachtfeldern des großen Weltkrieges, inmitten der auflösenden Wirkungen endloser Kämpfe hat es sich aber gezeigt, welch willensstärkenden Einfluß unsere Erziehung ausgeübt hat. Zahllose erhebende und gleichzeitig erschütternde Vorgänge beweisen, zu welch großen freiwilligen Opfern der brave deutsche Mann befähigt war, nicht weil er sich sagte: „Ich muß“, sondern weil er sich sagte: „Ich will.“
Es liegt in dem Gange der Ereignisse, daß man mit der Auflösung der alten
Armee neue Wege zur Erziehung des Volkes und seiner Wehrkraft fordert. Ich
verbleibe dem gegenüber fest auf dem Boden der alten, bewährten Grundsätze.
Mögen es andere für nicht unbedingt entscheidend ansehen, durch welche
Mittel und auf welchem Wege wir die Möglichkeit zu gleichen Leistungen wie
bisher erreichen, darin wenigstens werden sie gewiß mit mir übereinstimmen,
daß es für die Zukunft unseres Vaterlandes bestimmend ist, daß wir diese
Möglichkeit überhaupt wieder erlangen. Es sei denn, daß
Vielleicht ist es die Schicksalsfrage nicht nur für das politische sondern auch für das wirtschaftliche Neugedeihen unseres deutschen Vaterlandes, wie wir die große Schule für Organisation und Tatkraft, die wir in unserem alten Heere besaßen, wieder gewinnen. Wenn irgendein Land der Erde, so kann das deutsche nur unter äußerster Anspannung und Zusammenfassung seiner schöpferischen Kräfte gedeihen und einen lebenswerten Platz inmitten der übrigen Welt behaupten. Unter den zersetzenden Wirkungen eines unglücklichen Krieges und unter dem trügerischen Eindruck, als ob die strenge Unterordnung aller Volkskräfte unter einen beherrschenden Willen das Unglück des Vaterlandes nicht zu verhindern vermocht hätte, ist leider eine starke Auflehnung gegen die bestehende strenge Ordnung eingetreten. Die Empörung gegen die jahrelange freiwillige oder erzwungene Unterwerfung durchbrach die bisherigen Schranken und irrte planlos auf neuen Wegen. Ist ein Erfolg auf diesen neuen Wegen zu erhoffen? Bis jetzt haben wir jedenfalls unter den Einflüssen der staatlichen Auflösung weit mehr seelische und ethische Werte verloren, als unter den Wirkungen des eigentlichen Krieges. Schaffen wir nicht bald wieder neue erzieherische Kräfte, und treiben wir den Raubbau auf dem geistigen und sittlichen Boden unseres Volkes in der bisherigen Weise weiter, so werden wir die kostbarste Grundlage unseres Staatslebens frühzeitig bis zur völligen Unfruchtbarkeit und Öde erschöpfen!
Die Ruhe meines Lebens gab mir seit dem Jahre 1911 die Möglichkeit, mich den politischen Vorgängen in der Welt mit Muße zu widmen. Die Beobachtungen, die ich dabei machte, waren freilich nicht imstande, mich mit Befriedigung zu erfüllen. Ängstlichkeit lag mir ferne, und doch konnte ich ein gewisses bedrückendes Gefühl nicht los werden. Die Ansicht drängte sich mir auf, daß wir in den weiten Ozean der Weltpolitik hinaustrieben, ohne daß wir in Europa selbst genügend fest standen. Mochten die politischen Wetterwolken über Marokko stehen oder sich über dem Balkan zusammenziehen, die unbestimmte Ahnung, als ob unter unserem deutschen Boden miniert würde, teilte ich mit der Mehrzahl meiner Landsleute. Wir standen in den letzten Jahren zweifellos einer der sich augenscheinlich regelmäßig wiederholenden französisch-chauvinistischen Hochfluten gegenüber. Ihr Ursprung war bekannt; ihre Stütze suchte und fand sie in Rußland wie in England, ganz gleichgültig, wer und was dort die offenen oder geheimen, die bewußten oder unbewußten Triebfedern bildete.
Ich habe die besonderen Schwierigkeiten in der Führung der deutschen
Politik nie verkannt. Die Gefahren, die sich aus unserer geographischen
Lage, aus unseren wirtschaftlichen Notwendigkeiten und nicht zuletzt aus
unseren völkisch gemischten Randgebieten er
Wenn ein späterer deutscher Reichskanzler schon in den neunziger Jahren mit dem fortschreitenden Zerfall der uns verbündeten Donaumonarchie als mit etwas Selbstverständlichem rechnen zu müssen glaubte, so war es unverständlich, wenn unsere Politik daraus nicht die entsprechenden Folgerungen zog.
Den deutsch-österreichischen Stammesgenossen brachte ich jederzeit volle Sympathie entgegen. Die Schwierigkeiten ihrer Stellung innerhalb ihres Vaterlandes fanden ja bei uns allgemein die lebhafteste Teilnahme. Dieses unser Gefühl wurde aber nach meiner Auffassung von der österreichisch-ungarischen Politik allzu weitgehend ausgenutzt.
Das Wort von der Nibelungentreue war gewiß seinerzeit sehr eindrucksvoll. Es konnte uns aber über die Tatsache nicht hinwegtäuschen, daß Österreich-Ungarn uns in die bosnische Krisis, auf die dieses Wort gemünzt war, ohne bundesbrüderliche Verständigung überraschend hineingezerrt hatte und dann von uns verlangte, ihm den Rücken zu decken. Daß wir den Verbündeten damals nicht verlassen konnten, war klar. Das hätte geheißen, den russischen Koloß stärken, um dann selbst um so sicherer und widerstandsloser von ihm erdrückt zu werden.
Mir als Soldaten mußte besonders das Mißverhältnis zwischen den
politischen Ansprüchen Österreich-Ungarns und seinen innerpolitischen
sowie militärischen Kräften auffallen. Den ungeheuren Rüstungen des nach
dem ostasiatischen Kriege wieder gekräftigten Rußland gegenüber
verstärkten zwar wir Deutschen unsere Wehr,
Auf eine wirksame Waffenhilfe Italiens zu rechnen, schien mir von jeher bedenklich. Eine solche war zweifelhaft, selbst bei gutem Willen der italienischen Staatsmänner. Wir hatten Gelegenheit gehabt, die Schwächen des italienischen Heeres im Tripoliskrieg vollauf zu erkennen. Seitdem waren die dortigen Verhältnisse bei den schwer erschütterten Finanzen des Staates kaum besser geworden. Schlagbereit war Italien jedenfalls nicht.
In diesen Richtungen bewegten sich meine damaligen Betrachtungen und Sorgen. Ich hatte den Krieg schon zweimal kennengelernt, jedesmal unter kraftvoller politischer Führung vereint mit einfachen, klaren kriegerischen Zielen. Ich fürchtete den Krieg nicht, auch jetzt nicht! Aber ich kannte neben seinen erhebenden Wirkungen seine verheerenden Eingriffe in das menschliche Dasein zu gut, als daß ich ihn nicht hätte denkbar lange vermieden wissen wollen.
Und nun brach der Krieg über uns herein! Die Hoffnungslosigkeit, uns mit
Frankreich auf dem bestehenden Boden vergleichen, den Geschäftsneid und
die Rivalitätsangst Englands bannen, die russische
Der deutsche kaiserliche Heerbann trat an! Eine stolze Kriegsmacht, wie sie die Welt in dieser Tüchtigkeit nur selten gesehen hat. Bei ihrem Anblick mußte der Herzschlag des ganzen Volkes kräftiger werden. Doch nirgends Übermut im Angesicht der Aufgabe, die unserer harrte. Hatten doch weder Bismarck noch Moltke uns über die wuchtende Last eines solchen Krieges im Unklaren gelassen, stellte doch jeder Einsichtige bei uns sich die Frage, ob wir politisch, wirtschaftlich, militärisch und moralisch imstande sein würden durchzuhalten. Doch größer als die Sorge war zweifellos das Vertrauen.
In diesen Stimmungen und Gedanken traf auch mich die Nachricht vom Losbrechen des Sturmes. Der Soldat in mir wurde in seiner nunmehr alles beherrschenden Kraft wieder lebendig. Würde mein Kaiser und König meiner bedürfen? Gerade das letzte Jahr war ohne eine amtliche Andeutung dieser Art für mich vorübergegangen. Jüngere Kräfte schienen ausreichend verfügbar. Ich fügte mich dem Schicksal und blieb doch in sehnsuchtsvoller Erwartung.
Die Heimat lauschte in Spannung.
Die Nachrichten von den Kriegsschauplätzen entsprachen unseren Hoffnungen und Wünschen. Lüttich war gefallen, das Gefecht bei Mülhausen siegreich geschlagen, unser rechter Heeresflügel und unsere Mitte im Vorschreiten durch Belgien. Die ersten jubelatmenden Nachrichten über die Lothringer Schlacht drangen ins Vaterland. Auch aus dem Osten klang es wie Siegesfanfaren.
Nirgends Ereignisse, die sorgende Gedanken gerechtfertigt erscheinen ließen.
Am 22. August 3 Uhr nachmittags erhielt ich eine Anfrage aus dem Großen Hauptquartier Seiner Majestät des Kaisers, ob ich bereit zur sofortigen Verwendung sei.
Meine Antwort lautete: „Bin bereit.“
Noch bevor dieses Telegramm im Großen Hauptquartier eingetroffen sein konnte, erhielt ich ein zweites von dort. Danach rechnete man augenscheinlich bestimmt mit meiner Bereitschaft zur Annahme einer Feldstelle und teilte mir mit, daß General Ludendorff bei mir eintreffen werde. Weitere Mitteilungen aus dem Großen Hauptquartier klärten dann die Sachlage für mich dahin auf, daß ich als Armeeführer sogleich nach dem Osten abzugehen hätte.
Gegen 3 Uhr nachts fuhr ich, in der Eile nur unfertig ausgerüstet, zum Bahnhof und stand dort erwartungsvoll in der mäßig beleuchteten Halle. Meine Gedanken rissen sich von dem heimischen Herde, den ich so plötzlich verlassen mußte, erst völlig los, als der kurze Sonderzug einfuhr. Ihm entstieg mit frischem Schritte General Ludendorff, sich bei mir als mein Chef des Generalstabs der 8. Armee meldend.
Der General war mir bis zu diesem Augenblicke fremd gewesen, seine Tat
bei Lüttich mir noch unbekannt. Er klärte mich zunächst über die Lage an
unserer Ostfront auf, über die er am 22. August im Großen Hauptquartier
Coblenz von dem Chef des Generalstabes des Feldheeres, Generaloberst von
Moltke, persönlich unterrichtet worden war. Danach hatten sich die
Operationen der 8. Armee in Ostpreußen folgendermaßen entwickelt: Die
Armee hatte das XX. Armeekorps, verstärkt
durch Festungsbesatzungen und sonstige Landwehrformationen, bei Beginn
der Operationen zum Schutze der Südgrenze West- und Ostpreußens von der
Weichsel bis an das Lötzener Seengebiet in Stellung belassen. Die Masse
der Armee (I. Armeekorps, XVII. Armeekorps, I. Reservekorps,
3. Reservedivision, Festungsbesatzung Königsberg und
1. Kavalleriedivision)
Generaloberst von Moltke hatte diesen Entschluß nicht gebilligt. Er vertrat die Auffassung, daß man noch eine Operation zur Vernichtung der Narewarmee versuchen müßte, bevor man daran denken dürfte, die militärisch, wirtschaftlich und politisch wichtige Stellung in Ostpreußen aufzugeben. Der Gegensatz in den Anschauungen zwischen der Obersten Heeresleitung und dem Armee-Oberkommando hatte den Wechsel in den führenden Stellen der 8. Armee veranlaßt.
Zur Zeit schien die Lage bei dieser Armee folgende zu sein: Die Loslösung vom Feinde war gelungen. Das I. Armeekorps und die 3. Reservedivision befanden sich in Abbeförderung mit der Bahn nach Westen, während das I. Reservekorps und das XVII. Armeekorps der Weichsellinie im Fußmarsch zustrebten. Das XX. Armeekorps stand noch auf seinem Posten an der Grenze.
Ich war mit meinem nunmehrigen Armeechef in kurzem in der Auffassung der
Lage einig. General Ludendorff hatte schon von Coblenz aus die ersten
unaufschiebbaren Weisungen geben können, die dahin zielten, die
Fortführung der Operationen östlich der Weichsel sicherzu
Alles weitere mußte und konnte erst bei unserem Eintreffen im Hauptquartier der Armee in Marienburg entschieden werden.
Unser Gespräch hatte kaum mehr als eine halbe Stunde in Anspruch genommen. Dann begaben wir uns zur Ruhe. Die dazu verfügbare Zeit nützte ich gründlich aus.
So fuhren wir denn einer gemeinsamen Zukunft entgegen, uns des Ernstes der Lage voll bewußt, aber auch voll festen Vertrauens zu Gott dem Herrn, zu unseren braven Truppen und nicht zuletzt zu einander. Jahrelang sollte von nun ab das gemeinsame Denken und die gemeinsame Tat uns vereinen.
Ich möchte mich hier gleich über das Verhältnis zwischen mir und meinem damaligen Generalstabschef und späteren Ersten Generalquartiermeister General Ludendorff aussprechen. Man hat geglaubt, dieses Verhältnis mit dem Blüchers zu Gneisenau vergleichen zu können. Ich lasse dahingestellt sein, inwieweit man bei diesem Vergleiche von der wirklich richtigen historischen Grundlage ausgegangen ist. Die Stellung eines Chefs des Generalstabes hatte ich, wie aus meinen vorhergehenden Ausführungen ja bekannt ist, früher selbst jahrelang innegehabt. Die Tätigkeit eines solchen gegenüber dem die Verantwortung tragenden Führer ist, wie ich somit aus eigener Erfahrung wußte, innerhalb der deutschen Armee nicht theoretisch festgelegt. Die Art der Zusammenarbeit und das Ausmaß der gegenseitigen Ergänzung hängen vielmehr von den Persönlichkeiten ab. Die Grenzen der beiderseitigen Wirkungsbereiche sind also nicht scharf voneinander getrennt. Ist das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Generalstabschef ein richtiges, so werden sich diese Grenzen durch soldatischen und persönlichen Takt und die beiderseitigen Charaktereigenschaften leicht ergeben.
Ich selbst habe mein Verhältnis zu General Ludendorff oft als das einer glücklichen Ehe bezeichnet. Wie will und kann der Außenstehende das Verdienst des einzelnen in einer solchen scharf abgrenzen? Man trifft sich im Denken wie im Handeln, und die Worte des einen sind oftmals nur der Ausdruck der Gedanken und Empfindungen des anderen.
Eine meiner vornehmsten Aufgaben, nachdem ich den hohen Wert des Generals Ludendorff bald erkannt hatte, sah ich darin, den geistvollen Gedankengängen, der nahezu übermenschlichen Arbeitskraft und dem nie ermattenden Arbeitswillen meines Chefs soviel als möglich freie Bahn zu lassen und sie ihm, wenn nötig, zu schaffen. Freie Bahn in der Richtung, in der unser gemeinsames Sehnen, unsere gemeinsamen Ziele lagen: der Sieg unserer Fahnen, das Wohl unseres Vaterlandes, ein Friede, wert der Opfer, die unser Volk gebracht hatte.
Ich hatte dem General Ludendorff die Treue des Kampfgenossen zu halten, wie sie uns in deutscher Volksgeschichte von Jugend an gelehrt wird, die Kampfestreue, an der unser ethisches Denken so reich ist. Und wahrlich, seine Arbeit und sein Wollen, wie seine ganze sonstige Persönlichkeit waren dieser Treue wert. Mögen andere darüber urteilen wie sie wollen! Auch für ihn wird wie für so viele unserer Großen und Größten erst später die Zeit kommen, in der das Volk in seiner Gesamtheit bewundernd zu ihm aufblicken wird. Mein Wunsch aber ist es, daß unser Vaterland in gleich schwerem Geschick aufs neue einen solchen Mann finden möge, einen ganzen Mann, kraftvoll in sich geschlossen, freilich auch eckig und kantig, aber geschaffen für ein gigantisches Werk wie kaum ein zweiter in der Geschichte.
Wahrlich, er wurde in richtiger Erkenntnis seiner Bedeutung von seinen Gegnern gehaßt!
Auf die Harmonie unserer kriegerischen und politischen Überzeugungen
gründete sich die Einheitlichkeit unserer Anschauungen
In selbstverständlicher, soldatischer Pflichterfüllung, reich an Willen und Gedanken, schloß sich uns beiden der weitere Kreis der Mitarbeiter an. Mit treu dankbarem Herzen werde ich stets auch ihrer gedenken!
Am frühen Nachmittag des 23. August erreichten wir unser Hauptquartier Marienburg. Wir betraten damit das Land östlich der Weichsel, das demnächstige Gebiet unseres Wirkens. Die Lage an der Front hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt wie folgt entwickelt:
Das XX. Armeekorps war von seinen
Grenzstellungen bei Neidenburg auf Gilgenburg und Gegend östlich
zurückgegangen. Nach Westen anschließend an dieses Korps standen die aus
den Festungen Thorn und Graudenz herausgezogenen Besatzungen bis gegen
die Weichsel hin längs der Grenze. Die 3. Reservedivision war als
Verstärkung für das XX. Armeekorps bei
Allenstein eingetroffen. Die Heranbeförderung des I. Armeekorps nach Deutsch-Eylau hatte mit Verzögerungen
begonnen. Das XVII. Armeekorps und I. Reservekorps waren im Fußmarsch in die
Gegend um Gerdauen gekommen. Die 1. Kavallerie
Die Njemenarmee Rennenkampfs war auffallenderweise mit nennenswerten Infanterieteilen noch nicht über die Angerapp vorgedrungen. Von den beiden russischen Kavalleriekorps war das eine bei Angerburg, das andere westlich Darkehmen gemeldet worden. Die Narewarmee Samsonoffs hatte mit einer Division anscheinend die Gegend von Ortelsburg erreicht, auch sollte Johannisburg vom Feinde besetzt sein. Im übrigen schien die Masse dieser Armee wohl noch an der Grenze im Aufschließen begriffen, westlicher Flügel bei Mlawa.
In der Brieftasche eines gefallenen russischen Offiziers war ein Schriftstück gefunden worden, aus dem die Absichten der gegnerischen Führung hervorgingen. Danach hatte die Armee Rennenkampf, die masurischen Seen nördlich umgehend, gegen die Linie Insterburg-Angerburg vorzurücken. Sie sollte die hinter der Angerapp angenommenen deutschen Streitkräfte angreifen, während die Narewarmee über die Linie Lötzen-Ortelsburg den Deutschen die Flanke abzugewinnen hatte.
Die Russen planten also einen konzentrischen Angriff auf die 8. Armee, für welchen die Armee Samsonoffs aber jetzt schon erheblich weiter nach Westen ausholte, als ursprünglich beabsichtigt war.
Was sollen, ja was können wir gegen diesen gefährlichen feindlichen Plan tun? Gefährlich weniger wegen der Kühnheit, mit der er erdacht, als wegen der Stärke, mit der er ausgeführt werden soll, wenigstens mit der Stärke an Streitern, hoffentlich nicht mit der gleichen Stärke an Willen. Führte doch Rußland im Laufe der Monate August und September nicht weniger als 800.000 Soldaten und 1700 Geschütze gegen Ostpreußen heran, zu dessen Verteidigung nur 210.000 deutsche Soldaten mit 600 Geschützen verfügbar gemacht werden konnten.
Unser Gegenplan ist einfach. Ich will versuchen, ihn dem Leser, auch wenn er kein Fachmann ist, in allgemeinen Umrissen verständlich zu machen.
Wir stellen zunächst der dichten Masse Samsonoffs eine dünne Mitte gegenüber. Ich sage dünn, nicht schwach. Denn Männer sind es mit stählernem Herzen und stählernem Willen. In ihrem Rücken die Heimat, Weib und Kind, Eltern und Geschwister, Hab und Gut! Es ist das XX. Korps, brave West- und Ostpreußen. Mag diese dünne Mitte unter dem Drucke der feindlichen Massen sich auch biegen, wenn sie nur nicht bricht. Während diese Mitte kämpft, sollen zwei wuchtige Gruppen an deren beide Flügel zum entscheidenden Angriff heranrücken.
Die Truppen des I. Armeekorps, durch Landwehr verstärkt, auch alles Kinder des bedrohten Landes, werden von rechts her aus dem Nordwesten, die Truppen des XVII. Armeekorps und I. Reservekorps zusammen mit einer Landwehrbrigade, werden von links her aus dem Norden und Nordosten zur Schlacht herangeholt. Auch die Soldaten des XVII. Armeekorps und I. Reservekorps, ebenso wie die Männer der Landwehr und des Landsturms haben alles, was das Leben lebenswert macht, in ihrem Rücken.
Nicht mit einfachem Siege sondern mit Vernichtung müssen wir Samsonoff treffen. Denn nur dadurch bekommen wir freie Hände gegen den zweiten Feind, der zurzeit Ostpreußen plündert und versengt, gegen Rennenkampf. Nur so können wir das alte Preußenland wirklich und völlig befreien, und nur so gewinnen wir Freiheit für weitere Taten, die man noch von uns erwartet, nämlich für das Eingreifen in den mächtig entbrennenden Entscheidungskampf zwischen Rußland und unserem österreichisch-ungarischen Verbündeten in Galizien und Polen. Wird unser erster Schlag nicht durchgreifend, dann bleibt die Gefahr für unsere Heimat wie eine schleichende Krankheit bestehen, ungerächt bleibt das Brennen und Morden in Ostpreußen, und vergeblich wartet der Bundesgenosse im Süden auf uns.
Also ganzes Handeln! Dazu muß alles heran, was im Bewegungskrieg einigermaßen brauchbar ist und irgendwo entbehrt werden kann. Was die Festungswälle von Graudenz und Thorn noch an kampftauglicher Landwehr beherbergen, wird herangezogen. Auch aus den Schützengräben, die zwischen den masurischen Seen unsere jetzige Operation im Osten decken, rücken unsere Wehrmänner ab und übergeben die dortige Verteidigung einer verschwindenden Minderzahl braver Landstürmer. Gewinnen wir die Feldschlacht, dann brauchen wir die Festungen Thorn und Graudenz nicht mehr und sind der Sorgen um die Seenengen ledig.
Gegen Rennenkampf, der wie ein Alpdruck aus dem Nordosten auf uns lasten könnte, soll nur unsere Kavalleriedivision sowie die Hauptreserve Königsberg mit zwei Landwehrbrigaden stehen bleiben. Doch können wir an diesem Tage noch nicht überblicken, ob diese Kräfte auch wirklich genügen. Sie bilden in ihrer Kampfkraft ja nur einen leicht zerreißbaren Schleier, vorausgesetzt, daß Rennenkampfs Massen marschieren, daß seine übermächtigen Reitergeschwader reiten sollten, so wie wir es befürchten müssen. Vielleicht tun sie das aber nicht; dann genügt der Schleier zur Deckung unserer Schwäche. Wir müssen es wagen in Flanke und Rücken, um an der entscheidenden Front stark zu sein. Hoffentlich gelingt es uns, Rennenkampf zu täuschen; vielleicht täuscht er sich selbst. Der starke Waffenplatz Königsberg mit seiner Besatzung und unsere Reiter können sich ja in der Phantasie des Feindes zu machtvolleren Größen erweitern.
Wenn sich aber auch Rennenkampf zu unseren Gunsten in falschen Vorstellungen wiegt, wird ihn nicht seine Oberste Heeresführung vorwärtstreiben in starken Märschen nach Südwesten und in unseren Rücken? Muß ihn nicht ein Hilfeschrei Samsonoffs in Bewegung aufs Kampffeld setzen? Und wird nicht, selbst wenn der Ruf menschlicher Stimme vergeblich verhallen sollte, der mahnende Donner der Schlacht bis zu den russischen Linien im Norden der Seen, ja selbst bis zum feindlichen Hauptquartier dringen?
Vorsicht gegen Rennenkampf bleibt also nötig, wir können ihr aber nicht durch Zurücklassung starker Kampftruppen Rechnung tragen, sonst werden wir auf dem Schlachtfelde noch schwächer, als wir es ohnehin sind.
Berechnen wir die gegenseitigen Stärken, zählen wir zu der unserigen auch die beiden Landwehrbrigaden, die zur Zeit von Schleswig-Holstein her aus dem Küstenschutz heranrollen und wohl noch rechtzeitig zur Schlacht eintreffen werden, so gibt ein Vergleich mit den wahrscheinlichen russischen Kräften immer noch große Verschiedenheiten zu unseren Ungunsten, auch wenn Rennenkampf nicht marschieren, nicht mitkämpfen will. Dazu kommt, daß in unseren vordersten Reihen viel Landwehr und Landsturm fechten muß. Alte Jahrgänge gegen beste russische Jugend. Ferner spricht gegen uns, daß die Mehrzahl unserer Truppen und, wie es die Lage fügt, gerade alle, die voraussichtlich den entscheidenden Stoß führen müssen, aus schweren und verlustreichen Kämpfen herankommen. Hatten sie doch den Russen das Schlachtfeld von Gumbinnen überlassen müssen. Die Truppen marschieren daher nicht mit dem stolzen Gefühle der Sieger. Und doch rücken sie zur Schlacht frohen Sinnes und fester Zuversicht. Der Geist ist gut, so wird uns gemeldet, also berechtigt er zu kräftigen Entschlüssen, und wo er etwa gedrückt sein sollte, da wird er durch diese kraftvollen Entschlüsse emporgerissen. So war es von jeher, sollte es diesmal anders sein? Ich hatte keine Bedenken wegen unserer zahlenmäßigen Unterlegenheit.
Wer in die Rechnung des Krieges nur die sichtbaren Werte einsetzt, rechnet falsch. Ausschlaggebend sind die inneren Werte des Soldaten. Auf diese baue ich mein Vertrauen. Ich denke mir:
Mag der Russe auch in unser Vaterland einmarschieren, mag die Berührung
mit deutscher Erde sein Herz höher schlagen lassen, sie macht ihn nicht
zum deutschen Soldaten, und die ihn führen, sind keine deutschen
Offiziere. Auf den mandschurischen Schlachtfeldern hatte der russische
Soldat mit dem größten Gehorsam ge
So ist unser Plan, sind unsere Gedanken vor der Schlacht und für die Schlacht. Wir fassen dieses Denken und Sollen am 23. August in einer kurzen Meldung aus Marienburg an die Oberste Heeresleitung zusammen des Inhalts:
„Vereinigung der Armee am 26. August beim XX. Armeekorps für umfassenden Angriff geplant.“
Am Abend des 23. August führte mich ein kurzer Erholungsgang auf das westliche Nogatufer. Von dort boten die roten Mauern des stolzen Deutschordensschlosses, des größten Baudenkmals baltischer Ziegelgotik, im Abendsonnenstrahl einen gar wundersamen Anblick. Gedanken an die Vergangenheit hehrer Ritterzeit mischten sich unwillkürlich mit Fragen an die verschleierte Zukunft. Der Ernst der Stimmung wurde erhöht durch den Anblick vorüberziehender Flüchtlinge meiner Heimatprovinz. Eine traurige Mahnung, daß der Krieg nicht nur den wehrhaften Mann trifft, sondern daß er durch Vernichtung der Daseinsbedingungen Wehrloser zur tausendfachen Geißel der Menschheit wird.
Am 24. August begab ich mich mit dem engeren Stabe in Kraftwagen zum Generalkommando des XX. Armeekorps und kam hierbei in den Ort, von dem die bald entbrennende Schlacht ihren Namen erhalten sollte.
Tannenberg! Ein Wort schmerzlicher Erinnerungen für deutsche Ordensmacht, ein Jubelruf slawischen Triumphes, gedächtnisfrisch geblieben in der Geschichte trotz mehr als 500jähriger Vergangenheit. Ich hatte bis zu diesem Tage das Schicksalsfeld deutscher östlicher Kultureroberungen noch nie betreten. Ein einfaches Denkmal zeugt dort von Heldenringen und Heldentod. In der Nähe dieses Denkmals standen wir an einigen der folgenden Tage, in denen sich das Geschick der russischen Armee Samsonoff zur vernichtenden Niederlage gestaltete.
Auf dem Wege von Marienburg nach Tannenberg vermehrten sich die Eindrücke vom Kriegselend, das über die unglücklichen Einwohner hereingebrochen war. Massen von hilflos Flüchtenden drängten sich mit ihrer Habe auf den Straßen und behinderten teilweise die Bewegungen unserer an den Feind marschierenden Truppen.
Bei dem Stabe des Generalkommandos traf ich das Vertrauen und den Willen, die für das Gelingen unseres Planes unerläßlich waren. Auch die Eindrücke über die Haltung der Truppe an dieser unserer zunächst bedenklichsten Stelle waren günstig.
Der Tag brachte keine durchgreifende Klärung, weder hinsichtlich der
Operationen Rennenkampfs noch der Bewegungen Samsonoffs. Es schien sich
nur zu bestätigen, daß Rennenkampfs Marschtempo ein recht gemäßigtes
war. Der Grund hierfür war nicht zu erklären. Von der Narewarmee
erkannten wir, daß sie sich mit ihrer Hauptmacht gegen das XX. Armeekorps vorschob. Unter ihrem Drucke
nahm das Korps seinen linken Flügel zurück. Diese Maßregel hatte nichts
Bedenkliches an sich. Im Gegenteil. Der nachdrängende Feind wird unserer
linken Angriffsgruppe, die heute die Marschrichtung auf Bischofsburg
erhält, immer ausgesprochener seine rechte Flanke bieten. Auffallend und
nicht ohne Bedenken für uns waren dagegen feindliche Bewegungen, die
sich anscheinend gegen unseren Westflügel und gegen Lautenburg
aussprachen. Der Eindruck bestand, daß der Russe uns hier zu überflügeln
gedachte
Der 25. August brachte etwas mehr Einblick in die Bewegungen Rennenkampfs. Seine Kolonnen marschierten von der Angerapp nach Westen, also auf Königsberg. War der ursprüngliche russische Operationsplan aufgegeben? Oder war die russische Führung über unsere Bewegungen getäuscht und vermutete die Hauptmasse unserer Truppen in und bei der Festung? Jedenfalls schien nunmehr kaum noch ein Bedenken zu bestehen, gegen Rennenkampfs gewaltige Massen nur noch einen Schleier stehen zu lassen. Samsonoffs auffallend zögernde Operationen richteten sich auch an diesem Tage mit der Hauptstärke weiter gegen unser XX. Armeekorps. Das rechte russische Flügelkorps marschierte zweifellos in Richtung auf Bischofsburg, also unserem XVII. Armeekorps und I. Reservekorps entgegen, die an diesem Tage die Gegend nördlich dieses Städtchens erreichten. Bei Mlawa häuften sich augenscheinlich weitere russische Massen.
Mit diesem Tage ist für uns die Zeit des Wartens und der Vorbereitung vorüber. Wir führen unser I. Armeekorps an den rechten Flügel des XX. heran. Der allgemeine Angriff kann beginnen.
Der 26. August ist der erste Tag des mörderischen Ringens von Lautenburg bis nördlich Bischofsburg. Nicht in lückenloser Schlachtfront sondern in Gruppenkämpfen, nicht in einem geschlossenen Akt sondern in einer Reihe von Schlägen beginnt das Drama sich abzuspielen, dessen Bühne sich auf mehr denn hundert Kilometer Breite erstreckt.
Auf dem rechten Flügel führt General von François seine braven
Ostpreußen. Sie schieben sich gegen Usdau heran, um am nächsten Tag den
Schlüsselpunkt dieses Teiles des südlichen Kampffeldes zu stürmen. Auch
General von Scholtz' prächtiges Korps befreit sich allmählich aus den
Fesseln der Verteidigung und beginnt zum Angriff zu schreiten.
Erbitterter ist der Kampf schon am heutigen
Da erhebt sich scheinbar von Rennenkampfs Seite drohende Gefahr. Man meldet eines seiner Korps im Vormarsch über Angerburg. Wird dieses nicht den Weg in den Rücken unserer linken Stoßgruppe finden? Ferner kommen beunruhigende Nachrichten aus der Flanke und dem Rücken unseres westlichen Flügels. Dort bewegt sich im Süden starke russische Kavallerie. Ob Infanterie ihr folgt, ist nicht festzustellen. Die Krisis der Schlacht erreicht ihren Höhepunkt. Die Frage drängt sich uns auf: wie wird die Lage werden, wenn sich bei solch gewaltigen Räumen und bei dieser feindlichen Überlegenheit die Entscheidung noch tagelang hinzieht? Ist es überraschend, wenn ernste Gedanken manches Herz erfüllen; wenn Schwankungen auch da drohen, wo bisher nur festester Wille war; wenn Zweifel sich auch da einstellen, wo klare Gedanken bis jetzt alles beherrschten? Sollten wir nicht doch gegen Rennenkampf uns wieder verstärken und lieber gegen Samsonoff nur halbe Arbeit tun? Ist es nicht besser, gegen die Narewarmee die Vernichtung nicht zu versuchen, um die eigene Vernichtung sicher zu vermeiden? Wir überwinden die Krisis in uns, bleiben dem gefaßten Entschlusse treu und suchen weiter die Lösung mit allen Kräften im Angriff. Demnach rechter Flügel unentwegt weiter auf Neidenburg und linke Stoßgruppe „um 4 Uhr morgens antreten und mit größter Energie handeln“, so etwa lautete der Befehl.
Der 27. August zeigt, daß der Erfolg des I. Reservekorps und XVII. Armeekorps
bei Bischofsburg am vorhergehenden Tage ein
Während des 28. August geht das blutige Ringen weiter.
Der 29. sieht einen großen Teil der russischen Hauptkräfte bei Hohenstein der endgültigen Vernichtung anheimfallen. Ortelsburg wird von Norden, Willenberg über Neidenburg von Westen erreicht. Der Ring um Tausende und Abertausende von Russen beginnt sich zu schließen. Viel russisches Heldentum ficht freilich auch in dieser verzweiflungsvollen Lage noch weiter für den Zaren, die Ehre der Waffen rettend, aber nicht mehr die Schlacht.
Rennenkampf marschiert immer noch ruhig weiter auf Königsberg. Samsonoff
ist verloren, auch wenn sein Kamerad jetzt noch zu anderer und besserer
kriegerischer Einsicht kommen sollte. Denn schon können wir Truppen aus
der Schlachtfront ziehen zur Deckung unseres Vernichtungswerks, das sich
in dem großen Kessel Neidenburg-Willenberg-Passenheim vollzieht und in
dem der verzweifelnde Samsonoff den Tod sucht. Aus diesem Kessel heraus
kommen größer und größer werdende russische Gefangenenkolonnen. In ihrem
Erscheinen tritt der reifende Erfolg der Schlacht immer klarer zutage.
Schon während der Kämpfe konnten wir das teilweise prächtige Soldatenmaterial betrachten, über das der Zar verfügte. Nach meinen Eindrücken befanden sich darunter zweifellos bildungsfähige Elemente. Ich nahm bei dieser Gelegenheit, wie schon 1866 und 1870 wahr, wie rasch der deutsche Offizier und Soldat in seinem seelischen Empfinden und in seinem sachlichen Urteil in dem gefangenen Gegner den gewesenen Feind vergißt. Die Kampfeswut unserer Leute ebbt überraschend schnell zu rücksichtsvollem Mitgefühl und menschlicher Güte ab. Nur gegen die Kosaken erhob sich damals der allgemeine Zorn. Sie wurden als die Ausführer all der vertierten Roheiten betrachtet, unter denen Ostpreußens Volk und Land so grausam zu leiden hatten. Dem Kosak schlug anscheinend sein schlechtes Gewissen, denn er entfernte, wo und wie er immer konnte, bei drohender Gefangennahme die Abzeichen, die seine Waffenzugehörigkeit kenntlich machten, nämlich die breiten Streifen an den Hosen.
Am 30. August macht der Gegner im Osten und Süden den Versuch, mit
frischen und wiedergesammelten Truppen unseren Einschließungsring von
außen her zu sprengen. Von Myszyniec, also aus der Richtung Ostrolenka,
führt er neue starke Kräfte auf Neidenburg und Ortelsburg gegen unsere
Truppen, die schon das russische Zentrum völlig einkreisen und daher dem
anrückenden Gegner den Rücken bieten. Gefahr ist im Verzug; um so mehr,
als von Mlawa anrückende feindliche Kolonnen nach Fliegermeldung 35 km lang, also sehr stark sein sollen. Doch
halten wir fest an unserem großen Ziele. Die Hauptmacht Samsonoffs muß
um
Unser Feuerkreis um die dichtgedrängten, bald hierhin, bald dorthin stürzenden russischen Haufen wird mit jeder Stunde fester und enger.
Rennenkampf scheint an diesem Tage die Deimelinie östlich Königsberg zwischen Labiau und Tapiau angreifen zu wollen. Seine Kavalleriemassen nähern sich aus Richtung Landsberg-Bartenstein dem Schlachtfeld von Tannenberg. Wir aber haben bereits starke, siegesfrohe, wenn auch ermüdete Kräfte zur etwaigen Abwehr bei Allenstein gesammelt.
Der 31. August ist für unsere noch kämpfenden Truppen der Tag der Schlußernte, für unser Oberkommando der Tag des Überlegens über Weiterführung der Operationen, für Rennenkampf der Tag der Rückkehr in die Linie Deime-Allenburg-Angerburg.
Schon am 29. August hatte mir der Gang der Ereignisse ermöglicht, meinem Allerhöchsten Kriegsherrn den völligen Zusammenbruch der russischen Narewarmee zu melden. Noch am gleichen Tage erreichte mich auf dem Schlachtfelde der Dank Seiner Majestät, auch im Namen des Vaterlandes. Ich übertrug diesen Dank im Herzen wie in Worten auf meinen Generalstabschef und auf unsere herrlichen Truppen.
Am 31. August konnte ich meinem Kaiser und König folgendes berichten:
„Eurer Majestät melde ich alluntertänigst, daß sich am gestrigen Tage
der Ring um den größten Teil der russischen Armee geschlossen hat. XIII., XV. und XVIII. Armeekorps sind vernichtet. Es sind bis
Die Truppen und ihre Führer hatten Gewaltiges geleistet. Nun lagerten die Divisionen in den Biwaks und das Dankeslied der Schlacht von Leuthen schallte aus ihrer Mitte.
In unserem neuen Armeehauptquartier Allenstein betrat ich die Kirche in der Nähe des alten Ordensschlosses während des Gottesdienstes. Als der Geistliche das Schlußgebet sprach, sanken alle Anwesenden, junge Soldaten und alte Landstürmer, unter dem gewaltigen Eindruck des Erlebten auf die Knie. Ein würdiger Abschluß ihrer Heldentaten.
Der Gefechtslärm auf dem Schlachtfelde von Tannenberg war noch nicht verstummt, als wir die Vorbereitungen für den Angriff auf die Armee Rennenkampf begannen. Am 31. August abends traf folgende telegraphische Weisung der Obersten Heeresleitung ein:
„XI. Armeekorps, Garde-Reserve-Korps, 8. Kavalleriedivision werden zur Verfügung gestellt. Transport hat begonnen. Zunächst wird Aufgabe der 8. Armee sein, Ostgrenze von Armee Rennenkampf zu säubern.
Verfolgung des letztgeschlagenen Gegners mit entbehrlichen Teilen in Richtung Warschau ist mit Rücksicht auf die Bewegungen der Russen von Warschau auf Schlesien erwünscht.
Weitere Verwendung der 8. Armee, wenn es die Lage in Ostpreußen gestattet, in Richtung Warschau in Aussicht zu nehmen.“
Der Befehl entsprach durchaus der Lage. Er stellte uns das Ziel klar hin und überließ uns Mittel und Wege zur Ausführung. Wir glaubten annehmen zu dürfen, daß die ehemalige Armee Samsonoffs nur noch aus Trümmern bestand, die sich entweder schon hinter den Narew in Sicherheit gebracht hatten, oder auf dem Weg dahin waren. Mit ihrer Auffrischung war zu rechnen. Es mußte jedoch darüber geraume Zeit vergehen. Für jetzt schien es genügend, diese Reste durch schwache Truppen längs unseres südlichen Grenzstreifens überwachen zu lassen. Alles übrige mußte zur neuen Schlacht heran. Selbst das Eintreffen der Verstärkungen aus dem Westen erlaubte uns nach unserer Anschauung nicht, jetzt schon Kräfte über die Narewlinie hinüber gegen Süden einzusetzen.
Was das Wort „Warschau“ im zweiten Teil des Befehls zu bedeuten hat, ist uns klar. Nach vereinbartem Kriegsplan sollte die österreichisch-ungarische Heeresmacht von Galizien aus mit dem Schwerpunkt gegen den östlichen Teil des russischen Polens in Richtung Lublin angreifen, während deutsche Kräfte von Ostpreußen her dem Verbündeten über den Narew hinweg die Hand zu reichen hatten. Ein großer und schöner Gedanke, der aber, so wie die Dinge lagen, bedenkliche Schwächen aufwies. Er rechnete nicht damit, daß Österreich-Ungarn eine starke Armee an die serbische Grenze schickte, nicht damit, daß Rußland schon ein paar Wochen nach Kriegsausbruch voll gerüstet an der Grenze stehen konnte, nicht damit, daß 800.000 Moskowiter gegen Ostpreußen eingesetzt werden, am allerwenigsten aber damit, daß er in all seinen Einzelheiten an den russischen Generalstab schon im Frieden verraten werden würde.
Jetzt ist das österreichisch-ungarische Heer nach überkühnem Ansturm
gegen die russische Übermacht in schwerste frontale Kämpfe verwickelt,
ohne daß wir augenblicklich in der Lage sind, unmittelbar zu helfen,
wenngleich wir starke feindliche Kräfte fesseln. Der
Rennenkampf steht, wie bekannt, in der Linie Deime-Allenburg-Gerdauen-Angerburg. Was die Gegend südöstlich von den masurischen Seen für gegnerische Geheimnisse birgt, wissen wir nicht. Das Gebiet von Grajewo ist jedenfalls verdächtig. Dort herrscht viel Unruhe. Noch verdächtiger ist das Gebiet im Rücken der Njemenarmee. Da ist ein ständiges Marschieren und Fahren und anscheinend eine Bewegung nach Südwesten und Westen. Rennenkampf erhält zweifellos Verstärkungen. Die russischen Reservedivisionen in der Heimat sind ja schlagbereit geworden. Vielleicht werden bis jetzt auch noch einzelne Korps verfügbar, deren die russische Oberste Heeresleitung gegen die Österreicher in Polen nicht mehr zu bedürfen glaubt. Schickt man diese Verbände zu Rennenkampf oder in seine Nähe, sei es zur unmittelbaren Stütze, sei es zu einem Schlage gegen uns aus überraschender Richtung?
Rennenkampf verfügt, soweit wir es beurteilen können, über mehr als 20 Infanteriedivisionen und steht still, bleibt es auch, während unsere Transporte aus dem Westen heranrollen und zum Kampfe gegen ihn aufmarschieren. Warum benutzt er die Zeit unserer größten Schwäche, die Zeit der Ermüdung unserer Truppen, ihrer Massenanhäufung auf dem Schlachtfelde von Tannenberg nicht, um uns anzufallen? Warum läßt er uns Zeit, die Truppen zu entwirren, neu aufzumarschieren, auszuruhen, Ersatz heranzuziehen? Der russische Führer ist doch bekannt als vortrefflicher Soldat und General. Als Rußland in Ostasien kämpfte, klang unter allen russischen Führern der Name Rennenkampf am hellsten. War sein Ruhm damals übertrieben? Oder hat der General seine kriegerischen Eigenschaften in der Zwischenzeit verloren?
Der soldatische Beruf hat schon manchmal selbst starke Naturen
überraschend schnell erschöpft. Wo in einem Jahre noch triebkräftiger
Wir haben Rennenkampfs Schuldbuch über Tannenberg aufgeschlagen und geschlossen. Begeben wir uns jetzt in Gedanken in sein Hauptquartier Insterburg, nicht um ihn anzuklagen, sondern um ihn zu verstehen.
Die Niederlage Samsonoffs zeigte dem General Rennenkampf, daß in Königsberg doch nicht die Masse der deutschen 8. Armee stand, wie er angenommen hatte. Starke Kräfte vermutet er aber jedenfalls immer noch in diesem mächtigen Waffenplatze. Daran vorbeizumarschieren, sich auf die siegreiche deutsche Armee in der Gegend von Allenstein zu stürzen, scheint also gewagt, zu gewagt. Es wäre mindestens ein unsicheres Unternehmen. Sicherer ist es, in den starken Verteidigungsstellungen zwischen Kurischem Haff und masurischen Seen zu bleiben. Gegen diese Stellungen können die Deutschen ihre Kunst des Umgehens und Umfassens von Norden her überhaupt nicht, von Süden aus nur schwer durchführen. Rennen sie gegen die Front an, so stürzt man sich mit zurückgehaltenen gewaltigen Reserven auf ihre zusammengeschossenen Truppen. Wagen sie das Unwahrscheinliche, und dringen sie durch die Engnisse des Seengebietes, so fällt man von Norden auf die linke Flanke ihrer Umgehungskolonnen, während man eine neugebildete Kampfgruppe aus Richtung Grajewo in ihre rechte Seite und in ihren Rücken wirft. Gelingt von alledem nichts, gut – so geht man nach Rußland zurück. Rußland ist groß, die befestigte Njemenlinie ist nahe. Keine operative Notwendigkeit kettet Rennenkampf weiter an Ostpreußen. Der Operationsplan im Zusammenwirken mit Samsonoff ist ja gescheitert, und, weil dessen Armee in hoffnungsvollem Vorwärtsstürmen zugrunde ging, so ist es jetzt das beste vorsichtig zu sein.
So kann Rennenkampf gedacht haben. Und Kritiker behaupten auch, er hätte
so gedacht. Aus keinem dieser Gedanken spricht freilich
Wir müssen also vorsichtig und unternehmend zugleich sein. Diese Doppelforderung verleiht der Anlage unserer nun beginnenden Bewegungen ihren eigentümlichen Charakter. In breiter Front von Willenberg bis gegen Königsberg hin bauen wir unsere Front auf. Bis zum 5. September ist dies im allgemeinen geschehen, dann geht es vorwärts. 4 Korps (XX., XI., I. Reserve und Garde-Reserve) und die Truppen aus Königsberg, also verhältnismäßig starke Kräfte, gehen gegen die Linie Angerburg-Deime, d. h. gegen die feindliche Front vor. 2 Korps (I. und XVII.) sollen durch das Seengebiet dringen; die 3. Reservedivision hat, als rechte Staffel unseres umfassenden Flügels, südlich der masurischen Seen herum zu folgen, während die 1. und 8. Kavalleriedivision sich hinter den Korps zum Losreiten bereit halten, sobald die Seenengen geöffnet sind. Das sind die Kräfte gegen Rennenkampfs Flanke. Also andere Verhältnisse wie bei den Bewegungen, die zum Siege von Tannenberg führten. Die Sicherheit gegen Rennenkampfs starke Reserven veranlaßt uns zu dieser Gruppierung der Kräfte. Auf diese Weise breitet sich unser Angriff in der Stärke von 14 Infanteriedivisionen trotzdem noch auf über 150 km Front aus. Wird der Gegner sie zerreißen?
Wir nähern uns am 6. und 7. den russischen Verteidigungslinien und
beginnen klarer zu sehen. Starke russische Massen bei Insterburg und
Wehlau, vielleicht noch stärkere nördlich Nordenburg.
Unsere beiden rechten Korps, das I. und XVII., beginnen am 7. September die Seenkette zu durchbrechen, die 3. Reservedivision schlägt bei Bialla in glänzendem Gefecht die Hälfte des XXII. russischen Korps in Trümmer. Wir treten in die Krisis unserer neuen Operation ein. Die nächsten Tage müssen zeigen, ob Rennenkampf entschlossen ist, zum Gegenangriff zu schreiten, ob sein Wille hierzu so stark ist, wie seine Mittel es sind. Zu seiner an sich schon bedeutenden bisherigen Überlegenheit scheinen drei weitere Reservedivisionen das Schlachtfeld erreicht zu haben. Erwartet der russische Führer noch mehr? Rußland hat mehr als 3 Millionen Kampfsoldaten an seiner Westfront; die österreichisch-ungarische Heeresmacht und wir zählen demgegenüber kaum ein Dritteil.
Am 8. September entbrennt die Schlacht auf der ganzen Linie. Unser frontaler Angriff kommt nicht vorwärts, auf unserem rechten Flügel geht es besser. Dort haben die beiden Korps die feindliche Seensperre durchbrochen und nehmen Richtung nach Nord und Nordost. Unser Ziel sind nunmehr die gegnerischen rückwärtigen Verbindungen. Unsere Reitergeschwader scheinen freie Bahn dorthin zu haben.
Am 9. tobt die Schlacht weiter, in der Front, von Angerburg bis zum Kurischen Haff, ohne bemerkenswertes Ergebnis, dagegen mit kühnem Vorschreiten unsererseits östlich der Seen, wenngleich die beiden Kavalleriedivisionen unerwarteten Widerstand nicht in der gewünschten Schnelligkeit zu brechen vermögen. Die 3. Reservedivision schlägt einen vielfach überlegenen Gegner bei Lyck und befreit uns so endgültig von der Sorge im Süden.
Wie ist es dagegen im Norden? Bei und westlich Insterburg glauben unsere
Flieger nunmehr deutlich zwei feindliche Korps feststellen zu können und
ein weiteres solches Korps wird im Anmarsch über Tilsit gesehen. Was
wird das Schicksal unserer dünngestreckten,
In der Nacht vom 9. auf den 10. dringen unsere Patrouillen bei Gerdauen in die feindlichen Gräben und finden sie leer. „Der Gegner geht zurück.“ Die Meldung scheint uns unglaubwürdig. Das I. Reservekorps will sofort von Gerdauen gegen Insterburg antreten. Wir mahnen zur Vorsicht. Erst um Mittag des 10. müssen wir das Unwahrscheinliche und Unerwünschte glauben. Der Gegner hat in der Tat den allgemeinen Rückzug begonnen, wenn er auch da und dort noch erbittert Widerstand leistet, ja sogar uns starke Massen in zusammenhanglosen Angriffen entgegenwirft. Unsere ganze Front ist in vollem Vorgehen begriffen. Jetzt gilt es, unsere rechten Flügelkorps und Kavalleriedivisionen scharf nach Nordosten gerichtet heran an die feindlichen Verbindungen von Insterburg auf Kowno zu bringen.
Wir treiben vorwärts! Ungeduld ist, wenn irgendwann und -wo, so jetzt und hier begreiflich. Rennenkampf weicht unentwegt. Auch er scheint ungeduldig zu sein. Jedoch unsere Ungeduld zielt auf Erfolg, die seinige bringt Verwirrung und Auflösung.
Die Korps der Njemenarmee marschieren zum Teil in dreifachen, dicht
nebeneinander gedrängten Kolonnen Rußland zu. Die Bewegung vollzieht
sich langsam, sie muß durch Entgegenwerfen starker Kräfte gegen die
nachdrängenden Deutschen gedeckt werden. Daher
Am Abend dieses Tages sind wir uns klar, daß nur noch wenig Tage zur Durchführung der Verfolgung zur Verfügung stehen. Die Entwickelung der Gesamtlage auf dem östlichen Kriegsschauplatz macht sich in voller Wucht geltend. Wir ahnen mehr, als daß wir es aus bestimmt lautenden Nachrichten ersehen können: die Operation unseres Verbündeten in Polen und Galizien ist gescheitert! An unser Nachstoßen hinter Rennenkampf über den Njemen hinaus ist jedenfalls nicht zu denken. Soll aber unsere Operation nicht noch im letzten Augenblick innerhalb des großen Rahmens als gescheitert gelten, so darf die feindliche Armee den schützenden Njemen-Abschnitt nur derartig geschwächt und erschüttert erreichen, daß die Hauptmasse unserer Verbände zum dringend notwendig gewordenen Zusammenwirken mit dem österreichisch-ungarischen Heere freigemacht werden kann.
Am 12. September erreicht die 3. Reservedivision Suwalki, also russischen Boden. Mit knapper Not entgeht der Südflügel Rennenkampfs der Einkesselung durch unser I. Armeekorps südlich Stallupönen. Glänzend sind die Leistungen einzelner unserer verfolgenden Truppen. Sie marschieren und kämpfen, und marschieren wieder, bis die Soldaten vor Müdigkeit niederstürzen. Andererseits ziehen wir heute schon das Gardereservekorps aus der Kampffront, um es für weitere Operationen bereitzustellen.
An diesem Tage trifft unser Oberkommando in Insterburg ein, das seit dem 11. wieder in deutschem Besitz ist. Ich bin also nicht bloß in Gedanken, sondern auch in Wirklichkeit auf der breiten ostpreußischen Landstraße, vorbei an unseren siegreich ostwärts schreitenden Truppen und an westwärts ziehenden russischen Gefangenenkolonnen in das bisherige Hauptquartier Rennenkampfs gekommen. In den eben erst verlassenen Räumen merkwürdige Spuren russischer Halbkultur. Der aufdringliche Geruch von Parfüm, Juchten und Zigaretten vermag nicht, den Gestank anderer Dinge zu verdecken.
Genau ein Jahr später, an einem Sonntag, kam ich von einem eintägigen
Jagdausflug zurückkehrend durch Insterburg. Auf dem Marktplatz wurde
mein Kraftwagen zurückgewiesen, weil dort eine Dankesfeier zur
Erinnerung an die Befreiung der Stadt von der Russennot begangen werden
sollte. Ich mußte einen Umweg machen. Sic transit
gloria mundi! Man hatte mich nicht erkannt.
Am 13. September erreichen unsere Truppen Eydtkuhnen und feuern in die zurückflutenden russischen Scharen hinein. Unsere Artilleriegeschosse sprengen die dichtgedrängten Haufen auseinander, der Herdentrieb führt sie wieder zusammen. Leider kommen wir auch an diesem Tage nicht an die große Chaussee Wirballen-Wylkowyszki heran. Der Gegner weiß, daß dies für einen großen Teil seiner haltlos gewordenen Kolonnen die Vernichtung bedeuten würde. Er wirft deshalb unseren ermattenden Truppen südlich der Straße alles entgegen, was er an kampfwilligen Verbänden noch zur Hand hat. Nur noch ein einziger Tag bleibt uns zur Verfolgung. Nach diesem werden sich die Truppen Rennenkampfs in das Wald- und Sumpfgelände westlich der Njemenstrecke Olita-Kowno-Wileny geflüchtet haben. Dorthin können wir ihnen nicht nachdrängen.
Am 15. September waren die Kämpfe beendet. Die Schlacht an den masurischen Seen schloß auf russischem Boden, nach einer Verfolgung von über 100 km, von uns zurückgelegt innerhalb 4 Tagen. Die Masse unserer Verbände war beim Abschluß der Kämpfe zu neuer Verwendung bereit.
Es ist mir nicht möglich, hier auch noch auf die glänzenden Leistungen einzugehen, die die Landwehr-Division von der Goltz und andere Landwehrformationen im Angriff gegen mehrfache feindliche Überlegenheit im südlichen Grenzgebiet und zum Schutze unserer rechten Flanke fast bis zur Weichsel hin in diesen Tagen gezeigt haben. Der Schluß dieser Kämpfe dauerte über meine Kommandoführung bei der 8. Armee hinaus an. Er fand unsere Truppen bis Ciechanowo, Przasnysz und Augustowo vorgedrungen.
Anfangs September hatten wir aus dem österreichisch-ungarischen Hauptquartier gehört, daß die Armeen bei Lemberg durch starke russische Überlegenheiten sehr gefährdet wären, und daß ein weiteres Vorgehen der k. u. k. 1. und 4. Armee eingestellt sei.
Seit dieser Zeit verfolgten wir gespannt die dortigen Vorgänge und hörten noch mehr und noch Schlimmeres. Den Zusammenhang der Ereignisse erklären am besten nachstehende Telegramme:
Von uns an die Oberste Heeresleitung am 10. September 1914:
„Erscheint mir fraglich, ob Rennenkampf entscheidend geschlagen werden kann, da Russen heute frühzeitig Rückmarsch angetreten haben. Für Weiterführung der Operationen kommt Versammlung einer Armee in Schlesien in Frage. Können wir auf weitere Verstärkungen aus Westen rechnen? Hier können zwei Armeekorps abgegeben werden.“
Das war am 10. September, also an dem Tage, an dem Rennenkampf überraschend für uns nach Osten seinen Rückzug begann.
Von der Obersten Heeresleitung an uns am 13. September 1914:
„Baldigst zwei Armeekorps freimachen und bereitstellen für Abtransport nach Krakau!“ ...
Krakau? Merkwürdig! So meinen wir und sprechen noch einiges mehr darüber. Stutzig geworden drahten wir daher folgendes an die Oberste Heeresleitung:
13. September 14.
„Verfolgung morgen beendet. Sieg scheint vollständig. Offensive gegen Narew in entscheidender Richtung in etwa 10 Tagen möglich. Österreich erbittet aber wegen Rumäniens direkte Unterstützung durch Verlegung der Armee nach Krakau und Oberschlesien. Verfügbar dazu vier Armeekorps und eine Kavalleriedivision. Bahntransport allein dauert etwa 20 Tage. Lange Märsche nach österreichischem linken Flügel. Hilfe kommt dort spät. Bitte um Entscheidung. Armee müßte dort jedenfalls Selbständigkeit behalten.“
Das war an dem Tage, an dem Rennenkampf mit Verlust von nicht nur einigen Federn sondern eines ganzen Flügels und auch sonst noch erheblich angeschossen zwischen den Njemensümpfen zu verschwinden begann.
Antwort der Obersten Heeresleitung an uns vom 14. September 1914:
„Operation über Narew wird in jetziger Lage der Österreicher nicht mehr erfolgversprechend gehalten. Unmittelbare Unterstützung der Österreicher ist politisch erforderlich.
Operationen aus Schlesien kommen in Frage ...
Selbständigkeit der Armee bleibt auch bei gemeinsamer Operation mit den Österreichern bestehen.“
Also doch! – –
Es gibt ein Buch „Vom Kriege“, das nie veraltet. Clausewitz ist sein
Verfasser. Er kannte den Krieg und kannte die Menschen. Wir hatten auf
ihn zu hören, und wenn wir ihm folgten, war es uns zum Segen. Das
Gegenteil bedeutete Unheil. Er warnte vor Übergriffen der Politik auf
die Führung des Krieges. Weit entfernt bin ich jetzt davon, mit diesen
Worten eine Verurteilung des damals erhaltenen Befehls auszusprechen.
Mag ich 1914 in Gedanken und Worten
Am 15. September mußte ich mich von General Ludendorff trennen. Er war zum Chef der in Oberschlesien neuzubildenden 9. Armee ernannt worden. Doch schon am 17. September ordnete Seine Majestät der Kaiser an, daß ich den Befehl über diese Armee zu übernehmen hätte, gleichzeitig aber auch die Verfügung über die zum Schutze Ostpreußens zurückbleibende, nunmehr durch Abgabe des Garde-Reserve-Korps, des XI., XVII. und XX. Armeekorps sowie der 8. Kavalleriedivision an die 9. Armee geschwächte 8. Armee beibehielte. Die Trennung von meinem bisherigen Generalstabschef war also lediglich ein kleines Zwischenspiel gewesen. Ich erwähne sie nur, weil sich auch ihrer die Legende entstellend bemächtigt hat.
Am 18. September verlasse ich in früher Morgenstunde das Hauptquartier
der 8. Armee Insterburg, um im Kraftwagen in zweitägiger Fahrt über
Posen die schlesische Hauptstadt Breslau zu erreichen. Die Fahrt ging
zunächst über die Schlachtfelder der letzten Wochen, dankerfüllte
Erinnerungen an unsere Truppen auslösend. Anfänglich durch verlassene,
niedergebrannte Wohnstätten, dann allmählicher Eintritt in unberührte
Gebiete, Landvolk wieder nach Osten wandernd, seinen verlassenen
Heimstätten zustrebend. Bewähr
Solche und ähnliche ernste Gedanken bewegten mich während der Fahrt und haben mich auch späterhin während unseres ganzen furchtbaren Ringens nicht verlassen. Deutsche, laßt sie mich in folgende Mahnung zusammenfassen:
Legt um euch alle nicht nur das einigende, goldene Band der sittlichen Menschenpflicht, sondern auch das Stahlband der gleichhohen Vaterlandspflicht! Verstärkt dieses Stahlband immer weiter, bis es zur ehernen Mauer wird, in deren Schutze ihr leben wollt und einzig und allein leben könnt inmitten der Brandung der europäischen Welt! Glaubt mir, diese Brandung wird andauern. Keine menschliche Stimme wird sie bannen, kein menschlicher Vertrag wird sie schwächen! Wehe uns, wenn die Brandung ein Stück von dieser Mauer abgebrochen findet. Es würde zum Sturmbock der europäischen Völkerwogen gegen die noch stehende deutsche Feste werden. Das hat uns unsere Geschichte leider nur zu oft gelehrt!
Auch diesmal sagte ich der Heimat nicht mit leichtem Herzen Lebewohl. Ein anderer Abschied aber wurde nur in dieser Lage noch schwerer. Es war dies der Abschied von der bisherigen Selbständigkeit.
Mag der Schlußsatz des letzten Telegrammes der Obersten Heeresleitung in dieser Richtung auch tröstlich lauten, ich ahne doch das Schicksal, dem wir entgegengehen. Ich kenne es nicht aus dem bisherigen Feldzug, denn in ihm war uns die goldene kriegerische Freiheit im reichsten Maße beschieden gewesen. Wohl aber entnehme ich es der Geschichte früherer Koalitionskriege.
Wir hatten für das beste gehalten, unsere Armee in der Gegend von Kreuzburg in Mittelschlesien zu versammeln. Von dort glaubten wir größere Armfreiheit zum Operieren gegen die nördliche Flanke der russischen Heeresgruppe in Polen, deren Stellung zur Zeit allerdings nicht festgelegt war, zu besitzen. – „Unmöglich!“
Wir möchten, daß es unserer Armee gestattet wird, mit dem rechten Flügel über Kielce (Mitte Polens) vorzugehen. – „Unmöglich!“
Wir möchten, daß uns starke österreichisch-ungarische Kräfte nördlich der oberen Weichsel bis zur San-Mündung begleiten. – „Unmöglich!“
Wenn dieses Alles als unmöglich bezeichnet wird, so wird vielleicht die ganze Operation unmöglich sein oder werden.
Wir versammeln also unsere Truppen (XI., XVII., XX.,
Garde-Reserve-Korps, Landwehr-Korps Woyrsch, 35. Reservedivision,
Landwehrdivision Bredow und 8. Kavalleriedivision) im von der Obersten
Heeresleitung befohlenen engsten Anschluß an den linken
österreichisch-ungarischen Heeresflügel nördlich Krakau. Unser Haupt
Das Bild, das wir uns bei Beginn unserer Bewegungen über die Lage machen können, ist unklar. Bestimmt wissen wir nur, daß die Russen den weichenden österreichisch-ungarischen Armeen in der letzten Zeit über den San hinaus nur zögernd gefolgt sind. Ferner sind Anzeichen dafür vorhanden, daß nördlich der Weichsel 6–7 russische Kavalleriedivisionen und Grenzschutzbrigaden in unbekannter Zahl stehen. Bei Iwangorod scheint eine russische Armee in Bildung begriffen zu sein. Die Truppen hierfür werden augenscheinlich teils aus den Armeen entnommen, die uns bei den früheren Operationen in Ostpreußen gegenüber standen, teils kommen neue Kräfte aus Russisch-Asien heran. Auch liegt Nachricht vor, daß westlich Warschau an einer großen Stellung mit Front nach Westen gebaut wird. Wir marschieren also in eine recht unsichere Lage hinein und müssen auf Überraschungen gefaßt sein.
Wir betreten Russisch-Polen und lernen sofort die volle Bedeutung dessen
kennen, was ein französischer General in seiner Beschreibung des von ihm
miterlebten napoleonischen Feldzuges im Winter 1806 als
Unsere Bewegungen werden durch grundlose Wege aufs äußerste erschwert. Der Gegner bekommt Einblick in sie und trifft Gegenmaßregeln. Er zieht aus der Front den Österreichern gegenüber ein halbes Dutzend Armeekorps in der offenkundigen Absicht heraus, diese uns über die Weichsel südlich Iwangorod frontal entgegen zu werfen.
Am 6. Oktober erreichen wir über Opatow-Radom die Weichsel. Was sich
hier vom Gegner westlich des Flusses befunden hatte, war von uns
zurückgetrieben worden. Nunmehr spricht sich jedoch eine Bedrohung
unseres Nordflügels von Iwangorod-Warschau her aus. Unter diesen
Umständen ist vorläufig eine Fortsetzung unserer Operation in östlicher
Richtung über die Weichsel südlich Iwangorod hinweg unmöglich. Wir
müssen zunächst mit dem Gegner im Norden abrechnen. Alles übrige hängt
von dem Ausgange der dort zu erwartenden größeren Kämpfe ab. Ein
eigenartiges strategisches
Auf dem Schlachtfeld südlich Warschau ist uns als wichtigstes Beutestück ein russischer Befehl in die Hände gefallen, der uns klaren Einblick in die Stärken des Gegners und in seine Absichten gibt. Von der Sanmündung bis Warschau haben wir es danach mit 4 russischen Armeen zu tun; das sind etwa 60 Divisionen gegenüber 18 auf unserer Seite. Aus Warschau heraus sind allein 14 feindliche Divisionen gegen 5 der unserigen angesetzt. Das sind etwa 224 russische Bataillone gegen 60 deutsche. Die gegnerische Überlegenheit erhöht sich noch dadurch, daß unsere Infanterie infolge der vorausgegangenen Kämpfe in Ostpreußen und Frankreich sowie durch die jetzigen langen und anstrengenden Märsche, bis über 300 km in 14 Tagen und auf grundlosen Wegen, auf kaum noch die Hälfte, ja teilweise bis unter ein Viertel der ursprünglichen Gefechtsstärke zusammengeschmolzen ist. Und diese Schwächung unserer Kampfkraft gegenüber neu eintreffenden, vollzähligen sibirischen Korps, Elitetruppen des Zarenreiches!
Die Absicht des Gegners ist, uns längs der Weichsel zu fesseln, während
ein entscheidender Stoß aus Warschau heraus uns dem Verderben
entgegenführen soll. Ein zweifellos großer Plan des Großfürsten
Nikolaij-Nikolaijewitsch, ja der größte, den ich
War ich im Herbst 1897 auf dem Bahnhofe in Homburg vor der Höhe nach dem
Kaisermanöver von dem Großfürsten in ein Gespräch gezogen worden, das
sich besonders um die Verwendung der Artillerie drehte, so trat ich dem
russischen Oberfeldherrn jetzt in Polen zum ersten Male in praxi
unmittelbar gegenüber, denn in Ostpreußen schien er nur vorübergehend
als Zuschauer geweilt zu haben. Gelingt seine Operation, so droht nicht
nur für die 9. Armee, sondern für die ganze Ostfront, für Schlesien, ja
für die ganze Heimat eine Katastrophe. Doch wir dürfen jetzt nicht so
schwarzen Gedanken nachgehen, sondern müssen Mittel und Wege finden, die
drohende Gefahr abzuwehren. Wir entschließen uns daher dazu, unter
Festhaltung der Weichsellinie von Iwangorod südwärts alle dort noch
freizumachenden Kräfte unserem linken Flügel zuzuführen und uns mit
diesem auf den Gegner südlich von Warschau in der Hoffnung zu werfen,
ihn zu schlagen, bevor neue Massen dort erscheinen können.
Eile tut not! Wir bitten daher Österreich-Ungarn, alles, was es an Truppen frei hat, sofort links der Weichsel gegen Warschau zu lenken. Das k. und k. Armee-Oberkommando zeigt für die Lage durchaus richtiges Verständnis, erhebt jedoch zugleich Bedenken, die gerade dieser Lage wenig entsprechen. Österreich-Ungarn, zu dessen Hilfe wir herangeeilt sind, ist bereit, uns zu unterstützen, aber nur auf dem langsamen und daher zeitraubenden Wege einer Ablösung unserer an der Weichsellinie zurückgelassenen Truppen. Dadurch wird freilich eine Vermischung deutscher und österreichisch-ungarischer Verbände vermieden, aber man bringt die ganze Operation in die Gefahr des Mißlingens. Gegenvorstellungen unsererseits führen zu keinem Ergebnis. So fügen wir uns denn den Wünschen unserer Verbündeten.
Was wir befürchten, tritt ein. Aus Warschau heraus quellen immer neue
Truppenmassen, und auch weiter unterhalb überschreiten solche die
Weichsel. Von unseren langgestreckten Kampflinien an der Stirnseite
aufgehalten, droht die sich immer breiter nach Westen entwickelnde
feindliche Überlegenheit um unsere linke Flanke herumzuschlagen. Die
Lage kann und darf so nicht lange bleiben. Unsere ganze gemeinsame
Operation kommt in Gefahr nicht nur zu versumpfen, sondern zu scheitern.
Ja man könnte vielleicht sagen, sie ist schon gescheitert, da im Süden
der oberen Weichsel, in Galizien, der erhoffte Erfolg nicht errungen
wird, obwohl der Gegner gewaltige Massen von dort gegen unsere 9. Armee
herangeführt, sich also unsern Verbündeten gegenüber geschwächt hat.
Jedenfalls muß der schwere, von unserer Truppe zuerst unwillig
aufgenommene Entschluß gefaßt werden, uns aus der drohenden Umklammerung
loszumachen und auf andere Weise einen Ausweg aus der Gefahr zu suchen.
Das Schlachtfeld von Warschau wird in der Nacht vom 18. auf den
19. Oktober dem Gegner überlassen. Um die Operation nicht schon jetzt
aufzugeben, führen wir unsere vor Warschau unter Mackensen kämpfenden
Truppen in die Stellung Rawa-Lowicz, etwa 70 km westlich der Festung, zurück. Wir hoffen, daß der Russe gegen
diese nach Osten gerichtete Front anrennen wird. Dann wollen wir mit
unseren inzwischen von den Österreichern vor Iwangorod abgelösten Korps
von Süden her einen entscheidenden Schlag gegen den stärksten Teil der
russischen Heeresgruppe im großen Weichselbogen führen. Vorbedingung für
Durchführung dieses Planes ist, daß Mackensens Truppen den Anprall der
russischen Heerhaufen aushalten, und daß die österreichisch-ungarische
Verteidigung an der Weichsel so fest steht, daß unser beabsichtigter
Stoß gegen russische Flankeneinwirkung aus östlicher Richtung sicher
ge
Was nützt es uns jetzt noch, wenn die ersten Anstürme der Russen gegen Mackensens neue Front scheitern? Die rechte Flanke unseres beabsichtigten Angriffs ist durch das Zurückweichen unseres Verbündeten entblößt. Wir müssen auf diese Operation verzichten. Es erscheint mir am besten, wir machen uns durch Fortsetzung des Rückzuges die Arme frei, um später anderwärts wieder zuschlagen zu können. Der Entschluß reift in mir in unserem Hauptquartier zu Radom, zunächst nur in Umrissen, aber doch klar genug, um für die weiteren Maßnahmen als Richtlinie zu dienen. Mein Generalstabschef wird diese festhalten, seine titanische Kraft wird für ihre Durchführung alles vorsorgen, des bin ich gewiß.
Freilich verbinden sich mit dem Gedanken auch ernste Bedenken. Was wird
die Heimat sagen, wenn sich unser Rückzug ihren Grenzen nähert? Ist es
ein Wunder, wenn Schlesien erbebt? Man wird dort an die russischen
Verwüstungen in Ostpreußen denken, an Plünderungen, Verschleppung
Wehrloser und anderes Elend. Das
Unser Rückzug wird in allgemeiner Richtung Czenstochau am 27. Oktober angetreten. Gründliche Zerstörungen aller Straßen und Eisenbahnen sollen die dichtgedrängten russischen Massen aufhalten, bis wir uns völlig losgelöst haben, und bis wir Zeit finden, eine neue Operation einzuleiten. Die Armee rückt hinter die Widawka und Warthe, linker Flügel in Gegend Sieradz; das Hauptquartier geht nach Czenstochau. Der Russe folgt anfangs dicht auf, dann erweitert sich der Abstand. So hat dieser wilde Wechsel spannendster Kriegslagen seine einstweilige Lösung gefunden.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich nicht unerwähnt lassen, daß uns das
rechtzeitige Erkennen der uns drohenden Gefahren durch die
unbegreifliche Unvorsichtigkeit, ja man könnte sagen, durch die Naivität
erleichtert wurde, mit der der Russe von seinen funkentelegraphischen
Verbindungen Gebrauch machte. Durch Mitlesen der feindlichen Funksprüche
waren wir vielfach instandgesetzt, nicht nur die Aufstellung sondern
sogar die Absichten auf feindlicher Seite zu erfahren. Trotz dieser
ungewöhnlichen Gunst der Verhältnisse stellten die eintretenden Lagen
besonders wegen der großen zahlenmäßigen Überlegenheit des Gegners
jedoch immer noch genügend starke Ansprüche an die Nerven der obersten
Führung. Ich wußte aber die untere Führung fest in unserer Hand und
hatte das unbedingte Vertrauen, daß von den Truppen das Menschenmögliche
geleistet wurde. Solches Zusammengreifen aller hat uns die Überwindung
der gefährlichsten Lagen ermöglicht. Doch schien unser schließliches
Verderben dieses Mal nicht bloß aufgeschoben? Die
An diesem 1. November verfügte Seine Majestät der Kaiser meine Ernennung zum Oberbefehlshaber aller deutschen Streitkräfte im Osten, auch wurde mein Befehlsbereich über die deutschen östlichen Grenzgebiete erweitert. General Ludendorff blieb mein Chef. Die Führung der 9. Armee wurde General von Mackensen übertragen. Wir waren damit von der unmittelbaren Sorge für die Armee befreit; um so beherrschender wurde unser Einwirken auf das Ganze.
Als unser Hauptquartier wählen wir Posen. Noch bevor wir jedoch dahin übersiedeln, fällt in Czenstochau am 3. November die endgültige Entscheidung über unsere neue Operation, oder ich sage vielleicht besser, erhalten die neuen Absichten ihre endgültige Form.
Der neue Plan gründet sich auf folgende Erwägung: Würden wir in der
jetzigen Aufstellung den Angriff der gegenüberstehenden 4 russischen
Armeen frontal abzuwehren versuchen, so würde der Kampf gegen die
erdrückende Übermacht wohl ebenso verlaufen wie vor Warschau. Schlesien
ist also auf diese Weise vor dem Einbruch des Gegners nicht zu retten.
Diese Aufgabe ist nur im Angriff zu lösen. Ein solcher, gegen die
Stirnseite des weit überlegenen Gegners geführt, würde einfach
zerschellen. Wir müssen ihn gegen die offene oder bloß schwach gedeckte
feindliche Flanke zu richten suchen. Eine
Durch unseren neuen Aufmarsch bei Thorn-Gnesen werden die gesamten
verbündeten Streitkräfte im Osten in 3 große Gruppen verteilt. Die erste
wird gebildet durch das österreichisch-ungarische Heer beiderseits der
oberen Weichsel, die beiden anderen durch die 9. und 8. Armee. Die
Zwischenräume zwischen diesen 3 Gruppen können wir durch vollwertige
Kampftruppen nicht schließen. Wir sind gezwungen, in die etwa 100 km breite Lücke zwischen den Österreichern und
unserer 9. Armee im wesentlichen neuformierte Verbände einzuschieben.
Diese besitzen an sich schon geringere Angriffskraft und müssen noch
dazu an der Front einer mächtigen russischen Überlegenheit sich so breit
ausdehnen, daß sie eigentlich nur einen dünnen Schleier bilden. Rein
zahlenmäßig beurteilt brauchen die Russen gegen Schlesien nur
anzutreten, um diesen Widerstand mit Sicherheit zu überrennen. Zwischen
der 9. Armee bei Thorn und der 8. Armee in den östlichen Gebieten
Ostpreußens befindet sich im wesentlichen nur Grenzschutz, verstärkt
durch die Hauptreserven aus Thorn und Graudenz. Auch diesen Truppen
gegenüber steht eine starke russische Gruppe von etwa 4 Armeekorps
nördlich von Warschau auf dem Nordufer der Weichsel und des Narew. Diese
russische Gruppe könnte,
Was an starken, angriffskräftigen Verbänden irgendwo freigemacht werden kann, muß zur Verstärkung der 9. Armee herangeholt werden. Sie führt den entscheidenden Schlag. Mag die 8. Armee noch so bedroht sein, sie muß 2 Armeekorps zugunsten der 9. abgeben. Die Verteidigung der erst vor kurzem befreiten Provinz kann unter solchen Verhältnissen freilich nicht mehr an der russischen Landesgrenze durchgeführt werden sondern muß in das Seengebiet und an die Angerapp zurückverlegt werden; ein harter Entschluß. Die Gesamtstärke der 9. Armee wird durch die geschilderte Maßnahme auf etwa 5½ Armeekorps und 5 Kavalleriedivisionen gebracht. Zwei von letzteren werden aus der Westfront herangeführt. Weitere Kräfte glaubt die Oberste Heeresleitung trotz unserer ernsten Vorstellungen dort nicht freimachen zu können. Sie hofft in dieser Zeit immer noch auf einen günstigen Ausgang der Schlacht bei Ypern. Die Schwierigkeiten des Zweifrontenkrieges zeigen sich erneut in ihrer ganzen Größe und Bedeutung.
Was auf unserer Seite an Kräften fehlt, muß wieder durch Schnelligkeit und Tatkraft ersetzt werden. Ich bin sicher, daß in dieser Beziehung das Menschenmögliche von seiten der Armeeführungen und Truppen geleistet werden wird. Schon am 10. November steht die 9. Armee angriffsbereit, am 11. bricht sie los, mit dem linken Flügel längs der Weichsel, mit dem rechten nördlich der Warthe. Es ist hohe Zeit, denn schon kündet sich an, daß auch der Gegner vorgehen will. Ein feindlicher Funkspruch verrät, daß die Armeen der Nordwestfront, d. h. also alles, was von russischen Kräften von der Ostsee bis einschließlich Polen steht, am 14. November zu einem tiefen Einfall in Deutschland antreten sollen. Wir entreißen dem russischen Oberbefehlshaber die Vorhand, und als er am 13. unsere Operation erkennt, wagt er nicht, den großen Stoß gegen Schlesien durchzuführen, sondern wirft alle verfügbaren Kräfte unserem Angriff entgegen. Schlesien ist damit vorläufig gerettet, der erste Zweck unserer Operation ist erreicht. Werden wir darüber hinaus eine große Entscheidung erringen können? Die feindliche Übermacht ist allenthalben gewaltig. Trotzdem erhoffe ich Großes!
Es würde den Rahmen dieses Buches überschreiten, wollte ich nunmehr einen, wenn auch nur allgemeinen Überblick über die Kampfereignisse, die unter der Bezeichnung „Schlacht bei Lodz“ zusammengefaßt sind, geben.
In dem Wechsel zwischen Angriff und Verteidigung, Umfassen und Umfaßtsein, Durchbrechen und Durchbrochenwerden zeigt dieses Ringen auf beiden Seiten ein geradezu verwirrendes Bild. Ein Bild, das in seiner erregenden Wildheit alle die Schlachten übertrifft, die bisher an der Ostfront getobt hatten!
Es war uns im Verein mit Österreich-Ungarn gelungen, die Fluten halb Asiens abzudämmen.
Die Kämpfe dieses polnischen Feldzuges endeten aber nicht bei Lodz
sondern wurden auf beiden Seiten weiter genährt. Neue Kräfte kamen zu
uns vom Westen heran, doch nur wenig frische, meist solche
Erst der eingetretene Winter legte seine lähmenden Fesseln um die Tätigkeit von Freund und Feind. Die im Kampfe schon erstarrten Linien deckte Schnee und Eis. Die Frage war: Wer wird diese Linien in den kommenden Monaten zuerst aus ihrer Erstarrung lösen?
Die Leistungen Deutschlands und seines Heeres im Jahre 1914 werden in ihrer ganzen heldenhaften Größe erst dann einwandfrei gewürdigt werden, wenn Wahrheit und Gerechtigkeit wieder zur freien Wirkung kommen, wenn die Propaganda unserer Gegner in ihrer die Weltmeinung irreführenden Weise entlarvt ist, und wenn die deutsche kritische Selbstzerfleischung einem ruhigen besonnenen Urteil weicht. Ich zweifle nicht, daß dies alles eintreten wird.
Trotz der Größe all unserer Leistungen fehlte aber die Krönung des
gewaltigen, uns aufgezwungenen Werkes. Bis jetzt war nur die
augenblickliche Rettung, nicht aber ein durchgreifender Sieg erkämpft.
Die Vorstufe, die zu diesem führte, war eine Entscheidung auf wenigstens
einer unserer Fronten. Wir mußten herauskommen aus der kriegerischen,
politischen und wirtschaftlichen Umklammerung, die uns einschnürte und
uns auch moralisch den Atem zu nehmen drohte. Die Gründe für das
bisherige Ausbleiben des Erfolges waren strittig und werden strittig
bleiben. Die Tatsache bestand, daß unsere Oberste Heeresleitung sich
genötigt geglaubt hatte, vom Westen, wo sie die rasche Entscheidung
suchen wollte, vorzeitig starke Kräfte nach dem Osten zu werfen. Ob bei
diesem Entschluß nicht auch eine Überschätzung der damals im Westen
erreichten Er
In zahlreichen Gesprächen mit Offizieren, die einen Einblick in den Verlauf der Ereignisse im August und September 1914 auf dem westlichen Kriegsschauplatz gehabt hatten, versuchte ich ein einwandfreies Urteil über die Vorgänge zu gewinnen, die für uns in der sogenannten Marneschlacht so verhängnisvoll wurden. Ich glaube nicht, daß eine einzelne Ursache die Schuld an dem Scheitern unseres großen, zweifellos richtigen Feldzugsplanes trägt. Eine ganze Reihe ungünstiger Einwirkungen entschied zu unseren Ungunsten. Zu diesen zähle ich: Verwässerung des Grundgedankens, mit einem starken rechten Flügel aufzumarschieren, Festrennen des überstark gemachten linken Heeresflügels durch falsche Selbsttätigkeit der unteren Führung, Verkennen der aus dem starkbefestigten, großen Eisenbahnknotenpunkt Paris zu erwartenden Gefahr, ungenügendes Eingreifen der Obersten Heeresleitung in die Bewegungen der Armeen und vielleicht auch mangelhaftes Herausfühlen der an sich nicht ungünstigen Lage an dieser und jener Kommandostelle im entscheidenden Augenblick der Schlacht. Die Geschichtsforschung und die Kritik werden hier ein dankbares Feld ihrer Tätigkeit haben.
Mit aller Entschiedenheit möchte ich mich aber dahin aussprechen, daß
das Scheitern unseres ersten Operationsplanes im Westen zwar eine
schwere Gefahr für uns brachte, daß dadurch aber keineswegs die
Fortführung des Krieges für uns aussichtslos geworden war. Wäre dies
nicht meine Überzeugung gewesen, so würde ich mich schon im Herbste 1914
für verpflichtet gehalten haben, dies nach oben hin, und zwar bis zu
meinem Allerhöchsten Kriegsherrn zu vertreten. Unser Heer hatte
derartige glänzende und den Gegnern allenthalben überlegene
Eigenschaften entwickelt, daß nach meiner Ansicht bei einer
entsprechenden Zusammenfassung unserer Kräfte
West oder Ost? Das mußte die große Frage sein, von deren Beantwortung unser Schicksal abhing. Bei Lösung dieser Frage konnte mir selbstverständlich eine entscheidende Stimme von seiten der Obersten Heeresleitung nicht zuerkannt werden. Die Verantwortung lag allein und ausschließlich auf ihren Schultern. Ich glaubte jedoch das Recht und damit auch die Pflicht zu haben, meine Anschauungen in dieser Richtung frei und offen zu äußern und zu vertreten.
Für das allgemeine Denken war die sogenannte Westentscheidung traditionell. Sie war, man darf vielleicht sagen, national. Im Westen stand der Feind, dessen chauvinistische Hetzereien uns im Frieden nicht hatten zur Ruhe kommen lassen. Dort stand jetzt aber zugleich auch derjenige Gegner, der nach unser aller Überzeugung die zur Vernichtung Deutschlands treibende Kraft darstellte. Demgegenüber fand man bei uns die Begehrlichkeit Rußlands auf Konstantinopel vielfach begreiflich; diejenige auf Ost- und Westpreußen nahm man nicht ernst.
Die deutsche Kriegsleitung konnte sonach beim Kampfe im Westen sicher damit rechnen, die führenden Geister des Vaterlandes, ja das Empfinden des größten Teiles des Volkes auf ihrer Seite zu haben. Darin lag ein nicht zu verachtender moralischer Faktor. Ob dieser in den Berechnungen unserer Heeresführung eine Rolle spielte, wage ich nicht zu behaupten; wohl aber weiß ich, daß der Gedanke einer Westentscheidung uns hundert- und tausendfach mündlich und schriftlich entgegengebracht wurde. Ja ich fand sogar später, als mir selbst die Kriegsleitung anvertraut wurde, Stimmen, die mir eine förmliche Schonung Rußlands nahelegten. Man glaubte eben vielfach, daß es verhältnismäßig leicht für uns sei, mit Rußland auf friedlichem Boden eine Verständigung zu finden.
Der entscheidende, den Endsieg erstrebende Kampf im Westen galt auch mir
als ultima ratio für Erzwingung des Friedens,
aber als eine ultima ratio, an die wir nur über den auf den Boden geworfenen Russen
herantreten konnten. Vermochte man den Russen zu Boden zu werfen? Das
Schicksal hat die Frage bejaht, aber erst, als zwei weitere Jahre
vergangen waren, als es, wie es sich herausstellen sollte, zu spät
geworden war. Denn bis dahin hatte sich unsere Lage gründlich verändert.
Die Zahl und Kraft unserer übrigen Gegner war in der Zwischenzeit ins
Riesenhafte weiter gewachsen, und in den Kreis ihrer Kämpfer trat an
Stelle Rußlands das jugendkräftige, wirtschaftsgewaltige Nordamerika!
Ich glaubte, die Frage, ob wir Rußland niederzwingen könnten, im Winter 1914/15 bejahen zu dürfen, und stehe noch heute auf diesem Standpunkt. Freilich: das Ziel war nicht in einem einzigen großen, ins Ungeheure gesteigerten Sedan zu erreichen, wohl aber in einer Reihe solcher und ähnlicher Schlachten. Hierfür aber bot, wie es sich damals bereits gezeigt hatte, wenn auch nicht die russische Heeresleitung so doch die Führung der russischen Armeen günstige Vorbedingungen. Tannenberg hatte dieses bewiesen; Lodz hätte es beweisen können, vielleicht mit noch gewaltigeren Zahlen wie Tannenberg, wenn wir nicht damals den Kampf in Polen gegen gar zu große Überlegenheiten hätten auf uns nehmen müssen und sozusagen mitten im Siege aus Mangel an Kräften steckenblieben.
Ich habe den Russen nie unterschätzt. Es war nach meiner Ansicht falsch,
in Rußland nur Despotismus und Sklaventum, Unbeholfenheit, Stumpfsinn
und Eigennutz zu sehen. Starke und hohe sittliche Kräfte waren auch dort
am Werke, freilich nur in einzelnen Kreisen. Vaterlandsliebe,
selbständiger Wille, Arbeitskraft und Weitblick waren dem Heere nicht
unbedingt fremd. Wie hätten sich auch sonst die ungeheuren Massen
bewegen lassen, wie wären anders das Land und die Truppen zu solchen
Hekatomben von Menschenopfern bereit gewesen? Der Russe der Jahre 1914
und 1915 war nicht mehr der
Die bisherigen Kämpfe mit den Armeen des Zaren hatten unseren Offizieren und Soldaten das Gefühl unbedingter Überlegenheit über diese Feinde gegeben. Dieses Gefühl, das unsere alten Landstürmer ebenso wie unsere jungen Soldaten erfüllte, erklärte es, daß wir hier im Osten Truppengebilde in den Kampf werfen konnten, deren Kampfwert eine Verwendung an der Westfront nur unter Vorbehalt zugelassen hätte. Ein ungeheurer Vorteil für uns, da wir zahlenmäßig so sehr den Gesamtgegnern unterlegen waren! Freilich hatte die Verwendung solcher Verbände ihre Grenzen angesichts der großen Anforderungen, die an die Ausdauer und an die operative Beweglichkeit der Truppe in den östlichen Gebieten zu stellen waren. Die Hauptkraft mußte immer wieder durch schlagkräftige Divisionen geliefert werden. Konnte man ihre zur Führung entscheidender Operationen nötige Anzahl nicht durch Neubildungen gewinnen, so mußten sie nach meiner Ansicht, selbst unter Preisgabe von Teilen besetzter Gebiete, aus der westlichen Front gezogen werden.
Diese Darlegungen sind nicht erst das Ergebnis nachträglicher
Gedankenkonstruktionen oder rückschauender Kritik. Man hat ihnen
gegenüber darauf hingewiesen, daß der Russe jederzeit imstande sein
würde, sich im Falle der Not in die sogenannte Endlosigkeit seines
Reiches so weit zurückzuziehen, daß unsere operative Kraft im Nachfolgen
erlahmen müßte. Ich glaube, daß diese Anschauungen sich allzusehr unter
dem Banne der Erinnerungen an 1812 befanden, daß sie der inzwischen
eingetretenen Entwickelung und Änderung der politischen und
wirtschaftlichen Verhältnisse des inneren Zarenreiches – ich erinnere
besonders an die Eisenbahnen – nicht genügend Rechnung trugen. Der
napoleonische Feldzug hatte seiner
In diesen Anschauungen lag letzten Endes der Widerstreit zwischen der damaligen deutschen Heeresführung und meinem Oberkommando. Die Öffentlichkeit hat viele Legenden in diesen Widerstreit hineingetragen. Von dramatischen Vorgängen konnte nicht die Rede sein, so tief mich auch die Angelegenheit persönlich ergriff. Ich überlasse die nachträgliche sachliche Entscheidung der gelehrten Kritik der Nachwelt, bin jedoch überzeugt, daß auch diese zu einem widerspruchslosen Endergebnis nicht kommen wird. Jedenfalls werde ich dieses Endergebnis nicht mehr erleben.
Von den Ereignissen des Jahres 1915 im Osten möchte ich nur in großen Umrissen sprechen.
Den Kampf an unserem Teil der Ostfront riefen wir selbst in seiner
ganzen Stärke wieder wach. Völlig geruht hatte er ja nie. Er hatte bei
uns aber auch nicht mit der gleichen Wut getobt, wie in den Karpathen,
wo die k. und k. Armeen im schwersten Ringen die Gefilde Ungarns vor
russischer Überflutung schützen mußten. Dorthin war auch mein Armee-Chef
in der Not der Tage vorübergehend gerufen worden. Die inneren Gründe,
die zu unserer damaligen Trennung Veranlassung gaben, sind mir nicht
bekannt geworden. Ich suchte sie auf sachlichem Gebiete und bat meinen
Kaiser, diese Verfügung rückgängig zu machen, was Seine Majestät auch
gnädigst bewilligte. General Ludendorff kam nach kurzer Zeit zurück mit
ernsten Erfah
Dem k. u. k. Armee-Oberkommando mußte der Gedanke zu einer entscheidenden Operation im Osten ganz besonders nahe liegen. Er drängte sich ihm nicht nur aus militärischen sondern auch aus politischen Gründen auf. Die fortschreitende Abnahme des Wertes der österreichisch-ungarischen Kampfkräfte konnte ihm nicht verborgen bleiben. Ein längeres Hinziehen des Krieges verschlimmerte diese Zustände augenscheinlich in dem Heere der Donaumonarchie verhältnismäßig rascher als beim gegenüberstehenden Feind. Dazu kam die österreichische Sorge, daß der drohende Verlust von Przemysl nicht nur die Spannung in der Kriegslage an der eigenen Heeresfront wesentlich steigern werde, sondern daß auch unter dem Eindruck, den der Fall dieser Festung auf die Heimat machen mußte, die schon jetzt nicht unbedenklichen Erscheinungen von Lockerung im Staatsgefüge und von Schwinden des Vertrauens auf ein günstiges Kriegsende sich noch weiter verschärfen würden. Auch fühlte Österreich-Ungarn sich schon jetzt durch die politische Haltung Italiens im Rücken bedroht. Ein großer, erfolgreicher Schlag im Osten konnte die mißliche Lage des Staates gründlich ändern.
Aus dieser Beurteilung der Verhältnisse heraus trat ich auf die Seite des Generals von Conrad, als er bei der deutschen Obersten Heeresleitung entscheidende Operationen auf dem östlichen Kriegsschauplatz anregte. Die von mir für eine solche Entscheidung nötig befundenen Truppenstärken glaubte unsere Oberste Heeresleitung nicht zur Verfügung stellen zu können. Aus dem vorgeschlagenen Plane wurde daher innerhalb meines Befehlsbereiches nur ein einziger großer Schlag, den wir in Ostpreußen führten.
4 Armeekorps rollten bei Beginn des Jahres zu unserer Verfügung aus der
Heimat und dem Westen zu uns heran. Sie werden in Ostpreußen ausgeladen,
verstärken teils die 8. Armee und bilden teils die 10. unter
Generaloberst von Eichhorn, marschieren
Der erste grundlegende Gedanke der Operation wird am 28. Januar noch im Hauptquartier zu Posen für unsere Armeeführer in folgende Worte gefaßt:
„Ich beabsichtige, die 10. Armee mit ihrem linken Flügel längs der Linie Tilsit-Wylkowyszki zur Umfassung des nördlichen Flügels des Gegners anzusetzen, den Feind mit der Landwehrdivision Königsberg und dem linken Flügel der 8. Armee in frontalem Kampf zu binden, und den rechten Flügel der 8. Armee auf Arys-Johannisburg und südlich angreifen zu lassen.“
Am 5. Februar folgt dann aus Insterburg, wohin wir uns zur Schlachtenleitung begaben, der eigentliche Angriffsbefehl. Er setzt vom 7. ab die beiden Massen an den Flügeln in Bewegung, vielleicht etwas an unser ruhmreiches Sedan erinnernd, und ein vernichtendes Sedan sollte es für die 10. Russenarmee schließlich bei Augustowo auch werden. Dort schloß sich am 21. Februar der Kessel des gewaltigen Treibens, aus dem mehr denn 100.000 Gegner als Gefangene Deutschland zugeführt wurden. Eine noch weit größere Zahl von Russen war einem anderen Schicksal erlegen.
Das Ganze wurde auf Allerhöchsten Befehl Seiner Majestät des Kaisers
„Winterschlacht in Masuren“ benannt. Man befreie mich von ihrer näheren
Beschreibung. Was sollte ich auch Neues aus ihr erzählen? Ihr Name mutet
an wie Eiseshauch und Totenstarre. Vor dem Gange dieser Schlacht steht
der rückblickende Mensch, wie wenn er sich fragen müßte: Haben wirklich
irdische Wesen dies alles geleistet, oder ist das Ganze nur ein Märchen
oder Geisterspuk
Trotz der großen taktischen Erfolge der Winterschlacht blieb uns die strategische Ausnutzung des Erreichten versagt. Wir waren wohl wieder imstande gewesen, eine der russischen Armeen nahezu völlig zu vernichten, aber an ihre Stelle traten sofort neue feindliche Kräfte, herangezogen von anderen Fronten, an denen sie nicht gebunden waren. Unter diesen Verhältnissen konnten wir mit den jetzt im Osten verfügbaren Mitteln zu keinem entscheidenden Ergebnis gelangen. Die russische Übermacht war allzu gewaltig.
Der Winterschlacht folgt als russische Antwort ein umfassender Angriff auf unsere Stellungen vorwärts der altpreußischen Grenzgebiete. Gewaltige Blöcke wälzt der feindliche Heerführer gegen uns heran, Blöcke von übermächtiger Größe, jeder einzelne schwerer, als alle unsere Kräfte zusammen. Aber der deutsche Wille überwindet auch diese Belastung. Ströme russischen Blutes fließen in den mörderischen Kämpfen bis Frühjahrsbeginn nördlich des Narew und westlich des Njemen; dem Himmel sei Dank, auf russischem Boden! Der Zar mag viele Soldaten haben, auch ihre Zahl schwindet bei solchen Massenopfern merklich dahin. Die russische Kraft, die vor unseren Linien zugrunde geht, wird nachher fehlen, wenn der große deutsch-österreichisch-ungarische Stoß weit im Süden die ganze russische Heeresfront erbeben macht.
Nicht nur in den preußischen Grenzgebieten, sondern auch in den
Karpathen wird in dieser Zeit mit äußerster Erbitterung gefochten. Dort
versucht der Russe auch über den Winter hinaus den Grenzwall Ungarns um
jeden Preis zu bezwingen. Er fühlt wohl mit Recht, daß ein Einbruch der
russischen Flut in die magyarischen Länder den Krieg entscheiden könnte,
daß das Donaureich einen solchen Schlag nimmermehr überwinden würde. War
es zu bezweifeln,
Die andauernd große Spannung der Kampflage in den Karpathen und ihre Rückwirkung auf die politischen Verhältnisse forderten gebieterisch eine Lösung. Die deutsche Oberste Heeresleitung fand eine solche. Sie durchbrach in den ersten Tagen des Mai die russische Heeresfront in Nordgalizien und faßte die gegnerische Schlachtfront an der ungarischen Grenze in Flanke und Rücken.
Mein Oberkommando war zunächst an der großen Operation, die bei Gorlice ihren Anfang nahm, nur mittelbar beteiligt. Unsere Aufgabe im Rahmen dieser großzügigen Unternehmung war es vorerst, starke feindliche Kräfte zu binden. Das geschah zunächst durch Angriffe im großen Weichselbogen westlich Warschau und an der ostpreußischen Grenze, in Richtung Kowno, dann aber im größeren Stile durch ein am 27. April begonnenes Reiterunternehmen nach Litauen und Kurland. Der Vorstoß von drei Kavalleriedivisionen, unterstützt von der gleichen Zahl Infanteriedivisionen, berührte eine empfindliche Stelle russischen Kriegsgebietes. Der Russe fühlte wohl zum ersten Male, daß die wichtigsten Eisenbahnen, die russisches Heer und russisches Kernland verbanden, durch ein solches Vorgehen ernstlich gefährdet werden konnten. Er warf unserem Einbruch starke Kräfte entgegen. Die Kämpfe auf litauischem Boden zogen sich bis zum Sommer hin. Wir sahen uns veranlaßt, weitere Kräfte dorthin zu werfen, um die besetzten Landesteile zu behaupten und unseren Druck auf den Gegner auch in jenen vom Krieg bisher unberührten Gebieten dauernd zu erhalten. So entstand dort allmählich eine neue deutsche Armee. Sie erhielt nach dem Hauptstrom des Gebietes die Bezeichnung „Njemenarmee“.
Es fehlt mir an Raum, um auf den Heereszug einzugehen, der am 2. Mai in Nordgalizien begann, um dann, auf unsere Linien übergreifend, in den Herbstmonaten östlich Wilna zu enden. Wie eine Lawine aus scheinbar kleinen Anfängen entsteht, immer neue und neue Teile auf ihrem verheerenden Weg mit sich reißt, so beginnt und verläuft dieser Zug in nie gesehener und nicht mehr wiederholter Ausdehnung. Wir werden zu unmittelbarem Eingreifen in seinen Gang veranlaßt, als der Durchstoß über Lemberg hinaus gelang. Jetzt schwenken nämlich die deutsch-österreichisch-ungarischen Armeen zum Vorgehen in nördlicher Richtung zwischen oberen Bug und Weichsel ein. Man halte sich das Bild der Lage vor Augen: Die russische Heeresfront ist in der südlichen Hälfte fast bis zur Zersprengung eingedrückt. Ihr Nordteil, nach Westen und Nordwesten festgehalten, hat eine neue mächtige Flanke zwischen der Weichsel und den Pripetsümpfen nach Süden gebildet. Eine Katastrophe droht der Masse des russischen Heeres, wenn ein neuer Durchbruch von Norden her gegen den Rücken der russischen Heeresmacht gelingt.
Der Gedanke, der uns zur Winterschlacht führte, drängt sich aufs neue
auf, diesmal vielleicht in noch größeren Umrissen. Jetzt muß von
Ostpreußen her der Schlag angesetzt werden, am nächsten und
wirkungsvollsten über Ossowiez-Grodno. Doch verhindert auch jetzt dort
das Bobrsumpfgebiet unser Vorgehen; wir kennen das vom Tauwetter des
vergangenen Winters her. Es bleibt also nur die Wahl zwischen dem
Vorbrechen westlich oder östlich dieser Linie. Der Stoß in die Tiefe der
feindlichen Verteidigung, ich möchte sagen in die Herzgegend des
russischen Heeres fordert die Richtung östlich Grodno vorbei. Wir
vertreten diesen Gedanken. Die Oberste Heeresleitung verschloß sich
seinem Vorteil nicht, aber sie hielt die westliche Stoßrichtung für
kürzer und glaubte auch hier an große Erfolge. Sie forderte also den
Angriff über den unteren Narew. Ich glaubte meinen Widerstand gegen
diese Absicht zum Nutzen des Ganzen einstweilen aufgeben, die Folgen
dieses Angriffes und den weiteren Verlauf der
In diesen Zeitraum fällt die Wegnahme von Nowo Georgiewsk. Diese Festung hatte zwar trotz ihrer Anlage als strategischer Brückenkopf bisher noch keine besonders wichtige Rolle gespielt; ihr Besitz wurde aber jetzt für uns von Wert, weil sie die über Mlawa nach Warschau führende Bahn sperrte. Unmittelbar vor der Übergabe traf ich am 18. August mit meinem Kaiser vor dem Waffenplatz zusammen und fuhr später in seinem Gefolge in die Stadt. Dort brannten noch die von den russischen Truppen angezündeten Kasernen und andere militärische Gebäude. Große Massen von Gefangenen standen herum. Auffallend war es, daß die Russen vor der Übergabe ihre Pferde reihenweise erschossen hatten, wohl in der Überzeugung von dem außerordentlichen Werte, den diese Tiere für unsere Operationen im Osten hatten. Unser Gegner benahm sich überhaupt in der Zerstörung aller Mittel und Vorräte, die dem siegreichen Feinde für die Kriegführung von irgendwelchem Nutzen sein konnten, stets außerordentlich gründlich.
Um wenigstens freie Bahn für ein späteres Vorgehen gegen Wilna zu schaffen, lassen wir schon Mitte Juli unsere Njemenarmee gegen Osten vorbrechen. Mitte August fällt dann Kowno unter dem Ansturm der 10. Armee. Der Weg gegen Wilna ist geöffnet, aber noch immer fehlen die Kräfte zur weiteren Durchführung unseres großen operativen Gedankens. Sie bleiben vorläufig in frontaler Verfolgung festgelegt. Wochen vergehen, bis Verstärkungen herangeholt werden können. Unterdessen weicht aber der Russe weiter nach Osten; er gibt alles preis, selbst Warschau, wenn er nur seine Hauptkräfte dem Verderben entziehen kann.
Erst am 9. September können wir vorwärts auf Wilna. Möglicherweise kann
in dieser Richtung auch jetzt noch Großes gewonnen werden.
Hunderttausende russischer Truppen sind vielleicht unsere Beute. Wenn je
stolze Hoffnungen mit Ungeduld und Sorgen sich mischten, so geschieht es
jetzt. Kommen wir zu spät? Sind wir kräftig genug? Doch nur vorwärts,
über Wilna hinaus und dann
Ich täusche mich wohl nicht in der Annahme, daß der Gegensatz zwischen den Anschauungen der deutschen Obersten Führung und den unserigen ein geschichtliches Interesse behalten wird. Aber wir dürfen bei der Beurteilung der Pläne der Heeresleitung den Blick über das Gesamtbild des Krieges nicht verlieren. Wir selbst sahen damals nur einen Teil dieses Bildes. Die Frage, ob wir unter dem Eindrucke der gesamten politischen und kriegerischen Lage anders geplant und anders gehandelt hätten, mag unerörtert bleiben.
Aus diesem ernsten Gedankenstreit möchte ich zu einer idyllischeren Seite unseres Kriegslebens im Jahre 1915 übergehen, indem ich mich in meinen Erinnerungen nach Lötzen begebe.
Das freundlich zwischen Seen, Wald und Höhen gelegene Städtchen wurde
unser Hauptquartier, als die Winterschlacht in Masuren auszuklingen
begann. Die Einwohner, befreit von Russengefahr und Russenschreck,
gewährten uns eine rührend herzliche Aufnahme. Dankbarst gedenke ich
auch des Landverkehrs auf den ohne zu großen Zeitverlust erreichbaren
Gütern, der mir, wenn es der Ernst der Zeit erlaubte, Stunden der
Erholung, Ablenkung und Anregung brachte. Auch das edle Weidwerk kam
dabei nicht zu kurz; den Höhepunkt
Als im Frühjahr allmählich die Ruhe vor unserer Front einzutreten begann, fehlte es uns, ebensowenig wie später im Sommer, nicht an Besuchern jeglicher Art. Deutsche Fürstlichkeiten, Politiker, Männer aus wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Berufskreisen, Verwaltungsbeamte kamen zu uns, geführt durch das Interesse, das die sonst so wenig besuchten östlichen Provinzen durch den bisherigen Kriegsverlauf gewonnen hatten. Künstler fanden sich ein, um General Ludendorff und mich durch Pinsel oder Meißel zu verewigen, eine Auszeichnung, auf die wir bei aller Liebenswürdigkeit und Tüchtigkeit der betreffenden Herrn gerne zu Gunsten unserer knappen Freistunden verzichtet hätten. Auch das neutrale Ausland stellte Gäste. So lernte ich unter anderen dort auch Sven Hedin, den bekannten Asienreisenden und überzeugten Deutschenfreund, kennen und schätzen.
Unter den Staatsmännern, die uns in Lötzen besuchten, nenne ich besonders den damaligen Reichskanzler von Bethmann Hollweg und den Großadmiral von Tirpitz.
Schon im Winter 1914/15 hatte ich in Posen Gelegenheit gehabt, den
Reichskanzler bei mir begrüßen zu können. Seine Besuche entsprangen in
erster Linie seiner persönlichen Liebenswürdigkeit und standen in keinem
Zusammenhange mit irgendwelchen politischen Fragen. Ich erinnere mich
auch nicht, daß die Unterhaltungen mit dem Reichskanzler dieses Thema
damals berührten. Wohl aber gewann ich die Überzeugung, daß ich es mit
einem klugen und gewissenhaften Mann zu tun hatte. Unsere Anschauungen
über die damaligen Kriegsnotwendigkeiten deckten sich in dieser Zeit
nach meinem Empfinden in allen wesentlichen Punkten. Ein tiefes
Verantwortungsgefühl sprach aus allen Äußerungen des Kanzlers. Diesem
Gefühl schrieb ich es zu, wenn mir in der Beurteilung der Kriegslage
durch Herrn von Bethmann nach meinem soldatischen
Den in Posen erhaltenen Eindruck fand ich in Lötzen bestätigt.
Großadmiral von Tirpitz, der in dieser Zeit oft als Nachfolger für Bethmann Hollweg genannt wurde, war eine völlig anders geartete Persönlichkeit. Auf einem längeren Spaziergang trug er mir alle die Schmerzen vor, die sein flammendes vaterländisches und ganz besonders sein seemännisches Herz bewegten. Er empfand es bitter, daß er die gewaltige während der besten Jahre seines Lebens von ihm geschmiedete Waffe im Kriege in den heimatlichen Häfen festgebannt sah. Gewiß war die Lage für eine Flottenoffensive unsererseits ungemein schwierig, sie wurde aber mit langem Zuwarten nicht besser. Meines Erachtens würde die überaus große Empfindlichkeit des englischen Mutterlandes gegenüber dem Phantom einer deutschen Landung eine größere Tätigkeit, ja selbst schwere Opfer unserer Flotte gerechtfertigt haben. Ich hielt es nicht für ausgeschlossen, daß durch eine solche Flottenverwendung eine Bindung starker englischer Heereskräfte im Mutterlande und damit eine Entlastung unseres Landheeres erreicht werden konnte. Man sagt, daß unsere Politik sich die Möglichkeit schaffen wollte, bei etwaigen Friedensaussichten auf eine starke, intakte deutsche Seekraft hinweisen zu können. Eine solche Rechnung wäre wohl irrig gewesen. Denn eine Streitmacht, die man im Kriege nicht zu nützen wagt, ist auch bei Friedensverhandlungen ein kraftloser Faktor.
Im Frühjahr 1916 ist der Wunsch des Großadmirals doch noch in Erfüllung gegangen. Was unsere Flotte zu leisten vermochte, das hat sie im Skagerrak glänzend gezeigt.
Auch über die Frage unserer Unterseebootkriegführung äußerte sich Herr
von Tirpitz. Er vertrat die Anschauung, daß wir diese Waffe zur Unzeit
gezückt hätten, und daß wir dann, eingeschüchtert durch das Verhalten
des Präsidenten der Vereinigten Staaten den mit lautem Kampfgeschrei
erhobenen Arm ebenso zur Unzeit wieder
Im Oktober 1915 verlegten wir unser Hauptquartier nach Kowno, in das besetzte Feindesland.
Zu der bisherigen Tätigkeit meines Generalstabschefs kamen jetzt noch die Arbeiten für die Verwaltung, den Wiederaufbau und die Ausnützung des Landes zur Versorgung der Truppen, der Heimat und der Landeseinwohner. Die hieraus erwachsende Beschäftigung wäre allein genügend gewesen, die Arbeitskraft eines Mannes voll und ganz in Anspruch zu nehmen. General Ludendorff betrachtete sie als eine Zugabe zu seinem übrigen Dienste und widmete sich ihr mit dem ihm eigenen rastlosen Arbeitswillen.
Von Kowno aus fand ich in der ruhigeren Winterzeit 1915/16 Gelegenheit den Bjalowjeser Forst aufzusuchen. Der Wildstand hatte leider unter den kriegerischen Ereignissen stark gelitten. Durchmarschierende Truppen und wilddiebende Bauern hatten ihn sehr gelichtet. Trotzdem gelang es mir noch, in viertägigen herrlichen Pirsch- und Schlittenfahrten im Januar 1916 einen Wisent und vier Hirsche zu erlegen. Die Verwaltung des ausgedehnten Waldreviers befand sich in den bewährten Händen des bayerischen Forstmeisters Escherich, der es meisterhaft verstand, uns die reichen Holzbestände nutzbar zu machen, ohne dabei Raubbau zu treiben.
Auch den Augustower Wald suchte ich im gleichen Winter auf. Eine mir zu Ehren veranstaltete Wolfsjagd verlief leider ergebnislos. Die Wölfe zogen es vor, außerhalb meiner Schußweite durch die Lappen zu gehen. Von den Kämpferspuren des Februar 1915 sah ich nur noch Schützengräben. Sonst war das Schlachtfeld, wenigstens an den Stellen, an denen ich den Forst berührte, völlig aufgeräumt.
In Kowno beging ich im April 1916 mein 50jähriges Dienstjubiläum. Mit Dank gegen Gott und meinen Kaiser und König, der mir den Tag durch gnädiges Meingedenken verschönte, blickte ich auf ein halbes Jahrhundert zurück, das ich in Krieg und Frieden im Dienste für Thron und Vaterland durchlebt hatte.
Bei Kowno waren im Sommer 1812 starke Teile des französischen Heeres nach Osten über den Njemen gegangen. Die Erinnerung an diese Zeit und an den tragischen Ausgang dieses kühnen Zuges hatte bei unseren Gegnern die Hoffnung ausgelöst, daß auch unsere Truppen in den weiten Wald- und Sumpfgebieten Rußlands einem ähnlichen Schicksal durch Hunger, Kälte und Krankheiten erliegen würden wie die stolzen Armeen des großen Korsen. Man verkündete uns diesen Ausgang, vielleicht weniger aus innerer Überzeugung als zur Beruhigung der eigenen urteilslosen Menge. Immerhin waren aber unsere Sorgen für die Erhaltung unserer Truppen im Winter 1915/16 keine geringen. Wußten wir doch, in welchen trotz aller Entwickelung der Neuzeit immer noch verhältnismäßig öden, vielfach von ansteckenden Krankheiten durchseuchten Landesteilen wir nunmehr die strenge Jahreszeit hinzubringen hatten.
Das Jahr 1915 war in unserem Oberkommando nicht ausgeklungen unter hellen Fanfaren eines voll befriedigenden Triumphes. In dem Gesamtergebnis der Operationen und Kämpfe dieses Jahres lag für uns etwas Unbefriedigendes. Der russische Bär hatte sich unserer Umgarnung entzogen, zweifellos aus mehr als einer Wunde blutend, aber doch nicht zu Tode getroffen. Unter wilden Anfällen hatte er sich von uns verabschiedet. Wollte er damit beweisen, daß er noch Lebenskraft genug übrig hatte, um uns auch weiterhin das Leben schwer zu machen? Wir fanden die Ansicht vertreten, daß die russischen Verluste an Menschen und Material bereits so bedeutend wären, daß wir auf lange hinaus an unserer Ostfront gesichert sein würden. Wir beurteilten diese Behauptung nach den bisherigen Erfahrungen mit Mißtrauen, und bald sollte sich zeigen, daß dieses Mißtrauen gerechtfertigt war.
Nicht einmal den Winter sollten wir in einiger Ruhe verbringen können.
Zeigte sich doch bald, daß der Russe an alles eher dachte, als sich
stille zu verhalten. Auf unserer ganzen Front, ja weit darüber hinaus
nach Süden, war es in und hinter den gegnerischen Linien unruhig, ohne
daß man zuerst die Absichten der russischen Führung irgendwie erkennen
konnte. Ich hielt die Gegenden von Smorgon, Dünaburg und Riga für
besondere Gefahrpunkte vor
Die Tätigkeit im Rückengebiet des Feindes blieb ungemein emsig. Überläufer klagten über die harte Zucht, der die zurückgezogenen Divisionen unterworfen würden, denn mit eiserner Strenge wurden die Truppen gedrillt.
Das Stärkeverhältnis in den einzelnen Abschnitten war schon in den Zeiten der Ruhe für uns außerordentlich ungünstig. Wir mußten damit rechnen, daß durchschnittlich jedem einzelnen unserer Divisionsabschnitte (9 Bataillone) etwa 2–3 russische Divisionen (32–48 Bataillone) gegenüberstanden. Nichts kennzeichnet die ungeheuern Unterschiede in den Anforderungen an die Kräfte unserer Truppen gegenüber den feindlichen mehr als diese Zahlen. Dieser Unterschied spielte naturgemäß nicht nur im Gefecht eine gewaltige Rolle sondern auch in den notwendigen täglichen Arbeitsforderungen. Welch einen Umfang hatten die Arbeitsleistungen bei der großen Ausdehnung der Fronten doch angenommen! Der Stellungs- und Straßenbau, die Errichtung von Barackenlagern sowie unzählige Arbeiten für die Versorgung der Truppen mit Kriegsbedarf, Verpflegung, Baustoffen usw. machten das Wort „Ruhe“ für Offizier und Mann meist zu einem völlig leeren Begriff. Trotzdem waren Stimmung und Gesundheitszustand der Truppen durchaus gut. Würde unser Sanitätsdienst nicht auf der Höhe gestanden haben, auf der er sich tatsächlich befand, so hätten wir schon aus diesem Grunde den Krieg nicht so lange Zeit durchhalten können. Die Leistungen unseres Feldsanitätswesens werden sich dereinst nach wissenschaftlicher Bearbeitung des gesamten vorliegenden Materials als ein besonderes Ruhmesblatt deutscher Geistesarbeit und Hingabe für einen großen Zweck erweisen und dann hoffentlich dem Wohle der gesamten Menschheit dienstbar gemacht werden.
Von Mitte Februar ab begann es in der Gegend des Naroczsees und bei Postawy besonders unruhig zu werden. Immer klarer zeichneten sich aus der Masse der eintreffenden Nachrichten die Angriffsvorbereitungen des Gegners an jenen Stellen ab. Ich hatte anfangs nicht geglaubt, daß der Russe die von seinen leistungsfähigen Bahnverbindungen entlegenen Stellen, die zudem seinen Massen wenig Entfaltungsraum boten und der taktischen Führung infolge der Geländegestaltung nur geringe Armfreiheit ließen, zu einem wirklich großen Schlage auswählen würde. Die kommenden Ereignisse belehrten mich vom Eintritt des Unwahrscheinlichen.
Niemand von uns erkannte im Verlauf der damaligen russischen Vorbereitungen deren gewaltigen Umfang richtig. Wir hätten sonst wohl nicht geglaubt, daß wir mit den von uns allmählich im Gebiete des Naroczsees versammelten etwa 70 Bataillonen der ganzen dort bereitgestellten russischen Macht, gegen 370 Bataillone, standzuhalten vermöchten. Aber diese Gegenüberstellung gibt, wie eine auf unsere Feststellungen gestützte Veröffentlichung ausführt, doch nur ein ungenaues Bild, einmal weil auf beiden Seiten am ersten Tage keineswegs die ganze Masse der Kampftruppen eingesetzt wurde, und dann vor allem, weil die russischen Divisionen nicht etwa gleichmäßig in breiter Front gegen die Deutschen vorstießen, sondern sich in der Hauptsache zu zwei mächtigen Stoßgruppen vor den Flügeln des Korps von Hutier zusammenballten. Die nördliche dieser trieb 7 Infanterie- und 2 Kavalleriedivisionen zwischen Mosheiki und Wileity im Postawy-Abschnitt vor, in dem zunächst nur 4 deutsche Bataillone standen, während die südliche mit 8 Infanteriedivisionen und den Uralkosaken die Sperre zwischen Naroczsee und Wisznewsee einzudrücken suchte, die von unserer 75. Reservedivision und der verstärkten 9. Kavalleriedivision gehalten wurde. Also rund 128 russische gegen 19 deutsche Bataillone!
Am 18. März bricht der russische Angriff los. Nach einer
artilleristischen Vorbereitung, wie sie die Ostfront in gleicher Stärke
Der Deutsche Heeresbericht vom 1. April 1916, der unter unserer Mitwirkung entstand, sprach sich nach Beendigung der Schlacht folgendermaßen aus:
„Welcher größere Zweck mit den Angriffen angestrebt werden sollte, ergibt folgender Befehl des russischen Höchstkommandierenden der Armeen an der Westfront vom 4. (17.) März, Nr. 537:
„Truppen der Westfront!
Ihr habt vor einem halben Jahre, stark geschwächt, mit einer geringeren Anzahl Gewehre und Patronen den Vormarsch des Feindes aufgehalten und, nachdem ihr ihn in dem Bezirk des Durchbruches bei Molodetschno aufgehalten habt, eure jetzigen Stellungen eingenommen.
Seine Majestät und die Heimat erwarten von euch jetzt eine neue
Heldentat: Die Vertreibung des Feindes aus den Grenzen
Generaladjutant gez. Ewert.“
Freilich ist es für jeden Kenner der Verhältnisse erstaunlich, daß ein solches Unternehmen zu einer Jahreszeit begonnen wurde, in der seiner Durchführung von einem Tage zum andern durch die Schneeschmelze bedenkliche Schwierigkeiten erwachsen konnten. Die Wahl des Zeitpunktes ist daher wohl weniger dem freien Willen der russischen Führung als dem Zwang durch einen notleidenden Verbündeten zuzuschreiben.
Wenn nunmehr die gegenwärtige Einstellung der Angriffe von amtlicher russischer Stelle lediglich mit dem Witterungsumschlag erklärt wird, so ist das sicherlich nur die halbe Wahrheit. Mindestens ebenso wie der aufgeweichte Boden sind die Verluste an dem schweren Rückschlage beteiligt. Sie werden nach vorsichtiger Schätzung auf mindestens 140.000 Mann berechnet. Richtiger würde die feindliche Heeresleitung daher sagen, daß die große Offensive bisher nicht nur im Sumpf, sondern in Sumpf und Blut erstickt ist.“
Der Beschreibung dieser Frühjahrskämpfe durch einen deutschen Offizier entnehme ich zum Schluß folgende Stelle:
„Nicht viel mehr als ein Monat
war vergangen, seit der russische Zar an der Postawyfront die Parade
über die Sturmdivisionen abnahm, da fuhr Generalfeldmarschall von
Hindenburg an die Front, um seinen siegreichen Regimentern zu danken. In
Tschernjaty und Komai, Jodowze, Swirany und Kobylnik, nur wenige
Kilometer Luftlinie vom Schauplatz der Zarenparade entfernt, sprach er
zu den Abordnungen der Fronttruppen und verteilte die Eisernen Kreuze.
Hand in Hand standen da für einen Augenblick Feldherr
Das war mein Anteil an der Naroczschlacht.
„Verdun!“ – Der Name wurde bei uns im Osten von Anfang Februar des Jahres ab häufiger genannt. Man wagte nur halblaut und im Geheimnis davon zu sprechen. Man legte auf das Wort einen Ton, aus dem Zweifel und Bedenken hervorgingen. Und doch, der Gedanke, Verdun zu nehmen, war gut. Verdun in unserer Hand, das mußte die ganze Lage an unserer Westfront wesentlich festigen. Dadurch wurde die Einbuchtung an unserer verwundbarsten Druckstelle da drüben endgültig beseitigt. Vielleicht ergaben sich aus der Eroberung der Festung noch weitere operative Möglichkeiten in südlicher und westlicher Richtung.
Die Wichtigkeit des genannten Waffenplatzes berechtigte also meiner Anschauung nach zu dem Versuch, ihn anzugreifen. Man hatte ja in der Hand, das Unternehmen rechtzeitig wieder abzubrechen, wenn sich seine Durchführbarkeit als unmöglich erweisen oder die dafür nötigen Opfer als zu hoch herausstellen sollten. Und dann: Ist das Kühnste, das Unwahrscheinlichste im Angriff auf Festungen in diesem Kriege uns nicht schon wiederholt glänzend gelungen?
Von Ende Februar ab wird Verdun nicht mehr geheimnisvoll ausgesprochen,
sondern laut und freudig. Das Wort „Douaumont“ leuchtet im Zusammenhang
damit wie ein Fanal deutschen Heldentums bis in den entferntesten Osten
herüber und erhebt die Gemüter auch derer, die jetzt eben mit Ernst und
Sorge auf die Entwickelung
Verdun wird im weiteren Verlauf der Zeit noch in verschiedener Betonung genannt. Die Bedenken fangen allmählich an, zu überwiegen, man spricht sie aber nur selten aus. Sie lassen sich kurz in folgende Fragen zusammenfassen: Warum setzt man einen Angriff immer noch fort, der so unendliche Opfer fordert und dessen Aussichtslosigkeit dabei schon erkennbar ist? Wäre es nicht möglich, an die Stelle dieser rein örtlichen Frontalunternehmung gegen den auf permanente Werke gestützten nördlichen Verteidigungsbogen Verduns eine die Linienführung unserer Aufstellung zwischen Argonnerwald und St. Mihiel ausnutzende abschnürende Operation treten zu lassen? Erst spätere Zeiten werden nach unparteiischer Prüfung über die Berechtigung dieser Fragen urteilen können.
Noch ein anderes Wort tritt späterhin zu Verdun, das ist „Italien“, zum
ersten Male erwähnt, nachdem die Schlacht am Naroczsee beendet war. Auch
Italien wird mit Zweifel genannt, mit weit größerem und stärkerem als
Verdun, ja nicht nur mit Zweifel, sondern mit ernsten, schweren
Bedenken. Der Plan eines österreichisch-ungarischen Angriffes gegen
Italien ist kühn und hat von diesem Gesichtspunkt aus auch ein
militärisches Anrecht auf Gelingen. Was diesen Plan aber als überkühn
erscheinen läßt, das ist unsere Einschätzung des Instrumentes, mit dem
er durchgeführt wird. Wenn gegen Italien die besten k. u. k. Truppen
losbrechen, Truppen, an die nicht bloß Österreich und Ungarn sondern
auch Deutschland mit Stolz und Vertrauen denken, was bleibt dann gegen
Rußland? Rußland ist aber nicht so geschlagen, wie man es Ende 1915
vermutete. Am Naroczsee hat sich die ganze Entschlossenheit der
russischen Heerhaufen wieder gezeigt in einer Wildheit und
Massenhaftigkeit,
Die Sorge bei uns wächst trotz der Siegesmeldungen aus Italien täglich mehr und mehr. Sie wird nur zu bald in ihrer Berechtigung bewiesen durch die nunmehr eintretenden Ereignisse südlich des Pripet. Am 4. Juni stürzt die österreichisch-ungarische Heeresfront in Wolhynien und in der Bukowina auf den ersten russischen Anhieb weithin zusammen. Die schwerste Krisis des ganzen bisherigen Krieges an der Ostfront tritt ein, schwerer noch als diejenige des Jahres 1914. Denn diesmal steht nirgends ein siegreiches deutsches Heer als helfender Retter bereit: im Westen tobt der Kampf um Verdun und drohen Sturmeszeichen an der Somme.
Die Wogen dieser Krisis schlagen bis an unsere Front hinüber, aber zum Heile für das Ganze nicht in Form russischer Angriffe. So können wir wenigstens helfen, wo die Not am größten ist.
Der Russe steht bis jetzt vor der deutschen Front noch ungeschwächt in seinen Stellungen. Den ersten Erfolg südlich des Pripet hat er daher nicht durch seinen sonst gewohnten Einsatz überlegener Massen sondern mit verhältnismäßig schwachen Kräften erreicht.
„Der Plan Brussilows muß eingangs streng genommen als eine Erkundung aufgefaßt werden, als eine Erkundung unternommen auf gewaltige Ausdehnungen und mit kühner Entschlossenheit, aber doch immer nur eine Erkundung, kein Schlag mit einem gewählten Ziel ... Seine Aufgabe war es, die Stärke der gegnerischen Linien anzufühlen auf einer Front von nahezu 500 km zwischen Pripet und Rumänien. Brussilow glich einem Manne, der an eine Mauer schlägt, um herauszubringen, welche Teile solider Stein und welche nur Latten und Mörtel waren.“
So schrieb ein Ausländer über Brussilows erste Schlachttage. Und dieser Ausländer sagt einwandfrei das Richtige.
Die österreichisch-ungarische Mauer zeigt aber nur wenige solide Steine, sie bricht unter dem Pochen von Brussilows Hammer zusammen, und herein braust die Sturmflut der russischen Haufen, die nunmehr erst von unserer Front weg herangeführt worden sind. Wo wird ihnen ein Halt geboten werden können? Nur eine starke Säule bleibt zunächst noch inmitten dieser Brandung. Es ist die Südarmee unter ihrem trefflichen General Grafen Bothmer. Deutsche, Österreicher und Ungarn; alle gehalten in guter Zucht.
Was auf unserem Teil der großen Ostfront entbehrlich ist, rollt nunmehr nach dem Süden und verschwindet auf den Schlachtfeldern Galiziens.
Inzwischen verdüstert sich auch die Lage an der Westfront. Französisch-englische Übermacht wirft sich auf unsere verhältnismäßig schwach gehaltenen Linien beiderseits der Somme und drückt die Verteidigung ein. Ja es droht vorübergehend die Gefahr eines vollendeten Durchbruchs!
Mein Allerhöchster Kriegsherr ruft mich und meinen Generalstabschef zweimal zu Beratungen über die schwere Lage an der Ostfront in sein Hauptquartier nach Pleß. Das letzte Mal, Ende Juli, fällt dort die Entscheidung über die Neuregelung des Befehls auf der Ostfront. Die deutsche Oberste Heeresleitung hat von Österreich-Ungarn als Entgelt für die trotz Verdun und Somme gebotene rettende Hand Gewähr für straffere Organisation des Befehls an der Ostfront gefordert. Mit Recht! So wurde meine Befehlsgewalt bis in die Gegend von Brody, östlich Lemberg, ausgedehnt; starke k. und k. Truppenverbände wurden mir unterstellt.
Wir besuchten baldigst die uns neu zugewiesenen Oberkommandos und fanden
bei den österreichisch-ungarischen Stellen volles Entgegenkommen und
rückhaltslose Kritik der eigenen Schwächen. Freilich, die Erkenntnis war
nicht allenthalben vom Tatenwillen begleitet, der bessernd in die
vorhandenen Schäden eingreift. Und doch, wenn je in einem Heere, so
bedurfte es in diesem Völkergemisch einer alles
Die Ausdehnung der Befehlsfront veranlaßte mich zur Verlegung meines Hauptquartiers nach Süden, nach Brest-Litowsk. Dort trifft mich am 28. August mittags der Befehl Seiner Majestät des Kaisers, baldmöglichst in sein Großes Hauptquartier abzureisen. Als Grund teilt mir der Chef des Militärkabinetts nur mit: „Die Lage ist ernst!“
Ich lege den Hörapparat weg und denke an Verdun und Italien, an Brussilow und die österreichische Ostfront, dazu an die Nachricht: „Rumänien hat uns den Krieg erklärt.“ Starke Nerven werden nötig sein!
Es war bekanntlich nicht das erste Mal, daß mich mein Kaiserlicher und Königlicher Herr zur Besprechung über militärische Lagen und Absichten zu sich berief. Daher vermutete ich auch diesmal, daß Seine Majestät meine Anschauungen über eine bestimmte Frage persönlich und mündlich hören wollte. In der Annahme eines nur kurzen Aufenthaltes nahm ich auch nur das für einen solchen unbedingt nötige Gepäck mit mir. Am 29. August vormittags traf ich in Begleitung meines Chefs in Pleß ein. Auf dem Bahnhof empfing mich im Auftrage des Kaisers der Chef des Militärkabinetts. Aus seinem Munde erfuhr ich zuerst die für mich und General Ludendorff beabsichtigten Ernennungen.
Vor dem Schlosse in Pleß traf ich meinen Allerhöchsten Kriegsherrn selbst, der das Eintreffen Ihrer Majestät der Kaiserin, die von Berlin aus kurz nach mir Pleß erreicht hatte, erwartete. Der Kaiser begrüßte mich sogleich als Chef des Generalstabes des Feldheeres und General Ludendorff als meinen Ersten Generalquartiermeister. Auch der Reichskanzler war von Berlin aus erschienen und augenscheinlich von der Veränderung in der Besetzung der Chefstelle, die ihm Seine Majestät in meiner Gegenwart mitteilte, nicht weniger überrascht als ich selbst. Ich erwähne dies, weil auch hier die Legendenbildung eingesetzt hat.
Die Übernahme der Geschäfte aus den Händen meines Vorgängers vollzog sich bald nachher. General von Falkenhayn reichte mir zum Abschied die Hand mit den Worten: „Gott helfe Ihnen und unserem Vaterland!“
Welche Gründe unsere plötzliche Berufung in den neuen Wirkungskreis veranlaßten, erfuhr ich aus dem Munde meines Kaisers, der meines Vorgängers stets ehrend gedachte, weder bei der Übernahme meiner neuen Stellung noch später. Derartige Feststellungen rein historischen Wertes zu machen, fehlte mir immer die Neigung, damals aber auch die Zeit. Drängten sich doch die Entscheidungen nicht nach Tagen sondern nach Stunden.
Die Kriegslage, unter welcher der Wechsel in der Leitung der Operationen erfolgte, war nach den ersten Eindrücken, die ich gewann, folgende:
Die Verhältnisse an der Westfront waren nicht ohne Bedenken. Verdun war
nicht in unsere Hände gefallen, auch die Hoffnung auf Zerreibung der
französischen Heereskraft in dem gewaltigen Feuerbogen, der sich um die
Nord- und Nordostfront der Festung gebildet hatte, war nicht
verwirklicht. Ein Erfolg unseres dortigen Angriffes war immer
aussichtsloser geworden, aber das Unternehmen war noch nicht
Im Osten war die russische Offensive im Südostteil der Karpathen bis auf
den Gebirgskamm hinaufgebrandet. Ob dieser letzte Schutzwall ungarischen
Landes mit den jetzt verfügbaren Kräften gegen neue Anstürme zu
behaupten sein würde, mußte nach den
Der österreichisch-ungarische Angriff aus Südtirol hatte angesichts des Zusammenbruchs an der galizischen Front aufgegeben werden müssen. Der Italiener ging nun seinerseits wieder zum Angriff an der Isonzofront über. Diese Kämpfe zehrten in starkem Maße an den österreichisch-ungarischen Heereskräften, welche sich dort unter den schwierigsten Verhältnissen gegen mehrfache feindliche Überlegenheit, wert des höchsten Ruhmes schlugen.
Von Wichtigkeit für die Gesamtlage wie für die Not des Augenblickes waren schließlich auch die derzeitigen Verhältnisse auf dem Balkan. Die von den Bulgaren auf unsere Anregung hin in Mazedonien unternommene Offensive gegen Sarrail hatte nach anfänglichen Erfolgen abgebrochen werden müssen. Das mit diesem Angriff verbundene politische Ziel, Rumänien vom Eingreifen in den Krieg abzuhalten, war nicht erreicht worden.
Die Vorhand lag zur Zeit überall in den Händen unserer Gegner. Es war damit zu rechnen, daß diese alle Kräfte einsetzen würden, uns weiter unter diesem Drucke zu halten. Die Aussichten auf eine vielleicht nahe und erfolgreiche Kriegsbeendigung mußten die gegnerischen Verbündeten auf allen Fronten zu den größten Kraftanstrengungen und zu den schwersten Opfern bereit finden. Alle gaben wohl ihr letztes her, um sich an dem Todesstoß gegen die Mittelmächte zu beteiligen, zu dem Rumänien das siegessichere Halali blies!
Die augenblicklich freien und verfügbaren Reserven des deutschen sowie
des österreichisch-ungarischen Heeres waren gering. Einstweilen standen
an der zunächst bedrohten siebenbürgisch-rumänischen Grenze nur schwache
Postierungen, größtenteils Finanz- und Zollwachen. Im Innern
Siebenbürgens waren abgekämpfte österreichisch-unga
Das war im wesentlichen alles, was zurzeit an der wundesten der wunden Stellen unseres europäischen Kriegsschauplatzes, nämlich an den rumänischen Grenzen, verfügbar war. Weiterer Kräftebedarf mußte entweder aus anderen Kampffronten weggezogen oder abgekämpften und der Ruhe bedürftigen Verbänden entnommen oder endlich durch Bildung neuer Divisionen gewonnen werden. Gerade in letzterer Beziehung lagen aber die Verhältnisse bei uns wie bei unseren Verbündeten nicht günstig. Die Ersatzlage drohte bei andauernd gleicher oder gar erhöhter Anspannung bedenklich zu werden. Auch war der Verbrauch von Gerät und Schießbedarf durch die lange Dauer und den Umfang der Kämpfe auf allen Fronten ein solch ungeheurer geworden, daß die Gefahr einer Lähmung unserer Kriegführung schon aus diesem Grunde nicht ausgeschlossen erschien. Auf die Lage in der Türkei komme ich später zurück.
Nicht nur die ersten Eindrücke über die militärische, sondern auch diejenigen über die politische Gesamtgestaltung bedürfen einer kurzen Darlegung. Ich beginne mit den Verhältnissen in unserem eigenen Vaterlande.
Als mir die Leitung der Operationen übertragen wurde, hielt ich die Stimmung in unserer Heimat zwar nicht für verzagt, aber doch für ernst. Kein Zweifel, daß man dort durch manche kriegerischen Vorgänge der letzten Monate enttäuscht war. Dazu kam, daß sich die Not des täglichen Lebens wesentlich gesteigert hatte. Besonders bitter litt der Mittelstand unter den für ihn ungewöhnlich nachteiligen wirtschaftlichen Verhältnissen. Die Lebensmittel wurden immer knapper zugewiesen, die Ernteaussichten waren mäßig.
Die Kriegserklärung Rumäniens bedeutete unter diesen Verhältnissen eine weitere Mehrbelastung des heimatlichen Kriegswillens. Doch war das Vaterland augenscheinlich auch jetzt zum Durchhalten bereit. Wie lange und wie stark diese Stimmung anhalten werde, ließ sich freilich nicht vorhersagen. Der Verlauf der kriegerischen Ereignisse der nächsten Zeit mußte in dieser Hinsicht entscheidend wirken.
Was die Beziehungen Deutschlands zu seinen Verbündeten betrifft, so sollten wir diese nach den propagandistischen Äußerungen der gegnerischen Presse während des Krieges schrankenlos beherrschen. Es wurde behauptet, wir hielten Österreich-Ungarn, Bulgarien und die Türkei sozusagen am Halse fest, bereit sie zu würgen, wenn sie nicht taten, was wir wollten. Und doch konnte es kaum eine größere Entstellung des wirklichen Sachverhaltes geben, als sie in dieser Behauptung lag. Ich glaube, daß sich nirgends die Schwäche Deutschlands im Vergleich zu England deutlicher zeigte, als in der Verschiedenheit der politischen Einwirkungen auf die beiderseitigen Bundesgenossen.
Wenn zum Beispiel das offizielle Italien es jemals gewagt hätte, offen
Friedensneigungen ohne britische Erlaubnis zu zeigen, so war England
jeder Zeit imstande, diesen Verbündeten einfach durch Hunger zur
Fortsetzung der einmal eingeschlagenen Politik zu zwingen. Ähnlich stark
und unbedingt herrschend war Englands Stellung Frankreich gegenüber.
Unabhängiger war in dieser Be
Nunmehr zu den einzelnen Verbündeten.
Die innerpolitischen Verhältnisse in Österreich-Ungarn hatten sich im
Laufe des Sommers 1916 nicht unbedenklich gestaltet. Die dortige
politische Leitung hatte wenige Wochen vor unserem Eintreffen in Pleß
unserer Reichsleitung gegenüber kein Hehl daraus gemacht, daß die
Donaumonarchie eine weitere Belastung durch militärische und politische
Mißerfolge nicht mehr vertrug. Die Enttäuschung über das Scheitern der
mit allzu lauten Verheißungen begleiteten Offensive gegen Italien war
eine tiefgehende. Der rasche Zusammenbruch des Widerstandes an der
galizisch-wolhynischen Front ließ in der großen Masse des
österreichisch-ungarischen Volkes einen mißtrauischen Pessimismus
aufkommen, der in der Volksvertretung ein rückhaltloses Echo fand. Die
leitenden Kreise Österreich-Ungarns standen zweifellos unter der Wirkung
dieser Stimmung. Es war freilich nicht das erste Mal, daß solche
bedenkliche Auffassungen aus deren Mitte zu uns herüberklangen. Man
traute sich dort zu wenig selbst zu. Da man die eigenen Kräfte nicht
zusammenzufassen wußte, mißtraute man deren Größe. Bei diesem Urteil
verkenne ich nicht, daß die politischen Schwierigkeiten der
Doppelmonarchie unendlich viel größer waren, als diejenigen unseres
geeinten deutschen Vaterlandes. Auch die Lebensmittelfrage war eine
ernste. Besonders litten die deutsch-österrei
Anders, ich darf sagen national gefestigter, als in Österreich-Ungarn lagen die innerpolitischen Verhältnisse in Bulgarien. Das Land führte mit dem Kampfe um die staatliche Vereinigung der bulgarischen Stammesgenossen gleichzeitig den Kampf um seine endgültige Vormachtstellung auf dem Balkan. Die mit den Mittelmächten und der Türkei abgeschlossenen Verträge im Verein mit den bisherigen Kriegserfolgen schienen Bulgariens weitgehenden Wünschen sichere Erfüllung bringen zu wollen. Das Land war freilich aus dem letzten Balkankriege stark erschöpft in den neuen Krieg eingetreten. Außerdem war es in den jetzigen Kampf bei weitem nicht mit jener allgemeinen Begeisterung gegangen wie in denjenigen des Jahres 1912. Diesmal war es mehr von der kühlen Berechnung seiner Staatsmänner als von nationalem Schwung geführt. Kein Wunder daher, wenn das Volk sich im jetzigen Besitz der erstrebten Landesteile befriedigt fühlte und keine starken Neigungen zu neuen Unternehmungen zeigte. Ob das Zögern mit der Kriegserklärung an Rumänien – sie war bei meinem Eintreffen in Pleß noch nicht erfolgt – lediglich ein Ausfluß dieser Stimmung war, möchte ich freilich heute noch bezweifeln. Die Verhältnisse in der Lebensmittelversorgung des Landes waren, am deutschen Maßstabe gemessen, gute.
Im allgemeinen glaubte ich die Hoffnung zu haben, daß unser Bündnis mit Bulgarien eine etwaige militärische Belastungsprobe vertragen würde.
Ein nicht geringeres Vertrauen brachte ich der Türkei entgegen. Das
osmanische Reich war in den Kampf getreten ohne jegliche Bestrebungen
nach politischer Machterweiterung. Seine führenden
Die Türkei hatte bei diesem Kampfe bisher eine Stärke entwickelt, die alle in Erstaunen setzte. Ihre aktive Kriegführung überraschte Freunde wie Feinde; sie fesselte starke gegnerische Kräfte auf allen asiatischen Kriegsschauplätzen. Man hat in Deutschland späterhin oftmals den Vorwurf gegen die Oberste Heeresleitung erhoben, daß sie zur Stärkung der Kampfkraft der Türkei ihre eigenen Mittel zersplittert hätte. Man beachtete aber bei diesem Urteil nicht, wie wir durch eben jene Unterstützungen den Bundesgenossen andauernd befähigten, mehrere 100.000 Mann bester gegnerischer Kampftruppen von unseren mitteleuropäischen Kriegsschauplätzen fernzuhalten.
Die Erfahrungen des Frühjahrs und Sommers 1916 hatten die Notwendigkeit
ergeben, eine führende und voll verantwortliche Befehlsstelle für uns
und unsere verbündeten Heere einzurichten. Im Benehmen mit den
regierenden Staatshäuptern wurde eine Oberste Kriegsleitung geschaffen.
Sie wurde Seiner Majestät dem Deutschen Kaiser übertragen. Der Chef des
Generalstabes des deutschen Feldheeres erhielt das Recht „im Auftrage
dieser Obersten
Bei dem großen Entgegenkommen und der verständnisvollen Mitarbeit der mir im übrigen gleichgestellten Chefs der verbündeten Heere konnte ich die Anwendung meiner neuen Rechte auf einzelne besonders wichtige kriegerische Entscheidungen beschränken. Die Behandlung gemeinsamer politischer und wirtschaftlicher Fragen fiel nicht in den Bereich dieser Obersten Kriegsleitung.
Meine Aufgabe bestand sonach im wesentlichen darin, den Verbündeten die leitenden Gesichtspunkte für die gesamte Kriegsführung zu geben und ihre Kräfte und Tätigkeit zur Erreichung des gemeinsamen Zieles zusammenzufassen. Unser aller Interessen würde es entsprochen haben, wenn die Oberste Kriegsleitung unter Zurückstellung der einzelnen Sonderinteressen, ja selbst unter Preisgabe einzelner für die Entscheidung nebensächlicher Rücksichten, einen durchschlagenden Erfolg auf einem der Hauptkriegsschauplätze hätte erzwingen können. Im unabänderlichen Wesen des Koalitionskrieges lag es aber, daß unserer Obersten Kriegsleitung durch Rücksichten aller möglichen Art hierin oft Schwierigkeiten bereitet wurden.
Es ist bekannt, daß Deutschland in diesem Krieg seinen Bundesgenossen gegenüber in weit höherem Maße der gebende als der empfangende Teil war. Mit dieser Feststellung soll und kann freilich nicht die Auffassung vertreten werden, als ob Deutschland diesen ungeheuren Kampf ohne Bundesgenossen hätte durchführen können. Auch liegt in der vielfach ausgesprochenen Ansicht, Deutschland habe sich nur auf krüppelhafte Verbündete gestützt, eine arge Verkennung der Wirklichkeit und eine einseitige Übertreibung. Man übersieht dabei, daß auch unsere Verbündeten vielerorts starke feindliche Überlegenheiten auf sich gezogen hatten.
Wenn ich jetzt den Blick auf das Vergangene zurückwende, so habe ich den
Eindruck, daß nicht in großen Operationen, sondern in dem Ausgleich
verschiedengerichteter Interessen der einzelnen Bundes
Die österreichisch-ungarische Wehrmacht hatte ich zum erstenmal bei dem
Feldzug in Polen in unmittelbarem Zusammenwirken mit unseren Truppen
kennen gelernt. Sie entsprach schon damals den Anforderungen, die wir an
unsere eigenen Kräfte zu stellen gewohnt waren, nicht mehr vollständig.
Der Hauptgrund für den Rückgang des Durchschnittswertes der k. u. k.
Truppenteile lag unbestrittenermaßen in der außerordentlichen
Erschütterung, die das Heer bei seiner, wie ich mich schon ausdrückte,
überkühnen, rein frontalen Operation bei Kriegsbeginn in Galizien und
Polen erlitten hatte. Man hat nachträglich behauptet, daß die
österreichisch-ungarische Offensive damals das Ergebnis hatte, den
Ansturm der russischen Heeresmassen zu brechen. Vielleicht hätte sich
aber dieses auf weniger gewagtem Wege und mit erheblich geringeren
Opfern erreichen lassen. Jedenfalls erholte sich das russische Heer nach
den damals erlittenen Verlusten wieder, das österreichisch-ungarische
aber nicht mehr, ja es schlug der kühne Unternehmungsgeist
Österreich-Ungarns in eine dauernde Überempfindlichkeit gegenüber den
russischen Massen um. Allen Anstrengungen der österreichisch-ungarischen
Obersten Heeresleitung, die erlittenen schweren Schäden zu beheben,
stellten sich unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen. Diesen im
einzelnen nachzugehen, glaube ich mir versagen zu können. Ich möchte nur
die Frage aufwerfen: Wie hätte es Menschenkräften gelingen können, einen
neuen erhebenden Antrieb einheitlichen, nationalen Kampf
Ein Irrtum lag in der Annahme, daß die österreichisch-ungarische Armee in ihrer Gesamtheit von dem andauernden Rückgang des Wertes ihrer Truppen überall gleichmäßig betroffen wurde. Die Donaumonarchie verfügte bis zuletzt über hochwertige Verbände. Ein starker Hang zu einem ungerechtfertigten Pessimismus in kritischen Lagen zeigte sich freilich an vielen Stellen. Besonders war auch die höhere österreichisch-ungarische Truppenführung hiervon nicht unberührt. Nur so konnte es kommen, daß selbst nach hervorragenden Angriffsleistungen der Gefechtswille unseres Bundesgenossen ganz überraschend zusammenbrach, ja sich geradezu ins Gegenteil verkehrte.
Durch die berührten Erscheinungen wurde natürlicherweise ein Element
großer Unsicherheit in die Berechnungen unserer Obersten Kriegsleitung
hineingebracht. Wir waren nie sicher, ob uns nicht überraschendes
Nachgeben verbündeter Heeresteile unerwartet vor ganz veränderte Lagen
stellen und dadurch unsere Pläne umwerfen würde. Schwächemomente treten
in den Truppenteilen jeden Heeres auf. Sie liegen in der menschlichen
Natur begründet. Die Führung muß damit rechnen, wie mit einem gegebenen
Faktor, dessen Größe aber nicht festzustellen ist. Durch eine
vollwertige Truppe werden jedoch solche Momente meist rasch überwunden,
oder es bleibt selbst im größten Zusammenbruch wenigstens noch ein Kern
von Schlagkraft und Widerstandswille übrig. Wehe aber, wenn auch dieser
letzte Kern völlig verbrennt. Das Unheil fällt dann verheerend nicht nur
auf die betroffene Truppe sondern auch auf die anschließenden
Im großen und ganzen dürfen wir aber die Leistungen Österreichs-Ungarns in diesem gewaltigen Kampfe nicht unterschätzen und bitteren Gefühlen nachhängen, die manchmal unter dem Eindruck enttäuschter Erwartungen entstanden sind. Die Donaumonarchie blieb uns ein getreuer Waffengenosse. Wir haben stolze Zeiten gemeinsam durchlebt und sollten uns hüten, im gemeinsamen Unglück uns innerlich zu trennen.
Einen anderen inneren Aufbau als das österreichisch-ungarische Heer hatte das bulgarische. Es war national in sich völlig geschlossen. Die bulgarische Armee hatte im großen Kriege bis zum Herbste 1916 verhältnismäßig wenig gelitten. Bei der Beurteilung ihres Wertes dürfte aber nicht vergessen werden, daß sie erst vor kurzem einen anderen mörderischen Krieg überstanden hatte, in dem der größte Teil der Blüte des Offizierskorps, ja der gesamten Intelligenz des Landes zugrunde gegangen war. Ihr Wiedererstarken war in Bulgarien zum mindesten ebenso schwierig wie in Österreich-Ungarn. Die verhältnismäßig noch primitiven Zustände des Balkanlandes erschwerten außerdem dem Heere Einführung und Gebrauch mancher für den modernen Krieg unbedingt notwendiger Kampf- und Verkehrsmittel. Dies machte sich um so mehr fühlbar, als auch an der mazedonischen Front vollwertige französische und englische Truppenteile uns gegenüberstanden. Schon aus diesem Grunde konnte nichts Überraschendes darin gefunden werden, daß wir Bulgarien nicht nur mit materiellen Mitteln, sondern auch mit personellen Kräften unterstützen mußten.
Wieder anders als in der österreichisch-ungarischen und der bulgarischen Armee lagen die Verhältnisse in der türkischen. Unsere deutsche Militärmission hatte vor dem Kriege kaum Zeit gehabt, zu wirken, geschweige denn eine durchgreifende Besserung in den zerrütteten Verhältnissen des türkischen Heeres zu erreichen. Trotzdem war es gelungen, eine große Anzahl türkischer Verbände mobil zu machen. Die Armee hatte aber an den Dardanellen und bei ihren ersten Angriffsoperationen in Armenien außerordentlich schwer gelitten. Dessen ungeachtet schien ihre Leistungsfähigkeit für die ihr von der Obersten Kriegsleitung zunächst gestellte Aufgabe: Verteidigung des türkischen Landbesitzes, ausreichend. Ja, es war sogar möglich, starke Teile des osmanischen Heeres allmählich auf europäischem Boden zu verwenden. Unsere militärische Unterstützung der Türkei beschränkte sich im wesentlichen auf die Lieferung von Kampfmitteln und auf die Gestellung von zahlreichen Offizieren. Die für die asiatischen Kriegsschauplätze bis zum Herbste 1916 abgegebenen deutschen Formationen wurden von uns mit Zustimmung der türkischen Obersten Heeresleitung nach und nach zurückgezogen, je nachdem die Türkei imstande war, das Material dieser Formationen selbst zu übernehmen und zu bedienen.
Unsere Materiallieferungen gingen bis zu den Senussen an der Nordküste Afrikas, denen wir mit Hilfe unserer Unterseeboote hauptsächlich Gewehre und Schießbedarf lieferten. Waren diese Sendungen auch klein, so wirkten sie doch außerordentlich erhebend auf den kriegerischen Geist der mohammedanischen Stämme. Die praktischen Ergebnisse ihres Kampfes für unsere Kriegführung lassen sich bis jetzt noch nicht überblicken; vielleicht waren sie größer, als wir es damals ahnen konnten.
Selbst über die Nordküste Afrikas hinaus versuchten wir unseren
Waffengenossen Unterstützung zu bringen. So traten wir unter anderm dem
von Enver Pascha im Jahre 1917 angeregten Gedanken näher, den Stämmen im
Yemen, die ihrem Padischah in Konstan
In diesem Zusammenhang darf ich vorgreifend erwähnen, daß ich 1917 den Versuch, unserer Schutztruppe in Ostafrika auf dem Luftwege Waffen und Medikamente zuzuführen, mit dem regsten Interesse verfolgte. Das Zeppelinschiff mußte bekanntlich über dem Sudan umkehren, da unsere Schutztruppe in der Zwischenzeit weiter nach Süden gerückt war und ihre Operationen nach Portugiesisch-Ostafrika verlegt hatte. Mit welch stolzen Gefühlen ich während des Krieges die Taten und fast übermenschlichen Leistungen dieser prächtigen Truppe in Gedanken begleitete, bedarf keiner näheren Ausführung. Sie hat auf afrikanischem Boden ein unvergängliches Denkmal deutschen Heldentums errichtet.
Rückblickend auf die Leistungen unserer Bundesgenossen muß ich
anerkennen, daß sie die ihnen eigenen Kräfte in dem gemeinsamen Dienst
unserer großen Sache so weit anspannten, als die Eigenart ihrer
staatlichen, wirtschaftlichen, militärischen und ethischen Mittel ihnen
das ermöglichte. Das Ideal erreichte freilich keiner, und wenn wir vor
allen anderen diesem Ideal uns am meisten näherten, so war das nur
möglich, infolge der gewaltigen, uns selbst anfangs gar nicht
vollbewußten inneren Kräfte, die wir im Laufe der letzten Jahrzehnte
unserer Geschichte angesammelt hatten, Kräfte, die in allen Schichten
des Vaterlandes vorhanden waren, hier nicht schlummerten sondern
lebendig waren und in beständiger Regung sich weiter
Daß dem so sein konnte, dafür gebührt der Dank geschichtlich nachweisbar vornehmlich den Hohenzollern und unter diesen in der letzten Zeitepoche deutscher Größe unserem Kaiser Wilhelm II. Getreu den Überlieferungen seines Hauses erblickte dieser Herrscher in dem Heere die beste Schule des Volkes und arbeitete unermüdlich an dessen Fortentwickelung. So stand denn Deutschlands Heeresmacht als die erste der Welt da: vor dem Kriege der achtunggebietende Schutz friedlicher Arbeit, während des Krieges der Kern aller Kraftäußerung.
Das oberschlesische Städtchen Pleß war von der deutschen Obersten Heeresleitung schon in früheren Zeitabschnitten des Krieges als vorübergehender Sitz des Großen Hauptquartiers gewählt worden. Der Grund dieser Wahl lag in der Nähe des Aufenthaltes des k. u. k. Armee-Oberkommandos in der österreichisch-schlesischen Stadt Teschen. Der Vorteil, der sich aus der Möglichkeit rascher und persönlicher Aussprache zwischen den beiden Hauptquartieren ergab, war auch jetzt maßgebend für den weiteren Beibehalt dieses Hauptquartiers.
Das deutsche Große Hauptquartier bildete natürlicherweise den Treffpunkt
deutscher und verbündeter Fürstlichkeiten, die mit meinem Kaiserlichen
Herrn über politische und militärische Fragen unmittelbare Rücksprache
nehmen wollten. Zu den ersten Monarchen, denen ich dort näher zu treten
die Ehre hatte, zählte Zar
Die Außenpolitik seines Staates führte der Zar im wesentlichen ganz allein. Inwiefern er auch die schwierigen innerpolitischen Verhältnisse seines Landes unbedingt beherrschte, vermag ich nicht zu beurteilen. Ich glaube aber, daß er es verstand, mitten in der oftmals einreißenden parlamentarischen Anarchie Bulgariens seinen Willen, und sei es manchmal auch mit autokratischen Mitteln, geltend zu machen. Seine Aufgabe war in dieser Beziehung zweifellos eine schwere. Die Bulgaren waren, wie alle Balkanvölker, aus der Knechtschaft in die volle staatliche Freiheit hineingesprungen. Die Schulung und die harte Arbeit des Übergangs von einem Zustand zum anderen fehlte ihnen daher. Ich fürchte, daß diese oft so vortrefflich beanlagten Völkerschaften noch viele Jahrzehnte unter den Folgen des Mangels jener erzieherischen Zwischenzeit leiden werden.
Der bulgarische König war zurzeit jedenfalls einer der bedeutendsten Herrscher. Uns gegenüber bewährte er sich als treuer Bundesgenosse.
Während unseres Aufenthaltes in Pleß starb Kaiser Franz Joseph. Sein Heimgang war für das Donaureich und uns ein Verlust, der in seiner ganzen Größe wohl erst später voll gewürdigt werden kann. Es unterlag keinem Zweifel, daß mit seinem Tode für die Völkervielheit der Doppelmonarchie der ideelle Vereinigungspunkt verloren ging. Sank doch mit dem ehrwürdigen, greisen Kaiser ein großer Teil des nationalen Gewissens des verschiedenstämmigen Reiches für immer ins Grab.
Die Schwierigkeiten, denen der junge Kaiser gegenübergestellt war, lassen sich in ihrer Größe und Mannigfaltigkeit mit denjenigen eines Thronwechsels in stammeseinheitlichen Reichen nicht in Vergleich ziehen. Der neue Herrscher versuchte den Wegfall der ethisch bindenden Macht, der durch das Ableben Kaiser Franz Josephs eingetreten war, durch völkisch versöhnende Schritte zu ersetzen. Selbst staatszersetzenden Elementen gegenüber glaubte er an die moralische Wirkung politischer Gnadenbeweise. Das Mittel versagte völlig; diese Elemente hatten ihren Pakt mit unseren gemeinsamen Feinden längst geschlossen und waren weit entfernt, ihn freiwillig wieder zu kündigen.
Bei den vielfachen regen persönlichen Beziehungen, die mir der
Aufenthalt in Pleß mit dem damaligen Generaloberst Conrad von Hötzendorf
brachte, bestätigte sich mir der Eindruck, den ich schon früher von ihm
als Soldat und Führer erhalten hatte. General von Conrad war eine
hochbegabte Persönlichkeit, ein glühender österreichischer Patriot und
ein warmherziger Anhänger unserer gemeinsamen Sache. Gegen politische
Einflüsse, die ihn aus dieser Richtung bringen wollten, war er
zweifellos aus tiefster Überzeugung ablehnend. Der Generaloberst war in
seinem operativen Denken sehr großzügig; er verstand es, die Kernpunkte
unserer gemeinsamen,
Die bedeutenden Schwierigkeiten, die einem nationalen Einheitsgeist der österreichisch-ungarischen Armee entgegenstanden und die sich hieraus ergebenden Mängel waren dem Generaloberst wohlbekannt. Trotzdem überschätzte er bei seinen hohen Plänen hier und da die möglichen Leistungen des ihm anvertrauten Heeres.
Auch die militärischen Führer der Türkei und Bulgariens lernte ich im Laufe des Herbstes und Winters in Pleß persönlich kennen.
Enver Pascha zeigte mir gegenüber einen ungewöhnlich weiten und freien Blick für das Wesen der Führung des gegenwärtigen Krieges und seiner Durchführung. Die Hingabe dieses Osmanen an unsere gemeinsame, große und schwere Sache war eine unbedingte. Ich werde nie den Eindruck vergessen, den ich bei unserer ersten Besprechung Anfang September 1916 von dem türkischen Vizegeneralissimus erhielt. Er schilderte uns damals auf meine Bitte hin die militärische Lage in der Türkei. Mit einer bemerkenswerten Klarheit, Bestimmtheit und Offenheit gab er uns hiervon ein erschöpfendes Bild, und, sich an mich wendend, schloß er mit den Worten: „Die Lage der Türkei in Asien ist zum Teil sehr schwierig. Wir müssen befürchten, in Armenien noch weiter zurückgeworfen zu werden. Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß die Kämpfe im Irak sich bald wieder erneuern. Auch glaube ich, daß der Engländer in kurzer Zeit imstande sein wird, uns in Syrien mit Übermacht anzugreifen. Aber was auch in Asien geschehen mag, die Entscheidung des Krieges liegt auf europäischem Boden, und hierfür stelle ich alle meine jetzt noch freien Divisionen zur Verfügung.“ Sachlicher und selbstloser hat wohl noch nie ein Bundesgenosse zu einem anderen gesprochen. Und es blieb nicht lediglich bei Worten.
Bei aller hohen Auffassung vom Kriege im allgemeinen entbehrte Enver Pascha aber doch einer gründlichen militärischen, ich möchte sagen, Generalstabsschulung. Ein Nachteil, der augenscheinlich bei allen türkischen Führern wie auch in ihren Stäben zu finden war. Es machte den Eindruck, als wenn bei den Orientalen in dieser Beziehung ein von der Natur gegebener Mangel vorläge. Die türkische Armee schien nur ganz wenige Offiziere zu besitzen, die imstande waren bei der Verwirklichung richtig gedachter Operationen die technischen, inneren Aufgaben der Führung zu beherrschen. Es fehlte das Gefühl für die Notwendigkeit, daß sich der Generalstab inmitten der Durchführung großer Gedanken auch mit dem Kleinen beschäftigen muß. So kam es, daß der orientalische Gedankenreichtum durch den mangelnden militärischen Wirklichkeitssinn oftmals unfruchtbar gemacht wurde.
Eine wesentlich andere Natur wie der ideenreiche Osmane war unser bulgarischer Kampfgenosse, General Jekoff, ein Mann von nüchterner Beobachtungsgabe, großen Gedanken nicht fremd, aber doch in erster Linie auf den Gesichtskreis des Balkans sich beschränkend. Inwieweit er in letzterer Beziehung unter dem Banne seiner Regierung stand, vermag ich nicht einwandfrei zu beurteilen. Er war jedenfalls ein warmer Anhänger der außenpolitischen Richtung der bulgarischen Staatsleitung. Mit ihrem innerpolitischen Gebaren hatte seine Auffassung wohl nichts gemein.
General Jekoff liebte seine Soldaten und ward von ihnen geliebt. Sein Vertrauen zu ihnen, auch in politischer Beziehung, war ein sehr weitgehendes. Bemerkenswert in dieser Richtung war eine seiner Äußerungen, als Zweifel darüber auftauchten, ob der bulgarische Soldat sich nicht etwa weigern würde, gegen den Russen zu kämpfen: „Wenn ich meinen Bulgaren sage, sie sollen kämpfen, dann werden sie es tun, gegen wen es auch sei!“ Im übrigen waren dem General einzelne im Volkscharakter liegende Schwächen seiner Soldaten nicht unbekannt. Ich werde hierauf später noch zurückkommen.
Außer mit den leitenden militärischen Persönlichkeiten trat ich in Pleß auch mit den politischen Führern unserer Bundesgenossen in persönliche Fühlung. Ich möchte an dieser Stelle nur vom osmanischen Großwesir Talaat Pascha und dem bulgarischen Ministerpräsidenten Radoslawow sprechen.
Talaat Pascha machte den Eindruck eines genialen Staatsmannes. Er war sich über die Größe der Aufgabe wie über die Mängel seines Staatswesens nicht im Zweifel. Wenn es ihm nicht gelang, die Selbstsucht und die nationale Trägheit, die auf seinem Vaterlande lastete, auszurotten, so lag das lediglich an der Größe der dabei zu überwindenden Schwierigkeiten. Es konnte eben nicht in Monaten gebessert werden, was in Jahrhunderten versäumt war, was Vermischung von Volksrassen und innere, moralische Erschöpfung weiter Kreise des Staates längst vor dem Kriege verdorben hatten. Er selbst trat mit reinen Händen an die Spitze seines Staates und blieb mit reinen Händen dort. Talaat war ein vollwertiger Vertreter des alten, ritterlichen Türkentums. Politisch unbedingt zuverlässig, so begegnete er mir zum ersten Male 1916, so verabschiedete er sich von uns im Herbste 1918.
Die Schwächen der türkischen Staats- und Kriegsleitung lagen in ihrer
großen Abhängigkeit von den inneren Verhältnissen. Politische und
wirtschaftlich selbstsüchtige Persönlichkeiten der sogenannten
Komiteeregierung mischten sich in die kriegerische Führung und banden
dieser in vielen Fällen die Hände, so daß sie außerstande war, richtig
erkannte Mißstände mit an sich vorhandenen Mitteln zu bessern. Zwar
taten einzelne hervorragende Männer alles, was in ihren Kräften stand.
Aber die staatliche Gewalt durchdrang nicht mehr das Reich. Das Herz des
Landes, Konstantinopel, pulsierte zu schwach und trieb keine gesunden,
erfrischenden und staatsfördernden Säfte in die entfernten Provinzen.
Neue Gedanken waren freilich während des Krieges entstanden und wuchsen
mit den kriegerischen Lorbeeren der Siege an den Dardanellen und am
Der Bulgare Radoslawow war in seinem politischen Denken mehr an die Scholle gebunden, als der großzügige osmanische Staatsmann Talaat Pascha. Ich wage zu bezweifeln, ob Radoslawow die Kühnheit des Schrittes, der Bulgarien 1915 an unsere Seite führte, in seiner ganzen Größe – ich darf vielleicht sagen, in der von seinem Zaren ganz durchdachten Größe – wirklich voll in sich aufgenommen hatte. Unbedingt zuverlässig war Radoslawow in seiner Außenpolitik für uns jederzeit.
Das bulgarische innerpolitische Parteigetriebe hatte in seiner wilden Erregtheit während des großen Krieges nicht nachgelassen und war auch in der Armee stark verbreitet. Nicht nur russophile Ideen trieben hier spaltende Keile ein, auch der Kampf zwischen innerpolitischen Parteigruppen übertrug sich auf die Truppen und deren Führer. An dieser Tatsache war Radoslawow nicht unschuldig.
Ermuntert durch das Interesse, das von vielen Seiten an meinem persönlichen Leben während des großen Krieges genommen wurde, möchte ich an dieser Stelle die Beschreibung eines regelmäßigen Tagesverlaufes in unserem Hauptquartier einschieben. Ich bitte alle diejenigen, die an solcher Kleinmalerei inmitten gewaltigster Weltereignisse wenig Gefallen haben, die nächstfolgenden Seiten zu überschlagen. Ihre Kenntnis ist zum Verständnis der großen Zeit nicht notwendig.
Während des Bewegungskrieges in Ostpreußen und Polen im Herbst 1914 war an einen nach Stunden geregelten Dienstbetrieb innerhalb unseres Armeestabes nicht zu denken gewesen. Erst mit der Verlegung unseres Quartiers nach Posen im November 1914 begann eine größere Regelmäßigkeit in unserem dienstlichen und, wenn man im Kriege davon sprechen kann, auch außerdienstlichen Leben. Späterhin war der längere ständige Aufenthalt in Lötzen besonders geeignet zur Einführung eines streng geregelten Ganges unserer Arbeit.
Meine Berufung als Chef des Generalstabes des Feldheeres änderte im wesentlichen nichts an unserem eingelebten und bewährten Geschäftsgang, wenn auch von jetzt ab ein in mancher Beziehung großzügigeres und belebteres Treiben für uns einsetzte.
Die gewöhnliche Tagesbeschäftigung begann für mich damit, daß ich mich etwa
gegen 9 Uhr vormittags, das heißt, nachdem die
Nach dieser Besprechung machte ich mir eine etwa einstündige Bewegung im Freien, begleitet von meinem Adjutanten. Zur Teilnahme an meinen morgendlichen Spaziergängen forderte ich gelegentlich auch Gäste des Großen Hauptquartiers auf, nahm hierbei ihre Schmerzen wie ihre Anregungen entgegen und läuterte manche sorgende Seele, bevor sie sich auf meinen Ersten Generalquartiermeister stürzte, um sich bei diesem mehr ins einzelne gehende Wünsche, Hoffnungen und Vorschläge vom Herzen zu reden.
Nach meiner Rückkehr in das Dienstgebäude erfolgten weitere Besprechungen mit General Ludendorff und dann unmittelbare Vorträge meiner Abteilungschefs in meinem Arbeitszimmer.
Neben dieser dienstlichen Tätigkeit bewegte sich die Erledigung der an mich
eingetroffenen persönlichen Briefe. Die Zahl der Menschen, die mir über alle
nur erdenklichen Angelegenheiten schriftlich ihr Herz ausschütten oder ihre
Gedanken offenbaren zu müssen glaubten, war nicht gering. Für mich war es
völlig ausgeschlossen, alles selbst zu lesen. Ich bedurfte hierfür die
besondere Arbeitskraft eines Offiziers. In dieser Korrespondenz spielte
Poesie wie Prosa eine Rolle. Begeisterung und ihr Gegenteil zeigte sich in
allen möglichen Abstufungen. Es war oft sehr schwer, einen Zusammenhang
zwischen den mir vorgetragenen Anliegen und meiner dienstlichen Stellung zu
konstruieren. Um nur zwei von den hundertfachen Beispielen herauszugreifen,
so wurde es mir nie klar, was ich als
Um die Mittagsstunde war ich regelmäßig zum Vortrag bei Seiner Majestät dem Kaiser befohlen. Hierbei entwarf General Ludendorff das Bild der Lage. Bei wichtigeren Entschlüssen übernahm ich selbst den Vortrag und erbat, sofern solches notwendig war, die kaiserliche Genehmigung unserer Pläne. Das hohe Vertrauen des Kaisers entband uns in allen nicht grundsätzlichen Fragen von einer besonderen Allerhöchsten Zustimmung. Seine Majestät begnügte sich übrigens auch bei Vorschlägen über neue Operationen allermeist mit der Entgegennahme meiner Begründungen. Ich erinnere mich keines Gegensatzes, der nicht schon während des Vortrags durch meinen Kriegsherrn ausgeglichen wurde. Das ausgezeichnete Gedächtnis des Kaisers für Kriegslagen unterstützte uns bei diesen Vorträgen in hohem Maße. Seine Majestät studierte nicht nur die Karten mit größter Genauigkeit, sondern nahm auch persönliche Einzeichnungen vor. Die Zeit des mittäglichen Vortrages vor dem Kaiser wurde vielfach auch zu Besprechungen mit Vertretern der Reichsleitung ausgenutzt.
Nach Beendigung des Kaiservortrages vereinigte der Mittagstisch die
Offiziere meines engeren Stabes um mich. Die Essenszeit wurde auf das
unbedingt nötige Maß beschränkt. Ich hielt darauf, daß meine Offiziere Zeit
gewannen, sich nachher etwas zu ruhen oder sonstwie in ihrer Tätigkeit
auszuspannen. Zu meinem wiederholten persönlichen Bedauern konnte ich von
dieser Kürzung der
Der Nachmittag verlief für mich ähnlich dem Vormittage. Die längste Abspannung brachte für alle der um 8 Uhr beginnende Abendtisch. Ihm schloß sich ein gruppenweises Zusammensitzen in Nebenräumen an, für dessen Beendigung General Ludendorff pünktlich um 9½ Uhr abends das Zeichen gab. Die Unterhaltung in unserem Kreise war meist sehr lebhaft. Sie bewegte sich in zwangloser Form und offenster Aussprache über alle uns unmittelbar berührenden und allgemein interessierenden Gebiete und Begebenheiten. Auch der Frohsinn kam zu seinem Recht. Diesen zu unterstützen, hielt ich für eine Pflicht gegenüber meinen Mitarbeitern. Ich freute mich der Wahrnehmung, daß unsere Gäste vielfach einerseits von der zuversichtlichen Ruhe, andererseits von der Ungezwungenheit unseres Verkehrs sichtlich überrascht waren.
Nach dem Schluß unseres abendlichen Zusammenseins begaben wir uns gemeinsam
in das Dienstgebäude. Dort waren inzwischen die abschließenden
Tagesmeldungen eingetroffen und die Lagen auf den verschiedenen Fronten
zeichnerisch festgelegt. Die Erläuterungen gab ein jüngerer
Generalstabsoffizier. Von den Ereignissen auf den Kriegsschauplätzen hing es
ab, ob ich mich mit General Ludendorff auch jetzt noch einmal eingehender
besprechen mußte, oder ob ich ihn nicht mehr länger in Anspruch zu nehmen
brauchte. Für die Offiziere meines engeren Stabes begann nunmehr die Arbeit
aufs neue. Vielfach waren ja jetzt erst die abschließenden Anhaltspunkte zur
Abfassung und Hinausgabe endgültiger Anordnungen gegeben, oder
Wir blieben im allgemeinen ein enggeschlossener Kreis. Der Personalwechsel war mit Rücksicht auf einen geregelten Dienstbetrieb natürlicherweise gering. Immerhin war es ab und zu möglich, dem drängenden Verlangen der Offiziere nach wenigstens zeitweiliger Verwendung an der Front Rechnung zu tragen. Auch ergaben sich Gelegenheiten und Notwendigkeiten zur Entsendung von Offizieren an besonders wichtige Teile unserer eigenen Heeresfronten oder an diejenigen unserer Verbündeten. Im allgemeinen verlangte aber der Zusammenhang in den außerordentlich verwickelten und vielseitigen Arbeiten die dauernde Anwesenheit wenigstens der älteren Offiziere an ihren Kriegsstellen innerhalb der Obersten Heeresleitung.
Auch der Tod griff mit rauher Hand in unsere Mitte ein. Schon 1916 hatte ich
als Oberkommandierender im Osten meinen mir sehr nahestehenden, allgemein
geschätzten persönlichen Adjutanten, Major Kämmerer, an den Folgen einer
Erkältung verloren. Im Oktober 1918 erlag Hauptmann von Linsingen einer
Erkrankung an Grippe, die in dieser Zeit unter den Angehörigen des Großen
Hauptquartiers zahlreiche Opfer forderte. Entgegen den dringenden
Vorstellungen von seiten des Arztes wie der Kameraden
Das Bild unseres Lebens würde unvollständig sein, wenn ich nicht auch auf die Besucher zu sprechen käme, die sich bei uns allenthalben und zu jeder Zeit einstellten. Ich habe hierbei nicht das ständige Ab und Zu von Persönlichkeiten zahlreicher Berufsklassen im Auge, die dienstlich mit uns in Berührung kommen mußten, sondern ich denke an diejenigen, die durch vielfach andere Interessen zu uns geführt wurden. Ich öffnete jedermann gern Tür und Herz, vorausgesetzt, daß er selbst mir offen entgegenkam.
Die Zahl unserer Gäste war groß. Wir waren nur wenige Tage ohne solche.
Nicht nur Deutschland und seine Verbündeten, sondern auch die Neutralen
stellten ein beträchtliches Kontingent. Oftmals machten unsere Reihen bei
Tisch den Eindruck eines bunten Völkergemisches, und es traf sich auch, daß
christliche Würdenträger mit mohammedanischen Gläubigen Stuhl an Stuhl
saßen. Leute aller Stände und Parteirichtungen fanden herzliche Aufnahme.
Ich widmete allen gern meine knappe Freizeit. Unter den Politikern gedenke
ich mit Vorliebe des Grafen Tisza, der mich im Winter 1916/17 in Pleß
aufsuchte. Aus seinem Wesen sprach die ungebrochene Kraft seines Willens,
ein glühendes patriotisches Gefühl. Auch andere Politiker aller
Schattierungen aus unseren und unserer Verbündeten Ländern sprachen bei mir
vor. In ihren Denkrichtungen mir vielfach fremd, in ihren Gefühlen für die
gemeinsame große Sache aber damals
Nicht nur Notwendigkeiten, Sorgen und Arbeit fanden zu uns den Weg, auch Neugierde suchte Eintritt. Oft lachte ich im stillen über verlegene Redensarten, mit denen so manches Erscheinen Rechtfertigung finden wollte. Ob das Ergebnis solcher Besuche stets den gehegten Erwartungen entsprach, wage ich nicht in allen Fällen zu bejahen. Im Gegensatz hierzu war mir manch prächtiger Truppenoffizier, der die Merkmale schweren Kampfes und harten Lebens an sich trug, ein hochwillkommener Tischnachbar. Kurze Erzählungen aus dem Kriegsleben sprachen mehr, als lange schriftliche Berichte. Die Wirklichkeit des früher Selbsterlebten trat mir so oft mit aller Lebendigkeit wieder vor die Seele. Freilich war in diesem furchtbarsten aller Ringen unseren früheren Kriegen gegenüber alles in das Groteske gesteigert. Die stundenlange Schlacht vergangener Zeiten war zu monatelangem Titanenkampf erhoben, menschliches Ertragen schien keine Grenzen zu haben.
Auch Graf Zeppelin besuchte uns noch in Pleß und wirkte auf uns alle durch die rührende Einfachheit seines Auftretens. Er betrachtete damals schon seine Luftschiffe als veraltete Kriegswaffen. Nach seiner Ansicht gehörte dem Flugzeug in Zukunft die Herrschaft in der Luft. Der Graf starb bald nach seinem Besuch, ohne das Unglück seines Vaterlandes erleben zu müssen – ein glücklicher Mann! Noch zwei andere berühmt gewordene Herrscher der Lüfte folgten meiner Einladung, unbezwungene junge Helden: Hauptmann Bölcke und Rittmeister von Richthofen. Beider frisches und bescheidenes Wesen erfreute uns. Ehre ihrem Andenken! Unterseebootsführer sah ich gleichfalls in der Zahl meiner Gäste; unter ihnen fehlte auch nicht der Führer des Unterseehandelsbootes „Deutschland“, Kapitän König.
So blieb kein Stand und kein Stamm seitab von uns, und ich glaubte den gemeinsamen Pulsschlag von Heer und Heimat, von unseren Verbündeten und uns selbst oft in meiner nächsten Nähe zu fühlen.
Unsere politische Lage Rumänien gegenüber hatte im Verlauf der Kriegsjahre 1915/16 nicht allein an unsere politische Leitung sondern auch an unsere Heeresführung ungewöhnlich hohe Anforderungen gestellt. Es ist eine billige Weisheit, nach dem Eintritt Rumäniens in den Kreis unserer Feinde und angesichts unserer unzureichenden militärischen Vorbereitungen dem neuen Gegner gegenüber ein scharfes Urteil über unsere damals verantwortlichen Stellen und Persönlichkeiten auszusprechen. Solche Urteile, meist ohne Kenntnis der wirklichen Vorgänge auf willkürlichen Behauptungen aufgebaut, erinnern mich an eine Äußerung Fichtes in seinen „Reden an die deutsche Nation“, in welcher er von jener Art von Schriftstellern spricht, die erst nach gegebenen Erfolgen wissen, was da hätte geschehen sollen.
Es dürfte wohl kein Zweifel darüber bestehen, daß die Entente in unserer
Lage die rumänische Gefahr, oder vielleicht besser gesagt, die
rumänische militärische Drohstellung spätestens 1915 beseitigt hätte,
und zwar mit der Anwendung ähnlicher Mittel, wie sie solche gegen
Griechenland in Tätigkeit brachte. Wie es sich später herausstellen
sollte, wurde Rumänien im Sommer 1916 durch ein Ultimatum der Entente in
den Kriegsstrudel hineingetrieben, indem es aufgefordert wurde, entweder
zum sofortigen Angriff zu schreiten
Die Beteiligung Rumäniens am Kriege auf der Seite unserer Gegner rückte in greifbare Nähe, als die österreichische Ostfront zusammenbrach. Es wäre vielleicht nicht ausgeschlossen gewesen, daß sich diese Gefahr auch dann noch hätte beschwören lassen, wenn der deutsche Plan eines großen Gegenangriffes gegen den bis zu den Karpathen vorgedrungenen russischen Südflügel hätte verwirklicht werden können. Allein bei den immer erneuten Zusammenbrüchen in den österreichisch-ungarischen Linien kam diese Operation nicht zustande. Die Angriffskräfte verschwanden in Verteidigungsfronten.
Angesichts dieses Verlaufes der Kämpfe an der Ostfront hatte die
deutsche Oberste Heeresleitung Mitte August im Einvernehmen mit General
Jekoff zu dem Aushilfsmittel gegriffen, mit den bulgarischen
Flügelarmeen einen großen Schlag gegen die Ententekräfte bei Saloniki zu
führen. Der Gedanke war sowohl politisch wie militärisch durchaus zu
billigen. Gelang das Unternehmen, so war zu erwarten, daß Rumänien
eingeschüchtert und seine zweifellos vorhandene Hoffnung auf eine
Zusammenwirkung mit Sarrail zerstört würde. Rumänien wäre daher
vielleicht schon dann zur Ruhe veranlaßt worden, wenn starke bulgarische
Kräfte nach einem Siege über Sarrail für beliebige andere Verwendung
freigeworden wären. Die deutsche Oberste Heeresleitung geriet freilich
gerade durch diesen Angriff der Bulgaren zunächst in einen gewissen
militärischen Widerspruch hinein. Da sie nämlich gleichzeitig gezwungen
war, Truppen in Nordbulgarien zu versammeln, um auf die täglich stärker
werdenden rumänischen Kriegsleidenschaften ernüchternd zu
Der bulgarische Angriff in Mazedonien gelangte zwar mit der linken Flügelarmee bis an die Struma, drang dagegen mit dem rechten Flügel in Richtung auf Vodena nicht durch. Hier blieb das Unternehmen aus Gründen hängen, deren Erörterungen uns an dieser Stelle zu weit führen würden. Die bulgarische Infanterie schlug sich auch bei dieser Gelegenheit im Angriff wieder vortrefflich, freilich mehr heldenhaft als kriegerisch gewandt. Der Ruhm blieb ihr, aber der Erfolg war ihr versagt. Dieser Ausgang des Angriffes in Mazedonien stellte die deutsche Oberste Heeresleitung vor eine neue schwierige Frage. Die rumänische Kriegslust steigerte sich dauernd. Es war zu erwarten, daß die Stockung der bulgarischen Operationen in Mazedonien auf die politischen Kreise in Bukarest kriegsermunternd wirken würde. Sollte die deutsche Oberste Heeresleitung nunmehr den Angriff der Bulgaren endgültig abbrechen lassen, um starke bulgarische Kräfte aus den jetzt wesentlich verkürzten mazedonischen Fronten nach Nordbulgarien zu führen, oder sollte sie es wagen, die an der Donau schon versammelten Streitkräfte nach Mazedonien überzuführen, um hier nochmals zu versuchen, den rumänischen gordischen Knoten mit dem Schwerte durchzuschlagen? Die Kriegserklärung Rumäniens befreite die Oberste Heeresleitung aus diesen Zweifeln.
So also hatte sich die allgemeine Entwicklung der Verhältnisse südlich
der Donau gestaltet. Nicht weniger schwierig war die Lage nörd
So kam es, daß die rumänische Kriegserklärung am 27. August uns dem neuen Feind gegenüber in einer nahezu völlig wehrlosen Lage traf. Ich bin auf diese Entwicklung der Verhältnisse deswegen ausführlicher eingegangen, um die Entstehung der großen Krisis verständlich zu machen, in der wir uns seit dem genannten Tage befanden. Das Bestehen einer solchen kann auch angesichts der späteren erfolgreichen Durchführung des Feldzuges nicht gut bestritten werden.
Wenn auch von seiten des Vierbundes nur unzureichende Vorbereitungen getroffen werden konnten, um der rumänischen Gefahr zu begegnen, so hatten sich doch seine verantwortlichen militärischen Führer selbstredend über die beim eintretenden Kriegsfall zu treffenden Maßnahmen frühzeitig geeinigt. Am 28. Juli 1916 hatte zu diesem Zwecke eine Besprechung der Heereschefs Deutschlands, Österreich-Ungarns und Bulgariens zu Pleß stattgefunden. Sie führte zur Aufstellung eines Kriegsplanes, in dessen entscheidender Ziffer 2 es wörtlich heißt:
„Schließt Rumänien sich der Entente an: schnellstes, kräftigstes Vorgehen, um Krieg von bulgarischem Boden sicher, von österreichisch-ungarischem, soweit irgend möglich, fernzuhalten und nach Rumänien hineinzutragen. Hierzu
a) demonstrative Operationen deutscher und österreichischer Truppen von Norden her, zwecks Fesselung starker rumänischer Kräfte;
b) Vorstoß bulgarischer Kräfte von der Dobrudschagrenze gegen die Donauübergänge von Silistria und Tutrakan zum Schutze der rechten Flanke der Hauptkräfte;
c) Bereitstellung der Hauptkräfte zum Übergang über die Donau bei Nikopoli zwecks Offensive gegen Bukarest.“
In einer kurz darauf folgenden Zusammenkunft mit Enver Pascha in Budapest wurde auch die Teilnahme der Türken an einem etwaigen rumänischen Feldzug festgelegt. Enver verpflichtete sich zur baldigen Bereitstellung von zwei osmanischen Divisionen für den Einsatz auf der Balkanhalbinsel.
Dieser Kriegsplan gegen Rumänien erfuhr, so lange mein Vorgänger noch die Zügel der Heeresleitung in der Hand hatte, keine Änderung. Wohl aber fand noch ein wiederholter Gedankenaustausch darüber zwischen den einzelnen Feldheereschefs statt. Auch Generalfeldmarschall von Mackensen, der zur Führung der südlich der Donau bereitgestellten Kräfte bestimmt war, wurde zur Sache gehört. Bei diesen Gelegenheiten zeichneten sich zwei Gedankenrichtungen deutlich ab. Generaloberst von Conrad vertrat diejenige eines rücksichtslosen sofortigen Vorgehens auf Bukarest, General Jekoff diejenige eines Feldzugsbeginns in der Dobrudscha. Die Kräfte südlich der Donau waren bei Kriegsausbruch noch viel zu schwach, um die an dieser Front beabsichtigte Doppelaufgabe, nämlich Donauübergang und Angriff gegen Silistria und Tutrakan, gleichzeitig durchführen zu können.
Am 28. August erging von meinem Vorgänger an Generalfeldmarschall von Mackensen der Befehl zum baldmöglichsten Angriff. Richtung und Ziel blieben dem Feldmarschall überlassen.
So fand ich am 29. August bei der Übernahme der Operationsleitung die militärische Lage gegenüber Rumänien. Sie war schwierig.
Wahrlich, noch niemals war einem verhältnismäßig so kleinen Staatswesen
wie Rumänien, eine weltgeschichtliche Entscheidungsrolle von gleicher
Größe in einem ebenso günstigen Augenblicke in
Nirgends schien diese Tatsache klarer erkannt, lebhafter gefühlt und mehr gefürchtet zu werden, als in Bulgarien. Seine Regierung zögerte mit dem Kriegsentschluß. Darf ihr daraus ein Vorwurf gemacht werden? Als dann aber am 1. September der bulgarische Kriegsentschluß zu unseren Gunsten gefallen war, trat das Land mit all seinen Kräften und mit dem ganzen Haß seiner Volksseele, der im Jahre 1913 aus dem rumänischen Überfall in den Rücken des gegen Serbien und Griechenland schwer ringenden Landes entsprungen war, an unsere Seite. Der mörderische Tag von Tutrakan gab den ersten Beweis für die kriegswillige Stimmung unseres Bundesgenossen.
Der vorhandene Kriegsplan hatte angesichts unserer mangelnden
Vorbereitungen zunächst naturgemäß jede Bedeutung verloren. Der Gegner
verfügte fürs erste über die volle Freiheit des Handelns. Bei seiner
Kriegsbereitschaft und seiner zahlenmäßigen Stärke, die durch die uns
bekannte russische Hilfe noch wesentlich gesteigert wurde, war zu
befürchten, daß unsere eigenen Mittel nicht ausreichen würden, der
rumänischen Heeresleitung vorerst diese Freiheit wesentlich zu
beschränken. Wohin der Rumäne auch seine Operationen richten wollte, ob
über das transsylvanische Gebirge gegen Siebenbürgen oder aus der
Dobrudscha gegen Bulgarien, überall schienen ihm große Ziele und leichte
Erfolge zu winken. Ganz besonders glaubte ich
Das von meinem Vorgänger angeordnete sofortige Vorgehen Mackensens
entsprach durchaus dem Gebot der Stunde. Eine Überschreitung der Donau
mit den in Nordbulgarien verfügbaren Kräften konnte hierbei freilich
nicht in Frage kommen. Es genügte aber schon, wenn wir dem Gegner die
Vorhand in der Dobrudscha abgewannen und seine Feldzugspläne dadurch
verwirrten. Um letzteres Ziel wirklich und durchgreifend zu erreichen,
durften wir den Angriff des Feldmarschalls aber nicht auf die Gewinnung
von Tutrakan und Silistria beschränken. Wir mußten vielmehr durch eine
weitgehendere Ausnützung von Erfolgen in der Süddobrudscha bei der
rumänischen Heeresführung Besorgnis für den Rücken ihrer an der
siebenbürgischen Grenze eingesetzten Hauptkräfte zu erregen suchen. Und
wirklich gelang uns dies. Angesichts des Vordringens des Feldmarschalls
bis in bedrohliche Nähe der
Das Verhängnis brach über Rumänien herein, weil seine Armee nicht marschierte, weil seine Führung nichts verstand, und weil es uns doch noch gelang, ausreichende Kräfte in Siebenbürgen rechtzeitig zu versammeln.
Ausreichend? Gewiß ausreichend für diesen Gegner! Tollkühn wird man uns vielleicht einmal nennen, wenn man die Stärkeverhältnisse vergleichen wird, unter denen wir gegen das rumänische Heer zum Angriff schritten, und mit denen General von Falkenhayn am 29. September den westlichen rumänischen Flügel bei Hermannstadt zerrieb.
Aus der Schlacht von Hermannstadt wirft der General dann seine Armee
nach Osten herum. Er rückt unter Nichtachtung der ihm durch rumänische
Überlegenheit und günstige gegnerische Lage nördlich des oberen Alt
drohenden Gefahr mit der Masse seiner Truppen südlich des genannten
Flusses am Fuße des Gebirges entlang gegen Kronstadt vor. Der Rumäne
stutzt,
Die bisherigen Erfahrungen weisen darauf hin, andere Wege in das walachische Tiefland zu suchen als diejenigen, die von Kronstadt aus über den breitesten Teil der transsylvanischen Alpen führen. General von Falkenhayn schlägt den Durchbruch über den westlicher gelegenen Szurdukpaß vor. Die Richtung ist freilich strategisch weniger wirkungsvoll, aber unter den jetzigen Verhältnissen die taktisch und technisch einzig mögliche. So brechen wir über diesen Paß am 11. November in Rumänien ein.
Inzwischen hat sich Generalfeldmarschall von Mackensen südlich der Donau bereitgestellt, um dem nördlichen Einbruch von Süden her die Hand zu reichen. Er hatte am 21. Oktober die russisch-rumänische Armee südlich der Linie Constanza-Czernavoda gründlich geschlagen. Am 22. Oktober war Constanza in die Hand der dritten bulgarischen Armee gefallen. Der Gegner weicht von da ab unaufhaltsam nach Norden. Wir aber lassen die Bewegung einstellen, sobald nördlich der erwähnten Eisenbahn eine Verteidigungslinie erreicht wird, die mit geringen Kräften behauptet werden kann. Alles, was dort an Truppen entbehrlich ist, rückt gegen Sistow. Verlockend war ja der Gedanke, sofort die ganze Dobrudscha in die Hand zu nehmen und dann bei Braila im Rücken der rumänischen Hauptmacht in das nördliche Donaugebiet einzubrechen. Allein, wie sollten wir das notwendige Brückenmaterial in die nördliche Dobrudscha bringen? Eisenbahnen bestehen dorthin nicht, und den Wasserweg versperren die rumänischen Batterien vom Nordufer der Donau. Wir müssen dem Schicksal dankbar sein, daß diese nicht schon längst unseren einzigen verfügbaren schweren Brückentrain bei Sistow in Trümmer geschossen haben, der, seit Monaten im Bereich der feindlichen Geschützwirkung, nur durch einen für uns nicht aufklärbaren Fehler des Gegners der Zerstörung entgangen ist. So können wir wenigstens dort den Stromübergang im Auge behalten.
Im Morgengrauen des 23. November gewinnt Generalfeldmarschall von Mackensen das nördliche Donauufer. Das erstrebte Zusammenwirken zwischen ihm und General von Falkenhayn ist erreicht. Auf dem Schlachtfeld am Argesch findet es seine Krönung in der Zertrümmerung der rumänischen Hauptkräfte. Der Schlußakt vollzieht sich am 3. Dezember. Bukarest fällt widerstandslos in unsere Hand.
Am Abend dieses Tages schließe ich den gemeinsamen Vortrag über die
Kriegslage mit den Worten: „Ein schöner Tag.“ Als ich später in die
Winternacht hinaustrete, beginnt von den Kirchtürmen
Den Gewinn der rumänischen Hauptstadt hatten wir uns freilich etwas kriegerischer vorgestellt. Wir hatten Bukarest für eine mächtige Festung gehalten, hatten schwerstes Artilleriematerial zu ihrer Bezwingung herangeführt, und nun zeigte sich der berühmte Waffenplatz als offene Stadt. Kein Geschütz krönt mehr die mächtigen Wälle der Forts, und die Panzerkuppeln haben sich in Holzdeckel verwandelt. Unsere vom Feinde so viel verschrieene Friedensspionage hatte nicht einmal dazu ausgereicht, die Entfestigung von Bukarest vor dem Beginn des rumänischen Feldzuges festzustellen.
Das Schicksal Rumäniens hatte sich mit dramatischer Wucht vollzogen. Die ganze Welt mußte sehen, und Rumänien sah es wohl auch selbst, daß kein leerer Schall in dem alten Landsknechtvers lag:
Mit Anführung dieses Verses will ich aber nicht die Mitwirkung Österreich-Ungarns, der Türkei und Bulgariens an diesem großen und schönen Unternehmen irgendwie verkleinern. Unsere Bundesgenossen waren alle zur Stelle und hatten treulich mitgeholfen an dem großen mannhaften Werke. Rumänien, in dessen Hand das Schicksal der Welt gelegen hatte, mußte froh sein, daß seine Heerestrümmer durch russische Hilfe vor Vernichtung bewahrt wurden. Sein Traum, daß noch einmal, wie im Jahre 1878 auf dem Schlachtfelde von Plewna, der Russe ihm in pflichtmäßiger Dankbarkeit, wenn auch mit bitterem Gefühl im Herzen, die Hand für die erwiesenen Dienste drücken müßte, hatte sich in das grausame Gegenteil verkehrt. Die Zeiten hatten sich gewandelt.
Meinem Allerhöchsten Kriegsherrn hatte ich Ende Oktober 1916 meine Anschauung dahin ausgesprochen, daß wir am Ende des Jahres den rumänischen Feldzug beendet haben würden. Am 31. Dezember konnte ich Seiner Majestät melden, daß unsere Truppen den Sereth erreicht hätten, und daß die Bulgaren am Südufer des Donaudeltas stünden. Die gesteckten Ziele waren erreicht.
Die Schwierigkeiten unserer Kriegslage im Herbste 1916 wurden durch den Fortgang der Kämpfe an der mazedonischen Front nicht unwesentlich erhöht.
Die Armee Sarrails hätte jeden Anspruch auf Daseinsberechtigung verloren, wenn sie nicht im Augenblick der rumänischen Kriegserklärung auch ihrerseits die Offensive ergriffen hätte. Ihr Vorgehen erwarteten wir im Wardartal. Wäre sie hier bis in die Gegend von Gradsko vorgedrungen, so hätte sie das Zentrum der wichtigsten bulgarischen Verbindungen in Besitz genommen und hätte auch das Verbleiben der Bulgaren in der Gegend von Monastir unmöglich gemacht. Sarrail wählte die unmittelbare Angriffsrichtung auf Monastir, vielleicht durch besondere politische Gründe veranlaßt.
Die bulgarische rechte Flügelarmee wurde durch diese Offensive aus ihren Stellungen, die sie beim Angriff im August südlich Florina gewonnen hatte, zurückgeworfen. Sie verlor im weiteren Verlauf der Kämpfe Monastir, behauptete sich aber dann.
Wir waren hierdurch genötigt gewesen, den Bulgaren Unterstützungen aus
unseren Kampffronten zuzuführen, Unterstützungen, die meist für den
rumänischen Feldzug bestimmt gewesen waren. War die Größe dieser Hilfe
im Verhältnis zur gesamten Stärke unseres Heeres auch nicht sehr
bedeutend – es waren gegen 20 Bataillone sowie zahlreiche schwere und
Feldbatterien – so traf uns diese Abgabe
Wie wir, so leistete auch die Türkei dem verbündeten Bulgarien in diesen schweren Kämpfen bereitwilligst Hilfe. Enver Pascha stellte über die für den rumänischen Krieg versprochene Unterstützung hinaus ein ganzes türkisches Armeekorps zur Ablösung bulgarischer Truppen an der Strumafront zur Verfügung. Diese Unterstützung wurde von bulgarischer Seite ungern gesehen, da man befürchtete, es würden sich daraus unangenehme türkische Ansprüche auf politischem Gebiet geltend machen. Enver Pascha versicherte uns jedoch ausdrücklich, daß er solches verhindern würde. Es war ja begreiflich, daß Bulgarien deutsche Unterstützung der osmanischen vorgezogen hätte, unbegreiflich aber war es, daß man in Sofia nicht einsehen wollte, wie wenig Deutschland in dieser Zeit imstande war, seine Kräfte noch weiter anzuspannen.
Der Verlust Monastirs war nach meiner Auffassung ohne militärische Bedeutung. Die freiwillige Zurücknahme des bulgarischen rechten Heeresflügels in die außerordentlich starken Stellungen bei Prilep wäre von großem militärischen Vorteil gewesen, weil alsdann die bulgarische Heeresversorgung ganz wesentlich erleichtert, diejenige unserer Gegner um vieles erschwert worden wäre. Gerade die ungeheuren Schwierigkeiten in den rückwärtigen Verbindungen hatten auf bulgarischer Seite die in den Kämpfen wiederholt eingetretenen Krisen wesentlich mitverschuldet. Die Truppen mußten tagelang hungern und litten zeitweise auch Mangel an Schießbedarf. Wir haben unter Hintansetzung eigener Interessen mit allen Mitteln versucht, den Bulgaren die Schwierigkeiten in dieser Richtung zu erleichtern. Die Größe der zurückzulegenden Wegesstrecken, die Wildheit und Unkultur des Gebirgslandes erschwerten die Lösung dieser Aufgabe ungemein.
Bei den Kämpfen um Monastir hatten die Bulgaren zum ersten Male in
schweren Verteidigungsschlachten gestanden. Hatten die
Durch die Stellung, die der deutsche Chef des Generalstabes des
Feldheeres nunmehr innerhalb der gesamten Kriegsleitung einnahm, wurden
wir auch zur Beschäftigung mit den Vorgängen auf den asiatischen
Kriegsschauplätzen veranlaßt. Zur Zeit der Anwesenheit Enver Paschas in
unserem Großen Hauptquartier Anfang
Die russische Offensive in Armenien war nach der Gewinnung der Linie
Trapezunt-Erzinghan zum Stillstand gekommen. Die
Die Gefechtskraft der beiden türkischen Kaukasusarmeen war aufs äußerste zurückgegangen, einzelne Divisionen bestanden nur noch dem Namen nach. Entbehrungen, blutige Verluste, Fahnenflucht hatten verheerend auf die Truppenbestände gewirkt. Mit schweren Sorgen sah Enver Pascha dem kommenden Winter entgegen. Es fehlte seinen Truppen die notwendigste Bekleidung; dazu bot die Ernährung der Armeen in diesen armen, großenteils entvölkerten und verwüsteten Gebieten außerordentliche Schwierigkeiten. Bei dem Mangel an Zug- und Tragtieren mußten den osmanischen Soldaten in dem öden, wegarmen Gebirgslande die Kampf- und Lebensbedürfnisse durch Trägerkolonnen in vielen Tagemärschen zugeführt werden. Weiber und Kinder fanden dabei einen mageren Verdienst, aber auch oft den Tod.
Besser waren die Verhältnisse zu dieser Zeit im Irak. Dort war der Engländer augenblicklich in dem Ausbau seiner rückwärtigen Verbindungen noch nicht so weit vorgeschritten, um schon jetzt zur Rache für Kut-el-Amara schreiten zu können. Daß er eine solche nehmen würde, war für uns zweifellos. Ob alsdann die türkische Macht im Irak hinreichte, um dem englischen Angriff erfolgreich zu widerstehen, vermochten wir nicht zu beurteilen. Trotz der sehr optimistischen Anschauungen der osmanischen Obersten Heeresleitung ermahnten wir zu Verstärkung der dortigen Truppen. Leider ließ sich aber die Türkei aus politischen und panislamitischen Gründen verführen, ein ganzes Armeekorps nach Persien hineinzuschicken.
Der dritte asiatische Kriegsschauplatz, nämlich derjenige in Südpalästina, gab Veranlassung zu unmittelbarer Sorge. Die zweite gegen den Suez-Kanal gerichtete türkische Unternehmung war Anfang August 1916 in der Mitte des nördlichen Teiles der Sinai-Halbinsel gescheitert. Daraufhin waren die türkischen Truppen allmählich aus diesem Gebiete hinausgedrängt worden und standen jetzt im südlichen Teile Palästinas in der Gegend von Gaza. Die Frage, ob und wann sie auch hier angegriffen würden, schien lediglich von dem Zeitpunkt abzuhängen, an dem die Engländer ihre Eisenbahn aus Ägypten bis hinter ihre Truppen ausgebaut hatten.
Der somit drohende Angriff auf Palästina schien für den militärischen und politischen Bestand der Türkei weit gefährlicher als ein solcher auf das fernab liegende Mesopotamien. Man mußte annehmen, daß der Verlust von Jerusalem – ganz abgesehen davon, daß er voraussichtlich den Verlust des ganzen südlichen Arabiens nach sich zog – die jetzige türkische Politik vor eine Belastungsprobe stellen würde, die sie nicht ertragen könnte.
Leider waren die operativen Verhältnisse für die osmanische Kriegführung in Südsyrien nicht wesentlich besser als in Mesopotamien. Hier wie dort litten die Türken, im schärfsten Gegensatz zu ihren Gegnern, unter solch außerordentlichen Schwierigkeiten der rückwärtigen Verbindungen, daß eine wesentliche Verstärkung ihrer Streitkräfte über den jetzigen Stand hinaus den Hunger, ja selbst den Durst für alle bedeutet hätte. Die Verpflegungsverhältnisse waren auch in Syrien zeitweise trostlos. Zu ungünstigen Ernten, ungewolltem und gewolltem Versagen der verantwortlichen Stellen kam die nahezu durchweg feindliche Haltung der arabischen Bevölkerung.
Zahlreiche wohlgemeinte Darlegungen suchten mich im Laufe des Krieges
von der Notwendigkeit zu überzeugen, daß Mesopotamien und Syrien mit
stärkeren Kräften verteidigt, ja daß hier wie dort zum Angriff
übergegangen werden müßte. Das Interesse
Während wir Rumänien niederschlugen, dauerten die Angriffe der Russen in
den Karpathen und in Galizien ununterbrochen an. Von russischer Seite
war nicht beabsichtigt gewesen, dem neuen Bundesgenossen bei seinem
Angriff auf Siebenbürgen unmittelbar zu unterstützen, wohl aber sollte
diese rumänische Operation durch ununterbrochene Fortsetzung der
bisherigen russischen Angriffe gegen die galizische Front erleichtert
werden. Unmittelbare Hilfe gewährten die Russen den Rumänen dagegen in
der Dobrudscha, und zwar von Anfang an. Die Gründe hierfür lagen
ebensosehr auf politischem wie militärischem Gebiete; Rußland rechnete
zweifellos sehr stark mit russophilen Neigungen innerhalb der
bulgarischen Armee. Daher versuchten auch bei Beginn der Kämpfe in der
Süddobrudscha russische Offiziere und Truppen, sich den Bulgaren als
Freunde zu nähern, und waren bitter enttäuscht, als die Bulgaren mit
Feuer antworteten. Dazu kam, daß Rußland zwar ohne politische Eifersucht
zusehen konnte, wenn Rumänien sich in den Besitz von Siebenbürgen
setzte, aber nicht dulden durfte, daß der neue Verbündete
Es mag dahingestellt bleiben, ob es von russischer Seite klug war, den Rumänen ohne unmittelbare Unterstützung, sei es auch nur durch etliche russische Kerntruppen, die Operation nach Siebenbürgen allein zu überlassen. Man überschätzte dabei jedenfalls die Leistungsfähigkeit der rumänischen Armee und ihrer Führung und ging von der irrigen Ansicht aus, daß die Kräfte der Mittelmächte an der Ostfront durch die russischen Angriffe vollständig gebunden, ja sogar erschöpft seien.
Diese Angriffe erreichten zwar ihren Zweck nicht in vollem Umfange, stellten uns aber immerhin wiederholt vor nicht unbedenkliche Krisen. Die Lage wurde zeitweise so mißlich, daß wir befürchten mußten, unsere Verteidigung würde von den Karpathenkämmen heruntergeworfen werden. Deren Behauptung war aber für uns eine Vorbedingung zur Durchführung unseres Aufmarsches und unserer ersten Operationen gegen den neuen Feind. Auch in Galizien mußten wir den Russen mit allen Mitteln aufhalten. Eine Preisgabe weiterer dortiger Gebietsteile würde an sich für unsere Gesamtlage von geringer militärischer Bedeutung gewesen sein, wenn nicht hinter unserer galizischen Stellung die für uns so kostbaren, ja für die Kriegführung unentbehrlichen Ölfelder gelegen hätten. Wiederholt mußten aus diesen Gründen für den Angriff gegen Rumänien bestimmte Truppenverbände gegen die ins Wanken geratenen Frontteile abgedreht werden.
Wenn auch die kritischen Lagen schließlich immer wieder
Wir hatten, wie ich schon früher andeutete, von Anfang an damit gerechnet, daß der Gegner mit dem Eintritt Rumäniens in den Krieg seine Angriffe auch gegen unsere Westfront mit aller Kraft, mit englischer Zähigkeit und französischem Elan fortführen würde. Dies trat auch ein.
Unsere Führereinwirkung auf diese Kämpfe war einfach. An einen
Entlastungsangriff konnten wir mangels genügender Kräfte weder bei
Verdun noch an der Somme denken, so sehr auch ein solcher meinen eigenen
Neigungen entsprochen hätte. Kurz nach der Übernahme der Obersten
Heeresleitung sah ich mich auf Grund der Gesamtlage gezwungen, Seiner
Majestät dem Kaiser den Befehl zur Einstellung unserer Angriffe bei
Verdun zu unterbreiten. Die dortigen Kämpfe zehrten wie eine offene
Wunde an unseren Kräften. Es ließ sich auch klar überblicken, daß das
Unternehmen in jeder Hinsicht aussichtslos geworden war und seine
Fortsetzung uns weit größere Verluste kostete, als wir dem Gegner
beizubringen imstande waren. Unsere vordersten Stellungen lagen in
allseitig flankierendem Feuer übermächtiger gegnerischer Artillerie; die
Verbindungen zu den Kampflinien waren außerordentlich schwierig. Das
Schlachtfeld war eine wahre Hölle und in diesem Sinne bei der Truppe
geradezu berüchtigt. Jetzt in rückschauender Betrachtung stehe ich nicht
an, zu sagen, daß wir aus rein militärischen Gründen gut daran getan
hätten, die Kampfverhältnisse vor Verdun nicht nur durch Beendigung der
Offensive sondern auch durch freiwilliges Aufgeben noch größerer Teile
des eroberten Geländes als geschehen zu bessern. Im Herbste 1916 glaubte
ich jedoch davon Abstand nehmen zu müssen.
Unsere Hoffnung, daß mit der Einstellung unseres Angriffes bei Verdun auch der Gegner dort im wesentlichen zum reinen Stellungskrieg übergehen würde, erfüllte sich nicht. Ende Oktober brach der Franzose auf dem Ostufer der Maas zu einem großangelegten, kühn durchgeführten Gegenstoß vor und überrannte unsere Linien. Wir verloren Douaumont und hatten keine Kräfte mehr, um diesen Ehrenpunkt deutschen Heldentums wieder zu nehmen.
Der französische Führer hatte sich bei diesem Gegenstoß von der bisherigen Gepflogenheit einer tage- oder gar wochenlangen Artillerievorbereitung freigemacht. Er hatte seinen Angriff durch Steigerung der Feuergeschwindigkeit seiner Artillerie und Minenwerfer bis zur äußersten Grenze der Leistungsfähigkeit von Material und Bedienung nur kurze Zeit vorbereitet und war dann gegen den schlagartig körperlich und seelisch niedergedrückten Verteidiger sofort zum Angriff übergegangen. Wir hatten diese Art gegnerischer Angriffsvorbereitung wohl schon innerhalb des Rahmens der langen Dauerschlachten kennengelernt, aber als Eröffnung einer großen Angriffshandlung war sie für uns neu und verdankte vielleicht gerade diesem Umstand ihren ohne Zweifel bedeutenden Erfolg. Im großen und ganzen schlug uns der Gegner diesmal mit unserem eigenen bisherigen Angriffsverfahren. Wir konnten nur hoffen, daß er es im kommenden Jahre nicht mit gleichem Erfolg in noch größerem Umfang wiederholen würde.
Die Kämpfe bei Verdun erstarben erst im Dezember.
Die Sommeschlacht hatte auch von Ende August ab den Charakter eines
außerordentlich erbitterten, rein frontalen Abringens der
Man gab dieser Art von Kämpfen bei uns den Namen „Materialschlachten“. Man könnte sie vom Standpunkt des Angreifers aus auch als „Taktik eines Rammklotzes“ bezeichnen, denn es fehlte ihrer Führung jeder höhere Schwung. Die mechanischen und materiellen Elemente des Kampfes waren in den Vordergrund geschoben, während die geistige Führung allzusehr in den Hintergrund trat.
Wenn es unseren westlichen Gegnern in den Kämpfen von 1915 bis 1917 nicht gelang, ein entscheidendes Feldzugsergebnis zu erreichen, so lag das im wesentlichen an einer gewissen Einseitigkeit der dortigen Führung. An der nötigen zahlenmäßigen Überlegenheit an Menschen, Kriegsgerät und Schießbedarf fehlte es dem Feinde wahrlich nicht; auch kann man nicht behaupten, daß die Güte der gegnerischen Truppen den Anforderungen einer tätigeren und gedankenreicheren Führung nicht hätte genügen können. Außerdem war für unsere Feinde im Westen bei dem reichentwickelten Eisenbahn- und Straßennetz und den in Massen vorhandenen Beförderungsmitteln jeder Art freieste Entfaltungsmöglichkeit für eine weit größere operative Gelenkigkeit vorhanden. Von alledem machte jedoch die gegnerische Führung nicht vollen Gebrauch. Die lange Dauer unseres Widerstandes war also doch wohl neben anderen Gründen auch auf eine gewisse Unfruchtbarkeit des Bodens zurückzuführen, auf dem die feindlichen Pläne reiften. Ungeheuer blieben aber trotzdem die Anforderungen, die auf den dortigen Schlachtfeldern an unsere Armeeführungen und unsere Truppen gestellt werden mußten.
Anfang September besuchte ich mit meinem Ersten Generalquartiermeister
die Westfront. Wir mußten die dortigen Kampfverhältnisse sobald als
möglich kennen lernen, um wirklich helfend eingreifen zu können. Seine
Kaiserliche und Königliche Hoheit der Deutsche Kronprinz schloß sich uns
unterwegs an und ehrte mich in
Die Größe der Anforderungen, die an das Westheer gestellt wurden, war
mir bei diesem Besuch in Frankreich zum erstenmal so recht plastisch vor
die Augen getreten. Ich stehe nicht an, zu bekennen, daß ich damals erst
einen vollen Einblick in die bisherigen Leistungen des Westheeres
gewann. Wie undankbar war die Aufgabe für Führung und Truppe, da in der
aufgezwungenen reinen Verteidigung ein sichtbarer Gewinn immer versagt
bleiben mußte! Der Erfolg in der Abwehrschlacht führt den Verteidiger,
auch wenn er siegreich ist, nicht aus dem ständig lastenden Druck, ich
möchte sagen, aus dem Anblick des Elends des Schlachtfeldes heraus. Der
Soldat muß auf den mächtigen seelischen Aufschwung verzichten, den das
erfolgreiche Vorwärtsschreiten gewährt, ein Aufschwung von so unsagbarer
Gewalt, daß man ihn erlebt haben muß, um ihn in seiner ganzen Größe
begreifen zu können. Wie viele unserer braven Soldaten haben dieses
reinste Soldatenglück nie empfinden dürfen! Sie sahen kaum etwas anderes
als
Freilich sollten unsere Führer und Truppen noch lange auf die Erfüllung dieser Sehnsucht warten müssen! Viele unserer besten, sturmbegeisterten Soldaten mußten noch vorher in zertrümmerten Schützengräben ihr Herzblut hingeben!
In dem Kampfgebiet an der Somme wurde es erst stiller, als die einbrechende nasse Jahreszeit den Kampfboden grundlos zu machen begann. Die Millionen von Geschoßtrichtern füllten sich mit Wasser oder wurden zu Friedhöfen. Von Siegesfreude war auf keiner der beiden kämpfenden Parteien die Rede. Über allen lag der furchtbare Druck dieses Schlachtfeldes, das in seiner Öde und seinem Grauen selbst dasjenige vor Verdun zu übertreffen schien.
Die Beschäftigung mit der reichen geschichtlichen Vergangenheit unseres
Vaterlandes war mir stets ein Bedürfnis. Lebensgeschichten seiner großen
Söhne waren für mich gleichbedeutend mit Erbauungsschriften. In keiner
Lage meines Lebens, auch im Kriege nicht, wollte ich diese Art meiner
Belehrung und inneren Erhebung vermissen. Und doch hätte man ein volles
Recht gehabt, in mir eine unpolitische Natur zu sehen. Betätigung
innerhalb der Gegenwartspolitik widersprach meinen Neigungen. Vielleicht
war hierfür mein Hang zur politischen Kritik zu schwach, vielleicht auch
mein soldatisches Gefühl zu stark entwickelt. Auf letztere Ursache ist
dann wohl auch meine Abneigung gegen alles Diplomatische zurückzuführen.
Man nenne diese Abneigung Vorurteil oder Mangel an Verständnis, die
Tatsache hätte ich auch dann an dieser Stelle nicht abgeleugnet, wenn
ich ihr während des Krieges nicht so oft und so laut hätte Ausdruck
geben müssen. Ich hatte das Empfinden, als ob die diplomatische
Beschäftigung wesensfremde Anforderungen an uns Deutsche stellt. Darin
liegt wohl einer der Hauptgründe für unsere außenpolitische
Rückständigkeit. Eine solche mußte sich um so stärker geltend machen, je
mehr wir durch machtvolle Entfaltung unseres Handels und unserer
Industrie sowie durch Hinausdrängen unserer geistigen Kräfte über die
vaterländischen Grenzen hinaus zu einem Weltvolk
Weder bei meiner Tätigkeit in den höheren Führerstellen des Ostens noch bei meiner Berufung in den Wirkungskreis als Chef des Generalstabes des Feldheeres hatte ich das Bedürfnis und die Neigung, mich mehr als unbedingt notwendig mit gegenwärtigen politischen Fragen zu beschäftigen. Freilich hielt ich in einem Koalitionskrieg mit seinen unendlich vielen und mannigfaltigen, auf die Kriegführung wirkenden Entscheidungen eine völlige Zurückhaltung der Kriegsleitung von der Politik für unmöglich. Trotzdem erkannte ich auch in unserem Falle das, was Bismarck als Norm für das gegenseitige Verhältnis zwischen militärischer und politischer Führung im Kriege hingestellt hatte, als durchaus einem gesunden Zustand entsprechend. Auch Moltke stand auf dem Boden der bismarckschen Auffassung, wenn er sagte:
„Der Führer hat bei seinen Operationen den militärischen Erfolg in erster Linie im Auge zu behalten. Was aber die Politik mit seinen Siegen oder Niederlagen anfängt, ist nicht seine Sache, deren Ausnützung ist vielmehr allein Sache der Politiker.“
Andererseits würde ich es aber doch vor meinem
Gewissen nicht haben verantworten können, wenn ich nicht meine
Anschauungen in all den Fällen zur Geltung gebracht hätte, in denen die
Bestrebungen anderer uns nach meiner Überzeugung auf eine bedenkliche
Bahn führten, wenn ich nicht da zur Tat getrieben hätte, wo ich
Tatenlosigkeit oder Tatenunlust zu bemerken glaubte, wenn ich endlich
meine Ansichten für Gegenwart und Zukunft nicht dann mit aller Schärfe
vertreten hätte, wenn die Kriegführung und die zukünftige militärische
Sicherheit meines Vaterlandes durch politische Maßnahmen berührt oder
gar gefährdet wurden. Man wird mir zugeben, daß die Grenzen zwischen
Politik und Kriegführung sich wohl nie mit voller Schärfe ziehen lassen
werden. Beide müssen schon im Frieden zusammenwirken, da ihre Gebiete
eine wechselseitige Verständigung unbedingt ver
Ich gebe zu, daß ich gar manche Äußerungen über politische Fragen mit meinem Namen und meiner Verantwortung deckte, auch wenn sie mit unserer derzeitigen kriegerischen Lage nur in losem Zusammenhang standen. Ich drängte mich in solchen Fällen niemandem auf. Wenn jedoch jemand meine Ansicht haben wollte, wenn eine Frage kam, die einer Erledigung und Äußerung von deutscher Seite harrte und keine fand, dann sah ich keinen Grund dafür ein, warum ich schweigen sollte.
Bei einer der ersten politischen Fragen, die an mich kurz nach Übernahme der Obersten Heeresleitung herantraten, handelte es sich um die Zukunft Polens. Angesichts der großen Bedeutung dieser Frage während des Krieges und nach diesem glaube ich auf den Verlauf ihrer Behandlung eingehen zu müssen.
Ich habe früher nie eine persönliche Abneigung gegen das polnische Volk
empfunden; andererseits hätte mir aber auch jeder vaterländische
Instinkt, jede Kenntnis geschichtlicher Entwicklungen fehlen müssen,
wenn ich die schweren Gefahren verkannt hätte, die in einer
Wiederaufrichtung Polens für mein Vaterland lagen. Ich gab mich keinem
Zweifel darüber hin, daß wir von Polen nie und nimmer auch nur die Spur
eines Dankes dafür erwarten könnten, daß wir es durch unser Schwert und
Blut von der russischen Knute befreiten, so wenig wir je eine
Anerkennung für die wirtschaftliche und geistige Hebung unserer
preußisch-polnischen Volksteile erhalten haben. Nie also würde
Dankesschuld, sofern eine solche in der Politik überhaupt anerkannt
würde, das neu errichtete freie Polen von
Von welcher Seite man auch das polnische Problem zu lösen versuchte,
immer mußte Preußen-Deutschland der leidtragende Teil sein, der die
politische Zeche zu zahlen hatte. Österreich-Ungarns Staatsleitung
schien dagegen in der Schöpfung eines freien geeinigten Polens keine
Gefahr für das eigene Staatswesen zu befürchten. Einflußreiche Kreise in
Wien wie in Budapest glaubten vielmehr, daß es möglich sein würde, das
katholische Polen dauernd an die Doppelmonarchie zu fesseln. Bei der
grundsätzlich deutschfeindlichen Haltung der Polen schloß diese
österreichische Politik eine schwere Gefahr für uns in
Aus all diesen politischen wie militärischen Erwägungen hätte sich
meines Erachtens für Deutschland die Lehre ergeben, an der polnischen
Frage möglichst wenig zu rühren oder sie wenigstens, wie man sich in
solchen Fällen ausdrückt, dilatorisch zu behandeln. Dies war aber von
deutscher Seite leider nicht geschehen. Die Gründe, warum wir aus der
gebotenen Vorsicht heraustraten, sind mir unbekannt. Zwischen der
deutschen und österreichisch-ungarischen Reichsleitung war nämlich Mitte
August 1916 in Wien eine Vereinbarung getroffen worden, nach welcher
baldmöglichst die öffentliche Verkündigung eines selbständigen
Königreichs Polen mit erblicher Monarchie und konstitutioneller
Verfassung erfolgen sollte. Diese Abmachung hatte man dadurch für uns
Deutsche schmackhafter zu machen versucht, daß die beiden
Vertragschließenden sich verpflichtet hatten, keinen Teil ihrer
einstmals polnischen Landesteile dem neuen polnischen Staat zufallen zu
lassen, und daß Deutschland
Durch diese öffentliche Verkündigung würden die politischen Verhältnisse im Rückengebiet unserer Ostfront völlig verändert worden sein. Mein Vorgänger hatte infolgedessen mit Recht sofort gegen diese Verkündigung Einspruch erhoben. Seine Majestät der Kaiser entschied zugunsten des Generals von Falkenhayn. Nun war es aber für jedermann, der die Zustände in der Donaumonarchie kannte, klar, daß die in Wien einmal getroffene Vereinbarung nicht geheim bleiben würde. Sie konnte wohl noch eine kurze Zeit offiziell zurückgehalten aber nicht mehr aus der Welt geschafft werden. In der Tat war sie schon Ende August allgemein bekannt. So stand ich bei Übernahme der Obersten Heeresleitung einer vollendeten Tatsache gegenüber.
Kurze Zeit darauf forderte der mir dienstlich nicht unterstellte Generalgouverneur von Warschau von unserer Reichsleitung die Verkündigung des polnischen Königsreichs als eine nicht länger hinausschiebbare Tatsache. Er ließ die Wahl zwischen Schwierigkeiten im Lande und der sicheren Aussicht auf eine Verstärkung unserer Streitkräfte durch polnische Truppen, die sich im Frühjahr 1917 bei freiwilligem Eintritt auf 5 ausgebildete Divisionen, bei Einführung der allgemeinen Wehrpflicht auf 1 Million Mann belaufen würden. Eine so wenig günstige Meinung ich auch glaubte, 1914 und 15 von einer Teilnahme der polnischen Bevölkerung am Krieg gegen Rußland gewonnen zu haben, der Generalgouverneur mußte es besser wissen. Er kannte die Entwicklung der inneren politischen Verhältnisse des eroberten Landes seit 1915 und war der Überzeugung, daß uns die Geistlichkeit wirksam bei der Werbung zum Kampf unterstützen würde.
Wie hätte ich es da bei unserer Kriegslage verantworten können, diese
als so bestimmt bezeichnete Hilfe abzulehnen? Entschied ich mich aber
für diese, so durfte keine Zeit verloren gehen, damit wir bis zum Beginn
der nächsten Frühjahrskämpfe leidlich ausgebildete
Da stießen wir, überraschend für mich, auf den Widerstand der Reichsleitung. Sie glaubte in dieser Zeit Fäden für einen Sonderfrieden mit Rußland gefunden zu haben und hielt es für bedenklich, die eingeleiteten Schritte durch die Proklamation eines unabhängigen Polens in den Augen des Zaren zu kompromittieren. Die politischen und militärischen Rücksichten gerieten also in Widerstreit.
Der Ausgang der ganzen Angelegenheit war schließlich der, daß die Hoffnungen auf einen Sonderfrieden mit Rußland scheiterten, daß in den ersten Tagen des Novembers das Manifest doch veröffentlicht wurde, und daß die daraufhin eingesetzten Werbungen polnischer Freiwilligen völlig ergebnislos verliefen. Der Werberuf fand nicht nur keine Unterstützung der katholischen Geistlichkeit, sondern löste offenen Widerstand aus.
Sofort nach Verkündigung des Manifestes trat der Widerstreit zwischen den Interessen Österreichs und denjenigen Deutschlands in dem polnischen Problem hervor. Unsere Verbündeten erstrebten immer offenkundiger eine Vereinigung Kongreß-Polens mit Galizien unter ihrem beherrschenden Einfluß. Ich glaubte diesen Bestrebungen gegenüber, sofern sie nicht von unserer Reichsleitung überhaupt zum Scheitern gebracht werden konnten, wenigstens für eine entsprechende Verbesserung an unserer Ostgrenze nach rein militärischen Gesichtspunkten eintreten zu müssen.
Eigentlich konnte ja über alle diese Fragen nur der Ausgang des Krieges entscheiden. Ich bedauerte es daher lebhaft, daß unsere Zeit durch diese im Kriege überreichlich in Anspruch genommen wurde. Im übrigen muß ich betonen, daß die mit unserem Verbündeten entstandenen Reibungen auf politischem Gebiete niemals auf unsere beiderseitigen militärischen Verhältnisse irgend welchen Einfluß ausübten.
Eine ähnliche Rolle wie Polen in unseren Beziehungen zu Österreich-Ungarn spielte die Dobrudscha in unseren politischen und militärischen Auseinandersetzungen mit Bulgarien. Bei der Dobrudschafrage handelte es sich letzten Endes darum, ob Bulgarien mit dem uneingeschränkten zukünftigen Besitz dieses Landes den Schienenweg über Cernavoda-Constanza in seine Hand bekommen würde. Geschah das, so beherrschte es die letzte und nächst der Orientbahn wichtigste Landesverbindung zwischen Mitteleuropa und dem nahen Orient. Bulgarien erkannte natürlich die günstige Gelegenheit, uns in dieser Richtung während des Krieges Zugeständnisse abzuringen. Andererseits bat die Türkei als zunächst berührt um unseren politischen Beistand gegen diese bulgarischen Pläne. Wir gaben ihr diese Unterstützung. So brach ein politischer Kleinkrieg unter militärischer Maske los und dauerte nahezu ein Jahr lang an. Der Verlauf war kurz beschrieben folgender:
Der zwischen uns und Bulgarien abgeschlossene Bündnisvertrag stellte für einen rumänischen Kriegsfall unseren Bundesgenossen den Wiedergewinn der im Jahre 1912 verlorenen Teile der südlichen Dobrudscha sowie dortige Grenzverbesserungen in Aussicht, sprach aber mit keinem Worte von dem Anheimfall dieser ganzen rumänischen Provinz an Bulgarien. Auf Grund dieses Vertrages hatten wir die früheren bulgarischen Teile der südlichen Dobrudscha nach der wesentlichen Beendigung des rumänischen Feldzuges sofort der Verwaltung der bulgarischen Regierung übergeben, richteten aber in der Mitteldobrudscha im Einverständnis mit allen unseren Verbündeten eine deutsche Verwaltung ein. Sie arbeitete auf Grund eines besonderen Abkommens in wirtschaftlicher Beziehung nahezu ausschließlich zugunsten Bulgariens. Die nördliche Dobrudscha fiel als Operationsgebiet der dort stehenden 3. bulgarischen Armee zu. Die Verhältnisse schienen äußerlich völlig befriedigend geregelt. Doch dauerte diese Zufriedenheit nicht lange.
Der Fehdehandschuh wurde uns von dem bulgarischen Ministerpräsidenten
hingeworfen. Noch vor Abschluß des rumänischen Feld
In diesen Zuständen zeigten sich die Folgen einer schädlichen Seite unserer Bündnisverträge. Wir hatten den Bulgaren bei Abschluß unseres Waffenbundes seinerzeit die denkbar weitestgehenden Zusicherungen in bezug auf Vergrößerung des Landes und Vereinigung seiner völkischen Stämme gemacht, Zusicherungen, die wir nur im Falle eines vollen Sieges hätten halten können. Bulgarien war aber auch mit diesen Zusicherungen noch nicht zufrieden. Fortdauernd vergrößerte es seine Ansprüche ganz ohne Rücksicht darauf, ob das bisher kleine Staatswesen imstande sein würde, solche Vergrößerungen später politisch und wirtschaftlich beherrschen zu können.
Solche Begehrlichkeiten enthielten für uns aber auch eine unmittelbare
militärische Gefahr. Ich habe schon früher darauf hin
Das Hin und Her all dieser zahllosen politischen Fragen und Gegenfragen brachte mir nur unbefriedigende Stunden und verstärkte beträchtlich meine Abneigung gegen die Politik.
Einen wesentlich anderen Inhalt als unser Bündnisvertrag mit Bulgarien
hatte derjenige mit der Türkei. Deren Regierung gegenüber hatten wir uns
nur zur Erhaltung ihres territorialen Besitzstandes vor dem Kriege
verpflichtet. Nun hatte aber der Osmane im Verlauf der beiden ersten
Kriegsjahre bedeutende Teile seiner asiatischen Randgebiete verloren.
Unsere Bündnisverpflichtungen waren dadurch sehr belastet. Eine
bedenkliche Rückwirkung dieser mißlichen Verhältnisse auf die
Gesamtleitung des Krieges schien nicht ausgeschlossen, weil die
türkische Regierung in dieser Richtung Forderungen stellen konnte, denen
wir uns aus politischen Gründen vielleicht nicht zu entziehen
vermochten. In dieser Hinsicht war daher für uns die hohe Auffassung
Enver Paschas von der gemeinsamen Kriegführung und ihren entscheidenden
Gesichtspunkten von größtem Wert. Auch die politische Auffassung der
übrigen türkischen Machthaber schien uns einstweilen eine Gewähr dafür
zu geben, daß die bisherigen osmanischen Verluste unser Kriegskonto
nicht übertrieben belasten würden. Wurde uns doch versichert, daß die
osmanische Regierung
Für unsere Politik wie Kriegsleitung war es also eine ganz wesentliche Aufgabe, die derzeitige osmanische Reichsleitung zu stützen; für Enver wie für Talaat Pascha fand sich nicht leicht ein Ersatz, der uns voll und sicher zugetan war. Das durfte uns freilich nicht hindern, politischen Strömungen in der Türkei entgegenzutreten, die auf die militärischen Aufgaben des Landes im Rahmen des Gesamtkrieges störend wirkten. Ich verweise hierbei auf meine früheren Bemerkungen über die panislamitische Bewegung. Sie drohte andauernd die Türkei militärisch in eine falsche Richtung abzulenken. Nach dem Zusammenbruch Rußlands suchte der Panislamismus sein Ausdehnungsgebiet in der Richtung auf den Kaukasus. Ja, er faßte darüber hinaus ein Weitergreifen auf die transkaspischen Länder ins Auge und verlor sich schließlich in den weiten Räumen Zentralasiens mit dem phantastischen Wunsche, auch dortige alte Kultur- und Glaubensgemeinschaften mit dem osmanischen Reiche zu vereinen.
Daß wir solchen orientalischen politischen Traumgebilden unsere militärische Unterstützung nicht leihen konnten, daß wir vielmehr die Rückkehr aus diesen weitschweifenden Plänen auf den Boden der jetzigen kriegerischen Wirklichkeiten fordern mußten, war klar, das Bemühen aber leider nicht erfolgreich.
Weit schwieriger als unser Einfluß auf die außenpolitischen Probleme der
Türkei mußte natürlich unser Einfluß auf innere Verhältnisse dieses
Reiches sein. Und doch konnten wir uns wenigstens des Versuches solcher
Schritte nicht völlig ent
Das überraschende nochmalige Aufleben osmanischer Kriegskraft, das Wiederaufflammen früheren Heldentumes in diesem Daseinskampf beleuchtete gleichzeitig die dunkelste Seite der türkischen Herrschaft: ich meine ihr Vorgehen gegen die armenischen Volksteile ihres Gebietes. Die armenische Frage barg eines der allerschwierigsten Probleme für die Türkei in sich. Sie berührte sowohl den pantürkischen wie auch den panislamitischen Ideenkreis. Die Art, wie sie von fanatischer türkischer Seite zu lösen versucht wurde, hat die ganze Welt während des Krieges beschäftigt. Man hat uns Deutsche mit den grausigen Vorkommnissen in Verbindung bringen wollen, die sich in dem ganzen osmanischen Reiche und gegen Schluß des Krieges auch im armenischen Transkaukasien abspielten. Ich fühle mich daher verpflichtet, sie hier zu berühren, und habe wahrlich keinen Grund, unsere Einwirkung mit Stillschweigen zu übergehen. Wir haben nicht gezögert, in Wort und Schrift einen hemmenden Einfluß auf die wilde, schrankenlose Art der Kriegführung auszuüben, die im Orient durch Rassenhaß und Religionsfeindschaften in traditionellem Gebrauch war. Wir haben wohl zusagende Äußerungen maßgebender Stellen der türkischen Regierung erhalten, waren aber nicht imstande, den passiven Widerstand zu überwinden, der sich gegen diese unsere Einmischungen richtete. So erklärte man beispielsweise von türkischer Seite die armenische Frage als lediglich innere Angelegenheit und war sehr empfindlich, wenn sie von uns berührt wurde. Auch unsere manchmal an Ort und Stelle befindlichen Offiziere erreichten nicht immer eine Abmilderung der Haß- und Racheakte. Das Erwachen der Bestie im Menschen beim Kampf auf Leben und Tod, im politischen und religiösen Fanatismus, bildet eines der schwärzesten Kapitel in der Geschichte aller Zeiten und Völker.
Die übereinstimmenden Urteile völkisch völlig neutraler Beobachter gingen dahin, daß die in ihren innersten Leidenschaften aufgewühlten Parteien bei der gegenseitigen Vernichtung sich die Wage hielten. Das entsprach wohl den sittlichen Begriffen, die bei Völkern jener Gebiete durch die noch herrschenden oder erst seit kurzem überwundenen Gesetze der Blutrache geheiligt erschienen. Der Schaden, der durch diese Vernichtungsakte angerichtet wurde, ist ganz unübersehbar. Er machte sich nicht allein auf menschlichem und politischem sondern auch auf wirtschaftlichem und militärischem Gebiete geltend. Die Zahl der besten türkischen Kampftruppen, die im Verlauf des Krieges im kaukasischen Hochlandswinter als Folgen dieser Vernichtungspolitik wider die Armenier einen elenden Erschöpfungstod fanden, wird wohl niemals mehr festzustellen sein. Die Tragik in der Geschichte des braven anatolischen Soldaten, dieses Kernmenschen des osmanischen Reiches, wurde durch dieses massenhafte Hinsterben infolge aller denkbaren Entbehrungen um ein weiteres Kapitel erweitert. – Ob es das letzte gewesen ist?
Mitten in den Vorbereitungen zum rumänischen Feldzug trat an mich die
Friedensfrage heran. Diese war, soweit mir bekannt, durch den
österreichisch-ungarischen Außenminister Baron Burian ins Rollen
gebracht. Daß ich einem solchen Schritt alle meine menschlichen
Zuneigungen entgegenbrachte, bedarf für den Kenner meiner Person und
meiner Auffassung vom Kriege wohl keiner weiteren Versicherung. Im
übrigen gab es für mich bei der Mitwirkung in dieser Frage nur
Rücksichten auf meinen Kaiser und mein Vaterland. Ich hielt es für meine
Aufgabe, bei der Behandlung und versuchten Lösung des Friedensgedankens
dafür zu sorgen, daß weder Heer noch Heimat irgendwelchen Schaden
litten. Die Oberste Heeresleitung hatte bei
Am 12. Dezember wurde der uns feindlichen Welt unsere Bereitschaft zum Frieden verkündet. Wir fanden in der gegnerischen Propaganda wie in den gegnerischen Regierungslagern als Antwort nur Hohn und Abweisung.
Unserem eigenen Friedensschritte folgte eine gleichgerichtete Bemühung
des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika auf dem Fuße.
Die Oberste Heeresleitung wurde vom Reichskanzler über die Anregungen,
die er durch unseren Botschafter in den Vereinigten Staaten hatte
ergehen lassen, unterrichtet. Ich selbst hielt den Präsidenten Wilson
nicht geeignet für eine parteilose Vermittelung, konnte mich vielmehr
des Gefühles nicht erwehren, daß der Präsident eine starke Hinneigung zu
unseren Gegnern, und zwar in erster Linie zu England, hatte. Das war
wohl die ganz natürliche Folgeerscheinung seiner angelsächsischen
Herkunft. Ebenso wie Millionen meiner Landsleute konnte ich das
bisherige Verhalten Wilsons nicht für parteilos halten, wenn es
vielleicht auch dem Wortlaut der Neutralitätsbestimmungen nicht
widersprach. In allen Fragen der Ver
Im Gegensatz zu unserer Auffassung sah eine Botschaft des Präsidenten
Wilson an den amerikanischen Senat vom 22. Januar in der auf die
ablehnende Antwort der Entente vom 30. Dezember folgenden Erklärung der
Kriegsziele unserer Feinde vom 12. Januar eine geeignetere Grundlage für
Friedensbemühungen als in unsrer diplomatischen Note, die sich lediglich
auf die grundsätzliche Zustimmung zur Fortsetzung seiner
Friedensschritte beschränkte. Dieses Verhalten des Präsidenten
erschütterte mein Vertrauen auf seine Unparteilichkeit noch weiter. Ich
suchte in seiner an schönen Worten reichen Botschaft vergebens die
Zurückweisung des Versuches unserer Gegner, uns als
Durch Veröffentlichungen im Oktober 1918 ist mir bekannt geworden, daß
Präsident Wilson unmittelbar nach Verkündigung der Senatsbotschaft vom
22. Januar 1917 dem deutschen Botschafter in Washington seine
Bereitwilligkeit zur Einleitung einer offiziellen Friedensvermittelung
überreichen ließ. Die Mitteilung hiervon war am 28. Januar in Berlin
eingetroffen. Ich hatte von diesem uns anscheinend sehr weit
entgegenkommenden Schritt Wilsons bis zum Herbste 1918 nichts gehört. Ob
Irrtümer oder Verkettung von widrigen Verhältnissen Schuld daran waren,
weiß ich heute noch nicht. Meines Erachtens war der Krieg mit Amerika
Ende Januar 1917 nicht mehr zu verhindern. Wilson befand sich zu jener
Zeit in Kenntnis unserer Absicht, am 1. Februar den uneingeschränkten
Unterseebootkrieg zu beginnen. Es kann keinen Zweifeln unterliegen, daß
der Präsident hierüber durch Auffangen und Entzifferung unserer
diesbezüglichen Telegramme an den deutschen Botschafter in Washington
von seiten Englands ebenso unterrichtet war, wie von dem
Die Ereignisse von 1918 und 1919 scheinen mir eine volle Bestätigung meiner damaligen Anschauungen zu sein, die auch von meinem Ersten Generalquartiermeister in jeder Beziehung geteilt wurden.
Den Tagesfragen der inneren Politik hatte ich als aktiver Soldat ferner gestanden. Auch nach meinem Übertritt in den Ruhestand beschäftigten sie mich nur in dem Rahmen eines stillen Beobachters. Ich vermochte nicht zu verstehen, daß hier und da das Gesamtwohl des Vaterlandes oft recht kleinlichen Parteiinteressen gegenüber zurücktreten sollte, und fühlte mich in meiner politischen Überzeugung am wohlsten in dem Schatten des Baumes, der in dem ethisch-politischen Boden der Epoche unseres großen greisen Kaisers festwurzelte. Diese Zeit mit ihrer für mich wunderbaren Größe hatte ich voll und ganz in mich aufgenommen und hielt an ihren Gedanken und Richtlinien fest. Die Erlebnisse während des jetzigen Krieges waren nicht geeignet, mich für die Änderungen einer neueren Zeit besonders zu erwärmen. Ein kraftvoll in sich geschlossener Staat im Sinne Bismarcks war die Welt, in der ich mich in Gedanken am liebsten bewegte. Zucht und Arbeit innerhalb des Vaterlandes standen für mich höher als kosmopolitische Phantasien. Auch erkannte ich kein Recht für einen Staatsbürger an, dem nicht eine gleichwertige Pflicht gegenüberzustellen wäre.
Im Kriege dachte ich nur an den Krieg. Hindernisse, die der Kraft seiner Führung entgegentraten, sollten nach meiner Auffassung vom Ernst der Lage rücksichtslos beseitigt werden. So machten es unsere Feinde, und wir hätten an ihrem Beispiel lernen können. Leider haben wir es nicht getan, sondern sind einem Wahngebilde der Völkergerechtigkeit verfallen, anstatt das eigene Staatsgefühl und die eigene Staatskraft im Kampfe um unser Dasein über alles andere zu stellen.
Während des Krieges mußte sich die Oberste Heeresleitung mit einzelnen innerstaatlichen Aufgaben, besonders auf wirtschaftlichem Gebiete, beschäftigen. Wir suchten diese Aufgaben nicht; sie drängten sich, mehr als mir erwünscht war, an uns heran. Die innigen Beziehungen zwischen Heer und Volkswirtschaft machten es uns unmöglich, die wirtschaftlichen Heimatfragen von der Kriegführung durch eine Grenzlinie ähnlich einer solchen zwischen Kriegsgebiet und Heimat zu trennen.
Das große Kriegsindustrieprogramm, das meinen Namen trägt, vertrat ich mit der vollen Verantwortung für seinen Inhalt. Die einzige Richtlinie, die ich für seine Bearbeitung gab, lautete dahin, daß der Bedarf für unsere kämpfenden Truppen unter allen Umständen gedeckt werden müßte. Einen anderen Grundsatz als diesen hätte ich im vorliegenden Falle für ein Vergehen an unserem Heere und an unserem Vaterlande gehalten. Bei unsern Forderungen waren die Zahlen den früheren gegenüber freilich ins Riesige gewachsen; ob sie erreicht werden konnten, vermochte ich nicht zu beurteilen. Man hat nach dem Kriege dem Programm den Vorwurf gemacht, es sei durch die Verzweiflung diktiert worden. Der Erfinder dieser Phrase täuschte sich vollständig über die Stimmung, unter deren Einfluß dieses Programm entstanden ist.
An der Einbringung des Gesetzes über den Kriegshilfsdienst war ich mit
ganzem Herzen beteiligt. In der Not des Vaterlandes sollten sich nach
meinem Wunsche nicht nur alle waffenfähigen sondern auch alle
arbeitsfähigen Männer, ja selbst Frauen, in den Dienst der
Man hat der Obersten Heeresleitung vorgeworfen, daß sie durch das Gesetz
über den „Vaterländischen Hilfsdienst“ und durch die Forderungen des
sogenannten „Hindenburg-Programms“ in sozialer wie in finanzieller und
wirtschaftlicher Beziehung zu überstürzenden Maßnahmen Anlaß gegeben
hätte, deren Folgen sich bis zu unserem staatlichen Umsturz, ja sogar
darüber hinaus noch deutlich verfolgen ließen. Ich muß der zukünftigen,
von den gegenwärtigen Parteiströmungen befreiten Forschung zur
Entscheidung überlassen, ob diese Vorwürfe gerechtfertigt sind. Auf
einen Punkt möchte ich jedoch noch hinweisen: Das Fehlen eines für den
Krieg geschulten wirtschaftlichen Generalstabes machte sich im Verlauf
unseres Kampfes außerordentlich fühlbar. Die Erfahrung zeigte, daß sich
ein solcher während des Krieges nicht aus dem Boden stampfen läßt. So
glänzend unsere militärische und, ich darf wohl sagen, finanzielle
Mobilmachung geregelt war, so sehr fehlte es andererseits an einer
wirtschaftlichen. Was sich in letzterer Beziehung als notwendig erwies
und geleistet werden mußte, überstieg alle früheren Vorstellungen. Wir
sahen uns angesichts der nahezu völligen Absperrung
So sehr ich zu vermeiden trachtete, mich bei inneren politischen Fragen in das Parteigetriebe einzumischen oder gar einer der bestehenden Parteien Vorspanndienste zu leisten, so gern lieh ich sozialen Fragen allgemeiner Natur meine Unterstützung. Besonders glaubte ich zur Frage der Kriegerheimstätten die wohlwollendste Stellung einnehmen zu müssen. Meinen Beifall hatte vornehmlich die ethische Seite dieser Bestrebungen. Kannte ich doch keinen schöneren und befriedigerenden Blick als den über ein wohlgepflegtes Stück Kulturland hinweg in das Heim zufriedener Menschen. Wie viele unserer Tapferen an der Front werden in stillen Stunden ein Hoffen und Sehnen nach solchem in sich gefühlt haben. Mein Wunsch geht dahin, daß recht zahlreichen meiner treuen Kriegsgefährten nach allen Leiden und Mühen dieses Glück beschieden sei!
Als sich das Ergebnis der Kämpfe des Jahres 1916 mit einiger Sicherheit überblicken ließ, mußten wir über die Weiterführung des Krieges im Jahre 1917 ins klare kommen. Über das, was der Gegner im nächsten Jahre tun würde, war bei uns kein Zweifel. Wir mußten auf einen allgemeinen feindlichen Angriff rechnen, sobald die gegnerischen Vorbereitungen und die Witterungsverhältnisse einen solchen zuließen. Vorauszusehen war, daß unsere Feinde, gewitzigt durch die Erfahrungen der vorhergegangenen Jahre, eine Gleichzeitigkeit ihrer Angriffe auf allen Fronten anstreben würden, sofern wir ihnen hierzu die Zeit und Gelegenheit ließen.
Nichts konnte näher liegen und unser aller Wünschen und Empfindungen mehr entsprechen, als diesem zu erwartenden Generalsturm zuvorzukommen, die gegnerischen Pläne dadurch über den Haufen zu werfen und damit von Anfang an die Vorhand an uns zu reißen. Ich darf wohl behaupten, daß ich in dieser Beziehung in den vorausgehenden Feldzugsjahren nichts versäumt hatte, sobald mir die Mittel hierfür in einem nur einigermaßen genügenden Ausmaß zur Verfügung standen. Jetzt aber durften wir uns über diesen Wünschen den Blick für die tatsächliche Lage nicht trüben lassen.
Es bestand kein Zweifel, daß sich das Stärkeverhältnis zwischen uns und unseren Gegnern am Ende des Jahres 1916 noch mehr zu unseren Ungunsten verschoben hatte, als dies schon bei Beginn des Jahres der Fall gewesen war. Rumänien war zu unseren Gegnern getreten und trotz seiner schweren Niederlage ein Machtfaktor geblieben, mit dem wir weiter rechnen mußten. Das geschlagene Heer fand hinter den russischen Linien Schutz und Zeit für seinen Wiederaufbau und konnte dabei auf die Mitwirkung der Entente im weitesten Umfang rechnen.
Es war ein Verhängnis für uns, daß es unserer Heeresführung während des ganzen Krieges nicht gelungen ist, auch nur einen unserer kleineren Gegner mit Ausnahme von Montenegro zum baldigen Ausscheiden aus der Zahl unserer Feinde zu zwingen. So war im Jahre 1914 die belgische Armee aus Antwerpen entkommen und stand uns, wenn auch im allgemeinen tatenlos, andauernd gegenüber, uns zu einem immerhin nicht unbedeutenden Kräfteverbrauch zwingend. Mit der serbischen Armee war es uns im Jahre 1915 nur scheinbar günstiger gegangen. Sie war unsern umfassenden Bewegungen entgangen, allerdings in einem trostlosen Zustande. Im Sommer 1916 erschien sie jedoch wieder kampfkräftig auf dem Kriegstheater in Mazedonien und erhielt zur Auffrischung ihrer Verbände andauernd Zuzug und Ersatz aus allen möglichen Ländern, zuletzt besonders auch durch österreichisch-ungarische Überläufer slawischer Nationalitäten.
In allen drei Fällen, Belgien, Serbien und Rumänien, hatte das Schicksal der gegnerischen Armee an einem Haare gehangen. Die Gründe ihres Entrinnens mochten verschieden sein, die Wirkung war stets die gleiche.
Man ist angesichts solcher Tatsachen nur zu leicht geneigt, dem Zufall
im Kriege eine große Rolle zuzusprechen. Mit diesem Ausdruck würdigt man
den Krieg aus seiner stolzen Höhe zu einem Glücksspiel herab. Als
solches ist er mir niemals erschienen. Ich sah in seinem Verlauf und
Ergebnis, auch wenn letzteres sich gegen uns wendete,
Für das Feldzugsjahr 1917 konnten wir darüber im Zweifel sein, ob die Hauptgefahr für uns aus West oder Ost kommen würde. Rein vom Standpunkte zahlenmäßiger Überlegenheit schien die Gefahr an der Ostfront größer. Wir mußten annehmen, daß es dem Russen im Winter 1916/17 ebenso wie in den Vorjahren gelingen würde, seine Verluste zu ersetzen und seine Armee mit Erfolg angriffsfähig zu machen. Keine Kunde drang zu uns, aus der besonders auffallende Zersetzungserscheinungen innerhalb des russischen Heeres hervorgegangen wäre. Die Erfahrung hatte mich übrigens gelehrt, derartige Nachrichten jederzeit und von wem sie auch kommen mochten, mit äußerster Vorsicht aufzunehmen.
Dieser russischen Stärke gegenüber konnten wir die Verhältnisse in dem österreichisch-ungarischen Heere nicht ohne Sorge betrachten. Nachrichten, die uns zukamen, ließen die Zuversicht nicht recht aufkommen, daß der glückliche Ausgang des rumänischen Feldzuges und die verhältnismäßig günstige, wenn auch immer gespannte Lage an der italienischen Front auf den moralischen Halt der k. u. k. Truppen einen ausreichend erhebenden und stärkenden Einfluß ausgeübt hatten. Wir mußten weiterhin damit rechnen, daß Angriffe der Russen wieder Zusammenbrüche in den österreichischen Linien verursachen könnten. Es war sonach ausgeschlossen, den österreichischen Fronten die unmittelbare deutsche Unterstützung zu nehmen; wir mußten uns im Gegenteil bereithalten, bei gelegentlichen Notfällen an den Fronten des Verbündeten mit weiteren Kräften auszuhelfen.
Wie sich die Verhältnisse an der mazedonischen Front gestalten würden,
war ebenfalls unsicher. Dort hatte im Verlauf der letzten Kämpfe ein
deutsches Heeresgruppenkommando die Führung der rechten und mittleren
bulgarischen Armee, d. h. im allgemeinen die
Auch an unserer Westfront mußten wir damit rechnen, daß die Gegner im kommenden Frühjahr trotz ihrer zweifellos schweren Verluste des vergangenen Jahres mit voller Kraft wieder auf dem Kampfplatz erscheinen würden. Ich möchte den Ausdruck „volle Kraft“ natürlich bedingt aufgefaßt wissen, denn die verlorene alte Kraft ersetzt sich im Verlauf weniger Monate wohl zahlenmäßig, aber nicht ihrem inneren Werte nach voll und ganz. Der Feind unterlag in dieser Richtung den gleichen harten Gesetzen wie auch wir.
Das taktische Bild an den wichtigsten Teilen dieser Front war folgendes: Der Gegner hatte im zähesten, fünfmonatigen Ringen an der Somme unsere Linien in 40 km Breite und etwa 10 km Tiefe zurückgeworfen. Vergessen wir diese Zahlen für spätere Vergleiche nicht!
Dieser Erfolg, der mit hunderttausenden von blutigen Opfern bezahlt war,
war bei der Größe unserer Gesamtfront eigentlich gering. Die Einbiegung
unserer Linien drückte aber auf unsere nach Nord und Süd anschließenden
Nebenfronten. Die Lage forderte gebieterisch eine Verbesserung; wir
liefen sonst Gefahr, aus diesem Bogen heraus durch erneute feindliche
Angriffe, verbunden mit nördlich und südlich davon angesetzten
Nebenangriffen, umfaßt zu werden. Ein eigener, umfassender Angriff gegen
den eingebrochenen Feind war die nächstliegende, angesichts unserer
Gesamtlage aber auch die bedenklichste Lösung. Durften wir es wagen,
alle unsere Kraft zu einem großen
Wenn wir nun die durch die Sommeschlacht entstandene Frontgestaltung durch einen Angriff nicht verbessern konnten, so mußten wir die Folgerungen daraus ziehen und unsere Linien zurücknehmen. Wir entschieden uns daher auch zu dieser Maßnahme und verlegten unsere Stellung, die bis Peronne eingedrückt war und andrerseits noch bis westlich Bapaume, Roye und Noyon vorsprang, in die Sehnenlinie Arras-St. Quentin-Soissons zurück. Diese neue Linie ist unter dem Namen Siegfriedstellung bekannt.
Also Rückzug an der Westfront statt Angriff! Kein leichter Entschluß. Schwere Enttäuschung für das Westheer, vielleicht eine noch schwerere für die Heimat, die schwerste, wie zu befürchten, bei unseren Verbündeten. Heller Jubel bei unsern Gegnern! Kann man sich auch einen geeigneteren Stoff für Propaganda vorstellen? Glänzender, wenn auch spät sichtbarer Erfolg der blutigen Sommeschlacht, zusammengebrochener deutscher Widerstand, heftige unaufhörliche Verfolgungen mit großen Beutezahlen, Schauergeschichten über unsere Kriegführung. Man konnte das ganze Register, das aufgezogen werden würde, schon vorher hören. Welch ein Hagel propagandistischer Literatur wird nunmehr auf und hinter unseren Linien niederfallen!
Unsere große Rückwärtsbewegung begann am 16. März 1917. Der Gegner folgte ihr ins freie Gelände zumeist mit gemessener Vorsicht. Wo diese Vorsicht sich zu größerem Drängen steigern wollte, verstanden es unsere Deckungstruppen, abkühlend auf den feindlichen Eifer zu wirken.
Mit der getroffenen Maßnahme schufen wir uns nicht nur günstigere örtliche Kampfbedingungen an der Westfront sondern verbesserten auch unsere gesamte Kriegslage. Gab uns doch die Verkürzung der Verteidigungslinie im Westen die Möglichkeit zur Schaffung starker Reserven. Verlockend war der Plan, wenigstens einen Teil derselben auf den Feind zu werfen, wenn dieser unserem Rückzug in die Siegfriedstellung über das freie Gelände folgen würde, in dem wir uns ihm unbedingt überlegen fühlten. Wir verzichteten jedoch hierauf und hielten unser Pulver für die Zukunft trocken.
Man kann die Lage, wie wir sie uns bis zum Frühjahr des Jahres 1917 geschaffen hatten, vielleicht als eine große strategische Bereitstellung bezeichnen, in der wir dem Gegner einstweilen die Vorhand überließen, aus der heraus wir aber jederzeit imstande waren, gegen feindliche Schwächepunkte zum Angriff zu schreiten. Geschichtliche Vergleiche aus früheren Kriegen können bei der ungeheuer gesteigerten Größe aller Verhältnisse nicht gezogen werden.
Im Zusammenhang mit diesen Ausführungen muß ich zwei Pläne besprechen,
mit denen wir uns im Winter 1916/17 zu beschäftigen hatten. Es waren
Vorschläge für einen Angriff sowohl in Italien als auch in Mazedonien.
Die Anregung in der erstgenannten Richtung ging noch im Winter 1916/17
vom Generaloberst von Conrad aus. Er versprach sich von einem großen
Erfolge gegen Italien eine weitgehende Einwirkung auf unsere gesamte
kriegerische und politische Lage. Dieser Anschauung konnte ich mich
nicht anschließen. Wie ich schon früher ausführte, vertrat ich dauernd
die Anschauung, daß Italien viel zu sehr unter dem wirtschaftlichen und
damit auch unter dem politischen Druck Englands stünde, als daß dieses
Land, selbst durch eine große Niederlage, zu einem Sonderfrieden zu
zwingen wäre. Generaloberst von Conrad dachte bei seinem Vorschlage wohl
in erster Linie an die günstige Rückwirkung eines sieg
Ähnlich verhielt es sich mit der Frage eines Angriffes auf die
Ententetruppen in Mazedonien. Bulgarien liebäugelte mit diesem Plane,
und von seinem Standpunkte aus natürlich mit vollster Berechtigung. Ein
entscheidender Erfolg unsererseits hätte die Entente zur Räumung dieses
Landes zwingen können. Bulgarien wäre dadurch militärisch und politisch
nahezu völlig entlastet worden. Das Unternehmen hätte auch den lebhaften
Wünschen des Landes und seiner Regierung entsprochen. Richtete man doch
bulgarischerseits fortgesetzt begehrliche Augen auf den viel
umstrittenen, schönen Hafen von Saloniki. Letzterer Gesichtspunkt machte
freilich bei mir keinen Eindruck. Auch die militärische Entlastung
Bulgariens hätte nach meiner damaligen Ansicht keinen Nutzen für unsere
Gesamtlage bedeutet. Hätten wir die Ententekräfte zum Abzug aus
Mazedonien gezwungen, so würden wir sie an unserer Westfront auf den
Hals bekommen haben. Ob wir dagegen die dadurch frei werdenden
bulgarischen Truppen irgendwo außerhalb des Balkans hätten einsetzen
können, erschien mir mindestens fraglich. Hatte doch schon die
Verwendung bulgarischer Divisionen außerhalb des unmittelbarsten
bulgarischen Interessengebietes während des rumänischen Feldzuges
nördlich der Donau zu nicht sehr erfreulichen
Nachrichten über die Entwicklung der politischen Verhältnisse in Griechenland klangen allerdings in der Zeit, in der die Frage eines Angriffs in Mazedonien an uns herantrat, also im Winter 1916/17, wie verführerische Lockrufe. Gegen solche Sirenenstimmen war ich aber völlig unempfindlich. Ich bezweifelte es, daß das Volk der Hellenen mit großer Begeisterung einen Kampf, ganz besonders aber einen solchen Schulter an Schulter mit den Bulgaren, ersehnte. Im großen und ganzen wäre es dabei um das gleiche Ziel gegangen wie 1913, und die beiden siegreichen Partner hätten sich auch diesmal wieder nach dem gemeinsamen Erfolge nicht poetisch in den Armen sondern prosaisch in den Haaren gelegen.
Aus meinen vorstehenden Ausführungen dürfte mit aller Klarheit
hervorgehen, daß die Anspannung der deutschen Kräfte durch die gesamte
Lage eine so hohe war, daß wir sie nicht durch weitere, außerhalb
unbedingtester kriegerischer und politischer Notwendigkeiten liegende
Absichten noch mehr steigern durften. Selbst vortreffliche Pläne, die
sichere Aussichten auf große kriegerische Erfolge boten, konnten uns
nicht von der zunächst wichtigsten Kriegsaufgabe ablenken. Diese war der
Kampf im Osten und
Wenn ich mir aufgrund der inzwischen eingetretenen Folgen meiner im Jahre 1917 ablehnenden Haltung gegen Operationen in Italien und Mazedonien heute nochmals die Frage vorlege, ob ich anders hätte entscheiden sollen und dürfen, so muß ich diese Frage auch jetzt noch verneinen. Ich glaube sagen zu können, daß der Gang der Ereignisse in Mitteleuropa späterhin unser Verhalten als das Richtige bestätigt hat. Wir konnten und durften nicht einen Zusammenbruch unserer West- oder Ostfront auf das Spiel setzen, um billige Lorbeeren in der oberitalienischen Tiefebene oder am Wardar zu pflücken.
Die Türkei war für 1917 mit besonderen Weisungen von unserer Seite nicht zu versehen. Sie hatte ihren Landbesitz zu verteidigen und uns die ihr gegenüberstehenden Kräfte vom Leibe zu halten. Gelang ihr beides, so erfüllte sie durchaus ihre Aufgabe im Gesamtrahmen des Krieges.
Um die hierfür nötigen Truppen kampfkräftig zu erhalten, hatten wir schon im Herbste 1916 bei der osmanischen Obersten Heeresleitung angeregt, sie möchte die Masse ihrer beiden kaukasischen Armeen aus dem entvölkerten und ausgesogenen armenischen Hochlande zurückziehen, um den Truppen die Überwinterung zu erleichtern. Der Befehl hierzu wurde zu spät erteilt. Infolgedessen erlagen ganze Truppenteile durch Hunger und Kälte dem vorausgesehenen Verderben. Kein Lied, kein Heldenbuch wird vielleicht ihr tragisches Ende je verkünden, so sei es an dieser bescheidenen Stelle getan.
Man denke an 70 Millionen Menschen, die im Halbhunger dahinleben, und an die Vielen unter ihnen, die langsam an seinen Wirkungen zugrunde gehen! Man denke an die vielen Säuglinge, die infolge Aushungerung der Mütter dahinsterben, und an die zahllosen Kinder, die zeitlebens siech und krank bleiben werden! Nicht im fernen Indien oder China, wo eine mitleidslose, kaltherzige Natur den segenspendenden Regen verweigert hat, sondern hier mitten in Europa, inmitten der Kultur und der Menschlichkeit! Ein Halbhunger, hervorgerufen durch den Machtspruch und durch die Gewalt von Menschen, die sich sonst mit ihrer Gesittung brüsten! Wo ist da Gesittung? Stehen sie als Menschen höher wie jene, die im armenischen Hochlande zum Grauen der ganzen zivilisierten Welt gegen Wehrlose wüteten und dafür vom Schicksal bestraft zu Tausenden einen elenden Tod fanden? Zu diesen hartgesinnten Anatoliern hat freilich kaum jemals ein anderer Geist als derjenige der Rache, sicherlich niemals derjenige der Nächstenliebe gesprochen.
Wohin zielt denn der Machtspruch jener sonst so „Gesitteten“? Ihr Plan ist klar. Sie haben eingesehen, daß ihre Kriegskraft nicht ausreicht zur Erkämpfung ihres tyrannischen Willens, daß ihre Kriegskunst unfruchtbar bleibt gegenüber ihrem Gegner mit stählernen Nerven. Man zermürbe also dessen Nerven! Gelingt es nicht durch den Kampf Mann gegen Mann, so gelingt es vielleicht von rückwärts her auf dem Wege über die Heimat. Man lasse die Weiber und Kinder hungern! Das wirkt „so Gott will“ auf den Gatten und Vater an der Kampffront ein, wenn auch nicht sofort, so doch allmählich! Vielleicht entschließen sich diese Gatten und Väter, die Waffen zu strecken, denn sonst droht in der Heimat der Tod von Weib und Kind, der Tod – der Gesittung. So denken Menschen und können dabei beten!
„Der Gegner überschüttet uns mit amerikanischen Granaten, warum versenken wir nicht seine Transportschiffe? Haben wir denn nicht das Mittel dazu? Rechtsfragen? Wo und wann denkt denn der Gegner an Recht?“ Das fragt der Soldat an unseren Fronten.
Heimat und Heer wenden sich mit solchen und ähnlichen Ausführungen an ihre Führer, nicht erst seit dem 29. August 1916, sondern schon lange vorher. Der Wille, die ganze Schärfe des Unterseebootkrieges anzuwenden, um die Leiden der Heimat abzukürzen und das Heer in seinem ungeheueren Ringen zu entlasten, war schon vor meiner Übernahme der Obersten Heeresleitung vorhanden. In diesem mitleidlosen Kampfe gegen unsere wehrlose Heimat gilt nur „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ Alles andere erscheint Erbarmungslosigkeit gegen das eigene Blut.
Wenn wir aber auch die Waffe und den Willen hatten, sie einzusetzen, so durften doch nicht Folgen außer acht gelassen werden, die aus der rücksichtslosen Anwendung dieses vernichtenden Kampfmittels entspringen konnten. Werden Rücksichten gegen den kaltherzigen Feind verneint, so gibt es doch Rücksichten gegen bisher neutrale seefahrende Nationen. Die Heimat darf durch Anwendung der Waffe nicht in größere Gefahren und Sorgen gebracht werden, als die sind, aus denen man sie befreien will. Es schwankt also der Entschluß, ein begreifliches Schwanken, bei dem auch menschliche Gefühle mitreden!
So finde ich die Lage bei meinem Erscheinen im Großen Hauptquartier.
Vereint mit den schweren Krisen zu Lande eine schwere bedeutungsvolle
Frage zu See. Nach dem ersten Anschein liegt die Entscheidung darüber
bei der Reichsleitung und beim Admiralstabe; doch ist auch die Oberste
Heeresleitung stark davon berührt. Ist es doch klar, daß wir aus
allgemein militärischen Gründen die Führung des Unterseebootkrieges
wünschen müssen. Die Vorteile, die wir hieraus für unsere
Landkriegführung erwarten können, sind mit den Händen zu greifen. Schon
dann, wenn auf gegnerischer Seite
In welchen Zusammenhang wir die Führung des Unterseebootkrieges zu der gesamten kriegerischen und politischen Lage brachten, ergibt sich aus einer Zuschrift vom Ende September 1916 unsererseits an die Reichsleitung. Diese Zuschrift sollte als Grundlage für eine Anweisung an unseren Botschafter in Washington dienen und lautete:
„Dem Grafen Bernstorff wird zu seiner persönlichen Unterweisung mitgeteilt, daß die Absicht der Entente, die Ost- und Westfront zu durchbrechen, bisher nicht gelungen ist und nicht gelingen wird, ebensowenig wie ihre Offensivoperationen von Saloniki her und in der Dobrudscha. Dagegen nehmen die Operationen der Mittelmächte gegen Rumänien erfreulichen Fortgang. Ob es hier aber gelingen wird, schon in diesem Jahre einen den Krieg beendenden Erfolg zu erringen, ist noch zweifelhaft. Daher muß vorläufig mit längerer Kriegsdauer gerechnet werden.
Demgegenüber verspricht sich die Kaiserliche Marine durch den rücksichtslosen Einsatz der vermehrten Unterseeboote angesichts der wirtschaftlichen Lage Englands einen schnellen Erfolg, der den Hauptfeind, England, in wenigen Monaten dem Friedensgedanken geneigt machen würde. Deshalb muß die Deutsche Oberste Heeresleitung den rücksichtslosen Unterseebootkrieg in ihre Maßnahmen einbeziehen, unter anderem auch, um die Lage an der Sommefront durch Verminderung der Munitionszufuhr zu entlasten und der Entente das Vergebliche ihrer Anstrengungen an dieser Stelle vor Augen zu führen. Schließlich können wir nicht ruhig zusehen, wie England in der Erkenntnis der vielen Schwierigkeiten, mit denen es zu rechnen hat, mit allen Mitteln die neutralen Mächte bearbeitet, um seine militärische und wirtschaftliche Lage zu unseren Ungunsten zu verbessern. Aus allen diesen Punkten müssen wir die Freiheit unserer Handlungen, die wir in der Note vom 4. Mai uns vorbehielten, wiedergewinnen.
Die Gesamtlage würde sich aber vollständig ändern, falls Präsident Wilson, seinen angedeuteten Absichten folgend, den Mächten einen Friedensvermittlungsantrag macht. Dieser müßte allerdings ohne bestimmte Vorschläge territorialer Art gehalten sein, da diese Fragen Gegenstand der Friedensverhandlungen seien. Eine diesbezügliche Aktion müsse aber bald erfolgen. Wolle Wilson bis nach seiner Wahl oder bis kurz vor derselben warten, so würde er zu einem solchen Schritte kaum mehr Gelegenheit finden. Auch dürften die Verhandlungen nicht erst auf Abschluß eines Waffenstillstandes abzielen, sondern müßten lediglich unter den Kriegsparteien geführt werden und innerhalb kurzer Frist unmittelbar den Präliminarfrieden bringen. Ein längeres Hinausziehen würde die militärische Lage Deutschlands verschlechtern und auch weitere Vorbereitungen der Mächte zur Fortsetzung des Krieges bis in das nächste Jahr zur Folge haben, sodaß an einen Frieden in absehbarer Zeit dann nicht mehr zu denken wäre.
Graf Bernstorff soll die Angelegenheit mit Colonel House – dem Mittelsmann, durch welchen er mit dem Präsidenten verhandelt – besprechen und die Absichten des Mr. Wilson in Erfahrung bringen. Eine Friedensaktion des Präsidenten, die nach außen hin am besten spontan erscheinen würde, würde bei uns ernsthaft in Erwägung gezogen werden, und diese würde ja auch für die Wahlkampagne Wilsons schon einen Erfolg bedeuten.“
Die schwierigste Frage ist und bleibt: „Innerhalb welcher Zeitspanne wird der Erfolg des Unterseebootkrieges erreicht werden können?“ Der Admiralstab kann hierfür natürlich nur unbestimmte Angaben machen. Aber selbst seine, wie er sagt, auf vorsichtigster Berechnung aufgestellten Schätzungen sind so günstig für uns, daß ich grundsätzlich die Gefahr in den Kauf nehmen zu können glaube, uns mit der Anwendung des neuen Kampfmittels einen oder den anderen neuen Gegner auf den Hals zu ziehen.
Mochte die Marine auch noch so sehr drängen, so verlangten doch politische und militärische Rücksichten eine Verzögerung des Beginns des uneingeschränkten Unterseebootkrieges über den Herbst 1916 hinaus. Wir durften in der damals so hochgespannten Kriegslage keine neuen Gegner auf uns ziehen. Wir mußten jedenfalls warten, bis wir einen günstigen Abschluß des rumänischen Feldzuges überblicken konnten. Gelang ein solcher, so verfügten wir über genügend Kräfte, um angrenzende neutrale Staaten von einem Eintritt in die Reihen unserer Gegner abhalten zu können, mochte England auch deren wirtschaftliche Bedrückung noch weiter steigern.
Zu den Rücksichten aus militärischen Gründen treten solche aus politischen. Bevor sich unser Friedensschritt nicht als ein völliger Fehlschlag erwies, wollten wir an die verstärkte Anwendung der Unterseebootwaffe nicht denken.
Als dann aber dieser Friedensschritt scheiterte, gab es für mich nur
noch militärische Rücksichten. Die Entwicklung unserer Kriegslage,
besonders in Rumänien, bis Ende Dezember gestattete nun
Am 9. Januar 1917 gab unser Allerhöchster Kriegsherr gegen die Ansicht des Reichskanzlers von Bethmann auf Vorschlag des Admiralstabs und Generalstabs die bejahende Entscheidung. Wir waren uns alle nicht im Zweifel über die Schwere des Schrittes.
Jedenfalls gab aber die Anwendung des Unterseebootkrieges mit seinen verlockenden Aussichten Heer und Heimat lange Zeit hindurch eine große moralische Stärkung für Fortführung des Landkrieges.
Angesichts des für uns verhängnisvollen Ausgangs des Krieges hat man die
Erklärung des uneingeschränkten Unterseebootkrieges für ein
Vabanquespiel halten zu müssen geglaubt. Damit versuchte man diesen
unseren Entschluß politisch und militärisch wie auch moralisch
herabzuwürdigen. Man übersieht bei diesem Urteil, daß nahezu alle
entscheidenden Entschlüsse, und zwar nicht nur diejenigen im Kriege, ein
schweres Risiko in sich tragen, ja, daß die Größe einer Tat
hauptsächlich darin liegt und daran zu messen ist, daß ein hoher Einsatz
gewagt wird. Wenn ein Feldherr auf dem Schlachtfelde seine letzten
Reserven in den Kampf schickt, so tut er nichts anderes, als was sein
Vaterland mit Recht von ihm fordert: Er nimmt die volle Verantwortung
auf sich und beweist den Mut zum letzten entscheidenden Schritt, ohne
den der Sieg nicht zu erringen wäre. Ein Führer, der es nicht auf sich
nehmen kann oder will, die letzte Kraft an den Erfolg zu setzen, ist ein
Verbrecher an dem eigenen Volk. Mißlingt ihm der Schlag, dann freilich
wird er von dem Fluch und dem Hohn der Schwachen und Feiglinge
getroffen. Das ist nun einmal das Schicksal des Soldaten. Es würde jeder
Größe entbehren, wenn es nur auf sicheren Berechnungen sich gründen
ließe, und wenn die Erringung des Lorbeers nicht abhängig wäre von dem
Mute der Verantwortung. Diesen Mut heranzubilden, war Ziel unserer
deutschen militärischen Erziehung. Sie konnte dabei hinweisen auf
„Das schönste Manöver, das ich je auf Erden habe ausführen sehen, ist die Tat des Greises Blücher, der zu Boden geworfen wurde, unter die Hufe der Pferde geriet und sich aus dem Staube erhob, auf seine besiegten Soldaten losstürmte, ihrer Flucht Einhalt gebot und sie von der Niederlage bei Ligny dem Triumph von Waterloo entgegenführte.“
Ich möchte dieses Kapitel nicht schließen, ohne meine Zweifel der Behauptung gegenüber zu äußern, daß mit dem Eintritt Amerikas in die Reihen unserer Gegner unsere Sache endgültig verloren gewesen sei. Warten wir erst einmal den Einblick in die Krisen ab, in die wir durch unseren Unterseebootkrieg und durch unsere zeitweise großen Erfolge zu Lande vom Frühjahr 1917 ab unsere Gegner versetzten. Wir werden dann vielleicht erfahren, daß wir so manchmal nahe daran waren, den Siegerkranz an uns zu reißen, und wir werden auch vielleicht erkennen lernen, daß andere als militärische Gründe uns um ein erfolgreiches oder wenigstens erträgliches Kriegsende brachten.
Nach erfolgreicher Beendigung des rumänischen Feldzuges und der dadurch eingetretenen Entspannung der Ostlage mußte das Schwergewicht unserer demnächstigen Tätigkeit im Westen gesucht werden. Dort war jedenfalls ein frühzeitiger Beginn der Kämpfe im folgenden Feldzugsjahre zu erwarten. Wir wollten dem Schauplatz dieser Schlachten nahe sein. Von einem im Westen gelegenen Hauptquartier bot sich leichter und weniger zeitraubend die Möglichkeit, mit den Oberkommandos der Heeresgruppen und Armeen in unmittelbare persönliche Berührung zu treten. Dazu kam, daß Kaiser Karl einerseits in der Nähe der politischen Behörden seines Landes zu sein wünschte und andererseits auf den unmittelbaren persönlichen Verkehr mit seinem Generalstab nicht verzichten wollte. Das k. u. k. Armee-Oberkommando siedelte daher in den ersten Monaten des Jahres 1917 nach Baden bei Wien über. Damit entfiel für Seine Majestät unseren Kaiser und für die Oberste Heeresleitung jeder Grund, weiterhin in Pleß zu bleiben. Wir verlegten im Februar das Hauptquartier nach Kreuznach.
Beim Abschied von Pleß war es mir ein besonderes Bedürfnis, dem dortigen Fürsten und seiner Beamtenschaft für die große Gastfreundschaft zu danken, die uns in der Unterbringung aller Befehlsstellen und in unserm Privatleben erwiesen worden war. Ich selbst hatte obenein dankbar mancher herrlichen Pirschfahrt an ausnahmsweise dienstfreien Abenden sowohl im Plesser- wie auch im benachbarten Neudecker Revier zu gedenken.
An die Gegend, in die wir nun kamen, knüpften sich für mich Erinnerungen
aus meiner früheren Tätigkeit als Chef des Generalstabes in der
Rheinprovinz. Auch die Stadt Kreuznach selbst war mir damals bekannt
geworden. Ihre Einwohner wetteiferten jetzt in Beweisen rührender
Freundlichkeit. Diese äußerte sich unter anderem
Kurz nach unserem Weggang von Pleß trat Generaloberst von Conrad von der Heeresleitung Österreich-Ungarns zurück, um den Oberbefehl an der Front Südtirols zu übernehmen. Die Ursache seines Abganges ist mir nicht bekannt geworden. Ich glaubte sie auf persönlichem Gebiete suchen zu müssen, da sachliche Gründe meines Erachtens nicht vorlagen. Ich bewahre ihm ein treues, kameradschaftliches Gedenken. Sein Nachfolger wurde General von Arz. Ein praktischer Kopf mit gesunden Anschauungen, ein trefflicher Soldat, also gleich seinem Vorgänger ein wertvoller Kampfgenosse! Er ging auf das Wesen der Dinge los und verachtete den Schein. Ich glaube, daß uns beiden die Abneigung gegen die Beschäftigung mit politischen Fragen gemeinsam war. Was unter den früher von mir berührten schwierigen Verhältnissen in der Donaumonarchie erreicht werden konnte, hat General von Arz nach meiner Überzeugung mit bewundernswürdiger Ausdauer geleistet. Er hat sich über die ganze Schwere seiner Aufgabe keinem Zweifel hingegeben. Um so mehr ist es anzuerkennen, daß er mit so mannhaftem Vertrauen an sie herantrat.
Für mich persönlich brachte der Aufenthalt in Kreuznach Anfang Oktober die Feier meines 70jährigen Geburtstages.
Seine Majestät mein Kaiser, König und Herr, hatte die große Gnade, mir als Erster an diesem Tage persönlich seine Glückwünsche in meinem Heim auszusprechen. Das war für mich die größte Weihe des Tages!
Auf dem Wege zu unserem Dienstgebäude begrüßte mich später in der
strahlenden Herbstsonne die Kreuznacher Jugend; vor dem Eingang zur
gemeinsamen Arbeitsstätte erwarteten mich meine Mit
Das Ende des Tages brachte ein kleines kriegerisches Zwischenspiel. Aus einer mir nie bekannt gewordenen Ursache hatte sich das Gerücht von der Wahrscheinlichkeit eines großen feindlichen Fliegerangriffes auf unser Großes Hauptquartier für den heutigen Tag verbreitet. Möglich auch, daß das eine oder andere Flugzeug des Gegners, wie so oft, an diesem Abend den Weg von der Saar- zur Rheinlinie oder zurück längs der Nahe suchte. Kein Wunder, wenn die Phantasien lebhafter arbeiteten als sonst, und wenn in der Nacht zwischen der Erde und dem strahlenden Mond mehr gesehen und gehört wurde, als tatsächlich vorhanden war. Kurzum, gegen Mitternacht eröffneten unsere Flugabwehrgeschütze ein heftiges Dauerfeuer. Dank der hohen Feuergeschwindigkeit erschöpfte sich rasch die vorhandene Munition, und ich konnte ruhig einschlafen in dem Gedanken, nun nicht weiter gestört zu werden. Beim Vortrag des folgenden Tages zeigte mir der Kaiser eine große Schale, angefüllt mit Sprengstücken deutscher Geschosse, die in dem Garten seines Quartiers gesammelt worden waren. In einer gewissen Gefahr hatten wir also doch geschwebt.
Ein Teil der Kreuznacher hatte übrigens die nächtliche Schießerei für den militärischen Abschluß meines Geburtstagsfestes gehalten.
Mit größter Spannung sahen wir vom Eintritt der besseren Jahreszeit ab dem Beginn des erwarteten allgemeinen gegnerischen Angriffes im Westen entgegen. Wir hatten uns durch die Neugruppierung unserer Kräfte auf ihn strategisch vorbereitet, aber wir hatten im Laufe des Winters auch in taktischer Beziehung alle Maßnahmen getroffen, dieser jedenfalls größten aller bisherigen feindlichen Kraftanstrengungen zu begegnen.
Zu diesen Maßnahmen gehörten nicht in letzter Linie die Änderungen unseres bisherigen Verteidigungsverfahrens. Sie wurden von uns auf Grund der Erfahrungen in den bisherigen Kämpfen verfügt. Nicht mehr aus einzelnen Linien und Stützpunkten sondern aus Liniensystemen und Stützpunktgruppen sollten in Zukunft unsere Verteidigungsanlagen bestehen. In den dadurch gebildeten tiefen Zonen wollten wir die Truppen nicht in zusammenhängenden, starren Fronten, sondern in reicher Gruppierung und Gliederung nach der Breite und Tiefe aufbauen. Der Verteidiger hatte seine Kräfte beweglich zu halten, um der vernichtenden feindlichen Wirkung während des Vorbereitungskampfes auszuweichen, hier und dort unhaltbar gewordene Stellungsteile freiwillig preiszugeben und dann im Gegenstoß das wieder zu gewinnen, was zur Behauptung der allgemeinen Stellung nötig war. Diese Grundsätze galten im Kleinen wie im Großen.
Der verheerenden Wirkung der feindlichen Artillerie und Minenwerfer und den überraschenden gegnerischen Anstürmen setzten wir also eine Vermehrung und reichere Gliederung unserer Verteidigungsanlagen und die Beweglichkeit unserer Kampfmittel entgegen. Gleichzeitig wurde der Grundsatz verwirklicht, in den vorderen Widerstandslinien durch Erhöhung der Zahl der Maschinengewehre Menschenkräfte zu schonen und damit solche zu sparen.
Mit dieser tiefgreifenden Änderung unseres Verteidigungsverfahrens nahmen wir ohne Zweifel ein Wagnis auf uns. Dies bestand in erster Linie darin, daß wir mitten im Kriege den Bruch mit taktischen Gewohnheiten und Erfahrungen forderten, in die sich die untere Führung und die Truppe eingelebt hatten, und die sie vielfach mit begreiflichen Vorurteilen schätzten. Der Übergang von einer taktischen Anschauung in eine andere bedeutet schon im Frieden eine gewisse Krisis. Er bringt auf der einen Seite Übertreibungen im Neuen, auf der anderen schwer belehrbares Festhalten am Alten mit sich. Mißverständnisse drängen sich in den klarsten Wortlaut der Vorschriften ein; selbständige und willkürliche Auslegungen feiern Orgien; das Trägheitsmoment im menschlichen Denken und Handeln wird manchmal nicht ohne kräftigsten Antrieb überwunden.
Aber nicht nur aus diesen Gründen bedeuteten unsere taktischen
Änderungen einen gewagten Schritt. Fast noch schwerer war es, die Frage
zu bejahen, ob denn unser Heer mitten im Kriege in seiner jetzigen
Verfassung imstande sein würde, diese Änderungen in sich aufzunehmen und
auf die Wirklichkeit des Schlachtfeldes zu übertragen. Wir konnten uns
nicht im Zweifel darüber sein, daß das Kriegsinstrument, mit dem wir
jetzt zu arbeiten hatten, mit demjenigen der Jahre 1914 und 1915, ja
selbst mit demjenigen des Beginnes von 1916 kaum noch zu vergleichen
war. Eine Unsumme herrlichster Kraft lag in unseren Ehrenfriedhöfen
gebettet oder war mit zertrümmerten Gliedern oder krankem Körper an die
Heimat
Unser neues Verteidigungsverfahren stellte an die moralische Kraft und an das Können der Truppe hohe Anforderungen, indem es den festen äußeren Zusammenhalt der Verteidigung lockerte und damit die Selbständigkeit kleinster Teile zum höchsten Grundsatz erhob. Der taktische Zusammenhang war nicht mehr in äußerlich sichtbaren Linien und Gruppen gegeben, sondern im geistigen Bande taktischen Zusammengreifens. Es liegt keine Übertreibung darin, wenn ich sage, daß unter den vorliegenden Verhältnissen in dem Übergang zu diesen neuen Grundsätzen die größte Vertrauenskundgebung lag, die wir der geistigen und sittlichen Kraft unseres Heeres, und zwar all seiner Teile, aussprechen konnten. Schon die nächste Zukunft mußte den Beweis liefern, ob dieses Vertrauen gerechtfertigt war.
Das erste Unwetter im Westen bricht nach begonnenem Frühjahr los. Am
9. April gibt der englische Angriff bei Arras den Auftakt zur großen,
feindlichen Frühjahrsoffensive. Der Angriff wird tagelang vorbereitet
mit der ganzen brutalen Wucht feindlicher Artillerie- und
Minenwerfer-Massen, nichts von Überraschungstaktik
Eine schwere Krise tritt ein. Eine jener Lagen, in der alles haltlos geworden zu sein scheint. „Krisen muß man vermeiden“, ruft der Laie. Der Soldat kann ihm nur antworten: „Dann verzichten wir besser von vornherein auf den Krieg, denn sie sind unvermeidlich. Sie liegen einfach in der Natur des Krieges und kennzeichnen ihn als das Gebiet des Ungewissen und der Gefahr. Nicht Krisen zu vermeiden sondern sie zu überwinden, ist Aufgabe der Kriegskunst. Wer schon vor ihrem Drohen zurückschrecken wollte, bindet sich selbst die Hände, wird ein Spielball des kühneren Gegners und geht bald in einer Krisis zu Grunde.“
Ich will hiermit nicht behaupten, daß die Krisis am 9. April nach all den Vorbereitungen, die man zu treffen imstande gewesen wäre, nicht hätte vermieden werden können. Sie brauchte wenigstens nicht in dieser furchtbaren Größe einzutreten, wenn man mit rechtzeitig herangeholten Reserven im Gegenstoß dem feindlichen Einbruch entgegenging. Mit schweren örtlichen Erschütterungen der Verteidigung wird man freilich bei solch höllischer Vorbereitung des Angriffs immer rechnen müssen.
Der abendliche Vortrag entwirft an diesem 9. April ein düsteres Bild,
viel Schatten, wenig Licht. Doch man muß in solchen Fällen nach Licht
suchen. Ein Strahl, wenn auch noch in unsicheren Umrissen, deutet sich
an. Der Engländer scheint es nicht verstanden zu haben, den errungenen
Erfolg bis zu seinem letztmöglichen Ergebnis auszunützen. Ein Glück für
uns, jetzt, wie schon manch
Ein anderes Schlachtbild: Auch bei Soissons und von da ab weit hin nach Osten bis in die Gegend von Reims donnern gleichfalls von der ersten Aprilwoche ab die französischen Kanonen; viele hundert feindliche Minenwerfer schleudern dort ihre Geschosse. Hier befehligt Nivelle, wohl dank seines berechtigten Ruhmes von Verdun. Auch er hat aus seinen letzten Erfahrungen bei Verdun nicht die taktischen Folgerungen gezogen, die wir erwarteten. Tage-, ja eine Woche lang wütet das französische Feuer. Unsere Verteidigungszonen sollen in ein Trümmer- und Leichenfeld verwandelt, was vielleicht noch zufällig der körperlichen Zerstörung entgeht, soll wenigstens seelisch gebrochen werden. In dieser furchtbaren Esse scheint die Erreichung solcher Absicht außer Zweifel zu stehen. Endlich hält Nivelle unsere Truppen für vernichtet oder wenigstens hinreichend zermürbt. Er läßt seine siegessicheren Bataillone am 16. April zum Sturme, wir wollen besser sagen, zur Ernte der in der Feuerglut gereiften Früchte antreten. Da geschieht das Unbegreifliche. Zwischen den Trümmern und Trichtern erhebt sich deutsches Leben, deutsche Kraft und deutscher Wille und schleudert sein Verderben in die stürmenden Linien und die ihnen folgenden, in unserem losbrechenden Feuer wirbelnden und sich zusammenballenden Haufen. Wohl wird der deutsche Widerstand an den am schwersten erschütterten Stellen niedergetreten, aber was bedeutet in diesem Riesenkampfe ein Verlust von einzelnen Stellungsteilen gegenüber der siegreichen Behauptung der allgemeinen Front?
Die Schlacht zeigt schon in den ersten Tagen eine ausgesprochene französische Niederlage. Der blutige Rückschlag wirft die französische Führung und Truppe in bitterste, ja verbitterte Enttäuschung.
Der Kampf bei Arras, bei Soissons und bei Reims tobt noch wochenlang. Er bringt nur einen einzigen taktischen Unterschied gegenüber dem Ringen an der Somme im vergangenen Jahre, und den möchte ich zu erwähnen nicht vergessen: der Gegner erringt nämlich über die ersten Tage hinaus nirgends mehr einen nennenswerten Erfolg, und schon nach wenigen Wochen sinkt er auf seinen Angriffsfeldern erschöpft in den Stellungskrieg zurück. Unser Abwehrverfahren hat sich also doch noch glänzend bewährt!
Und nun noch ein drittes Bild: Die Szenen spielen sich ab auf den Höhen von Wytschaete und Messines, nordwestlich Lille, angesichts des Kemmel. Es ist der 7. Juni. Also ein Zeitpunkt, an dem das Scheitern der vorher erwähnten Kämpfe schon zweifelsfrei feststeht. Die Lage auf den Wytschaeter Höhen, dem Schlüsselpunkt des dortigen Stellungsbogens, ist wenig günstig für neuzeitliche Verteidigung. Der verhältnismäßig schmale Rücken gestattet nicht die Anwendung einer genügend tiefen Zone. Das vorderste Grabensystem liegt auf den Westhängen und bietet feindlicher Artillerie treffliche Ziele. Das feuchte Erdreich rutscht im Sommer und Winter, der Boden ist vielfach vom Minenkrieg zerwühlt, einer Kampfart, die früher gerade hier um den Besitz der wichtigsten Stellungsteile mit äußerster Erbitterung angewendet worden war. Doch hört man seit langem nichts mehr von unterirdischem Wühlen. Nicht nur von Westen, sondern auch von Süd und Nord her ist die Verteidigung auf den Höhen bei St. Eloi sowie an den beiden Eckpfeilern Wytschaete und Messines durch die gegnerische Artillerie zu fassen.
Der Engländer bereitet seinen Angriff in gewohnter Weise vor. Der
Verteidiger leidet schwer, schwerer als nur irgendwo bisher. Auf unsere
besorgte Frage, ob die Höhen nicht besser freiwillig geräumt würden,
erfolgt die mannhafte Antwort: „Wir werden
Das bisherige Gesamtergebnis der großen feindlichen Offensive im Westen war nach meinem Urteil für uns nicht unbefriedigend. Geschlagen waren wir nirgends. Selbst die bedenklichsten Gefahren hatten wir aufgefangen. Nirgends war es dem Feinde gelungen, über einen mäßigen Geländegewinn hinaus größere Ziele zu erreichen, geschweige denn aus der Durchbruchsschlacht zur freien Operation übergehen zu können. Die Auswertung dieser unserer Erfolge im Westen sollte auch diesmal an anderen Fronten stattfinden.
Noch bevor der wilde Tanz an unserer Westfront begann, erneuerte Sarrail
seine Angriffe in Mazedonien mit dem Schwergewicht bei Monastir. Auch
diese Ereignisse zogen unsere volle Aufmerksamkeit auf sich. Waren doch
die Ziele des Gegners auch hier sehr weitgesteckt. Gleichzeitig mit
diesem Ansturm gegen die bulgarische Front veranlaßte der Feind einen
Aufstand in Serbien, hierdurch unsere Verbindungen auf der
Balkanhalbinsel gefährdend.
Die Schlacht an der mazedonischen Front wurde mit großer Erbitterung geführt. Der bulgarischen Armee gelang es, ohne daß wir ihr weitere deutsche Unterstützung zusenden mußten, ihre Stellungen nahezu restlos zu behaupten. Ein uns sehr befriedigendes Ergebnis! Unser Verbündeter hatte sich sehr gut geschlagen. Er erkannte damals rückhaltslos an, daß sich die deutsche Arbeit in seinen Kampfreihen bestens bewährt hatte. Ich gewann daraus die Überzeugung, daß die bulgarische Armee ihrer Aufgabe auch weiterhin gewachsen sei. Dies bestätigte sich bei Erneuerung der Angriffe der Entente im Mai. Auch diesmal wurden deren Anstürme in ihrer Ausdehnung von Monastir bis zum Doiran-See völlig zum Scheitern gebracht.
Im armenischen Hochlande war es still geblieben. Gelegentliche kleinere Zusammenstöße im Winter schienen mehr durch Beutezüge als durch das Erwachen der Kampflust auf einer der beiden Seiten veranlaßt worden zu sein. Der Russe hatte unter dem Einfluß der auch bei ihm bestehenden ungeheuren Nachschubschwierigkeiten die Masse seiner Truppen aus den wildesten und verödetsten Hochgebirgsteilen in bessere Verpflegungsgebiete des Landesinnern zurückgezogen. Die völlige Erstarrung der russischen Kampflust war aber überraschend. Wir erhielten von türkischer Seite keine Nachricht, die uns die Gründe hierfür hätte erkennen lassen.
Im Irak griff der Engländer im Februar an und kam schon am 11. März in den Besitz von Bagdad. Diesen Erfolg verdankte er einer geschickten Umgehung der starken türkischen Front.
In Südpalästina, bei Gaza, brach dagegen der englische Angriff, mit
erdrückender Überlegenheit aber rein frontal und mit geringem taktischen
Geschick geführt, vor den türkischen Linien vollständig
Die Rückwirkung dieser Ereignisse in Asien auf unsere gesamte Kriegslage werde ich noch zu besprechen haben.
Noch bevor Franzosen und Engländer im Westen zum allgemeinen Angriff antraten, erbebte die russische Front in ihren Grundfesten. Unter unseren bisherigen wuchtigen Schlägen hatte das Gefüge des russischen Staates sich zu lockern begonnen.
Wie ein Alpdruck hatte der plumpe russische Koloß bisher auf der ganzen europäischen und asiatischen Welt gelastet. Nun begann es, sich innerhalb seiner Masse zu dehnen und zu recken. Tiefgreifende Risse traten an die Oberfläche und durch die entstandenen Spalten gewann man bald Einblick in die Glut politischer Leidenschaften und in das Getriebe teuflisch roher Kräfte. Das Zarentum stürzt! Wird sich eine neue Macht finden, die diese politischen Leidenschaften im Eishauch sibirischer Gefängnisse wieder zur Erstarrung bringt und die wilden Gewalten wieder unter Gräberhügeln erdrückt?
Rußland in Revolution! Wie oft hatten uns wirkliche oder sogenannte Kenner des Landes das Nahen dieses Ereignisses verkündet. Ich hatte den Glauben daran verloren. Nun da es eintrat, löste es in mir keineswegs Gefühle politischer Genugtuung, wohl aber solche kriegerischer Erleichterung aus. Auch diese letzteren traten erst langsam in Geltung. Ich fragte mich: war der Sturz des Zaren ein Sieg der Kriegs- oder der Friedensströmung? Hatten die Totengräber des bisherigen Zarentums nur gearbeitet, um mit dem letzten Träger der Krone den uns bekannten Friedenswillen hoher russischer Kreise und die Friedenssehnsucht breiter Massen zum Falle zu bringen?
Solange das Verhalten des russischen Heeres auf diese Frage keine klare Antwort gab, war und blieb unsere Lage Rußland gegenüber unsicher. Der Zersetzungsprozeß hatte im russischen Staat zweifellos eingesetzt. Kam es nicht bald zur Errichtung einer Diktatur mit gleich rücksichtsloser Gewalt wie die eben gestürzte, so schritt diese Zersetzung weiter, wenn auch in dem großen schweren russischen Koloß mit seinen plumpen Lebensäußerungen vielleicht langsamer als sonstwo. Unser Plan ist von Anfang an, diesen Gang der Ereignisse nicht zu stören, wir müssen nur auf der Hut sein, daß er uns nicht stört: ja vielleicht zerstört. Man muß in dieser Lage an die Lehren der Kanonade von Valmy denken, die mehr als hundert Jahre früher die aufgewühlten und zerrissenen französischen Volkskräfte wieder zusammenschweißte und den Antrieb gab zu jener großen blutroten Flut, die ganz Europa überschwemmte. Freilich, das Rußland des Jahres 1917 verfügt nicht mehr über die großen, unverbrauchten Menschenmassen des damaligen Frankreichs. Des Zarenreiches beste und tauglichste Kräfte stehen an der Front oder liegen in Massengräbern vor und hinter unseren Linien.
Der Verzicht, der mir persönlich durch ruhiges Warten angesichts der beginnenden russischen Zersetzung auferlegt wird, ist groß. Kann ich mich jetzt aus politischen Gründen mit einer Offensive an der Ostfront nicht befreunden, so drängt das soldatische Empfinden zu einem Angriff im Westen. Ich denke an das Stocken des englischen Angriffs bei Arras, an die schwere Niederlage Frankreichs zwischen Soissons und Reims. Gibt es einen näher liegenden Gedanken als den, alle brauchbaren Kampftruppen vom Osten nach dem Westen zu werfen und dort zum Angriff vorzugehen? Noch ist Amerika weit weg. Mag es kommen, nachdem auch Frankreichs Kräfte gebrochen sind. Dann kommt es zu spät!
Die ihr drohende schwere Gefahr erkennt aber auch die Entente, und sie
arbeitet mit allen Mitteln, um den Zusammenbruch der russi
Durch diese Gegenwirkung werden uns auch diesmal die größten Siegesaussichten geraubt. Die russische Front wird gehalten, nicht durch eigene Stärke, sondern hauptsächlich durch die agitatorischen Mittel, die unsere Feinde dorthin bringen, und die ihre Zwecke erreichen, selbst gegen den Willen der russischen Massen.
Hätten wir nicht vielleicht doch angreifen sollen, als sich die ersten Zerreißungen im russischen Gebäude zeigten? Verdarben uns nicht vielleicht politische Gesichtspunkte die schönsten Früchte unserer bisherigen größten Erfolge?
Unsere Beziehungen zum russischen Heere an der Ostfront entwickeln sich
zunächst in immer ausgesprochenerem Grade zu einem Waffenstillstand,
wenn auch ohne schriftliche Festsetzung. Die russische Infanterie
erklärte allmählich fast überall, daß sie nicht mehr kämpfen würde. Doch
bleibt sie mit der ihrer Masse eigenen Stumpfheit in ihren Gräben
sitzen. Wo die gegenseitigen Beziehungen allzu offenkundig
freundschaftliche Verkehrsformen annehmen, schießt die russische
Artillerie ab und zu dazwischen. Diese Waffe ist noch in den Händen
ihrer Führer, nicht aus einem ihr angeborenen konservativen Sinn,
sondern weil sie nicht in so viele selbständige Köpfe zerfällt als ihre
Schwesterwaffe. Der Einfluß der Ententeagitatoren und Offiziere macht
sich in den russischen Batterien noch durchgreifend geltend. Der
russische Infanterist schimpft zwar über diese Störung der ihm so
willkommenen Waffenruhe, verprügelt wohl auch hier und da mal
Die russische Kriegsunlust ist am ausgesprochensten auf dem nördlichen Flügel. Von da nimmt sie nach Süden ab. Der Rumäne ist augenscheinlich von ihr unberührt. Vom Mai ab zeigt sich auch im Norden, daß die Führung die Zügel wieder in die Hand bekommt. Die Freundschaft zwischen den beiderseitigen Schützengräben hört mehr und mehr auf. Man kehrt wieder zu den alten Umgangsformen mit den Waffen in der Hand zurück. Bald ist auch kein Zweifel mehr, daß im Rückengebiet der russischen Front mit aller Kraft gearbeitet und diszipliniert wird. So wird das russische Heer wenigstens zum Teil wieder widerstandsbereit, ja sogar angriffsfähig gemacht. Die Kriegsströmung hat sich durchgesetzt, und Rußland schreitet zu einer großen Offensive unter Kerenski.
Kerenski, nicht Brussilow? Den letzteren haben wohl die Ströme eigenen Volksblutes, die im Jahre 1916 in Galizien und Wolhynien flossen, von dieser höchsten Stelle hinweggerissen, ähnlich wie es in diesem Frühjahr Nivelle in Frankreich erging. Auch in dem menschenreichen Rußland scheint man demnach empfindsam geworden zu sein gegen Massenopfer. Man hat im großen Schuldbuch des Krieges die Seite aufgeschlagen, auf der die russischen Verluste verzeichnet sind, die Zahl ist aber nicht erkennbar. Fünf oder acht Millionen? Auch wir haben keine Ahnung von ihrer Größe. Wir wissen nur, daß wir ab und zu in den Russenschlachten die Hügel der feindlichen Leichen vor unseren Gräben entfernen mußten, um das Schußfeld gegen neuanstürmende Gewalthaufen frei zu bekommen. Mag die Phantasie hieraus die Zahl der Verluste zusammenstellen, eine richtige Berechnung bleibt für ewig ein mißlingender Versuch.
Ob Kerenski aus eigenem Entschluß oder durch die Lockungen und den Zwang
der Entente zum Angriff bewogen wird, ist schwer
Die Aussichten für die Offensive Kerenskis gegen die deutsche Front sind freilich jetzt kaum besser als in früheren Zeiten. Mögen auch gute, deutsche Divisionen nach dem Westen gezogen worden sein, die verbliebenen genügen, um einen russischen Anprall auszuhalten. Zu einer langandauernden Sturmflut wie 1917 wird der Angriff nicht werden, dazu fehlt dem Gegner die innere Kraft. Zahlreiche russische Freiheitsverkünder durchziehen plündernd das Rückengebiet der Armee oder strömen der Heimat zu. Auch gute Elemente verlassen die Front, aus Sorge um Angehörige und Besitz angesichts der drohenden innerpolitischen Katastrophe.
Bedenklich liegen dagegen die Verhältnisse an der
österreichisch-ungarischen Front; es ist zu befürchten, daß dort auch
jetzt wieder, wie 1916, der russische Ansturm schwache Stellen finden
wird. Vielleicht, ja sicher wohl, hat Kerenski darüber die gleichen
Nachrichten, wie wir. Wird uns doch schon im Frühjahr durch einen
Vertreter der verbündeten Macht ein tiefernstes Bild von dortigen
Zuständen
Aus ähnlichem Einblick, den Überläufer ihm liefern, wird sich wohl Kerenskis Kriegsplan ergeben haben, nämlich: Örtliche Angriffe gegen die Deutschen, um diese zu binden, den Massenstoß aber gegen die k. u. k. Mauer. Und so geschah es.
Bei Riga, Dünaburg und Smorgon greift der Russe die deutschen Stellungen an und wird zurückgetrieben. Die Mauer in Galizien erweist sich nur da als steinern, wo österreichisch-ungarische Truppen mit deutschen vereint stehen. Dagegen stürzt die österreichisch-slawische Wand bei Stanislau vor dem einfachen Pochen Kerenskis. Aber Kerenskis Truppen sind nicht mehr Brussilows Truppen. Ein Jahr verging seit des letzteren Offensive. Es war ein Jahr schwerer Verluste und tiefer Zersetzung für das russische Heer. So dringt die russische Offensive trotz günstigster Aussichten auch bei Stanislau nicht vollständig durch.
Die russische Saat ist nun endlich zum Schneiden reif. Die Schnitter stehen auch schon bereit. Es ist die Zeit, in der auch auf den Fluren der deutschen Heimat die wirkliche Ernte beginnt. Mitte Juli!
Gegenstoß! Keine Truppe, kein Führer an der Front kann diese Nachricht mit freudigerer Genugtuung vernommen haben, wie ich sie empfand, als ich endlich den Zeitpunkt hierfür gekommen sah.
An früherer Stelle habe ich unsere Lage bis zum Frühjahr 1917 als eine große strategische Bereitstellung bezeichnet. Unsere Reserven waren dabei freilich nicht eng vereinigt, wie etwa die Heeresmassen Napoleons, als er im Herbste 1813 den Angriff der ihn von allen Seiten umringenden Gegner erwartete. Die ungeheuren Räume, die wir zu beherrschen hatten, verboten ein derartiges Verfahren. Die Leistungen unserer Eisenbahnen ermöglichten andererseits, auch weit verstreut stehende Verfügungstruppen rasch zu einem Stoß auf ein gewähltes Operationsfeld zu werfen.
Die Abwehrkämpfe im Westen hatten an dem Bestand unserer Reserven stark
gezehrt. Mit dem verbliebenen Reste dort eine Gegenoffensive zu machen,
verboten die Stärkeverhältnisse und die Kampfschwierigkeiten. Dagegen
schienen diese unsere Kräfte auszureichen, um mit ihnen im Osten die Lage
endgültig zu unseren Gunsten zu entscheiden und dadurch den politischen
Zusammenbruch unserer dortigen Gegner herbeizuführen. Die Stützen Rußlands
waren morsch geworden. Die letzten Kraftäußerungen des jetzt
republikanischen Heeres waren nur das Ergebnis einer künstlich
hochgetriebenen Welle, die ihre Stärke nicht mehr aus den Tiefen des
Begreiflicherweise fehlte es nicht an Stimmen, die vor einem Einsatz unserer verfügbaren Reserven zu einem Angriff auch jetzt noch warnten. Und in der Tat, die Frage war nicht so einfach zu entscheiden, als es jetzt, wo sich der Gang der Ereignisse klar überblicken läßt, scheinen möchte. Wir hatten in der Zeit des Entschlusses manche schwere Bedenken und Sorgen zurückzustellen. War doch damals schon klar, daß der englische Angriff bei Wytschaete und Messines am 7. Juni nur den Vorbereitungskampf zu einem weit größeren Schlachtendrama bildete, das, sich an ihn anschließend, seinen Hintergrund in der weiter nördlich gelegenen flandrischen Landschaft haben würde. Auch mußten wir damit rechnen, daß Frankreich wieder zum Angriff schreiten würde, sobald sich sein Heer von den schweren Rückschlägen aus der Frühjahrsoffensive erholt hatte.
Das Wegziehen von Kräften aus dem Westen, es handelte sich um 6 Divisionen, war zweifellos ein Wagnis, ähnlich, wie wir es im Jahre 1916 beim Angriff auf Rumänien übernehmen mußten. Damals freilich zwang uns die offene Not. Jetzt führte uns der freie Entschluß. In beiden Fällen aber war das Wagnis gegründet auf das unerschütterliche Vertrauen zu unseren Truppen.
Auch aus anderen Gründen, als aus denen der allgemeinen Kriegslage erhoben
sich gegen unseren Plan abmahnende Stimmen. An der Hand der Erfahrungen, die
die Gegner unserer Verteidigung gegenüber gemacht hatten, wurde die
Möglichkeit durchschlagender Angriffserfolge unsererseits bezweifelt. Ich
erinnere mich, daß wir noch kurz vor dem Beginne unseres Gegenstoßes an der
galizischen Front gewarnt wurden, mit den bereitgestellten Kräften nicht
Unter solchen Annahmen wurde auch die Anregung begreiflich: Wir sollten unsere Landkräfte lediglich zur Abwehr bereithalten und im übrigen abwarten, bis unsere Unterseeboote unsere Hoffnungen erfüllt haben würden. Der Gedanke hatte etwas verführerisches. Das Ergebnis des Unterseebootkrieges übertraf nach den uns damals zukommenden Mitteilungen alle unsere Erwartungen. Seine Wirkungen mußten daher bald offen zutage treten. Trotzdem konnte ich mich mit diesem Vorschlag nicht befreunden. Die militärischen wie politischen Verhältnisse im Osten drängten gerade jetzt derartig zur Entscheidung, daß wir nicht monatelang stillhalten und nur zusehen konnten. Wir mußten befürchten, daß, wenn dem Angriff Kerenskis unser Gegenschlag nicht auf dem Fuße folgte, die kriegerischen Strömungen in Rußland wieder die unbedingte Oberhand gewinnen würden. Es ist nicht notwendig, sich die Rückwirkung eines solchen Ganges der Ereignisse auf unser Land und auf unsere Verbündeten näher auszumalen.
Während sich Kerenski vergeblich abmüht, mit der Masse seiner noch
angriffsfähigen Truppen nordwestlich Stanislau die inzwischen durch deutsche
Kräfte stärker gestützten österreichisch-ungarischen Linien zu durchbrechen,
versammeln wir südwestlich Brody, also seitwärts des russischen Einbruchs,
eine starke Angriffsgruppe und treten am 19. Juli in südöstlicher Richtung
auf Tarnopol zum Angriff an. Unsere Operation trifft wenig
widerstandsfähige, im voraufgegangenen Angriff erschöpfte Teile der
russischen Linien. Sie werden rasch über den Haufen geworfen, und mit einem
Schlage bricht die ganze Offensive Kerenskis zusammen. Nur schleuniger
Rückzug kann die nach Norden und vor allem die nach Süden an unsere
Durchbruchstelle anschließenden
Unsere Offensive kam an der Grenze der Moldau zum Stehen. Niemand konnte das mehr bedauern als ich. Wir waren in der denkbar günstigsten strategischen Lage, um uns durch Fortsetzung der Bewegungen in den Besitz dieses letzten Teiles Rumäniens zu setzen. Bei den damaligen politischen Verhältnissen in Rußland hätte das rumänische Heer sich wohl sicher aufgelöst, wenn wir es zum völligen Verlassen seines heimatlichen Bodens zwingen konnten. Wie hätten ein rumänischer König und ein königlich rumänisches Heer auf revoltierendem russischen Boden weiter bestehen können? Unsere rückwärtigen Verbindungen waren jedoch infolge Bahnzerstörungen durch die weichenden Russen so schwierig geworden, daß wir schweren Herzens auf die Fortsetzung der Operationen an dieser Stelle verzichten mußten. Ein späterer Versuch unsererseits durch einen Angriff bei Focsani die rumänische Armee in der Moldau ins Wanken zu bringen, drang nicht durch.
Wir halten nun weiter an dem Entschluß fest, Rußland bis zur endgültigen
militärischen Ausschaltung nicht mehr locker zu lassen, mochte auch zu
dieser Zeit im Westen der Beginn des flandrischen Dramas unsere
Aufmerksamkeit, ja unsere vermehrten Sorgen auf sich ziehen. Konnten wir in
Wolhynien und in der Moldau auf
Bei Riga bot sich nun hierfür eine besonders geeignete Stelle, an der Rußland nicht nur militärisch sondern auch politisch empfindlich getroffen werden konnte. Dort sprang der russische Nordflügel wie eine mächtige Flankenstellung auf mehr als 70 km Breite bei nur 20 km Tiefe längs des Meeres auf das Westufer der Düna vor, eine strategische und taktische Drohstellung gegenüber unserer eigenen Front. Diese Lage hatte uns bereits früher, als ich noch das Oberkommando im Osten führte, gereizt. Wir hatten schon 1915 und 1916 Pläne geschmiedet, wie wir diese Stellung in der Nähe ihrer Basis durchbrechen und dadurch einen großen Schlag gegen ihre Besatzung führen könnten.
Auf dem glatten Papier eigentlich eine sehr leichte Operation, in der rauhen Wirklichkeit aber doch nicht ganz so einfach. Der Durchbruchskeil mußte nämlich oberhalb Riga über die breite Düna in nördlicher Richtung vorgetrieben werden. Nun hatten freilich im Verlauf des Krieges große Ströme wesentlich an ihrem imponierenden Charakter als Hindernisse eingebüßt. Hatte doch Generalfeldmarschall von Mackensen die mächtige Donau angesichts des Gegners zweimal überschritten. Wir konnten uns also an die Überwindung der schmaleren Düna mit leichterem Herzen heranwagen; aber die große Schwierigkeit des Unternehmens lag darin, daß die russischen vollbesetzten Schützengräben sich überall dicht an dem gegenüberliegenden Ufer hinzogen, die Düna wie einen nassen Festungsgraben ausnützend.
Trotzdem gelingt am 1. September der kühne Angriff, da der Russe in unserem Vorbereitungsfeuer seine Uferstellungen verläßt. Und auch die Besatzung der großen Flankenstellung westlich des Flusses weicht, Tag und Nacht marschierend, über Riga nach Osten und entzieht sich dadurch leider großenteils rechtzeitig der Gefangenschaft.
Unser Angriff bei Riga ruft in Rußland die größte Sorge um Petersburg hervor. Die Hauptstadt des Landes gerät in Aufregung. Sie fühlt sich durch unseren Angriff bei Riga unmittelbar bedroht. Petersburg, immer noch der Kopf Rußlands, gelangt in einen Zustand höchster Nervosität, der sachliches, ruhiges Denken ausschließt; sonst würde man dort wohl den Zirkel in die Hand genommen haben, um die Entfernungen zu messen, die unsere bei Riga siegreichen Truppen immer noch von der russischen Hauptstadt trennen. Freilich nicht nur in Rußland, auch in unserem Vaterlande arbeitet die Phantasie bei dieser Gelegenheit sehr lebhaft und vergißt Raum und Zeit. Man gibt sich auch bei uns starken Illusionen über einen Vormarsch auf Petersburg hin. Offen gestanden würde diesen niemand lieber durchgeführt haben als ich selbst. Ich verstand daher das Drängen unserer Truppen und ihrer Führer, das Vorgehen mindestens bis zum Peipussee fortzusetzen. Allein wir mußten auf die Ausführung all dieser gewiß sehr schönen Gedanken verzichten; sie hätten unsere Truppen zu lange und in zu großer Zahl in einer Richtung gefesselt, die mit unseren weiteren Absichten nicht in Einklang zu bringen war. Unsere Aufmerksamkeit mußte sich vom Rigaischen Meerbusen der Küste des Adriatischen Meeres zuwenden. Darüber gleich nachher.
Können wir aber auf Petersburg nicht weitermarschieren und dadurch das Nervenzentrum Rußlands bis zum Zusammenbruch in lebhaftester Unruhe erhalten, so gibt es noch einen anderen Weg, um diesen Zweck zu erreichen, nämlich den zur See. Unsere Flotte geht mit voller Hingabe auf unsere Anregung ein. So entsteht der Entschluß, die dem Rigaischen Meerbusen vorgelagerte Insel Ösel wegzunehmen. Von dort bedrohen wir den russischen Kriegshafen Reval unmittelbar und vermehren unseren Druck auf das erregte Petersburg unter Einsatz nur geringer Kräfte.
Die Operation gegen Ösel zeigt die einzige völlig gelungene Unternehmung
beider Parteien in diesem Kriege, soweit es sich um
Wir gelangen in den Besitz von Ösel und der benachbarten Inseln. In Petersburg werden die Nerven immer aufgeregter und arbeiten immer wilder und zusammenhangloser. Die Geschlossenheit in der russischen Heeresfront lockert sich mehr und mehr; immer deutlicher tritt zutage, daß Rußland zu sehr von inneren Aufregungen verzehrt wird, als daß es noch imstande wäre, in absehbarer Zeit nach außen hin zu erneuter Kraftentfaltung zu kommen. Was mitten in diesem Trubel noch fest und haltbar erscheint, wird von der roten Flut immer stärker umbrandet; Stück auf Stück wird von den Grundpfeilern des Staates weggerissen.
Unter unseren letzten Schlägen wankt der Koloß nicht nur, sondern er berstet und stürzt. Wir aber wenden uns einer neuen Aufgabe zu.
Trotzdem die Lage in Flandern in dieser Herbstzeit außerordentlich ernst
ist, entschließen wir uns zum Angriff auf Italien. Man wird nach meiner
früheren ablehnenden Haltung gegen ein solches Unternehmen vielleicht
darüber verwundert sein, daß ich nun doch die Zustimmung meines
Allerhöchsten Kriegsherrn zur Verwendung deutscher Truppen für eine
Operation erwirkte, von der ich mir so geringen Einfluß auf unsere gesamte
Lage versprach. Demgegenüber kann ich nur sagen, daß ich meine Anschauungen
in dieser Beziehung nicht geändert hatte. Ich hielt es auch im Herbste 1917
für ausgeschlossen, daß uns selbst im Falle eines durchschlagenden Sieges
eine Absprengung Italiens vom Bunde unserer Gegner gelingen würde; ich
glaubte im Herbste 1917 ebensowenig wie bei Beginn dieses Jahres, daß wir
lediglich für den Ruhm eines erfolgreichen Feldzuges gegen Italien deutsche
Kräfte der gefährlichen Lage unserer Westfront entziehen dürften. Die Gründe
meiner nunmehrigen Befürwortung unserer Beteiligung an einer solchen
Operation waren auf anderen Gebieten zu suchen. Unser
österreichisch-ungarischer Verbündeter klärte uns dahin auf, daß er nicht
mehr die Kraft habe, einen zwölften italienischen Angriff an der Isonzofront
auszuhalten. Diese Eröffnung war für uns militärisch wie politisch von
gleich großer Bedeutung. Es handelte sich nicht nur um den Verlust der
Isonzolinie sondern geradezu um den Zusammenbruch des gesamten
österreichisch-ungarischen Widerstandes. Die Donaumonarchie war
Gelang es uns, den Verbündeten durch einen gemeinsamen durchgreifenden Sieg an seiner Südwestfront ebensoweit zu entlasten, wie vor kurzem an der Ostfront, so war nach menschlichem Ermessen Österreich-Ungarn jedenfalls imstande, im Kriege an unserer Seite noch weiter durchzuhalten. Die schweren Kämpfe an der Isonzofront hatten bisher an der österreichisch-ungarischen Wehrkraft stark gezehrt. Der größte Teil ihrer besten Truppen hatte Cadorna gegenüber gestanden und am Isonzo schwer geblutet. Österreichisch-ungarisches Heldentum hatte dabei die menschlich größten Triumphe gefeiert. Denn die Verteidigung am Isonzo stand jahrelang einer mindestens dreifachen italienischen Überlegenheit gegenüber, und zwar in einer Lage, die in ihrem Elend und Schrecken derjenigen unserer Kampffelder an der Westfront nichts nachgab, ja sie in mancher Beziehung sogar übertraf. Auch wollen wir nicht vergessen, welch gewaltige Anforderungen der Hochgebirgskrieg in Südtirol an die Verteidigungstruppen stellte. Reichte doch dieser Krieg an manchen Stellen bis in das Gebiet des ewigen Eises und Schnees hinauf.
Für eine Operation gegen Italien war es der nächstliegende Gedanke: Vorbrechen aus Südtirol. Dadurch konnte die Hauptmasse des italienischen Heeres im großen Kessel von Venetien der Vernichtung oder Auflösung entgegengeführt werden. Auf keiner unserer Kriegsfronten bot die strategische Linienführung gleichgünstige Vorbedingungen für einen gewaltigen Erfolg. Jede andere Operation mußte dieser gegenüber fast wie ein offenkundiger strategischer Fehler erscheinen. Und trotzdem mußten wir auf ihre Durchführung verzichten!
Bei der Beurteilung dieses Feldzugsplanes dürfen wir den inneren
Zusammenhang zwischen unserem Kampf an der Westfront und dem Krieg gegen
Italien nicht außer acht lassen. Wir konnten für den letzteren in Rücksicht
auf unsere Lage im Westen nicht mehr als die Hälfte derjenigen Zahl
deutscher Divisionen zur Verfügung stellen, die Generaloberst von Conrad für
einen wirkungsvollen, durch
Am 24. Oktober begann unser Angriff bei Tolmein. Nur mit Mühe gelang es Cadorna, den mit Vernichtung bedrohten Südteil seines Heeres unter Preisgabe von vielen Tausenden von Gefangenen und Zurücklassung großer Mengen Kriegsgeräts hinter die Piave zu retten. Erst dort gewannen die Italiener in engerer Vereinigung und gestützt durch herbeigeeilte französische und englische Divisionen wieder Kraft zu neuem Widerstand. Der linke Flügel der neuen Front klammerte sich an die letzten Bergrücken der venezianischen Alpen an. Unser Versuch, diese die oberitalienische Tiefebene weithin beherrschenden Höhen noch zu gewinnen und damit den feindlichen Widerstand auch an der Piavefront zum Zusammenbrechen zu bringen, scheiterte. Ich mußte mich überzeugen, daß unsere Kraft zur Erfüllung dieser Aufgabe nicht mehr ausreichte. Die Operation hatte sich tot gelaufen. Der zäheste Wille der an Ort und Stelle befindlichen Führung wie ihrer Truppen mußte vor dieser Tatsache die Waffen sinken lassen.
So sehr ich mich der errungenen Erfolge in Italien freute, so konnte ich mich doch eines Gefühles des Unbefriedigtseins nicht völlig entziehen. Der große Sieg war schließlich doch unvollendet geblieben. Freilich, unsere prächtigen Soldaten kehrten mit berechtigtem Stolze auch aus diesem Feldzuge zurück. Doch die Freude der Soldaten ist nicht immer auch diejenige ihres Führers.
Während wir gegen Rußland die letzten Schläge führten und Italien nahezu an den Rand des kriegerischen Zusammenbruches brachten, setzten England und Frankreich die Angriffe gegen unsere Westfront fort. Dort lag für uns die größte Gefahr des ganzen Feldzugsjahres.
Die Flandernschlacht brach Ende Juli los. Trotz der außerordentlichen Schwierigkeit, in die dadurch unsere Lage an der Westfront geriet, und ungeachtet der Gefahr, daß durch größere englische Erfolge unsere Operationen auf den übrigen Kriegsschauplätzen beeinträchtigt werden könnten, empfand ich bei Beginn dieser neuen Schlacht eine gewisse Befriedigung. England machte nochmals die erwartete äußerste Anstrengung, einen großen und entscheidenden Angriff gegen uns zu führen, bevor die Unterstützung durch die Vereinigten Staaten irgend wie fühlbar werden konnte. Ich glaubte darin die Wirkung unseres Unterseebootkrieges zu erkennen, durch den England sich veranlaßt sah, die Kriegsentscheidung noch in diesem Jahre und um jedes Opfer zu erzwingen.
Die nun beginnende Flandernschlacht konnte zwar nicht in ihren Ausmaßen,
wohl aber in der Zähigkeit, mit der sie auf englischer Seite
durchgekämpft wurde, und in den Schwierigkeiten, die das
Mit größter Sehnsucht warteten wir auf den Eintritt der nassen Jahreszeit. Dann wurden, nach den bisherigen Erfahrungen, weite Flächen des flandrischen Landes ungangbar, und selbst auf den festeren Bodenteilen füllten sich die frischgeschlagenen Geschoßtrichter so rasch mit Grundwasser, daß der in ihnen Deckung Suchende in kurzer Zeit vor die Frage gestellt war: „Entweder ertrinken oder diese Höhlung verlassen!“ Auch dieser Kampf mußte dann im Morast ersticken, wenn auch englische Zähigkeit ihn endlos ausdehnen zu wollen schien.
Die Schlachtglut verglomm erst im Dezember. So wenig wie an der Somme erscholl in Flandern Siegesjubel auf seiten einer der abgerungenen Parteien.
Gegen Abschluß der flandrischen Schlacht entbrannte plötzlich ein wilder
Kampf in einer bisher verhältnismäßig stillen Gegend. Am 20. November
wurden wir bei Cambrai überraschend von den Engländern angegriffen. Sie
trafen dort auf einen zwar technisch sehr stark ausgebauten, aber mit
nur wenigen und kampfverbrauchten Truppen besetzten Teil der
Siegfriedstellung. Mit Hilfe seiner Tanks durchbrach der Gegner unsere
völlig unversehrten, mehrreihigen Hindernisse und Grabenlinien;
englische Kavallerie erschien am Rande der Vorstädte von Cambrai. Der
Durchbruch unserer Linien schien
Der erste größere Angriff im Westen, seitdem mir die Leitung der deutschen Operationen übertragen war, hatte erfolgreich geendet. Ebenso stark und belebend, wie dieser Erfolg auf unsere Truppen und deren Führer wirkte, war seine Wirkung auch auf mich persönlich. Ich empfand es wie eine Befreiung von einem Druck, der mich in der ununterbrochenen Verteidigungstätigkeit auf unserer Westfront belastete. Der Erfolg unseres Gegenangriffs bedeutete für uns aber mehr als bloße Befriedigung. Die Überraschung, durch die er errungen wurde, gab uns gleichzeitig eine Lehre für die Zukunft.
Mit der Schlacht von Cambrai hatte sich die englische Oberste Führung
zum ersten Male freigemacht von ihrer bisherigen, ich darf wohl sagen,
schematischen Kriegführung, unter deren Banne sie bisher gestanden
hatte. Ein höherer operativer Geist schien diesmal zu seinem Recht
gekommen zu sein. Die Fesselung unserer Hauptkräfte in Flandern und der
französischen Front gegenüber war zu einem überraschenden, großen Schlag
bei Cambrai ausgenutzt worden. Freilich zeigte sich die untere Führung
auf englischer Seite auch diesmal den Anforderungen und der Gunst der
Lage nicht gewachsen. Sie ließ sich durch das Unterlassen der Ausnutzung
eines glänzenden Anfangserfolges den Sieg aus den Händen nehmen, und
zwar von Kräften, die sowohl nach Zahl
Der englische Angriff bei Cambrai brachte zum ersten Male das Bild eines großen Überraschungsangriffes mit Panzerwagen. Wir kannten dieses Kampfmittel schon von der Frühjahrsoffensive her, in der es uns keinen besonderen Eindruck gemacht hatte. Die Tatsache jedoch, daß die Tanks nunmehr derartig technisch vervollkommnet waren, daß sie die meisten unserer unversehrten Gräben und Hindernisse überwanden, verfehlte eine starke Wirkung auf unsere Truppen nicht. Die Stahlkolosse wirkten weniger physisch vernichtend durch das Feuer von Maschinengewehren und leichten Geschützen, das aus ihnen sprühte, als moralisch aufreibend durch ihre verhältnismäßige Unverwundbarkeit. Der Infanterist fühlte sich den Panzerwänden gegenüber ziemlich machtlos. Durchbrachen die Maschinen die Grabenlinien, dann glaubte sich der Verteidiger im Rücken bedroht und verließ seine Stellung. Ich bezweifelte dennoch nicht, daß unsere Soldaten, obwohl sie in der Verteidigung wahrlich schon genug über sich ergehen lassen mußten, sich auch noch mit dieser neuen gegnerischen Vernichtungswaffe abfinden würden, und daß unsere Technik die Mittel zur Bekämpfung der Tanks bald und in der nötigen handlichen Form liefern würde.
Wie zu erwarten war, sahen die Franzosen den Sommer- und Herbst-Angriffen ihres englischen Bundesgenossen nicht mit Gewehr bei Fuß zu. Sie griffen uns in der zweiten Augusthälfte bei Verdun und am 22. Oktober nordöstlich von Soissons an. In beiden Fällen entrissen sie unseren dort stehenden Armeen umfangreiche Stellungsteile und verursachten ihnen bedeutende Verluste. Im allgemeinen beschränkte sich die französische Führung aber in der zweiten Jahreshälfte auf örtliche Angriffe, wohl gezwungen durch die mörderischen Verluste, die sie im Frühjahr erlitten hatte, und die es ihr nicht rätlich erscheinen ließen, ihre Truppen nochmals gleich schweren Erschütterungen auszusetzen.
Angriffe der Gegner gegen die bulgarische Front in Mazedonien während der letzten Sommermonate 1917 hatten die Lage auf diesem Kriegsschauplatz nicht zu verändern vermocht. Sarrail verfolgte anscheinend mit diesen Unternehmungen keine größeren Ziele. Er zeigte im Gegenteil eine merkwürdige Zurückhaltung, die auf ein nahezu völliges Brachlegen seiner Kräfte für die Gesamtlage hinauslief.
Mit zunehmender Sorge sah Bulgarien in dieser Zeit auf die griechische Mobilmachung. Die Nachrichten, die wir selbst aus Griechenland erhielten, ließen es zweifelhaft erscheinen, ob es Venizelos gelingen würde, kampfbrauchbare Truppenverbände zu schaffen. Selbst die sogenannten venizelistischen Divisionen bildeten lange Zeit nichts anderes als teilnahmslose Statistengruppen, die sich auf dem mazedonischen Kriegstheater weit lieber in Heldenrollen wie im Heldenkampfe bewegten. Der eigentliche und gesunde Kern des Griechenvolkes lehnte dauernd die Beteiligung an einer innerstaatlichen Politik offenen Treubruches ab. Die bulgarischen Sorgen beruhten vielleicht auf einer Nachwirkung der Ereignisse des Jahres 1913.
Ich wende mich nun den Ereignissen in der asiatischen Türkei zu. Das Fehlen ihrer Darstellung würde ich für ein Unrecht gegen den tapferen und treuen Bundesgenossen halten. Ferner würde durch diesen Mangel die Schilderung des gewaltigen Dramas unvollständig werden, dessen Szenerien sich von den nordischen Meeren bis zu den Ufern des Indischen Ozeans ausdehnten. Auch hier möchte ich mich weniger mit der Beschreibung der Vorgänge als mit der Klarlegung ihrer inneren Zusammenhänge beschäftigen.
Die Geistesarbeit unserer Heimstrategen mühte sich nicht nur an Feldzugsplänen in Mitteleuropa ab, sondern verlor sich auch manchmal in den fernen Orient. Die Produkte dieser Bemühungen gelangten teilweise auch in meine Hände. Meistens beschränkte man sich bei solchen schriftlichen Darlegungen, „um meine kostbare Zeit nicht allzusehr in Anspruch zu nehmen“, auf „allgemeine Richtlinien“ und glaubte, das weitere vertrauensvoll mir überlassen zu können. Nur mahnte man häufig zur Eile! Ein solcher Stratege aus dem Kreise unserer hoffnungsvollen Jugend schrieb mir eines Tages: „Sie werden sehen, dieser Krieg entscheidet sich bei Kiliz – also dorthin unsere gesamte Kraft!“ Es galt zunächst diesen Ort zu suchen. Er wurde innerhalb der gemäßigten Zone, nördlich von Aleppo, entdeckt.
Man mag diesen Einfall des jungen Mannes noch so eigenartig finden, es
lag doch ein gutes Teil richtigen strategischen Gefühls in diesem seinem
Gedanken. Zwar nicht das Schicksal des ganzen Krieges, wohl aber das
Schicksal unseres osmanischen Bundesgenossen wäre auf dem kürzesten Wege
bestimmt worden, wenn England die Entscheidung in dieser Gegend gesucht,
ja vielleicht nur ernstlich versucht hätte. Die Herrschaft über das Land
südlich des Taurus war für die
Der Schutz des Golfes von Alexandrette war einer türkischen Armee anvertraut, die kaum einen einzigen gefechtsbrauchbaren Verband aufwies. Alles, was diese Bezeichnung verdiente, strömte immer wieder von dort nach Syrien oder Mesopotamien ab. Auch der artilleristische Küstenschutz bestand hier mehr in der orientalischen Phantasie, als in der kriegerischen Wirklichkeit. Enver Pascha bezeichnete die Lage mir gegenüber treffend mit den Worten: „Meine einzige Hoffnung ist, daß der Gegner unsere Schwäche an dieser gefährlichen Stelle nicht bemerkt.“
War nun wirklich irgend welche Wahrscheinlichkeit dafür gegeben, daß
diese ernstliche Schwäche am Golf von Alexandrette dem Gegner verborgen
blieb? Ich glaubte nicht. Nirgends konnte der gegnerische
Nachrichtendienst sich ungehemmter entwickeln und fand unter dem bunten
Völkergemisch größere Unterstützung als in Syrien und Kleinasien. Es
schien ausgeschlossen, daß die englische Oberste Kriegsleitung nicht
genaue Kenntnis von den Verhältnissen im dortigen Küstenschutz gehabt
haben sollte. England konnte auch nicht befürchten, daß es mit einem
Vorstoß aus dem Golf von Alexandrette in ein Wespennest stoßen würde;
das Nest hatte ja keine Wespen. War also je ein Ausblick auf eine
glänzende strategische Tat gegeben, so war das hier der Fall. Die Tat
würde auf der ganzen Welt den größten Eindruck gemacht und ihre
tiefgreifende
Warum nutzte England diese Gelegenheit nicht aus? Vielleicht lagen die Seekriegserfahrungen aus dem Dardanellenunternehmen her jetzt noch lähmend in den englischen Gliedern, vielleicht war die Sorge vor unseren Unterseebooten zu groß, als daß man sich von feindlicher Seite an ein solches Unternehmen gewagt hätte.
Die Geschichte wird wohl einmal auch diese Fragen klären. Ich sage „vielleicht“, denn Voraussetzung ist, daß England sie klären läßt. Wir bekommen wohl etwas Einblick in die ausschlaggebende britische Gedankenrichtung durch eine freilich schon vor dem Kriege gefallene Äußerung eines hohen englischen Seeoffiziers. Dieser gab zur Zeit der Faschoda-Angelegenheit auf die verwunderte Frage über seine vorsichtige Auffassung von der Rolle der englischen Flotte in mittelländischen Gebieten im Falle eines englisch-französischen Krieges die Antwort: „Ich habe die strikte Weisung, Englands Ruhm von Trafalgar nicht aufs Spiel zu setzen.“
Der Ruhm von Trafalgar ist groß und berechtigt. Es gibt Kleinodien abstrakter Art, die den kostbarsten Schatz eines Volkes bilden. England verstand es, sich ein solches Kleinod im Ruhme von Trafalgar zu bewahren und es seinem Volke und der ganzen Welt ständig im schönsten Lichte vor die bewundernden Augen zu halten. Im großen Kriege fiel freilich so mancher Schatten über dieses Kleinod. So beispielsweise an den Dardanellen, und weitere Schatten folgten während der Kämpfe gegen die deutsche Seemacht, der stärkste und schwärzeste im Skagerrak. England wird uns diese Verdunkelung des Ruhmes von Trafalgar nie verzeihen.
Es verzichtete auf den kühnen Stoß in das Herz seines osmanischen
Gegners und unterwarf sich weiter der opfervollen und langandauernden
Mühe, die türkische Herrschaft südlich des Taurus durch allmähliches
Zurückwerfen der osmanischen Armeen zu Falle zu bringen. Mit der
Einnahme von Bagdad war bei
Der Verlust von Bagdad war schmerzlich für uns und, wie wir annehmen zu müssen glaubten, noch schmerzlicher für die ganze denkende und fühlende Türkei. Wie viel und wie oft war der Name der früheren Kalifenstadt im deutschen Vaterlande genannt, wie viele Phantasien waren mit ihm verknüpft worden, Phantasien, die man vorteilhafter im stillen gehegt hätte, statt sie geräuschvoll in die Welt hinauszuschreien nach unpolitischer deutscher Art.
Die militärische Gesamtlage wurde durch die Ereignisse in Mesopotamien nicht weiter beeinflußt, wohl aber war der deutschen Außenpolitik der Verlust Bagdads sehr empfindlich. Wir hatten der osmanischen Regierung den Besitzstand ihres Landes gewährleistet und fühlten nun, daß, trotz aller weitherzigen Auslegungen dieses Vertrages von seiten unsres Bundesgenossen, unser politisches Kriegskonto durch diesen neuen, großen Verlust sehr belastet wurde.
Enver Paschas Ersuchen um deutsche Mithilfe für eine Wiedereroberung
Bagdads fand daher bei uns allenthalben bereitwilligstes Entgegenkommen,
nicht zum mindesten auch deswegen, weil die türkische Heeresleitung
jederzeit auf dem europäischen Kriegsschauplatz hilfsbereit gewesen war.
Die Führung in diesem neuen Feldzuge sollte dem Antrage Envers
entsprechend in deutsche Hände gelegt werden, und zwar nicht aus dem
Grunde, weil deutsche Truppenunterstützung in größerem Maßstabe ins Auge
gefaßt wurde, sondern weil es dem türkischen Vizegeneralissimus
notwendig erschien, das kriegerische Ansehen Deutschlands an die Spitze
des Unternehmens zu stellen. Auch konnte an ein Gelingen des Planes nur
gedacht werden, wenn es möglich war, die ungeheueren Schwierigkeiten an
den endlos langen rückwärtigen Verbindungen zu überwinden.
Seine Majestät der Kaiser beauftragte auf türkisches Anfordern den General von Falkenhayn mit der Führung dieser außerordentlich schwierigen Operation. Der General unterrichtete sich im Mai des Jahres 1917 in Konstantinopel sowie in Mesopotamien und Syrien persönlich über seine Aufgabe. Die Reise nach Syrien erwies sich als notwendig, weil General von Falkenhayn unmöglich auf Bagdad operieren konnte, wenn nicht die Gewähr vorhanden war, daß die türkische Front in Syrien feststand. Unterlag es doch keinem Zweifel, daß das Bagdadunternehmen in kurzer Zeit an England verraten sein würde, und daß die Nachricht hiervon einen englischen Angriff in Syrien herausfordern mußte.
General von Falkenhayn gewann den Eindruck, daß die Operation
durchführbar sei. Wir entsprachen daher den von ihm an uns gestellten
Anforderungen. Wir gaben der Türkei alle ihre Kampftruppen zurück, die
wir noch zur Verwendung auf dem europäischen Kriegsschauplatz stehen
hatten. Das osmanische Korps in Galizien scheidet aus einem deutschen
Armeeverbande aus, als eben Kerenskis Truppen vor unserem Gegenstoß nach
Osten weichen. Es kehrt in seine Heimat zurück, begleitet von unserem
wärmsten Dank. Die Osmanen hatten ihren alten Kriegsruhm in unseren
Reihen nochmals bewährt und sich als ein durchaus brauchbares
Kampfinstrument in unserer Hand erwiesen. Ich muß dabei freilich
hervorheben, daß Enver Pascha uns die besten seiner verfügbaren Truppen
für die Ostfront und Rumänien abgegeben hatte. Die Beschaffenheit dieser
Korps durfte also nicht als Maßstab für die Güte und Verwendbarkeit des
gesamten türkischen Heeres genommen werden. Die hingebende Arbeit, mit
der sich unser Armee-Oberkommando in Galizien der Erziehung und
Ausbildung, ganz besonders aber auch der Verpflegung und der
gesundheitlichen Fürsorge seiner osmanischen Truppen widmete, hatte ihre
reichsten Früchte getragen. Wie viele dieser rauhen Naturkinder
Ich hatte gehofft, daß die heimkehrenden türkischen Verbände einen besonders wertvollen Bestandteil der Expeditionsarmee gegen Bagdad bilden würden. Leider ging diese Erwartung nicht in Erfüllung. Die Truppen waren kaum unserem Einfluß entrückt, als sie auch schon wieder zerfielen, ein Zeichen dafür, wie wenig tiefgreifend unser Beispiel auf die türkischen Offiziere gewirkt hat. Nur einzelne unter diesen machten der großen Masse mangelhaft geschulter und wenig brauchbarer Elemente gegenüber eine besondere, manchmal allerdings überraschend glänzende Ausnahme. Das osmanische Heer hätte eines völligen Neubaues bedurft, um wirklich zu Leistungen befähigt zu sein, die den großen Opfern des Landes entsprachen. Der Nachteil der jetzigen Zustände zeigte sich besonders in einem ungeheuren Menschenverbrauch. Es war die gleiche Erscheinung, wie sie bei jeder für den Krieg ungenügend vorbereiteten und mangelhaft erzogenen Armee eintritt. Eine gründliche kriegerische Vorbildung des Heeres spart dem Vaterlande im Ernstfall Menschenkräfte. Welch einen ungeheueren Umfang der Verbrauch an solchen in der Türkei im Verlauf des Krieges angenommen hatte, dürfte aus einer mir zugekommenen Nachricht hervorgehen, wonach in einzelnen Bezirken von Anatolien die Dörfer von jeder männlichen Einwohnerschaft zwischen dem Knaben- und dem Greisenalter entblößt waren. Das wird begreiflich, wenn man hört, daß die Verteidigung der Dardanellen den Türken etwa 200.000 Menschenleben gekostet hatte. Wieviel hiervon dem Hunger und den Krankheiten erlagen, ist nicht bekannt geworden.
Die deutsche Unterstützung für das Bagdadunternehmen bestand, abgesehen
von einer Anzahl Offizieren für besondere Verwendung, aus dem
sogenannten Asienkorps. Man hat sich darüber in unserem Vaterlande
aufregen zu müssen geglaubt, daß wir den Türken ein ganzes Korps für so
fernliegende Zwecke zur Verfügung stellten,
Die Operation gegen Bagdad kam nicht zur Durchführung. Schon in den
letzten Sommermonaten zeigte sich, daß der Engländer alle Vorbereitungen
zu Ende geführt hatte, um die türkische Armee bei Gaza noch vor Eintritt
der nassen Jahreszeit anzugreifen. General von Falkenhayn, der dauernd
im Orient weilte, gewann immer mehr den Eindruck, daß die syrische Front
diesem englischen Ansturm, der mit zweifellos großer Überlegenheit
geführt werden würde, nicht gewachsen sei. Türkische Divisionen, die zur
Unternehmung gegen Bagdad bestimmt waren, mußten nach Süden abgezweigt
werden. Damit entfiel die Möglichkeit einer erfolgreichen Operation in
Richtung Mesopotamien. Im Einvernehmen mit Enver Pascha gab ich daher
meine Zustimmung, daß alle verfügbaren Kräfte nach Syrien geführt
würden, damit wir dort selbst womöglich noch vor den Engländern zum
Angriff übergehen könnten. Die deutsche Führung hoffte den bestehenden
Bahnbetrieb und die Verwaltung in den türkischen Gebieten so sehr
verbessern
Infolge von Reibungen politischer wie militärischer Art gingen für General von Falkenhayn kostbare Wochen verloren. Es gelang dem Engländer Anfang November, den Türken im Angriff bei Berseba und Gaza zuvorzukommen. Die osmanischen Armeen wurden nach Norden geworfen; Jerusalem ging Anfang Dezember verloren. Erst von Mitte dieses Monats ab kam wieder mehr Halt in die türkischen Linien nördlich Jaffa-Jerusalem-Jericho.
Wenn wir befürchtet hatten, daß diese türkischen Niederlagen, ganz besonders aber der Verlust von Jerusalem, bedenkliche politische Wirkungen auf die Stellung der jetzigen Machthaber in Konstantinopel ausüben würden, so trat hiervon, wenigstens äußerlich, nichts in die Erscheinung; eine merkwürdige Gleichgültigkeit zeigte sich an Stelle der gefürchteten Erregung.
Für mich bestand kein Zweifel, daß die Türkei niemals wieder in den Besitz von Jerusalem und der dortigen heiligen Stätten kommen könnte. Auch am Goldenen Horn teilte man stillschweigend diese Ansicht. Stärker als vorher wandte sich nunmehr die osmanische Sehnsucht, Entschädigung für die verlorenen Reichsteile suchend, anderen Gebieten Asiens zu. Vom militärischen Gesichtspunkte aus leider zu frühzeitig!
Man befürchte nicht, daß ich mich nunmehr, meine Abneigung gegen Politik bezwingend, in den Strudel des Parteistreites hineinstürze. Ich kann aber die folgenden Ausführungen, wenn ich das Bild, das ich geben möchte, nicht allzu lückenhaft lassen will, nicht entbehren. Freilich, wer wird die Zeit, von der ich schreibe, jemals lückenlos darzustellen vermögen? Es werden immer wieder neue Fragen nach dem „Warum?“ und nach dem „Wie?“ auftauchen. Lücken werden bleiben, da so mancher Mund, den man jetzt schon zur Auskunft dringend benötigte, für immer still geworden ist. Ich kann auch nicht ein in sich abgeschlossenes Bild, sondern nur Striche hier und Striche dort geben, mehr für eine Charakterzeichnung als für ein vollendetes Gemälde. Scheinbar willkürlich setze ich an, wenn ich mich zunächst dem Orient zuwende.
„Die Türkei ist eine Null“, so kann man in einem Aktenstück aus der Vorkriegszeit lesen, in einem deutschen, also keinem gegen die Türkei politisch gehässigen Aktenstück. Eine eigenartige Null, durch die die Dardanellen verteidigt wurden, die Kut-el-Amara gewann, gegen Ägypten zog, den russischen Angriff im armenischen Hochland zum Halten brachte! Eine für uns wertvolle Null, die, wie ich schon sagte, jetzt hunderttausende feindlicher Truppen auf sich zieht, Kerntruppen, die an den türkischen Grenzländern nagen, auch wohl dort eindringen, aber ohne den Hauptkörper verschlingen zu können!
Was gibt wohl dieser Null die innere Stärke? Selbst für den, der in diesen Zeiten, ja schon lange vorher, in dem Lande der Osmanen lebte, ein Rätsel! Stumpf und gleichgültig erscheint die große Masse, selbstsüchtig und unempfindlich gegen höheres völkisches Empfinden ein großer Teil hoher Kreise. Der ganze Staat wird anscheinend nur aus Völkerschaften gebildet, die durch tiefgehende Spalten getrennt, kein gemeinsames Innenleben haben. Und doch besteht dieser Staat und zeigt staatliche Kräfte. Die Macht Konstantinopels scheint am Taurus ihre Grenze zu haben; über Kleinasien hinaus herrscht kein wirklicher türkischer Einfluß, und trotzdem stehen immer noch türkische Armeen in dem weit entlegenen Mesopotamien und Syrien. Der Araber dort haßt den Türken, der Türke den Araber. Und doch schlagen sich arabische Bataillone immer noch unter türkischen Fahnen und laufen nicht in Massen zum Feinde über, der ihnen nicht nur goldene Berge verspricht sondern wirkliches, bei den Arabern so beliebtes Gold reichlichst spendet. In dem Rücken der englisch-indischen Armee, die in Mesopotamien, wie man meinte, den von den Türken geknechteten und ausgepreßten arabischen Stämmen die ersehnte Erlösung brachte, erheben sich diese Erlösten und wenden sich gegen ihre angeblichen Befreier. Es muß also doch eine Macht vorhanden sein, die hier vereinend wirkt, und zwar nicht nur eine zusammenpressende Not von außen, nicht nur ein politisches Zusammenleben, ein Gemeinschaftsgefühl im Innern. Auch die Gewalt der türkischen Machthaber kann diese bindende Kraft nicht ausschließlich liefern. Die Araber könnten sich ja dieser Gewalt entziehen, sie brauchten nur die Schützengräben mit erhobenen Armen feindwärts zu verlassen, oder im Rücken der türkischen Armeen sich zu erheben. Und doch tun sie es nicht. Ist es der Glaube, der Rest eines alten Glaubens, der hier verbindend wirkt? Man behauptet es mit guten Gründen und bestreitet es mit ebensolchen. Hier sind unserem Verständnis der osmanischen Psyche die Grenzen gesteckt; wir müssen den Streit der Meinungen ungelöst lassen.
So ganz lebensunfähig kann der Staat trotz schwerster Gebrechen also
nicht sein. Man hört auch von vortrefflichen Beamten, die neben den
pflichtvergessenen Gegenteilen im Amte sind und sich als Männer mit
großen Plänen und großer Tatkraft erweisen. Einen davon lernte ich in
Kreuznach kennen. Es war Ismail Hakki, ein Mann mit manchen
Schattenseiten seines Volkes und doch ein geistvoller, fruchtbarer
Verstand. Schade, daß er nicht einem Boden mit gesünderen Kräften
entwuchs. Man sagte, er schriebe nichts, beherrsche alles mit seinem
Kopfe, und dabei sorgte er für tausenderlei, dachte weit über den Krieg
hinaus nationale, schöne Gedanken! Was ihn damals am meisten
beschäftigte, worin gleichzeitig seine größte Macht lag, das war die
Versorgung des Heeres und von Konstantinopel. Hätte man Ismail Hakki
entfernt, so hätte die türkische Armee Mangel an allem gelitten; sie
hätte noch mehr entbehrt, als sie es teilweise schon mußte, und
Konstantinopel wäre vielleicht verhungert. Fast das ganze Land befand
sich ja in einem Hungerzustand, nicht weil es an Lebensmitteln mangelte,
sondern weil die Landesverwaltung und die Verbindungen nicht
funktionierten, weil nirgends ein Ausgleich zwischen Bestand und Bedarf
geschaffen werden konnte. Wovon und wie die Menschen der größeren Städte
lebten, wußte niemand. Konstantinopel versorgten wir mit Brot, schafften
Getreide aus der Dobrudscha und Rumänien hin und halfen trotz der
eigenen Not. Freilich würde das, was wir für Konstantinopel geliefert
haben, unsern Millionen von Magen nicht viel geholfen haben. Hätten wir
die Lieferungen verweigert, so hätten wir die Türkei verloren. Denn ein
verhungerndes Konstantinopel würde revoltieren, trotz aller
Gewaltherrschaft. Ist dort wirklich Gewaltherrschaft? Ich sprach schon
vom Komitee; es sind aber dort auch andere Einflüsse gegen die starken
Männer tätig, Einflüsse des politischen, vielleicht auch geschäftlichen
Hasses, durch welche Parteiungen geschaffen werden. Starke Strömungen
bewegen sich unter der scheinbar ruhigen Oberfläche; ihre Strudel werden
manchmal oben
Das Heer leidet auch unter diesen Strömungen. Die Heeresleitung muß ihnen, wie ich schon früher andeutete, Rechnung tragen, muß manchmal nachgiebig gegen sie sein, nicht zum Vorteil des Ganzen. Sonst würde das Heer, das an seiner zahlenmäßigen Stärke immer reißender abnimmt, auch innerlich aufgelöst werden. Der Mangel und die Not zersetzt teilweise die Truppe. An ihren Beständen zehrt aber auch die Endlosigkeit des jetzigen Krieges, der mit früheren Feldzügen, im Yemen und auf dem Balkan, sich für so viele türkische Soldaten zu einem großen ununterbrochenen Ganzen verbunden hat. Die Sehnsucht nach der Heimat, nach Weib und Kind – auch der Islam kennt diese Sehnsucht – treibt Tausende der Soldaten zur Fahnenflucht. Von den vollen Divisionen, die in Haidar-Pascha auf die Bahn gesetzt werden, kommen nur Bruchteile bis Syrien oder Mesopotamien. Man mag darüber streiten, ob die Zahl türkischer Fahnenflüchtiger in Kleinasien 300.000 oder 500.000 beträgt. Jedenfalls ist sie nahezu so groß, wie die Kampftruppen aller türkischen Armeen zusammen. Kein schönes Bild und doch – die Türkei hält noch immer stand und erfüllt ihre Treuepflicht ohne einen Ton der Klage oder des Wankelmutes nach bestem Können!
Auch in Bulgarien herrscht Not. Not an Lebensmitteln in dem Lande, das
sonst Überfluß hat! Die Ernte war mäßig, aber sie könnte reichen, wenn
das Land wie unsere Heimat verwaltet würde, wenn auch hier Ausgleich
geschaffen werden könnte zwischen Gegenden des Überflusses und solchen
des Mangels. Ein Bulgare antwortet uns auf diesbezügliche Anregungen:
„Wir verstehen solches nicht!“ Eine einfache Entschuldigung, nein
eigentlich eine Selbstanklage. Man legt die Hände in den Schoß, weil man
nicht gelernt hat, sie zu rühren. Wir wissen ja, daß Bulgarien beim
Übergang aus türkischem Sklaventum zur völligen innenstaatlichen
Freiheit einer erziehenden,
Die Truppe zeigt sich für diese zersetzende Tätigkeit zugänglich, denn
sie ist schlecht versorgt, ja sie beginnt geradezu Mangel zu leiden. Das
Fehlen organisatorischer Tätigkeit und Fähigkeit zeigt sich auch hier an
allen Ecken und Enden. Wir machen Vorschläge zu durchgreifenden
Verbesserungen. Die Bulgaren erkennen diese Vorschläge als
zweckentsprechend an, aber sie haben nicht die Kraft,
Auch das bulgarische Bild ist also nicht ungetrübt. Aber wir können auf
weitere Bündnistreue rechnen, wenigstens solange wir die großen
politischen Ansprüche Bulgariens erfüllen können und wollen. Als dann
aber im Sommer des Jahres 1917 infolge von deutschen Presseäußerungen
und deutschen parlamentarischen Reden sowohl in Sofia als bei den
bulgarischen Armeen Zweifel darüber entstehen, ob wir unseren
Versprechungen auch wirklich noch nachkommen wollen, da horcht man
besorgt auf und, was schlimmer ist, man wird mißtrauisch gegen uns. Die
Parteien fordern jetzt verstärkt die Abdankung Radoslawows. Seine
Außenpolitik wird als großzügig anerkannt, alle stimmen ihr auch jetzt
noch zu, aber er
Über Österreich-Ungarn habe ich nur wenig zu sagen. Die Schwierigkeiten
im Innern des Landes sind nicht geringer geworden. Ich habe schon
darüber gesprochen, daß die versuchte Versöhnung der staatszersetzenden
tschechischen Elemente auf dem Wege der Milde vollständig scheiterte.
Nun wird versucht, durch verstärktes Vorschieben kirchlicher Macht und
kirchlichen Einflusses, durch Zurschautragen religiöser Gefühle ein
einigendes Band um die auseinanderstrebenden Teile des Reiches oder
wenigstens um seine einflußreichsten Kreise zu legen. Auch dieser
Versuch bleibt ohne das erhoffte Ergebnis. Er bringt vielmehr weitere
Spaltungen und erregt Mißtrauen auch da, wo bisher noch Hingebung
vorherrschte. Die gegenseitige Abneigung der Völkerschaften wird durch
die Verschiedenheiten in der Lebensmittelversorgung verschärft. Wien
hungert, während Budapest genügend Nahrung hat. Der Deutsch-Böhme stirbt
fast den Erschöpfungstod, während der Tscheche kaum etwas entbehrt. Zum
Unglück ist die Ernte teilweise mißraten. Dies verstärkt die innere
Krisis und wird sie noch mehr verstärken. Es fehlt in Österreich-Ungarn
nicht, wie in der Türkei, an den technischen Mitteln eines Ausgleiches
zwischen Überschuß- und Bedarfsgebieten. Aber es fehlt am einheitlichen
Willen, an einer sich durchsetzenden staatlichen Macht. So hat das alte
Übel der inneren politischen Gegensätze mit all seinen vernichtenden
Folgen sich auch auf das Gebiet der einfachen Lebenserhaltung
übertragen. Kein Wunder,
Und nun zu unserer eigenen Heimat:
Inmitten der Kampfzeiten, von denen ich weiter vorn gesprochen habe,
vollziehen sich in unserem Vaterlande tiefgehende und folgenschwere
Änderungen des innerpolitischen Zustandes. Die Krisis wird bezeichnet
durch den Rücktritt des Reichskanzlers von Bethmann. Wenn ich anfänglich
angenommen hatte, daß sich unsere Auffassungen über die durch den Krieg
geschaffene Lage deckten, so mußte ich mit der Zeit zu meinem Bedauern
immer mehr erkennen, daß dies nicht der Fall sei. Mir war die Leitung
des Krieges übertragen, und für ihn bedurfte ich aller Kräfte des
Vaterlandes. Diese in einer Zeit größter äußerer Spannung durch innere
Kämpfe zu zersplittern, anstatt sie zusammenzufassen und immer wieder
emporzureißen, mußte zu einer Schwächung unserer politischen und
militärischen Stoßkraft führen. Aus diesem Gesichtspunkt heraus konnte
ich es nicht verantworten, still zu bleiben, wenn ich sah, daß die
Einheitlichkeit, die wir an der Front nötig hatten, in der Heimat
zersetzt wurde. In der Überzeugung, daß wir in dieser Richtung unsern
Feinden gegenüber mehr und mehr ins Hintertreffen gerieten, daß
Die nunmehr äußerlich zutage tretenden Folgen dieses Rücktrittes waren bedenklich. Der bisher nach außen hin aufrechterhaltene Schein des politischen Burgfriedens zwischen den Parteien hörte auf. Es bildete sich eine Mehrheitspartei mit dem ausgesprochenen Anschluß nach links. Die Versäumnisse, die angeblich in früheren Zeiten in der Weiterentwicklung unserer innerstaatlichen Verhältnisse begangen waren, wurden nunmehr im Kriege und unter dem Druck einer politisch ungeheuer schwierigen äußeren Lage des Vaterlandes dazu benutzt, um der Regierung immer weitere Zugeständnisse zugunsten einer sogenannten parlamentarischen Entwicklung zu erpressen. Wir mußten auf diesem Wege an innerer Festigkeit verlieren. Die Zügel der Staatsleitung gerieten allmählich in die Hände extremer Parteien.
Zum Nachfolger Bethmann Hollwegs wurde Dr. Michaelis ernannt. Zu ihm trat ich in kurzer Zeit in ein vertrauensvolles Verhältnis. Er war unverzagt an sein schweres Amt herangetreten. Seine Amtsführung war nur kurz; die Verhältnisse sollten sich stärker erweisen als sein guter Wille.
Die eingetretene parlamentarische Zerrissenheit wurde nicht wieder
gebessert. Immer mehr drängte die Mehrheit nach links und stellte sich,
trotz mancher schöner Worte, in ihren Taten vor die Elemente, die die
bisherige Staatsordnung auflösen wollten. Immer schärfer zeigte es sich,
daß die Heimat den wahren Ernst unserer Lage im Streit um
Parteiinteressen und Parteidogmata vergaß oder
Bei dieser Sachlage suchte man nach einem Reichskanzler, der in erster Linie imstande war, dank seiner parlamentarischen Vergangenheit einigend auf die zerfahrenen Parteiverhältnisse zu wirken. Die Wahl fiel auf den Grafen Hertling. Er war mir als Begleiter des Königs von Bayern schon in Pleß bekannt geworden. Ich erinnere mich noch gern der Herzlichkeit, mit der er mir damals seine Glückwünsche zu der eben durch Seine Majestät den Kaiser vollzogenen Verleihung des Großkreuzes des Eisernen Kreuzes aussprach. Es lag für mich etwas Ergreifendes und zugleich Ermunterndes in der Beobachtung, mit welcher Freudigkeit der alte Mann jetzt seine letzten Lebenskräfte in den Dienst des Vaterlandes stellte. Sein felsenfestes Vertrauen auf unsere Sache, seine Hoffnung auf unsere Zukunft überdauerte die schwersten Lagen. Er behandelte die parlamentarischen Parteien mit Geschick, vermochte aber dem Ernst der Lage gegenüber nicht mehr durchgreifend genug zu wirken. Im Verkehr mit der Obersten Heeresleitung blieb leider ein wohl von früher übernommenes Mißtrauen bestehen, das ab und zu das Zusammenarbeiten erschwerte. Meine Verehrung für den Grafen wurde dadurch nicht beeinträchtigt. Er starb bekanntlich, kurz nachdem er sein dornenvolles Amt niedergelegt hatte.
Auch abgesehen von den eben berührten Mißständen ist in der Heimat am
Ende des Jahres 1917 nicht alles erfreulich. Man kann es auch nicht
verlangen. Denn der Krieg und die Entbehrungen lasten schwer auf vielen
Teilen des Volkes und greifen an seine Stimmung. Ein jahrelang
ungesättigter oder mindestens nicht befriedigter Magen erschwert einen
höheren Schwung, drückt die Menschen zur Gleichgültigkeit herab. Die
große Menge denkt auch bei uns bei körperlich ungenügender Ernährung
nicht viel besser als anderswo, wenn auch die staatliche Kraft und die
sittlichen Werte des Volkes unser ganzes Leben kräftiger durchsetzen.
Dieses Leben muß aber
Die Gleichgültigkeit wirkt wie Untätigkeit. Sie durchsäuert den Boden für Unzufriedenheit. Diese aber steckt an, nicht nur die Bevölkerung der Heimat sondern auch den Soldaten, der dorthin zurückkehrt.
Der Soldat, der aus dem Felde kommend die Heimat wiedersieht, kann auf sie belebend und erhebend wirken. Und das taten die meisten. Aber er kann auch niederdrückend wirken, und auch das taten leider so manche, selbstredend nicht die Besten aus unseren Reihen. Diese wollten vom Kriege nichts mehr wissen; sie wirkten schlimmes auf dem schon verdorbenen Boden, nahmen aus diesem noch schlimmeres in sich auf und trugen die heimatliche Zersetzung hinaus ins Feld.
Es ist viel Unerfreuliches in diesen Bildern. Nicht alles hiervon ist eine Folge des Krieges oder brauchte wenigstens eine Folge des Krieges zu sein. Aber der Krieg erhebt nicht nur, er löst auch auf. Und dieser Krieg tat dies mehr, wie jeder frühere; er verdarb nicht nur die Körper, sondern auch die Seelen.
Auch der Gegner sorgt für diese Zersetzung. Nicht bloß durch seine
Blockade und den dadurch hervorgerufenen Halbhunger sondern auch noch
durch ein anderes Mittel, das man „Propaganda im feindlichen Lager“
nannte. Es ist das ein neues Kampfmittel, das die Vergangenheit
wenigstens in solcher Größe und in solch rücksichtsloser Anwendung nicht
kannte. Der Gegner benutzte es in Deutschland
Als „Aufklärung des Gegners“ bezeichnete man diese Art von Propaganda. „Verschleierung der Wahrheit“ sollte man sie nennen, ja noch schlimmer als das, „Vergiftung der Seelen des Feindes“. Sie entspringt einer Auffassung, die nicht die Kraft in sich fühlt, den Gegner im offenen, ehrlichen Kampfe zu überwinden und seine moralische Kraft nur durch Siege des tapfer geführten Schwertes niederzuzwingen.
Schließlich noch der Versuch eines Blickes in das Innere der uns feindlichen Staaten:
Ich sage absichtlich „Versuch“, denn nur um einen solchen konnte es sich für uns während des Kriegszustandes handeln. Wir waren nämlich nicht nur blockiert in unserem wirtschaftlichen Verkehr sondern auch in all den anderen Beziehungen zum Auslande. Daran änderte unsere teilweise Angrenzung an neutrale Nachbarstaaten nur wenig. Unser Agentendienst lieferte nur ganz klägliche Ergebnisse. Im Kampfe zwischen uns und unsern Gegnern unterlag auf diesem Gebiete auch das deutsche Gold!
Wir wußten, daß jenseits der kämpfenden Westfront eine Regierung sitzt,
die persönlich von Haß- und Rachegedanken erfüllt, das Innerste ihres
Volkes ununterbrochen aufpeitscht. Es klingt wie ein „Wehe dem
bisherigen Sieger“, wenn die Stimme Clémenceaus erschallt. Frankreich
blutet aus tausend Wunden. Würden wir es nicht wissen, so könnten wir es
den offenen Erklärungen seines Diktators entnehmen. Aber Frankreich wird
weiterkämpfen. Kein Wort, kein Gedanke von Nachgiebigkeit! Wo Risse in
dem wie mit eisernen Ketten zusammengefaßten Staatsgefüge erscheinen, da
greift die Regierung mit rücksichtslosester Gewalt zusammenpressend ein.
Und der Zweck wird erreicht. Mag das Volk in seiner Mehrheit den
Wir können es nicht bezweifeln, daß das französische Volk auch Ende 1917 besser genährt wird als das deutsche. Vor allem sorgt man für den Pariser, entschädigt ihn für so manches und beruhigt ihn auch durch alle noch möglichen Genüsse. Es scheint uns fraglich, ob der Gallier die Entbehrungen des täglichen Lebens in gleich hingebender Weise und so lange ertragen kann, als sein germanischer Gegner. Noch hoffen wir, daß die Probe vielleicht gemacht werden wird. Allein wir dürfen uns nicht im Unklaren sein, daß auch ein wirklich hungerndes Frankreich so lange kämpfen muß, als England es will, mag es auch dabei zugrunde gehen.
Die französischen Gefangenen sprechen wohl vom Elend des Krieges; sie erzählen von in der Heimat eingetretener Not. Aber ihr eigenes Aussehen läßt auf keinen Mangel schließen. Alle ersehnen das Ende des Ringens, doch keiner glaubt, daß es kommen wird, solange „die anderen kämpfen wollen“.
Wie steht es in England?
Das Mutterland befindet sich in seiner Wirtschafts- und Weltstellung vor
einer ungeheueren Gefahr. Niemand scheut sich dort,
Anders wie in Frankreich und in England scheint der Zustand in Italien.
Im Feldzug des vergangenen Herbstes haben italienische Soldaten ohne
zwingende Kampfesnot zu vielen Tausenden ihre Waffen gesenkt, nicht aus
Mangel an Mut sondern aus Ekel vor diesem für sie sinnlosen
Blutvergießen. Sie traten mit frohen Gesichtern die Fahrt in unser
Heimatland an und begrüßten die ihnen dort bekannten Arbeitsstätten mit
deutschen Gesängen. Wenn auch
Aus den Vereinigten Staaten kommen noch weniger Stimmen zu uns als vom fremden europäischen Boden. Was wir vernehmen, bestätigt unsere Vermutung. Das glänzende, wenn auch mitleidslose Kriegsgeschäft ist in den Dienst des Patriotismus getreten, und dieser versagt nicht. Auch in diesem Lande, an dessen Eingangspforte die Statue der Freiheit ihr blendendes Licht dem Fremden entgegensendet, herrscht unter dem Zwange der Kriegsnotwendigkeiten mit Recht eine rücksichtslose Gewalt. Man begreift den Krieg. Die weichen Stimmen müssen schweigen, bis die harte Arbeit getan ist. Dann mag die goldene Freiheit wieder sprechen zum Wohle der Menschen, jetzt wird sie unterdrückt zum Nutzen des Staates. Man fühlt sich in allen Schichten und Volksarten einig in einem Kampf für ein Ideal, und wo der Glaube an dieses oder der Drang des Blutes nicht zugunsten des an den Rand des Verderbens gedrückten Angelsachsen spricht, da wird Gold in die Wagschale der Entscheidung des Verstandes geworfen.
Von Rußland brauche ich nicht weiter zu sprechen. Wir blicken in sein Inneres wie in einen offenen Glutherd. Es wird vielleicht völlig ausbrennen, jedenfalls liegt es am Boden und hat den rumänischen Verbündeten mit sich gerissen.
So erschienen mir die Verhältnisse, von denen ich sprechen wollte, am Ende des Jahres 1917.
Mancher hat sich wohl in jenen Tagen die bedeutungsvolle Frage
vorgelegt: „Wie erklärt es sich, daß der Gegner in seinen
rücksichtslosen politischen Forderungen uns gegenüber nichts nachließ,
trotz seiner vielen militärischen Mißerfolge des Jahres 1917, trotz des
Ausscheidens Rußlands als Machtfaktor aus dem Kriege, trotz der doch
Meine Antwort darauf war damals und ist noch jetzt folgende:
Während wir die feindlichen Armeen niederschlugen, richteten sich die Blicke ihrer Regierungen und Völker unentwegt auf die Entwicklung der inneren Zustände unseres Vaterlandes und der Länder unserer Bundesgenossen. Dem Gegner konnten die Schwächen, die ich im Vorausgehenden geschildert habe, nicht verborgen bleiben. Diese Schwächen aber stärkten seine uns so oft unbegreiflichen Hoffnungen und seinen Willen zum Siege.
Nicht nur der feindliche Nachrichtendienst, der unter den denkbar günstigsten Verhältnissen arbeitete, gab dem Gegner den wünschenswerten vollen Einblick in unsere Verhältnisse, sondern auch unser Volk und seine politischen Vertreter taten nichts, um die heimatlichen Mißstände vor den gegnerischen Augen zu verbergen. Der Deutsche erwies sich als noch nicht so weit politisch geschult, daß er imstande gewesen wäre, sich zu beherrschen. Er mußte seine Gedanken aussprechen, mochten sie für den Augenblick auch noch so verheerend wirken. Er glaubte, seine Eitelkeit befriedigen zu müssen, indem er sein Wissen und seine Gefühle der weiten Welt mitteilte. Ob er mit diesem Verhalten dem Vaterland nützte oder schadete, war bei dem vagen weltbürgerlichen Gefühle, in dem er vielfach lebt, für ihn meist eine Frage zweiter Ordnung. Er glaubte, gerecht und klug geredet zu haben, war hiervon selbst befriedigt und setzte voraus, daß es auch seine Zuhörer sein würden. Damit war der Fall für ihn dann erledigt.
Dieser Fehler hat uns im großen Ringen um unser völkisches Dasein mehr geschadet als militärischer Mißerfolg. Dem Mangel an politischer Selbstzucht, wie sie dem Engländer zur zweiten Natur geworden ist, dem Fehlen einer von kosmopolitischen Schwärmereien völlig freien Vaterlandsliebe, wie sie den Franzosen durchglüht, schiebe ich letzten Endes auch die deutsche Friedensresolution zu, die am 19. Juli 1917 die Billigung des Reichstages fand, also an dem Tage, an dem das Todesringen der russischen Kriegsmacht handgreiflich wurde. Ich weiß sehr wohl, daß unter den sachlichen Gründen, die damals für diese Resolution ausschlaggebend waren, mancherlei Enttäuschungen über den Gang des Krieges sowie über die sichtbaren Ergebnisse unserer Unterseebootkriegführung eine große Rolle spielten. Man konnte über die Berechtigung zu einem solchen Mißtrauen unserer Lage gegenüber verschiedener Anschauung sein – bekanntlich beurteilte ich sie günstiger – aber für völlig verfehlt glaubte ich die Art und Weise beurteilen zu müssen, in der man sich von parlamentarischer Seite zu einem solchen Schritte entschloß. Zu einem Zeitpunkt, in dem die Gegner bei einem richtigen, politischen Verhalten der Deutschen vielleicht froh gewesen wären, wenn sie irgend welche leisen Friedensneigungen aus dem Pulsschlag unseres Volkes hätten entnehmen können, schrien wir ihnen unsere Friedenssehnsucht geradezu in die Ohren. Die Redensarten, mit denen man das Wesen der Sache zu umkleiden versuchte, waren zu fadenscheinig, als daß sie irgend jemanden im feindlichen Lager hätten täuschen können. So fand bei uns das Wort Clémenceaus „Ich führe Krieg!“ das Echo: „Wir suchen Frieden!“
Ich wandte mich damals gegen diese Friedensresolution nicht vom Standpunkte menschlichen Gefühles sondern vom Standpunkte soldatischen Denkens. Ich sah voraus, was sie uns kosten würde, und kleidete das in die Worte: „Mindestens ein weiteres Kriegsjahr!“ Ein weiteres Kriegsjahr in unserer eigenen und unserer Verbündeten schweren Lage!
Angesichts der ernsten Schilderungen, mit denen ich den vorhergehenden Teil meiner Darlegungen abschloß, wird man wohl die berechtigte Frage an mich richten, welche Aussichten ich für eine günstige Beendigung des Krieges durch eine letzte große Waffenentscheidung zu haben glaubte.
Ich mache mich in der Antwort von politischen Gesichtspunkten frei und spreche lediglich vom Standpunkte des Soldaten, indem ich mich zunächst zu den Verhältnissen bei unseren Bundesgenossen wende:
Österreich-Ungarn glaubte ich angesichts der militärischen Machtlosigkeit Rußlands und Rumäniens sowie der schweren Niederlage Italiens derartig militärisch entlastet, daß es dem Donaureiche nicht schwer fallen konnte, die jetzige Kriegslage auf seinen Fronten zu ertragen. Bulgarien hielt ich für durchaus imstande, den Ententekräften gegenüber in Mazedonien auszuhalten, um so mehr, als ja die bulgarischen Kampfkräfte, die noch gegen Rußland und Rumänien standen, in absehbarer Zeit vollständig für Mazedonien frei gemacht werden konnten. Auch die Türkei war durch den Zusammenbruch Rußlands in Kleinasien ausreichend entlastet. Sie hatte dadurch, so weit ich beurteilen konnte, genügend Kräfte frei, um ihre Armeen in Mesopotamien und Syrien wesentlich zu verstärken.
Nach meiner Anschauung hing demnach das weitere Durchhalten unserer Bundesgenossen, abgesehen von ihrem guten Willen, lediglich von der zweckmäßigen Verwendung der für ihre Aufgabe ausreichend vorhandenen Kampfmittel ab. Mehr als Durchhalten verlangte ich von keinem. Wir selbst wollten im Westen die Kriegsentscheidung erringen. Für eine solche bekamen wir nunmehr unsere Ostkräfte frei, oder hofften sie wenigstens bis zum Eintritt der besseren Jahreszeit frei zu bekommen. Mit Hilfe dieser Kräfte vermochten wir uns im Westen eine zahlenmäßige Überlegenheit zu schaffen. Zum ersten Male während des ganzen Krieges auf einer unserer Fronten eine deutsche Überlegenheit! Sie konnte freilich nicht so groß sein, als es diejenige war, mit der England und Frankreich seit mehr als drei Jahren unsere Westfront vergeblich bestürmt hatten. Insbesondere reichten unsere Ostkräfte nicht hin, um die gewaltige Überlegenheit unserer Gegner an Artillerie- und Fliegerverbänden auszugleichen. Immerhin waren wir aber jetzt imstande, an einem Punkte der Westfront eine gewaltige Macht zur Überwältigung der feindlichen Linien zu vereinigen, ohne dabei allzuviel auf anderen Teilen dieser Front aufs Spiel zu setzen.
Leicht und einfach war der Entschluß zum Angriff im Westen aber auch
unter diesen für uns günstigeren Zahlenverhältnissen nicht. Die
Bedenken, ob uns ein großer Erfolg gelingen würde, blieben nicht gering.
Im Verlauf und Ergebnis der bisherigen gegnerischen Angriffsschlachten
konnte ich wahrlich keine Ermunterung zu einer Offensive finden. Was
hatte der Gegner mit allen seinen zahlenmäßigen Überlegenheiten, mit
seinen Millionen von Granaten und Wurfminen und endlich mit seinen
Hekatomben von Menschenopfern schließlich erreicht? Örtliche Gewinne von
etlichen Kilometern Tiefe waren die Frucht monatelanger Anstrengungen.
Auch wir hatten freilich als die Verteidiger schwere Verluste erlitten,
es mußte jedoch angenommen werden, daß diejenigen der Angreifer die
unsern wesentlich übertrafen. Mit bloßen sogenannten Materialschlachten
Die Frage liegt nahe, was uns Anrecht für die Hoffnung auf einen oder mehrere durchgreifende Siege zu geben schien wie sie unseren Gegnern doch bisher stets versagt geblieben waren. Die Antwort ist leicht zu erteilen, aber schwer zu erklären; sie ist ausgesprochen in dem Worte: „Vertrauen“. Nicht Vertrauen auf einen glücklichen Stern, auf vage Hoffnungen, noch weniger das Vertrauen auf Zahlen und äußere Stärken; es war das Vertrauen, mit dem der Führer seine Truppen in das feindliche Feuer entläßt, überzeugt, daß sie das Schwerste ertragen und das Unmöglichscheinende möglich machen werden. Es war das gleiche Vertrauen, das in mir lebte, als wir in den Jahren 1916 und 1917 unsere Westfront einer ungeheuren, fast übermenschlichen Belastungsprobe aussetzten, um anderwärts Angriffsfeldzüge zu führen, das gleiche Vertrauen, das uns wagen ließ, mit Unterlegenheiten feindliche Übermacht auf allen Kriegsschauplätzen in Schach zu halten oder gar zu schlagen.
Wenn die nötige zahlenmäßige Kraft vorhanden war, so schien mir auch der Wille zum guten Werke nirgends zu fehlen. Ich fühlte förmlich die Sehnsucht der Truppen, herauszukommen aus dem Elend und der Last des Abwehrkampfes. Ich wußte, daß aus dem deutschen „Kaninchen“, das der Spott eines unserer erbittertsten Gegner als „aus dem freien Felde in die Erdlöcher vertrieben“ der englischen Lächerlichkeit preisgeben zu dürfen glaubte, der deutsche Mann im Sturmhut werden würde, der mit seinem ganzen, mächtigen Zorne dem Schützengraben entsteigt, um die jahrelange Kampfqual der Verteidigung im Vorstürmen zu beenden.
Darüber hinaus glaubte ich aber von dem Ruf zum Angriff noch größere und weitergehende Folgen erwarten zu dürfen. Ich hoffte, daß mit unseren ersten siegreichen Schlägen auch die Heimat emporgehoben würde aus ihrem dumpfen Brüten und Grübeln über die Not der Zeit, über die Aussichtslosigkeit unseres Kampfes, über die Unmöglichkeit, den Krieg noch anders zu beenden als mit der Unterwerfung unter den Urteilsspruch tyrannischer Gewalten. Fährt erst das blitzende Schwert in die Höhe, so reißt es die Herzen mit sich, so war es immer; sollte es diesmal anders sein? Und meine Hoffnungen flogen hinüber über die Grenzen des Heimatlandes. Unter den mächtigen Eindrücken großer kriegerischer deutscher Erfolge dachte ich an eine Wiederbelebung des Kampfgeistes in dem so sehr bedrückten Österreich-Ungarn, an das volle Aufflammen aller politischen und völkischen Hoffnungen in Bulgarien und an das Erstarken des Willens zum Durchhalten selbst in entlegenen osmanischen Gebieten.
Wie hätte ich auf mein felsenfestes Vertrauen in das Gelingen unserer
Sache verzichten dürfen, um meinem Kaiser gegenüber vor meinem Vaterland
und meinem Gewissen eine Waffenstreckung zu empfehlen?
„Waffenstreckung?“ Ja gewiß! Es konnte keine Täuschung darüber geben,
daß unsere Gegner ihre Forderungen bis zu dieser Höhe treiben würden.
Gerieten wir nur erst einmal auf die abschüssige Bahn des Nachgebens,
hörte die straffe Spannung unserer Kräfte auf, dann war kein anderes
Ende mehr abzusehen, als ein Ende mit Schrecken, es sei denn, daß wir
vorher dem Gegner selbst die Arme und den Willen lahm geschlagen hatten.
So waren unsere Aussichten schon 1917, so verwirklichten sie sich
später. Wir standen immer in der Wahl zwischen Kampf bis zum Siege oder
Unterwerfung bis zur Selbstentsagung. Äußerten sich jemals unsere Gegner
in anderem Sinne? An mein Ohr drang niemals eine andere Stimme. Wenn
eine solche also wirklich irgendwo friedensverheißender ertönt sein
sollte, dann durchdrang sie nicht
Wir hatten nach meiner Überzeugung die nötige Stärke und den nötigen kriegerischen Geist zum Entscheidung suchenden letzten Waffengang. Wir hatten uns darüber schlüssig zu werden, wie und wo wir ihn ausfechten wollten. Das „Wie“ ließ sich im allgemeinen mit den Worten ausdrücken: Vermeidung eines Festrennens in einer sogenannten Materialschlacht. Wir mußten einen großen, wenn möglich überraschenden Schlag anstreben. Gelang es uns nicht, auf einen Hieb den feindlichen Widerstand zum Zusammenbruch zu bringen, dann sollten diesem ersten Schlag weitere Schläge an anderen Stellen der feindlichen Widerstandslinien folgen, bis unser Endziel erreicht war.
Als kriegerisches Ideal schwebte mir natürlich von vornherein ein völliger Durchbruch der gegnerischen Linien vor, ein Durchbruch, der uns das Tor zu freien Operationen öffnen würde. Dieses Tor sollte in der Linie Arras-Cambrai-St. Quentin-La Fère aufgeschlagen werden. Die Wahl der Angriffsfront war nicht durch politische Gesichtspunkte beeinflußt. Wir wollten dort nicht deswegen angreifen, weil uns Engländer in diesem Angriffsgebiet gegenüber standen. Ich sah freilich in England noch immer die Hauptstütze des feindlichen Widerstandes, war mir aber zugleich darüber auch klar, daß in Frankreich der Wille, unser staatliches Dasein bis zur Vernichtung zu schädigen, mindestens ebenso stark vertreten war, wie in England.
Auch in militärischer Beziehung war es von geringer Bedeutung, ob wir
unseren ersten Angriff gegen Franzosen oder Engländer richteten. Der
Engländer war zweifellos ungewandter im Gefecht als sein Waffengefährte.
Er verstand nicht, rasch wechselnde Lagen zu beherrschen. Er arbeitete
zu schematisch. Diese Mängel hatte er bisher im Angriffe gezeigt, und
ich glaubte, daß das in der Verteidigung nicht anders sein würde.
Derartige Erscheinungen waren für jeden Kenner soldatischer Erziehung
ganz selbstverständlich. Sie
Der Franzose war durchschnittlich gefechtsgewandter als sein englischer Bundesgenosse. Dafür war er aber wohl weniger zähe in der Verteidigung als dieser. In der französischen Artillerie erblickten unsere Führer wie Soldaten ihren gefährlichsten Feind, während der französische Infanterist in weniger großem Ansehen stand. Doch waren in dieser Beziehung auch die französischen Truppenverbände je nach den Landesteilen, aus denen sie sich ergänzten, verschieden.
Trotz der augenscheinlich lockeren Befehlsgemeinschaft an der französisch-englischen Front war bestimmt damit zu rechnen, daß jeder der Bundesgenossen dem anderen im Falle der Not zu Hilfe eilen würde. Daß dabei der Franzose rascher und rückhaltloser handeln würde, wie der Engländer, betrachtete ich bei der politischen Abhängigkeit Frankreichs vom englischen Willen und nach den bisherigen Kriegserfahrungen als selbstverständlich.
Zur Zeit unseres Angriffsentschlusses stand das englische Heer seit der
Flandernschlacht noch besonders stark auf dem nördlichen Flügel seiner
sich vom Meere bis in die Gegend südlich St. Quentin ausdehnenden Front
massiert. Eine andere etwas schwächere Kräftegruppe schien aus der
Schlacht bei Cambrai in dem dortigen Kampfgelände verblieben zu sein. Im
übrigen waren die englischen Kräfte augenscheinlich ziemlich gleichmäßig
verteilt; am schwächsten besetzt zeigten sich die Stellungen südlich der
Gruppe von Cambrai. Der englische Einbruchsbogen in unsere Linien bei
dieser Stadt
Unser Angriffskampf bedurfte aber nicht nur der materiellen Vorbereitung
sondern auch der taktischen Schulung. Wie ein Jahr vorher für die
Verteidigung, so wurden jetzt für den Angriff neue Grundsätze festgelegt
und in zusammenfassenden Vor
Wenn die gegnerische Presse im Jahre 1918 der Welt von deutschen Massenstürmen berichtete, so bediente sie sich dieser Ausdrücke wohl in erster Linie, um Sensationsbedürfnisse zu befriedigen, dann aber wohl auch, um die Schlachtbilder für die Masse ihrer Leser anschaulicher und die eingetretenen Ereignisse verständlicher zu machen. Woher hätten wir allein schon die Menschen zu solch einer Massentaktik und zu solchen Massenopfern nehmen sollen? Außerdem hatten wir genügende Erfahrung darin gemacht, wie nutzlos meist die kostbaren Kräfte vor unseren Linien hinsanken, wenn unsere Schnitter an der modernen Sense des Schlachtfeldes, am Maschinengewehr, sich der blutigen Ernte um so erfolgreicher widmen konnten, je dichter die Menschenhalme standen.
Diese Ausführungen, die sich mehr mit dem Geiste als der Technik unseres Kampfverfahrens beschäftigen, dürften zur allgemeinen Kennzeichnung unserer Angriffsgrundsätze genügen. Der deutsche Infanterist trug natürlich auch jetzt die Last des Kampfes. Seine Schwesterwaffen hatten aber die nicht weniger ruhm- und verlustreiche Aufgabe, dem braven Musketier die Arbeit zu erleichtern.
Die Schwere des bevorstehenden großen Waffenganges im Westen wurde von
uns in ihrer ganzen Größe gewürdigt. Sie machte es
Der jetzige Stand und die weitere Entwicklung unserer politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse legte der Durchführung mancherlei Schwierigkeiten in den Weg, die wiederholt mein persönliches Eingreifen nötig machten. Ich möchte diese wichtige Frage im Zusammenhang darstellen und beginne mit dem Osten:
Am 15. Dezember war an der russischen Front der Waffenstillstand geschlossen worden. Angesichts der Zersetzung des russischen Heeres hatten wir schon vorher mit der Abbeförderung eines großen Teiles unserer Kampfverbände von dort begonnen. Ein Teil der operations- und kampffähigen Divisionen mußte jedoch bis zur endgültigen politischen Abrechnung mit Rußland und Rumänien zurückbleiben.
Unseren militärischen Wünschen würde es natürlich durchaus entsprochen
haben, wenn das Jahr 1918 im Osten mit Friedensglocken eingeläutet
worden wäre. Statt ihrer tönten aus dem Verhandlungsraum in
Brest-Litowsk die wildesten Agitationsreden umstürzlerischer Doktrinäre.
Die breiten Volksmassen aller Länder wurden von diesen politischen
Hetzern aufgerufen, die auf ihnen lastende Knechtschaft durch
Aufrichtung einer Herrschaft des Schreckens abzuschütteln. Der Friede
auf Erden sollte durch Massenmord am Bürgertum gesichert werden. Die
russischen Unterhändler, allen voran Trotzki, würdigten den
Verhandlungstisch, an dem die Versöhnung mächtiger Gegner sich
vollziehen sollte, zum Rednerpult wüster Agitatoren herab. Unter diesen
Umständen war es kein Wunder, wenn die Friedensverhandlungen keine
Fortschritte machten. Nach meiner Auffassung trieben Lenin und Trotzki
aktive Politik nicht wie Unterlegene, sondern wie Sieger, indem sie die
politische Auflösung in unserem Rücken und in die Reihen unserer Heere
tragen wollten. Der Friede drohte unter solchen Verhältnissen schlimmer
zu werden
Die Schwierigkeiten, unter denen unsere deutsche Vertretung in Brest-Litowsk litt, mochten noch so groß sein, ich hatte jedenfalls die Pflicht, darauf zu dringen, daß mit Rücksicht auf unsere beabsichtigen Operationen im Westen baldigst ein Friede im Osten erreicht würde. Die Angelegenheit kam aber erst dann richtig in Fluß, als Trotzki am 10. Februar die Unterzeichnung eines Friedensvertrages verweigerte, im übrigen jedoch den Kriegszustand als beendet erklärte. Ich konnte in diesem, allen völkerrechtlichen Grundsätzen hohnsprechenden Verhalten Trotzkis nur einen Versuch erblicken, die Lage im Osten dauernd in der Schwebe zu halten. Ob bei diesem Versuche auch Einflüsse der Entente wirksam waren, muß ich dahingestellt sein lassen. Jedenfalls war der damalige Zustand in militärischer Beziehung unerträglich. Der Reichskanzler Graf von Hertling schloß sich dieser Anschauung der Obersten Heeresleitung an. Seine Majestät der Kaiser entschied am 13. Februar, daß die Feindseligkeiten im Osten am 18. wieder aufzunehmen seien.
Die Durchführung der Operation traf fast nirgends mehr auf ernstlichen
feindlichen Widerstand. Die russische Regierung erkannte jetzt die ihr
drohende Gefahr. Am 3. März wurde in Brest-Litowsk der Friede zwischen
dem Vierbund und Großrußland unterzeichnet. Die russische militärische
Macht war damit auch rechtsgültig aus dem Kriege ausgeschieden. Große
Landesteile und Völkerstämme waren von dem bisherigen geschlossenen
russischen Körper abgesprengt, in dem eigentlichen Kernrußland ein
tiefer Riß zwischen Großrußland und der Ukraine entstanden. Die
Abtrennung der Randstaaten vom früheren Zarenreiche durch die
Friedensbedingungen war für mich in erster Linie ein militärischer
Gewinn. Dadurch war ein, wenn ich mich so ausdrücken darf, weites
Vorfeld jenseits unserer
Ich brauche wohl nicht besonders zu versichern, daß die Verhandlungen mit einer russischen Schreckensregierung meinen politischen Ansichten äußerst wenig entsprachen. Wir waren aber gezwungen gewesen, zunächst einmal mit den jetzt in Großrußland vorhandenen Machthabern zu einem abschließenden Vertrag zu kommen. Im übrigen war ja zurzeit dort alles in größter Gärung, und ich persönlich glaubte nicht an eine längere Dauer der Herrschaft des damaligen Terrors.
Trotz des Friedensschlusses war es uns freilich auch jetzt nicht möglich, alle unsere kampfbrauchbaren Truppen vom Osten abzubefördern. Wir konnten die besetzten Gebiete nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Schon allein das Ziehen einer Barriere zwischen den bolschewistischen Heeren und den von uns befreiten Ländern forderte gebieterisch das Belassen stärkerer deutscher Truppen im Osten. Auch waren unsere Operationen in der Ukraine noch nicht abgeschlossen. Wir mußten in dieses Land einmarschieren, um in die dortigen politischen Verhältnisse Ordnung zu bringen. Nur dann, wenn dieses gelang, hatten wir Aussicht, aus dem ukrainischen Gebiete Lebensmittel in erster Linie für Österreich-Ungarn, dann aber auch für unsere Heimat, ferner Rohstoffe für unsere Kriegsindustrie und Kriegsbedürfnisse für unser Heer zu gewinnen. Politische Gesichtspunkte spielten bei diesen Unternehmungen für die Oberste Heeresleitung keine Rolle.
Von einer wesentlich anderen Bedeutung war die militärische
Unterstützung, die wir im Frühjahr des Jahres Finnland in seinem
Freiheitskriege gegen die russische Gewaltherrschaft angedeihen ließen.
Hatte doch die bolschewistische Regierung die uns zugesagte
Die Kampftruppen, die wir gegen Rumänien stehen hatten, wurden größtenteils frei, als sich die Regierung dieses Landes angesichts unseres Friedensschlusses mit Rußland genötigt sah, auch ihrerseits zu einem friedlichen Abschluß mit uns zu kommen. Der dann noch im Osten bleibende Rest unserer fechtenden Truppen bildete für die Zukunft eine gewisse Kraftquelle zur Ergänzung unseres Westheeres.
Die Heranziehung der deutschen Divisionen, die wir im Feldzug gegen Italien eingesetzt hatten, konnte ohne weiteres schon im Verlauf des Winters durchgeführt werden. Österreich-Ungarn mußte nach meiner Ansicht durchaus imstande sein, die Lage in Oberitalien fortan allein zu beherrschen.
Eine wichtige Frage war, ob wir nicht an Österreich-Ungarn mit dem
Ersuchen herantreten sollten, uns Teile seiner im Osten und in Italien
frei werdenden Kräfte zum kommenden Entscheidungskampf zur Verfügung zu
stellen. Auf Grund von Berichten glaubte ich indessen, daß diese Kräfte
sich in Italien besser verwerten ließen als bei unserem schweren Ringen
im Westen. Gelang es Österreich-Ungarn, durch eindrucksvolle Bedrohung
des Landes das gesamte
Der österreichisch-ungarische Außenminister hat in dieser Zeit in einer Rede darauf hingewiesen, daß die Kräfte der Donaumonarchie ebensowohl für Straßburg wie für Triest eingesetzt würden. Diese bundesfreundliche Äußerung fand meinen vollsten Beifall. Erst nachträglich wurde mir bekannt, daß diese Worte des Grafen Czernin innerhalb nichtdeutscher Kreise der Donaumonarchie heftige Widersprüche hervorgerufen hatten. Diese politische Erregung übte sonach auf meine militärische Entscheidung über die Größe der österreichisch-ungarischen Waffenhilfe auf unseren künftigen Schlachtfeldern im Westen keinen Einfluß.
Es galt für mich als selbstverständlich, daß wir den Versuch machen
mußten, auch diejenigen unserer Kampftruppen für unsere Westoffensive
frei zu machen, die bisher in Bulgarien und der asiatischen Türkei
verwendet waren. Ich habe schon darauf hingewiesen, wie groß die
politischen Widerstände gegen einen derartigen Gedanken in Bulgarien
waren. General Jekoff war ein zu einsichtiger Soldat, um nicht die
Richtigkeit unserer Forderungen anzuerkennen; er hielt jedoch
augenscheinlich die deutschen Pickelhauben in Mazedonien für ebenso
unentbehrlich wie sein König. Die Zurückziehung der deutschen Truppen
von der mazedonischen Front kam infolgedessen nur recht allmählich in
Fluß. Nur schwer entschloß sich General Jekoff auf unser wiederholtes
Drängen, sie durch die bulgarischen Truppen aus der Dobrudscha
abzulösen. Ernste Mitteilungen unserer
Ein ähnliches Ergebnis hatte unser gleiches Bemühen in der Türkei. Unser Asienkorps war im Herbste 1917 mit den ursprünglich für den Feldzug nach Bagdad bestimmten türkischen Divisionen nach Syrien befördert worden. Die bedenkliche Lage an der dortigen Front zwang uns, bei Beginn des Jahres 1918 eine Verstärkung dieses Korps auf etwa das Doppelte durchzuführen. Die meisten der hierfür bestimmten Truppen wurden unfern in Mazedonien stehenden Verbänden entnommen. Bevor diese Verstärkungen ihren neuen Bestimmungsort erreicht hatten, glaubten wir, eine wesentliche Besserung in der Lage an der syrischen Front feststellen zu können, und traten daher mit Enver Pascha wegen Zurückziehung aller dortigen deutschen Truppen in Verbindung. Der Pascha gab sein Einverständnis. Dringende militärische und politische Vorstellungen von seiten des deutschen Oberkommandos in Syrien sowie von seiten der durch dieses Oberkommando beeinflußten deutschen Reichsleitung veranlaßten uns indessen, von dem Abruf Abstand zu nehmen.
Zusammenfassend darf ich wohl behaupten, daß von unserer Seite nichts unterlassen wurde, um möglichst alle unsere deutschen Kampfkräfte im Westen zur Entscheidung zu versammeln. Wenn dies nicht bis auf den letzten Mann gelang, so lag der Grund in Verhältnissen verschiedenster Art, in keinem Falle aber in einer Verkennung der Wichtigkeit dieser Frage von unserer Seite.
So war im Winter 1917/18 endlich das erreicht, was ich vor drei Jahren
so sehnsüchtig angestrebt hatte. Wir konnten uns mit freiem Rücken dem
Entscheidungskampf im Westen zuwenden, wir mußten jetzt zu diesem
Waffengang schreiten. Ein solcher würde uns
Ich habe schon früher darauf hingewiesen, wie viel schwerer jetzt, 1918, die Aufgabe für uns geworden war. Noch immer stand Frankreich als mächtiger Gegner auf dem Plan, mochte es gleich mehr geblutet haben als wir selbst. Ihm zur Seite ein englisches mehrfaches Millionenheer, voll gerüstet, wohl geschult und kriegsgewohnt. Ein neuer Gegner, wirtschaftsgewaltig wie kein zweiter, alle Quellen der uns feindlichen Kriegführung beherrschend, all unserer Feinde Hoffnung belebend und vor dem Niederbruch stützend, gewaltige Truppenmassen bereitstellend, die Vereinigten Staaten von Nordamerika, zeigte sich in drohender Nähe. Wird dieser noch zur rechten Zeit kommen, um uns den Siegeslorbeer aus den Händen zu reißen? Darin lag die kriegsentscheidende Frage, und nur darin! Ich glaubte sie verneinen zu können!
Der Ausgang unserer großen Offensive im Westen hat die Frage aufwerfen
lassen, ob es für uns nicht rätlich gewesen wäre, auch im Jahre 1918 den
Krieg an der Westfront, unter Stützung der bisher dort verwendeten
Armeen mit starken Reserven, im wesentlichsten verteidigungsweise zu
führen, alle übrigen militärischen und politischen Anstrengungen aber
darauf zu vereinigen, im Osten geordnete staatliche und wirtschaftliche
Verhältnisse zu schaffen und unsere Bundesgenossen bei ihren
Kriegsaufgaben zu unterstützen. Es wäre ein Irrtum, anzunehmen, daß mich
derartige Gedanken nicht vor unseren Offensivplänen beschäftigt hatten.
Ich wies sie nach reiflichster Überlegung zurück. Gefühlsmomente
spielten dabei keine Rolle. Wie wäre ein Ende des Krieges bei solcher
Führung abzusehen gewesen? Selbst wenn ich am Ende 1917 noch keine
Veranlassung zu haben glaubte, an unserer deutschen Widerstandskraft
über das kommende Jahr hinaus zu zweifeln, so konnte ich über dem
bedenklichen Zerfall dieser Kraft bei unseren Bundesgenossen nicht im
Unklaren sein. Wir mußten mit allen Mitteln zu einem erfolgreichen
In Genehmigung unseres Antrages wurde auf Befehl Seiner Majestät des
Kaisers am 8. März das deutsche Große Hauptquartier nach Spa verlegt.
Die Änderung war durch die kommenden Operationen im Westen bedingt. Von
dem neuen Hauptquartier aus konnten wir die nunmehr wichtigsten Teile
unserer westlichen Heeres
Das Bild der Stadt wird äußerlich beherrscht durch den mächtigen, klotzigen Bau seiner alten Kirche. Teilweise verfallene oder nur in Teilen noch vorhandene Befestigungsanlagen erinnern daran, daß Avesnes in früheren Zeiten eine kriegsgeschichtliche Rolle gespielt hatte. So weit mir erinnerlich, hatten sich 1815 Teile der preußischen Armee nach der Schlacht von Belle Alliance in den Besitz der damaligen Festung gesetzt und waren dann in Richtung auf Paris weitergezogen. Vom Kriege 1870/71 war die Gegend nicht betroffen worden.
Die Stadt, ganz in grüne Umgebung gebettet, ist ein stiller Landort. Durch unsere Anwesenheit erhielt sie ein nur wenig lebhafteres Gepräge. Ich selbst befand mich dort nach 47 Jahren wieder für längere Zeit unter französischer Bevölkerung. Die verschiedenen Straßentypen erschienen mir gegen die Zeit von 1870/71 so unverändert, daß ich den zeitlichen Zwischenraum vergessen konnte. So saßen auch jetzt noch, wie damals, die Einwohner vor ihren Türen, die Männer meist still in Schauen vertieft, die Frauen lebhaft, die Unterhaltung beherrschend, die Kinder auf dem Ballplatz bei frohem Spiel und Gesang, wie mitten im tiefsten Frieden. Glückliche Jugend!
Unser langes Verbleiben in Avesnes bestätigte mir im übrigen die
allgemeine Erfahrung, daß die französische Bevölkerung sich mit Würde in
das harte Schicksal fügte, das die lange Dauer des Krieges über sie
verhängt hatte. Wir waren nicht veranlaßt, irgend
Seine Majestät der Kaiser nahm in Avesnes nicht Unterkunft, sondern verweilte während der Zeit der folgenden großen Ereignisse in seinem Sonderzug. Dieser wurde je nach der Kriegslage verschoben. Der wochenlange Aufenthalt in den engen Räumen des Zuges mag als Beweis für die Anspruchslosigkeit unseres Kriegsherrn dienen. Er lebte in diesen Zeiten völlig seinem Heer. Rücksichten auf bestehende Gefahren, etwa durch feindliche Flieger, lagen außerhalb der Gedankenreihe des Kaisers.
Der Aufenthalt in Avesnes gab mir im Verlauf der nächsten Monate Gelegenheit, häufiger als bisher mit unseren Heeresgruppen- und Armeeführern sowie sonstigen höheren Stäben in persönliche Berührung zu kommen. Ganz besonders begrüßte ich die Möglichkeit, Truppenoffiziere bei mir zu sehen. Ihre Kriegserfahrungen und ihre sonstigen, meist mit ergreifend schlichten Worten vorgetragenen Kriegserlebnisse waren für mich nicht nur vom kriegerischen sondern auch vom allgemein menschlichen Standpunkt aus von hohem Interesse.
Der gelegentlich ausgeführte Besuch bei dem masurischen Regiment, das meinen Namen trug, bei dem Garderegiment, in dessen Reihen ich als junger Offizier während zweier Kriege gestanden, bei der Oldenburger Infanterie, die ich einst als Kommandeur befehligt hatte, war für mich eine ganz besondere Freude. Freilich war von den Friedensstämmen nur noch wenig übrig geblieben, aber im neuen Geschlechte fand ich den alten soldatischen Geist. Die meisten Offiziere und Mannschaften sah ich zum ersten und viele auch gleichzeitig zum letzten Male. Ehre ihrem Andenken!
Noch vor unserer Abfahrt von Spa erließ Seine Majestät der Kaiser den Befehl für die demnächstige große Angriffsschlacht. Ich führe diesen Befehl in seinem wesentlichsten Inhalt wörtlich an, um weitläufige Ausführungen über unsere Kampfabsichten entbehrlich zu machen. Zur Erläuterung bemerke ich im voraus, daß die Vorarbeiten zu dieser großen Schlacht mit dem Deckwort: „Michael“ bezeichnet worden waren, und daß Angriffstag und Angriffsstunde erst eingefügt wurden, als sich der Abschluß der Vorbereitungen einwandfrei übersehen ließ.
Großes Hauptquartier, 10. 3. 18.
„Seine Majestät befehlen:
1. Der Michaelangriff findet am 21. 3. statt. Einbruch in die erste
feindliche Stellung 940 vormittags.
2. Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht schnürt dabei als erstes großes taktisches Ziel den Engländer im Cambraibogen ab und gewinnt ... die Linie Croisilles (südöstlich Arras)-Bapaume-Peronne. Bei günstigem Fortschreiten des Angriffes des rechten Flügels (17. Armee) ist dieser über Croisilles weiter vorzutragen.
Weitere Aufgabe der Heeresgruppe ist, in Richtung Arras-Albert
vorzustoßen, mit linkem Flügel die Somme bei Peronne festzuhalten und
mit Schwerpunkt auf dem rechten Flügel die eng
3. Heeresgruppe Deutscher Kronprinz gewinnt zunächst südlich des Omigonbaches (dieser mündet südlich Peronne) die Somme und den Crosatkanal (westlich La Fère). Bei raschem Vorwärtskommen hat die 18. Armee (rechter Flügel der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz) die Übergänge über die Somme und die Kanalübergänge zu erkämpfen ...“
Die Spannung, unter der wir am 18. März abends Spa verlassen hatten, steigerte sich bei unserem Eintreffen auf der Befehlsstelle Avesnes. Das bisher herrliche, klare Vorfrühlingswetter war umgeschlagen. Heftige Regenböen zogen über das Land. Sie machten dem Spottnamen, mit dem Avesnes und seine Umgebung von den Franzosen belegt war, alle Ehre. An sich konnten wir uns Wolken und Regen an diesen Tagen wohl gefallen lassen. Sie verschleierten vielleicht unsere letzten Angriffsvorbereitungen. Hatten wir aber wirklich noch berechtigte Hoffnung, daß der Gegner in unsere bisherigen Maßnahmen noch keinen Einblick gewonnen hatte? Die feindliche Artillerie hatte sich in letzter Zeit ab und zu besonders aufmerksam und lebhaft gezeigt. Das Feuer war indessen immer wieder abgeflaut. Da und dort suchten feindliche Flieger während der Nacht im Scheine von Leuchtkugeln einzelne unserer wichtigsten Vormarschstraßen ab und schossen mit Maschinengewehren auf alle wahrgenommenen Bewegungen. Aber all das gab noch keinen festen Anhalt für eine Antwort auf die Frage: „Kann unsere Überraschung gelingen?“
Die Angriffsverstärkungen rückten in den letzten Nächten in ihre
Ausgangsstellungen zum Sturme; die letzten Minenwerfer und Batterien
wurden vorgezogen. Keine wesentliche Störung durch den Gegner! An
einzelnen Stellen unternahm man es, schwere
Der größte Teil des 20. März verging in Sturm und Regen. Die Aussichten auf den 21. waren unsicher, örtlicher Nebel wahrscheinlich. Trotzdem entschieden wir uns am Mittag für den Beginn der Schlacht am Morgen des folgenden Tages.
Die Frühdämmerung des 21. März fand das nördliche Frankreich von der Küste bis zur Aisne unter einer Dunstschicht. Je höher die Sonne stieg, um so dichter wurde der Nebel auf den Erdboden gedrückt. Er beschränkte zeitweise den Blick bis auf wenige Meter Entfernung. Selbst die Schallwellen schienen sich in den grauen Schwaden zu verzehren. In Avesnes vernahm man nur fernes unbestimmtes Rollen von dem Schlachtfelde her, auf dem seit den ersten Tagesstunden Tausende von Geschützen jeden Kalibers im heftigsten Feuer standen.
Ungesehen und selbst nicht sehend arbeitete unsere Artillerie. Nur die Gewissenhaftigkeit der Vorbereitungen konnte Gewähr geben für die Wirkung unserer Batterien. Die Antwort des Gegners war örtlich und zeitlich von wechselnder Stärke. Sie war mehr ein Herumtasten nach einem unbekannten Gegner, als eine systematische Bekämpfung des lästigen Feindes.
Also auch jetzt noch keine Gewißheit, ob nicht der Engländer in voller
Abwehrbereitschaft unseren Angriff erwartete. Der Schleier, der über
allem lag, lichtete sich nicht. In ihn hinein stürmte gegen 10 Uhr
vormittags unsere brave Infanterie. Zunächst kamen von ihr nur unklare
Meldungen, Angaben über erreichte Ziele, Abänderungen dieser
Nachrichten, Widerrufe. Erst allmählich hob sich die Ungewißheit, und es
ließ sich überblicken, daß wir überall in die vordersten
In den späten Abendstunden war ein Bild des Erreichten mit einiger Klarheit zu erkennen. Die rechte Flügelarmee und die Mitte unserer Schlachtfront waren im wesentlichen vor der zweiten feindlichen Stellung zum Halten gekommen. Die linke Armee war über St. Quentin hinaus mächtig vorwärts geschritten. Kein Zweifel, daß der rechte Flügel den stärksten Widerstand vor sich hatte. Der Engländer spürte die ihm aus nördlicher Richtung drohende Gefahr, er warf ihr alle seine verfügbaren Reserven entgegen. Der linke Flügel dagegen hatte bei augenscheinlich weitgehender Überraschung die verhältnismäßig leichteste Kampfarbeit gehabt. Der Kräfteverbrauch war im Norden über unser Erwarten groß, sonst entsprach er unseren Voraussetzungen.
Das Ergebnis des Tages schien mir befriedigend. In diesem Sinne sprachen sich auch unsere vom Schlachtfeld zurückkehrenden Generalstabsoffiziere aus, die den Truppen in den Kampf gefolgt waren. Doch konnte erst der zweite Tag zeigen, ob nicht unser Angriff das Schicksal aller derjenigen teilte, die der Gegner seit Jahren gegen uns geführt hatte, nämlich eine Versumpfung des Vorwärtsschreitens nach dem ersten gelungenen Einbruch.
Der Abend dieses zweiten Tages sah unseren rechten Flügel im Besitz der zweiten feindlichen Stellung. Unsere Mitte hatte auch die dritte feindliche Widerstandslinie genommen, während die linke Armee im vollen Siegeslauf schon jetzt meilenweit nach Westen vorgedrungen war. Hunderte von feindlichen Geschützen, ungeheure Mengen Schießbedarfs und sonstige Beute jeder Art lagen im Rücken unserer vordersten Linien. Lange Gefangenenkolonnen marschierten nach Osten. Die Zertrümmerung der englischen Besatzung im Cambraibogen konnte jedoch nicht mehr gelingen, da unser rechter Flügel entgegen unseren Erwartungen nicht weit und rasch genug vorwärts gekommen war.
Der dritte Kampftag veränderte nicht das bisherige Bild des Schlachtenverlaufes: Schwerstes Ringen unseres rechten Flügels, wo höchstgespannte englische Zähigkeit sich uns entgegenwirft und auch heute noch die dritte Verteidigungslinie behauptet. Dafür weiterer großer Geländegewinn in unserer Mitte und auch auf unserem linken Flügel. Südlich Peronne wurde schon an diesem Tage die Somme erreicht, an einem Punkte sogar überschritten.
An diesem Tage, dem 23. März, fallen die ersten Granaten in die feindliche Hauptstadt.
Bei diesem glänzenden Fortschreiten unseres Angriffes in westlicher Richtung, das alles in Schatten stellt, was seit Jahren auf der Westfront geleistet worden war, erscheint mir unser Durchdringen bis nach Amiens möglich. Amiens ist der große Vereinigungspunkt der wichtigsten Bahnverbindungen zwischen dem durch die Somme scharf geschiedenen Kriegsgebiet des mittleren und nördlichen Frankreichs, letzteres das hauptsächliche Kampffeld Englands. Die Stadt ist also von größtem strategischen Wert. Fällt sie in unsere Hand, oder gelingt es uns, wenigstens Amiens und Umgebung unter unser kräftiges Artilleriefeuer zu bringen, so ist das gegnerische Operationsfeld in zwei Teile gesprengt, der taktische Durchbruch zum strategischen erweitert, England auf der einen, Frankreich auf der anderen Seite. Vielleicht lassen sich die verschiedenen politischen und strategischen Interessen beider Länder durch solch einen Erfolg trennen. Bezeichnen wir diese Interessen durch die beiden Namen „Calais“ und „Paris“. Darum vorwärts gegen Amiens!
Und in der Tat geht es auch weiter vorwärts mit Riesenschritten. Für
lebhafte Phantasien und heiße Wünsche freilich immer noch nicht rasch
genug. Muß man doch befürchten, daß auch der Gegner die ihm nunmehr
drohende Gefahr erkennt, und daß er alles versuchen wird, ihr zu
begegnen. Englische Reserven vom Nordflügel, französische Truppen aus
ganz Mittelfrankreich werden jedenfalls Amiens und dessen Umgebung
zustreben. Auch ist zu erwarten, daß die franzö
Der Abend des vierten Schlachttages sieht Bapaume in unseren Händen. Peronne und die Sommelinie südwärts liegt schon hinter unseren vordern Divisionen. Wir haben das alte Schlachtfeld an der Somme wieder betreten; für manchen unserer Soldaten reich an stolzen, wenn auch ernsten Erinnerungen, für alle, die es zum ersten Male sahen, tiefergreifend durch die Sprache, die auch jetzt noch aus den Millionen von Granattrichtern, aus dem Gewirr halbverfallener und verwachsener Gräben, aus dem majestätischen Schweigen über den verödeten Flächen und aus den Tausenden von Gräbern an das menschliche Herz dringt.
Starke Frontteile der Engländer sind völlig geschlagen und weichen ziemlich haltlos in Richtung auf Amiens zurück. Zunächst stockt aber nun das Vorschreiten unserer rechten Flügelarmee. Um die Schlacht hier wieder in Fluß zu bringen, greifen wir das Höhengelände ostwärts Arras mit neuen Kräften an. Der Versuch gelingt indessen nur stellenweise. Das Unternehmen wird abgebrochen. Inzwischen nimmt die Mitte unseres Angriffes Albert. Der linke Flügel stößt am siebenten Schlachttage unter Deckung gegen französische Angriffe aus südlicher Richtung über Roye bis Montdidier vor.
Die Entscheidung liegt also mehr als je in der Richtung auf Amiens.
Dorthin scheinen wir augenblicklich noch gut vorwärts zu kommen. Aber
bald wird auch hier der Widerstand zäher und zäher, die Bewegung
langsamer und langsamer. Die auf Amiens vorausgeflogenen Phantasien und
Hoffnungen müssen zurückgeholt werden. Die Tatsachen müssen so
betrachtet werden, wie sie sind. Menschliche Arbeit bleibt Stückwerk.
Günstige Gelegenheiten werden versäumt, nicht überall wird mit gleicher
Tatkraft zugegriffen, selbst da, wo ein glänzendes Ziel in Aussicht
steht. Man möchte es jedem einzelnen Soldaten zurufen: „Dringe vorwärts
auf Amiens, gib den letzten Rest deines Willens her! Vielleicht bedeutet
Amiens den
Der Gegner erkennt klar, was er mit Villers-Bretonneux verlieren würde. Er wirft der Stirnseite unseres Durchbruches alles entgegen, was er heranbringen kann. Der Franzose erscheint und rettet mit seinen Massenangriffen und seiner gefechtsgewandten Artillerie die Lage für den Verbündeten und für sich selber.
Bei uns fordert die menschliche Natur zwingend ihr Recht. Wir müssen Atem schöpfen. Die Infanterie braucht Ruhe, die Artillerie Munition. Ein Glück war es, daß wir teilweise aus den reichen Vorräten des geschlagenen Gegners leben konnten; wir hätten sonst die Somme wohl nicht überschreiten können, denn die im breiten Trichterfeld der zuerst genommenen feindlichen Stellungen verschütteten Straßen können erst durch tagelange Arbeit wieder benutzbar gemacht werden. Noch aber geben wir die Hoffnung, Villers-Bretonneux zu gewinnen, nicht völlig auf. Am 4. April versuchen wir aufs neue, den Gegner von dort zu vertreiben. Verheißungsvoll lauten an diesem Tage zuerst die Nachrichten über das Vorschreiten unseres Angriffes. Der folgende 5. April aber bringt an diesem Punkte Rückschlag und Enttäuschung.
Amiens bleibt in den Händen der Gegner und wird nur von unserem Fernfeuer berührt, das die Verkehrsadern des Feindes zwar beunruhigen, aber nicht unterbinden kann.
Die „Große Schlacht“ in Frankreich ist zu Ende!
Unter den Schlachtentwürfen für den Beginn des Feldzugsjahres 1918
befand sich auch eine Bearbeitung des Angriffes auf die englische
Stellung in Flandern. Bei dieser war von dem Gedanken
Bevor die Lys-Niederung nicht einigermaßen gangbar war, ließ sich an die
Durchführung dieses Angriffes überhaupt nicht denken. Ein genügendes
Trockenwerden war bei gewöhnlichen Witterungsverhältnissen erst gegen
Mitte April mit einiger Sicherheit zu erwarten. Wir glaubten indessen
den Beginn des entscheidenden Ringens im Westen nicht so lange
hinausschieben zu können. Mußten wir doch ununterbrochen die Möglichkeit
des Eingreifens von Nordamerika im Auge behalten. Ungeachtet der gegen
den Angriff vorhandenen Bedenken ließen wir das Unternehmen wenigstens
theoretisch vorbereiten. An seine Verwirklichung war für den Fall
gedacht, daß unsere Operation bei St. Quentin die gegnerische Führung
veranlassen würde, starke Kräfte von der Gruppe
Dieser Fall war Ende März eingetreten. Sobald sich nun übersehen ließ, daß unser Angriff in Richtung nach Westen ins Stocken kommen mußte, entschlossen wir uns daher, auf unsere Operation an der Lys-Front zurückzugreifen. Eine Anfrage bei der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht erhielt die Antwort: Der Angriff über die Lys-Niederung sei dank des trockenen Vorfrühlingswetters schon jetzt möglich. Mit außerordentlicher Tatkraft wurde nunmehr das Unternehmen von seiten der Armeeführungen und Truppen gefördert.
Am 9. April, am Jahrestage der großen Krisis von Arras, erhoben sich aus
den verschlammten Stellungen an der Lys-Front von Armentières bis La
Bassée unsere sturmbereiten Truppen. Freilich nicht in breiten
Angriffswellen sondern meist in kleinen Abteilungen und in schmalsten
Kolonnen wateten sie durch einen von Granaten und Minen zerwühlten
Morast, zwischen tiefen, mit Wasser gefüllten Geschoßtrichtern oder auf
den wenigen einigermaßen festen Geländestreifen den feindlichen Linien
entgegen. Unter dem Feuerschutz unserer Artillerie und Minenwerfer
gelang trotz aller natürlichen und künstlichen Hindernisse das
überraschende Vorgehen, an das anscheinend weder die Engländer noch die
zwischen ihnen eingeschobenen Portugiesen geglaubt hatten. Die
portugiesischen Truppen verließen größtenteils in haltloser Flucht das
Schlachtfeld und verzichteten endgültig zugunsten ihrer Bundesgenossen
auf die Kampfarbeit. Unsere Ausnützung der Überraschung und des
portugiesischen Versagens fand freilich in dem Gelände die größten
Schwierigkeiten; nur mit Mühe konnten einzelne Geschütze und
Munitionswagen hinter der Infanterie nach vorwärts gebracht werden. Doch
wurde die Lys am Abend erreicht, an einer Stelle überschritten. Die
Entscheidung lag also auch diesmal in dem Kampfverlauf der
nächstfolgenden Tage.
Auch der nächste Tag bringt uns neue Erfolge und neue Hoffnungen. Armentières wird vom Gegner geräumt, Merville von uns genommen. Wir nähern uns von Süden her der ersten Stufe zu dem mächtigen Höhengelände, von dem aus der Blick und die Artillerie des Gegners unsern Angriff beherrschten. Die Fortschritte werden aber von jetzt ab immer geringer. Sie hören am linken Flügel in westlicher Richtung bald ganz auf und ermatten bedenklich in Richtung auf Hazebrouck. In der Mitte nehmen wir in den nächsten Tagen noch Bailleul und setzen von Süden her den Fuß auf das Hügelgelände. Auch Wytschaete fällt in unsere Hand. Damit erschöpft sich jedoch dieser erste Schlag.
Wie Ketten hatten sich die Schwierigkeiten der Verbindungen durch die Lys-Niederung an die Bewegungen unserer vom Süden her angreifenden Truppen gelegt. Schießbedarf kommt in nur ungenügenden Mengen durch, und wir sind nur dank der Beute auf dem bis jetzt eroberten Kampffelde in der Lage, unsere Truppen ausreichend zu verpflegen.
In dem Ringen gegen die feindlichen Maschinengewehrnester blutet unsere Infanterie außerordentlich, ihre Erschöpfung droht, wenn wir nicht eine Zeitlang im Angriff innehalten. Andrerseits drängt die Lage zu einer Entscheidung. Wir waren in eine jener Krisen geraten, in denen der Angriff äußerst schwierig, die Verteidigung bedenklich wird. Nicht im Durchhalten, nur im Vorwärtskommen konnte die Befreiung aus diesem Zustande liegen.
Wir müssen den Kemmelberg stürmen. Wie ein Klotz liegt dieser Berg seit
Jahren vor unseren Augen. Es ist damit zu rechnen, daß
Voraussetzung für das Gelingen unseres weiteren Angriffes in Flandern ist, die französische Führung zu veranlassen, den englischen Bundesgenossen die Last des dortigen Kampfes allein tragen zu lassen. Wir greifen daher zunächst am 24. April erneut bei Villers-Bretonneux an, hoffend, daß der französischen Kriegsleitung die Sorge um Amiens näherliegen würde als die Hilfeleistung für den schwer bedrängten englischen Freund in Flandern. Aber dieser unser neuer Angriff scheitert. Dagegen bricht am 25. April die englische Verteidigung auf dem Kemmelberge auf den ersten Anhieb zusammen. Der Verlust dieser Stütze erschüttert die ganze feindliche Flandernfront. Der Gegner beginnt aus dem Ypernbogen zu weichen, den er in monatelangem Ringen im Jahre 1917 ausgeweitet hatte. An die letzte flandrische Stadt klammert er sich jedoch wie an ein Kleinod, das er aus politischen Rücksichten nicht verlieren will. Doch nicht bei Ypern sondern von Südosten her, in der Angriffsrichtung auf Cassel, liegt die Entscheidung in Flandern. Gelingt es uns, in dieser Richtung vorzukommen, dann muß die ganze englisch-belgische Flandernfront ins Rollen nach Westen kommen. Wie vor einem Monat im Gedanken an Amiens, so erweitern sich auch diesmal die Hoffnungen und eilen bis an die Küste des Kanals. Ich glaube zu fühlen, wie ganz England mit verhaltenem Atem dem Fortgang der flandrischen Schlacht folgt.
Nachdem das Riesenbollwerk, der Kemmelberg, gefallen ist, haben wir keinen Grund, vor den Schwierigkeiten der weiteren Angriffe zurückzuweichen. Freilich kommen Nachrichten über das Versagen einzelner unserer Truppen. Auch werden wieder Fehler auf dem Schlachtfelde gemacht, Versäumnisse begangen. Doch solche Fehler und Versäumnisse liegen in der menschlichen Natur. Wer die wenigsten macht, wird Herr des Schlachtfeldes bleiben. Wir waren bis jetzt die Herren und wollen es weiter sein. Erfolge, wie der am Kemmel, reißen nicht nur die Truppe empor, die solches geleistet hat, sie beleben ganze Armeen. Also weiter vor, zunächst wenigstens bis Cassel! Von dort aus kann das Fernfeuer unserer schwersten Geschütze Boulogne und Calais erreichen. Beide Städte sind vollgepfropft mit englischen Kriegsvorräten, sie sind außerdem die hauptsächlichsten Ausschiffhäfen der englischen Kriegsmacht. Diese englische Kriegsmacht hat bei dem Kampf am Kemmelberge überraschend versagt. Gelingt es uns, hier mit ihr allein abzurechnen, dann haben wir sicherlich Aussicht auf großen Erfolg. Trifft keine französische Hilfe ein, so ist England in Flandern vielleicht verloren. Doch diese Hilfe kommt wieder in Englands äußerster Not. Mit verbissenem Zorne gegen den Freund, der den Kemmelberg preisgegeben hat, versuchen die eintreffenden französischen Truppen, uns diesen Stützpunkt zu entreißen. Vergeblich! Aber auch unsere letzten großen Anstürme gegen die neuen französisch-englischen Stellungen dringen Ende April nicht mehr durch.
Am 1. Mai gehen wir in Flandern zur Verteidigung über, oder, wie wir damals hofften, zur einstweiligen Verteidigung.
Der von uns zur Erreichung unseres großen Zieles eingeschlagene Weg
wurde auch nach Beendigung der Kämpfe in Flandern eingehalten. Wir
wollen auch weiterhin „durch eng zusammenhängende Teilschläge das
feindliche Gebäude derartig erschüttern, daß es gelegentlich doch einmal
zusammenbricht“. So kennzeichnete eine damals verfaßte Niederschrift
unsere Absichten. Zweimal war England in äußerster Krisis durch
Frankreich gerettet worden; vielleicht gelang es uns beim dritten Male,
einen endgültigen Sieg gegen diesen Gegner zu erringen. Der Angriff auf
den englischen Nordflügel blieb auch weiterhin der leitende
Gesichtspunkt für unsere Operationen. In der glücklichen Durchführung
dieses Angriffes lag nach meiner Ansicht die Entscheidung des Krieges.
Gelangten wir an die Küste des Kanals, so berührten wir die Lebensadern
Englands unmittelbar. Wir kamen nicht nur in die denkbar günstigste Lage
für Bekämpfung seiner Seeverbindungen, sondern wir vermochten von dort
aus mit unseren schwersten Geschützen sogar einen Teil von Britanniens
Südküste unter Feuer zu nehmen. Das geheimnisvolle Wunder der Technik,
das zur Zeit aus der Gegend von Laon seine Granaten bis in die
französische Hauptstadt schleudert, kann auch gegen England zur Wirkung
gebracht werden. Nur noch eine geringe Vergrößerung dieses Wunders ist
nötig, um das Herz des englischen Handels und Staates von der Küste bei
Calais aus unter Feuer zu nehmen. Ernste Aussichten für Großbritannien
damals, aber auch weiter für alle Zukunft! Man kann solche Wunder nach
Kruppschen Gedanken nunmehr überall bauen. Ob in ihnen Friedensgarantien
oder Kriegserreger gegeben sind, muß die Zukunft entscheiden. England
hat wohl in weitsichtigen Gedanken und feinem Empfinden für die ihm
drohenden Gefahren der Zukunft dies alles schon bedacht. Vielleicht hat
auch Frankreich im geheimen schon
Für uns handelte es sich im Mai 1918 zunächst darum, die beiden jetzigen Freunde in Flandern wiederum zu trennen. England ist leichter zu schlagen, wenn Frankreich fern steht. Stellen wir demnach die Franzosen vor eine Krisis an ihrer Front, dann werden sie wohl die Divisionen wegziehen, die zurzeit in Flandern in den englischen Linien verwendet sind. Möglichste Eile ist notwendig, sonst entreißt uns der wieder gestärkte Gegner die Vorhand. Ein gefahrvoller Einbruch in unsere nicht sehr starken Verteidigungsfronten würde unsere Absichten empfindlich stören, ja unmöglich machen.
Der Franzose ist am empfindlichsten in der Richtung auf Paris. Dort ist die politische Atmosphäre gegenwärtig ziemlich stark geladen. Unsere Granaten und Fliegerbomben haben sie zwar bisher nicht zur Entladung gebracht, doch können wir hoffen, daß dies gelingt, wenn wir näher an die Stadt heranrücken. In Richtung auf Soissons steht nach allem, was wir wissen, die französische Verteidigung zahlenmäßig besonders schwach, doch gerade hier im angriffsschwierigsten Gelände.
Als ich am Beginn des Jahres 1917 bei meiner ersten Anwesenheit in Laon
die Terrasse der Präfektur am Südteil der eigenartig aufgebauten
Felsenstadt betrat, lag die Gegend vor mir in der vollen Klarheit eines
herrlichen Vorfrühlingtages. Eingefaßt zwischen zwei Hügelrahmen im
Westen und Osten erstreckte sich das Landschaftsbild nach Süden, dort
abgeschlossen durch einen mächtigen Wall, den Chemin des Dames. Vor
103 Jahren hatten Preußen und Russen unter Blüchers Führung nach
kampfheißen Tagen südlich der Marne die Höhen des Chemin des Dames von
Süden her überschritten und sich nach dem mörderischen Gefechte bei
Craonne unmittelbar bei Laon zum Kampfe gegen den Korsen gestellt. Im
Ostgelände des steilen Laoner Felsens entschied sich in der
An den Höhen des Chemin des Dames war die französische Frühjahrsoffensive 1917 abgeprallt. Wochenlang hatte man damals mit wechselndem Erfolg um die dortige Stellung gerungen, dann war es still geworden. Im Oktober 1917 aber wurde der rechte Schulterpunkt dieser Stellung nordöstlich Soissons vom Gegner gestürmt, und wir waren gezwungen, den Chemin des Dames zu räumen und unsere Verteidigung hinter die Ailette zurückzulegen.
Über die Steilhänge des Chemin des Dames hinüber hatten unsere Truppen nunmehr aufs neue anzugreifen. Fast noch mehr als bei den bisherigen Angriffen hing das Gelingen dieses Unternehmens von der Überraschung ab. War eine solche nicht möglich, dann scheiterte unser Angriff wohl schon an den nördlichen Steilhängen des Höhenrückens. Die Überraschung gelang jedoch vollständig.
Eine eigenartige Erklärung für diese Tatsache möchte ich hier anführen. Ein Offizier, der bei den Vorbereitungen an der Ailette tätig gewesen war, vertrat die Anschauung, daß der Lärm der quakenden Frösche in den Flußarmen und feuchten Wiesengründen so stark gewesen sei, daß er selbst das Geräusch unserer vorfahrenden Brückenwagen übertönte. Mag ein anderer über diese Mitteilung denken, wie er will, ich möchte nur versichern, daß ich den Erzähler vorher durch Wiedergabe von Erlebnissen aus meinem Jägerleben nicht gereizt hatte! Eine andere mir mehr einleuchtende Erklärung für das Gelingen der Verschleierung unseres Angriffs entstammt dem Munde eines gefangenen feindlichen Offiziers. Zu diesem wurde am Tage vor Beginn unseres Angriffes ein preußischer Unteroffizier gebracht, der auf Erkundung gefangen war. Auf die Frage, ob er etwas über einen deutschen Angriff sagen könnte, gab dieser folgende Auskunft:
„In den frühesten Morgenstunden des 27. Mai wird ein
mächtiges deutsches Artilleriefeuer losbrechen. Es dient aber nur
Täuschungs
Der Offizier gab offen zu, daß ihm diese Angaben den Eindruck voller Glaubwürdigkeit gemacht hätten, und daß er deswegen am 27. Mai in voller Ruhe den Verlauf der Dinge abwarten zu können glaubte. Vielleicht kommen diese meine Erinnerungen dem braven deutschen Soldaten zur Kenntnis. Ich drücke ihm in Gedanken die Hand und danke ihm im Namen des ganzen Heeres, dem er einen so unschätzbaren Dienst erwies, und im Namen von vielen Hunderten, ja vielleicht Tausenden braver Kameraden, deren Leben er durch seine Geistesgegenwart erhalten hat. Die Täuschung des feindlichen Offiziers hätte übrigens nicht so gelingen können, wenn nicht die feindliche Propaganda durch die sinnlose Übertreibung unserer bisherigen Verluste einen günstigen Boden für die Glaubwürdigkeit der Angaben des preußischen Unteroffiziers vorbereitet hätte. So rächen sich hier und da propagandistische Unwahrheiten und Übertreibungen.
Die Schlacht begann am 27. Mai. Sie nahm einen glänzenden Verlauf. Wir hatten ursprünglich damit rechnen zu müssen geglaubt, daß unser Angriff an der Linie der Aisne-Vesle zum Halten kommen würde, und wollten dann über diese Abschnitte hinaus nicht weiter vordringen. Wir waren daher nicht wenig überrascht, als wir schon am Nachmittage des ersten Schlachttages die Meldung erhielten, daß die deutschen Schrapnellwolken bereits auf dem Südufer der Aisne liegen, und daß unsere Infanterie dorthin noch am gleichen Tage vorgehen wollte.
Die Mitte unseres vollen taktischen Durchbruches erreichte in wenigen
Tagen die Marne von Château-Thierry bis Dormans. Unsere Flügel
schwenkten nach Westen gegen Villers-Cotterêts und
In diesen Tagen sah ich gelegentlich eines Besuches der Schlachtfelder
Laon wieder. Wie hatte sich in der Zeit seit Winter 1917 der damals fast
friedliche Charakter des dortigen Lebens gewandelt. Wenige Tage, nachdem
unsere größten Geschütze aus den Waldungen bei Crépy, westlich Laon, das
Feuer gegen Paris eröffnet hatten, begannen nämlich feindliche Batterien
aus dem Tale der Aisne das Feuer gegen die unglückliche Stadt. Ich
möchte damit nicht behaupten, daß die Gegner gegen das eigene Fleisch
und Blut wüteten ohne verständlichen militärischen Zweck. Sie nahmen
wohl an, daß die Munitionszufuhr zu unseren Paris so lästigen Batterien
über Laon gehen würde, ein begreiflicher Irrtum. Bei dem Feuer auf den
Bahnhof fiel eine große Anzahl schwerer Geschosse in die noch dicht
bevölkerte Stadt, auch warfen nunmehr feindliche Flieger zu jeder
Tageszeit Bomben dort nieder. Wer von den hart heimgesuchten Einwohnern
sich von der mit Vernichtung bedrohten Heimstätte nicht losreißen
konnte, mußte in Kellern oder Erdräumen leben, ein Bild unsagbaren
Massenelends, wie wir es freilich aus ähnlichen Gründen auch an anderen
Stellen hinter unseren westlichen Verteidigungsfronten mit ansehen
mußten, ohne etwas daran ändern zu können. Am ersten Angriffstage waren
die feindlichen Fernfeuergeschütze am Aisne-Tal erobert worden, und
damit hatte die Beschießung Laons ein Ende genommen. Ein Zugehöriger
dieser Batterien wurde gefangen durch die Stadt geführt. Hier stellte er
die Bitte, die beschossenen Häuserviertel besuchen zu
Der Krieg wirkte freilich nicht immer derartig; auch bei unseren Gegnern
fanden sich weiche Herzen nach hartem Männerkampfe. Von den mir
erzählten Beispielen möchte ich nur eines verzeichnen: Es war am
21. März in dem noch immer mit schwerem englischen Feuer belegten St.
Quentin. Dort stauen sich in den zerschossenen Straßen deutsche
Kolonnen. Feindliche Gefangene, aus dem Kampfe kommend und Verwundete
tragend, werden zum Halten gezwungen. Sie legen ihre Bürde nieder. Da
hebt ein schwer verwundeter deutscher Soldat, dem Tode näher als dem
Leben, den ermattenden Arm suchend und stöhnt zu dem sich
niederbeugenden Träger: „Mutter, Mutter.“ Das englische Ohr versteht den
deutschen Laut. Der Tommy kniet nieder an der Seite des Grenadiers,
streichelt die erkaltende Hand und sagt: „Mother,
yes, mother is here!“
Auch ich selbst sah auf diesen Schlachtfeldern Bilder tiefen
menschlichen Fühlens. So wanderte ich Ende Mai an der Seite eines
deutschen Generals über die kurz vorher erstürmten Höhen westlich
Craonne. Bei jedem der noch nicht bestatteten gegnerischen Gefallenen
bückt er sich und bedeckt das noch entblößte Gesicht, eine Huldigung an
die Majestät des Todes. Er sorgt aber auch für lebende Feinde, labt aus
eigenen Mitteln einige aus Schwäche zurückgebliebene Verwundete und
veranlaßt ihren bequemen Transport. Auch schon früher hatte ich
Gelegenheit, in das wahre Menschentum dieses Deutschen zu blicken. In
den Märztagen des Jahres fahre ich in der Gegend von St. Quentin an
seiner Seite an Kolonnen gegnerischer Gefangener entlang, die sein
ernstes Auge in tiefen Gedanken betrachtet. An der Spitze einer dieser
Kolonnen läßt er Halt machen und spricht den dort vereinigten
feindlichen Offizieren die Anerkennung für die tapfere Haltung ihrer
Truppen aus, sie mit dem Hinweis tröstend, daß das härteste Los, das der
Gefangenenschaft, oft den trifft,
Zur Erweiterung unserer Erfolge hatten wir noch während der Kämpfe in dem bis zur Marne aufspringenden Bogen den rechten Flügel unseres Angriffes nach Westen hin bis zur Oise ausgedehnt. Der Angriff gelang nur unvollständig. Ein Angriff, den wir aus der Linie Montdidier-Noyon am 9. Juni in Richtung Compiègne führten, drang nur bis halbwegs dieser Stadt vor. Auch unsere Versuche in der Richtung auf Villers-Cotterêts gelangten zu keinem größeren Ergebnis. Wir mußten uns davon überzeugen, daß wir in der Gegend von Compiègne-Villers-Cotterêts die Hauptkräfte des feindlichen Widerstandes vor uns hatten, den zu brechen wir die Kräfte nicht besaßen.
Zusammenfassend möchte ich meine Bemerkungen über die Schlacht von Soissons-Reims damit schließen, daß uns die Kämpfe viel weiter geführt hatten, als es ursprünglich beabsichtigt war. Auch hier hatten sich aus unerwarteten Erfolgen neue Hoffnungen und neue Ziele ergeben. Daß diese schließlich nicht voll erreicht wurden, lag in der allmählichen Erschöpfung der eingesetzten Kräfte begründet. Unseren allgemeinen Absichten entsprach es jedoch nicht, noch mehr Divisionen für die Operation in der Marnegegend einzusetzen. Unsere Blicke richteten sich ununterbrochen nach Flandern.
Das von uns in den drei großen Schlachten Erreichte stellte vom
kriegerischen Gesichtspunkte aus alles in den Schatten, was seit dem
Herbste 1914 im Westen im Angriffskampfe geleistet What an admirable and gallant infanterie
you have“, so sprach ein feindlicher Offizier sich gegenüber
einem meiner Generalstabsoffiziere aus. Im engsten Anschluß an diese
Infanterie hatten ihre Schwesterwaffen in allen Gefechtslagen in
vorderster Linie gestanden. Ein mächtiger Einheitszug war durch das
Ganze hindurch gegangen, durchgreifend bis zum letzten Mann am
hintersten Munitionswagen. Wie hatten sie alle vorwärts gestrebt, um
teilzuhaben, mitzuwirken und mitzufühlen an dem großen Geschehen! Wie
oft löste sich da ein freudiger Jubel, ein erhebendes Singen, ein lautes
dankbares Gebet. Auch ich hatte auf den Schlachtfeldern von jenem Geiste
wieder genossen, der mich wie ein Herüberwehen aus meiner längst
vergangenen militärischen Jugendzeit anmutete. Ein Menschenalter lag
dazwischen, aber das Menschenherz, der deutsche Soldatengeist war
unverändert geblieben. So hatten unsere braven Jungens im alten blauen
Rock in den Biwaks von Königgrätz und Sedan gesprochen und gesungen, wie
die Feldgrauen jetzt wieder sprachen und sangen in den großen Kämpfen um
Dasein und Vaterland, für Kaiser und Reich.
Aber all das, was geleistet worden war, hatte bisher nicht ausgereicht,
den Gegner militärisch und politisch in das Lebensmark zu treffen. Auf
der gegnerischen Seite zeigte sich keine Spur von
Mit dem Eingreifen der Amerikaner auf dem Schlachtfelde waren die so
lange gehegten französischen und englischen Hoffnungen endlich erfüllt.
War es da ein Wunder, wenn die feindlichen Staatsmänner jetzt weniger
als je an einen friedlichen Ausgleich mit uns dachten? Die Vernichtung
unseres staatlichen und wirtschaftlichen Daseins war von ihrer Seite
seit langem beschlossen, mochten sie diese Absicht auch hinter
fadenscheinigen, milden und sophistischen Redensarten verbergen wollen.
Sie wandten solche Phrasen nur an, wenn diese ihren propagandistischen
Zwecken entsprachen, sei es, um ihren eigenen Völkern die auferlegte
Blutsteuer erträglich
Mitte des Monats Juni hatte die allgemeine militärische Lage für den Vierbund eine wesentliche Verschlechterung erfahren: Nach erfolgverheißenden Anfängen war der Angriff Österreich-Ungarns in Italien gescheitert. Wenn auch unser dortiger Gegner nicht die Kraft besaß, aus dem Mißlingen des österreichisch-ungarischen Unternehmens größeren Vorteil zu ziehen, so war doch das Scheitern des Angriffs von Folgen begleitet, die schlimmer waren, als sie aus einem Unterlassen des Angriffs hätten entstehen können. Das Mißgeschick unseres Bundesgenossen war ein Unglück auch für uns. Der Gegner wußte so gut wie wir, daß Österreich-Ungarn mit diesem Angriff seine letzten Gewichte in die Wagschale des Krieges geworfen hatte. Von jetzt ab hörte die Donaumonarchie auf, eine Gefahr für Italien zu bedeuten. Ich glaubte, damit rechnen zu müssen, daß Italien sich nunmehr dem Drängen seiner Verbündeten nicht mehr entziehen könnte und auch seinerseits Kräfte auf den alles entscheidenden westlichen Kriegsschauplatz werfen würde, nicht nur, um die feindliche politische Einheitsfront zu beweisen, sondern auch um bei den weiteren Kämpfen eine wirkungsvolle Rolle zu spielen. Sollte nicht auch diese neue Last auf unsere Schultern allein fallen, so mußten wir österreichisch-ungarische Divisionen an unsere Westfront heranzuholen versuchen. Das war der für uns maßgebende Grund für das Ersuchen um nunmehrige unmittelbare österreichisch-ungarische Unterstützung. Große Wirkung konnten wir uns von dieser Unterstützung allerdings zunächst nicht versprechen. Die Entscheidung über die Geschicke des gesamten Vierbundes hing jetzt mehr als je ab von Deutschlands Kraft.
Die Frage war also, ob diese noch ausreichen würde, um ein siegreiches
Ende des Krieges zu erzwingen. Ich habe weiter oben von den glänzenden
Leistungen unserer Truppen gesprochen; zur
Bei aller Liebe und Anerkennung für unsere Soldaten durften wir doch die Augen vor den sich im Laufe des langen Krieges ergebenden Mängeln in dem Gefüge unserer Armee nicht verschließen. Das Fehlen einer genügenden Zahl langgeschulter Führer der unteren Dienstgrade hatte sich bei unsern großen Angriffsschlachten sehr fühlbar gemacht. Die Gefechtsdisziplin war ab und zu bedenklich gelockert. Es war an sich verständlich, daß der Soldat sich inmitten der erbeuteten reichen Bestände gegnerischer Depots dem Genusse lang entbehrter Lebens- und Genußmittel hingab. Aber es hätte verhindert werden müssen, daß er sich auf diese Genüsse zur Unzeit stürzte und dabei seine augenblickliche Pflicht vernachlässigte. Ganz abgesehen von den auflösenden Wirkungen derartigen Verhaltens auf den Geist der Truppe trat auch die Gefahr ein, daß uns günstige Gefechtslagen ungenutzt verstrichen und sich wiederholt in das Gegenteil verwandelten.
Die Kämpfe hatten weitere schwere, unausfüllbare Lücken in unsere Truppen gerissen. So manche Infanterie-Regimenter bedurften eines völlig neuen Aufbaues. Die Bausteine hierfür waren dem alten Material moralisch meist nicht mehr gleichwertig. Die Schwächen der heimatlichen Verhältnisse spiegelten sich vielfach in den Stimmungen wieder, die den ins Feld nachkommenden Ersatz durchdrangen.
Unter dem Einfluß unserer kriegerischen Erfolge hatte sich zwar die
Stimmung der Heimat in weiten Kreisen mächtig gehoben. Man folgte den
Nachrichten aus dem Felde mit größter Spannung und hoffte auf ein
baldiges, glückliches Ende des schweren Ringens. Hunger, Opfer, Sorge
schienen nicht umsonst gewesen zu sein, und manches wurde vergessen,
manches wurde auch weiter mannhaft ertragen, wenn nur ein glücklicher
Schluß des ungeheuern Duldens in greifbare Nähe gerückt blieb. So
bewirkten die
So drohte das Schwinden der Widerstandskraft in unserm Volk und Heer sich mit dem Vernichtungswillen des Gegners zu unserm Verderben zu verbinden. Kriegerische Erfolge schienen allein einen Ausweg aus dieser schweren Lage geben zu können. Mit ihrer Hilfe zu einem glücklichen Ende zu kommen, war nicht nur mein bestimmter Wille, sondern auch meine sichere Hoffnung. Vorbedingung für solche Erfolge war, daß wir die Vorhand nicht verloren, das heißt im Angriff blieben. Wir gerieten sofort unter den Hammer, wenn wir ihn selbst aus der Hand gaben.
Wir konnten uns durchkämpfen, wenn nur die Heimat uns weiter die körperlichen und sittlichen Kräfte gab, über die sie noch verfügte, wenn sie nicht den Mut und den Glauben an unsern Endsieg verlor, und wenn die Bundesgenossen nicht versagten.
In diesen Gedanken und Empfindungen trat ich an die Fortführung unseres bisherigen Gesamtplanes heran.
Die Lage im Marnebogen nach dem Abschluß der Junikämpfe machte den Eindruck eines unvollendeten, nicht abgeschlossenen Werkes. So wie wir von Mitte Juni ab in diesem Bogen standen, konnten wir auf die Dauer nicht stehen bleiben. Die Zufuhrverhältnisse in den gewaltigen Halbkreis hinein waren mangelhaft. Sie genügten knapp für den Zustand verhältnismäßiger Kampfruhe, drohten aber für den Fall eines ausbrechenden, länger dauernden Großkampfes bedenklich zu werden. Wir hatten nur eine, noch dazu wenig leistungsfähige Bahnlinie als hauptsächlichste Zufuhrstraße für unsere großen Truppenmassen auf dem im Verhältnis zu deren Stärke engen Raum zur Verfügung. Dazu kam, daß der vorspringende Bogen den Gegner geradezu zu allseitigen Angriffen reizen mußte.
Die gründliche Besserung der Versorgungsverhältnisse sowie der taktischen Lage war nur möglich, wenn wir Reims in unseren Besitz brachten. Die Wegnahme dieser Stadt war im Zusammenhang mit den Mai-Junikämpfen nicht gelungen. Wir hatten damals unser Schwergewicht hauptsächlich in westliche Richtung verlegt. Der Gewinn von Reims mußte jetzt Aufgabe einer besonderen Operation werden. Die dadurch notwendige Schlacht fügte sich aber auch in den Rahmen unserer gesamten Pläne ein.
An früherer Stelle habe ich schon betont, daß es nach Abbruch der Lys-Schlacht unser Ziel blieb, dem Engländer in Flandern nochmals einen entscheidenden Schlag zu versetzen. Unser Angriff bei Soissons hatte diesem Gedanken gedient, indem wir dadurch die gegnerische Oberste Führung veranlassen wollten, den Engländern in Flandern die französischen Stützen wieder zu entziehen.
Die Vorbereitungen für die neue Flandernschlacht waren in der Zwischenzeit fortgesetzt worden. Während der Arbeiten an den zukünftigen Angriffsfronten lagen unsere für die Durchführung bestimmten Divisionen in Belgien und im nördlichen Frankreich zur Erholung und Ausbildung in Unterkunft.
Ich befürchtete von englischer Seite einstweilen keine angriffsweisen Gegenmaßregeln. Hatte auch der größte Teil des englischen Heeres nunmehr seit Monaten Gelegenheit zur Wiederherstellung seiner schwer erschütterten Kampfbrauchbarkeit gehabt, so schien es doch angesichts unserer drohenden Stellung in Flandern nicht wahrscheinlich, daß der Engländer zum Angriff übergehen würde.
Auf Grund unserer bisherigen Erfahrungen hoffte ich, daß wir mit den englischen Hauptkräften in Flandern fertig werden würden, wenn es uns nur gelang, den Franzosen von dem dortigen Schlachtfeld dauernd fernzuhalten. Die Erneuerung unserer Angriffe bei Reims sollte also auch jetzt unserem größeren und weiteren Zwecke, nämlich dem entscheidenden Kampf gegen die Masse des englischen Heeres, dienen.
Die Lage an der französischen Front zeigte Anfang Juli ungefähr
folgendes Bild: die Hauptmasse der Reserven des Generals Foch stand in
der Gegend Compiègne-Villers-Cotterêts. Sie befanden sich dort in einer
strategisch sehr günstigen Aufstellung. Sie waren einerseits bereit,
einer Fortsetzung unserer Angriffe in Richtung auf die beiden eben
genannten Städte entgegenzutreten, und konnten andrerseits dank der
außerordentlich günstigen Bahnverbindungen von ihrem jetzigen
Aufstellungsraume rasch an jeden Teil der franzö
Südlich der Marne standen anscheinend keine sehr starken feindlichen Kräfte. Bei Reims und im Berggelände südlich davon befand sich dagegen zweifellos eine große gegnerische Kampfgruppe, die, abgesehen von Franzosen, auch aus Engländern und Italienern gebildet war. An den übrigen französischen Fronten hatten sich die Verhältnisse im Vergleich mit der Zeit unserer Frühjahrsangriffe nicht wesentlich verändert. Mit dem ständigen Wechsel zwischen Stellungstruppen und verbrauchten Kampfdivisionen änderte sich die Gesamtlage an diesen Fronten nicht wesentlich.
Über das Eintreffen der amerikanischen Hilfe war eine erschöpfende Klarheit nicht gewonnen. Offenkundig aber war, daß die amerikanischen Massen sich nunmehr ununterbrochen nach Frankreich ergossen. Unsere Unterseeboote waren nicht imstande, diese Bewegungen zu verhindern oder abzuschwächen, ebenso wenig wie ihre bisherige Wirkung ausgereicht hatte, den gegnerischen Schiffsraum derartig zu verringern, daß ein solcher Massentransport überhaupt nicht in Frage gekommen wäre. Die Gegner stellten nunmehr angesichts der unbedingten Notwendigkeit einer raschen und umfassenden militärischen Hilfe für Frankreich und England alle Rücksichten auf Lebensmittelversorgung und Wirtschaftsbedürfnisse ihrer Länder zurück. Wir mußten uns mit dieser Tatsache abzufinden suchen.
Brachten wir den beabsichtigten Angriff bei Reims in engen operativen
Zusammenhang mit unsern Plänen in Flandern, so blieb die Frage zu
entscheiden, welche Ausdehnungen wir den Kämpfen bei Reims geben wollten
und mußten. Wir hatten ursprünglich die Absicht, uns mit der Wegnahme
der Stadt zu begnügen. Über den Besitz von Reims entschied die
Beherrschung des
Über die anfängliche Beschränkung unseres Kampfes lediglich auf den Besitz von Reims hinaus erhielt unser Plan im Verlaufe verschiedener Besprechungen eine Ausdehnung nach Osten bis tief in die Champagne hinein. Die Anregung hierzu entstand einerseits aus unserer Absicht, Reims auch im Südosten abzuschnüren, andererseits glaubten wir nach den letzten Erfahrungen unseren Angriff vielleicht bis Chalons-sur-Marne vortreiben zu können, verlockt durch die Aussichten auf große Beute an Gefangenen und Kriegsbedürfnissen, wenn das Unternehmen in diesem Umfange gelang. Wir nahmen damit allerdings die Gefahr in Kauf, zugunsten einer großen Angriffsbreite unsere Kraft an den entscheidenden Stellen zu schwächen.
An dem baldigen Beginn unserer neuen Operation hatten wir natürlich ein
großes Interesse. Angesichts der eintreffenden amerikanischen
Verstärkungen arbeitete die Zeit nicht für sondern
In den ersten Tagesstunden des 15. Juli beginnt unsere tausendstimmige Artillerie an der neuen Angriffsfront ihre Schlachtweise zu spielen. Gleichzeitig wird es an der Marne auf unserer Seite lebendig. Die Gegenwirkung des Feindes ist anfangs nicht besonders lebhaft, nimmt aber allmählich zu. Wir hatten keinerlei Anzeichen für eine Verstärkung der gegnerischen Front oder für besondere Abwehrmaßregeln des Feindes bemerkt. Unserer Infanterie gelingt es, auf das südliche Marneufer überzusetzen. Feindliche Maschinengewehrnester werden ausgehoben, die Höhen jenseits des Flusses erstiegen, Geschütze erobert. Die Nachricht von diesen ersten Vorgängen erreicht uns in Avesnes schon sehr frühzeitig. Sie löst die begreifliche Spannung und verstärkt unsere Hoffnung.
Wie an der Marne, so entbrennt der Kampf im weiten Umkreis auch um
Reims, ohne sich freilich gegen diese Stadt und deren unmittelbare
Umgegend zu richten, sollte die Stadt doch durch beiderseitige
Abschnürung zu Fall gebracht werden. In der Champagne, bis gegen die
Argonnen hin, wird das erste gegnerische Verteidigungssystem durch
unsere Artillerie und Minenwerfer zer
Nach Zusammenfassung unserer schweren Feuerkraft auf die erste feindliche Stellung beginnt, wie in unseren bisherigen Angriffskämpfen, diese zusammengeballte Wetterwolke ihren verderbenbringenden Marsch über die gegnerische Verteidigung. Unsere Infanterie folgt ihr. Die erste feindliche Stellung wird auf der ganzen Linie nahezu widerstandslos gestürmt, dann will man den Angriff fortsetzen. Als aber unsere Feuerwalze die weiteren Sturmziele verläßt, um sie der Infanterie freizugeben, da erhebt sich unerwartet heftiger feindlicher Widerstand. Die Artillerie des Gegners beginnt ihr Feuer aufs äußerste zu steigern. Unsere Truppen versuchen trotzdem, vorwärts zu kommen. Vergeblich! Die Begleitbatterien werden herangeholt. Geschützweise und von Menschen gezogen treffen sie ein, denn in dem Trichterfelde versagen größtenteils die Pferde. Kaum sind die Geschütze in Stellung gebracht, so liegen sie auch schon zertrümmert am Boden. Der Gegner hat offensichtlich die Hauptabwehr in die zweite Stellung verlegt. Unser wirkungsvollstes Vorbereitungsfeuer war meistenteils ohne Nutzen verpufft. Ein neues feindliches Verteidigungsverfahren ist der vernichtenden Gewalt unserer artilleristischen Massenwirkung gegenüber angeordnet und angewendet worden auf Grund begangenen deutschen Verrates, wie der Gegner später selbst der ganzen Welt jubelnd verkündet.
Die Kampfverhältnisse in der Champagne bleiben bis zum Abend des ersten Tages unverändert.
Einen günstigeren Verlauf nehmen unsere Kämpfe südwestlich Reims und beiderseits der Marne. Südlich des Flusses dringt unsere Infanterie auf fast eine Wegstunde vorwärts, mit dem Hauptdruck längs des Flusses in Richtung auf Epernay. Ein Drittel der Strecke dorthin wird bis zum Abend in erbittertem Kampfe zurückgelegt. Auch nördlich des Flusses ist unser Angriff im Vorschreiten. Mächtiger wie die Kalkhänge des Chemin des Dames erhebt sich hier das Reimser Berggelände, von tiefen Schluchten zerklüftete Höhen, deren flachgewölbte Kuppen großenteils von dichtem Walde bestanden sind. Das ganze Gelände ist für zäheste Verteidigung hervorragend geeignet, da es dem Angreifer im höchsten Grade eine Zusammenfassung seiner artilleristischen Kräfte auf ausgesprochene Ziele erschwert. Trotzdem kommt unsere Infanterie vorwärts. Sie trifft hier zum ersten Male an der Westfront auf italienische Truppen, die sich anscheinend auf französischem Boden mit geringer Begeisterung schlagen.
Am Abend des 15. Juli haben wir auf der gesamten Angriffsfront etwa 50 Geschütze erbeutet. 14.000 Gefangene werden gemeldet. Das Ergebnis entspricht freilich nicht unseren höheren Hoffnungen. Doch erwarten wir mehr von dem folgenden Tag.
Der Vormittag des 16. Juli verläuft in der Champagne, ohne daß unsere
Truppen noch irgendwo merklich vorwärts kommen. Wir stehen vor der
schweren Frage, hier den Kampf abzubrechen oder mit der ohnehin nicht
sehr tief gegliederten Angriffskraft die weitere Entscheidung zu
versuchen. Die Gefahr besteht, daß die Truppe sich umsonst verblutet,
oder daß sie selbst im günstigen Falle so schwere Verluste erleidet, daß
sie kaum mehr befähigt sein wird, die errungenen Vorteile gründlichst
auszunutzen. Das Ziel Chalons ist also in unsichere Ferne gerückt. Aus
diesen Gründen gebe ich meine Zustimmung zum Übergang in die
Verteidigung an dieser Stelle.
Am 17. Juli verstummt der Kampf in der Champagne. Südlich der Marne beginnen die Verhältnisse sich mehr und mehr zu unsern Ungunsten zu gestalten. Wir behaupten zwar das gewonnene Gelände gegen erbitterte feindliche Angriffe, aber unsere Aufstellung ist dem Fluß so nahe, hat also so wenig Tiefe, daß jeder Rückschlag zum Verhängnis werden kann. Hinzu kommt, daß die Kriegsbrücken über die Marne durch das Fernfeuer feindlicher Artillerie und durch französische Fliegerbomben immer mehr gefährdet werden. Wir müssen also wieder nach Norden zurück, da wir nach Süden keinen weiteren Raum mehr gewinnen können. Ich ordne daher das Zurücknehmen der Truppen auf das nördliche Marne-Ufer an, so schwer es mir wird. In der Nacht vom 20. zum 21. Juli soll diese Bewegung durchgeführt werden.
Im Berggelände setzen am 17. Juli die feindlichen Angriffe mit vollster Wucht ein. Sie werden abgewiesen. Aber auch von unserer Seite ist weiteres Vordringen einstweilen undenkbar. Ein solches bedarf erneuter gründlicher Vorbereitung.
Von all dem Erstrebten bleibt nur noch wenig übrig. Das Unternehmen scheint gescheitert und bringt daher der französischen Front gegenüber keine positiven Gewinne. Doch damit ist seine Auswertung für unseren Angriff auf der Flandernfront nicht ausgeschlossen. Wenn von allen Zielen auch nur das Fernhalten der französischen Kräfte von der englischen Verteidigung erreicht ist, so sind die Kämpfe nicht vergebens gewesen.
In diesem Gedankengang begibt sich General Ludendorff am Abend des 17. Juli zur Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht, um dort wegen des Angriffsbeginnes gegen den englischen Nordflügel das Nähere zu besprechen.
Vorbedingung für die Durchführung unserer Angriffe bei Reims war, daß der nach Westen gerichtete Teil unseres bis an die Marne vorspringenden Bogens zwischen Soissons und Château-Thierry feststand. Es war vorauszusehen, daß unser Angriff eine Gegenwirkung der um Compiègne und Villers-Cotterêts versammelten französischen Kräfte geradezu herausforderte. War General Foch auch nur einigermaßen zu einer aktiven Tätigkeit imstande, so mußte er aus seiner bisherigen passiven Haltung heraustreten, sobald sich unser Angriff über die Marne und auf Reims aussprach. Ich habe schon gesagt, daß der französische Führer frühzeitig von unseren Plänen erfuhr und ausreichend Zeit fand, diesen zu begegnen.
Die Aufgabe unserer Truppen zwischen Aisne und Marne gegen einen
französischen Angriff aus der allgemeinen Richtung von Villers-Cotterêts
her war daher nicht einfach. Wir hatten deshalb hinter den Truppen der
vordersten Verteidigungslinien eine Anzahl von Eingreifdivisionen
bereitgestellt, und glaubten daher, mit vollem Vertrauen an den eben
geschilderten großen Angriff auf Reims herangehen zu können. Freilich
waren die zwischen Soissons und Château-Thierry stehenden Truppen nicht
alle frisch, aber sie hatten sich in den vorausgegangenen Kämpfen so
glänzend geschlagen, daß ich sie ihrer jetzigen lediglich defensiven
Aufgabe für durchaus ge
Man hört dort während dieser Tage den Kanonendonner aus der Angriffsschlacht herüberschallen, man erfährt unser anfänglich Erfolg versprechendes Vorgehen über die Marne; Übertreibungen der erreichten Erfolge kommen, wie so oft, auf ungeprüftem Wege zu den Truppen. Man erzählt sich von der Eroberung von Reims, von großen Siegen in der Champagne. Vor der eigenen Front bleibt es aber drei Tage lang still, für einen sachlichen Beobachter unheimlich still, für jemand, der ohne nähere Kenntnis der Lage dem Gefühle nachgibt, beruhigend still. Beobachtungen in der Richtung auf Villers-Cotterêts, die am 15. Juli noch volle Aufmerksamkeit finden, werden am 17. Juli nicht mehr entsprechend gewürdigt. Meldungen, die bei Beginn unseres Unternehmens sofort alle Fernsprechleitungen durchfliegen, bleiben am 3. Kampftage irgendwo an einer Zwischenstelle stecken. Das Gefühl für die Lage ist eben teilweise abgestumpft, die erste Spannung hat nachgelassen.
Am Morgen des 18. Juli gehen Teile der nicht in den
Verteidigungsstellungen liegenden Kampftruppen zur Erntearbeit in die
Kornfelder. Sie sind überrascht, als plötzlich ein heftiger Granathagel
in das Gelände schlägt. – Ein Feuerüberfall? – Die eigene Artillerie
antwortet nicht sehr stark, anscheinend deswegen, weil ziemlich dichter
Nebel alles verschleiert. Das Knattern der
Während dort die übriggebliebenen Teile der zertrümmerten und versprengten Truppen vorderster Linie einen Verzweiflungskampf führen, versuchen die rückwärts befindlichen Unterstützungen einen neuen Widerstand zu bilden und auszuhalten, bis die Divisionen zweiten Treffens zum Gegenstoß herankommen. Manche Heldentat wird vollbracht. In vorübergehend wieder genommenen Stellungen finden unsere Eingreiftruppen deutsche Maschinengewehrnester, in denen die Bedienung bis zum letzten Mann verblutet liegt, umgeben von ganzen Reihen gefallener Gegner. Doch dieser Heldenmut vermag die Lage nicht mehr wiederherzustellen, er rettet uns nur vor einer vollen Katastrophe. In der Richtung auf Soissons und weiter südlich ist der Gegner besonders tief eingedrungen, also gerade an unserer empfindlichsten Stelle, nämlich an dem westlichen Ansatzpunkt unseres Marnebogens südlich der Aisne. Aber von hier aus drückt der Feind auf die ganze übrige bis Château-Thierry reichende Verteidigungsfront. Ja noch mehr, er drückt auch auf unsere einzige in den Marnebogen hineinführende Bahnverbindung gerade dort, wo sie sich östlich Soissons aus dem Aisnetal nach Süden in die Mitte unseres gewaltigen Halbkreises wendet.
Unsere Lage ist daher vom ersten Augenblick an nicht unbedenklich. Sie
droht zur Katastrophe zu werden, wenn es uns nicht gelingt, sie in der
früheren Weise wiederherzustellen, oder sie wenigstens in ihrem jetzigen
Zustand zuverlässig zu festigen. Meinen Wünschen und Absichten hätte es
entsprochen, den feindlichen Einbruch von Norden her über die Aisne bei
Soissons flankierend zu fassen um
Vom Südufer dieses Flusses sind wir in Ausführung unseres Entschlusses vom 17. Juli nach schweren Kämpfen rechtzeitig zurückgewichen. Die treffliche Haltung unserer Truppen, an der alle französischen Angriffe scheitern, hat uns die gefährliche Lage dort glücklich überdauern lassen. Das Zurückgehen gelingt über Erwarten gut. Der Gegner erstürmt erst am 21. Juli nach gewaltiger Feuervorbereitung, Panzerwagen voran, gefolgt von starken Kolonnen, unsere schon geräumten Stellungen. Unsere Truppen beobachten dieses Schauspiel vom Nordufer der Marne aus.
Die Kampfführung in der noch immer tiefen Bogenstellung wird durch den
gegnerischen Feuerdruck von allen Seiten her aufs äußerste erschwert.
Die gegnerische Artillerie nimmt die empfindliche Bahnstrecke östlich
von Soissons unter Feuer. Ein wahrer Hagel feindlicher Fliegerbomben
fällt bei Tag und bei Nacht dort nieder. Wir sind gezwungen, die
Ausladungen neu eintreffender Verstärkungen und Kampfablösungen weit
außerhalb des Bogens in die
So kann und darf der Zustand nicht lange dauern. Die Schlacht droht alle unsere Kräfte zu verzehren. Wir müssen aus dem Bogen heraus, uns von der Marne trennen. Ein schwerer Entschluß, nicht vom Standpunkte kriegerischer Einsicht, aber von demjenigen soldatischen Empfindens. Wie wird der Gegner jubeln, wenn sich zum zweiten Male mit dem Namen: „Marne“ ein Umschwung der Kriegslage verbindet! Wie wird Paris, ganz Frankreich aufatmen; wie wird diese Nachricht auf die ganze Welt wirken! Man denke daran, wie viele Augen und Herzen uns folgen mit Neid, mit Haß, mit Hoffnung.
Aber jetzt darf nur die militärische Einsicht sprechen. Ihre Forderung lautet klar und einfach: Heraus aus dieser Lage! Zur Überstürzung der Maßregel ist kein Grund. Wohl wirft General Foch alle seine Kräfte und von allen Seiten auf uns, aber nur selten gelingt ihm jetzt noch ein tiefer greifender Einbruch. So können wir Schritt um Schritt weichen. Wir können unser kostbares Kriegsgerät dem Feinde entziehen, in Ordnung in die neue Verteidigungslinie rücken, die uns die Natur in dem Abschnitt der Aisne und Vesle bietet. Diese Bewegung ist in den ersten Tagen des August vollzogen. Sie ist eine Meisterleistung von Führung und Truppe.
Nicht die Waffengewalt des Feindes preßte uns aus dem Marnebogen heraus
sondern die Unerträglichkeit der dortigen Lage, eine Folge der
Schwierigkeiten der Verbindungen im Rücken unserer nach drei Seiten
kämpfenden Truppen. General Foch hatte diese Schwierigkeiten klar
erkannt. Ein hohes Ziel lag ihm vor Augen. Dies zu erreichen,
verhinderte ihn die treffliche Haltung unserer Truppen. Sie hatten sich
nach der ersten Überraschung glänzend geschlagen.
Wo Panzerwagen fehlten, hatte der Gegner uns schwarze Wellen entgegengetrieben, Wellen aus afrikanischen Menschenleibern. Wehe, wenn diese in unsere Linien einbrachen und die Wehrlosen mordeten, oder was schlimmer war, marterten. Nicht gegen die Schwarzen, die solche Scheußlichkeiten begingen, wendet sich menschliche Empörung und Anklage, sondern gegen die, die solche Horden angeblich zum Kampf um Ehre, Freiheit und Recht auf europäischen Boden heranholten. Zu Tausenden wurden diese Schwarzen auf die Schlachtbank geführt.
Mochten Engländer, Amerikaner, Italiener, Franzosen mit allen ihren Hilfsvölkern unserm Infanteristen entgegentreten, kam es nur erst zum Kampfe Mann gegen Mann, dann fühlte und zeigte sich damals noch unser Soldat als Herr des Schlachtfeldes. Auch das Gefühl persönlicher Machtlosigkeit gegenüber den feindlichen Panzerwagen war teilweise überwunden. In tollkühnen Unternehmungen hatte man vielfach versucht, sich dieser lästigen Gegner zu entledigen, kräftigst unterstützt durch die eigene Artillerie. Die schwersten Kampfkrisen brachte über unsere Truppen auch diesmal wieder die französische Artillerie. Den stunden-, ja tagelangen Wirkungen dieser Vernichtungswaffe im freien Felde ausgesetzt, nicht einmal in einem Trichterfelde Deckung findend, wurden die Linien unserer Infanterie zerrissen, ihr Nervenhalt auf die äußerste Probe gestellt. Das Antreten der feindlichen Sturmtruppen ward oft wie eine Erlösung aus einem Drucke wehrloser Zermürbung empfunden.
Die Truppen hatten das äußerste leisten müssen, nicht nur im Kampfe,
sondern auch in ruhelosen Bereitschaften, in Märschen und
Wenn wir in den Kämpfen im Marnebogen auch dem Verderben, das uns der Gegner zufügen wollte, entgangen waren, so durften wir uns doch über die weitreichende Rückwirkung dieser Schlacht und unseres Rückzuges keiner Täuschung hingeben.
Militärisch war für uns von der größten und folgenschwersten Bedeutung, daß wir die Vorhand an den Gegner verloren hatten, und daß wir zunächst keine Kraft besaßen, sie wieder an uns zu reißen. Wir waren gezwungen gewesen, starke Teile von jenen Kräften zum Kampfe heranzuziehen, die wir zum Angriff in Flandern bereitgestellt hatten. Dafür entfiel für uns die Möglichkeit, den lang geplanten entscheidenden Schlag gegen das englische Heer durchführen zu können. Die gegnerische Führung war dadurch von dem Druck befreit, der durch diese drohende Offensive auf ihre Maßnahmen ausgeübt wurde. Auch Englands Kräfte waren durch die Schlacht in dem Marnebogen aus dem Banne gelöst, in dem wir sie monatelang gehalten hatten. Es war zu erwarten, daß eine tatkräftige gegnerische Führung diesen Umschwung der Lage, der ihr nicht entgehen konnte, ausnutzte, soweit sie irgendwie Kräfte hierfür verfügbar machen konnte. Günstige Aussichten mußten sich hier bieten, da unsere Verteidigungsfronten vielfach nicht stark und nicht mit voll kampfkräftigen Truppen besetzt sein konnten. Zudem hatten diese Fronten seit dem Frühjahr wesentlich an Ausdehnung zugenommen und waren strategisch empfindlicher geworden.
Es war freilich anzunehmen, daß auch der Gegner durch die letzten Kämpfe schwer gelitten hatte. 74 feindliche Divisionen, darunter 60 französische, hatten vom 15. Juli bis 4. August geblutet. Waren hierbei zwar die englischen Kräfte in der Hauptsache seit Monaten geschont geblieben, so mußte doch der andauernde Zustrom amerikanischer Hilfe unter diesen Umständen für den Gegner äußerst wertvoll sein. Mochte diese Hilfe auch in militärischer Beziehung nicht voll auf der Höhe neuzeitlicher Anforderungen stehen, jetzt, wo unsere Verbände so schwer gelitten hatten, wirkte mehr als je die bloße zahlenmäßige Überlegenheit.
Schwerer noch als dies wog nach den ersten Eindrücken die Wirkung unseres Mißgeschickes auf Heimat und Verbündete. Wie viele in den letzten Monaten aufgelebte Hoffnungen brachen vielleicht zusammen! Wie manche Berechnung wurde zerstört!
Konnten wir jedoch wieder Herren der militärischen Lage werden, so war auch die Wiederherstellung des politischen Gleichgewichts mit Bestimmtheit zu erwarten.
Unsere Truppen hatten ihre neuen Stellungen an der Aisne-Vesle eingenommen. Die letzten Wogen des feindlichen Angriffes prallten heran und prallten ab; stellenweise flackerte der Kampfeifer hier und da wieder auf.
Zahlreiche unserer Divisionen, abgekämpft, der Auffrischung bedürftig, wurden hinter unsere Verteidigungslinien in Unterkunft gebracht. Auch um Avesnes herum lagen sie in Quartieren. Ich konnte mich davon überzeugen, wie rasch sich unser Soldat erholte. Durfte er ein paar Tage gründlich ausschlafen, konnte man ihn geregelt verpflegen und ruhen lassen, so schien er schnell über all das Schwere, das er durchgemacht hatte, auch seelisch hinwegzukommen. Freilich bedurfte er hierfür der wirklichen Ruhe, ungestört von feindlichen Granaten und Bombenabwürfen und, wenn möglich, auch entfernt aus dem Hörbereiche des Donners der Geschütze. Aber wie wenig und wie selten haben unsere Truppen in den langjährigen Kämpfen eine solche Ruhe gefunden! Von Kriegsschauplatz zu Kriegsschauplatz, von Schlachtfeld zu Schlachtfeld geworfen, waren sie fast ruhelos in körperlicher und seelischer Spannung geblieben. In dieser Tatsache liegt der gewaltigste Unterschied zwischen den Leistungen unserer Soldaten und denjenigen aller unserer Gegner.
Nach Avesnes war der Geschützdonner aus den Schlachten im Marnebogen wie ein ununterbrochenes Rollen schweren Gewitters bald lauter, bald undeutlicher gedrungen. Jetzt war es fast still geworden.
Am 8. August morgens wurde diese Ruhe jählings unterbrochen; von Südwesten her dröhnte auffallend starker Gefechtslärm. Die ersten Meldungen – sie kamen vom Armee-Oberkommando aus der Gegend von Peronne – lauteten ernst. Der Gegner war mit mächtigen Tankgeschwadern beiderseits der Straße Amiens-St. Quentin in unsere Linien eingedrungen. Näheres ließ sich vorläufig nicht feststellen.
Die Ungewißheit wurde jedoch in den nächsten Stunden behoben, wenn auch die Verbindungen vielfach zerrissen waren. Kein Zweifel, der Gegner war tief in unsere Stellung hineingestoßen, Batterien waren verloren. Unsere Befehle ergingen, sie wieder zu nehmen, die Lage überhaupt durch sofortigen Gegenangriff wieder herzustellen. Wir entsandten Offiziere, um die Vorgänge klarzulegen und vollen Einklang zwischen unserem Willen und den Verfügungen der Kommandostellen an der augenblicklich erschütterten Front zu schaffen. Was war geschehen?
Im dichtesten Nebel war ein starker englischer Tankangriff erfolgt. Die Panzerwagen hatten auf ihrer Fahrt fast nirgends besondere Hindernisse, nicht natürliche und leider auch nicht künstliche, getroffen. Man hatte an dieser Front wohl etwas zu viel an Fortsetzung des Angriffes gedacht, zu wenig an Verteidigung.
Allerdings war es verlustreiche Arbeit, dicht am Gegner zu schanzen und
Hindernisse zu bauen. Denn wo immer die gegnerischen Beobachter irgend
eine Bewegung, und sei es auch nur von einzelnen Leuten, wahrnahmen,
dorthin lenkten sie das Feuer ihrer Artillerie. Es schien das beste zu
sein, sich im hohen Getreide still zu verhalten, zwar ohne Schutz gegen
feindliche Granaten aber ungesehen durch feindliche Ferngläser. Man
schonte auf diese Weise während der
An diesem 8. August mußten wir handeln, wie wir schon so oft in gleich drohenden Lagen gehandelt hatten. Gegnerische Anfangserfolge waren für uns ja keine befremdenden Erscheinungen. Wir kannten sie von 1916/17, von Verdun, Arras, Wytschaete, Cambrai her. Wir hatten sie erst jüngst wieder bei Soissons kennen und überwinden gelernt. In dem jetzt vorliegenden Falle war die Lage freilich ganz besonders ernst. Der breite Tankeinbruch des Gegners war gleichzeitig überraschend tief erfolgt. Die Panzerwagen, schneller wie bisher, überfielen Divisionsstäbe in ihrer Unterkunft, zerrissen die Fernsprechverbindungen, die von dort zu den kämpfenden Truppen führten. Die höheren Kommandobehörden werden dadurch ausgeschaltet; die vorderen Linien bleiben ohne Befehl. An diesem Tage ist es ganz besonders bedenklich, da der dichte Nebel jede Übersicht verhindert. Die bereitgestellten Tankabwehrkanonen schießen zwar in die Richtungen, aus denen Motorgeräusche und Kettengerassel hörbar sind, werden aber vielfach durch Stahlkolosse überrascht, die aus anderer Richtung plötzlich auftauchen. Wirre Gerüchte beginnen sich in unsern Kampflinien zu verbreiten. Es wird behauptet, daß englische Kavalleriemassen schon weit im Rücken der vordersten deutschen Infanterie sich befinden. Man wird vorn bedenklich, verläßt die Stellungen, aus denen heraus man soeben noch starke feindliche Angriffe in der Front abgewiesen hat, man sucht nach rückwärts den verlorenen Anschluß. Die Phantasie zaubert Wahngebilde hervor und sieht in ihnen wirkliche Gefahren.
Alles, was da geschah, was uns zum ersten großen Unheil werden sollte, ist ja menschlich begreiflich. Der alte, schlachtenerprobte Soldat bleibt in solchen Lagen ruhig; er phantasiert nicht, er denkt! Aber diese alten Soldaten sind eben in verschwindender Minderheit; ihr Einfluß ist auch nicht allerorts mehr der beherrschende. Es zeigen sich andere Einflüsse. Der Mißmut und die Enttäuschung, daß trotz aller Siege der Krieg für uns kein Ende nehmen will, hat auch so manchen unserer braven Soldaten verdorben. Im Felde Gefahren und Arbeit, Kampf und Ruhelosigkeit, aus der Heimat Klagen über wirkliche, manchmal auch eingebildete Lebensnot. Das zermürbt allmählich, besonders, wenn man sich kein Ende vorstellen kann. Der Gegner sagt und schreibt in seinen massenhaft von Fliegern abgeworfenen Flugblättern, daß er es nicht so schlimm mit uns meine, wir müßten nur vernünftig sein und vielleicht auch auf dies und jenes, was wir erobert haben, verzichten. Dann würde alles rasch wieder gut werden. Und wir könnten in Frieden weiter leben, im ewigen Frieden der Völker. Für den Frieden im Innern der Heimat würden dann neue Männer, neue Regierungen sorgen. Auch das würde ein segensreicher Frieden nach all den jetzigen Kämpfen werden. Das weitere Ringen sei also zwecklos.
Solches liest und bespricht man; der Soldat meint, daß der Gegner doch nicht all das erlügen kann, läßt sich vergiften und vergiftet andere.
Unsere Befehle zum Gegenstoß können an diesem 8. August nicht mehr
ausgeführt werden. Es fehlt an Truppen, es fehlt besonders an Geschützen
zur Vorbereitung eines solchen Angriffes, denn an den Einbruchsstellen
sind die meisten Batterien verloren. Frische Infanterie- und neue
Artillerieverbände müssen erst herangeholt werden, und zwar auf
Kraftwagen und Eisenbahnen. Der Gegner erkennt die ausschlaggebende
Wichtigkeit, die in dieser Lage die Eisenbahnen für uns besitzen.
Weithin in unsern Rücken feuern seine schweren und schwersten Geschütze.
Auf einzelne Eisenbahn
Dem verhängnisvollen Vormittage des 8. August folgte ein verhältnismäßig ruhiger Nachmittag und eine noch ruhigere Nacht. Während dieser rollen unsere ersten Verstärkungen heran.
Die Lage ist bereits zu ungünstig, als daß wir von dem anfänglich geforderten Gegenangriff die Wiedergewinnung der alten Kampffront erwarten können. Der Gegenstoß hätte längerer Vorbereitung und stärkerer Truppen, als am Morgen des 9. August zur Hand sein können, bedurft. Daher soll und darf nichts überstürzt werden. Die Ungeduld an der Kampffront glaubt jedoch, nicht warten zu können. Man meint, günstige Gelegenheiten zu versäumen, und stürzt sich in unbezwingliche Schwierigkeiten. So geht ein Teil der herangebrachten kostbaren, frischen Infanteriekraft in örtlich begrenzten Erfolgen verloren, ohne der Lage im großen zu nutzen.
Der Angriff am 8. August war durch den rechten englischen Flügel unternommen worden. Die südlich anschließenden französischen Truppen hatten sich nur in geringem Umfange am Kampfe beteiligt. Es war aber zu erwarten, daß die großen britischen Erfolge nunmehr auch die französischen Linien in Bewegung bringen würden. Gelang dem Franzosen ein rasches Durchdringen in der Richtung auf Nesle, so mußte unsere Lage in dem weit nach Südwesten vorspringenden Verteidigungsbogen verhängnisvoll werden. Wir befehlen daher die Räumung unserer bisherigen ersten Stellungen südwestlich Roye und weichen in die Gegend dieser Stadt zurück.
Über die politischen Wirkungen unserer Niederlage am 8. August gab ich mich keinen Täuschungen hin. Unsere Kämpfe vom 15. Juli bis 4. August konnten im Ausland wie in der Heimat als die Folge einer nicht geglückten, kühnen Unternehmung angesehen werden, wie solches sich in jedem Kriege ereignet. Das Mißgeschick am 8. August stellte sich dagegen vor aller Augen dar als die Folgen einer offenkundigen Schwäche. Es war etwas ganz anderes, ob wir in einem Angriff scheiterten, oder ob wir in einer Verteidigungsschlacht besiegt wurden. Die Beutezahlen, die unsere Gegner der Welt bekanntgeben konnten, sprachen eine deutliche Sprache. Heimat und Verbündete mußten ängstlich aufhorchen. Um so mehr war es unsere Aufgabe, die Ruhe zu behalten und die Verhältnisse zwar ohne Selbsttäuschung, aber auch ohne übertriebenen Pessimismus zu betrachten.
Die militärische Lage war freilich ernst geworden. Die Gefechtslage auf
der angegriffenen Verteidigungsfront konnte allerdings
wiederhergestellt, das verlorene Kriegsgerät wieder ergänzt, neue Kräfte
konnten herangeführt werden. Damit war jedoch die Wirkung der Niederlage
nicht aufgehoben. Es war zu erwarten, daß der Gegner, durch seinen
großen Erfolg angeregt, solche Angriffe nunmehr auch an anderen Stellen
unternehmen würde. Er hatte jetzt die Erfahrung gemacht, daß sich in
unserem Verteidigungssystem dem des Jahres 1917 gegenüber mancherlei
Mängel befanden. Zunächst in technischer Beziehung. Auf den seit dem
Frühjahr 1918 neu gewonnenen Linien war von unseren Truppen im
allgemeinen nur wenig geschanzt worden. Es wurde, wie in der Gegend
östlich Amiens, so auch an anderen Stellen der Front, zu viel von
Fortsetzung der Angriffe, zu wenig von der Notwendigkeit der
Verteidigung ge
Aus diesem Gedankengang heraus glaubte ich, mich am 13. August der Reichsleitung gegenüber in einer politischen Beratung in Spa über die militärische Lage dahin aussprechen zu müssen, daß diese zwar ernst sei, daß aber nicht vergessen werden dürfe, daß wir noch immer tief in Feindesland ständen. Ich trug diese Auffassung am folgenden Tag auch meinem Kaiser vor, indem ich nach einer längeren gemeinsamen Sitzung das Schlußwort ergriff. Ich hatte auch nichts einzuwenden gegen die Auffassung des Reichskanzlers Graf Hertling, daß mit einem wirklich offiziellen Friedensschritt unsererseits gewartet werden sollte, bis eine Besserung in unserer damaligen militärischen Lage eintreten würde. Von dieser hing es dann ab, inwieweit wir auf unsere bisherigen politischen Ziele würden verzichten müssen.
Die Zeit, an einem befriedigenden Abschluß des Krieges zu zweifeln, hielt ich demnach Mitte August noch nicht für gekommen. Ich hoffte bestimmt, daß die Armee, trotz betrübender Einzelerscheinungen auf dem letzten Schlachtfelde, imstande sein würde, zunächst einmal auszuhalten. Auch hatte ich das Vertrauen auf die Heimat, daß sie Kraft genug hätte, auch diese jetzige Krisis zu überwinden. Ich erkannte dabei durchaus an, was die Heimat an Opfern und Entbehrungen bisher ertragen hatte, und was sie vielleicht noch weiter ertragen mußte. Hatte nicht Frankreich, auf dessen Boden der Krieg seit nunmehr vier Jahren tobte, weit mehr zu leiden? War dieses Land während dieser ganzen Zeit jemals unter Mißerfolgen verzagt; war es verzweifelt, als unsere Granaten seine Hauptstadt erreichten? Das, so dachte ich, würde sich in dieser schweren Krisis auch die Heimat vor Augen halten und standhaft bleiben, wenn nur wir an der Front standhaft blieben. Gelang das, so konnte nach meiner Ansicht die Wirkung auf unsere Verbündeten nicht ausbleiben. Ihre militärische Aufgabe war ja, soweit sie Österreich-Ungarn und Bulgarien betraf, eine leichte.
Bei diesen meinen Erwägungen spielte die Sorge um Erhaltung unserer Waffenehre keine ausschlaggebende Rolle. Unser Heer hatte diese Ehre in den vier Kriegsjahren so fest begründet, daß diese uns, mochte kommen was wollte, vom Gegner nicht mehr entrissen werden konnte. Ausschlaggebend für meine Entschlüsse und Vorschläge blieb einzig und allein die Rücksicht auf das Wohl des Vaterlandes. Konnten wir auch den Gegner durch Siege auf dem Schlachtfeld nicht mehr zu einem Frieden zwingen, der uns alles das gab, was unsere deutsche Zukunft endgültig sicher stellte, so konnten wir es doch wenigstens dahin bringen, daß die gegnerischen Kräfte im Kampfe erlahmten. Auch dann retteten wir voraussichtlich ein erträgliches staatliches Dasein.
General Foch hat nach Beendigung der Schlacht im Marnebogen wohl
erkannt, daß die errungenen Erfolge ihm wieder ver
Am 20. August schreiten die Franzosen zwischen Oise und Aisne in der Richtung auf Chauny zum Angriff. Sie werfen uns in dreitägigen Kämpfen auf diesen Punkt zurück. Am 21. August und in den ihm folgenden Tagen verbreitern die Engländer ihre Angriffsfront vom 8. August in nördlicher Richtung bis nordwestlich Bapaume. Wiederholte feindliche Einbrüche zwingen uns auch hier zum allmählichen Zurücknehmen unserer Linien. Am 26. August wirft sich der Engländer beiderseits Arras in der Richtung auf Cambrai auf unsere Stellungen. Er bricht durch, wird aber schließlich aufgehalten. Da überrennt ein neuer feindlicher Ansturm am 2. September endgültig unsere Linien an der großen Straße Arras-Cambrai und zwingt uns, die gesamte Front in die Siegfriedstellung zurückzunehmen. Zur Kräfteersparnis räumen wir gleichzeitig den weit über den Kemmel-Berg und Merville vorspringenden Bogen nördlich der Lys. Alles schwere Entschlüsse, die bis zum Ende der ersten Septemberwoche ausgeführt werden. Die erhoffte Erleichterung der Lage bringen sie nicht. Der Gegner drängt überall sofort nach, und die Spannung dauert an.
Am 12. September setzen die Kämpfe an der bisher ruhigen Front
südöstlich Verdun und bei Pont-à-Mousson ein. Wir standen hier in der
Stellung, in der unsere Angriffe im Herbste 1914 erstarrt waren, ein
taktisches Mißgebilde, das den Gegner zu einem großen Schlag einladen
konnte. Es ist nicht recht verständlich, warum uns der Franzose
jahrelang in diesem großen Dreieck stehen ließ, das in seine Gesamtfront
hineinsprang. Durchstieß er dieses in mächtigem Schlage an der Basis, so
war eine schwere Krisis für uns unausbleiblich. Man wird uns vielleicht
als einen Fehler anrechnen, daß wir diese Lage nicht schon längst,
spätestens mit dem Einstellen unseres Angriffes auf Verdun, aufgaben.
Allein wir übten gerade
Im übrigen gelang es, den feindlichen Angriffen gegenüber unsere Front im wesentlichen zu halten. Die Ausdehnung der gegnerischen Angriffe auf die Champagne am 26. September änderte die Lage von der Küste bis zu den Argonnen zunächst wenig. Dagegen drang der Amerikaner an diesem Tage zwischen Argonnen und Maas in unsere Linien ein. Damit machte sich die nordamerikanische Macht auf den Schlachtfeldern des Schlußkampfes in einer selbständigen Armee zum ersten Male entscheidend geltend.
Unsere Westfront war, wenn auch infolge feindlicher Einbrüche wiederholt zurückgenommen, nicht durchbrochen. Sie wankte, aber sie fiel nicht. Um diese Zeit wurde jedoch in unsere gesamte Kriegsfront eine breite Lücke gerissen. Bulgarien brach zusammen.
Die Lage im Innern Bulgariens hatte sich auch im Jahre 1918 nicht wesentlich geändert. Sie blieb ernst. Die äußere Politik des Landes schien jedoch darunter nicht zu leiden. Ab und zu gelangten freilich Mitteilungen über Verhandlungen bulgarischer unverantwortlicher Persönlichkeiten mit der Entente auf neutralem schweizerischen Boden zu uns. Auch war in der amerikanischen Gesandtschaft in Sofia zweifellos eine Brutstätte von uns verderblichen Plänen vorhanden. Wir machten den vergeblichen Versuch, sie zu beseitigen. Die Politik forderte Samthandschuhe in der eisernen Wirklichkeit des Krieges.
Die Kampfwut zwischen den politischen Parteien des Landes dauerte an. Die Armee wurde auch weiterhin davon berührt. Der Sturz Radoslawows war endlich im Frühjahr von seinen Gegnern erreicht. Die neuen Männer versicherten uns ihres treuen Festhaltens an dem Bündnis. Das war für uns das Entscheidende.
Die Kriegsunlust im bulgarischen Volke nahm indessen stark zu. Die
Lebensmittelversorgung machte immer größere Schwierigkeiten. Unter
diesen litt besonders die Armee, das heißt, man ließ sie darunter
leiden. Der Soldat mußte zeitweise geradezu hungern, ja mehr noch, er
wurde auch so elend gekleidet, daß ihm eine Zeitlang das Nötigste
fehlte. Meutereien fanden statt, wurden uns gegenüber
Die Zustände innerhalb des Heeres schienen sich jedoch im Verlauf des Sommers wieder zu bessern. Wir halfen aus, wo wir konnten, gaben von unseren Lebensmittelvorräten und schickten Bekleidungsstücke. Auch lösten unsere damaligen Erfolge an der Westfront in der bulgarischen Armee große Begeisterung aus. Es war aber klar, daß diese gehobene Stimmung rasch wieder in sich zusammenbrechen würde, wenn auf unserer Seite Rückschläge erfolgten. Darüber konnten uns auch bessere Stimmungsberichte Ende Juli nicht im Zweifel lassen.
Die gegenseitigen Stärkeverhältnisse an der mazedonischen Front schienen
sich im Laufe des Jahres 1918 nicht wesentlich verschoben zu haben. Nach
dem schließlichen Ausgleich mit Rumänien war Bulgarien imstande, alle
seine Kräfte auf einer Front zu
Am 15. September abends erhielten wir die erste Nachricht vom Beginn des Angriffes der Ententearmeen in Mazedonien. Dieses Datum war auffallend. Hatten doch bulgarische Soldaten schon im Frühjahr erklärt, daß sie an diesem Tage die Stellungen verlassen würden, sofern der Krieg bis dahin nicht beendet wäre.
Nicht weniger auffallend war es andererseits, daß sich der Gegner zu
einem Angriff eine Stelle mitten im wildesten Berglande wählte, an der
bei einigem Widerstandswillen der bulgarischen Truppe und ihrer niederen
Führung das Durchdringen die allergrößten Schwierigkeiten bieten mußte.
Wir glaubten daher dem Ausgang dieses Kampfes mit Vertrauen
entgegensehen zu können, und erwarteten den schwereren und
entscheidenden Angriff des Gegners im Wardartal. Dort und in der Gegend
des Doiransees waren seit längerer Zeit schon Angriffsvorbereitungen der
Engländer erkannt worden. Auch hier bestand angesichts der ganz
außerordentlichen Stärke der Verteidigungsstellungen unseres Erachtens
keine Gefahr, sofern man einer solchen von bulgarischer Seite
entsprechend
Die zuerst eintreffenden Meldungen über den Verlauf der Kämpfe am 15. September gaben zu Besorgnissen keinen Anlaß. Die vordersten Stellungen waren freilich verloren gegangen. Ein solcher Verlauf hatte nichts ungewöhnliches an sich. Die Hauptsache war, daß dem Gegner der glatte Durchbruch am ersten Tage nicht gelungen war. Spätere Nachrichten lauteten bedenklicher. Die Bulgaren waren weiter nach Norden gedrängt, als man zuerst annehmen konnte. Die zunächst am Kampfe beteiligten Truppen hatten anscheinend wenig Kampfkraft, noch weniger Kampfwillen gezeigt. Die Reserven, die herankamen oder herankommen sollten, zeigten keine Neigung, sich dem feindlichen Feuer auszusetzen. Sie zogen es anscheinend vor, dem Gegner das Kampffeld zu überlassen, und das an einer Stelle, die dem wichtigsten Knotenpunkt aller Verbindungen des mazedonischen Kriegsschauplatzes, nämlich Gradsko, bedenklich nahe lag.
Fällt Gradsko, oder kann es der Gegner mit seinen Geschützen erreichen, so ist die rechte bulgarische Armee in der Gegend von Monastir der wichtigsten Verbindung beraubt, ihre Versorgung in der jetzigen Stellung für die Dauer unmöglich. Aber auch die mittlere bulgarische Armee beiderseits des Wardartales ist dann von jeder Bahnverbindung mit der Heimat abgeschnitten. Es erscheint unbegreiflich, daß die bulgarischen Führer diese drohende Gefahr nicht erkennen sollten, daß sie nicht alles daran setzen würden, ein namenloses Unheil für die Masse des Heeres abzuwenden.
Im Gegensatz zu den bulgarischen Armeen südlich von Gradsko kämpfen die
bulgarischen Truppen zwischen dem Wardar und dem Doiransee seit dem
18. September mit größter Erbitterung. Vergeblich versuchen die
Engländer, sich hier Bahn zu brechen. Nochmals zeigt sich bulgarischer
Mut und zäher Wille in glänzendem Licht. Aber was nützt der Heldenmut am
Doiransee, wenn in der Richtung auf
Vergeblich versucht die deutsche Führung mit deutschen Truppen die Lage in der Mitte des bulgarischen Heeres zu retten. Was helfen die schwachen kleinen deutschen Gruppen, wenn rechts und links der Bulgare das Feld räumt? Den gegen den Feind marschierenden deutschen Bataillonen strömen ganze bulgarische Regimenter entgegen, die den Kampf offen verweigern. Ein eigenartiges Bild. Und noch eigenartiger die Erklärung der bulgarischen Mannschaften: Sie ziehen in die Heimat zu Weib und Kind, wollen wieder einmal Haus und Hof sehen und ihre Felder bestellen. Sie lassen vielfach ihre Offiziere unbelästigt. Gehen diese mit ihnen nach Hause, so sind sie willkommen, wollen sie zurückbleiben auf dem Felde der Ehre, so sollen sie das allein tun. Der Bulgare springt bereitwillig zu, wenn im Gedränge ein Deutscher, der gegen den Feind marschiert, in Bedrängnis kommt, er hilft den deutschen Geschützen beim Marsch auf das Gefechtsfeld über schlechte Wegestrecken fort. Den Kampf indessen überläßt er den Deutschen. Mazedonien wird auf diese Weise freilich für Bulgarien verloren gehen. Aber der bulgarische Bauer sagt sich, daß er in der Heimat Land genug habe; also zieht er in die Heimat und überläßt die Sorge und den Kampf um Mazedonien und die bisherigen Großmachtspläne anderen Menschen.
Die deutsche Führung, die vom Ochridasee bis zum Doiransee das
verantwortliche Kommando hat, sieht sich angesichts dieser Verhältnisse
vor einer unendlich schwierigen Lage. Was an deutschen Truppen, an
Etappenmannschaften, Landsturm und Rekruten vorhanden ist, wird
zusammengerafft, um die bulgarische Mitte zu stützen und Gradsko zu
retten. Die Aussichten, daß dieses gelingt, werden immer geringer. Bei
der Haltlosigkeit der bulgarischen Mitte bleibt sonach als einzigste
Rettung, die Flügel des Heeres zurückzunehmen. Eine solche Bewegung
würde an sich nur geringe taktische Nachteile verursachen, denn in
Mazedonien liegt eine gewaltige
Dem Entschluß des deutschen Heeresgruppenkommandos stellen die bulgarischen Führer die ernstesten Bedenken entgegen. Sie glauben, daß ihre Truppen in den jetzigen Stellungen noch zusammenhalten, ja sogar kämpfen würden. Dagegen sind sie der Anschauung, daß die Armeen sich völlig auflösen würden, wenn man ihnen den Rückzugsbefehl gäbe.
Eine wahrhaft verzweiflungsvolle Lage, verzweiflungsvoll für alle Beteiligten. Die Bulgaren klagen, daß nicht genug deutsche Truppen zur Stelle sind, daß man die früher vorhandenen zum Teil entfernt hätte. Was aber hätten ein paar deutsche Bataillone mehr in diesem allgemeinen Zusammenbruch genutzt? Wie viele deutsche Divisionen hätte man schicken müssen, um die mazedonische Front zu verteidigen? Deutschland kann nicht im Westen die Entscheidung suchen und seine Divisionen nach Bulgarien schicken wollen. Der Bulgare will nicht einsehen, daß die deutsche Kraft auch zu erschöpfen ist. Die bulgarische ist an sich noch lange nicht erschöpft, erschöpft ist nur der bulgarische Kriegswille.
Auch wir im Großen Hauptquartier stehen vor verhängnisvollen Fragen. Wir müssen wenigstens versuchen, in Bulgarien zu retten, was zu retten ist. Wir müssen also doch Unterstützungen schicken und zwar sofort, so schwer uns das werden mag. Es ist der 18. September, als sich diese Notwendigkeit in vollem Umfange ausprägt. Man denke daran, wie schwer der Kampf zu dieser Zeit an unserer Westfront tobt. Wenige Tage vorher hatten die Amerikaner ihren großen Erfolg zwischen Maas und Mosel errungen, und eine weitere Ausdehnung der Angriffe steht dort noch bevor.
Die erste Unterstützung, die wir freimachen können, sind Truppen, eine gemischte Brigade, die für Transkaukasien bestimmt waren und eben über das Schwarze Meer befördert werden. Sie werden durch Funkspruch abgedreht und sollen über Varna-Sofia herankommen. Diese Kräfte genügen jedoch nicht. An unserer Ostfront können wohl noch einige Divisionen entbehrlich gemacht werden. Wir wollten sie an eine ruhige Front des Westens bringen. Doch was sind das für Truppen? Kein Mann unter 35 Jahren, und alle Vollkräftigen schon nach dem Westen geholt! Kann von ihnen noch eine besondere Leistung erwartet werden? Sie mögen den besten Willen mitbringen, aber in diesem Klima und ohne Ausrüstung für den Krieg in einem gebirgigen Lande sind sie an der mazedonischen Front nur bedingt brauchbar. Doch es muß sein, denn nicht nur die bulgarische Armee, auch die bulgarische Regierung und der Zar müssen in dieser schwersten Gefahr deutsche Hilfe erhalten.
Auch vom Westen her schicken wir Unterstützung. Unser Alpenkorps, eben erst aus schwerstem Kampfe gezogen, wird zur Fahrt nach Nisch auf die Bahn gesetzt. Ebenso beteiligt sich Österreich-Ungarn an dem Versuch, Bulgarien zu helfen, und stellt mehrere Divisionen hierfür zur Verfügung. Wir verzichten daher auf weitere österreichisch-ungarische Unterstützung an unserer Westfront.
Bis diese deutsche und österreichische Hilfe eintreffen kann, muß versucht werden, wenigstens die Masse des bulgarischen Heeres zu retten. Trotz aller bulgarischen Bedenken wird deshalb von dem deutschen Heeresgruppenkommando der Befehl zum Rückzug an die rechte und mittlere bulgarische Armee gegeben. Die Stellungen auf der Belasiza, nördlich des Doiransees, sollen den Drehpunkt der ganzen Bewegung bilden.
Die linke bulgarische Armee wird während dieser ganzen Zeit nicht
angegriffen. Ihre Stellungen auf der Belasiza und hinter der Struma sind
von größter Stärke. Wenige Maschinengewehre und Batterien genügen für
ihre Verteidigung. Trotzdem verbreitet
Auch Kronprinz Boris befindet sich auf der Höhe seiner Aufgabe. Er eilt an die Front, um dort zu retten, was zu retten ist. Was vermag jedoch ein einzelner, auch wenn er von der Liebe vieler, und von der Achtung aller getragen wird, in solcher allgemeinen Kopflosigkeit und in solchem Schwinden des Willens?
Die mittlere Armee beginnt am 20. September befehlsgemäß den Rückzug. Dieser wird zur Auflösung; ungeschickte Anordnungen vervollständigen die Verwirrung. Die Stäbe versagen, am gründlichsten der Armeestab. Hier ist nur ein ganzer Mann vorhanden, klar blickend und von bestem Wollen beseelt, nämlich der Führer.
Die rechte Armee hat eine schwierige Aufgabe. Ihre Hauptrückzugsstraße
führt über Prilep auf Veles. Da der Gegner schon vor Gradsko steht, ist
diese Straße äußerst bedroht. Ein anderer Weg führt aus dem Seengebiete
und dem Gebiete von Monastir weiter im Westen mitten durch das wilde
Albaner-Gebirge auf Kalkandelen. Er vereinigt sich mit demjenigen über
Veles bei Üsküb. Dieser Weg durch das Albaner-Gebirge ist gesichert,
aber sehr schwierig, und es ist zweifelhaft, ob größere Truppenmassen in
diesen Gebieten die nötige Verpflegung finden. Trotz dieser Bedenken
müssen starke Teile auf ihn verwiesen werden. Noch stärkere werden
dorthin gedrängt, als der Feind Gradsko nimmt und nunmehr gegen das
Straßenstück Prilep-Veles von Südosten her vorrückt. Gradsko fällt schon
am 21. September. Aus einem elenden Ort war es im Laufe des Krieges zu
einer förmlichen Lagerstatt geworden, die in ihrer Anlage und Größe an
eine amerikanische Neugründung er
Bulgarien kann also den Krieg noch weiter führen, wenn es ihn nur nicht selbst für verloren hält oder halten will. Unser Plan, der auch die Zustimmung der bulgarischen Obersten Heeresleitung findet, ist folgender: Die mittlere Armee soll an die altbulgarische Grenze zurückschwenken. Die rechte Armee soll sich bei Üsküb oder weiter nördlich versammeln; sie wird verstärkt durch die anrollenden deutschen und österreichischen Divisionen. Diese Kräfte bei Üsküb werden reichlichst genügen, um die Lage zu halten; ja es ist bei einiger Brauchbarkeit der bulgarischen Verbände damit zu rechnen, daß wir von Üsküb aus bald wieder zu einem Angriff in südlicher Richtung vorgehen können. Es scheint ausgeschlossen, daß der Gegner ohne Rast mit starken Massen bis Üsküb und bis an die altbulgarische Grenze nachdrängt. Wie sollte er seinen Nachschub regeln, da wir die Bahnen und Straßen gründlich zerstört haben? Wir hoffen auch, daß in den bulgarischen Truppen bei Berührung mit dem heimatlichen Boden sich wieder Kraft und Verantwortungsgefühl zusammenfinden.
Die vorgeschlagene Operation ist nur möglich, wenn Üsküb so lange gehalten wird, bis die bulgarischen Truppen über Kalkandelen herankommen. Diese Aufgabe erscheint leicht, denn der Gegner folgt in der Tat über Gradsko hinaus mit nur verhältnismäßig schwachen Kräften.
Während dieser Vorgänge bleibt Sofia auffallend ruhig. Unsere dort eintreffenden Bataillone, die der Bevölkerung zur Beruhigung, der Regierung zum Schutz und zur Stütze dienen sollen, finden nichts von der gefürchteten Aufregung. Das Leben macht freilich einen eigenartigen Eindruck, hervorgerufen durch die Scharen von Soldaten, die außerhalb ihrer Verbände durch die Stadt der Heimat zuziehen. Die Mannschaften liefern ihre Gewehre in die Waffendepots ab, verabschieden sich von Kameraden und Vorgesetzten, versichern sogar teilweise, daß sie wiederkommen würden, wenn sie nur erst einmal ihre Felder bestellt hätten. Ein eigenartiges Bild, ein merkwürdiger Seelenzustand. Oder ein abgekartetes Spiel? Wir haben aber keinen Grund, ein solches bei den Soldaten vorauszusetzen. Daß es in dieser Auflösung nicht überall friedlich zugeht, ist klar. Die Gerüchte von schweren Ausschreitungen erweisen sich aber meist als übertrieben.
An der Front ändert sich die Lage nicht. Der Rückzug der bulgarischen Massen dauert ununterbrochen an. Er ist auch gegen die schwachen Kräfte des verfolgenden Feindes nicht dauernd zum Halten zu bringen. Vergeblich versucht man einzelne Haufen, von geschlossenen Truppen kann man kaum noch sprechen, dazu zu bringen, die Front wieder gegen den Feind zu nehmen und wenigstens stellenweise einen geregelten Widerstand zu ordnen. Kommt der Gegner heran, so verlassen die Bulgaren schon nach wenigen Schüssen ihre Stellungen. Deutsche Truppen sind nicht mehr imstande, dem bulgarischen Widerstand einen Halt zu geben. Ebenso vergeblich ist das Bemühen deutscher und bulgarischer Offiziere, mit dem Gewehre in der Hand durch ihr Beispiel auf die haltlose gleichgültige Masse zu wirken.
So nähert sich der Gegner Üsküb, bevor neue deutsche und
österreichisch-ungarische Truppen dort eintreffen können. Am
29. September treten aber starke Teile der rechten bulgarischen Armee
bei Kalkandelen aus dem Gebirge. Sie brauchen von da nur noch auf
Der Anfang des Jahres 1918 brachte einen kühnen Aufschwung des
osmanischen Kriegswillens. Die Türkei schritt, ehe noch der Winter im
armenischen Hochlande zu Ende ging, zum Angriff gegen die dortigen
russischen Armeen. Die russische Macht erwies sich in diesen Gebieten
nur noch als Phantom. Die Masse der Truppen hatte sich bereits völlig
aufgelöst. Der Vormarsch der Türken fand daher nur noch Widerstand bei
armenischen Banden. Schwieriger als dessen Beseitigung war die
Überwindung der Hindernisse, die in dieser Jahreszeit die Hochlandnatur
den Türken in den Weg legte. Daß der Vormarsch trotzdem gelang, war eine
jener merkwürdigen Erscheinungen aufwallender Lebenskraft des
osmanischen Staatswesens. Die Türkei warf sich über die Grenzen des
osmanischen Armeniens hinaus auf die Gebiete Transkaukasiens,
angetrieben durch verschiedene Beweggründe: Panislamitische Träumereien,
Rachegedanken, Hoffnung auf Entschädigungen für bis jetzt verlorene
Landesteile und Erwartung von Beute. Dazu kam noch ein weiteres, nämlich
die Suche nach Menschenkräften. Das Land, in erster Linie die
Siedlungsgebiete der prächtigen Anatolier, ist in bezug auf
Menschenkräfte völlig erschöpft. Im transkaukasischen Aserbeidschan und
unter den kaukasischen Mohammedanern scheinen sich neue große Quellen zu
eröffnen. Rußland hat diese Mohammedaner zu
Um wenigstens einen Anteil an den reichen Vorräten von Kriegsrohstoffen in Transkaukasien für die allgemeine Kriegführung zu retten, senden wir Truppen nach Georgien. Wir hoffen, der dortigen Regierung den Aufbau eines geordneten Wirtschaftslebens zu ermöglichen.
Aber der Panislamismus und der Kriegswucher in Konstantinopel ruhen nicht eher, als bis Baku auch in die Hand der Türken fällt, und zwar zu einer Zeit, in der sich der Zusammenbruch der alten asiatischen Herrschaft der Türkei vollzieht.
Auch die Absicht, über Transkaukasien in Persien entscheidenden Einfluß
zu gewinnen, führte die Türkei so weit in östlicher Richtung
Wie durch das Weiße Meer über Archangelsk, so scheint England auch über das Kaspische Meer und über Baku sich einen Einfluß in Rußland sichern zu wollen. Aus diesen Gründen liegt die Durchführung der osmanischen Pläne in Persien und in Transkaukasien auch in unserem Interesse. Nur hätte demgegenüber die Verteidigung in Mesopotamien und besonders in Syrien nicht vernachlässigt werden dürfen. Die Aufstellung einer verwendungsbereiten türkischen Reservearmee in der Gegend von Aleppo wäre jedenfalls mit Rücksicht auf alle operativen Möglichkeiten des Engländers südlich des Taurus von mehr Wert gewesen, als größere Operationen in Persien.
In Mesopotamien ist die Lage seit dem Herbst 1917 nach der Karte
betrachtet unverändert geblieben. In Wirklichkeit hat sich aber in den
Gegenden südlich von Mosul für die türkischen Armeen eine Katastrophe
vollzogen, freilich nicht unter Geschützdonner. Wie im armenischen
Hochlande im Winter 1916/17, so gingen in der mesopotamischen Ebene im
Winter 1917/18 die türkischen Soldaten in großer Zahl zugrunde. Man
spricht von 17.000, die in
dortigen Stellungen verhungerten oder an den Folgen dieses Elendes
starben. Ob die Zahl richtig ist, vermögen wir nicht nachzuprüfen. „Auch
wer verhungert, stirbt den Heldentod“, so versicherte uns ein Türke,
nicht im Zynismus, sondern aus innerer ehrlichster Überzeugung. Nur noch
Reste der ehemaligen türkischen Armee überleben in Mesopotamien das
Frühjahr. Es ist zweifelhaft, ob sie je wieder zu gefechtsfähiger Stärke
gebracht werden können. Man fragt sich, warum greift England in
Mesopotamien nicht an? Oder besser gesagt, warum marschiert es nicht
einfach vorwärts? Genügen die Schatten
Während im armenischen Hochlande die türkische Wehrmacht nochmals einen Triumph feierte, hatten die Kämpfe in Syrien nicht geruht. Wiederholt kam es an der syrischen Front zu frontalen englischen Angriffen, ohne daß hierdurch die Lage wesentlich geändert wurde. Im Frühjahr 1918 schien die englische Kriegführung dieses ewigen Einerleis endlich müde zu werden. Sie raffte sich zu einem neuen Gedanken auf und brach über Jericho in das Ostjordanland ein. Man nahm an, daß die Araberstämme in diesem Gebiete das Auftreten ihrer Befreier vom türkischen Joch nur erwarteten, um sofort den osmanischen Armeen in den Rücken zu fallen. Das Unternehmen scheiterte jedoch ziemlich ruhmlos vor geringen deutschen und türkischen Kräften dank ausgezeichneter osmanischer Führung. Die Lage an der syrischen Front wurde hierdurch in den Sommer hinein gerettet. In dieser Jahreszeit pflegte in jenen glutheißen Gebieten allgemeine Ruhe einzutreten. Es war jedoch mit Sicherheit zu erwarten, daß der Engländer im Herbste seine Angriffe in irgend einer Richtung wiederholen würde. Wir glaubten, daß die Zwischenzeit genügend sei, um die Lage an der syrischen Front durch Zuführung neuer türkischer Kräfte zu festigen.
Die inneren Schwierigkeiten im türkischen Staate dauerten auch im Jahre
1918 an. Der Tod des Sultans übte nach außen hin zunächst keinen
sichtbaren Einfluß aus. Im Innern begann allmählich eine Bewegung zur
Besserung einzusetzen. Der neue Sultan war augenscheinlich ein Mann der
Tat. Er zeigte den besten Willen, sich von der bisherigen Bevormundung
durch das Komitee freizumachen und den schweren Staatsschäden
entgegenzutreten.
Ich hatte den neuen Padischa als Thronfolger in Kreuznach kennen gelernt. Damals hatte ich die Ehre, ihn als meinen Gast zu sehen. Bei den Schwierigkeiten unmittelbaren sprachlichen Verkehrs, der Sultan sprach nur türkisch, war unsere Unterhaltung durch Dolmetscher im wesentlichen auf den Austausch von Ansprachen beschränkt. Die Erwiderung des Thronfolgers auf meine Anrede trug einen sehr bundesfreundlichen Charakter. Diesem entsprach auch seine Haltung nach der Thronbesteigung.
Der Sultan hatte vornehmlich die Absicht, auf das Heerwesen einen persönlichen Einfluß auszuüben. Er wollte auch die Armeen in den entfernten Provinzen aufsuchen. Ob hierdurch wesentliche Mängel hätten beseitigt werden können, wage ich nicht zu entscheiden.
Das Land war durch den Kriegszustand völlig erschöpft. Es konnte dem Heere kaum noch irgend welche neuen Kräfte bieten. So gelang es auch während des Sommers nicht, die Verhältnisse an der syrischen Front wesentlich zu stärken. Es ist schwer zu entscheiden, inwieweit bei den geradezu kläglichen Verbindungen dorthin ausreichenderes hätte geleistet werden können. Die Zustände in der Versorgung der Armee blieben schlecht. Die Truppe verhungerte nicht, aber sie lebte nahezu beständig in ungestilltem Hunger dahin, körperlich müde, seelisch empfindungslos.
Wie ich schon früher anführte, mußten wir auf das Wegziehen der
deutschen Truppen aus der syrischen Front verzichten. Die dortige
deutsche Führung glaubte nur mit deutscher Hilfe die Lage als gesichert
betrachten zu können. Man schätzte freilich den Angriffsgeist der
gegenüberstehenden englisch-indischen Armee besonders auf Grund von
Aussagen mohammedanisch-indischer Überläufer nicht sehr hoch ein. Auch
waren die bisherigen Leistungen der englischen Führung so wenig
eindrucksvoll, daß man sich zu der
Am 19. September griff der Engländer überraschend den rechten türkischen Heeresflügel in den Küstenebenen an. Er durchbrach fast widerstandslos die dortigen Linien. Die Niederlage der beiden türkischen Armeen an der syrischen Front wurde durch das rasche Vordringen der indisch-australischen Reitergeschwader besiegelt.
In diesen Tagen wurde die Türkei durch den bulgarischen Zusammenbruch ihres bisherigen Landschutzes in Europa beraubt. Konstantinopel war dadurch im ersten Augenblick auf der europäischen Landseite völlig schutzlos. Die türkischen Truppen an den Dardanellen waren im Verlaufe der letzten Zeiten dauernd schlechter geworden. Aus ihnen holten die Armeen der entlegenen Provinzen alles heraus, was noch an Gefechtswert in ihnen steckte. Thrazien war mit Ausnahme einer schwachen kaum gefechtsfähigen Küstenbesatzung ungeschützt. Die Befestigungen der berühmten Tschataldschalinie bestanden nur aus zerfallenen Schützengräben, wie sie nach den Kämpfen der Jahre 1912/13 von den türkischen Truppen verlassen waren. Alles übrige war nur in der Phantasie oder auf trügerischen Plänen vorhanden. Man mag über diese Zustände nachträglich den Kopf schütteln, letzten Endes offenbart sich in ihnen doch der große Wille, alle vorhandenen Kräfte auf den entscheidenden Außenposten zu verwenden. Wehe dann freilich, wenn der äußere Schutzwall durchbrochen wurde, und sich die feindlichen Fluten in das Innere des Landes ergossen.
Solch eine Flut bedrohte nunmehr das Herz des ganzen Landes. Unter den
Eindrücken der ersten Nachrichten vom drohen
Nach den vergeblichen Angriffen des österreichisch-ungarischen Heeres in
Oberitalien zeigte sich immer mehr, daß die Donaumonarchie ihre letzte
und beste Stärke an dieses Unternehmen gesetzt hatte. Sie hatte nicht
mehr so viel zahlenmäßige und sittliche Kräfte, um einen solchen Angriff
wiederholen zu können. Die Verhältnisse dieses Heeres traten uns so
recht deutlich in der Beschaffenheit der Divisionen vor Augen, die zu
unserer Unterstützung an die Westfront geschickt wurden. Ihr sofortiger
Einsatz war unmöglich, wenn man später größere Kampfleistungen von ihnen
verlangen wollte. Sie bedurften der Erholung, Schulung und besonders
auch der Ausrüstung. Diese Tatsachen wurden innerhalb der eintreffenden
Truppen ebenso rückhaltslos anerkannt wie von seiten des k. u. k.
Armee-Oberkommandos. Alle österreichisch-ungarischen Befehlsstellen
Die großen Verluste der österreichisch-ungarischen Wehrmacht in Italien, die mangelhaften Ersatzverhältnisse, die politische Unzuverlässigkeit einzelner Truppenteile, die unsicheren Zustände im Innern des Landes machten eine wirklich große und ausschlaggebende Unterstützung unserer Westfront leider unmöglich. General von Arz mußte sich angesichts dieser Verhältnisse in des Wortes vollster Bedeutung jede einzelne Division, die er uns schicken wollte, von der Seele reißen. Er selbst war von der großen Bedeutung dieser Hilfe durchaus überzeugt. Ich vermag nicht zu sagen, ob man in allen österreichisch-ungarischen Kreisen von der gleichen Hilfsbereitschaft durchdrungen war, ob man überall die gleiche Dankesschuld uns gegenüber empfand, wie General von Arz.
An den österreichisch-ungarischen Heeresfronten ereignete sich im
Verlauf des Sommers nichts wesentliches. Die einzige bemerkenswerte
kriegerische Leistung vollzog sich in diesem Zeitraume auf albanischem
Boden. Dort hatte man sich jahrelang eigentlich tatenlos
gegenübergestanden, die Italiener, etwa ein verstärktes Armeekorps, um
Valona und östlich, die Österreicher im nördlichen Albanien. Der
Kriegsschauplatz wäre ohne jede militärische Bedeutung gewesen, wenn er
nicht einen Zusammenhang mit den mazedonischen Fronten gehabt hätte.
Bulgarien befürchtete beständig, daß durch ein feindliches Vordringen
westlich des Ochridasees die rechte Flanke seiner Heeresfront umfaßt
werden könnte. Militärisch wäre einem solchen feindlichen Unternehmen
leicht durch Zurücknahme des bulgarischen Westflügels aus dem Gebiete
von Ochrida in nordöstlicher Richtung zu begegnen gewesen. Allein die
innerpolitischen Verhältnisse Bul
Man hat wiederholt die Frage gestellt, warum die Österreicher ihre italienischen Gegner nicht aus Valona vertrieben haben. Die außerordentliche Wichtigkeit dieses Flottenstützpunktes als zweiter Torflügel zur Sperrung der Adria war mit den Händen zu greifen. Für eine solche Operation fehlte jedoch für Österreich-Ungarn die erste Voraussetzung, nämlich die entsprechende leistungsfähige, rückwärtige Verbindung in das Kampfgebiet an der Vojusa. Auf die See konnte ein solches Unternehmen nicht basiert werden, Landverbindungen waren aber in dem öden albanischen Berglande vor dem Kriege nicht vorhanden, und Österreich-Ungarn konnte sie im Verlauf des Krieges dort nicht in genügendem Umfang schaffen.
Die österreichisch-ungarischen Operationen in Albanien befanden sich in einer Art von Dornröschenschlaf, in dem sie nur zeitweise durch gegenseitige Unternehmungen geringeren Umfanges und noch geringerer Tatkraft gestört wurden. Einen größeren Ernst nahm die Lage in Albanien erst an, als die Italiener im Sommer 1918 zu einem breit entwickelten Angriff von der Meeresküste bis in die Gegend des Ochridasees schritten. Die schwachen, teilweise auch sehr vernachlässigten österreichisch-ungarischen Verbände wurden nach Norden zurückgedrückt. Sogleich erhob sich die bulgarische Sorge in Sofia und an der mazedonischen Grenze und verlangte unser Eingreifen als Oberste Kriegsleitung. Dieses Eingreifen vollzog sich in der Form eines Ersuchens an das k. u. k. Armee-Oberkommando, die österreichischen Kräfte in Albanien zu verstärken, um auch weiterhin den Schutz der mazedonischen Flanke durchführen zu können. Die österreichisch-ungarische Heeresleitung entschloß sich darüber hinausgehend in Albanien zu einem Gegenangriff. Die Italiener wurden wieder zurückgeschlagen.
Es ist nicht klar zu erkennen, ob diese italienische Offensive irgend welche weiter gesteckten politischen und militärischen Ziele im Auge hatte. Besonders muß ich die Frage offen lassen, ob sie mit dem später einsetzenden Angriff der Entente gegen die Mitte der mazedonischen Front in irgendwelchem inneren Zusammenhang stand. Der österreichische Gegenangriff stellte angesichts der ganz außerordentlichen Schwierigkeiten in den albanischen Geländeverhältnissen und der feindlichen zahlenmäßigen Überlegenheit eine sehr beachtenswerte Leistung dar. Sie verdient durchaus, von seiten unserer Bundesgenossen als solche gefeiert zu werden.
Die inneren Verhältnisse Österreich-Ungarns hatten sich im Laufe des Jahres 1918 in der früher erwähnten bedenklichen Richtung weiter entwickelt. Die ungewöhnlichen Schwierigkeiten in der Volksernährung bedrohten Wien zeitweise geradezu mit einer Katastrophe. Da war es kein Wunder, daß die österreichisch-ungarischen Behörden in dem Zusammenraffen greifbarer Verpflegungsbestände, sei es in Rumänien, sei es in der Ukraine, zu Maßnahmen griffen, die unseren eigenen Interessen im höchsten Grade entgegengesetzt waren.
Unter den trüben politischen Verhältnissen Österreich-Ungarns war es nicht weiter erstaunlich, wenn uns von dort immer wieder erklärt wurde, daß eine Weiterführung des Krieges über das Jahr 1918 hinaus von seiten der Donaumonarchie ausgeschlossen wäre. Der Drang nach Abschluß der Feindseligkeiten äußerte sich immer häufiger und immer stärker. Ob dabei, wie behauptet wurde, auch der Ehrgeiz, die Rolle des Friedensbringers zu spielen, bei irgendwem einen wirklich ausschlaggebenden Einfluß ausübte, lasse ich dahingestellt sein.
Im Sommer erfolgte der Rücktritt des Grafen Czernin von seinem Posten
als Außenminister. Als Grund gab der Graf selbst an, daß die von seinem
Kaiser an den Prinzen Sixtus von Parma gerichteten Briefe einen
unüberbrückbaren Gegensatz zwischen ihm und
Für mich war Graf Czernin der typische Vertreter der
österreichisch-ungarischen Außenpolitik. Er war klug und von scharfem
Erkennen der Schwierigkeiten unserer gemeinsamen Lage sowie von
zutreffender, rückhaltsloser Kritik der Schwächen des von ihm
vertretenen Staatswesens. Seine politischen Pläne bewegten sich dabei
aber weit mehr im Bestreben, ein Unheil zu vermeiden als unsere Erfolge
auszunutzen. Für die Interessen seines Vaterlandes hatte der Graf zwar
immer ein offenes Auge und ein weitem Herz, doch im auffallenden
Gegensatz hierzu sah er in der Beurteilung unserer Gesamtlage das
rettende Heil meist im Verzicht. Aus diesen Widersprüchen kam es, daß er
für die Doppelmonarchie Erweiterung ihrer Machtsphäre anzustreben nicht
aufhörte, auch wenn er gleichzeitig uns Deutschen große Opfer für die
Interessen der verbündeten Gemeinschaft zumutete. Graf Czernin
unterschätzte, wie alle österreichisch-ungarischen Staatsmänner dieser
Zeit, die Leistungsfähigkeit seines Vaterlandes. Sonst hätte er nicht im
Frühjahr 1917 kurz nach seiner Amtsübernahme von der Unmöglichkeit
weiteren Durchhaltens sprechen dürfen, obwohl die
österreichisch-ungarische Kraft noch länger ausreichte und auch bei der
Geschäftsniederlegung des Grafen noch keineswegs bei dem Erschöpfungstod
angelangt war. Es lag in den Gedankenverbindungen des Grafen Czernin
eine Art von Sichselbstaufgeben. Ob er dabei nicht imstande war, den
Friedensbestrebungen seines Kaisers Widerstand zu leisten, oder ob er
diese vielleicht in innerster Überzeugung unterstützte, vermochte ich
während seiner Amtsführung nicht klar zu durchschauen. Jedenfalls
verkannte der Graf die Gefahren, die in einer übertriebenen und ganz
besonders zu oft wiederholten Betonung der Friedensbereitschaft solchen
Feinden wie den unserigen gegenüber enthalten
Ich war der Meinung, daß es Graf Czernin an der bundesbrüderlichen Gesinnung uns gegenüber nicht fehlen lassen wollte, selbst als er uns bei den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk und Bukarest vor mancherlei Überraschungen stellte. Er befürchtete damals wohl, daß die Donaumonarchie ein etwaiges Scheitern dieser Verhandlungen nicht überwinden könnte, und daß der Schrei nach Brot in Wien unbedingt eine baldige Vereinbarung mit der Ukraine forderte.
Unter der außenpolitischen Leitung Czernins fand die polnische Frage zwischen uns und Österreich-Ungarn keinen Abschluß. Eine Preisgabe ganz Polens an die Doppelmonarchie war und blieb aus den schon früher berührten Gründen für uns unannehmbar.
Der Nachfolger des Grafen Czernin, Graf Burian, war mir aus seiner Tätigkeit als Außenminister der vorczerninschen Zeit schon in Pleß bekannt geworden. Bei der Umständlichkeit Burians, die bei allen wichtigeren Fragen zutage trat, konnte ich eine Erledigung des polnischen Problems in absehbarer Zeit nicht erhoffen. Ich muß auch offen eingestehen, daß meine Gedanken in der nunmehr folgenden Zeit von entscheidenderen Dingen in Anspruch genommen wurden als von so langwierigen, unfruchtbaren Verhandlungen.
Bei seiner Wiederberufung als Außenminister hatte Graf Burian das
begreifliche Bestreben, möglichst bald einen Ausweg aus unserer
politischen Lage zu finden. Es war menschlich verständlich, daß er unter
dem Eindruck der sich im besten verschlimmernden Kriegslage mit größter
Hartnäckigkeit zum Frieden drängte. Nach meiner Anschauung sollte
indessen keiner der verbündeten Staaten aus dem Rahmen der politischen
Einheitsfront
Aus den angeführten Gründen heraus fühlte ich mich nicht veranlaßt, den österreichisch-ungarischen Versuch, Mitte September mit der Entente einseitig einen friedlichen Vergleich anzuregen, für glücklich zu halten. Die Gegner verhielten sich diesem Schritte gegenüber in der Tat auch völlig ablehnend. Sie übersahen unsere damalige Lage schon zu klar, als daß sie sich auf Anbahnung eines Verhandlungsfriedens einlassen wollten. Die Frage weiterer Menschenopfer spielte für sie keine Rolle. Die Befürchtung, daß wir Deutschen uns rasch wieder erholen könnten, wenn uns auch nur ein Augenblick der Ruhe gelassen würde, beherrschte völlig den feindlichen Gedankenkreis. So gewaltig war der Eindruck, den unsere Leistungen auf unsere Gegner gemacht hatten und vielleicht jetzt noch machten. Für uns ein stolzes Gefühl mitten in alledem, was um uns zurzeit vorging und noch vorgehen sollte!
Wäre in dem Buch des großen Krieges das Kapitel über das Heldentum des deutschen Heeres nicht schon längst geschrieben gewesen, so würde es in dem letzten furchtbaren Ringen mit dem Blute unserer Söhne in ewig unauslöschlicher Schrift geschehen sein. Welch ungeheure Anforderungen wurden in diesen Wochen an die Körper- und Seelenkräfte von Offizieren und Mannschaften aller Stäbe und Truppenteile gestellt! Die Truppen mußten auch jetzt wieder von einem Kampf in den anderen geworfen, von einem Schlachtfeld auf das andere geführt werden. Kaum, daß die sogenannten Ruhetage ausreichten, die zerschossenen oder zersprengten Verbände neu zu ordnen, ihnen Ersatz zuzuführen, die Bestände aufgelöster Divisionen in die Truppenteile anderer einzuordnen. Offiziere wie Mannschaften begannen wohl zu ermatten, aber sie rissen sich immer wieder empor, wenn es galt, den feindlichen Anstürmen Halt zu gebieten. Offiziere aller Dienstgrade bis zu den höheren Stäben hinauf wurden Mitkämpfer in den vordersten Linien, teilweise mit dem Gewehr in der Hand. Zu befehlen gab es ja vielfach nichts anderes mehr als: „Aushalten bis zum Äußersten.“
Ja: „Aushalten!“ Welch eine Entsagung nach so vielen ruhmreichen Tagen
glänzender Erfolge. Für mich kann der Anblick solch todesmutigen
Kämpfens nicht beeinträchtigt werden durch einzelne
Für zusammenhängende Linien fehlte es an Kräften. In Gruppen und Grüppchen leistet man Widerstand. Erfolgreich ist solcher nur, weil auch der Gegner sichtbar ermattet. Wo seine Panzerwagen nicht Bahn brechen, wo seine Artillerie nicht alles deutsche Kampfleben ertötet hat, da schreitet er nur selten noch zu großen Gefechtshandlungen. Er stürmt nicht auf unsern Widerstand los, er schleicht sich allmählich ein in unsere lückenreichen, zerschmetterten Kampflinien. An dieser Tatsache hatte sich meine Hoffnung immer wieder aufgerichtet, die Hoffnung, aushalten zu können bis zur Erlahmung des Gegners.
Wir haben keine neue Kraft mehr einzusetzen wie der Feind. Statt eines frischen Amerikas haben wir nur ermattete Bundesgenossen, und auch diese stehen hart vor dem Zusammenbruch.
Wie lange wird unsere Front diese ungeheure Belastung noch zu tragen vermögend? Ich stehe vor der Frage, vor der schwersten aller Fragen: „Wann müssen wir zu einem Ende kommen?“ Wendet man sich in solchen Fällen an die große Lehrmeisterin der Menschheit, an die Geschichte, so ermahnt sie nicht zur Vorsicht, sondern zur Kühnheit. Richte ich meine Blicke auf die Gestalt unseres größten Königs, so erhalte ich die Antwort: „Durchhalten!“
Gewiß, die Zeiten sind anders geworden, als sie es fast 160 Jahre früher waren. Nicht ein geworbenes Heer, sondern das ganze Volk führt den Krieg, ist in ihn hineingerissen, blutet und leidet. Aber die Menschheit ist im Grunde genommen die gleiche geblieben mit ihren Stärken und Schwächen. Und wehe dem, der vorzeitig schwach wird. Alles vermag ich zu verantworten, dieses niemals!
So tobt mit dem Kampf auf dem Schlachtfeld gleichzeitig ein anderer
Kampf. Sein Schauplatz liegt in unserem Innern. Auch
Aber immer dunkler wird es um uns! Mag auch der deutsche Mut an der Westfront dem Gegner noch immer den entscheidenden Durchbruch wehren, mögen Frankreich und England sichtlich ermatten, mag Amerikas erdrückende Überlegenheit an einem Tage tausendfach ergebnislos bluten, so nehmen doch unsere Kräfte sichtlich ab. Sie werden um so früher versagen, je bedrückender die Nachrichten aus dem fernen Osten auf sie wirken. Wer schließt die Lücke, wenn Bulgarien endgültig zusammenbricht? Manches können wir wohl noch leisten, aber wir vermögen nicht eine neue Front aufzubauen. Eine neue Armee ist freilich in Serbien in Bildung begriffen, aber wie schwach sind diese Truppen! Unser Alpenkorps hat kaum noch gefechtsfähige Verbände; eine der anrollenden österreichisch-ungarischen Divisionen wird für völlig unbrauchbar erklärt; sie besteht aus Tschechen, die voraussichtlich den Kampf verweigern. Liegt auch der Schauplatz in Syrien weit ab von der Entscheidung des Krieges, so zermürbt die dortige Niederlage doch zweifellos den treuen türkischen Genossen, der nun auch in Europa wieder bedroht wird. Wie wird Rumänien sich verhalten, was werden die großen Trümmer Rußlands tun? Alles dies drängt auf mich ein und erzwingt den Entschluß, nun doch ein Ende zu suchen, das heißt ein Ende in Ehren. Niemand wird sagen: „Zu früh.“
In solchen Gedanken und mit dem gereiften Entschluß trifft mich mein Erster Generalquartiermeister am späten Nachmittag des 28. September. Ich sehe ihm an, was ihn zu mir führt. Wie so oft seit dem 23. August 1914 fanden sich unsere Gedanken auch heute, bevor sie zu Worten geworden sind. Unser schwerster Entschluß wird auf gleicher Überzeugung gefaßt.
In den Vormittagsstunden des 29. September erfolgt unsere Beratung mit dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes. Die Lage nach außen wird von ihm mit wenig Worten gekennzeichnet: Bis jetzt alle Versuche eines friedlichen Ausgleichs mit den Gegnern gescheitert und keine Aussicht, durch Verhandlungen unter Vermittlung neutraler Mächte irgend eine Annäherung an die feindlichen Staatslenker zu erreichen. Der Staatssekretär bespricht dann die innere Lage der Heimat: die Revolution stehe vor der Türe, man habe die Wahl, ihr mit Diktatur oder Nachgiebigkeit entgegenzutreten; parlamentarische Regierung sei das beste Abwehrmittel.
Wirklich das beste? Wir wissen, welch gewaltige Belastungen wir der Heimat gerade jetzt durch unseren Schritt zum Waffenstillstand und Frieden auferlegen müssen, ein Schritt, der dort begreiflicherweise schwere Sorgen über die Lage an der Front und über unsere Zukunft auslösen wird. In diesem Augenblick, wo so viele Hoffnung zu Grabe getragen, wo bitterste Enttäuschung sich mit tiefster Erbitterung mengen wird, wo jeder nach einem festen Halt im Staatswesen blickt, sollen die politischen Leidenschaften in höhere Wallung versetzt werden? In welcher Richtung werden sie ausschlagen? Sicherlich nicht in der Richtung der Erhaltung sondern in derjenigen der weiteren Zerstörung. Die das Unkraut in unsere Saat gesäet haben, werden die Zeit der Ernte für gekommen erachten. Wir beginnen, zu gleiten.
Glaubt man durch Nachgiebigkeiten im eigenen Heim einen Gegner milder stimmen zu können, der sich durch das Schwert nicht zwingen ließ? Fragt diejenigen unserer Soldaten, die im Vertrauen auf die feindlichen Verlockungen leider freiwillig die Waffen aus der Hand legten! Die feindliche Maske fiel gleichzeitig mit der deutschen Waffe. Die verblendeten Deutschen wurden nicht um ein Haar menschenwürdiger behandelt als ihre sich bis zur letzten Kraft wehrenden Kameraden. Dies Bild im Kleinen wird sich im Großen, ja im Größten wiederholen.
Wir müssen auch befürchten, daß die Bildung einer neuen Regierung den Schritt, den wir so lange als möglich hinausschoben, noch weiter verzögern wird. Zu bald haben wir ihn wahrlich nicht getan. Soll er durch die staatliche Neuordnung verspätet werden?
Das sind meine Sorgen; sie gleichen denjenigen des Generals Ludendorff.
Auf Grund unserer Beratung unterbreiten wir Seiner Majestät dem Kaiser unseren Vorschlag zum Friedensschritt. Mir obliegt es, dem Allerhöchsten Kriegsherrn zur Begründung des politischen Aktes die militärische Lage zu schildern, deren jetziger Ernst dem Kaiser nicht unbekannt ist. Seine Majestät billigt, was wir vortragen, mit festem, starkem Herzen.
Wie immer bisher, so vermischen sich auch jetzt unsere Sorgen um das Heer mit denen um die Heimat. Kann das Eine nicht standhalten, so bricht auch das Andere zusammen. In dem gegenwärtigen Augenblick, mehr wie in jedem anderen vorher, muß sich dies beweisen.
Mein Allerhöchster Kriegsherr kehrt in die Heimat zurück, wohin ich ihm
am 1. Oktober folge. Ich möchte dem Kaiser nahe sein, wenn er in diesen
Tagen meiner bedürfen sollte. Politische Einwirkungen ausüben zu wollen,
lag mir fern. Zu Aufschlüssen für die sich neubildende Regierung war ich
bereit und beantwortete ihre Anfragen, soweit dies nach meiner
Überzeugung möglich war. Ich hoffte, Pessimismus zu bekämpfen und
Vertrauen wieder aufzurichten. Die innern Erschütterungen erwiesen sich
aber bereits als zu schwere, um diesen Zweck noch erreichen zu können.
Ich selbst hatte auch damals noch die feste Zuversicht, daß wir dem
Gegner trotz des Abnehmens unserer Kräfte das Betreten unseres
vaterländischen Bodens monatelang verwehren konnten. Gelang dies, so war
auch die politische Lage nicht hoffnungslos. Stillschweigende
Voraussetzung war freilich hierbei, daß unsere Landesgrenzen nicht etwa
von Osten
In der Nacht vom 4. auf den 5. Oktober erging unser Angebot an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Die von ihm im Januar dieses Jahres aufgestellten Grundlinien für einen „gerechten Frieden“ waren von uns angenommen worden.
Uns selbst blieb zunächst nur die Fortsetzung des Kampfes. Das Nachlassen der Spannkraft der Truppe, das Schwinden der Kämpferzahlen, die wiederholten Einbrüche des Gegners zwangen uns an der Westfront zu weiterem allmählichen Ausweichen in kürzere Linien. Was ich der Reichsleitung am 3. Oktober erklärt hatte, wurde ausgeführt: Wir klammerten uns so viel wie möglich an den feindlichen Boden. Die Bewegungen und Schlachten behielten den gleichen Charakter, wie seit Mitte August. Der Abnahme unserer Kampfkraft entsprach auch weiterhin eine gleiche Abnahme gegnerischer Angriffslust. Irrten sich die Feinde in dem Glauben, daß wir ganz zusammenbrechen, so irrten wir uns andererseits in der Hoffnung, daß die Gegner völlig erlahmen würden. So war der endgültige Ausgang des Kampfes nicht mehr zu ändern, wenn es uns nicht gelang, ein Aufgebot letzter heimatlicher Kraft zustande zu bringen. Eine Massenerhebung des Volkes würde den Eindruck auf den Gegner und unser eigenes Heer nicht verfehlt haben. War aber eine solche brauchbare Lebensstärke und opferwillige Masse noch vorhanden? Jedenfalls war unser Versuch, eine solche in die Front zu bringen, vergeblich.
Die Heimat erlahmte früher als das Heer. Unter diesen Umständen
vermochten wir dem immer härter werdenden Druck des Präsidenten der
Vereinigten Staaten von Nordamerika keinen eindrucksvollen Widerstand
entgegenzusetzen. Unsere Regierung gab nach in der Hoffnung auf Milde
und Gerechtigkeit. Der deutsche Soldat und der deutsche Staatsmann
gingen in verschiedenen Richtungen. Der eingetretene Riß wurde nicht
mehr beseitigt. Mein
„Euerer Großherzoglichen Hoheit darf ich nicht verhehlen, daß ich in den letzten Reichstagsreden einen warmen Aufruf zu Gunsten und für die Armee schmerzlich vermißt habe.
Ich habe von der neuen Regierung erhofft, daß sie alle Kräfte des gesamten Volkes in den Dienst der vaterländischen Verteidigung sammeln würde. Das ist nicht geschehen. Im Gegenteil, es ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nur von Versöhnung, nicht aber von Bekämpfung des dem Vaterlande drohenden Feindes gesprochen. Dies hat auf die Armee erst niederdrückend, dann erschütternd gewirkt. Ernste Anzeichen beweisen dies.
Zur Führung der nationalen Verteidigung braucht die Armee nicht nur Menschen sondern den Geist der Überzeugung für die Notwendigkeit, zu kämpfen, und den seelischen Schwung für diese hohe Aufgabe.
Euere Großherzogliche Hoheit werden mit mir überzeugt sein, daß, in Anerkennung der durchschlagenden Bedeutung der Moral des Volkes in Waffen, Regierung und Volksvertretung solchen Geist in Heer und Volk hineintragen und erhalten müssen.
An Euere Großherzogliche Hoheit als das Haupt der neuen Regierung richte ich den ernsten Ruf, dieser heiligen Aufgabe zu entsprechen.“
Es war zu spät. Die Politik forderte ihre Opfer; das erste wurde am 26. Oktober gebracht.
Am Abend dieses Tages fuhr ich von der Reichshauptstadt, wohin ich mich mit meinem Ersten Generalquartiermeister zum Vortrag bei unserem Allerhöchsten Kriegsherrn begeben hatte, nach dem Großen Hauptquartier zurück. Ich war allein. Seine Majestät hatte dem General Ludendorff den erbetenen Abschied bewilligt, meine gleiche Bitte abgeschlagen.
Am folgenden Tage betrat ich die bisher gemeinsamen Arbeitsräume wieder. Mir war zumute, wie wenn ich von der Beerdigung eines mir besonders teuren Toten in die verödete Wohnung zurückkehrte.
Bis zum heutigen Tage, ich schreibe dies im September 1919, habe ich meinen vieljährigen treuen Gehilfen und Berater nicht wieder gesehen. Ich habe ihn in meinen Gedanken viel tausendmal gesucht und in meinem dankerfüllten Herzen stets gefunden!
Mein Allerhöchster Kriegsherr verfügte auf meine Bitte die Ernennung des Generals Gröner zum Ersten Generalquartiermeister. Der General war mir aus seinen früheren Kriegsverwendungen wohlbekannt. Ich wußte, daß er eine vortreffliche organisatorische Begabung und eine gründliche Kenntnis der inneren Verhältnisse unseres Vaterlandes besaß. Die kommenden gemeinsamen Zeiten brachten mir den reichlichen Beweis dafür, daß ich mich in meinem neuen Mitarbeiter nicht getäuscht hatte.
Die Aufgaben, die des Generals harrten, waren ebenso schwierig als undankbar. Sie forderten eine rastlose Tätigkeit, eine volle Selbstentsagung und jeden Verzicht auf einen anderen Ruhm, als denjenigen hingebendster Pflichterfüllung, und auf jede andere Anerkennung, als diejenige seiner augenblicklichen Mitarbeiter. Wir alle kannten die Größe und die Schwierigkeiten des Werkes, das seiner harrte.
Unsere gesamte Lage begann sich immer weiter zu verschlechtern. Ich möchte sie nur in Streiflichtern beleuchten:
Im Orient brach der letzte Widerstand des osmanisch-asiatischen Reiches
zusammen. Mosul wie Aleppo fielen fast widerstandslos in die Hände der
Gegner. Die mesopotamische wie die syrische Armee hatten aufgehört, zu
bestehen. Georgien mußte von uns
Unsere deutsche Hilfe, die sonst noch in der Türkei stand, wurde in Richtung auf Konstantinopel zusammengezogen. Sie schied aus dem gemeinsam verteidigten Land, geachtet vom ritterlichen Osmanentum, dem wir in seinem Ringen auf Leben und Tod beigestanden hatten. Was sich dort jetzt gegen uns wandte, entsprang jenen Kreisen, die nunmehr ihren Weizen blühen sahen, und die sich durch Hassesäußerungen einen Vorschuß auf die Zuneigung der Neuankommenden zu erwerben suchten. Der eigentliche Osmane wußte, daß wir nicht nur zum jetzigen Kampfe, sondern auch zum späteren Neubau seines Staates hilfsbereit gewesen waren.
Enver und
Aus Bulgarien waren unsere letzten Truppen abgerückt. Auch ihnen folgte so manches dankbare Gefühl und ehrliches Gedenken, am lebhaftesten ausgesprochen in einem Briefe, den der ehemalige Führer des bulgarischen Heeres an mich in dieser Zeit richtete. Ich konnte mich des Eindruckes nicht erwehren, als ob aus den Zeilen das sprach, was ich so manchmal in den Äußerungen dieses ehrlichen Offiziers zu fühlen glaubte: „Wäre ich politisch frei gewesen, so hätte ich militärisch anders gehandelt.“ Die Einsicht kam wohl zu spät, bei ihm wie an anderen Stellen.
Österreich-Ungarn löste sich in seinem politischen Bestande wie in seiner Wehrkraft auf. Es gab nicht nur sich selbst, sondern auch unsere Landesgrenzen preis. In Ungarn erhob sich die Revolution im Hasse gegen die Deutschen. Konnte das überraschend wirken? Gehörte dieser Haß nicht zum Stolze des Magyaren? Im Kriege hatte man freilich im Ungarlande anders empfunden, wenn der Russe an die Grenze pochte. Ein wiederholtes gewaltiges Pochen! Mit welchem Jubel waren die deutschen Truppen auch begrüßt, mit welcher Hingebung verpflegt, selbst verwöhnt worden, als es sich darum handelte, Serbien niederzuschlagen. Welch eine Begeisterung empfing uns, als wir zur Wiedereroberung Siebenbürgens erschienen! Dankesbetätigung ist im menschlichen Dasein selten, im staatlichen Leben noch weit seltener.
Dagegen fanden wir in Rumänien mehrfach offenen Dank. Man sah dort ein, daß ohne Zertrümmerung Rußlands ein freies rumänisches Leben sich nicht hätte verwirklichen lassen.
Wenn jetzt in Deutschland einzelne Kreise auf den Haß ehemaliger Bundesgenossen gegen uns hinweisen und darin einen Beweis unserer verfehlten politischen und militärischen Haltung erblicken, so übersehen sie dabei wohl, daß Ausbrüche des Hasses aus Freundesmund auch im feindlichen Lager ertönten. Ballten sich doch Fäuste französischer Soldaten vor unseren Augen unter Schimpfworten gegen den englischen Bundesgenossen. Riefen doch französische Stimmen zu uns herüber: „Heute mit England gegen Euch, morgen mit Euch gegen England!“ Schrie doch ein französischer Soldat im März des Jahres 1918, hinweisend auf die Trümmer des Domes von St. Quentin, seinen englischen mit ihm gefangenen Waffengenossen zornesbebend zu: „Das waret Ihr!“
Ich hoffe, daß die Äußerungen des Mißverstehens zwischen uns und unsern
ehemaligen Verbündeten mehr und mehr verstummen werden, wenn die düstern
Nebel sich verziehen, die die Wahrheit verhüllen, und die unsern
bisherigen Kampfgenossen zur Zeit den
Der Zusammenbruch zeigt sich von Ende Oktober ab überall; nur an der Westfront wußten wir ihn immer noch zu verhindern. Schwächer wurde dort der feindliche Andrang, matter aber freilich auch unser Widerstand. Immer kleiner wurde die Zahl der deutschen Truppen, immer größer wurden die freien Lücken in den Verteidigungsstellungen. Nur wenige frische deutsche Divisionen, und Großes hätte geleistet werden können. Vergebliche Wünsche, eitle Hoffnungen! Wir sinken, denn die Heimat sinkt. Sie kann uns kein neues frisches Leben mehr geben, ihre Kraft ist verbraucht!
General Gröner begibt sich am 1. November zur Front. Das Zurücknehmen unserer Verteidigung in die Stellung Antwerpen-Maas ist unsere demnächstige Sorge. Der Entschluß ist einfach, die Ausführung schwer. Kostbarstes Kampfmaterial liegt noch feindwärts in dieser Linie, doch kostbarer als dessen Rettung ist für uns die Zurückführung von 80.000 Verwundeten in den vorwärts befindlichen Lazaretten. So wird die Durchführung des Entschlusses aus Dankesgefühlen, die wir unseren blutenden Kameraden schulden, verzögert. Dauernd kann freilich die jetzige Lage nicht mehr gehalten werden. Dazu sind unsere Kräfte nunmehr zu schwach und zu müde geworden. Dazu ist der Druck zu stark, der von den frischen amerikanischen Massen auf unsere empfindlichste Stelle im Maasgebiet ausgeübt wird. Der Kampf dieser Massen wird aber die Vereinigten Staaten für die Zukunft belehrt haben, daß das Kriegshandwerk nicht in wenigen Monaten zu erlernen ist, daß die Unkenntnis dieses Handwerkes im Ernstfalle Ströme von Blut kostet.
Mit der deutschen Kampflinie hält damals auch noch die Etappe, der
Lebensnerv, der zur Heimat führt. Düstere Bilder zeigen sich freilich
hier und da, aber in der Gesamtheit ist noch innerer Halt. Lange wird es
indessen nicht mehr dauern können. Die Spannung
Das sind meine Eindrücke in den ersten Tagen des November.
Die befürchtete Erschütterung kündigt sich an. In der Heimat regt es sich mit Gewalt. Der Umsturz beginnt. Noch am 5. November eilt General Gröner in die Reichshauptstadt, da er voraussieht, was kommen muß, wenn man jetzt in den letzten Stunden nicht zusammenhält. Er tritt für seinen Kaiser ein und schildert die Folgen, wenn man dem Heere sein Haupt nimmt. Umsonst! Der Umsturz ist schon in unaufhaltsamem Marsche, und nur durch Zufall entgeht der General auf der Rückreise ins Hauptquartier den Händen der Revolutionäre. Das ist am Abend des 6. November.
Ein Fieber beginnt nunmehr den ganzen Volkskörper zu schütteln. Ruhiges Überlegen schwindet. Man denkt nicht mehr an die Folgen für das Ganze, sondern nur noch an das Durchsetzen eigener Leidenschaften. Diese machen nicht mehr Halt vor den wahnwitzigsten Plänen. Denn gibt es einen wahnwitzigeren, als den, dem Heere das weitere Leben unmöglich zu machen? War je ein größeres Verbrechen menschlichem Denken und menschlichem Hasse entsprungen? Der Körper wird nach außen machtlos; zwar schlägt er noch um sich, aber er stirbt. Ist es überraschend, daß der Gegner mit solch einem Körper macht, was er will, daß er seine harten Bedingungen noch härter auslegt, als er sie geschrieben hat?
Alle Versprechungen, die die gegnerische Propaganda uns verkündet hatte, sind verstummt. Die Rache tritt in ihrer nackten Gestalt auf: „Wehe dem Besiegten!“ Ein Wort, das aber nicht nur dem Hasse sondern auch der Furcht entspringt.
So ist die Lage am 9. November. Das Drama schließt an diesem Tage nicht,
erhält aber eine neue Farbe. Der Umsturz siegt. Verweilen wir nicht bei
seinen Gründen. Er trifft zunächst vernichtend die Stütze des Heeres,
den deutschen Offizier. Er reißt ihm, wie ein Fremdländer sagt, den
verdienten Lorbeer vom Haupte und drückt
Das äußere Zeichen des Sieges der neuen Gewalt ist der Sturz der Throne. Auch das deutsche Kaisertum fällt.
Man verkündet im Vaterlande die Thronentsagung seines Kaisers und Königs, ehe der Entschluß dazu von diesem gefaßt ist. Auf dunklem Wege vollzieht sich so manches in diesen Tagen und Stunden, was dem Lichte der Geschichte hoffentlich dereinst nicht entgehen wird.
Der Gedanke wird erwogen, mit unseren Fronttruppen in der Heimat Ordnung zu schaffen. Jedoch zahlreiche Kommandeure, Männer, würdig des größten Vertrauens und fähig des tiefsten Einblickes, erklären, daß unsere Truppen zwar noch die Front nach dem Feinde behalten werden, daß sie aber die Front gegen die Heimat nicht nehmen würden.
Ich bin meinem Allerhöchsten Kriegsherrn in jenen Stunden zur Seite. Er überträgt mir die Aufgabe, das Heer in die Heimat zurückzuführen. Als ich am Nachmittag des 9. November meinen Kaiser verlasse, sollte ich ihn nicht mehr wiedersehen! Er war gegangen, um dem Vaterlande neue Opfer zu ersparen, um ihm günstigere Friedensbedingungen zu schaffen.
Mitten in dieser gewaltigsten kriegerischen und politischen Spannung verlor das deutsche Heer seinen innersten Halt. Für hunderttausende getreuer Offiziere und Soldaten wankte damit der Untergrund ihres Fühlens und Denkens. Schwerste innere Konflikte bahnten sich an. Ich glaubte, vielen der Besten die Lösung dieser Konflikte zu erleichtern, wenn ich voranschritte auf dem Wege, den mir der Wille meines Kaisers, meine Liebe zu Vaterland und Heer und mein Pflichtgefühl wiesen. Ich blieb auf meinem Posten.
Wir waren am Ende!
Wie Siegfried unter dem hinterlistigen Speerwurf des grimmen Hagen, so stürzte unsere ermattete Front; vergebens hatte sie versucht, aus dem versiegenden Quell der heimatlichen Kraft neues Leben zu trinken. Unsere Aufgabe war es nunmehr, das Dasein der übriggebliebenen Kräfte unseres Heeres für den spätern Aufbau des Vaterlandes zu retten. Die Gegenwart war verloren. So blieb nur die Hoffnung auf die Zukunft.
Heran an die Arbeit!
Ich verstehe den Gedanken an Weltflucht, der sich vieler Offiziere angesichts des Zusammenbruches alles dessen, was ihnen lieb und teuer war, bemächtigte. Die Sehnsucht, „nichts mehr wissen zu wollen“ von einer Welt, in der die aufgewühlten Leidenschaften den wahren Wertkern unseres Volkes bis zur Unkenntlichkeit entstellten, ist menschlich begreiflich und doch – ich muß es offen aussprechen, wie ich denke:
Kameraden der einst so großen, stolzen deutschen Armee! Könntet ihr vom
Verzagen sprechen? Denkt an die Männer, die uns vor mehr als hundert Jahren
ein innerlich neues Vaterland schufen. Ihre Religion war der Glaube an sich
selbst und an die Heiligkeit ihrer Sache. Sie schufen das neue Vaterland,
nicht es gründend auf eine uns wesensfremde Doktrinwut, sondern es aufbauend
auf den Grundlagen freier Entwicklung des einzelnen in
Ich habe die feste Zuversicht, daß auch diesmal, wie in jenen Zeiten, der Zusammenhang mit unserer großen reichen Vergangenheit gewahrt, und wo er vernichtet wurde, wieder hergestellt wird. Der alte deutsche Geist wird sich wieder durchsetzen, wenn auch erst nach den schwersten Läuterungen in dem Glutofen von Leiden und Leidenschaften. Unsere Gegner kannten die Kraft dieses Geistes; sie bewunderten und haßten ihn in der Werktätigkeit des Friedens, sie staunten ihn an und fürchteten ihn auf den Schlachtfeldern des großen Krieges. Sie suchten unsere Stärke mit dem leeren Worte „Organisation“ ihren Völkern begreiflich zu machen. Den Geist, der sich diese Hülle schuf, in ihr lebte und wirkte, den verschwiegen sie ihnen. Mit diesem Geiste und in ihm wollen wir aber aufs neue mutvoll wieder aufbauen.
Deutschland, das Aufnahme- und Ausstrahlungszentrum so vieler unerschöpflicher Werte menschlicher Zivilisation und Kultur, wird so lange nicht zu Grunde gehen, als es den Glauben behält an seine große weltgeschichtliche Sendung. Ich habe das sichere Vertrauen, daß es der Gedankentiefe und der Gedankenstärke der Besten unseres Vaterlandes gelingen wird, neue Ideen mit den kostbaren Schätzen der früheren Zeit zu verschmelzen und aus ihnen vereint dauernde Werte zu prägen, zum Heile unseres Vaterlandes.
Das ist die felsenfeste Überzeugung, mit der ich die blutige Wahlstatt des Völkerkampfes verließ. Ich habe das Heldenringen meines Vaterlandes gesehen und glaube nie und nimmermehr, daß es sein Todesringen gewesen ist.
Man hat mir die Frage gestellt, worauf ich in den schwersten Stunden des Krieges meine Hoffnung auf unseren Endsieg stützte. Ich konnte nur auf meinen Glauben an die Gerechtigkeit unserer Sache, auf mein Vertrauen zu Vaterland und Heer hinweisen.
Die ernsten Stunden dieses jahrelangen Kampfes und seiner Folgezeit bestand ich in Gedanken und Gefühlen, für die ich nirgends einen besseren Ausdruck finde, als in den Worten, die der nachmalige preußische Kriegsminister, Generalfeldmarschall Herrmann v. Boyen, im Jahre 1811, inmitten der größten politischen und militärischen Nöte unseres geknechteten Heimatlandes, an seinen König schrieb:
„Ich übersehe das Gefahrvolle unserer Lage keineswegs, aber da, wo nur zwischen Unterjochung oder Ehre zu wählen sein dürfte, da gibt mir die Religion Kraft, alles das zu tun, was das Recht und die Pflicht fordert.
Niemals kann der Mensch mit Gewißheit den Ausgang eines begonnenen Unternehmens vorhersehen, aber der, der nach höherer Überzeugung nur seinen Pflichten lebt, trägt einen Schild um sich, der in jeder Lage des Lebens, es komme auch, wie es wolle, ihm Beruhigung gibt und auch oft selbst zu einem glücklichen Ausgang führt.
Es ist dies nicht die Sprache aufgeregter Schwärmerei, sondern der Ausdruck eines religiösen Gefühles, das ich meinen Erziehern danke, die mich früh schon König und Vaterland als das Heiligste auf Erden lieben lehrten.“
Gegenwärtig hat eine Sturmflut wilder politischer Leidenschaften und
tönender Redensarten unsere ganze frühere staatliche Auffassung unter sich
vergraben, anscheinend alle heiligen Überlieferungen vernichtet. Aber diese
Flut wird sich wieder verlaufen. Dann wird aus dem ewig bewegten Meere
völkischen Lebens jener Felsen wieder auftauchen, an den sich einst die
Hoffnung unserer Väter geklammert hat, und auf dem vor fast einem halben
Jahrhundert durch unsere Kraft des Vaterlandes Zukunft vertrauensvoll
begründet wurde: Das deutsche Kaisertum! Ist so erst der nationale Gedanke,
das nationale Bewußtsein wieder erstanden, dann werden für uns aus dem
großen Kriege, auf den kein Volk mit berechtigterem
In dieser Zuversicht lege ich die Feder aus der Hand und baue fest auf Dich – Du deutsche Jugend!
Albrecht von Preußen, Prinz 28.
Alexander von Preußen, Prinz 49. 54.
Anton von Hohenzollern, Prinz 24. 25.
Arz, von, General 236. 309. 384.
August von Württemberg, Prinz 33.
Augusta Victoria, Deutsche Kaiserin 61.
Bartenwerffer, von, Oberst 52.
Bazaine, Marschall 30.
Below, von, General 87.
Bernhardi, von, General der Kavallerie 43. 49.
Bernstorff, Graf 214. 230. 232.
Bethmann Hollweg, von, Reichskanzler 131. 147. 211. 233. 284. 285.
Bismarck, Otto, Fürst 39. 45. 74. 200. 201. 215.
Blücher, General 27.
77. 110. 234. 328.
Blumenthal, von, General 21.
Bölcke, Hauptmann 175.
Boris, Kronprinz von Bulgarien 162. 374.
Bothmer, Graf, General 143.
Boyen, Herrmann von 405.
Bronsart, von, General 57.
Bülow, von, Generalfeldmarschall 49. 62.
Burian, Baron, Minister 210. 388.
Canrobert, Marschall 33.
Clémenceau, Ministerpräsident 293.
Conrad von Hötzendorf, Generaloberst 123. 163. 180. 224. 225. 236. 261.
Czernin, Graf, Minister 309. 386. 387. 388.
Duncker, Geheimrat, Historiker 49.
Eichhorn, Generalfeldmarschall 49. 123.
Elisabeth, Königin 13.
Enver Pascha, Generalissimus 154. 159. 164. 165. 180. 188. 190. 207. 208. 270. 272. 275. 310. 398.
Escherich, Forstmeister 133.
Ewert, Generaladjutant 139.
Falkenhayn, von, General 148. 183. 184. 185. 203. 273. 276.
Ferdinand, Zar von Bulgarien 162. 206. 275. 374. 389.
Fichte, Philosoph 176.
Foch, General 340.
341. 347. 351. 364.
François, von, General 86. 88. 90.
Franz Joseph I., Kaiser von Österreich 163.
Freytag-Loringhoven, von, General 57.
Friedrich II., Erbgroßherzog von Baden 60.
Friedrich August II., Großherzog von
Oldenburg 59.
Friedrich Karl, Prinz 20. 54. 55.
Friedrich Wilhelm I., König von Preußen 281.
Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 13.
Friedrich III., Deutscher Kaiser 13. 21. 56.
Gallwitz, von, General 128.
Gneisenau, General 27. 77.
Goltz, von der, General 99.
Groeben, von der 5.
Gröner, General 397.
400. 401.
Hakki, Ismail, Generalintendant 279.
Hann von Weyherrn, General 51.
Helldorff, von, Major 31.
–, von, Leutnant (Sohn des Majors) 31.
Hertling, Graf, Reichskanzler 286. 306. 363.
Hintze, Staatssekretär 393.
Jekoff, General 165.
177. 180. 182. 189. 206. 309. 398.
Joseph II., Deutscher Kaiser 26.
Kämmerer, Major 172.
Kerenski, Minister 249. 250. 251. 254.
Keßler, Oberst 49.
Kobelt, Lehrer 7.
König, Kapitän 175.
Krupp, Großindustrieller 327.
Lansdowne, Lord 290.
Lauenstein, von, General 57.
Lenin, Minister 305.
Leopold von Bayern, Prinz 61.
Linsingen, von, Hauptmann 172. 173.
Ludendorff, General 75. 76. 77. 78. 102. 112. 122. 128. 131. 133. 147. 169. 170. 171. 197. 215. 242. 347. 392. 394. 396. 397.
Ludwig III., König von Bayern 286.
Luitpold, Prinzregent von Bayern 62.
Lüttwitz, von, General 57.
Mac Mahon, Marschall 37.
Mackensen, Feldmarschall 87. 90. 109. 110. 112. 180. 182. 183. 185. 256.
Massenbach, von, Rittergutsbesitzer 8.
Michaelis, Dr.,
Reichskanzler 285.
Miroslawski, polnischer Führer 7.
Moltke, Graf, Feldmarschall 39. 49. 54. 55. 56. 74. 200.
–, von, Generaloberst, Generalstabschef 75. 76.
Nikolaij-Nikolaijewitsch, Großfürst 107.
Nikolaus II., Zar von Rußland 246.
Nivelle, Feldmarschall 241. 242.
Pape, von, Generalleutnant 35.
Petersdorff, von, Oberst 51.
Pleß, von, Fürst 235.
Radoslawow, Ministerpräsident 167. 205. 282. 367.
Rappard, von, Frau 8.
Rennenkampf, General 76. 80. 81. 82. 83. 85. 86. 87. 88. 90. 91. 93. 94. 95. 97. 98. 100. 101.
Richter, Professor, Historiker 49.
Richthofen, von, Rittmeister 175.
Roon, von, Generalfeldmarschall 56.
Samsonoff, General 76. 80. 81. 82. 85. 87. 88. 89. 90. 92. 94.
Sarrail, General 149. 177. 178. 182. 187.
Schakir Bey, Generalstabsoffizier 57.
Schlieffen, Graf von, General 53.
Schwerin, Graf, Feldmarschall 26.
Schwickart, Generalarzt 5.
Seegenberg, von, Major 29.
Sievers, General 124.
Sixtus von Parma, Prinz 386.
Skobeleff, General 51.
Sperling, von, General 51.
Stein, von, General 57.
Steinmetz, von, General 20.
Sven Hedin, Forschungsreisender 131.
Talaat Pascha, Großwesir 166. 167. 208. 389. 398.
Tewfyk Effendi, Generalstabsoffizier 57.
Tirpitz, von, Großadmiral 131. 132.
Tisza, Graf, Minister 173.
Trotzki, Minister 305. 306. 338.
Verdy du Vernois, von, General und
Kriegsminister 52. 58.
Villaume, Hauptmann 49.
Vogel von Falckenstein, General 54. 60.
Waldersee, Graf, Major 24.
Wartensleben, Graf, General 62.
Wilhelm I., Deutscher Kaiser 7. 13. 215.
Wilhelm II., Deutscher Kaiser 54. 57. 90. 112. 124. 144. 147. 161. 170. 187. 194. 197. 211. 236. 237. 259. 273. 306. 312. 314. 315. 333. 394. 396. 397. 402.
Wilhelm, Deutscher Kronprinz 196.
Wilson, Präsident der Vereinigten Staaten
132. 211. 212. 213. 214. 231. 232. 395.
Winterfeldt, von, General 54. 55.
Wittich, von, Oberstleutnant 11. 12. 49.
Woyrsch, von, Feldmarschall 24. 113.
York, General 9.
Zeppelin, Graf 175.
Zingler, von, Oberstleutnant 51.
H. H. Ullstein; Einband von H. Fikentscher, Julius
Hager, Hübel &
Denck, Leipziger Buchbinderei
A.-G. vorm. G. Fritzsche und Spamersche
Buchbinderei, sämtliche in Leipzig.
Druckaufsicht und Einbandentwurf
von Walter Tiemann
Verlag von S. Hirzel in Leipzig
Heinrich von Treitschke:
Deutsche Geschichte im neunzehnten
Jahrhundert
Fünf Bände
10. Auflage Gebunden 190 Mark
Briefe
Herausgegeben von
Max Cornicelius
Drei Bände
2. Auflage Gebunden 112,80 Mark
Politik
Vorlesungen, gehalten an der Universität Berlin
Herausgegeben von
Max Cornicelius
Zwei Bände
4. Auflage Gebunden 47 Mark
Historische und Politische Aufsätze
Vier Bände
8. Auflage Gebunden 81,60 Mark
Im Sommer 1920 liegt vollständig vor:
Eine
Weltreise 1911/1912
und
Der Zusammenbruch Deutschlands
Eindrücke und Betrachtungen aus den Jahren 1911–1914
mit einem Nachwort aus dem
Jahre 1919
von
Friedrich von Bernhardi
General der Kavallerie z. D.
*
Drei Bände
Im Sommer 1920 erscheint:
Freiherr vom
Stein
von
Professor Dr. Max Lehmann
Geheimer Regierungsrat
*
Volksausgabe in einem Bande
Die Originalausgabe ist in Fraktur gesetzt. In Antiqua gesetzt sind in ihr römische Zahlen (in der elektronischen Fassung ohne Hervorhebung wiedergegeben, ebenso die Abkürzung „km“) und einzelne Wörter aus fremden Sprachen (hier durch Unterstrich [_] gekennzeichnet). Gesperrt gesetzt sind die zweite Hierarchieebene im Inhaltsverzeichnis (hier ohne Hervorhebung wiedergegeben) und die Namen im Personenverzeichnis (hier durch Unterstrich gekennzeichnet).
Die Originalausgabe ist in Fraktur gesetzt. In Antiqua gesetzt sind in ihr römische Zahlen (in der elektronischen Fassung ohne Hervorhebung wiedergegeben, ebenso die Abkürzung „km“) und einzelne Wörter aus fremden Sprachen (hier kursiv wiedergegeben). Gesperrt gesetzte Passagen sind im Inhaltsverzeichnis in dieser Form übernommen; im Personenverzeichnis sind sie kursiv wiedergegeben.
Fünf- und sechsstellige Zahlen sind im Original durch schmales Spatium untergliedert, das hier durch einen Punkt ersetzt ist.
In der Originalausgabe sind längere Zitate in den meisten Fällen mit Anführungszeichen am Beginn jeder Zeile versehen. In der elektronischen Fassung sind sie stattdessen durch Einrückung gekennzeichnet.
Korrektur von offensichtlichen Druckfehlern:
Nicht vereinheitlicht wurden Variationen in der Schreibweise wie „San-Mündung“ und „Sanmündung“, „Doiran-See“ und „Doiransee“, „Padischa“ und „Padischah“, „Gefangenschaft“ und „Gefangenenschaft“, „Entwicklung“ und „Entwickelung“. Die deutsche Form „infanterie“ in einem englischen Zitat (S. 334) wurde nicht korrigiert, ebensowenig die alphabetische Einordnung von Sven Hedin im Personenverzeichnis unter „S“.