Einleitung.
Niemals hat eine politische Schrift so gewaltiges Aufsehen
erregt, und so viel gewirkt, als Macchiavelli’s
hochberühmtes Buch vom Fürsten. Der Name des Verfassers
ist durch die sogar in Staatsschriften als Kunstausdruck
übliche Benennung des Macchiavellismus auch der
großen Menge bekannt geworden, die das Buch selbst nicht
gelesen hat. Aber unter den Großen und ihren Ministern
haben sich Viele danach gebildet. Hier glaubten sie das,
was sie in einzelnen schlimmen Augenblicken gethan, oder
noch zu thun Lust hatten, durch zusammenhängende Grundsätze
gerechtfertigt zu finden. Die es so benutzten, mögen
oft ungehalten darüber geworden sein, daß Alles, was sie
sich, aber auch nur sich selbst, und als Ausnahme von der
Regel erlauben wollten, in allgemeinen Maximen öffentlich
aufgestellt, und dadurch Verdacht gegen ihre Absichten erregt
ward. Daher ist es am lautesten von denen angeklagt,
die am meisten daraus gelernt hatten. Andere Leser sind
durch den Widerspruch, in welchem dieser Inbegriff fürstlicher
Weisheit mit der gewöhnlichen Moral steht, zu dem
Zweifel veranlaßt worden, ob das Buch wol im Ernste
geschrieben sei? Da sie die Bewunderung, welche der durchdringende
Beobachtungsgeist und das treffende Urtheil des
Verfassers Jedem abnöthigt, der politische Verhältnisse zu
beurtheilen vermag, mit ihrem Widerwillen gegen die freche
Immoralität, zu welcher seine Grundsätze führen, nicht zu
vereinigen wußten, so haben sie geglaubt, Macchiavelli möge
wol das vollständige Gemälde der Tyrannei und der Mittel
zu ihr zu gelangen, in der Absicht entworfen haben, um
den Tyrannen in der verabscheuungswürdigsten Gestalt darzustellen.
Mehrere italienische Schriftsteller haben diese Auslegung
sehr früh gemacht, um dem Geschrei zu begegnen, das sich
bald nach der öffentlichen Bekanntmachung des Werkes erhob.
Die Vermuthung erhält einigen Anschein durch den
Widerspruch, in welchem die Gesinnungen, welche in diesem
Buche herrschen, mit andern Schriften des Verfassers
zu stehen scheinen, und der um so auffallender ist, da das
Buch vom Fürsten und die Betrachtungen über den Livius
offenbar nicht in ganz verschiedenen Perioden seines Lebens
geschrieben sind. Er bezieht sich in jeder derselben auf die
andere, und hat sie also, wenigstens späterhin, zugleich wieder
überarbeitet. Aber man kann dieser Erklärung durchaus
keinen Beifall geben, sobald man das Buch selbst unbefangen
liest. Es ist mit solchem Ernste geschrieben, mit
solchem Nachdruck, und was noch mehr ist, es enthält auf
jeder Seite so viel Wahrheit, daß man das Ganze unmöglich
für Ironie halten kann. So treffende Lehren können
nicht aus republikanischem Hasse gegen die Tyrannei gegeben
sein, damit der Tyrann ins Verderben renne: diesen
Zweck hätten sie sicherlich verfehlt! Wer den Verfasser aus
der Geschichte kennen gelernt hat, wird auch nicht durch die
Erklärung befriedigt, daß er hier die Naturgeschichte der
Tyrannei gezeichnet habe, so wie er die Theorie der Republik
in den Discursen über den Livius abhandelt. Macchiavelli
war kein gleichgültiger Zuschauer und bloßer Beobachter
der politischen Welt. In allen seinen Schriften
herrscht ein praktischer Geist. Seine Discurse beweisen das
lebhafteste Interesse an der Erhaltung und der Größe einer
Republik. Sie sind ganz im Tone eines Mannes geschrieben,
der selbst dazu mitwirken möchte, sie zu errichten oder
zu befestigen. Eben so kräftige Rathschläge für den, der
sich auf der errungenen Stelle eines Regenten erhalten will,
eben so nachdrückliche Empfehlungen der wirksamsten Mittel,
eben so lebhafte Verachtung des Zweckwidrigen, findet
man in dem Buche vom Fürsten.
Die Auflösung dieses räthselhaften Widerspruchs ist in
dem Zustande Italiens und in der Lebensgeschichte des
Verfassers zu suchen.Man vergleiche zu dem Folgenden Macaulay’s geistvolle Abhandlung
„Macchiavelli“ in Möllenhoffs gewandter Uebersetzung (Univ.-Bibl.
Nr. 1183). Man versteht ja überhaupt keinen
ausgezeichneten Schriftsteller vollkommen, wenn man nicht
eine lebendige Kenntniß von seiner Nation und seinem Zeitalter,
und ein feineres Gefühl für ihre Art zu empfinden,
aus den einheimischen Geschichtschreibern erlangt hat, welche
selbst die Gesinnungen ihrer Nation theilen, und nicht blos
die Handlungen der Menschen, sondern ihre Quelle, die
eigenthümliche Gemüthsart, darstellen. Aus solchen erhält
man eine ganz andere Einsicht in den Zusammenhang der
Begebenheiten, als aus der genauesten und sorgfältigsten
Erzählung eines Fremden.
Die italienische Nation zeichnet sich durch eine ungemeine
Lebhaftigkeit aller Empfindungen und Leidenschaften aus, die
ihren Gegenstand mit dem Feuer unauslöschlicher Begierde
ergreift, und nie abläßt. So wie man von den Franzosen
nicht ohne Grund sagt, daß sie aus allem Ernste Scherz
machen, und dadurch so oft selbst ein Spiel ihrer eignen
witzigen Laune werden, so machen die Italiener aus allem
Scherze Ernst. In allen Handlungen der Franzosen erscheint
ein feines und unaufhörlich reges Ehrgefühl als die
herrschende Triebfeder. Dieses zeigt sich in den schlechtesten,
wie in den vorzüglichsten Individuen der Nation, auf
verschiedene Art, aber immer gleich stark. Alle französischen
Raisonnements über sittliche Gegenstände erhalten dadurch
eine ganz eigne Farbe, und in der Geschichte des Volks
spielt es die Hauptrolle. Aus der Verbindung dieses äußerst
reizbaren Ehrgefühls, und der feinen Beobachtung aller
Convenienzen des Augenblicks, worin die Franzosen allen
Andern so sehr überlegen sind, mit ihrer launigen Gemüthsstimmung,
entspringt eine Versatilität, von der man
in der Geschichte der Italiener keine Spur findet. Diesen
kommt es immer auf die Sache an, die sie wollen. Die
bürgerlichen Unruhen, die ganz Italien so viele Jahrhunderte
lang zerrissen haben, wären durch bloße Begebenheiten
und Zufälle nicht so lange unterhalten. Ihr Charakter
ist wesentlich verschieden von dem Factionsgeiste in der
französischen Geschichte. Mit der Tenacität der Italiener
ist eine tiefe Verschmitztheit nahe verwandt, die mit der
Falschheit eines versatilen Menschen, der sein Vergnügen
daran findet, mit andern zu spielen, und schon dadurch
befriedigt wird, wenn er sie äfft, durchaus keine Aehnlichkeit
hat. Es ist bekannt, daß nichts in der Welt mit der Politik
des römischen Hofes verglichen werden kann, und daß
die geistliche Intrigue, als ein zusammenhängendes System
die Zwecke der Herrschsucht zu erreichen, für das vollkommenste
Erzeugniß des menschlichen Geistes in seiner Art
angesehen werden muß. Dies Meisterstück eines feinen und
dauerhaften Gewebes konnte nur in Italien zu Stande gebracht
werden, und hat wieder einen großen Einfluß auf
die Denkungsart der italienischen Staatsmänner gehabt,
die ihre Aufmerksamkeit unaufhörlich auf den päpstlichen
Stuhl richten mußten, welcher durch seine Bemühungen,
die christliche Kirche zu beherrschen, zugleich mit in alle weltlichen
Händel von Italien verwickelt ward.
In diesem ganzen Lande ist von Alters her ein republikanischer
Geist verbreitet gewesen, und hat viele Jahrhunderte
lang einen unaufhörlichen Kampf mit der Herrschsucht
einzelner Häupter geführt, die in den innern Bewegungen
übel geordneter Gemeinden die Mittel fanden, sich zu erheben.
Unter der großen Zahl italienischer Republiken war
allein Venedig schon früh zu einer festen Verfassung und
innern Ruhe gelangt. In allen übrigen verfolgten und
vertrieben einander Parteien: eben so wie vormals in den
griechischen Freistaaten einzelne Geschlechter mit ihrem Anhange,
und Factionen, von Optimaten, von Bürgern, und
von kleinem Volke, Alles unter einander kämpfte, und sich
wechselweise austrieb. Solchem innern Zwiste war ganz
vorzüglich das Vaterland des Macchiavelli unterworfen;
eine der stürmischsten Republiken, die jemals existirt haben.
Die Geschichte der letzten hundert Jahre, wo Florenz
als Freistaat bestand, von 1432 an, da Cosmus der Große
von Medici zurückberufen ward und die Leitung aller öffentlichen
Angelegenheiten ergriff, bis zu der endlichen Ernennung
eines seiner Seitenverwandten, Cosmus des Ersten,
zum Herzog, im Jahre 1536, gehört zu den interessantesten
Partien der ganzen Weltgeschichte. Vorzüglich ist
die letzte Hälfte dieses Zeitraums äußerst lehrreich, wegen
der mannichfaltigen Abwechselungen der Verfassung, die
beinahe zu allen Lehrsätzen der Politik Beispiele wirklicher Erfahrung
bieten.Wir besitzen darüber hinreichend befriedigende Quellen. Macchiavelli’s
florentinische Geschichte schließt zwar schon mit
1492, aber seine übrigen Werke enthalten auch einzelne Züge zur Beurtheilung
der folgenden Begebenheiten. Neben Guicciardini’s
italienischer Geschichte haben wir eine Menge florentinischer Geschichtsbücher.
Außer dem fleißigen Benedetto Varchi, der eine vollständige
und ausführliche Erzählung aller Begebenheiten, an denen er
Anfangs selbst Antheil genommen, aus den besten Quellen, welche ihm
von allen Seiten eröffnet wurden, zusammengetragen hat, und der Geschichte
des ehrlichen Nardi, die vorzüglich wegen der Nachrichten von
dem schwärmerischen Demagogen Savonarola merkwürdig ist, sind noch
ein paar Werke vorhanden, in deren Verfassern man den Geist wahrer
Staatsmänner nicht verkennen kann. Bernardo Segni, ein Schwestersohn
des Niccolo Capponi, welcher während der Jahre 1527 und
1528, bei dem letzten Versuche, die Republik herzustellen, Haupt des
Staats und Anführer derer war, die eine auf Gerechtigkeit und Billigkeit
gegründete Verfassung einzuführen wünschten, und Filippo de
Nerli, ein verständiger Freund republikanischer Freiheit, und genauer
Bekannter der Männer welche früher im Jahre 1522 einen vergeblichen
Versuch machten, eine Republik herzustellen, und deren vornehmster
Rathgeber Macchiavelli war. Nerli schloß sich nachmals im
Gedränge des demokratischen Fanatismus an die Medici an, die allein
Schutz gegen die Wuth des erhitzten Pöbels geben konnten, und ward
zuletzt unter den Herzögen Senator. Sein Werk enthält die besten Anzeigen
und treffendsten Beurteilungen der so oft veränderten Verfassung.
Die Erzählung geht bis 1555.
Florenz war während des fünfzehnten Jahrhunderts
durch das überwiegende Ansehen zweier Männer aus dem
Hause Medici beruhigt, und in die Zeiten des letztern
von ihnen fiel Macchiavelli’s Jugend. Cosmus der Große
und Lorenzo, sein Großsohn, hatten als einfache Bürger
die Angelegenheiten ihres Vaterlandes geleitet, und großen
Einfluß auf das Schicksal von ganz Italien gehabt. Macchiavelli
kannte den ganzen Umfang ihrer Talente und Verdienste:
er redet von ihnen mit Wärme und mit dem
Wohlgefallen, welches Niemand, ungeachtet aller Verschiedenheit
der Grundsätze und Gesinnungen, Demjenigen versagen
kann, durch welchen das Vaterland zu Ehre, Macht
und Reichthum gelangt ist. Die Größe des letzten von
jenen beiden ausgezeichneten Männern hatte Macchiavelli
selbst noch gesehen. Er war etwas über zwanzig Jahre
alt, als Lorenzo von Medici starb, dessen Tod allgemein
als die Epoche angegeben wird, mit welcher die Zeit des
Genusses und des Ruhms aufhörte, und eine endlose Reihe
von Unglück und Elend begann, das der Ehrgeiz fremder
Monarchen, die unverständige und leidenschaftliche Herrschsucht
einheimischer Großen, der unbändige Geist kühner
Abenteurer und schamloser Emporkömmlinge über Italien
gebracht hatten. „Mit dem Tode Lorenzo’s von Medici
fing der Same des Uebels an aufzugehen,
wodurch, da Niemand mehr lebte, der ihn auszurotten
verstand, Italien zu Grunde gerichtet
ist, und noch immerfort zu Grunde gerichtet wird.“
Mit diesen Worten schließt Macchiavelli seine florentinische
Geschichte. Guicciardini beginnt seine Geschichte von Italien
mit derselben Bemerkung. Die Schriftsteller aller Parteien
stimmen darin überein.
Nach des großen Mannes Tode ward sein unfähiger
Sohn Piero mit seinen vornehmsten Anhängern vertrieben.
Achtzehn Jahre lang war Florenz ein Spiel republikanischer
Unruhen. Die Republik, die unter der Leitung des Lorenzo
auf die Verhältnisse der großen Mächte von Europa so großen,
oft entscheidenden Einfluß gehabt hatte, ward mit allen
übrigen italienischen Staaten in den allgemeinen Strudel
hineingezogen, den der Ehrgeiz der französischen Könige erregte.
Von den Heereszügen Karl des Achten und Ludwig
des Zwölften ward ganz Italien wie von Meereswellen
verschlungen. Während dieser Periode war Macchiavelli
Staatssecretair der florentinischen Republik, und mehr als
zwanzig Mal Gesandter an großen und kleinen Höfen, in
den wichtigsten Angelegenheiten. Diese Aufträge führten
ihn zu intimen Verhältnissen mit den mächtigsten Männern
der Zeit: unter Andern mit dem Pandolfo Petrucci, der
sich in Siena vom Führer einer Partei bis zum Oberhaupte
des Staats emporgeschwungen hatte, und denselben von
1487 bis an seinen Tod, 1512, ungefähr durch Künste, wie
sie Macchiavelli lehrt, fast unumschränkt beherrschte. Dieser
Petrucci hatte den Anfang seiner Größe damit gemacht,
zwei der wichtigsten Personen der Gegenpartei aus dem
Wege zu räumen, und ließ darauf seinen eignen
Schwiegervater, den Giovanni Borghese, einen sehr angesehenen und
wegen seiner Gelehrsamkeit berühmten Mann, dessen Einfluß
er fürchtete, ebenfalls ermorden. Er hielt es seinem
Interesse angemessen, sich mit den Florentinern zu verbinden,
und überließ ihnen Monte Pulciano, über dessen Besitz
sie mit den Sienesern in einen alten Streit verwickelt
waren. Bei der politischen Freundschaft zwischen dem Pandolfo
und dem damaligen Gonfaloniere Piero Soderini,
war Macchiavelli nicht allein der Mittelsmann, sondern er
unterhielt auch selbst eine genaue Verbindung und freundlichen
Briefwechsel mit dem Tyrannen von Siena, wie der
Geschichtschreiber desselbenMemorie Storico-Critiche della Città di Siena, che servono
alla vita civile di Pandolfo Petrucci dal 1480 al 1512. da Gio. Ant.
Pecci, Patrizio Sienese. Siena 1755. ausdrücklich bemerkt. Die Medici
wurden 1512 in Florenz wieder eingeführt. Gleich im
ersten Jahre entspann sich eine Verschwörung gegen sie, deren
Häupter Nicolo Valori und Giovanni Folchi, mit dem
Leben büßten. Macchiavelli gerieth als Theilnehmer in
Untersuchung, ward gefoltert und verbannt, bald darauf
aber von der Familie, welche die Oberhand behalten hatte,
wegen seiner großen Talente gesucht. Nicht volle zwei Jahre
darauf zog ihn Papst Leo X. durch seinen Freund, den gemeinschaftlichen
Landsmann und florentinischen Gesandten
zu Rom, Veltori, über die verwickelten Angelegenheiten
Italiens, und über die Verhältnisse zu den fremden Mächten,
welche er als Staatssecretair der Republik und als
Gesandter so genau kennen gelernt hatte, zu Rathe, wie
aus den Briefen des Vettori erhellt. Aber noch näher als
Alles dieses lag dem Macchiavelli die Frage, wie die Medici
das wieder erlangte Uebergewicht in ihrem Vaterlande
benutzen würden?
Die Ahnherrn ihres Geschlechts hatten, wie gesagt, als
einfache Bürger die öffentlichen Angelegenheiten desselben
aus ihrem Cabinet geleitet, ohne die äußere Decoration
einer höhern Würde zu verlangen. Aber die Zeiten hatten
sich geändert. In Frankreich, in Spanien, in Deutschland
hatten sich seit Kurzem kräftige Monarchien erhoben.
Italien hingegen ward von innern Zwistigkeiten zerrissen. Insbesondere
war Mittelitalien voll kleiner Herren, die sich
Alles erlaubten, um zu der höchsten Gewalt in ihrer Vaterstadt,
und zu der Herrschaft über kleine Districte umher,
zu gelangen. Mehrere Päpste hatten mit einigem Erfolge
gesucht, in ihren Familien Herrschaften zu gründen, die dahin
führen konnten, die italienischen Freistaaten und Fürsten
zu einem Bunde unter Leitung eines angesehenen Oberhauptes
zu vereinigen. So hatte sich das Haus della Rovere
durch zwei Päpste, Sixtus den Vierten und Julius
den Zweiten, aus dem Staube zu der herzoglichen Würde
von Urbino emporgeschwungen. Mit größerem Nachdrucke
hatte Alexander der Sechste seinen Sohn Cäsar Borgia zu
einem gefürchteten Herrn in Romagna gemacht. Leo der
Zehnte konnte seinen Verwandten noch mit ganz anderer
Kraft unterstützen, als Alexander den seinigen. Denn was
der Spanier Borgia blos durch sein päpstliches Ansehn zu
Stande bringen mußte, das unternahm Leo mit dem ganzen
Gewichte des Hauses Medici, welches im mächtigen und
reichen Florenz so tiefe Wurzeln geschlagen hatte. Ein Kind
seiner Zeit war er nicht damit zufrieden, seinem Geschlechte
die Lage im Vaterlande zu sichern, in der sich seine Vorfahren
befunden hatten. Der große Lorenzo war schon von
der Lebensart derselben etwas abgewichen: er hatte sich mit
einer Prinzessin Orsini vermählt, und seinen Reichthum
angewandt, Landgüter zu kaufen, die mehr der Grundlage
eines Fürstenthums, als Privatbesitzungen eines Bürgers
glichen. Leo X. machte seinen Neffen Lorenzo zum Herzoge
von Urbino, und legte es darauf an, diesem und nach ihm
immer dem Haupte der Familie einen Antheil an der Regierung
von Florenz zuzuwenden, der in seinem Umfange
und in der Art der Ausübung einige Aehnlichkeit mit der
Herrschaft hatte, die Augustus in Rom nach der Auflösung
der Triumvirate führte.
Lorenzo ward Oberhaupt der Kriegsmacht, und führte
den Titel: Il Magnifico (der Prächtige). In den öffentlichen
Angelegenheiten durfte nichts ohne seine Genehmigung
geschehen. Dennoch bestanden alle republikanischen Formen,
und er überließ die gesammten Stellen in der Verwaltung
Bürgern, die jedoch nur unter seinem Einflusse gewählt
wurden. Im Wesentlichen war es eben so schon damals
zugegangen, als seine großen Vorfahren regierten. Seit
undenklichen Zeiten war aus republikanischer Eifersucht die
obrigkeitliche Gewalt nur auf wenige Monate verliehen.
Jahrhunderte lang bildeten bald acht, bald zehn, bald zwölf
Personen, unter dem Titel: „Priori dell’ arti“, „Priori
della Libertà“, „Otto della pratica“, oder andern Namen,
den obersten Rath der Republik, der unter dem Vorsitz
des Gonfaloniere meist alle zwei Monate wechselte. Die
Personen, welche bestimmt waren, nach und nach einzutreten,
wurden von einem Ausschusse von Bürgern auf eine
Reihe von Jahren im Voraus gewählt. Diesen Ausschuß
aber setzte die mächtigste Partei des Augenblicks, die sich
unter dem Namen „balia“ eine außerordentliche Gewalt
anmaßte, willkürlich zusammen. Bei diesem beständigen
Wechsel der Staatsbeamten ward eine geheime Direction
der öffentlichen Angelegenheiten nothwendig. Diese ging
lange von dem Cabinette der Medici aus, und eben in jenen
unaufhörlichen äußern Veränderungen, wodurch die
Verfassung den Anschein einer Demokratie erhielt, lag ein
Mittel, das Ansehn der Familie zu befestigen, welche sich
durch ihren Reichthum, ihre Verwandtschaften, den Verstand
und die Regierungsweisheit einiger ausgezeichneten Häupter,
einen so großen Anhang gemacht hatte. So oft die Medici
nach einem kurzen Exil in ihr Vaterland zurückgekehrt
waren, hatten sie die republikanischen Formen, die sie für
sich selbst so vortheilhaft fanden, beschützt. Es scheint,
Leo X. wollte ungefähr auf gleiche Art sein Vaterland beherrschen.
Aber der ehrgeizige eitle Neffe, der mehr auf
seinen Vater, den Piero, der wegen seines unverständigen
Leichtsinns vertrieben war, als auf seinen weisen Großvater
Lorenzo artete, verlangte mehr. Macchiavelli, der ihn daran
nicht hindern konnte, der weder in Florenz eine Partei hatte,
die mächtig genug gewesen wäre, die Republik herzustellen,
noch Einfluß genug auf den Papst, um die Angelegenheiten
seines Vaterlandes auf diesem Wege zu leiten, wandte sich
an den neuen Herzog von Urbino und gab ihm in dem
Buche, welches er ausdrücklich für diesen Zweck schrieb,
Rathschläge, wie er sich zum Herrn machen und wie er die
Herrschaft behaupten könne. Von seiner persönlichen Verbindung
mit diesem Fürsten ist übrigens nichts Näheres
bekannt. Sein ganzes Leben in dieser Zeit ist beinahe noch
völlig im Dunkeln.
Der frühe Tod des Herzogs von Urbino unterbrach
1519 die Pläne, die Macchiavelli auf den unternehmenden
Geist desselben gebaut haben mochte; nun benutzte er seine
Verbindung mit dem Papst Leo, diesem einen Entwurf vorzulegen,
wie Florenz durch eine neue Verfassung beruhigt
werden könne, indem die Liebe der Einwohner zur Republik
befriedigt, und zugleich dem Papst Leo ein dauernder Einfluß
auf dieselbe für die Zeit seines Lebens gesichert würde.
Diesen Entwurf wird Jeder, der die Geschichte von Florenz
seit dem Tode des großen Lorenzo, die Parteien, die das
Gemeinwesen zerrissen, ihre Wünsche und die Bedürfnisse
des Staats aus den Quellen kennen gelernt hat, für ein
Meisterstück erkennen. Der Verfasser desselben hatte nicht
die Befriedigung, seine Ideen ausgeführt zu sehen, die vermuthlich
dem Ehrgeize der Medici noch nicht genug einräumten.
Lorenzo war so jung gestorben! Papst Leo folgte ihm
bald darauf in seinen besten Jahren. Dennoch entstand
keine Veränderung in der Lage des florentinischen Staates.
Das Schicksal rief viele Generationen hindurch die einzelnen
Häupter der Medici frühzeitig ab: der Familie hatte
es die Herrschaft von Florenz bestimmt. Seit dem großen
Cosmus war kein bedeutender Medici fünfzig Jahre alt
geworden; aber so oft einer aus diesem Hause den Schauplatz
verließ, trat allemal ein anderer wieder auf, freilich
mit sehr verschiedenem Maße von Talenten ausgerüstet, und
mit abwechselndem Glücke. Jetzt traf die Reihe den Julius,
der zuerst als Cardinal und bald darauf als Papst
Clemens der Siebente Haupt der Familie ward. Von ihm
hing nunmehr das Schicksal der Republik ab. Eine Partei,
die aus den vorzüglichsten jungen Männern von Florenz
bestand, mit denen Macchiavelli in der intimsten Verbindung
lebte, und zu deren Belehrung er seine Betrachtungen
über den Livius geschrieben, die zweien derselben,
dem Zanobi Buondelmonti und Cosimo Ruccellai,
zugeeignet sind, – dieser Club, der von den Gärten Ruccellai,
wo er sich versammelte, benannt ward, machte Pläne zu
einer Herstellung der Republik, die dem Cardinale Giulio
vorgelegt wurden. Die Hoffnung, die man auf seine anscheinende
Mäßigung gebaut hatte, ward vereitelt. Er bewies
auch hier die furchtsame verschlossene Falschheit, die
sein ganzes Leben charakterisirt. Er hatte nie die Absicht
gehegt, zu willfahren, oder er änderte seine Entschließung,
als er sah, wohin die Pläne, die man ihm angab, führen
würden. Aber der Patriotismus jener Freunde der Freiheit
war ernstlich gemeint. Sie machten (1523) Anstalt,
ihren Entwurf mit Gewalt auszuführen, und den Cardinal,
der im Wege stand, wegzuräumen. Die Verschwörung
ward entdeckt. Luigi Alamanni und Jacopo da Diaceto
verloren das Leben auf dem Blutgerüste. Zanobi Buondelmonti,
ein andrer Ludovico Alamanni, (dem Macchiavelli
sein Leben des Castruccio Castracani zugeeignet hat),
Batista della Palla, Anton Bruccioli und einige ihrer Anhänger
geringeren Standes wurden verbannt. Macchiavelli
war ebenfalls in diese Unternehmung verwickelt: er entfloh.Diese wenigen Nachrichten finden sich in der Geschichte Filippo
de’ Nerli’s, welcher alle genannten Personen und besonders den Macchiavelli
genau gekannt hatte, und der Partei selbst wohlwollte.
Die Medici fühlten sich noch nicht stark genug, den republikanischen
Geist der Florentiner zu unterdrücken: sie versuchten
es, ihn einzuschläfern, indem sie die letzten Vorfälle
möglichst geschwind vergessen ließen. Der Cardinal fürchtete
Erbitterung zu erregen, die seinen Absichten auf den
päpstlichen Stuhl hinderlich gewesen wäre. Als er diesen
ein Jahr darauf wirklich bestieg, suchte Macchiavelli sich
wieder an ihn anzuschließen, und erhielt Aufträge von Wichtigkeit,
von ihm und von der florentinischen Regierung. Wenige
Jahre darauf erlaubten die Umstände noch einen Versuch
zur Wiederherstellung der Republik zu machen. 1527
wurden die Medici aufs Neue vertrieben und die Freiheit
proclamirt. Macchiavelli erschien sogleich in seiner Vaterstadt.
Allein die Bemühungen seiner Freunde Zanobi
Buondelmonti und Luigi Alamanni, ihn in den Rath von
zehn Männern wählen zu lassen, dem die Leitung der öffentlichen
Angelegenheiten übergeben werden sollte, wurden
durch die allgemeine Abneigung vereitelt, die das Volk gegen
den Rathgeber der Medici und den Verfasser des Buchs
vom Fürsten gefaßt hatte. Vergeblich suchte er die Schrift
zu unterdrücken, welche seine Gesinnungen so verdächtig
machte.Varchi, Geschichte von Florenz. Sie war also bekannt. Schon
dieser Umstand spricht gegen die Vermuthung, daß das Buch nur ein
geheimer Rathgeber des Fürsten habe sein sollen, dem es zugeeignet ist.
Außerdem aber ist der Ton des Buchs vom Fürsten mit dieser Ansicht
nicht zu vereinigen. Zu einem solchen Zwecke hätte der Verfasser doch
bestimmte Anwendungen auf die Verhältnisse des Augenblicks machen,
und Maßregeln gegen die Mitwerber um die Herrschaft von Italien
und gegen einzelne Staaten angeben müssen: und dazu wäre Macchiavelli
sehr geschickt gewesen, wie seine Berichte an die florentinische Regierung
während seiner häufigen Gesandtschaften beweisen Aber das
Buch vom Fürsten hat ganz den Charakter eines literarischen Kunstwerks.
Als ein solches übertrifft es nicht allein Alles, was damit verglichen
werden könnte, sondern auch die übrigen Schriften des Verfassers
selbst. Und ein solches Meisterstück sollte er nicht für die Welt
bestimmt haben?! – – – – Der Verdruß über die fehlgeschlagenen Versuche,
sich wieder zu heben, hatte vermuthlich Antheil an seinem
Tode, der bald darauf erfolgte.
Die Republik, die der Enthusiasmus des Volks unter
günstigen Umständen errichtet hatte, unterlag nach zwei Jahren
der vereinten Macht des Papstes und des Kaisers. Nachdem
Clemens der Siebente sie durch Unterstützung Karl
des Fünften bezwungen hatte und mit ihr nach Gefallen
walten konnte, erneuerten die Freunde des Macchiavelli zum
letzten Male ihre Bemühungen. Sie baten den Papst, neben
der ersten Stelle in der Republik, die er seinem angeblichen
Neffen Alessandro zuwenden wollte, die Hauptzüge
einer republikanischen Verfassung bestehen zu lassen,
welche schon Macchiavelli dem Papste Leo X. empfohlen
hatte. Das Wesentliche dieses Entwurfs, wodurch die Bürger
einen wirklichen Antheil an der Verwaltung des Staats
erhalten hätten, verwarf Clemens: den Anschein behielt er
anfangs bei, nahm bald aber auch dieses Schattenbild eines
Gemeinwesens weg. Alessandro ward 1531 unumschränkter
Herr, und genoß seine Größe als ein ächtes Kind des
Glücks, das weder durch Talente, noch durch eigne, seien
es rühmliche, seien es ruchlose Unternehmungen, sondern
blos durch die Macht eines Andern erhoben war. Mit
Dirnen und Buhlknaben, wie Tacitus vom Domitian sagt,
spielte er den Fürsten, zog Schmausereien und Maskenbälle
fürstlichen Beschäftigungen vor, zu denen es ihm mehr an
Lust als an Geschicklichkeit fehlte, und erhielt nach fünf Jahren
von einem Vetter Lorenzino von Medici den Lohn seiner
Nichtswürdigkeit, ohne daß dieser Mord den florentinischen
Republikanern zu Gute gekommen wäre. Ein andrer
Medici, Cosmus, ward 1536 zum Herzoge ausgerufen, und
nach einem Siege über die republikanische Partei, die sich
zum letzten Male unter Anführung des Filippo Strozzi
erhob, wirklicher Beherrscher von Florenz. Dieser beruhigte
endlich das Volk: er bezähmte die Widerspenstigen, besänftigte
die Gemüther, lähmte jede gefährliche Kraft, schmeichelte
dem Talente, beschenkte, versorgte, ehrte Alle, die berechtigte
oder unberechtigte Ansprüche machten;Fünfzig solcher Männer machte er zu Staatsräthen mit hohem
Range und hoher Besoldung, wofür sie sich um Nichts bekümmern durften
– angenehme Sinecuren, wie sie ähnlich noch heute im gelobten
Preußen einige evangelische Domherren haben, die für einen Jahresgehalt
von ca. 36,000 Mark einmal jährlich eine Quittung unterschreiben
und ein opulentes Frühstück verzehren müssen! – und erstickte
damit das ganze Geschlecht vorzüglicher Männer aller
Art, wodurch Florenz bis auf seine Zeiten als der hellste
Stern in der neuern Geschichte der Cultur des menschlichen
Geistes geglänzt hatte.
In die Mitte dieser Periode fällt das Leben des Macchiavelli
(von 1469 bis 1527). In der an Talenten,
Künsten und Wissenschaften aller Art reichen Stadt, in einem
Volke, das sich durch den lebhaftesten Verstand und
die heftigsten Leidenschaften auszeichnete, unter den Stürmen
einer unsichern Verfassung und den häufigen Katastrophen
derselben war er selbst unaufhörlich thätig. Die Geschäftswelt
hatte ihn gebildet. Der eignen Erfahrung verdankte
er es, daß er aus den großen Schriftstellern des
Alterthums mehr lernte, als Andere darin finden. Sie
gab seinem Urtheile über die frühere Geschichte und über
die Ereignisse seiner Zeit die treffende Schärfe, die man
immer mehr bewundert, je mehr man seine Bemerkungen
mit dem vergleicht, was seinem Vaterlande nach seinem
Tode widerfuhr. Die Verhältnisse, in die er verwickelt war,
hatten ihm das Innere der Republiken und die Geheimnisse
der Fürsten aufgedeckt. Er verstand sich auf die Politik
jeder Partei. Man findet ihn aber auch in den entgegengesetztesten
Factionen.
Er liebte die Verfassung, in der er geboren und so
lange Zeit auf die glänzendste Art thätig gewesen war.
Aber er mochte wol in gewissen Augenblicken daran verzweifeln,
eine dauernde Republik in Florenz hergestellt zu
sehen. Er zeigt selbst im siebzehnten Kapitel des dritten
Buchs seiner „Discorsi“, daß ein verdorbenes Volk sich
schwerlich bei der Freiheit erhalten könne; und im folgenden
Kapitel, daß es eben so schwer sei, die verlorne Freiheit
wieder herzustellen. Er sagt es gerade heraus, einem solchen
Volke sei es besser, daß sich seine Staatsverfassung der
Alleinherrschaft eines Einzigen nähere: und die Anwendung
auf sein Vaterland liegt nahe genug!
Im Anfange des siebenten Buchs seiner Geschichte bemerkt
er, daß die innern Uneinigkeiten das Leben der Republiken
ausmachen, und ihre Stärke vermehren, so lange
sie nicht in Anhang einzelner Häupter oder Familien ausarten;
sobald aber dieses eintritt, den Staat schwächen und
das Wesen der Republik vernichten. In Florenz, sagt er
selbst, waren alle innern Zwistigkeiten von dieser verderblichen
Art. „Daher wissen die Florentiner die
Freiheit nicht zu behaupten, und können die
Knechtschaft nicht ertragen.“
In der That, wenn man die innere Geschichte von Florenz
überdenkt, deren letzte Katastrophen oben angegeben
sind, so findet man, daß die Republik in den schlechten Zeiten
nur elende Anarchie, in den besseren maskirte Monarchie
gewesen war.
Von der frühern Zeit sagt Macchiavelli im Anfange
des dritten Buchs seiner Geschichte: „Die innern Uneinigkeiten,
welche in Rom Wetteifer und Streit erregten, sind
in Florenz sehr frühe in Factionen und innern Krieg
ausgeartet. In Rom veranlaßten sie neue Gesetze, um abzuhelfen:
in Florenz endigten sie stets mit Mord und Verbannung
angesehener Bürger. In Rom dienten sie dazu,
daß einzelne große Häupter sich erhoben. In Florenz haben
sie Alles gleich gemacht. In Rom wollte das Volk
der größten Ehren gleich dem Adel theilhaft werden. In
Florenz wollte es ausschließlich herrschen. Die neuen erzwungenen
Gesetze waren daher ungerecht gegen den Adel.
In Rom wurden die Niedriggebornen immer edler und
fähiger, die Stellen zu bekleiden, nach denen sie strebten.
Durch ihre zunehmende Kraft und Talente ward der Staat
groß. In Florenz wurden die Edlen aus den öffentlichen
Aemtern vertrieben, und mußten dem niedrigen Volke gleich
werden, um zu jenen zu gelangen. Die edeln Eigenschaften,
wodurch die Männer aus dem Volke in Rom den Edelgebornen
gleich zu werden trachteten, wurden in Florenz
auch im Adel ausgelöscht. So ward der Staat immer
niedriger und verächtlicher. So wie Rom durch den Uebermuth
der Bürger dahin gerieth, daß es nicht mehr ohne
einen Herrn bestehen konnte, so kam es mit Florenz dahin,
daß jede Verfassung durch eine geschickte Hand aufgedrungen
werden konnte.“
Die alten Zwistigkeiten des Adels mit dem Volke, von
denen Macchiavelli hier redet, endigten um die Mitte des
vierzehnten Jahrhunderts mit der Tyrannei des Herzogs
von Athen,Gaultier de Brienne, der als Erbe eines Kreuzfahrers den
Titel Herzog von Athen führte. der den Florentinern durch neapolitanische
Waffen aufgedrungen ward. Aber nach der Vertreibung
desselben theilte sich das Volk aufs Neue in Factionen der
Bürger und des gemeinen Pöbels, welche abermals den
Staat zerrissen, bis die Familie Medici im fünfzehnten
Jahrhunderte mächtig genug ward, ihm Festigkeit und innere
Ruhe zu geben, die jedoch von Zeit zu Zeit durch gewaltsame
Katastrophen unterbrochen ward. Als dieser Zustand
1492 mit dem Tode des Lorenzo von Medici endigte,
und das ganze Geschlecht desselben vertrieben ward, lebte
der demokratische Geist wieder auf. Aber in einem Staate,
in dem man so wenig Bürgergeist, dafür desto mehr
Parteiwuth kannte, war es nicht möglich, einen dauerhaften
Zustand zu begründen. Die Familie der Medici, welche
sechzig Jahre lang (von 1432 bis 1492) mit so großem
eignen Ruhme ihr Vaterland zu Größe, Ehre und Ruhm
geführt, und innerlich einigermaßen ruhig gehalten hatte,
konnte dies nur dadurch bewirken, daß sie den Staat durch
eine Partei regierte, die sich hinter republikanische Formen
versteckte, ohne dem Volke wahren Antheil an der Verwaltung
zu verstatten. Sie hatte beständig, wie man sich in
unsern Tagen ausdrücken würde, eine Art von revolutionärer
Regierung geführt. Sie behaupteten nämlich, wie
Macchiavelli ihnen vorwirft, daß Florenz nicht anders regiert
werden könne, als durch eine von fünf zu fünf Jahren
zu wiederholende außerordentliche Maßregel, („Ripigliar
lo Stato“ genannt), wodurch die gefährlichen Bürger
willkürlich aus der Stadt oder von öffentlichen Aemtern
entfernt, diese aber eben so willkürlich mit Hintansetzung
aller vorgeschriebenen Formen besetzt wurden: das heißt,
sagt Macchiavelli, alle fünf Jahre den Schrecken und die
Furcht erneuern, wodurch das erste Mal diejenigen Menschen
in die Flucht geschlagen waren, welche, mit den Medici
zu reden, schlecht gehandelt hatten.
Wahrlich, eine schöne Republik, in welcher die Formen,
Gleichheit und Theilnehmung so vieler Bürger an den öffentlichen
Angelegenheiten vorspiegeln, in der That aber
Eine Familie unumschränkter herrscht, als ein Fürst nur
immer könnte; wo diese Familie um desto eifersüchtiger Alle
entfernt, deren Ansprüche sie fürchtet, weil sie das öffentlich
anerkannte Recht allezeit gegen sich hat! Cosmus ist ein
großer Mann, Lorenzo ein noch größerer Mann gewesen.
Aber ist der Staat frei zu nennen, wo solche Männer ausschließlich
regieren, und die andern alten Geschlechter angesehener
reicher Bürger, in der Verzweiflung ihr Recht
nicht durchsetzen zu können, zu verräterischen Anschlägen
ihre Zuflucht nehmen?Die erste Veranlassung zu der berühmten Verschwörung der
Pazzi gegen die Medici lag in der Heirath eines Pazzi mit einer reichen
Erbin, welcher man ihr Erbrecht unter dem Vorwande zweifelhafter
Gesetze, in der That aber dem Lorenzo von Medici zu Gefallen entzog,
um die Familie seines Gegners zu entkräften. Wo die Soderini sich herablassen
müssen, Clienten zu werden, und den Pazzi, unterdrückten
Nebenbuhlern, nur Meuchelmord übrig bleibt, um sich Luft
zu machen: wo daher selbst ein Mann wie Lorenzo von
Medici seines Lebens nicht sicher ist!
So dachte Macchiavelli über die Verfassung seines Vaterlandes
vor dem Exile der Medici: das beweist der ganze
Ton aller seiner Schriften, in denen er von den großen
Männern aus jenem Hause stets mit Lobe redet, ihre Nebenbuhler
und die Verschwörungen gegen sie nie tadelt.
Nach der Vertreibung dieser herrschenden Partei, 1494,
war zwar eine republikanische Verfassung hergestellt, allein
es hatte weder der demokratische Fanatiker Savonarola, den
das Volk eine Zeit lang als einen Propheten verehrte, und
als er einige Prophezeiungen vorbrachte, die nicht gefielen,
mit Jubel verbrennen sah; noch der redliche Freund republikanischer
Gleichheit und allgemeiner Gerechtigkeit, Piero
Soderini, der einige Jahre als Gonfaloniere vergebliche
Bemühungen anwandte, die Verfassung zu befestigen, etwas
Dauerndes zu Stande bringen können. Dem Letzten wirft
Macchiavelli vor, daß er sich die eitle Hoffnung gemacht,
allen gährenden Stoff im Staate durch Geduld und Güte
zu beruhigen, die Feindschaften mit Wohlthaten auszulöschen,
und die Republik dadurch zu befestigen, daß er
selbst das Beispiel gab, die Gesetze nie zu übertreten. Ein
solcher Charakter kann nicht verfehlen, die allgemeinste Hochachtung
zu erregen: er wird sogar von den Feinden der
öffentlichen Ruhe gepriesen, – von diesen aber eigentlich,
weil seine Tugenden ihnen selbst ihr Spiel erleichtern. Etwas
kräftiger noch drückte Macchiavelli sein Urtheil in einem
Sinngedichte aus, das er in einer launigen Stunde
auf seinen demokratischen Freund und Gönner machte.
„In der Nacht, da Piero Soderini starb, fuhr die arme
Seele zur Hölle hinab. Thörichter Geist, rief Pluto ihr
entgegen, was willst du in der Hölle? Geh du zum unschuldigen
Kinderteich!“
Macchiavelli behauptet, und das wol nicht mit Unrecht,
daß Soderini eine außerordentliche Gewalt hätte anwenden
müssen, um sich in den Stand zu setzen, für die Zukunft
eine Herrschaft der Gesetze zu gründen. „Wenn in einem
verdorbenen Zustande der Dinge noch etwas zu hoffen ist,“
sagt er, „so ist es von einem mächtigen Manne, der sich
vorläufig zum Herrn aufwirft, um eine freie Verfassung
vorzuschreiben. Auf andere Art ist es unmöglich.“
Wer die Eigenschaften besitzt, wodurch man sich zur
Herrschaft emporschwingt, der wird sich freilich nicht dazu
verstehen, einen solchen Gebrauch von ihr zu machen: und
das wußte Macchiavelli selbst sehr gut. Indessen könnte er
dennoch wol einen Plan entworfen haben, durch einen Andern
und auf andere Art auszuführen, was damals fehlgeschlagen
war. Den, der geboren ist zu handeln, kann sein
eignes treffendes Urtheil, die vollkommenste Kenntniß der
Welt, die lebendigste Ueberzeugung, daß nichts mehr auszurichten
stehe, nicht abhalten, Versuche zu machen, die ihm
selbst vergeblich scheinen. Er sieht ein, daß es besser wäre,
alle Pläne aufzugeben, wenn die Werkzeuge zu ihrer Ausführung
nichts taugen. Er verspottet vielleicht die eitle
Hoffnung derer, die es unternehmen, mit schwachen thörichten
Menschen Dinge auszurichten, wozu Kraft, Verstand,
Beharrlichkeit nöthig sind. Und in demselben Augenblicke
entwirft er selbst wieder Pläne, die Verstand, Muth, Beharrlichkeit
erfordern: weil der Mann von kräftigem Verstande
immerfort unwillkürlich solche Entwürfe gebiert, wie
ein tüchtiger Baum gute Früchte trägt.
Das ist nicht poetische Schwärmerei. Es gibt solche
Menschen, und die größten Dinge geschehen durch solche,
die sich nicht lange besinnen, ob ein edler Entwurf ausführbar
sei; die nicht warten zu beginnen, bis der Zufall
und andre Menschen das Beste gethan haben; sondern die
im Vertrauen auf die gute Sache wagen, und hoffen, die
Umstände werden ihnen zu Hilfe kommen. Diese finden
denn auch oft unerwartete Unterstützung: denn sie selbst beleben
Andere, und wecken Kräfte, deren Dasein man nicht
ahnte, weil sie ohne solchen Antrieb nie erwacht wären.
Auf Macchiavelli möchte dies Alles freilich nicht recht
anwendbar sein. Der dachte immer zunächst daran, was
ausgeführt werden könnte.
Wenn es nun aber durchaus unmöglich war, die Verfassung
aufrecht zu halten, auf die sich alle Entwürfe in
glücklichen Zeiten bezogen, und die Nothwendigkeit einleuchtete,
sich neuen Verhältnissen zu unterwerfen, so konnte auch
wol ein redlicher Freund der bürgerlichen Gleichheit dahin
gebracht werden, ihr nicht blos zu entsagen, sondern selbst
Hand anzulegen, etwas Erträgliches zu schaffen, um nicht
das Unerträgliche unthätig zu leiden. So haben auch in
Florenz späterhin, als das Schicksal durch den Untergang
des Filippo Strozzi die letzten Auswege zur Herstellung
der Republik versperrt hatte; als Alles, was sich auf das
Alte bezog, Entwürfe des Staatsmannes und Verpflichtungen
des Bürgers, gleich Träumen verschwanden; als nichts
mehr existirte, worauf eine Hoffnung gegründet werden
konnte, und die neuen Verhältnisse unter der schnell entwickelten
Uebermacht Karls des Fünften es durchaus erforderten,
daß Florenz einen Herrn erhalte, der sich des
mächtigen kaiserlichen Schutzes sicher halten konnte, die geistvollsten
und angesehensten Männer der Republik den Herzögen
gehuldigt.
Unter allen diesen Umständen, aber auch nur unter solchen,
konnten Männer von Ehre zu der neuen herrschenden
Partei übertreten. Macchiavelli that diesen Schritt sehr
früh, und wie es sich bald zeigte, voreilig.
Es war zwar schon zu seiner Zeit Manches geschehen,
das eine innere große Veränderung in Italien nothwendig
nach sich ziehen mußte. Franzosen, Spanier, Deutsche kämpften
um den Besitz dieses schönen Landes. Durch innere Uneinigkeit
war es dahin gekommen, daß es schien, die Frage
könne nur sein, welche auswärtige Macht Herr werden solle.
Das Volk haßte alle diese Fremden in dem Grade, wie die
südlichen Völker hassen, und wie der Unwille unterdrückter
und mißhandelter Völker haßt. Aber wie konnten die Italiener
die Unabhängigkeit wieder erlangen, die für jedes
Volk, das eigenthümliche Denkart, Sitten, Sprache, Gesetze
und Verfassung hat, das höchste Gut, und die Bedingung
aller Glückseligkeit ausmacht? Dazu mußten die
gesammten Kräfte der Nation in Verbindung gebracht werden, und
eine einzige Richtung erhalten. Dies konnte im damaligen
Augenblicke schwerlich durch einen Andern geschehen, als
durch einen Medici. Wenn denn Italien der Herrschaft der
Barbaren auf keine andere Art entrissen werden kann, und
er das Vaterland nicht anders erlösen will, als wenn Florenz
sich unterwirft, – nun so herrsche Lorenzo über Florenz
und über Italien. Wenn er das Land befreit haben
wird, so mögen sich die Florentiner selbst wieder von ihren
Tyrannen befreien und die Republik herstellen, – wenn sie
können. So mag Macchiavelli gedacht haben, als er dem
Lorenzo den Weg zeigte, zur Herrschaft zu gelangen: damit
mag mancher Italiener einverstanden gewesen sein.
Eine solche Entsagung konnte ihm lange nicht so viel
kosten, als andern Anhängern der Republik. Seine Liebe
zu ihr war ernstlich: aber sie beruhte nicht auf dem tiefen
Gefühle des Bürgers, dem Gleichheit das erste Gut ist,
und der Alles lieber duldet, als Jemanden über sich zu
sehen. Sie entsprang nicht aus unerschütterlicher Anhänglichkeit
an väterliche Sitte und ererbte Verhältnisse. Das
Nachdenken über vergangene Zeiten und Beobachtung der
neuen hatte ihn gelehrt, daß in republikanischen Staaten
die Leidenschaften geistvoller Männer den größten Spielraum
erhalten. Aus diesem Gesichtspunkte beurtheilt er in seinen
„Discursen über den Livius“ die römische Republik. An
der Erhaltung des Bestehenden lag ihm wenig. Ihm kam
es nur darauf an, seinen Trieb zu unruhiger Thätigkeit zu
befriedigen. Fand in seinem Vaterlande die Verfassung
nicht mehr statt, die er selbst vorgezogen hätte, so ergriff
der von Catonischem Eigensinne weit entfernte praktische
Geist, dem auf ächt Italienisch „virtù“ nur Thatkraft und
Verstand sie zu leiten bedeutete, mit eben der Lebhaftigkeit
die Idee, die den neuen Umständen und den Gesinnungen
der Mächtigen angemessen war, und ließ sie eben so geschwind
wieder fahren. Macchiavelli hat nicht etwa in einer
großen Katastrophe seine Grundsätze verändert und ist zu
einer Gegenpartei einmal übergetreten: sondern er hat
sich bald der einen, bald der andern ergeben, und nur darauf
gedacht, für den Augenblick den Entschluß zu fassen,
der ihm der klügste dünkte, weil er in den Verhältnissen
des Tages der ausführbarste schien. Er hielt es damals
für unvermeidlich, daß Florenz sich unterwerfe: so gab er
dem Lorenzo Rathschläge, um ihm die Herrschaft zuzuwenden,
damit Er es sei, dem der neue Fürst sie, wenigstens
zum Theil, verdanke.
Wer das wollte, durfte nicht vielen Bedenklichkeiten über
die Wahl der Mittel Gehör geben: und Alles, was in der
Zeit vorging, hätte auch wol einen Mann von strengerer
Sittlichkeit, als Macchiavelli, verleiten können, sich über das
Gefühl der Menschlichkeit, die gewissenhafte Redlichkeit und
die Scheu vor moralischen Geboten wegzusetzen, um einen
großen Plan zum Besten des Volks auszuführen. Auch
ein solcher hätte wol sagen können: es muß einmal regiert
werden, damit das Volk der Erfüllung seiner eignen Wünsche
theilhaft und glücklich werden könne; welches Letztere wieder
in Macchiavelli’s und seiner Zeitgenossen Sinne nichts Anderes
heißt, als politische Leidenschaften befriedigen. Da sich
aber die Völker nicht demjenigen unterwerfen, der durch
sittliche Vorzüge über sie hervorragt, und durch diese verdiente
zu regieren, so möge denn derjenige, der zu herrschen
versteht und die Herrschaft zu ergreifen vermag, sich derselben
auf jedem Wege bemächtigen, auf dem man zu ihr
gelangt.
Die Geschichte der Zeit enthält nichts als Mord, Treulosigkeit,
Verrätherei, Gewaltthätigkeit durch gedungene
Streiter. Was zur Herrschaft führt, ist gut: so der allgemeine
Wahlspruch. Jeder erlaubte sich Alles, was den Weg
dazu bahnen konnte: Alle aber verfehlten ihren Zweck, weil
sie nicht Einsicht genug hatten, die rechten Mittel zu wählen,
und weil es ihnen in der gefährlichen Unternehmung
an der Selbstbeherrschung fehlte, die dem Mächtigen so
schwer wird, und doch so nöthig ist, zu verfolgen. So ging
jeder Gewalthaber zu Grunde, die ganze Nation ward eine
Beute fremder Eroberer. Macchiavelli sah, daß der neue
Herzog von Urbino denselben Weg betreten würde, auf dem
so Viele vor ihm verunglückt waren. Wenn denn Niemand
Anstand nimmt, Verbrechen zu begehen, wodurch er zur
Herrschaft zu gelangen hofft, so begeht, ruft Macchiavelli
dem zu, der danach strebt, so begeht Eure Unthaten doch
nur so, daß sie auch wirklich zum Zwecke führen.
Die Lehren, welche Macchiavelli hierzu ertheilt, haben
den eigenthümlichen Charakter, der Alles auszeichnet, was
aus dem wirklichen Leben geschöpft ist. Sie sind nicht bloße
Erzeugnisse des Nachdenkens, Resultate allgemeiner Beobachtungen.
Sie haben die ergreifende Wahrheit der Gemälde,
dergleichen das überlegenste Talent nicht hervorbringt, ohne
durch wirkliche Anschauung belebt zu sein. Man hatte in
Italien oft genug gewaltige Menschen auftreten sehen, die
sich in dem leidenschaftlichen Streben nach der Herrschaft
über jede Beschränkung durch Gesetz, sittliches Gefühl und
menschliche Empfindung gänzlich wegsetzten. Aber keiner
von ihnen hatte das Maß des Verstandes besessen, ohne
den die Immoralität sich selbst zu Grunde richtet. In Cäsar
Borgia, mit dem Macchiavelli durch Verhandlungen
über die Angelegenheiten seines Vaterlandes in genaue Verbindung
gerathen war, glaubte er das vollendete Ideal eines
Mannes zu erkennen, der das wirklich leisten könnte, wonach
so Viele vergeblich gestrebt hatten. Von dieser Vorstellung
war er ergriffen. Alles, was er über die Gesinnungen
und Talente geschrieben hat, die zur Befriedigung
der Herrschsucht führen können, ist durch das Bild von jenem
Unholde, der durch die Schärfe des Verstandes und
Entschlossenheit des Geistes andern eben so schlechten Menschen
so sehr überlegen war, beseelt.
Lorenzo von Medici war nicht der Mann, etwas Aehnliches
zu leisten. Er konnte wol durch den Einfluß seines
Oheims, des Papstes Leo, Herzog von Urbino werden, aber
nicht Herr von Florenz, noch weniger Haupt eines italienischen
Bundes. Hat Macchiavelli ihn nicht genug gekannt?
Oder hat er ihm den Rath, sich zur Herrschaft emporzuschwingen,
vielleicht so gegeben, wie er selbst im dritten
Buche seiner Discurse im fünfunddreißigsten Kapitel sagt,
daß man den Großen rathen müsse? „Diejenigen,“ heißt
es hier, „welche einer Republik oder auch einem Fürsten
rathen, kommen in ein Gedränge, indem sie ihre Pflicht
verletzen, wenn sie nicht ohne alle andere Rücksicht den Rath
ertheilen, der ihnen für den Staat oder den Fürsten der
nützlichste scheint; so oft sie aber wirklich solche Rathschläge
angeben, Gefahr laufen, das Leben oder doch ihre Stelle
zu verlieren: weil alle Menschen doch darin blind sind,
daß sie jeden guten oder schlechten Anschlag nur nach dem
Ausgange beurteilen. Ich sehe keinen andern Ausweg,
als seine Meinung ohne Leidenschaft und mit Mäßigung
vorzutragen, so daß der Fürst, wenn er sie befolgt, seinen
eignen Willen zu thun glaube, und daß er nicht vom Rathgeber
mit Ungestüm verleitet zu werden scheine. Wenn du
auf diese Art deinen Rath ertheilt hast, so ist es nicht
wahrscheinlich, daß Volk oder Fürst dir übel wollen werden,
da dein Rath nicht gegen den Willen Andrer durchgesetzt
worden. Die Gefahr entsteht, wenn Viele widersprechen,
die, wenn die Sache übel ausfällt, sich vereinigen,
den Rathgeber zu stürzen. Bei jenem Verfahren geht freilich
der Ruhm verloren, der einzuernten ist, wenn man
Rathschläge gegen den Willen Vieler durchsetzt, und die
Sache gut ausfällt: aber dagegen entstehen zwei Vortheile.
Erstens wird die Gefahr vermieden, und zweitens kannst
du große Ehre einlegen, wenn du einen Rath mit Mäßigung
ertheilst, derselbe nicht befolgt wird wegen des erhobenen
Widerspruchs und der Rathschläge Andrer, und alsdann
großes Ungemach entsteht.“
Hat Macchiavelli vielleicht seine Anschläge, zur Herrschaft
zu gelangen, dem Lorenzo von Medici in diesem Sinne gegeben?
Hatte derselbe Verstand genug, sie ganz zu fassen,
Urtheil genug, sie richtig anzuwenden, Dreistigkeit und Beharrlichkeit,
sie auszuüben – gelang Alles: gut, so verdankte
er seine Größe dem Unterrichte, und der Rathgeber
konnte auf alle Belohnungen Anspruch machen, die einen
solchen Dienst bekrönen. Fehlte es in irgend einem Stücke,
so fiel Lorenzo durch seine eigne Schuld. Er hatte nicht
recht begriffen, nicht recht angewandt, oder die Ausführung
war unvollkommen gewesen. Warum unternahm er ein
so schweres Werk, dem er nicht gewachsen war, und dessen
ganze Schwierigkeit Macchiavelli ihm selbst so lebendig vor
Augen gestellt hatte? Diesem blieb alsdann immer noch
übrig es zu machen, wie der Graf von Shaftesbury, der
dem Könige Karl dem Zweiten Rathschläge gab, die die
Freiheit der englischen Nation untergruben, und darauf
selbst diesen übermüthigen, leichtsinnigen und dennoch hinterlistigen
Fürsten, da er seine Sache verdorben hatte, im
Parlamente wegen jener Verräthereien gegen die Nation
anklagte.
Warum hätte Macchiavelli Bedenken tragen sollen, selbst
mit einem Fürsten eben so umzugehen, wie er diesen lehrt,
andre Menschen zu behandeln, die ihm zu Werkzeugen dienen?
Wir haben keinen Timoleon vor uns, keinen Junius
Brutus, keinen Hampden, keinen Wilhelm Tell: sondern
den verschmitzten Unterhändler am französischen Hofe, Freund
des Tyrannen von Siena, Verehrer des Königs aller Teufel
seiner Zeit, des Cäsar Borgia. Der Staatsmann muß
auch mit solchen Menschen umzugehen wissen. Er muß sich
darauf verstehen, sie zu behandeln; er muß seine Gefühle
in sich verschließen können, um unvermeidliche Verhältnisse
mit ihnen zu benutzen, oder doch unschädlich zu machen.
Aber das unaufhörliche Treiben in solchen Verbindungen
ist stets gefährlich. Es ist sehr schwer, dabei sein eignes
Gemüth unbefleckt zu erhalten. Die Gewohnheit, seine Empfindungen
zu verläugnen, stumpft sie ab. Man vergißt
am Ende die natürlichsten Gesichtspunkte, die einfachsten
Wahrheiten, und wird durch die Kunstgriffe seines eignen
Verstandes aus seinem wahren Charakter herausgeworfen:
man weiß selbst nicht, wie.
Ein Werk, wie das Buch vom Fürsten, einem großen
Herrn vorzulegen, und es von sich bekannt werden zu lassen,
daß man solche Rathschläge gebe, war ein gewagtes Stück.
Aber Macchiavelli überließ sich der politischen Intrigue mit
vollkommner Zuversicht zu sich selbst. Er glaubte damit
spielen zu können, weil er sich auf seine Kraft des Verstandes,
die Sicherheit seines Urtheils und seine dreiste Entschlossenheit
verließ. Wie manche Menschen, denen Niemand
diese Vorzüge zugestehen wird, möchten ihm dennoch gern
nachahmen! Alle, die sich ihn zum Muster nehmen und mit
einer Geschmeidigkeit des Verstandes, die sie macchiavellisch
nennen, die Schwäche ihres Charakters, ihre Eitelkeit, ihren
Leichtsinn zu beschönigen suchen, mögen sich zur Warnung
dienen lassen, was ihrem angeblichen Vorbilde begegnete,
als der Tod des Herzogs von Urbino Gelegenheit zu neuen
Versuchen für die Herstellung der Republik gab, und einer
derselben endlich gelang. Welchen häßlichen Contrast damit
bildete das Buch vom Fürsten! Der Verfasser hätte das
Meisterstück seiner Feder gern unterdrückt: aber es hatte sogleich,
nachdem er es aus den Händen gegeben, zu viele Bewundrer
gefunden: so verlor er den endlichen Lohn so vieler
gefahrvoller und mit schwerem Leiden verbitterter Unternehmungen,
weil er nicht, einer Partei standhaft ergeben,
mit Beharrlichkeit hatte erwarten mögen, ob das Schicksal
ihr vergönnen würde, das Haupt wieder zu erheben.
Wer unter allen Umständen etwas bedeuten will, jedem
Herrn und zu jedem Zwecke dient, nur damit Er etwas
gelte, verfehlt das Ziel, nach dem er mit allzu großer Begierde
sich übereilt. Aller Aufwand von Verstand und Talenten
ist unzureichend, um eine wirklich große Rolle zu
spielen: dazu gehört ein großer Charakter. Durch die allzu
rege unruhige Eitelkeit wird das schärfste Urtheil irre gemacht,
und die Dreistigkeit im Denken ist oft nur eine Versuchung
mehr, sich verderblichen Anschlägen zu überlassen.
Ueberhaupt hat derjenige, der mit besonnener Mäßigung
nach dem Besitze äußerer Güter strebt, weit mehr Wahrscheinlichkeit
sie zu erhalten, als der, dem sie um keinen
Preis zu theuer sind, und der sie unter jeder Bedingung
besitzen will. Der Eigensinn der rastlosen Begierde erregt
gemeiniglich selbst unüberwindliche Schwierigkeiten. Sogar
die öffentliche Achtung, welche den Gegenstand des edelsten
Triebes ausmacht, darf nicht allzu begierig gesucht werden.
Sie ist von der freien Gesinnung der Menschen, mithin
auch von ihrer Laune abhängig. Sie läßt sich nicht abbringen,
folgt aber freiwillig dem, der sie verdient, ohne
sie zu begehren. Bemerken die Menschen, daß man sich
ängstlich um ihren Beifall bemüht, so widerstrebt ihre Selbstsucht.
Der Neid versteckt sich hinter dem Vorwand, es sei
nur auf die Befriedigung des Ehrgeizes und der Herrschsucht
abgesehen. Wer sich aber nicht in seinen Bemühungen
für Zwecke, die den Beifall der Menschen verdienen, durch
die Begierde nach dem Genusse dieses äußern Lohns irre
machen läßt, und niemals seinem eignen Bewußtsein die
fremde Bewunderung vorzieht, dem wird auch diese letzte
nicht entgehen.
Wenn man das Buch vom Fürsten richtig schätzen will,
so muß man nicht vergessen, daß der Verfasser nirgends
in der Geschichte als Hauptperson erscheint, sondern immer
nur eine untergeordnete Rolle spielt. Es rührt von einem
trefflichen Beobachter her, der in die handelnde Welt mit
eingegriffen hatte, sich aber nicht berufen fühlte, seine Lehren
selbst in Ausübung zu bringen. Die Schriften solcher
Männer, welche die Grundsätze, die sie aufstellen, aus ihren
eignen Handlungen nehmen, haben einen ganz andern Charakter.
Vielleicht ist mehr Wahrheit in den Erzählungen
einfacher Beobachter; denn es hat doch schwerlich jemals ein
Mann, der große Dinge geleistet hatte, von sich selbst geschrieben,
ohne daß sein Wunsch, der Welt etwas anders
zu erscheinen als in seinem eignen Bewußtsein, einigen Einfluß
auf seine Darstellung gehabt hätte. Aber dagegen sprechen
die Empfindungen mit mehr Lebendigkeit in den Werken
derer, die von eignen Handlungen reden. Es ist doch
etwas Andres, zu sagen, was man selbst gethan, oder in
allem Ernste bereit ist zu thun; oder Pläne anzugeben, die
Andre ausführen sollen. Bei diesen Spielen des Verstandes
setzt man sich über Alles weg: sobald man aber selbst handeln
soll, erscheinen die Dinge ganz anders, und alsdann
lassen die Einwendungen des Gewissens sich nicht so abweisen.
Es ist noch immer die Frage: ob Macchiavelli,
wenngleich er nach den Aussagen von Schriftstellern, die
ihm nicht aus politischen Gründen abgeneigt waren, im
Privatleben ein „schlechter Mensch“ gewesen sein soll, das
Alles hätte thun mögen, was er, der wohl wußte, daß er
nicht Fürst werden würde, demjenigen rieth, der danach
strebte.
Es gibt Menschen, bei denen alle Kräfte in den Kopf
treiben; die mit der durchdringendsten Schärfe des Verstandes
Alles durchschauen und zu jedem möglichen Zwecke
die Mittel auf das Treffendste anzugeben wissen: die aber
in der Beurtheilung der Zwecke von ihrer eignen Einbildungskraft
oder von Vorspiegelungen Anderer leicht irre
geführt werden. Solche Männer sind recht gemacht, als
Rathgeber zu glänzen. Man hört sie gern, weil sie nichts
gegen die Absichten einwenden, die die Neigung einflößt und
sich so gut darauf verstehen, diese Zwecke zu erreichen. Aber
sie sind gefährliche Rathgeber. Denn weil die Zweckmäßigkeit
aller Mittel sie weit mehr interessirt, als die Beschaffenheit
der Zwecke selbst, so überlassen sie sich dreist allen
Combinationen des Witzes; und das um so viel mehr,
wenn sie nicht selbst ausführen sollen, was sie ausgedacht
haben. Man findet daher auch bei ihnen mit dem bewunderungswürdigsten
Verstande eine Versatilität in den Grundsätzen
und Absichten, die unbegreiflich scheint, bis man bemerkt,
daß es nicht die Sachen selbst sind, an denen sie
Freude finden; daß es in einem wie im andern Falle nur
das Spiel des Verstandes ist, das sie interessirte. Ist
vollends das Talent des Redners oder Schriftstellers mit
jenen Vorzügen verbunden, so werden leicht die edelsten
Gesinnungen und größten Ideen nur als Mittel angesehen,
Pläne des Augenblicks auszuführen, und nach der Wirkung,
die der Ausdruck derselben auf den Zuhörer oder Leser macht,
geschätzt.
Der Umstand, daß Macchiavelli einen großen Theil der
Achtung seiner Zeitgenossen seinen schriftstellerischen Talenten
verdankte, ist sehr wichtig. Wenn aus dem Bisherigen
klar wird, wie er ein solches Buch hat schreiben können, so
ist noch etwas Unbegreifliches darin, daß er es bekannt gemacht
hat. Derjenige, dem der Rath gegeben wird, sein
Wort zu brechen, und der es eingesteht, daß er diesen Rath
befolgen wird, kann sich schwerlich versprechen, Glauben zu
finden. Das Buch vom Fürsten ist voll solcher Anschläge,
die vereitelt sind, sobald sie bekannt werden. Aber Macchiavelli
konnte sich nicht enthalten, das Lieblingskind seines
Geistes, das Meisterstück seines Scharfsinns und seiner unvergleichlichen
Feder, zur Bewunderung aufzustellen; und
es war der allgemeinen Denkart der Großen so angemessen,
daß selbst diejenigen, für die es zunächst bestimmt war, kein
Arg daraus hatten, es könne ihnen schaden. Es ging also
aus einer Hand in die andere.
Gedruckt ward es indessen erst nach des Verfassers
Tode.Man behauptet zwar, das Buch sei 1515 gedruckt, also nicht
allein bei Lebzeiten des Verfassers, sondern sogar auch des Lorenzo,
dem es dedicirt ist. Allein der Herausgeber einer vollständigen Sammlung
aller Werke des Macchiavelli (Florenz, 1782, in 6 Quartbänden),
behauptet, Niemand habe den angeblichen Druck gesehen; der erste sei
vom Jahre 1532, wo Giunti es mit Privileg des Papstes edirte. Papst Clemens der Siebente, ein Medici, naher
Verwandter des Lorenzo, dem es zugeeignet ist, verstattete
unbedenklich die öffentliche Bekanntmachung durch den Druck;
und eben dies beweist sehr deutlich, wie sehr die darin herrschende
Gesinnung mit der allgemeinen Denkart der Nation
übereinstimmte. Eben so hat Gregor der Dreizehnte kein
Arg daraus gehabt, was seine Billigung der Pariser Bluthochzeit
für eine Wirkung in der christlichen Welt thun würde.
In beiden Fällen sah der päpstliche Hof, der nie zurückgeht,
sich durch die allgemeine Stimme genöthigt, einen öffentlichen
Schritt zu thun, um das Aergerniß zu heben. Als
das Geschrei über Macchiavelli’s Fürsten laut wurde, verdammte
Paul der Vierte das Buch 1559. Der Scandal
dauerte fort, und ward so arg, daß 1592 einem Enkel des
Verfassers, dem Niccolo Macchiavelli, in Gemeinschaft mit
einem Neffen desselben, Giuliano de’ Ricci, der Auftrag
gegeben ward, das Tadelnswürdige aus dem Werke wegzuschaffen.
Da aber Niemand Interesse daran hatte, sie zu
einer Arbeit anzutreiben, deren Absicht durch die Ankündigung
schon erreicht war, so unterblieb sie, und das Buch
ward bis heute unzählige Male unverändert so aufgelegt,
wie es hier folgt.
Das Buch vom Fürsten.
Zueignung
an den Großmächtigen
Lorenzo, Sohn des
Piero,
von Medici.
Ueber die Widmung vgl. Möllenhoff, Macaulay’s kritische Aufsätze,
Bd. 2, Macchiavelli, (Univ.-Bibl. No. 1183) S. 49.
Diejenigen, welche die Gunst eines Fürsten zu erwerben
trachten, pflegen sich ihm mit dem zu nähern, was ihnen
unter Allem, das sie besitzen, das Liebste ist, oder ihm am
meisten zu gefallen scheint: daher ihm so oft Pferde, Waffen,
Teppiche, Edelsteine und andre Zierrathen überreicht
werden, die seiner Größe würdig scheinen. Indem ich mich
Euch, großmächtiger Herr, mit einem Beweise meiner unterthänigen
Ergebenheit zu nahen wünsche, finde ich nichts in
meinem Vorrathe, was mir werther wäre, oder ich höher
schätzte, als die Kenntniß der Handlungen großer Männer,
die ich durch lange Erfahrung der neuern Zeit und unablässiges
Lesen der Alten erworben. Diese habe ich mit großem
Fleiße lange durchdacht und geprüft, und jetzt in ein
kleines Buch zusammengefaßt, welches ich Euch überreiche,
großmächtiger Herr. Und obgleich ich einsehe, daß es nicht
werth sei, vor Euch gebracht zu werden, so hoffe ich doch
von Eurer freundlichen Gemüthsart, es werde gut aufgenommen
werden, in Anbetracht, daß ich kein größeres Geschenk
zu geben vermag, als dieses, welches in den Stand
setzt, in so kurzer Zeit Alles einzusehen, was ich in vielen
Jahren, mit so vielen Gefahren und Mühseligkeiten erlernt
und begriffen habe. Dieses Werk ist von mir nicht geschmückt,
noch mit vielem Wortgepränge oder anderer
Schminke und äußerer Zierde aufgeputzt, wie viele Andre
ihre Werke zu schreiben und zu schmücken pflegen: weil ich
wollte, daß die Sache selbst sich ehre und die Wahrheit des
Inhalts und der Ernst der Ausführung allein das Buch
empfehle. Es werde mir aber nicht als eine Anmaßung
ausgelegt, daß ich, ein Mann von geringem Stande, es
wage, über die Handlungen der Großen zu urtheilen, und
mich erdreiste sie zurecht zu weisen. Denn so wie diejenigen,
welche Landschaften aufnehmen, in die Ebene herabsteigen,
um die Gestalt der Berge und Höhen zu betrachten,
und auf die Berge steigen, um die Thäler zu beobachten,
so erkennen zwar die Großen am besten die Natur des
Volkes; um aber die Fürsten zu kennen, muß man aus
dem Volke sein. Nehmt daher, großmächtiger Herr, dieses
kleine Geschenk, in der Gesinnung, mit welcher ich es überreiche.
Ihr werdet darin einen brennenden Wunsch sehen,
daß Ihr zu der Größe gelangt, zu welcher Euch die Glücksumstände
und andre Eigenschaften bestimmt haben. Wenn
Eure Hoheit aber von Eurem erhabnen Standpunkte auf
die niedern Orte herabsieht, in denen ich mich befinde, so
werdet Ihr erkennen, mit welchem Unrechte ich ein anhaltendes
widriges Schicksal ertragen muß.
1. Verschiedene Arten der Herrschaft, und Wege,
zu ihr zu gelangen.
Alle Staaten und Gewalten, welche Herrschaft über die
Menschen gehabt haben und noch haben, sind Republiken
oder Fürstenthümer. Diese sind entweder ererbt, indem sie
von dem Geschlechte des Herrschers schon lange regiert worden
sind; oder sie sind neu errichtet. Die neuen sind entweder
von Grund aus neu, so wie die Herrschaft des Franz
Sforza zu Mailand; oder sie sind nur als Theile dem erblichen
Staate dessen, der das Land erwirbt, hinzugefügt,
wie z. B. das Königreich Neapel dem Könige von Spanien
gehört. Solche neu erworbene Staaten sind entweder schon
früher an die Herrschaft gewöhnt gewesen, oder die Freiheit
ist in ihnen hergebracht. Sie werden erworben: durch fremde
Gewalt, oder durch eigne Kräfte; durch Glück, oder durch
Tapferkeit.
2. Von den erblichen Fürstenthümern.
Von Republiken will ich nicht reden, weil dies von mir
bereits in einem andern Werke ausführlich geschehen ist.
Ich wende mich zur Alleinherrschaft, und werde nach der
oben angegebenen Ordnung erörtern, wie solche erworben
und behauptet werden kann. Ich sage also, daß in den
erblichen Fürstenthümern, die an die Dynastie ihrer Herren
gewöhnt sind, viel weniger Schwierigkeiten entstehen, sie zu
erhalten und zu behaupten, als bei neuen: weil es nur
darauf ankommt, die Verhältnisse, so wie sie unter den
Vorfahren waren, nicht zu verändern, und bei allen Vorfällen
in die Gelegenheit zu sehen. Ein solcher Fürst wird
sich also stets auf dem Throne erhalten, es sei denn, daß
ganz ungewöhnliche und außerordentliche äußere Gewalt ihn
desselben beraube; und wird er der Herrschaft beraubt, so
vermag er sie wieder zu erlangen, sobald dem, der sie ergriffen
hat, etwas Widriges begegnet. Wir haben in Italien
ein Beispiel an dem Herzoge von Ferrara, der den
Venezianern im Jahre 1484 und darauf dem Papst Julius
dem Zweiten durch nichts Anderes Widerstand geleistet hat,
als durch seine in langer Zeit fest begründete Herrschaft.
Denn der angeborne Fürst hat weniger Veranlassung, und
ist selten in der Nothwendigkeit, zu beleidigen. Er ist daher
mehr beliebt, und es ist natürlich, daß die Seinigen
ihm wohlwollen, wenn er sich nicht durch außerordentliche
Last verhaßt macht. In der Länge der Zeit einer fortgesetzten
Herrschaft wird die Veranlassung und die Erinnerung
der Neuerungen vergessen, wohingegen Eine Neuerung
immer durch sich selbst die Veranlassung zu andern nachfolgenden
zurückläßt.
3. Von vermischten Herrschaften.
Aber die neuen Herrschaften sind ganz andern Schwierigkeiten
unterworfen. Und zwar erstens, wenn nicht das
ganze Reich neu ist, sondern nur ein Theil davon, und es
also ein vermischtes Reich genannt werden könnte, so entstehen
gewaltsame Veränderungen aus natürlicher Schwierigkeit,
welche allen neuen Herrschaften gemein ist, und daher
rührt, daß die Menschen gern ihren Herrn verändern,
in Hoffnung, daß es besser werden könne, und die Waffen
hierauf ergreifen: darin aber irren sie, indem sie bald
erfahren, daß es schlimmer wird. Und das liegt wieder
in der Natur der Dinge: weil der neue Herr seine Unterthanen
mit Soldaten und auf manche andre Art zu bedrücken
genöthigt ist, blos weil die Herrschaft neu ist. Du
wirst also alle diejenigen zu Feinden haben, die du durch
die Eroberung selbst beleidigt hast, ohne diejenigen, durch
deren Hilfe du Herr geworden bist, zu Freunden zu behalten,
weil du sie nicht nach ihren Wünschen befriedigen kannst,
und auch keine kräftigen Heilmittel anwenden darfst, wegen
der Dankbarkeit, die du ihnen schuldig bist. Denn auch
der Mächtigste bedarf der Begünstigung von Einheimischen,
um in das Land einzudringen. Aus dieser Ursache hat
Ludwig der Zwölfte von Frankreich Mailand so geschwind
erobert, und so geschwind wieder verloren. Das erste Mal
war die eigne Kraft des vertriebenen Herzogs Ludwig Sforza
hinreichend, weil das Volk, das jenen eingeführt hatte und
sich in seiner Hoffnung getäuscht fand, den Widerwillen
gegen die neue Herrschaft nicht ertragen mochte. Es ist
wahr, daß so zum zweiten Male eroberte Länder nicht wieder
so leicht verloren gehen, weil der Herr von der Rebellion
Veranlassung nimmt, sich durch strenge Maßregeln
zu sichern, Verbrecher zu strafen, Verdacht aufzuklären, und
an den schwachen Stellen Vorkehrungen zu treffen. Wenn
es, um Mailand den Franzosen zu entreißen, das erste
Mal hinreichend war, daß ein Herzog Ludwig an der Grenze
Rumor anfing, so mußte sich zum zweiten Male die ganze
Welt dagegen vereinigen, um die französischen Heere zu
vernichten oder zu vertreiben. Die Ursachen sind oben angegeben.
Dennoch verlor Frankreich das mailändische Gebiet
zum zweiten Male. Die allgemeinen Veranlassungen
der ersten Begebenheit sind erzählt; es bleibt also noch übrig,
die Ursachen der zweiten zu betrachten, und die Mittel anzugeben,
wie man sich in solcher Lage besser behaupten kann,
als der König von Frankreich gethan hat. Ich sage also,
daß solche Provinzen, welche erobert und mit den alten
Staaten des Eroberers verbunden werden, entweder zu
demselben Lande gehören und dieselbe Sprache reden, oder
nicht. In dem ersten Falle ist es sehr leicht, sie festzuhalten,
vorzüglich, wenn sie nicht an Unabhängigkeit gewöhnt
gewesen sind. Um sie mit Sicherheit zu beherrschen, ist es
hinreichend, die Familie ihrer vorigen Beherrscher auszurotten;
denn weil die Einwohner ihre alten Gewohnheiten
und Verhältnisse beibehalten, auch übrigens gleiche Sitten
mit ihren neuen Mitunterthanen haben, so leben sie ruhig;
wie man es in der Bretagne, Gascogne, Normandie gesehen
hat, welche schon lange mit Frankreich verbunden sind.
Wenngleich zwischen diesen Provinzen und dem übrigen
Frankreich in der Sprache geringer Unterschied ist, so kommen
doch die Sitten überein, und daher vertragen sie sich
leicht mit einander. Wer solche Provinzen erobert hat und
sie behalten will, muß auf zwei Dinge Rücksicht nehmen.
Erstens: die Familie der vorigen Regenten zu verlöschen;
zweitens: die alten Gesetze und Verfassungen nicht abzuändern:
so werden alte und neue Staaten baldmöglichst zu
einem Ganzen zusammenschmelzen. Aber wenn Provinzen
eines Landes erobert werden, das an Sprache, Sitten, Verfassung
verschieden ist, so entstehen Schwierigkeiten, und es
gehört viel Glück und große Bemühung dazu, sie zu behalten.Man denkt jetzt (1879) an Lothringen oder Bosnien!
Eines der kräftigsten Mittel ist, daß der Eroberer
selbst sich hinbegebe, um daselbst seinen Wohnsitz aufzuschlagen.
Dadurch wird der Besitz gesichert und dauerhaft. So
haben es die Türken mit dem griechischen Reiche gemacht,
welches sie trotz aller andern angewandten Bemühungen
nicht hätten behaupten können, wenn sie nicht die Residenz
in Konstantinopel genommen hätten. Denn wenn der Regent
sich selbst da befindet, so sieht er alle Unordnungen
in ihrer Entstehung und kann geschwind abhelfen. Ist er
nicht gegenwärtig, so vernimmt er sie erst, wenn sie schon
sehr angewachsen sind, und keine Hilfe mehr ist. Außerdem
wird das Land nicht von den Beamten des Regenten ausgeplündert:
es beruhigt die Einwohner, zu ihm selbst seine
Zuflucht nehmen zu können. Ist er gut, so wird er geliebt;
wo nicht, so wird er doch gefürchtet. Fremde, die
den Staat angreifen möchten, haben mehr Rücksicht zu nehmen.
So lange der Regent da wohnt, ist es schwer, ihn
dessen zu berauben.
Das zweite vorzügliche Mittel ist, Colonien an einen
oder zwei Orte zu senden, die Schlüssel des Landes sind.
Dies ist nothwendig. Wer es unterläßt, muß wenigstens
hinreichende Kriegsmacht daselbst halten. Die Colonien
kosten dem Fürsten nicht viel. Er besetzt sie ohne vielen
Aufwand und beleidigt nur diejenigen, die von Haus und
Hof vertrieben werden, um neuen Bewohnern Platz zu machen.
Dies ist immer nur der kleinere Theil. Diese Beleidigten
leben zerstreut und sind arm: sie können wenig
schaden, und alle übrigen werden leicht beruhigt, oder sie
fürchten sich, daß es ihnen so ergehen möchte wie Jenen,
wenn sie sich rührten. Wohl zu merken ist, daß die Menschen
entweder zur Ruhe geschmeichelt, oder vernichtet werden
müssen. Denn wegen geringer Beleidigungen rächen sie sich;
wegen großer vermögen sie das nicht. Jede Verletzung muß
also so zugefügt werden, daß keine Rache zu besorgen ist.
Wird statt der Colonien Besatzung gehalten, so kostet das
so viel, daß die Einkünfte des neuen Staats daraufgehen.
Die Eroberung schlägt also zum Schaden aus und verletzt
weit mehr, weil sie den ganzen neuen Staat trifft. Jeder
fühlt die Last der Einquartierung, und Jeder wird Feind;
diese Feinde aber bleiben, wenn sie geschlagen sind, in ihren
eignen Wohnungen. Nach allen Seiten also ist diese
Besatzung schädlich: die Colonien hingegen sind nützlich.
Ferner muß der Herr einer solchen für sich bestehenden abgesonderten
Provinz sich zum Oberhaupte und Beschützer
der schwächern Nachbarn machen, und die Mächtigen unter
ihnen zu schwächen suchen: vor allen Dingen aber verhindern,
daß kein andrer Fremder, der so mächtig wäre als
er selbst, hereindringt. Solche werden immer von Unzufriedenen,
aus Ehrgeiz oder aus Furcht hereingelassen. Man
hat einst gesehen, daß die Römer durch die Aetolier nach
Griechenland gelassen wurden. Eben so sind sie in alle
Länder, in die sie gedrungen, durch die Einwohner hereingerufen.
Es geht damit also zu. Sobald ein Fremder in
einem Lande Fuß faßt, so hängen sich alle Mindermächtigen
in demselben an ihn, aus Neid gegen denjenigen, der im
Lande selbst der Mächtigste war. Gegen jene Mindermächtigen
ist also nur wenig zu thun. Sie sind leicht gewonnen,
und machen gemeinschaftliche Sache mit dem neu eingedrungenen.
Dieser hat nur zu sorgen, daß jene nicht
mächtiger werden; und er kann leicht diejenigen, welche das
Haupt emporheben, niederdrücken, und also selbst die Oberhand
behalten. Wer diese Verhältnisse nicht gut zu regieren
weiß, verliert seine Eroberung, und hat unendliche
Mühe und Verdruß, so lange er sie behält. Die Römer
führten ihre Sache in den eroberten Provinzen sehr gut,
sandten Colonien hin, unterstützten die Schwachen, ohne sie
zu stark werden zu lassen, demüthigten die Mächtigen, und
ließen das Ansehen mächtiger Fremden nicht aufkommen.
Griechenland dient hinlänglich zum Beispiele. Sie hielten
die Achäer und Aetolier aufrecht, sie erniedrigten die Könige
von Macedonien, vertrieben den Antiochus. Achäer
und Aetolier konnten durch alle ihre Verdienste um sie doch
nicht die Erlaubniß auswirken, irgend einen Staat mit
sich zu verbinden; durch alle Schmeicheleien des Philipp
ließen sie sich nicht verleiten, seine Freunde zu sein, ohne
ihn niederzuhalten; Antiochus konnte mit aller seiner Macht
nicht bewirken, daß sie ihm zugestanden hätten, in Griechenland
festen Fuß zu fassen. Die Römer thaten in diesen
Fällen, was alle vorsichtigen Regenten thun müssen, welche
nicht allein auf die gegenwärtigen, sondern auch auf die
künftigen Unruhen achten und diesen begegnen. Was man
von ferne kommen sieht, dem ist leicht abzuhelfen; wenn
man aber wartet, bis das Uebel da ist, so kommt die Arznei
zu spät,Erinnerung an Ovids (Remed. Am. 91) Vers:
Principiis obsta, sero medicina paratur. und es geht, wie die Aerzte von der Lungensucht
sagen: daß sie zu Anfang leicht zu heilen, aber
schwer zu erkennen; wenn sie aber im Anfange verkannt
worden, in der Folge leicht zu erkennen und schwer zu
heilen sei. Eben so geht es dem Staate. Auch in ihm
sind die Uebel, die man von fern erkennt, (das vermag aber
nur der, welcher Verstand hat) leicht und geschwind geheilt;
hat man sie aber so weit anwachsen lassen, daß Jeder
sie erkennt, so ist kein Mittel mehr dagegen zu finden.
Die Römer also sahen die Verlegenheiten, ehe sie entstanden,
von ferne, und ließen sie nicht näher kommen, um
einen Krieg für den Augenblick zu vermeiden. Denn sie
wußten, daß man einem Kriege nicht so entgeht, wol aber
nur zum Vortheile des Gegners aufschiebt. Sie beschlossen
also mit Philipp und Antiochus in Griechenland Krieg zu
führen, um ihn nicht in Italien selbst bestehen zu müssen.
Sie konnten ihn zu der Zeit wohl vermeiden; aber es gefiel
ihnen nicht, was die Weisen unsrer Zeit im Munde
führen: Zeit gewonnen, Alles gewonnen. Sie verließen sich
vielmehr auf ihre Tapferkeit und Klugheit. Denn die Zeit
treibt Alles vor sich her, Gutes wie Schlimmes; Schlimmes
führt sie aber auch eben so leicht herbei als Gutes.
Jetzt wende ich mich zu Frankreich und will untersuchen,
ob es eine ähnliche Politik beobachtet habe, und zwar rede
ich von Ludwig dem Zwölften, und nicht von Karl dem
Achten, weil jener sich länger in Italien gehalten hat, und
der Gang seiner Unternehmungen daher klarer vor Augen
liegt. Wir werden also sehen, wie er das Gegentheil von
Allem gethan hat, was geschehen muß, um in einem fremden
Lande Provinzen zu behaupten. Ludwig der Zwölfte
ward in Italien durch den Ehrgeiz der Venezianer eingeführt,
welche die Hälfte von Mailand dadurch zu erwerben
hofften. Ich will diese seine Unternehmung nicht tadeln;
denn da er einmal in Italien Fuß fassen wollte, und wegen
des Betragens seines Vorfahren, Karl des Achten, keine
Freunde in diesem Lande hatte, so mußte er wol die Verbindungen
knüpfen, die sich anboten: und die Sache wäre
auch gelungen, wenn er keinen anderweiten Fehler gemacht
hätte. So wie der König die Lombardei eroberte, ward
der Ruf, den Karl verloren hatte, bald wieder gewonnen;
Genua fiel, und die Florentiner traten auf seine Seite.
Alles kam ihm entgegen, der Marchese von Mantua, der
Herzog von Ferrara, Bentivoglio (welcher Bologna inne
hatte), die Dame von Forli, die Herren von Faenza, von
Pesaro, von Rimini, von Camerino, von Piombino, die
Republiken Lucca, Pisa, Siena, Alles bewarb sich um seine
Freundschaft. Und nun konnten die Venezianer schon einsehen,
wie unüberlegt sie gehandelt hatten, als sie, um selbst
zwei Städte zu erlangen, ihn zum Herrn von zwei Dritttheilen
von ganz Italien gemacht hatten. Jeder kann sehen,
wie leicht es dem Könige gewesen wäre, sein Ansehen in
Italien zu behaupten, wenn er die erwähnten Grundsätze
befolgt, und dem großen Haufen seiner Freunde durch seinen
Schutz Sicherheit gewährt hätte. Die große Zahl derselben
mußte ihm wol anhängen, denn sie waren insgesammt
schwach und fürchteten, einige den heiligen Stuhl,
andere die Venezianer; durch sie aber konnte er wieder Alles,
was noch groß und mächtig im Lande war, im Zaume
halten. Kaum aber war er Herr von Mailand, so that er
das Gegentheil, indem er dem Papst Alexander dem Sechsten
zur Herrschaft in der Provinz Romagna verhalf. Er
bemerkte nicht, daß er durch diese Entschließung sich selbst
Freunde und Anhänger nahm, und den Papst erhob, da
er diesem zu seinem so kräftigen geistlichen Ansehen noch so
viel weltliche Macht gab. Dieser erste Fehler zog andere
nach sich, so daß er am Ende selbst nach Italien kommen
mußte, um der Macht Alexanders Grenzen zu setzen, und
zu verhüten, daß dieser nicht Herr von Toscana werde.
Nicht genug, daß er den Papst auf seine eignen Unkosten
groß gemacht; aus Begierde, das Königreich Neapel zu erlangen,
theilte er es mit dem Könige von Spanien. Das
Schicksal von Italien war bis dahin ausschließlich in seinen
Händen. Hiermit aber gab er sich selbst einen Genossen,
an den Alle, die mit ihm unzufrieden waren, sich wenden
konnten. Statt in jenem Reiche einen König zu lassen, der
von ihm abhängig gewesen wäre, zog er einen hinein, der
ihn selbst daraus vertreiben konnte. Sie ist in der That
eine natürliche und gewöhnliche Sache, die Begierde zu Eroberungen:
und die Menschen werden immer gelobt und
nicht getadelt, die so etwas unternehmen, wenn sie es ausführen;
wenn sie das aber nicht vermögen und doch unternehmen,
es koste was es wolle: da liegt der Fehler, und
darüber werden sie getadelt. Konnte Frankreich Neapel
mit eignen Kräften angreifen, so mochte es dies thun: konnte
es das nicht, so mußte es das Land nicht theilen. Und
wenn die Theilung der Lombardei mit den Venezianern
zu billigen war, weil man dieser Maßregel den Eingang
in Italien verdankte, so verdient jene zweite Theilung Tadel,
weil sie nicht nothwendig war. Ludwig beging also
fünf Fehler. Er vernichtete die Mindermächtigen; vermehrte
die Macht eines Mächtigen; rief einen sehr mächtigen Fremden
herein; schlug selbst seinen Wohnsitz nicht im Lande auf
und führte keine Colonien ein. Bei seinem eignen Leben
hätten trotzdem diese fünf Fehler nicht geschadet, wenn nicht
der sechste hinzugekommen wäre, die Venezianer herunterzubringen.
Hätte er nicht den päpstlichen Stuhl so mächtig
gemacht, und die Spanier nicht hereingerufen, so war es
vernünftig und nothwendig, die Venezianer zu erniedrigen.
Aber nachdem in jenes Erstere eingewilligt worden, durfte
das Letztere nicht geschehen; denn so lange die Venezianer
mächtig waren, hätten sie immer die Andern abgehalten,
die Lombardei anzufallen. Sie hätten darin nie unter
andrer Bedingung eingewilligt, als daß das Land ihnen selbst
überliefert würde; die Andern hätten es aber nie den Franzosen
nehmen mögen, um es den Venezianern zu geben, und
beide zugleich zu bekriegen, hätte man nicht gewagt. Wendet
man ein, König Ludwig habe dem Papst Alexander die
Romagna, und Neapel den Spaniern zugestanden, um einen
Krieg zu vermeiden, so antwortete ich: man muß aus den
Gründen, die oben bereits angegeben wurden, niemals ein
übles Verhältniß einreißen lassen, um einen Krieg zu vermeiden;
denn er wird gar nicht vermieden, sondern nur
zu deinem Nachtheile aufgeschoben. Sollte man mir aber
etwa das Wort entgegensetzen, das der König dem Papste
gegeben hatte, daß er ihm die Unternehmung auf die Romagna
verstatten wolle, zum Lohne für die Einwilligung
in Ludwigs Ehescheidung und für den erbetenen Cardinalshut
des Erzbischofs von Rouen, so berufe ich mich auf das,
was ich hiernächst über Treu und Glauben der Fürsten sagen
werde, und über die Art, wie sie Wort halten müssen.
König Ludwig hat also die Lombardei verloren, weil er
nichts vom Allem beobachtet hat, wodurch Andere Länder
erobert und behalten haben. Und so ist es gar nicht zu
verwundern, sondern vielmehr sehr begreiflich und natürlich.
Ich sprach darüber zu Nantes mit dem Cardinal d’Amboise,
Erzbischof von Rouen, als der Herzog von Valentinois (wie
der Cäsar Borgia, Sohn des Papstes Alexanders des Sechsten,
gewöhnlich genannt zu werden pflegte), sich zum Herrn
von der Romagna machte. Der Cardinal warf mir vor,
die Italiener verständen sich nicht auf den Krieg. Ich erwiderte
ihm aber, die Franzosen verständen sich nicht auf
die Politik: sonst würden sie den heiligen Stuhl nicht so
mächtig werden lassen. Die Erfahrung hat es bewiesen.
Frankreich hat den Papst und die Spanier in Italien groß
gemacht, und hat es selbst darüber verloren. Hieraus ist
eine allgemeine Regel zu ziehen, die niemals oder doch selten
trügt: Derjenige, der einen Andern groß macht, geht
selbst zu Grunde. Denn es kann von ihm nur durch zwei
Dinge bewerkstelligt werden: durch kluge Bemühung, oder
durch Gewalt, und beides ist dem, der mächtig geworden
ist, verdächtig.
4. Warum das Reich des Darius nach Alexanders
Tode gegen seine Nachfolger nicht aufstand?
Wenn man die Schwierigkeiten erwägt, welche es hat,
eine neu errungene Herrschaft zu behaupten, so könnte man
sich wundern, wie es zugegangen, daß das ganze von Alexander
dem Großen innerhalb weniger Jahre eroberte asiatische
Reich, welches er kaum in Besitz genommen, als er starb,
und wovon man deswegen hätte glauben sollen, daß es
gegen seine Nachfolger aufstehen werde, von diesen dennoch
behauptet wurde, ohne alle andern Schwierigkeiten, als die,
welche ihre eignen Uneinigkeiten erzeugten. Ich antworte
darauf, daß alle Herrschaften, von denen man Kunde hat,
auf zweierlei Weise regiert worden sind. Entweder durch
einen Herrn, der sich nur solcher Diener bediente, die vermöge
der ihnen aus Gnaden verliehenen Gewalt, blos als
Werkzeuge, zu der Verwaltung mitwirkten; oder durch einen
Herrn und kleinen Fürsten, die ihre Stellen nicht der Gnade
des Herrn, sondern ihrer eignen Abkunft verdankten. Solche
hohe Beamten haben eigne Länder und Untertanen, von
denen sie als Herrn anerkannt werden, und die ihnen anhängen.
Die Regenten, welche blos mittelst ihrer bestellten
Beamten regieren, haben weit größeres Ansehn, weil Niemand
im ganzen Lande ist, der nicht dieses Ansehn anerkennt:
und wenn er einem Andern gehorcht, so ist es nur
als dem Stellvertreter und Diener des Oberherrn. Solchen
Personen sind aber die Unterthanen nicht sonderlich
zugethan. Beispiele von beiden Arten von Regierungsform
geben die Türken und die Franzosen. Das ganze türkische
Reich wird von einem Monarchen regiert: die andern sind
seine Diener. Es ist in Bezirke getheilt, die von einzelnen
Personen verwaltet werden, welche der Sultan nach Willkür
ein- und absetzt. Der König von Frankreich hingegen
ist von einer großen Zahl von alten Fürstenhäusern umgeben,
deren Herrschaft von ihren Unterthanen anerkannt
und geliebt wird. Diese Fürsten haben Vorrechte, die der
König nicht ohne Gefahr antasten kann. Wer diese beiden
Regierungsformen betrachtet, wird finden, daß es schwer
ist, das türkische Reich zu erobern: sobald es aber erobert
wäre, würde es leicht sein, es zu behaupten. Die Schwierigkeiten
der Eroberung sind folgende. Der Eroberer kann
nicht durch inländische Fürsten hereingerufen werden, und
darf nicht auf Unterstützung von Rebellen hoffen, aus oben
angeführten Gründen. Da sie alle Knechte sind, so ist es
schwer, sie zu bestechen, und wenn sie bestochen wären, so
würde es wenig helfen, weil sie aus den angegebnen Ursachen
nicht im Stande sind, das Volk mit in ihr Interesse
zu ziehen. Wer also die Türken angreift, muß erwarten,
sie einig zu finden, und darf nur auf seine eignen Kräfte
rechnen, wenig auf die Uneinigkeit des Gegners. Wenn
der Feind aber überwunden ist, so daß er keine Armee wieder
aufzustellen vermag, so ist nichts mehr zu fürchten, als
die regierende Familie, nach deren Untergange kein Mensch
mehr Ansehn genug im Volke hat, mit Erfolg aufstehen
zu können. So wie der Sieger vor dem Siege auf Niemand
hoffen konnte, so hat er nach demselben Niemand
mehr zu fürchten. Das Gegentheil findet statt bei Reichen,
die so regiert werden, wie Frankreich, in die es leicht ist
einzudringen, sobald man einen von den hohen Reichsbeamten
gewonnen hat, unter denen sich immer Unzufriedne
und Neuerungssüchtige finden. Diese vermögen es, aus
oben angeführten Ursachen, den Weg ins Land zu öffnen,
und den Sieg zu erleichtern. Nachdem aber hat es unendliche
Schwierigkeiten, sich darin fest zu setzen: sowol mit
denen, die Beistand geleistet haben, als mit den Ueberwundenen.
Es ist alsdann nicht genug, das regierende Haus
zu vertilgen: denn die Reichsherren bleiben übrig, die sich
zu Häuptern aufwerfen, und das Land dem Eroberer bei
erster Gelegenheit entreißen, wenn er sie weder zu vertilgen,
noch zufrieden zu stellen weiß. Wenn man nun
erwägt, von welcher Beschaffenheit das persische Reich war,
so wird man viele Aehnlichkeit mit dem heutigen türkischen
finden. Alexander brauchte also nur Schlachten zu gewinnen,
und sobald Darius todt war, behielt der Sieger das
Reich mit vollkommner Sicherheit. Auch seine Nachfolger
hätten es in völliger Ruhe behalten können, und es entstanden
in dem weiten Lande keine andern Unruhen, als
die sie selbst durch ihre Uneinigkeiten erregten. Aber Länder,
die solche Verfassung haben, wie Frankreich, kann man
nicht so ruhig besitzen. In Spanien, in Frankreich, in Griechenland
entstanden unaufhörliche Empörungen gegen die
Römer, wegen der vielen einheimischen Fürsten. So lange
das Angedenken an diese währte, blieb der Besitz ungewiß.
Nachdem dieses aber erloschen war, erhielten sich die Römer
durch ihre Macht und die Länge der Zeit in ruhigem
Besitze. In der Folge, als die Römer unter sich selbst zerfielen,
vermochte sogar jeder von ihnen einen Theil der
Provinzen, nach Maßgabe des darin erlangten Ansehns, in
sein Interesse zu ziehen, weil sie ihre eignen Fürsten ganz
verloren hatten und keine andre Oberherrschaft anerkannten,
als römische. Erwägt man dies Alles, so wird sich
Niemand wundern, daß es Alexander so leicht wurde, Asien
in Unterwürfigkeit zu halten, dagegen Andre, wie z. B.
Pyrrhus, so viele Schwierigkeiten fanden, ihre Eroberungen
zu behaupten. Der Grund liegt nicht sowol in der Heldenkraft
des Eroberers, als in der verschiedenen Beschaffenheit
der Eroberungen.
5. Wie Städte oder Fürstenthümer zu behandeln
sind, die vor der Eroberung ihre eigne
Verfassung hatten.
Wenn Staaten, welche erobert worden, wie wir angenommen
haben, gewohnt gewesen sind, nach eignen Gesetzen
und in Unabhängigkeit zu leben, so gibt es drei Wege, sie
zu behandeln. Der erste ist, sie zu Grunde zu richten; der
zweite, daß der Fürst seinen Wohnsitz daselbst aufschlage;
der dritte, sie unter ihren eignen Gesetzen fortleben zu lassen,
sich mit einer jährlichen Steuer zu begnügen, und die
Regierung einer Oligarchie zu übergeben, vermittelst deren
das Land in Unterwürfigkeit erhalten werde. Denn eine
solche Regierung weiß wohl, daß sie sich nicht ohne Unterstützung
ihres Schöpfers halten kann, und muß Alles thun,
um ihm die Herrschaft zu sichern. Eine Stadt, die gewohnt
gewesen ist, frei zu leben, wird am leichtesten durch ihre
eignen Bürger im Gehorsam erhalten. Als Beispiele können
hier die Spartaner und die Römer dienen. Die Spartaner
hatten Athen und Theben inne, übergaben die Herrschaft
derselben einigen Wenigen, und verloren ihre Eroberung
trotzdem. Die Römer zerstörten Capua, Carthago,
Numantia, und behaupteten sich daselbst. Sie versuchten
es, Griechenland so zu beherrschen, wie die Spartaner es
gemacht hatten, indem sie die Freiheit proclamirten und die
einheimischen Gesetze bestehen ließen – und es mißlang;
so daß sie gezwungen wurden, viele Städte im Lande zu
zerstören, um die Herrschaft in demselben zu behaupten.
Denn es gibt in der That kein sicheres Mittel dazu, als
zu zerstören. Und wer sich zum Herrn einer Stadt macht,
die gewohnt gewesen ist, in Freiheit zu leben, und sie nicht
ganz auflöst, mag nur erwarten, selbst von ihr zu Grunde
gerichtet zu werden. Denn der Name der Freiheit dient
immer zum Vorwande des Aufstandes, und die alte Staatsverfassung
wird weder über der Länge der Zeit noch über
Wohlthaten vergessen. Was man aber auch immer für
Vorkehrungen treffen mag, so kommen, wenn die Einwohner
nicht getrennt und zerstreut werden, immer der alte
Name und die alte Verfassung wieder zum Vorschein, so
wie in Pisa nach so langen Jahren, die es unter der Herrschaft
von Florenz gestanden hatte. Sind aber Städte
oder Länder gewohnt gewesen, unter einem Fürsten zu leben,
und dieser ist ihnen genommen und sein Geschlecht
verlöscht; sind sie also gewohnt einen Fürsten zu haben,
und haben doch keinen alten, so vertragen sie sich nicht
darin, Einen aus ihrer Mitte zu erheben; frei leben aber
können sie gar nicht. Sie ergreifen also die Waffen nicht
so leicht, und ein Fürst bemächtigt sich ihrer ohne Mühe,
und behält sie auch leicht im Gehorsam. Aber die Republiken
bergen mehr Haß und das Andenken an die verlorne
Freiheit. Man zerstört sie also am sichersten oder man
wählt sie zur Residenz.
6. Von neuen Herrschaften, die durch eigne
Waffen und Tapferkeit errungen werden.
Niemand wundre sich, wenn ich bei Allem, was ich von
ganz neuen Herrschaften und von Regenten und Staaten
überhaupt sagen werde, große Beispiele anführe. Denn da
die Menschen fast immer in gebahnten Wegen gehen, und
in ihren Handlungen Andre nachahmen, so muß bei allem
Unvermögen, denen gleich zu kommen, die man nachahmt,
ein Mann von Geist doch immer sich die edelsten Muster
vorsetzen, damit er wenigstens, wenn seine Tugenden gleich
das Ziel nicht erreichen, doch einigen Wohlgeruch von sich
gebe; er muß es machen, wie kluge Schützen, die erkennen,
daß das Ziel zu weit entfernt und der Bogen zu schwach
sei, und deswegen die Richtung höher nehmen: nicht um
durch Anstrengung bis dahin zu gelangen, sondern um dadurch
das Ziel wenigstens zu erreichen. Ich sage also, daß
ein neuer Fürst mehr oder weniger Schwierigkeit findet,
sich in der Herrschaft zu behaupten, je nachdem er mehr oder
weniger Geisteskräfte besitzt. Und da sowol Tapferkeit als
Glück einen Privatmann auf den Fürstenstuhl erhebt, so
können auch die Schwierigkeiten in der Behauptung der
neuen Würde auf beiderlei Art vermieden oder vermindert
werden. Oft hat der sich am längsten erhalten, der doch
das wenigste Glück hatte. Es wird das Geschäft auch oft
dadurch erleichtert, wenn der gänzliche Mangel andrer
Staaten den Fürsten nöthigt, in seinem neuen Gebiete zu
wohnen. Aber um auf die zu kommen, welche durch eigne
Tapferkeit mehr als durch Glück auf einen Thron erhoben
sind, so sage ich, daß Moses, Cyrus, Romulus, Theseus
und ähnliche die vorzüglichsten gewesen sind. Von Moses
ist hier nicht viel zu sagen, weil er nur ausführte, was
ihm von Gott aufgetragen war, und er also nur deswegen
bewundert zu werden verdient, weil Gott ihn seiner Aufträge
würdigte. Wenn wir aber den Cyrus und Andere,
die neue Herrschaften gegründet haben, betrachten, so finden
wir sie selbst wirklich bewunderungswerth: auch sind sie wenig
in ihrer Handlungsweise von Moses verschieden, dem
göttliche Belehrung zu Statten kam. Wenn man ihr Leben
und ihre Handlungen untersucht, so finden wir, daß sie
dem Glücke wenig mehr als die Gelegenheit verdankten,
das auszuführen, was sie ausgedacht hatten. Wenn die
Gelegenheit gefehlt hätte, so wäre die Kraft ihres Geistes
verhaucht: hätte es aber an dieser gefehlt, so wäre die Gelegenheit
vergeblich dagewesen. So mußte Moses das
israelitische Volk in egyptischer Sklaverei finden, damit es
bereit sei, ihm zu folgen. Romulus mußte ausgesetzt werden,
um den Gedanken zu fassen, Rom zu gründen und
König zu werden. Cyrus mußte die Perser mit der medischen
Herrschaft unzufrieden, und die Meder durch den
langen Frieden weichlich und weibisch finden. Theseus
konnte seinen Geist nicht beweisen, wenn er die Athenienser
nicht zerstreut vorfand. Diese Gelegenheiten haben jene
großen Männer glücklich gemacht: durch die Größe ihres
Geistes aber erkannten sie die Gelegenheit, und dadurch
ward ihr Vaterland glücklich und berühmt. Diejenigen,
welche durch ähnliche Kraft Fürsten werden, haben Schwierigkeiten
zu überwinden, um die Herrschaft zu erlangen:
behaupten sie aber sehr leicht. Die Schwierigkeiten, die sie
zu überwinden haben, entstehen zum Theil von den neuen
Einrichtungen, die sie genöthigt sind einzuführen, um die
neue Verfassung und ihre eigne Sicherheit zu begründen.
Dabei muß man erwägen, daß es gar keine Sache von größerer
Schwierigkeit und von zweifelhafterem Erfolge gibt,
als sich zum Haupte einer neuen Staatsverfassung aufzuwerfen.
Denn Alle die, welche sich in der alten Ordnung
der Dinge wohl befanden, sind der neuen feindlich; und
diese hat nur laue Verteidiger an denen, welche dabei zu
gewinnen hoffen: theils, wegen der Furcht vor den Gegnern,
welche die Gesetze für sich haben; theils, weil die
Menschen von Natur mißtrauisch sind, und an eine neue
Sache nicht glauben, bis sie sie wirklich klar vor sich sehen.
Daher kommt es, daß diejenigen, die der neuen Ordnung
feindlich sind, sie bei jeder Gelegenheit theilweise angreifen,
die Freunde derselben sie aber mit solcher Lauheit vertheidigen,
daß das Oberhaupt sammt ihnen in Gefahr gerathen
kann. Um hier ein richtiges Urtheil zu fällen, muß man
wohl untersuchen, ob die Neuerer auf eignen Füßen stehen,
oder von Andern abhängen; ob sie mithin ihr Unternehmen
mittelst guter Worte oder durch Gewalt durchsetzen können.
Im ersten Falle geht es ihnen stets schlecht, und sie gelangen
zu nichts. Wenn sie aber auf eignen Füßen stehen und
durch eigne Kräfte mit Gewalt durchsetzen können, so mißlingt
es selten. Daher haben alle bewaffneten Propheten
den Sieg davongetragen; die unbewaffneten aber sind zu
Grunde gegangen; denn zu jenen Ursachen kommt noch
der Wankelmuth des Volks hinzu, welches sich leicht etwas
einreden läßt, aber sehr schwer dabei festzuhalten ist. Und
der Plan muß so angelegt sein, daß, wenn sie aufhören zu
glauben, man sie mit Gewalt dazu anhalten kann. Moses,
Cyrus, Theseus, Romulus hätten ihre Anordnungen nicht
lange aufrecht erhalten können, wenn sie nicht Gewalt der
Waffen hätten gebrauchen können; so wie es zu unsern
Zeiten dem Fra Girolamo Savonarola gegangen ist, der
mit sammt seiner neuen Staatsverfassung zu Grunde ging,
als das Volk aufhörte ihm zu glauben, und er keine Mittel
hatte, seine Jünger beim Glauben festzuhalten, und die Ungläubigen
zu überführen. Solche haben daher große Schwierigkeiten
zu überwinden, und müssen dies Abenteuer durch
ihre eigne Tapferkeit bestehen. Sobald sie aber gesiegt haben
und anfangen hohes Ansehn zu erlangen, ihre Neider
daneben aus dem Wege geschafft sind, so bleiben sie mächtig,
sicher, geehrt und glücklich. So großen Beispielen will
ich noch eins hinzufügen, das zwar geringer ist, aber doch
damit verglichen werden kann, und statt aller andern ähnlichen
dienen soll. Dies sei Hiero von Syracus. Er ward
aus einem Privatmann Fürst von Syracus, und das Glück
hatte keinen weitern Antheil daran, als daß es die Gelegenheit
herbeiführte: denn die Syracusaner, welche unterdrückt
waren, wählten ihn zu ihrem Anführer, und in dieser
Stelle erwarb er sich durch Verdienste die fürstliche Würde.
Seine Eigenschaften waren so edel, daß von ihm erzählt
wird, es habe schon als Privatmann ihm nichts zum Herrschen
gefehlt, als die wirkliche Herrschaft selbst. Er löste
die alte Armee auf und schuf eine neue; verließ seine alten
Verbindungen und knüpfte neue an. Zahlreiche Freunde
und Krieger hingen ihm an, mit deren Hilfe er jede Verfassung
einrichten konnte: also, daß er zwar viele Mühe
hatte aufwenden müssen, um zu erwerben, aber nur wenig,
um das Erworbene zu behaupten.
7. Von neuen Fürstenthümern, die durch fremde
Unterstützung und durch Glücksfälle erworben
werden.
Diejenigen, welche durch bloßes Glück Fürsten werden,
gelangen dazu ohne sonderliche Mühe; aber sich auf dem
Throne zu erhalten, wird ihnen schwer. Auf dem Wege
fanden sie keine Schwierigkeiten; denn sie wurden hinaufgehoben:
aber wenn sie oben sind, so beginnen jene. Dieses
trifft diejenigen, welche für Geld oder durch die Gnade
eines Andern Fürsten geworden sind: zum Beispiel manche
Griechen sind vom Darius zu Fürsten in Ionien und am
Hellespont gemacht, damit sie seine Sicherheit und sein Ansehn
beförderten. So auch sind viele Kaiser durch Bestechung
der Soldaten zu ihrer Würde gelangt. Diese hängen
lediglich vom guten Willen und dem Schicksale derer
ab, welchen sie ihre Erhebung verdanken; Beides aber gehört
zu den wandelbarsten Dingen auf Erden. Sie verstehen
sich nicht darauf, und sie vermögen es auch nicht,
sich auf einer solchen Stelle zu erhalten; denn wenn es
nicht etwa ein Mann von großem Geiste und Kraft ist, so
kann man nicht voraussetzen, daß derjenige, der immer im
Privatstande gelebt hat, zu befehlen wisse: sie vermögen es
auch nicht, weil sie keine Mannschaft haben, die ihnen ergeben
und treu wäre. Ferner können plötzlich entstandene
Herrschaften, gleichwie Alles, was geschwind entsteht und
wächst, keine tiefen Wurzeln schlagen; mithin reißt der erste
Sturm sie aus: es sei denn, daß derjenige, den das Glück
erhoben hat, so viel Verstand und Talent habe, das, was
ihm der Zufall in den Schooß geworfen hat, zu bewahren,
und die Unterlage nachzuholen, die Andre sich angeschafft
haben, ehe sie Fürsten wurden. Von jeder der beiden angegebenen
Arten dazu zu gelangen, will ich je ein Beispiel
aus der Geschichte unsrer Tage anführen. Diese sind Francesco
Sforza und Cäsar Borgia. Der Erste ward
durch große Tapferkeit und überlegte Anwendung der gehörigen
Mittel Herzog von Mailand. Was er mit vieler
Mühe erworben hatte, ward ihm durch die Umstände leicht
zu bewahren. Der Andre, Cäsar Borgia, (insgemein Herzog
von Valentinois genannt), gelangte zu seiner hohen
Stelle durch den Glücksstern seines Vaters, und verlor sie
zugleich mit diesem, trotzdem er alle mögliche Bemühung
anwandte und Alles that, was ein kluger und muthiger
Mann zu thun hat, um in dem Staate, den er durch die
Waffen und das Glück eines Andern erhalten hatte, feste
Wurzeln zu treiben. Denn wie schon gesagt ist, wer nicht
damit angefangen hat, Grund zu legen, kann es allenfalls
durch große Anstrengung nachholen, allemal aber doch mit
Gefahr des Baumeisters und des Gebäudes. Bei der Betrachtung
aller Fortschritte des Herzogs wird man finden,
wie viel er gethan, um zu seiner künftigen Größe festen
Grund zu legen. Ich halte es nicht überflüssig, dieses ausführlich
darzuthun, weil ich einem neuen Fürsten keinen
bessern Rath zu geben weiß, als seinem Beispiele zu folgen:
und wenn seine Anstalten den Zweck dennoch verfehlten,
so lag die Schuld nicht an ihm, sondern an einem
ganz außerordentlichen und höchst widerwärtigen Schicksale.
Alexander der Sechste fand große Schwierigkeiten in
dem Plane, seinen Sohn zu erheben: und das sowol in
der Gegenwart als in der Zukunft. Vor Allem sah er
gar keinen Weg, ihm zu andern Besitzungen zu verhelfen,
als zu solchen, die im Kirchenstaate lagen. Er wußte aber
wohl, daß der Herzog von Mailand und die Venezianer
das nicht verstatten würden, weil Faenza und Rimino
schon unter venezianischem Schutze waren. Außerdem sah
er, daß die italienischen Waffen, besonders diejenigen, deren
er sich bedienen konnte, denen anhingen, welche die Größe
des päpstlichen Stuhls fürchteten. Sie waren sämmtlich
den Orsini und den Colonna ergeben, und mithin war
ihnen nicht zu trauen. Es war also nothwendig, diese
Verhältnisse zu stören, und in den Staaten von Italien
Alles aufzurühren, um sich eines Theils derselben zu bemächtigen.
Dies ward ihm leicht, weil die Venezianer aus
andern Ursachen damit beschäftigt waren, die Franzosen
wieder in Italien hereinzuziehen. Alexander widersetzte sich
diesem also nicht, sondern begünstigte es vielmehr durch die
Einwilligung, welche er zu der Ehescheidung des Königs
Ludwig des Zwölften ertheilte. Dieser brach hierauf in
Italien ein mit Zustimmung der Venezianer und des Papstes:
und kaum war er in Mailand, so hatte Alexander
auch schon wegen des großen Rufs der französischen Macht
hinreichende Mannschaft, um seine Unternehmung auf Romagna
zu beginnen. Als er diese Provinz erobert und die
Partei der Colonna geschlagen hatte, und nunmehro diese
Eroberung sichern und weiter gehen wollte, standen ihm
zwei Dinge im Wege. Erstens die unzuverlässige Treue
seiner Soldaten; zweitens die Gesinnungen des Königs von
Frankreich. Er fürchtete, daß die Truppen der Orsini, deren
er sich bedient hatte, von ihm abfallen, und nicht allein an
weitern Eroberungen verhindern, sondern auch die gemachten
wieder entreißen möchten. Vom Könige fürchtete er
das Nämliche. Mit den Orsini hatte er es ganz recht errathen:
wie sich bewies, als er nach der Eroberung von
Faenza Anstalt machte, Bologna zu belagern, und sie dabei
so schlaff zu Werke gingen. In Ansehung des Königs
ward die Sache klar, als er nach der Besetzung des Herzogthums
Urbino Toscana angriff, und der König ihn nöthigte,
von dieser Unternehmung abzustehen. Hierauf beschloß
der Herzog, sich nicht weiter in Abhängigkeit von
fremdem Glücke und fremden Waffen zu setzen. Er fing
also damit an, die Parteien der Orsini und Colonna in
Rom zu schwächen, indem er alle Edelleute, die ihnen anhingen,
zu sich überzog, durch Stellen, Geld und Ehre,
welches Alles er ihnen gab. In wenig Monaten war die
Zuneigung zu ihren vorigen Anführern verlöscht und hatte
sich ganz zu dem Herzoge gewandt. Hierauf sah er die
Gelegenheit ab, die Orsini zu vernichten, so wie er schon
die Colonna auseinander gesprengt hatte: und das ging
ihm noch besser von statten. Die Orsini hatten sehr spät
gemerkt, daß die Größe des Herzogs und des päpstlichen
Stuhls ihnen den Untergang bereite, und sie kamen darüber
zu Magione im Perusinischen zusammen. Hieraus
entstanden die Rebellion von Urbino, die Aufstände in Romagna
und unzählige Gefahren des Herzogs, die er mit
Hilfe der Franzosen überstand. Als er aber dadurch wieder
zu Ehren gelangt war und den Franzosen nicht traute,
andern fremden Truppen eben so wenig, sie auch nicht auf
die Probe stellen konnte, so legte er sich darauf, sie zu hintergehen,
und wußte sich wirklich so zu verstellen, daß die
Orsini sich mit ihm durch Vermittlung des Herrn Pagolo
Orsini versöhnten. Er versäumte hierauf nichts, um sie zu
gewinnen, beschenkte sie mit Kleidern, Geld und Pferden,
bis sie sich einfältigerweise nach Sinigaglia in seine Hände
locken ließen. Als er hier die Oberhäupter aus dem Wege
geschafft und ihre Anhänger unterwürfig gemacht hatte, so
war ein guter Grund zur Herrschaft gelegt, indem er ganz
Romagna und das Herzogthum Urbino in seine Botmäßigkeit
gebracht, und die Völker anfingen, sich darunter wohl
zu befinden. Dieser Theil seines Betragens ist vorzüglich
würdig, beachtet und nachgeahmt zu werden: daher ich mich
darüber etwas verbreiten muß. Nachdem der Herzog die
Romagna unter sich gebracht hatte, so fand er, daß dies
Land ohnmächtigen Herren angehört hatte, die ihre Unterthanen
mehr ausgeplündert als regiert, und mehr Unordnung
veranlaßt, als öffentliche Ordnung gehandhabt hatten,
so daß diese Provinzen voll von Straßenraub, Parteigängerei
und aller Art von Gewalttätigkeit waren. Er fand
also nöthig, sie zu beruhigen und der Obrigkeit unterthan
zu machen. Zu diesem Ende gab er ihr den Remiro d’Orco
zum Vorgesetzten, einen entschlossenen und grausamen Mann.
Ihm ertheilte er volle Gewalt. Derselbe erwarb sich großen
Ruhm, indem er das Land in kurzer Zeit zur Ruhe
und Sicherheit brachte. Hierauf aber schien es dem Herzoge,
daß eine so ausnehmende Gewalt nicht mehr gut angebracht
sei, weil sie verhaßt werden möchte. Er ordnete
also unter dem Vorsitze eines ganz vorzüglichen Mannes
mitten im Lande einen Gerichtshof an, bei welchem jede
Stadt ihren Vertreter hatte. Weil die vorige Strenge aber
einigen Haß erzeugt hatte, so suchte er diesen auszulöschen
und das Volk vollends dadurch zu gewinnen, daß er ihm
bewiese, alle begangenen Grausamkeiten rührten nicht von
ihm her, sondern von der rauhen Gemüthsart seines Stellvertreters.
Er ergriff die erste Veranlassung, ihn eines Tages
zu Cesena auf dem öffentlichen Markte in zwei Stücke
zerrissen auszustellen, mit einem Stücke Holz und einem
blutigen Messer zur Seite. Durch diesen gräßlichen Anblick
erhielt das Volk einige Befriedigung und ward eine Zeit
lang in dumpfer Ruhe gehalten. Aber um wieder auf die
Unternehmung des Herzogs zurückzukommen, so fand sich
derselbe mächtig genug und für den Augenblick gegen alle
Gefahren gesichert, da er nach seiner Weise hinreichende
Mannschaft angeworben, und die Truppen derer, die ihm
in der Nähe gefährlich werden konnten, vernichtet hatte.
Um weitere Eroberungen versuchen zu können, blieb nur
die Rücksicht auf Frankreich übrig, von woher es schwerlich
zugegeben werden konnte, nachdem der König den Fehler,
den er begangen, obwol spät, eingesehen. Er fing also an,
sich um neue Freundschaften zu bewerben, und mit Frankreich
ein zweideutiges Betragen anzunehmen, als ein französisches
Heer sich nach dem Königreiche Neapel zu gegen
die Spanier zu bewegen anfing, die Gaeta belagerten. Seine
Absicht war, sich dieser letztern zu versichern, und das wäre
gelungen, wenn nur Alexander VI. leben blieb. So viel
that er in Rücksicht auf die Gegenwart. In der Zukunft
hatte er vornehmlich zu fürchten, daß ein nachfolgender Papst
ihm weniger gewogen sein, und das nehmen möchte, was
Alexander ihm gegeben hatte. Hiegegen hatte er vor, sich
durch vier Mittel sicher zu stellen. Erstens, durch Vertilgung
aller Geschlechter der ihrer Herrschaften beraubten
Großen, um den Päpsten die Veranlassung zu entziehen,
etwas gegen ihn vorzunehmen; zweitens dadurch, daß er
alle Edelleute von Rom zu gewinnen trachtete, um mittelst
derselben den Papst selbst im Zaume zu halten; drittens,
indem er sich im Cardinals-Collegium so viele Freunde
als möglich machte; und endlich viertens, indem er sich
vor dem Tode des Papstes eine so große Herrschaft zu
erwerben suchte, daß er einem ersten Anfalle mit eignen Kräften
hinlänglich widerstehen könne. Von diesen vier Dingen
hatte er beim Tode Alexanders drei ganz und das letzte
beinahe vollführt. Von den beraubten Herren hatte er, so
viel er erreichen konnte, tödten lassen, und sehr wenige waren
entkommen, die römischen Edelleute hatte er gewonnen,
im Cardinals-Collegium hatte er die meisten auf seiner
Seite. Was aber die Eroberungen betrifft, so hatte er es
darauf angelegt, Toscana unter sich zu bringen: Perugia
und Piombino aber besaß er wirklich, und Pisa hatte er
unter seinen Schutz genommen. Gleich als wenn er auf
Frankreich gar keine Rücksicht mehr zu nehmen hätte, (und
wirklich konnte er dessen überhoben sein, nachdem die Spanier
den Franzosen das Königreich Neapel abgenommen
hatten, und nunmehro beide Theile sich um seine Freundschaft
bewerben mußten) erklärte er sich zum Herrn von
Pisa, worauf Lucca und Siena fallen mußten, theils wegen
der Eifersucht gegen Florenz, theils aus Furcht; Florenz
selbst hatte keinen Ausweg. Wenn dies gelungen wäre
(und es mußte in dem nämlichen Jahre gelingen, in welchem
Alexander starb), so erwarb er solchen Namen und
solche Kräfte, daß er für sich selbst bestehen konnte, ohne
von dem Schicksale oder der Macht eines Andern abhängig
zu sein, sondern ganz allein von eigner Macht und Tapferkeit.
Aber Papst Alexander starb fünf Jahre nachdem er
das Schwert gezogen hatte. Er hinterließ seinen Sohn in
folgender Lage. In Romagna allein festgegründete Herrschaft;
mit allen übrigen noch in der Luft, und zwischen
zwei sehr mächtigen feindlichen Heeren; dazu tödtlich krank.
Der Herzog hatte solchen frechen Muth und solche Ueberlegenheit
des Gemüths, er wußte so gut, wie man Menschen
für sich gewinnt, und die Fundamente seiner Herrschaft,
die er in so kurzer Zeit gelegt hatte, waren so fest
gegründet, daß er alle Schwierigkeiten überwunden hätte,
wenn er nicht nur jene beiden feindlichen Heere auf dem
Halse gehabt, oder gesund gewesen wäre. Daß sein Ansehn
gut begründet war, dafür dient zum Beweise, daß
man ihn in Romagna über einen Monat lang ruhig erwartete;
daß er in Rom selbst halb todt sicher war, und
daß die Baglioni Vitelli und Orsini, die nach Rom kamen,
sich keinen Anhang gegen ihn machen konnten. Er konnte,
wo nicht den neuen Papst machen, doch verhindern, daß
Keiner Papst werde, den er nicht wollte. Wäre er vollends
beim Tode Alexanders gesund gewesen, so war ihm Alles
leicht. Am Tage selbst, da Julius der Zweite auf den
päpstlichen Stuhl erhoben ward, sagte er mir, er hätte an
Alles gedacht, was beim Tode seines Vaters vorgehen könne,
und Mittel gegen Alles ausgefunden; nur daran habe er
nicht gedacht, daß er zu gleicher Zeit nahe am Tode sein
könne. Wenn ich nun alle Handlungen des Herzogs zusammennehme,
so kann ich ihn nicht tadeln. Vielmehr muß
ich ihn allen denen als Muster aufstellen, die durch Glück
und fremde Macht zu einer Herrschaft gelangen. Bei seinem
hohen Geiste und dem Ziele, das er sich vorgesetzt
hatte, konnte er nicht anders handeln. Der frühe Tod seines
Vaters und seine eigene tödtliche Krankheit waren es
allein, die seine Pläne störten. Wer also in seiner neuen
Fürstenwürde nöthig findet, sich gegen Feinde sicher zu stellen,
Freunde zu erwerben, zu siegen, sei es durch Gewalt
oder durch List, sich beim Volke beliebt und gefürchtet zu
machen, Anhang und Ansehn unter Soldaten zu verschaffen,
vertilgen die beleidigen könnten, oder es nach ihrer Lage
müssen, die alte Ordnung der Dinge auf eigne Weise erneuern,
streng und gnädig sein, großmüthig und freigebig,
untreue Kriegsheere auflösen, neue anwerben, die Freundschaft
von Königen und Fürsten erlangen, so daß sie sich
gern gefällig beweisen, und hüten zu beleidigen, der wird
kein lebendigeres Beispiel finden, als die Handlungen dieses
Mannes. Der einzige Vorwurf, den man ihm machen kann,
ist der Theil, den er an der Wahl Papst Julius des
Zweiten nahm. Denn, wenn er gleich, wie oben gesagt ist,
keinen Papst nach seinem eignen Sinne machen konnte, so
vermochte er doch zu verhindern, und durfte nie einwilligen,
daß einer von den Cardinälen erhoben würde, die ihn
beleidigt hatten, oder die ihn, sobald sie den päpstlichen
Stuhl bestiegen hatten, fürchten mußten. Denn die Menschen
befeinden, entweder aus Haß oder aus Furcht. Diejenigen,
die ihn beleidigt hatten, waren unter Andern der
Cardinal von San Pietro ad Vincula, Colonna, San Giorgia,
Ascania. Alle andern aber mußten ihn fürchten, sobald
sie Papst wurden: nur allein den von Rouen und die
spanischen ausgenommen. Diese wegen Verwandtschaft und
Verbindlichkeiten; Jener, weil er dazu durch seine Verbindung
mit dem Könige von Frankreich zu mächtig war. Der
Herzog mußte also vor allen Dingen darauf dringen, daß
einer von den spanischen Cardinälen zum Papst gewählt
würde. Konnte er das nicht durchsetzen, so mußte er seine
Zustimmung dem Cardinal von Rouen geben, und nicht
dem von San Pietro ad Vincula.Della Rovere, der den Namen Julius der Zweite geführt hat. Denn wer da glaubt,
daß neue Wohlthaten bei den Großen alte Beleidigungen
vergessen machen, der irrt sich. Der Herzog beging mithin
bei dieser Wahl einen Fehler, welcher Ursache seines
eignen Untergangs geworden ist.
8. Von Denjenigen, welche durch Verbrechen
zur Herrschaft gelangen.
Es gibt noch zwei Wege, aus dem Privatstande zur
fürstlichen Würde zu gelangen, ohne sie weder ganz dem
Glücke, noch der eignen Kraft und Tugend zu verdanken.
Ich will sie also hier erwähnen, obgleich von dem einen
ausführlicher da gehandelt werden mag, wo von Republiken
die Rede ist. Sie sind folgende. Wenn Jemand auf
verbrecherischen und verruchten Wegen zur Herrschaft
gelangt; und wenn der Bürger eines Freistaates durch die
Gunst seiner Mitbürger auf den Fürstenstuhl erhoben wird.
Hier also zuerst von jenem ersten Wege, von dem ich zwei
Beispiele anführen will; ein altes und ein neues: ohne jedoch
weiter in die Untersuchung darüber einzugehen, weil
sie nach meinem Urtheile für denjenigen hinlänglich klar
sind, der sich im Falle befindet, sie nachahmen zu müssen.
Agathokles, der Sicilianer, ward nicht allein aus dem
Stande eines Privatmannes, sondern sogar aus der niedrigsten
und verworfenen Lage König von Syracus. Er
war der Sohn eines Goldschmieds, und führte durch alle
Stufen seines Glücks ein verruchtes Leben. Daneben besaß
er aber solche Vorzüge des Geistes und des Körpers,
daß er vom Soldaten bis zum Prätor von Syracus aufstieg.
Hierauf beschloß er, Fürst zu werden und die Macht,
die ihm eingeräumt war, mit Gewalt an sich zu halten,
ohne dem guten Willen weiter etwas zu verdanken. Er
verabredete sich darüber mit dem Amilcar, der mit einem
carthagischen Heere in Sicilien stand; berief eines Morgens
den Senat und das Volk von Syracus zusammen, unter
dem Vorwande, daß er über Angelegenheiten des gemeinen
Wesens zu rathschlagen hätte; ließ aber auf ein gegebenes
Zeichen durch seine Soldaten alle Rathsherrn und die Reichsten
vom Volke ermorden. Nachdem dieses vollbracht war,
ergriff er die Herrschaft und hielt sie an sich, ohne daß irgend
welche innere Bewegungen im Staate erfolgt wären.
Er ward zwar zweimal von den Carthaginiensern geschlagen
und zuletzt belagert, blieb aber doch nicht allein im
Stande, die Stadt zu vertheidigen, sondern mit einem
Theile seiner Macht, wovon er den andern zurückließ, Afrika
selbst anzugreifen, dadurch Syracus in kurzer Zeit zu befreien
und die Carthaginienser in das äußerste Gedränge
zu bringen. Diese wurden genöthigt, sich mit ihm zu vergleichen,
sich mit Afrika zu begnügen und ihm Sicilien zu
lassen. Wer seine Handlungen und seine Tapferkeit erwägt,
wird finden, daß hier in der That wenig dem Glücke beigemessen
werden kann: da er, so wie oben gesagt worden,
nicht durch Gunst eines Andern, sondern vielmehr durch
ein mit vielem Ungemache und Gefahren errungenes Aufsteigen
im Heere zur fürstlichen Würde gelangte, und diese
mit so großer Entschlossenheit und Dreistigkeit in Gefahren
behauptete. Man kann es nicht Tugend nennen, seine Mitbürger
ermorden, Freunde verrathen, ohne Treu und Glauben
sein, ohne menschliches Gefühl, ohne Religion. So
kann man wol zur Herrschaft gelangen, aber keinen Ruhm
erwerben. Wenn man nur die kriegerischen Tugenden erwägt,
die Agathokles bewies, indem er sich in Gefahr begab
und sie bestand: den großen Sinn, womit er das Unglück
ertrug und bestand: so ist nicht abzusehen, worin er
eben von den größten Feldherrn so sehr übertroffen werde.
Aber seine wilde Grausamkeit, sein Mangel an menschlichem
Gefühle und zahllose Unthaten erlauben nicht, ihn unter
die vorzüglichsten Menschen zu zählen. Man kann also
weder dem Glücke noch seiner Tugend zuschreiben, was er
ohne das Eine und ohne das Andre erlangt hat.Wer in einer ausführlichen Erzählung der Thaten dieses Menschen
ein Beispiel aus der alten Geschichte lesen will, wie weit kriegerische
Eigenschaften in Verbindung mit gänzlicher Immoralität es darin
bringen können, große Dinge auszuführen, die nichts bleibendes Gutes
erzeugen der lese Diodor, Buch 19 und 20. Zu unsern
Zeiten ist unter der Regierung Papst Alexander des
Sechsten der Oliverotto von Fermo, der vor gar wenigen
Jahren noch ganz klein gewesen war, von einem Oheime
mütterlicher Seite, Namens Giovanni Fogliano, erzogen,
und in seinen ersten Jugendjahren zum Kriegsdienste unter
Paul Vitelli angehalten, damit er durch diese Zucht zu einer
angesehenen Kriegsstelle gelangen möchte. Nach Pauls Tode
diente er unter dessen Bruder Vitellozzo, und als ein Mensch
von lebhaftem Verstande, von körperlichen und geistigen
Vorzügen, ward er in kurzer Zeit einer der Ersten in dem
Heere. Da es ihm aber zu niedrig war, unter Andern zu
dienen, so versuchte er durch Hilfe einiger Bürger von Fermo,
die lieber Knechte sein, als ihr Vaterland frei sehen mochten,
und durch Unterstützung des Vitellozzo die Stadt Fermo
unter sich zu bringen, und schrieb an Giovanni Fogliani,
daß er nach so vielen Jahren einmal nach Hause kommen
und nach seinem Erbtheile sehen wolle; weil er aber bis
dahin nur nach Ehre gestrebt habe, so wolle er, damit seine
Mitbürger sähen, wie er seine Zeit nicht vergeblich verwandt
habe, auf eine anständige Art und in Begleitung von hundert
Reitern, Freunden und Anhängern, erscheinen. Er
bäte also, die Einwohner von Fermo möchten bewogen werden,
ihn recht anständig zu empfangen; was ja ihm, seinem
Oheime selbst, der ihn erzogen, zur Ehre gereichen
würde. Giovanni versäumte nichts gegen seinen Neffen,
bereitete ihm einen ehrenvollen Empfang von den Einwohnern
von Fermo und nahm ihn in seinem Hause auf, wo
der Oliverotto nach einigen Tagen, die mit Zubereitungen
zu seiner Schandthat zugebracht wurden, ein Gastmahl gab,
zu welchem er den Giovanni selbst und Alles, was in Fermo
angesehen war, einlud. Nachdem die Mahlzeit und was
sonst bei solchen Festen vorzugehen pflegt, beendigt war,
fing Oliverotto absichtlich ernsthafte Gespräche an, redete
vom Papst Alexander und seinem Sohne Cäsar und deren
Unternehmungen. Da Giovanni und Andre sich hierauf
einließen, stand er plötzlich auf, sagte, dies seien Sachen,
die in einem geheimern Orte abgehandelt werden müßten,
und zog sich in eine Kammer zurück, wohin ihm Giovanni
und andre Bürger folgten. Kaum aber hatten sie sich gesetzt,
so brachen aus verborgenen Orten Soldaten hervor,
die den Giovanni und alle Andern umbrachten. Nach dieser
Mordthat stieg Oliverotto zu Pferde, eilte durch die
Stadt und schloß die Magistratspersonen im Rathhause
ein. Diese wurden durch Furcht bewogen sich ihm zu unterwerfen,
und ihn an die Spitze des Staates zu stellen.
Da nun Alle, deren übler Wille ihm schaden konnte, getödtet
waren, so befestigte er seine Herrschaft durch neue
Anordnungen, bürgerliche und militärische: so daß er während
des Jahres, da er die Herrschaft behielt, nicht allein
in Fermo sicher, sondern auch allen Nachbarn furchtbar
war. Es wäre schwer gewesen, ihn zu überwältigen, eben
wie den Agathokles; wenn er sich nicht mit den Orsini und
Vitelli von dem Cäsar Borgia zu Sinigaglia (wie oben bereits
erwähnt ist) ins Garn hätte locken lassen, wo er zusammt
dem Vitellozzo, seinem Lehrmeister in Heldentugenden
und Schandthaten, erdrosselt ward. Man könnte die
Frage aufwerfen, wie es zugehe, daß Agathokles und mancher
Andre nach so vielen Verräthereien und Grausamkeiten
lange in ihrer Vaterstadt sicher leben und sich gegen auswärtige
Feinde wehren können, auch keinen Verschwörungen
ihrer Mitbürger ausgesetzt gewesen: wohingegen Andre wegen
ihrer Grausamkeit sich nicht einmal im Frieden, geschweige
denn in den so gefährlichen Zeiten des Krieges,
auf ihrer Stelle behaupten konnten? Ich glaube, daß dieses
von der rechten oder schlechten Anwendung der Grausamkeit
herrührt. Eine wohl angebrachte Grausamkeit (wenn
es anders erlaubt ist, diesen Ausdruck zu gebrauchen) ist
diejenige, welche ein einziges Mal zu eigner Sicherheit ausgeübt,
und nächstdem, so viel möglich, zum Vortheile der
Unterthanen benutzt wird. Schlecht angebrachte Grausamkeit
ist diejenige, die klein anfängt und mit der Zeit eher
ab- als zunimmt. Diejenigen, welche den ersten Weg einschlagen,
können, wenn Gott will, mit Hilfe andrer Menschen,
so wie Agathokles, ihre üble Lage verbessern. Die
Andern können sich gar nicht halten. Es ist also wohl zu
merken, daß derjenige, welcher sich der Herrschaft in einem
Staate bemächtigen will, alle Grausamkeiten mit Einem
Male vollführen müsse, um nicht alle Tage wieder anzufangen,
und daß er wohl thue, die Freundschaft der Menschen
zu erwerben, indem er von seiner Macht, ihnen
wehe zu thun, keinen Gebrauch macht. Wer anders handelt,
sei es aus Furcht oder aus Mangel an gutem Rathe,
muß das Schwert beständig in der Hand halten, und kann
sich nie auf seine Unterthanen verlassen, weil diese wegen
der unaufhörlich erneuerten Beleidigungen kein Zutrauen
zu ihm fassen können. Alle Verletzungen Andrer müssen
auf Einmal geschehen, damit sie weniger überdacht und besprochen,
und weniger tief gefühlt werden. Wohlthaten
aber müssen nach und nach erzeigt werden, damit man sich
unaufhörlich damit beschäftige. Vor allen Dingen aber muß
ein Fürst sich einen Plan vorzeichnen, der gut genug überdacht
ist, damit er sich weder durch günstige noch schlimme
Zufälle bewegen zu lassen brauche, davon abzugehen: denn
wenn schlimme Zeiten eintreten, so ist es nicht der Augenblick
zu harten Verfügungen, und von wohlthätigen hat
man keinen Dank, weil sie erzwungen scheinen.
9. Vom Volke übertragene Herrschaft.
Ich komme zu dem zweiten Falle: wenn nämlich Einer
aus dem Volke nicht durch Verbrechen und Schandthaten,
sondern durch die Gunst seiner Mitbürger Fürst in seinem
Vaterlande wird. Dieses Fürstentum von ganz eigner
Art könnte man allenfalls ein bürgerliches nennen. Es
wird nicht blos durch Talente oder Glück, sondern vielmehr
nur durch eine glückliche und schlaue Geschicklichkeit erworben.
Man gelangt dazu mittelst einer Begünstigung, entweder
des Volks, oder der Großen in ihm. Denn in jedem
Staate gibt es zwei verschiedene Gemüthsbewegungen, die
daher rühren, daß das Volk die Herrschaft und Unterdrückung
des Großen nicht ertragen mag, die Großen aber
das Volk zu beherrschen und zu unterdrücken trachten. Aus
dem Streite dieser verschiedenen Bestrebungen entsteht entweder
eine Alleinherrschaft, oder die Freiheit, oder unbändige
Gesetzlosigkeit. Die Herrschaft wird entweder vom
Volke oder von den Großen herbeigeführt, nachdem der eine
oder andre Theil dazu Veranlassung erhält. Denn wenn
die Großen sehen, daß sie dem Volke nicht widerstehen können,
so suchen sie Einem unter sich einen großen Namen
zu machen und erheben ihn zum Fürsten, um unter dem
Schutze seines Ansehns ihre eignen Begierden zu befriedigen.
Ebenfalls das Volk macht, wenn es sieht, daß es den
Großen nicht widerstehen kann, einen vorzüglich Angesehenen
zum Fürsten, um von ihm geschützt zu werden. Wer
durch Hilfe der Großen Fürst wird, erhält sich schwerer als
der, den das Volk dazu gemacht hat. Denn er findet sich
umgeben von Vielen, die sich ihm gleich dünken, und die
er nicht nach seinem Sinne zu behandeln und ihnen zu befehlen
vermag. Aber derjenige, welcher durch die Gunst
des Volks Fürst wird, steht ganz allein so hoch, und ist
mit wenigen Ausnahmen von lauter Leuten umgeben, die
ihm zu gehorchen bereit sind. Außerdem kann er auch die
Großen nicht befriedigen, ohne Andre zu beleidigen; wohl
aber das Volk: denn die Wünsche desselben sind viel billiger,
als die Wünsche der Großen. Diese wollen unterdrücken:
jenes aber ist zufrieden, wenn es nur nicht unterdrückt
wird. Hierzu kommt noch, daß der Fürst sich eines
feindselig gesinnten Volkes gar nicht versichern kann, weil dessen
zu viele sind: wohl aber deren, die nur wenige sind. Das
Schlimmste, was derjenige zu fürchten hat, dem das Volk
abgeneigt ist, besteht darin, von ihm verlassen zu werden:
aber wem die Großen feind sind, der läuft Gefahr, daß sie
ihn nicht allein verlassen, sondern selbst gegen ihn aufstehen:
weil sie mehr Einsicht und mehr Schlauheit haben, zum
Voraus auf ihre Sicherheit denken, und sich bei demjenigen
beliebt zu machen suchen, von dem sie glauben, er werde
den Sieg davontragen. Der Fürst ist außerdem genöthigt,
beständig mit dem nämlichen Volke verbunden zu bleiben;
er kann hingegen ohne die Großen fertig werden, weil er
darunter nach Gefallen erheben und erniedrigen, Ansehn
geben und nehmen mag. Um dieses noch in helleres Licht
zu setzen, sage ich, daß es zwei Arten gibt, die Großen zu
behandeln. Sie betragen sich nämlich also, daß sie sich
entweder ganz an dich hängen oder nicht. Diejenigen,
welche sich dir verpflichten und nicht habsüchtig sind, müssen
in Ehren gehalten werden und verdienen große Zuneigung.
Diejenigen hingegen, welche sich dir nicht verpflichten
wollen, müssen wieder auf zwei verschiedene Arten betrachtet
werden. Entweder sie thun dies aus Feigheit und
natürlichem Mangel des Muthes. Solcher muß man sich
bedienen: absonderlich wenn sie Verstand haben; denn so
lange es gut geht, wird man von ihnen geehrt, und im
Unglücke hat man sie nicht zu fürchten. Wenn sie sich aber
aus ehrgeizigen Absichten nicht verpflichten wollen, beweisen
sie damit, daß sie mehr an sich selbst, als an dich denken.
Vor diesen muß sich der Fürst hüten, und sie als heimliche
Feinde behandeln, denn sie sind wirklich immer bereit, im
Unglücke zuzutreten und ihn mit zu stürzen. Wer durch
das Volk Fürst wird, muß das Volk zum Freunde zu behalten
suchen. Dies ist leicht, da es zufrieden ist, wenn es
nur nicht gedrückt wird. Wer aber gegen den Willen des
Volks durch den Beistand der Großen Fürst wird, muß
vor allen Dingen suchen das Volk zu gewinnen, was ja
sehr leicht ist, wenn er es nur in Schutz nimmt. Und da
die Menschen einem Wohlthäter, von dem sie Uebles erwarteten,
desto dankbarer werden, so wird das Volk ihm
noch mehr unterthan, als wenn es ihn selbst erhoben hätte.
Die Mittel und Wege, wodurch der Fürst das Volk gewinnen
kann, sind mannichfaltig, und richten sich ganz nach
den Umständen, weshalb ich sie ganz übergehe. Ich ziehe
indessen den allgemeinen Schluß, daß man suchen müsse,
das Volk auf seine Seite zu ziehen, weil sonst im Unglück
kein Rettungsmittel ist. Nabis, der Fürst der Spartaner,
hielt eine Belagerung von allen Griechen aus und von einem
siegreichen römischen Heere; er vertheidigte sich und
seinen Staat dagegen, und dazu war es hinreichend, sich
einiger weniger Personen zu versichern. Wäre das Volk
ihm feind gewesen, so hätte jenes nicht hingereicht. Man
setze mir auch nicht das bekannte Sprichwort entgegen, daß,
wer sich auf das Volk verläßt, auf den Sand bauet. Denn
dieses ist nur alsdann wahr, wenn ein Bürger etwa die
Hilfe des Volks gegen die angebliche Unterdrückung seiner
Feinde oder der Obrigkeit anruft. In diesem Falle kann
er sich gar leicht mit falscher Hoffnung täuschen, so wie es
dem Gracchus zu Rom und zu Florenz dem Georg ScaliEin großer Liebling des florentinischen Pöbels, den im Jahre
1381 die Obrigkeit wegen einer Gewaltthätigkeit, die er beging, um ihr
einen verhafteten unruhigen Kopf zu entreißen (eine Unternehmung,
an der der Pöbel Wohlgefallen zu finden pflegt), hinrichten ließ, ohne
daß der Aufstand, auf den er hoffte, erfolgt wäre. Ja, es fand im
Gegentheil auch diese Hinrichtung Beifall.
ging. Ein Fürst aber, der zu befehlen versteht und Herz
hat, darf nur im Unglücke nicht weichen, sondern fahre fort
Veranstaltungen zu treffen, halte dreist auf seine Anordnungen
und suche das Volk zu beleben. Er wird sich in
seiner Erwartung von ihm nicht betrogen finden. Solche
Herrschaften gerathen in Gefahr, wenn sie aus einer eingeschränkten
Verfassung zur freien Alleinherrschaft aufzusteigen
suchen. Denn diese Fürsten führen ihre Sache selbst
oder durch Magistratspersonen. Im letztern Falle ist ihre
Macht unsicher und schwach, weil sie von denen, welche die
obrigkeitlichen Stellen verwalten, gar sehr abhängen. Diese
können, absonderlich im Unglücke, leicht das Oberhaupt umwerfen,
indem sie sich ihm widersetzen, oder auch nur den
Gehorsam verweigern: der Fürst aber darf in den gefährlichen
Augenblicken nicht daran denken, die unbeschränkte
Herrschaft an sich zu reißen, weil die Bürger und Unterthanen,
welche gewohnt sind, den obrigkeitlichen Personen
zu gehorchen, ihm keine Folge leisten, und es ihm schwer
wird, Personen zu finden, denen er trauen kann. Diese
Fürsten kennen sich gar nicht auf das verlassen, was sie in
ruhigen Zeiten sehen, da die Bürger der öffentlichen Ordnung
bedürfen. Alsdann läuft Jeder, verspricht Alles und
will für ihn das Leben lassen, so lange der Tod entfernt
ist. In unglücklichen Zeiten aber, wo der Staat Bürger
nöthig hat, finden sich wenige. Ein solches Experiment ist
desto gefährlicher, da man es nur ein einziges Mal machen
kann. Ein kluger Fürst muß daher auf Mittel denken, zu
bewirken, daß seine Unterthanen seine Herrschaft beständig
und zu allen Zeiten und unter allen Umständen bedürfen
– dann werden sie ihm treu bleiben.
10. Wie die Kräfte der Fürstentümer zu
schätzen sind.
Bei der Betrachtung der Beschaffenheiten aller dieser
Herrschaften kommt es noch darauf an, ob ein Fürst so
viel vermag, daß er sich selbst im Falle der Noth vertheidigen
kann, oder ob er dazu fremder Hilfe bedarf. Um
dieses deutlicher zu machen, sage ich, daß diejenigen ihre
Herrschaften selbst zu behaupten vermögen, welche Menschen
oder Geld genug besitzen, um eine zureichende Armee aufzustellen,
und demjenigen, der sie angreift, eine Schlacht zu
liefern. Dahingegen bedürfen diejenigen allezeit fremder
Hilfe, welche nicht gegen den Feind in das Feld rücken können,
sondern genöthigt sind, sich hinter ihre Mauern zurück
zu ziehen, um nur diese zu vertheidigen. Vom ersten dieser
Fälle ist bereits oben geredet, und wird in der Folge
noch Mehreres vorkommen. Im zweiten Falle kann man
dem Fürsten nichts Anderes rathen, als seine Stadt zu befestigen,
und das Land preiszugeben. Wer seine Stadt
wohl befestigt und sich gegen Nachbarn und eigne Unterthanen
so betragen hat, wie hier oben angerathen ist, und
ich ferner anrathen werde, der wird auch nicht leichtsinnig
angegriffen werden, weil Niemand gern Dinge unternimmt,
die Schwierigkeiten haben; und es so leicht nicht ist, den
anzugreifen, der wohl befestigt ist, und seine eignen
Unterthanen zu Freunden hat. Die deutschen Städte haben große
Freiheiten, wenig Territorium, gehorchen dem Kaiser so viel
sie Lust haben, und fürchten weder dieses noch irgend eines
andern Benachbarten Macht, weil sie auf solche Art befestigt
sind, daß jeder wohl fühlen muß, wie schwierig und langweilig
es ist, sie zu erobern: sie haben nämlich Wall und
Graben, Geschütz in zureichender Menge, Lebensmittel und
Holz zur Feuerung, auf ein Jahr in Vorrath. Außerdem
haben sie die Veranstaltung, das Volk, ohne Nachtheil des
Gemeinwesens, auf ein Jahr in dem Gewerbe, wovon
die kleinen Bürger leben, beschäftigen zu können, um ihm
seinen Unterhalt zu verschaffen. Auch halten sie die Kriegs-Uebungen
in Ehren, und haben dazu mancherlei Anordnungen.
Der Fürst, der eine Festung besitzt, und bei seinem
Volke nicht verhaßt ist, kann nicht angegriffen werden:
und würde er es, so müßte der Feind mit Schanden abziehen;
denn die Zufälle sind in dieser Welt so mannichfaltig,
daß es beinahe unmöglich ist, ein ganzes Jahr das
Feld zu halten, um ihn zu belagern. Und wenn man etwa
antwortete, daß das Volk, welches seine Besitzungen draußen
hat und selbige verheeren sieht, es überdrüssig werden
und seinen Fürsten verläugnen wird, so antworte ich, daß
ein mächtiger und entschlossener Fürst diese Schwierigkeiten
stets überwinden wird; indem er bei seinen Unterthanen
bald die Hoffnung erregt, es werde nicht lange mehr währen,
bald Furcht vor der Grausamkeit des Feindes einflößt,
endlich auch sich auf eine geschickte Art derer versichert, welche
ihm zu dreist scheinen. Außerdem ist der Feind genöthigt,
damit anzufangen, das Land mit Feuer und Schwert zu
verheeren, während die Bürger noch guten Muth und Lust
zur Verteidigung haben. Der Fürst darf daher um so
weniger Anstand nehmen: denn wenn die Gemüther sich
abkühlen, so ist der Schade schon geschehen; es ist vergeblich,
darüber zu klagen und die Menschen werden sich desto
enger mit dem Fürsten vereinigen, für den sie ihre Habe
und Gut preisgegeben haben, wofür er ihnen Dank schuldig
ist. Der menschlichen Natur ist es gemäß, sich durch
das Gute, was man Andern erzeigt, eben sowol zu verbinden,
als durch das, was man empfängt. Wenn man
dieses Alles erwägt, so wird man finden, daß es einem
Fürsten nicht schwer ist, die Gemüther seiner Unterthanen
bei einer Belagerung festzuhalten, wenn er nur Lebens-
und Vertheidigungsmittel genug hat.
11. Von geistlichen Fürstenthümern.
Es bleibt nur noch übrig, von geistlichen Herrschaften
zu reden, bei welchen alle Schwierigkeiten nur vorhanden
sind, bis man zum Besitze gelangt ist: denn sie werden
durch ausgezeichnete Kraft oder durch Glück erworben; aber
erhalten, ohne das eine und ohne das andre; denn sie beruhen
auf den alten heiligen Einrichtungen der Religion,
welche mächtig genug sind, ihre Häupter in ihren Stellen
zu erhalten, sie mögen sich aufführen wie sie wollen. Diese
allein haben eine hohe Stelle, und brauchen sie nicht zu
vertheidigen; sie haben Unterthanen und regieren sie nicht;
ihre Staaten werden nicht vertheidigt und ihnen doch nicht
genommen. Ihre Unterthanen bekümmern sich nicht darum,
daß sie nicht regiert werden, und denken nicht daran, sich
ihnen zu entziehen, können es auch nicht. Diese Fürsten
also sind allein sicher und glücklich. Aber da dieses von
höhern Ursachen abhängt, an die der menschliche Verstand
nicht reicht, so will ich nicht davon reden. Gott schützt sie:
es wäre vorwitzig und dreist, wenn der Mensch darüber
urtheilen wollte. Wenn mich aber Jemand befragte, wie
es zugegangen, daß die Kirche zu solchem weltlichen Staate
gelangt, und daß, nachdem bis auf Alexander den Sechsten
jeder, ich sage nicht mächtige italienische Fürst, sondern jeder
Baron und Freiherr, sich im Weltlichen nichts daraus
machte; gegenwärtig der König von Frankreich davor zittert,
und von ihr aus Italien vertrieben ist; Venedig daneben
zu Grunde gerichtet: so will ich darüber folgendes obwol
schon genugsam Bekannte, in das Gedächtniß zurückrufen.
Bevor Karl der Achte nach Italien kam, war dieses Land
unter den Papst, Venedig, den König von Napoli, den Herzog
von Mailand und die Florentiner vertheilt. Diese
Mächte hatten ihr Augenmerk auf zwei Dinge zu richten:
erstens darauf, daß keine fremde Macht mit den Waffen
eindringe; zweitens, daß keine unter ihnen selbst die Oberhand
gewönne. Diejenigen, welchen dieses am meisten anlag,
waren der Papst und Venedig. Um den letztern Staat
klein zu halten, mußten sich alle übrigen vereinigen, so wie
sie es auch wirklich thaten, um Ferrara zu verteidigen.
Den Papst zurückzuhalten, bediente man sich der römischen
Barone, welche in zwei Factionen getheilt waren, die Orsini
und die Colonna. Unaufhörliche Uneinigkeiten unter
diesen veranlaßten sie stets, unter den Augen des Papstes
in den Waffen zu sein, und dieses hielt den heiligen Stuhl
klein und schwach. Und wenn gleich dann und wann ein
Mann von Geist den päpstlichen Stuhl bestieg, so wie
Sixtus (der Vierte), so konnte doch weder Glück noch Verstand
von diesen Verhältnissen befreien. Die Kürze ihrer
Regierung war eine Ursache. Denn in zehn Jahren (so
lange dauerte eine päpstliche Regierung im Durchschnitte)
konnte kaum eine der beiden Parteien herunter gebracht
werden: und wenn zum Beispiel der Eine die Colonna und
ihre Anhänger gedemüthigt hatte, so folgte Einer, der den
Orsini feind war, und hob jene, die in der kurzen Zeit
nicht ganz vertilgt sein konnten, wieder empor. Daher kam
es, daß die weltliche Macht des Papstes in Italien so wenig
geachtet ward. Es stand inzwischen Alexander der
Sechste auf und bewies besser, als irgend ein Andrer jemals
gethan hat, wie viel ein Papst mit Geld und mit
seinen Kräften ausrichten kann. Er bewerkstelligte mittelst
seines Sohnes, des Herzogs von Valentinois, und bei Gelegenheit
des Einmarsches französischer Heere, alles das,
was ich oben, als ich von der Handlungsweise des Herzogs
sprach, auseinandergesetzt habe. Seine Absicht ging nicht
dahin, den heiligen Stuhl groß zu machen, sondern nur
sich selbst. Durch die Wendung, die die Sache nahm, gewann
aber der Stuhl, welcher nach seinem Tode die Früchte
aller Arbeiten des Herzogs erbte. Auf ihn folgte Julius
der Zweite, welcher den Stuhl schon groß und mächtig fand,
da er die Romagna besaß, und daneben alle römischen Barone
durch Alexanders Bemühungen zerschlagen waren. Daneben
besaß er Mittel, Geld zusammen zu bringen, die man
vor Alexander nicht gekannt hatte. Julius trat in dessen
Fußtapfen, suchte Bologna zu erwerben, Venedig herunter
zu bringen und die Franzosen aus Italien zu vertreiben.
Dieses gelang ihm Alles zusammen, und gereicht ihm zu
so viel größerer Ehre, da er es nicht zu eignem Privatvortheile,
sondern zu Gunsten des Stuhles unternahm.
Die Parteien Colonna und Orsini erhielt er in dem Zustande,
worin er sie fand. Obwol einige Ursache zu Uneinigkeiten
zwischen ihnen vorhanden war, mußten sie doch
ruhig bleiben: erstens, weil ihnen die Größe des päpstlichen
Stuhls imponirte, und zweitens, weil sie beide keine Cardinäle
unter sich hatten, von denen immer alle Unruhen
herrühren. So oft Cardinäle aus diesen Häusern sind, so
können diese nicht ruhig sein, weil jene in und außer Rom
die Parteiungen unterhalten, und die Barone genöthigt sind,
sie zu vertheidigen. Aus dem Ehrgeize solcher Prälaten
entstehen mithin die Zwistigkeiten und Aufruhr unter den
Baronen. Es hat also Papst Leo den heiligen Stuhl schon
groß und mächtig gefunden, und so wie seine obgedachten
Vorfahren ihn durch die Waffen gehoben haben, so ist zu
hoffen, daß er ihm durch seine großen persönlichen Eigenschaften
und seine Milde Ansehen verschaffen werde.
12. Von den verschiedenen Arten der Truppen.
Nachdem ich die verschiedenen Beschaffenheiten der Herrschaften
erwogen, von denen ich mir vornahm zu reden,
und die Ursachen angezeigt, aus denen es ihnen wohl oder
übel ergeht, nebst den Mitteln, womit man versucht hat,
sie zu erwerben und zu erhalten, so bleibt mir noch übrig,
im Allgemeinen die Arten des Angriffs und der Vertheidigung
durchzugehen, welche dabei vorkommen können. Wir
haben bereits erwähnt, daß eine Herrschaft auf guten Gründen
beruhen müsse, wenn sie nicht zusammenstürzen soll.
Die hauptsächlichste Stütze aller Staaten, der neuen wie der
alten und der vermischten, sind gute Gesetze und tüchtige
Kriegsmacht. Gute Gesetze können nicht bestehen ohne eine
gute Kriegsmacht. Diese aber setzt gute Gesetze voraus.
Ich lasse also die Gesetzgebung liegen und rede von der
Bewaffnung; ich sage, daß die Kriegsmacht, womit ein
Fürst seinen Staat vertheidigt, entweder aus eigner oder
gemieteter Mannschaft oder aus Hilfstruppen besteht, oder
aus diesen allen zusammen. Gemiethete Mannschaft und
Hilfstruppen sind unnütz und gefährlich. Wer seine Herrschaft
durch Miethlinge zu schützen denkt, steht nicht fest,
und kann nie sicher sein, weil diese unter sich uneins, unbändig,
ohne Disciplin, untreu, übermüthig gegen ihre
Freunde, feig gegen die Feinde sind, Gott nicht fürchten
und treulos gegen die Menschen handeln. Der Untergang
ist also nur bis dahin verschoben, wo der Angriff erfolgt.
Im Frieden wird man von ihnen selbst beraubt; im Kriege
vom Feinde. Die Ursache hiervon ist, daß sie nicht aus
Zuneigung und aus keiner andern Ursache im Felde erhalten
werden, als um eines geringen Soldes willen, deswegen
sie ihr Leben nicht preisgeben werden. So lange
kein Krieg zu führen ist, wollen sie wol Soldaten sein: so
wie aber der Feldzug eröffnet wird, laufen sie davon oder
gehen nach Hause. Es sollte wol ohne viele Mühe
einleuchten, daß dies sich also verhält; da Italien aus keiner
andern Ursache zu Grunde gegangen ist, als weil man sich
so viele Jahre lang auf Miethstruppen verlassen hat, welche
dann und wann einige Vortheile übereinander erhielten und
ganz tapfer schienen; sobald aber fremde Heere kamen, zeigte
es sich, wie sie beschaffen waren. Daher konnte Karl der
Achte Italien so geschwind überziehen. Wer behauptete, dies
geschehe um unsrer Sünden willen, hatte ganz Recht: aber
nicht um derjenigen willen, die darunter verstanden wurden,
sondern wegen derer, die ich angegeben habe. Die Fürsten
hatten die Fehler begangen und mußten dafür leiden. Ich
will die unglücklichen Folgen solcher Vertheidigungsanstalten
noch besser beweisen. Die gedungenen Feldherren sind
entweder vorzügliche Kriegshelden oder nicht. Im ersten
Falle kann man sich auf sie nicht verlassen, weil sie nach
eigner Größe streben, und deshalb darauf denken, entweder
denjenigen selbst, der sie gedungen hat, oder Andre gegen
den Willen desselben zu unterdrücken. Ist der Feldhauptmann
kein rechter Krieger, so geht derjenige gemeiniglich
zu Grunde, der ihn gedungen hat. Will man hierauf antworten,
daß es einerlei sei, ob derjenige, der die Kriegsmacht
anführt, gedungen ist oder nicht, daß er in einem
Falle handeln werde, wie im andern, so erwidre ich, daß
ein jeder Fürst selbst ins Feld gehen und sein eigner General
sein müsse; Republiken aber Einen ihrer Mitbürger
an die Spitze des Heeres stellen müssen, denselben zurückrufen,
wenn er sich nicht hinlänglich geschickt beweiset, und
wenn er der Sache gewachsen ist, ihn im Zaume der Gesetze
halten. Die Erfahrung beweist es, daß Fürsten und
Republiken durch eigne Truppen allein Fortschritte machen,
und daß Söldnerheere nur Unglück anrichten. Eine Republik,
welche sich mit eignen Waffen vertheidigt, wird nicht
so leicht von einem ihrer Mitbürger unterjocht, als wenn
sie ein gedungenes Heer hält. Rom und Sparta sind viele
Jahrhunderte lang bewaffnet und frei gewesen. Die
Schweizer sind höchst kriegerisch und frei. Von Miethstruppen
aber gibt Carthago ein Beispiel, welches nach dem ersten
Kriege mit den Römern von ihnen unterdrückt ward, obgleich
die Carthaginienser eigne Bürger zu Generalen bestellt
hatten. Philipp von Macedonien ward von den Thebanern
nach dem Tode des Epaminondas zum Feldherrn
erwählt und nahm ihnen dafür die Freiheit, sobald er einen
Sieg erfochten hatte. Die Mailänder besoldeten nach dem
Tode des Herzogs Filippo (Visconti) den Franz Sforza,
um gegen die Venezianer Krieg zu führen. Sobald derselbe
sie aber bei Caravaggio überwunden hatte, verband
er sich mit ihnen gegen seine Dienstherren, die Mailänder.
Sein Vater Sforza war im Dienste der Königin Johanna
von Neapel, und ließ diese mit einem Male ganz ohne
Vertheidigungsmittel, so daß sie sich dem Könige von Arragonien
in die Arme werfen mußte, um ihr Reich nicht
zu verlieren. Wenn Venedig und Florenz sich durch solche
Waffen vergrößert haben, und die Anführer derselben sich
nicht zu Herren haben aufwerfen können, so antworte ich
auf diesen Einwurf, daß Florenz viel Glück gehabt hat,
indem von den tapfern Generalen, die ihm furchtbar wurden,
einige im Kriege nicht glücklich gewesen sind, andre
Widerstand von andrer Seite her gefunden, endlich noch
andre ihre ehrgeizigen Absichten auf andre Orte gerichtet
haben; z. B. hat Giovanni AcutoEin Krieger von englischer Abkunft, der am Ende des vierzehnten
Jahrhunderts das Handwerk trieb, wodurch so viele in der Folge
als Condottieri berühmt wurden. nicht gesiegt; daher
nicht offenbar geworden, wie weit ihm zu trauen gewesen
wäre, wenn er gesiegt hätte. Jeder aber muß eingestehen,
daß er in diesem Falle mit Florenz machen konnte, was
er wollte. Franz Sforza hatte beständig den Braccio und
seine Leute sich gegenüber: einer hielt den andern zurück.
Francesco richtete seine Absichten auf die Lombardei, Braccio
auf den Kirchenstaat und Neapel. Wir wollen die neusten
Zeiten betrachten. Die Florentiner haben den Paolo Vitelli
zu ihrem Feldherrn erwählt: einen tapfern Mann, der im
Privatstande den größten Ruhm erworben. Wenn derselbe
Pisa erobert hätte, so ist gar nicht zu läugnen, daß er mit
Florenz schalten konnte, wie er wollte; denn wenn er zu
ihren Feinden überging, konnten sie nichts machen: und
wenn er es mit ihnen ferner hielt, so mußten sie ihm gehorchen.
Betrachtet man die Fortschritte der Venezianer,
so wird man finden, daß diese sicher und glücklich waren,
so lange sie sich dazu ihrer eignen Kräfte bedienten: das
ist, bis sie ihre Unternehmungen auf dem festen Lande anfingen;
denn bis dahin hatten sie tapfer mittelst ihres eignen
Adels und Volkes Krieg geführt. So wie sie aber anfingen
auf dem festen Lande Krieg zu führen, machten sie
es wie die übrigen Italiener. Im Anfange ihrer Eroberungen
brauchten sie ihre Generale nicht sonderlich zu fürchten,
weil ihr Staat noch nicht sehr groß war, und sie dafür
desto größeres Ansehen genossen. Als sie aber ansehnliche
Fortschritte zu machen anfingen, welches unter dem Carmignuola
geschah, merkten sie, daß sie auf falschem Wege
waren. Sie sahen, wie gefährlich seine Tapferkeit ihnen zu
werden drohte, und sobald sie unter seiner Anführung den
Herzog von Mailand geschlagen hatten und sahen, daß er
nunmehr erkaltete, sie also keine weiteren Vortheile durch
ihn zu hoffen hätten, ihn aber nicht entlassen konnten noch
wollten, um das Erlangte nicht zu verlieren, so sahen sie
sich genöthigt, ihn zu ihrer eignen Sicherheit ums Leben
bringen zu lassen. Sie haben hierauf den Bartolomeo von
Bergamo, Ruberto von San Severino, den Grafen von
Pitigliano und andre Generale gedungen, bei denen sie nur
zu fürchten hatten, daß sie geschlagen würden, aber nichts
von ihren Fortschritten besorgen durften: so wie es denn
auch zu Vaila ging, wo sie in einer Schlacht Alles verloren,
was sie in achthundert Jahren mit so vieler Mühe
errungen hatten. Denn solches Kriegssystem bringt langsame
und geringe Fortschritte, und plötzlichen erstaunlichen
Verlust mit sich. Da ich auf diese italienischen Beispiele
gekommen bin, in welchem Lande Alles seit vielen Jahren
mittelst gedungener Krieger ausgerichtet wird, so will ich
darin noch etwas höher hinauf gehen, um den Ursprung
und die Fortschritte des Uebels zu zeigen, damit man ihm
desto besser begegnen möge. Da in den neuern Zeiten das
kaiserliche Ansehn in Italien fiel, und das weltliche Ansehn
des Papstes dagegen zunahm, war dieses Land in verschiedene
Staaten zertheilt. Mehrere der großen Städte ergriffen
die Waffen gegen die Herren, welche sie unter Begünstigung
des Kaisers in der Unterdrückung hielten; der
päpstliche Stuhl aber unterstützte jene, um sich weltliches
Ansehn zu verschaffen. In manchen andern erhoben sich
Bürger zur fürstlichen Würde. Italien gerieth mithin gewissermaßen
in die Hände des heiligen Stuhls und einiger
Republiken: Beide aber, Priester und Bürger, waren nicht
an die Waffen gewöhnt, und fingen an Truppen zu miethen.
Der Erste, der eine solche Miliz zu Ehren brachte,
war Alberigo da Como Romagnuolo. Aus seiner Schule
gingen unter Andern Braccio und Sforza hervor, die zu
ihrer Zeit über Italien walteten. Auf sie folgten alle Andern,
die bis zu unsern Zeiten die italienischen Heere befehligt
haben. Das Ende ihrer Heldenthaten aber ist gewesen,
daß Italien von Karl dem Achten überrannt, von
Ludwig dem Zwölften ausgeplündert, von Ferdinand von
Arragonien bezwungen und von den Schweizern geschändet
worden. Jene Anführer von Miethstruppen fingen damit
an, das Fußvolk um seine Ehre zu bringen, um selbst zu
größerem Ansehn zu gelangen. Dieses thaten sie, weil sie
selbst ohne Länder und auf persönliche Mittel beschränkt,
mittelst weniger Fußvölker kein großes Ansehn erhalten,
zahlreiche aber nicht ernähren konnten. Sie beschränkten
sich also auf Reiterei, wo sie denn mittelst einer geringern
Zahl Unterhalt und Ehre zu gewinnen vermochten. Die
Sache war dahin gekommen, daß in einem Heere von
20,000 Mann kaum 2000 Mann zu Fuß waren. Außerdem
wandten sie Alles an, um sich und ihren Leuten Mühseligkeiten
und Gefahr zu ersparen, indem sie in den Schlachten
einander nicht tödteten, sondern ohne Verwundung gefangen
nahmen. Sie machten des Nachts keine Angriffe
auf die Festungen, keine Ausfälle aus denselben, sie befestigten
ihre Lager nicht und hielten das Feld nicht im Winter.
Alles das war ihrer Kriegsordnung gemäß, und wie ich
schon gesagt habe, ausgedacht, um Mühseligkeit und Gefahr
abzuwenden. Italien ist darüber aber völlig in Sklaverei
und Schande gerathen.
13. Von Hilfstruppen.
Die zweite Art unnützer Kriegsmacht sind die Hilfstruppen:
nämlich, wenn ein Mächtigerer angerufen wird,
dich mit seinen Waffen zu unterstützen und zu vertheidigen,
so wie neuerlich Papst Julius, nach der traurigen Erfahrung
mit gedungener Mannschaft, die er bei Ferrara gemacht
hatte, den König Ferdinand von Arragonien anrief,
daß er ihm mit seiner Armee zu Hilfe kommen möchte.
Ein solches Heer kann wol für denjenigen, dem es angehört,
etwas Nützliches ausrichten; aber dem, der es herbeiruft,
ist es allemal nachtheilig: denn wird es geschlagen,
so bist du überwunden; und siegt es, so bist du selbst ihr
Gefangener. Die alte Geschichte ist auch von solchen Beispielen
voll: ich will aber bei dem vom Papst Julius stehen
bleiben, welches noch ganz neu ist. Dieser hätte keinen
schlechtern Entschluß fassen können, als sich einem Fremden
in die Arme zu werfen, um Ferrara zu erlangen. Zu seinem
Glücke kam ein Drittes dazwischen, so daß ihn die
Folgen dieses Fehlers nicht trafen. Da nämlich seine Verbündeten
bei Ravenna geschlagen wurden, und die Schweizer
aufstanden, welche gegen alle Erwartung die Sieger
vertrieben, so fiel er weder in die Hände seiner Feinde,
die eben geschlagen waren, noch seiner Freunde, weil Andere
als sie den Sieg davongetragen hatten. Die Florentiner
hatten selbst gar keine Armee, und führten zehntausend
Franzosen vor Pisa, um es zu erobern: woraus für sie
selbst größere Gefahr entstand, als worin sie sich jemals
befunden hatten. Der Kaiser von Konstantinopel sandte
zehntausend Türken nach Griechenland, um es gegen seine
Nachbarn zu schützen. Nach beendigtem Kriege weigerten
sie sich aber, es zu verlassen, und dies war der Anfang
der Unterjochung von Griechenland durch die Ungläubigen.
Wer sich selbst in die Lage setzen will, auf keine Weise den
Sieg davontragen zu können, der bediene sich solcher Hilfstruppen.
Mit ihnen ist der Untergang zum Voraus ganz
zubereitet, denn sie sind unter einander einig, und im Gehorsame
eines Andern. Gedungene Mannschaft hat doch,
wenn sie schon gesiegt hat, noch etwas Zeit nöthig, und
es müssen besondere Gelegenheiten entstehen: weil sie nicht
ein eignes Corps ausmacht, von dir zusammengebracht und
bezahlt ist, ein Dritter aber, den du ihnen zum Oberhaupte
gibst, nicht augenblicklich so viel Ansehn erhält, dir
schaden zu können. Kurz, das Gefährlichste ist bei Miethstruppen
ihre Feigheit; bei Hilfstruppen ihre Tapferkeit.
Jeder nur etwas kluge Fürst hat immer vermieden, sich
solcher Mannschaft zu bedienen, und hat lieber mit eigner
überwunden werden, als mit fremder siegen wollen; da er
den Sieg, den er durch fremde errungen, nicht für wahren
Gewinn halten konnte. Ich trage kein Bedenken, den Cäsar
Borgia und seine Handlungen zum Beispiele anzuführen.
Dieser Heerführer fiel mit französischen Soldaten in
Romagna ein und eroberte mit ihnen Imola und Furli.
Weil er diese Armee aber nicht sicher achtete, so wandte er
sich zu Miethstruppen, die er für weniger gefährlich hielt,
und nahm die Orsini und Vitelli in Sold. Da er auch
diese bei der weitern Verhandlung unsicher, untreu und
gefährlich fand, so löste er sie ebenfalls auf und wandte sich
zu eignen Leuten. Den Unterschied zwischen beiden Arten
der Kriegsmacht kann man leicht einsehen, wenn man nur
mit einander vergleicht, wie der Herzog angesehen ward, so
lange er die Orsini und Vitelli hatte, und wie viel er gewann,
sobald er mit eigner Mannschaft dastand. Zu großer
Achtung gelangte er erst, als Jedermann sah, daß er
völlig Herr über sein ganzes Heer war. Ich verlasse die
neue italienische Geschichte ungern: doch kann ich nicht umhin,
den Hiero von Syracus zu nennen, dessen ich schon
oben gedacht habe. Die Syracusaner hatten ihn, wie ich
bereits erwähnt, zu ihrem Heerführer erwählt. Er sah sogleich
ein, daß ihm die Miethstruppen nichts nützen konnten,
weil sie gleich wie unsre italienischen von eignen Anführern
gedungen waren; da er sie nun weder behalten
noch gehen lassen durfte, so ließ er sie insgesammt in
Stücke hauen und führte darauf den Krieg blos mit eigner
Mannschaft, ohne fremde Hilfe. Noch will ich an eine
Begebenheit aus dem alten Testamente erinnern, die hier
recht passend ist. Da sich David dem Saul anbot, den
Philister Goliath auf seine Ausforderung zu bekämpfen, so
gab ihm Saul seine Waffen, um ihm Muth zu machen.
So wie David sie aber angethan hatte, so weigerte er sich
und sagte, damit könne er sich auf sich selbst nicht verlassen,
er wolle mit seinen eigenen Waffen kämpfen, und griff zu
Schleuder und Messer. Kurz, fremde Waffen fallen ab,
oder erdrücken durch ihre Last, oder erdrosseln dich selbst.
Karl der Siebente, Vater Ludwig des Elften, erkannte,
nachdem er Frankreich von den Engländern befreit hatte,
die Nothwendigkeit eigner Waffen, und errichtete in seinem
Lande die Gensd’armes und das Fußvolk. Sein Sohn
Ludwig fing darauf an, das Fußvolk zu entlassen und statt
dessen Schweizer zu besolden. Dieser Fehler nebst einigen
andern, die bald nachfolgten, ward Ursache der großen Gefahr,
in welche sein Reich gerieth. Denn er verschaffte
dadurch den Schweizern großen Ruf, und machte seine eigne
Macht verächtlich, da er das Fußvolk auflöste und die
Gensd’armes daran gewöhnte, gemeinschaftlich mit Schweizern
zu fechten, so daß sie ohne diese nichts mehr auszurichten
vermochten. Daher kommt es, daß Franzosen gegen
Schweizer nichts vermögen, und ohne Schweizer gegen Andre
ebenfalls nichts ausrichten können. Die französischen
Heere sind also vermischt, halb gedungene, halb eigne Mannschaft.
Das Alles zusammen ist viel besser, als blos gedungene,
oder bloße Hilfstruppen: aber doch viel schlechter,
als blos eigne. Das angeführte Beispiel ist hinreichend,
denn das französische Reich würde unüberwindlich sein,
wenn Karls Ordnung aufrecht erhalten und weiter ausgedehnt
wäre: aber so machen es die Menschen. Sie fangen
ohne viele Ueberlegung eine Sache an, die einigen guten
Anschein hat, und achten nicht auf das verborgene Gift,
so wie ich oben von der Schwindsucht gesagt habe. Der
Fürst, der das Uebel erst alsdann erkennt, wenn es schon
da ist, kann nicht für weise gehalten werden, was ja Wenigen
gegeben ist. Wenn man dem Untergange des römischen
Reiches nachspürt, so findet man den Anfang in der
Maßregel, die Gothen zu besolden; denn damit ließ die
Stärke des römischen Reiches nach, und alle Kräfte, die
dieses verlor, gingen auf jene über. Ich schließe also, daß
keine Herrschaft fest steht ohne eigne Waffen; denn wer
keine Kraft hat, die ihn bei widrigen Schicksalen schützt,
hängt blos vom Glücke ab. Es ist immer die Meinung
weiser Männer gewesen, daß nichts so schwach und unbeständig
sei, als der Ruf großer Macht, der nicht auf eignen
Kräften beruht. Eigne Waffen aber sind solche, die von
Unterthanen oder Bürgern geführt werden, auch selbstgeschaffene
Heere. Alles Andere sind gedungene oder Hilfstruppen.
Die beste Art, eigne Mannschaft anzuordnen, ist
leicht auszufinden, wenn die oben von mir angegebenen
Anordnungen erwogen werden, und wenn man erwägt,
wie Philipp, Alexanders des Großen Vater, und viele andere
Fürsten und Republiken es gemacht haben.
14. Was der Fürst im Kriegswesen zu
beobachten hat.
Ein Fürst soll also nichts Anderes zu seinem Augenmerk
nehmen, auf nichts Anderes denken, und zu seiner
eignen Beschäftigung erwählen, als das Kriegswesen und
die Einrichtung desselben; denn dies ist die einzige eigne
Sache dessen, der befehlen will, und vermag so viel, daß
sie nicht allein geborne Fürsten erhält, sondern auch manche
Privatpersonen zur Herrschaft erhebt. Und im Gegentheil
haben manche Fürsten die Herrschaft verloren, sobald sie
die Wollüste dem Kriegshandwerke vorzogen. Die erste Ursache,
die Herrschaft zu verlieren, ist es, wenn man den
Krieg verachtet: das Mittel, sie zu erwerben, ist die Erfahrenheit
in der Kriegskunst. Francesco Sforza ward
durch seine Geschicklichkeit in derselben Herzog von Mailand;
seine Söhne fielen durch ihre Abneigung gegen die
Mühseligkeiten des Kriegs von der herzoglichen Würde wieder
zurück in den Privatstand. Unter andern Uebeln, die
die Abneigung gegen den Krieg mit sich führt, ist dies,
daß sie Verachtung erregt: und dieses ist etwas, wofür sich
der Fürst am allermeisten hüten muß, wie weiter unten
mit Mehrerem gezeigt werden wird. Denn zwischen einem
Bewaffneten und einem Unbewaffneten ist gar kein Verhältniß.
Es ist unvernünftig zu erwarten, daß der Bewaffnete
dem Unbewaffneten gehorchen werde, und daß der Unbewaffnete
unter seinen bewaffneten Dienern sicher sein solle.
Auf einer Seite Verachtung, auf der andern Argwohn: das
kann zusammen unmöglich gut gehen. Ein Fürst, der den
Krieg nicht versteht, ist außer andern Uebeln, wie gesagt,
auch noch diesem unterworfen, daß er auf die Achtung
seiner Leute keinen Anspruch machen und ihnen nicht trauen
kann. Er darf daher dieses Kriegshandwerk niemals
vernachlässigen, und muß es im Frieden noch mehr üben, als
im Kriege selbst; welches auf zweierlei Art geschehen kann:
durch Thätigkeit und durch Nachdenken. Was das Erste betrifft,
so muß er seine Mannschaft immer in guter Ordnung
und in Uebung halten; selbst aber seinen Körper
durch die Jagd abhärten, welche ihm außerdem Gelegenheit
gibt, die verschiedene Beschaffenheit der Gegenden zu beobachten:
zu lernen, wie die Berge sich erheben und die Ebenen
laufen, wie Flüsse und Seen beschaffen sind, und dies
Alles auf das Genaueste zu bemerken. Diese Kenntniß hat
zweierlei Nutzen. Erstens lernt er sein eignes Land besser
kennen, und die Mittel es zu vertheidigen. Zweitens erlangt
er durch diese praktische Kenntniß die Fertigkeit, unbekannte
Gegenden zu erforschen, an denen ihm gelegen ist;
denn die Hügel, Berge, Thäler, Flüsse und Seen, z. B.
in Toscana, haben einige Aehnlichkeiten mit denen in andern
Ländern, so daß man durch die Bekanntschaft mit jenen
auch diese leichter kennen lernt. Der Fürst, dem diese
Geschicklichkeit fehlt, ermangelt eines Haupterfordernisses
des Feldherrn; denn hierdurch lernt man den Feind aufsuchen,
Lager auswählen, Armeen führen, Schlachten anordnen
und mit Vortheil Belagerungen anfangen. Unter
andern Lobsprüchen, welche die Schriftsteller dem achäischen
Feldherrn Philopömen ertheilen, ist auch dieser begriffen,
daß er im Frieden immer an den Krieg dachte, und wenn
er sich mit seinen Freunden im freien Felde befand, oft mit
ihnen Betrachtungen darüber anstellte, wer im Vortheile
sein würde, wenn der Feind auf jenem Hügel stände, und
wir hier mit unserm Heere wären? Wie er alsdann mit
Beibehaltung der Schlachtordnung sicher anzugreifen sei?
Was müßte geschehen, wenn wir uns zurückziehen wollten?
Was hätten wir zu thun, um ihn zu verfolgen, wenn er
sich zurückzöge? Auf Spaziergängen legte er ihnen alle
Fälle vor, die bei einem Heereszuge vorkommen können,
hörte ihre Meinung, sagte ihnen die seinige und unterstützte
diese mit Gründen: so daß nach so vielen Betrachtungen
fast kein Zufall im Felde sich ereignen konnte, der nicht
zum Voraus erwogen wäre. Was die Bildung des Geistes
anlangt, so muß der Fürst die Geschichte lesen und die
Handlungen ausgezeichneter Männer betrachten; erwägen,
wie sie sich im Kriege benommen haben, die Ursachen ihrer
Siege und Niederlagen erforschen, um diese zu vermeiden,
jene nachzuahmen; und vor allen Dingen es so zu machen
suchen, wie irgend ein großer Mann, den er sich zum Muster
vorgestellt hat, vor ihm gehandelt; so wie man sagt,
daß Alexander der Große den Achilles, Cäsar den Alexander,
Scipio den Cyrus zum Vorbilde gewählt habe. Wer
Xenophons Leben des Cyrus gelesen hat, wird im Leben
des Scipio erkennen, wie viel Ruhm diesem die Nachahmung
gebracht, und wie sehr Scipio sich bemüht hat, in der Enthaltsamkeit,
Leutseligkeit, Menschlichkeit und Freigebigkeit
das zu erreichen, was Xenophon vom Cyrus meldet. Auf
solche Art muß ein weiser Fürst die Muße benutzen; nicht
aber im Frieden müßig gehen, sondern sich durch Anstrengung
einen Schatz sammeln, den er im Unglücke gebrauchen
könne, damit das Glück, wenn es sich wendet, ihn vorbereitet
finde, seinen Schlägen zu widerstehen.
15. Wodurch die Fürsten Lob und Tadel erwerben.
Es erübrigt noch die Untersuchung, wie der Fürst sich
gegen seine Untergebenen und gegen seine Freunde benehmen
müsse. Und da dieses schon von Manchen abgehandelt
worden, so besorge ich, es werde mir zum Uebermuthe
angerechnet werden, daß ich ebenfalls von der Sache rede,
insbesondere da ich von meinen Vorgängern abweiche. Da
aber meine Absicht darauf gerichtet ist, etwas für den, der
es versteht, Nützliches zu schreiben, so scheint es mir schicklicher,
die Wahrheit so darzustellen, wie sich dieselbe in der
Wirklichkeit findet, als den Einbildungen jener zu folgen:
(denn manche Schriftsteller haben Republiken und Fürstenthümer
erdacht, dergleichen niemals gesehen worden, oder
in der Wahrheit gegründet gewesen sind) weil ein so großer
Unterschied vorhanden ist unter dem, was da geschieht,
und dem, was geschehen sollte; daß derjenige, der das Erste
vernachlässigt und sich nur nach dem Letzten richtet, seinen
Untergang eher als seine Erhaltung bereitet. Jemand, der
es darauf anlegt, in allen Dingen moralisch gut zu handeln,
muß unter einem Haufen, der sich daran nicht kehrt,
zu Grunde gehen. Daher muß ein Fürst, der sich behaupten
will, sich auch darauf verstehen, nach Gelegenheit schlecht
zu handeln, und dies thun oder lassen, so wie es die Nothwendigkeit
erfordert. Mit Hintansetzung alles dessen, was
über erdichtete Fürsten vorgebracht worden, und um bei
der Wahrheit zu bleiben, sage ich, daß allen Menschen, von
denen geredet wird, und vorzüglich den Fürsten, die so viel
höher stehen als andre, gewisse Eigenschaften beigelegt werden,
die mit Lob oder Tadel verbunden sind. Einer gilt
für freigebig, der andere für filzig,Die italienischen Worte misero
und avaro sind von den deutschen,
durch welche sie übersetzt werden können, in der feinern Bestimmung
des Sinnes etwas verschieden. Uebrigens ist filzig von geizig
zu unterscheiden: geizig ist, wer noch daneben zu erwerben trachtet;
filzig, wer sich enthält zu benutzen, was er besitzt. einer liebt zu geben,
der andre zu rauben; einer ist grausam, der andre mitleidig;
einer treulos, der andre zuverlässig; einer weibisch
und feig, der andre muthig und wild; einer menschenfreundlich,
der andre übermüthig; einer wollüstig, der andre
keusch und züchtig; einer aufrichtig, der andre listig;
einer hartherzig, der andre nachgibig; einer ernsthaft, der
andre leichtsinnig; einer religiös, der andre ungläubig und
so weiter. Ich weiß wohl, daß Jedermann eingestehen wird,
es sei wünschenswerth die Fürsten möchten von allen obbenannten
Eigenschaften die lobenswerten besitzen: da aber
die Beschaffenheit der menschlichen Natur nicht verstattet,
dies zu erwarten, und alle jene Vorschriften zu befolgen,
so ist es nothwendig, klug genug zu sein, um den übeln
Ruf solcher Laster zu vermeiden, über welche die Herrschaft
verloren gehen könnte; vor den Fehlern aber, welche solche
Folgen nicht haben, muß man sich zwar hüten, wenn es
möglich ist; allenfalls aber kann man sich sogar ohne viele
Vorsicht darin gehen lassen. Endlich muß man sich nicht
so ängstlich vor dem bösen Rufe solcher Untugenden hüten,
ohne welche man schwerlich die Herrschaft behauptet; denn
wenn man die Sachen genau betrachtet, so gibt es anscheinende
Tugenden, bei denen man zu Grunde geht; und anscheinende
Fehler, auf denen die Sicherheit und Fortdauer
des Wohlbefindens beruht.
16. Von der Freigebigkeit und dem Geize.
Ich fange mit der ersten unter den obgedachten Eigenschaften
an, und behaupte, daß es gut ist, für freigebig zu
gelten. Hingegen wird die Freigebigkeit, die du so ausübst,
daß du nicht dafür giltst, schädlich sein. Denn wird
sie nur recht tüchtig ausgeübt, und wie es recht ist, aber
nicht recht bekannt, so vermeidet man damit nicht einmal
den üblen Ruf des Gegentheils. Um den Namen eines
Freigebigen unter den Menschen zu behaupten, muß man
alle Art von Aufwand machen. Damit verzehrt ein Fürst
Alles, was er hat, und wird zuletzt genöthigt, um den Namen
des Freigebigen aufrecht zu halten, seine Unterthanen
mit Auslagen zu beschweren, und alle Wege einzuschlagen,
um Geld zu bekommen. Das macht ihn bei seinen Unterthanen
verhaßt, und sobald er in Geldnoth geräth, wird
er verächtlich. Seine Freigebigkeit hat Wenige bereichert,
seine Verschwendung aber drückt Viele, und er kommt darüber
bei der ersten Verlegenheit in Gefahr. Sieht er dies
ein und will zurückziehen, so kommt er in den bösen Ruf
der Filzigkeit. Da der Fürst also nicht auf solche Art freigebig
sein darf, daß es in die Augen falle und bekannt
werde, so muß er den Ruf des Geizes nicht fürchten. Mit
der Zeit wird er schon wieder für freigebig gelten, wenn
man sieht, daß bei seiner Sparsamkeit die gewöhnlichen Einkünfte
zureichen; daß er die Kosten eines Krieges, womit
er etwa überzogen wird, bestreiten kann, ohne die Unterthanen
zu beschweren, so daß er am Ende freigebig gegen
den großen Haufen ist, dem er das Seinige läßt, und geizig
nur gegen die Wenigen, die nichts von ihm erhalten. Wir
haben zu unsern Zeiten gesehen, daß nur diejenigen große
Dinge andichteten, die für geizig galten; die Andern aber
zu Grunde gingen. Papst Julius der Zweite hatte den
Namen der Freigebigkeit durch das Betragen erworben, wodurch
er sich auf den päpstlichen Stuhl schwang: nachdem
er ihn bestiegen hatte, dachte er nicht mehr daran, um sich
vielmehr nur zum Kriege gegen Frankreich vorzubereiten.
Er hat auch wirklich so viele Kriege geführt, ohne außerordentliche
Auflagen zu machen. Seine lange Sparsamkeit
schaffte Rath zu allen ungewöhnlichen Ausgaben. Wenn
der jetzige König von Spanien (Ferdinand der Katholische)
für freigebig hätte gelten wollen, so hätte er nicht so viele
Unternehmungen ausführen können. Ein Fürst, der solche
Wirthschaft führt, daß er nicht nöthig hat seine Unterthanen
auszuplündern, um sich zu vertheidigen, daß er nicht
zu besorgen hat, arm und verachtet zu werden, daß er nicht
in Gefahr geräth, aus Noth habsüchtig zu werden, darf
nicht fürchten für geizig zu gelten: denn das ist eine Untugend,
auf der die Sicherheit seiner Herrschaft beruht.
Und wenn Jemand sagen sollte, daß Cäsar durch seine
Freigebigkeit zur Herrschaft gelangt sei, und daß viele Andre
durch diesen Ruf sich sehr hoch geschwungen haben, so antworte
ich Folgendes: entweder du bist schon gemachter
Fürst, oder auf dem Wege es zu werden. Im ersten Falle
ist die Freigebigkeit nachtheilig, im zweiten ist es zwar nöthig,
für freigebig zu gelten, und von der Art war Cäsar,
der die Herrschaft von Rom zu erlangen strebte: hätte er
aber länger gelebt, ohne diese Weise zu handeln abzulegen,
so hätte er seine Herrschaft selbst zerstört. Auf die Antwort,
daß viele freigebige Fürsten mittelst ihrer Kriegsheere
große Dinge ausgerichtet haben, erwidere ich: der Fürst
vergeudet entweder das Seinige und das Gut seiner Unterthanen,
oder fremdes. Im ersten Falle sollte er sparsam
sein; im zweiten muß er auf alle Weise den Namen
der Freigebigkeit suchen; denn der Fürst, der mit einem
Heere auszieht, welches vom Raube, Plünderung, Brandschatzung
lebt, und fremdes Gut an sich bringt, muß wol
freigebig sein: sonst fände er keine Soldaten, die mit ihm
ausziehen. Wenn du nicht dein eignes oder deiner Unterthanen
Gut vergeudest, so magst du wol freigebig sein,
wie Cyrus, Cäsar und Alexander: fremdes Gut durchbringen,
macht keinen schlechten Namen, sondern das Gegentheil.
Nur die Verschwendung des eignen schadet. Keine Sache
verzehrt sich selbst, so wie die Freigebigkeit. Indem du sie
übst, verlierst du die Kraft dazu, und wirst entweder arm
oder niederträchtig, oder um der Armuth zu entgehen, räuberisch
und dadurch verhaßt. Unter allen Dingen, die ein
Fürst vermeiden muß, steht oben an, verachtet und verhaßt
zu sein, und die Freigebigkeit führt zu Beidem. Es ist daher
weiser, sich als geizig verschreien zu lassen, was freilich
einen schlechten Namen macht, jedoch ohne Haß zu erzeugen,
als um des Rufes der Freigebigkeit willen als räuberisch
berüchtigt und dabei verhaßt zu werden.
17. Von der Grausamkeit und Milde.
Ich gehe weiter zu den übrigen oben benannten Tugenden
und sage, daß jeder Fürst suchen müsse, für mitleidig
gehalten zu werden, jedoch aber so, daß er diese Tugend
nicht übel anwende. Cäsar Borgia galt für grausam.
Diese Grausamkeit hatte die Provinz Romagna zusammen
gehalten, in Einigkeit, in Frieden und in treuer Unterwürfigkeit.
Erwägt man es genau, so wird man finden, daß
dies viel menschlicher war, als das Betragen der Florentiner,
die zugaben, daß Pistoja zerstört ward, um nicht für
grausam zu gelten. Ein Fürst muß daher den Ruf der
Grausamkeit nicht scheuen, um seine Unterthanen in Gehorsam
und Einigkeit zu erhalten. Es ist mehr Gelindigkeit
darin, wenige Strafen zu verfügen, als durch unzeitige
Nachsicht Unordnungen zu veranlassen, welche Mord und
Raub erzeugen, die ganze Gemeinwesen treffen, wohingegen
die Straferkenntnisse der Fürsten nur Einzelne drücken.
Unter allen Fürsten kann der neue am wenigsten den Namen
der Grausamkeit vermeiden, weil seine Lage voll Gefahren
ist, und daher Virgil der Dido zur Entschuldigung
ihrer strengen Regierung Folgendes in den Mund legt:
„Res dura et regni novitas me talia cogunt
Moliri, et late fines custode tueri.“
Dennoch muß er nicht leicht glauben und sich in Bewegung
setzen; sich auch nicht von selbst fürchten, sondern mit Klugheit
und Menschenfreundlichkeit mäßig verfahren, so daß
ihn weder zu vieles Zutrauen unvorsichtig, noch zu vieles
Mißtrauen unerträglich mache. Hieraus entsteht eine Streitfrage,
ob es besser sei, geliebt oder gefürchtet zu werden.
Ich antworte, daß beides gut ist; da aber schwer ist, beides
mit einander zu verbinden, so ist es viel sichrer, gefürchtet
zu werden, als geliebt, wenn ja eines von beiden fehlen
soll. Denn man kann im Allgemeinen von den Menschen
sagen, daß sie undankbar, wankelmüthig, verstellt, feig in
der Gefahr, begierig auf Gewinn sind: so lange du ihnen
wohlthust, sind sie dir ganz ergeben, wollen Gut und Blut
für dich lassen, ihr eignes Leben aufopfern, das Leben ihrer
Kinder (wie ich schon gesagt habe), so lange die Gefahr
entfernt ist; kommt sie aber näher, so empören sie sich.
Der Fürst, der sich auf ihre Worte verlassen und keine
andren Zurüstungen gemacht hat, geht zu Grunde: denn
die erkauften Freundschaften, so da nicht durch Größe des
Geistes und Edelmuth erworben sind, haben zwar guten
Grund, halten aber doch nicht vor, wenn es Noth thut.
Die Menschen machen sich weniger daraus, den zu beleidigen,
der sich beliebt macht, als den, der gefürchtet wird;
denn die Zuneigung der Menschen beruhet auf einem Bande
der Dankbarkeit, das wegen der schlechten Beschaffenheit der
menschlichen Natur abreißt, sobald der Eigennutz damit in
Streit geräth: die Furcht aber vor Züchtigung läßt niemals
nach. Doch muß der Fürst sich auf solche Art fürchten
machen, daß er nicht verhaßt werde; denn es kann recht
gut mit einander bestehen, gefürchtet zu sein und nicht gehaßt.
Hierzu ist vornehmlich erforderlich, daß er sich der
Eingriffe in das Vermögen seiner Bürger und Unterthanen,
und ihrer Weiber enthalte. Ist es ja nothwendig, einem
das Leben zu nehmen, so geschehe es so, daß die gerechte
Ursache am Tage liege. Vor allen Dingen aber enthalte
er sich, das Vermögen der Unterthanen anzutasten, denn
die Menschen verschmerzen allenfalls noch eher den Tod
des Vaters, als den Verlust des Vermögens. Auch fehlt
es niemals an Veranlassungen, das Vermögen zu nehmen.
Wer einmal anfängt so zu plündern, findet immer Ursachen,
den Nächsten ebenfalls anzugreifen: die Veranlassungen zum
Blutvergießen sind seltner, und es fehlt leichter daran. Hat
der Fürst aber ein großes Heer beisammen, so darf er den
Ruf der Grausamkeit nicht fürchten; denn ein Kriegsheer
kann ohne das nicht wohl beisammen und in Gehorsam
erhalten werden. Unter die bewunderungswürdigen Thaten
des Hannibal wird vorzüglich gezählt, daß er ein großes,
aus unendlicher Mannichfaltigkeit von Menschengeschlechtern
zusammengesetztes Heer in fremde Länder geführt,
ohne daß jemals ein Aufstand oder Zwistigkeit unter ihnen
entstanden wäre, und zwar so wenig im Unglücke als im
Glücke. Dies kann nur von seiner unmenschlichen Grausamkeit
herrühren, die ihn in Verbindung mit seinen unendlichen
großen Eigenschaften ehrwürdig und furchtbar
machte, was ja durch die übrigen allein nicht geschehen
wäre. Unüberlegte Schriftsteller bewundern seine Handlungen
und tadeln auf der andern Seite die Ursachen derselben.
Daß dem wirklich also gewesen, beweist das Beispiel
des Scipio, der ein in seinen und in allen Zeiten so
seltnes Beispiel aller Tugenden gab, und dessen Kriegsheer
in Spanien dennoch rebellirte; was keine andre Ursache
gehabt hat, als seine Milde, die den Soldaten mehr Freiheit
zugestand, als mit der militärischen Zucht vereinbar
ist. Fabius Maximus warf ihm dies im Senate vor und
nannte ihn deswegen den Verderber der römischen Kriegszucht.
Als einer seiner Unterbefehlshaber die Locrenser vernichtete,
machte er diesem keinen Vorwurf darüber, und
strafte ihn nicht: auch dieses rührte von seiner allzunachsichtigen
Gemüthsart her. So daß Jemand im Senate
ihn damit entschuldigte, es gebe Menschen, die besser wüßten,
selbst nie zu fehlen, als die Fehler Andrer zu bestrafen.
Diese Gemüthsbeschaffenheit würde am Ende den
Ruhm des Scipio befleckt haben, wenn er hätte fortfahren
sollen, den Befehlshaber zu machen. Da er aber unter der
Regierung eines Senates lebte, so verschwand der Fehler
nicht nur, sondern gereichte ihm noch zum Ruhme. Ich
komme zum Beschlusse auf meine Behauptung zurück und
fasse sie also: da die Liebe der Menschen von ihrer Neigung,
ihre Furcht aber vom Betragen des Fürsten abhängt,
so muß der weise Fürst es nicht auf die Neigungen Andrer
ankommen lassen, sondern auf das achten, was von
ihm abhängt; nur muß er vermeiden, sich verhaßt zu machen.
18. In wie fern ein Fürst sein Wort halten muß.
Jedermann weiß, wie lobenswürdig es ist, wenn ein
Fürst sein Wort hält und rechtschaffen lebt, nicht mit List.
Dennoch sieht man aus der Erfahrung unsrer Tage, daß
diejenigen Fürsten, welche sich aus Treu und Glauben wenig
gemacht haben, und mit List die Gemüther der Menschen
zu bethören verstanden, große Dinge ausgerichtet, und
am Ende diejenigen, welche redlich handelten, überwunden
haben. Wisset also, daß es zwei Arten gibt, zu kämpfen:
eine durch die Gesetze, die andre durch Gewalt – das Erste
ist die Sitte der Menschen; das Zweite die Weise der Thiere.
Oft aber reicht das Erste nicht zu, und so muß zu der zweiten
Manier gegriffen werden. Einem Fürsten ist daher
nöthig, den Menschen und das reißende Thier spielen zu
können. Diese Lehre wird von den Alten dadurch angedeutet,
daß sie berichten, wie Achilles und viele andre Helden
vom Centauren Chiron aufgezogen und unterwiesen
worden. Einen solchen Lehrer haben, halb Mensch, halb
Thier, heißt nichts Anderes, als daß ein Fürst beide Naturen,
die menschliche und die thierische, gut zu gebrauchen
wissen soll, weil eine ohne die andre nicht lange besteht.Das ist nun freilich eine überaus kühne Interpretation der
griechischen Sage!
Weil es denn nothwendig ist, daß der Fürst sich darauf
verstehe, die Bestie zu spielen, so muß er Beides davon
nehmen, den Fuchs und den Löwen; denn der Löwe entgeht
den Schlingen nicht, und der Fuchs kann sich gegen
den Wolf nicht wehren. Die Fuchsgestalt ist also nöthig,
um die Schlingen kennen zu lernen, und die Löwenmaske,
um die Wölfe zu verjagen. Diejenigen, welche sich allein
darauf legen, den Löwen zu spielen, verstehen es nicht. Ein
kluger Fürst kann und darf daher sein Wort nicht halten,
wenn die Beobachtung desselben sich gegen ihn selbst kehren
würde, und die Ursachen, die ihn bewogen haben es zu
geben, aufhören. Wenn die Menschen insgesammt gut wären,
so würde dieser Rath nichts werth sein. Da sie aber
nicht viel taugen und ihr Wort gegen dich nicht halten, so
hast du es ihnen auch nicht zu halten: und einem Fürsten
kann es nie an Vorwand fehlen, es zu beschönigen, wenn
er es bricht. Hiervon könnte man viele neue Beispiele anführen
und zeigen, wie viele Friedensschlüsse, wie viele
Versprechungen durch die Untreue der Fürsten vereitelt sind,
und daß derjenige, der den Fuchs am besten zu spielen gewußt
hat, auch am weitesten kommt. Aber es ist nothwendig,
sich darauf zu verstehen, wie diese Eigenschaft beschönigt
wird, stark in der Kunst zu sein, sich zu verstecken
und zu verlarven. Die Menschen sind so einfältig und
hängen so sehr von dem Drucke des Augenblicks ab, daß
derjenige, der sie hintergehen will, allemal Jemand findet,
der sich betrügen läßt. Ein einziges neues Beispiel will
ich anführen. Papst Alexander der Sechste that gar nichts
Anderes als betrügen, dachte an nichts Anderes und fand
immer Leute, die sich anführen ließen. Niemals hat Jemand
eine größere Fertigkeit gehabt, zu versichern und mit
großen Schwüren zu betheuern, und weniger zu halten.
Dennoch gelangen ihm seine Anschläge, Hinterlisten nach
Wunsch, weil er die Welt von dieser Seite gut kannte.
Ein Fürst muß also nicht die vorhin beschriebenen Tugenden
haben, wol aber das Ansehn davon. Ich wage es zu
behaupten, daß es sehr nachtheilig ist, stets redlich zu sein:
aber fromm, treu, menschlich, gottesfürchtig, redlich zu scheinen
ist sehr nützlich. Man muß sein Gemüth so bilden,
daß man, wenn es nothwendig ist, auch das Gegentheil davon
vorbringen könne. Ein Fürst, und absonderlich ein
neuer Fürst, kann nicht immer alles das beobachten, was
bei andern Menschen für gut gilt; er muß oft, um seinen
Platz zu behaupten, Treue, Menschenliebe, Menschlichkeit
und Religion verletzen. Er muß also ein Gemüth besitzen,
das geschickt ist, sich so, wie es die Winde und abwechselnden
Glücksfälle fordern, zu wenden, und zwar nicht eben
den geraden Weg allemal verlassen, so oft es Gelegenheit
dazu gibt; wol aber den krummen Weg betreten, wenn es
sein muß. Ein Fürst muß sich daher wohl hüten, daß nie
ein Wort aus seinem Munde gehe, das nicht von obgedachten
fünf Tugenden zeugt. Alles, was von ihm herkommt,
muß Mitleid, Treue, Menschlichkeit, Redlichkeit,
Frömmigkeit athmen. Nichts aber ist nothwendiger, als
der Schein der letztgenannten Tugend. Denn die Menschen
urtheilen im Ganzen mehr nach den Augen, als nach dem
Gefühle. Die Augen hat Jeder offen; Wenige haben richtiges
Gefühl. Jeder sieht, was du zu sein scheinst; Wenige
merken, wie du beschaffen bist, und diese Wenigen wagen
es nicht, der Stimme des großen Haufens zu widersprechen,
dem der Glanz großer Würde immer für einen Grund der
Bewunderung gilt. Bei den Handlungen der Menschen,
absonderlich der Fürsten, welche keinen Gerichtshof über
sich anerkennen, wird immer auf den Endzweck gesehen.
Der Fürst suche also nur sein Leben und seine Gewalt zu
sichern: die Mittel werden immer für ehrenvoll gelten und
von Jedermann gelobt werden, denn der große Haufe hält
es stets mit dem Scheine und mit dem Ausgange. Die
ganze Welt ist voll von Pöbel, und die wenigen Klügern
kommen nur zu Worte, wenn es dem großen Haufen, der
in sich selbst keine Kraft hat, an einer Stütze fehlt. Ein
Fürst unsrer Zeit, den ich besser nicht nenne,Ferdinand von Arragonien scheint gemeint zu sein. predigt
nichts als Frieden und Treue, und wäre doch um seine
Herrschaft gekommen, wenn er sie selbst beobachtet hätte.
19. Verachtung und Haß sind zu vermeiden.
Nachdem ich von den wichtigsten der aufgezählten Eigenschaften
ausführlich gehandelt, so will ich die übrigen hier
in die allgemeine Lehre zusammenfassen, daß der Fürst (so
wie zum Theil im Einzelnen schon gesagt ist) Alles vermeiden
muß, was ihn gehässig oder verächtlich machen kann;
und so oft er dies vermeidet, wird er das Seinige gethan
haben, und alle übrige üble Nachrede kann ihm keine Gefahr
bringen. Verhaßt macht ihn vor allem Andern (wie
bereits erwähnt worden), wenn er räuberisch ist, und das
Vermögen und die Weiber seiner Unterthanen angreift,
deren er sich enthalten sollte. So lange der Menschen
Vermögen
und Ehre nicht angetastet wird, so lange leben sie
zufrieden, und es ist nur der Ehrgeiz einiger Wenigen zu
bekämpfen, welche auf mancherlei Art leicht im Zaume zu
halten sind. Verächtlich wird derjenige, der für wankelmüthig,
leichtsinnig, weibisch, kleinmüthig, unentschlossen
gilt: dieses muß ein Fürst vermeiden, wie eine Klippe;
und sich bemühen, in seinen Handlungen eine gewisse Größe,
Muth, Ernst und Stärke zu zeigen. In allen Verhandlungen
mit den Unterthanen muß er von sich die Meinung
zu erregen suchen, daß seine Entschlüsse unwiderruflich seien:
und sich in solcher Achtung erhalten, daß Niemand es wage,
ihn zu hintergehen oder zu bestricken. Der Fürst, der in
diesem Ansehn steht, hat Ruf genug, und gegen ihn wird
schwerlich eine Verschwörung angezettelt. Es greift ihn
nicht leicht Jemand an, sobald man weiß, daß er große
Eigenschaften hat und von den Seinigen geachtet wird.
Ein Fürst hat nur zwei Dinge zu fürchten: eines im Innern
von den Unterthanen; das andre von Außen von
fremden Mächten. Gegen diese wehrt man sich mit guter
Kriegsmacht, und wer die hat, dem kann es nie an Freunden
fehlen: im Innern wird er stets Ruhe erhalten, so
lange von Außen Alles sicher ist, es wäre denn, daß eine
Verschwörung entstände; und wird er von Außen angegriffen,
hat aber Alles angeordnet und so gehandelt, wie ich
gesagt habe, so wird er, bleibt er sich selbst nur getreu,
alle Anfälle abwehren, so wie Nabis der Spartaner. Aber
von den Unterthanen ist auch bei äußerer Ruhe eine Verschwörung
zu fürchten, gegen welche der Fürst sich sichert,
wenn er Haß und Verachtung vermeidet und das Volk zufrieden
stellt. Dies ist aber nothwendig, wie gezeigt worden.
Eines der kräftigsten Mittel gegen Verschwörungen
ist es, allgemeinen Haß und Verachtung des Volks zu vermeiden;
denn wer Verschwörungen anzettelt, glaubt immer,
durch den Tod des Fürsten das Volk zufrieden zu stellen.
Wer hingegen weiß, daß er dieses dadurch beleidigen wird,
wagt es nicht, solche Dinge zu unternehmen: denn die
Schwierigkeiten sind unendlich auf Seiten der Verschwornen.
Die Erfahrung zeigt, daß viele Verschwörungen gemacht,
wenige aber gelungen sind; denn wer sie unternimmt,
kann allein nichts ausrichten; Hilfe kann er nur bei denen
suchen, die er für unzufrieden hält. Sobald du aber einem
Mißvergnügten deine Absichten entdeckt hast, so gibst du
ihm das Mittel, seine eignen Wünsche zu befriedigen, denn
er mag von der Verrätherei des Anschlags allen Vortheil
hoffen. Wenn er sichern Gewinn von dieser Seite sieht,
und von der andern Ungewißheit und Gefahr, so muß er
eine seltne Treue der Freundschaft gegen seinen Mitgenossen,
oder eingewurzelten Haß gegen den Fürsten haben, wenn
er dir Wort halten soll. Kurz, auf Seiten der Verschwornen
ist nichts als Furcht, Eifersucht, Argwohn, welche Alles
lähmen; auf Seiten des Fürsten ist das Ansehn der fürstlichen
Würde, die Gesetze, Schutz der Freunde und der öffentlichen
Gewalt, so daß, wenn hier noch die Zuneigung
des Volks hinzukommt, es unmöglich ist, daß Jemand so
tollkühn sei, eine Verschwörung anzufangen. Gewöhnlich
haben die Verschwornen vor der Ausführung ihres Anschlags
Uebles zu fürchten: nach derselben müssen sie auch
noch alsdann, wenn Alles gelingt, das Volk fürchten, und
es bleibt ihnen daher keine Zuflucht. Ich könnte unzählige
Beispiele davon anführen; es ist aber mit Einem genug,
welches sich zur Gedenkzeit unsrer Väter ereignet hat. Annibal
Bentivoglio, Fürst von Bologna und Großvater des
jetztlebenden Herrn Annibal, ward von der Partei der Canni
in einer Verschwörung ums Leben gebracht. Er hinterließ
ein einziges Kind in den Windeln, den Giovanni. Gleich
nach dem Morde stand das Volk auf und brachte die ganze
Partei der Verschwornen um. Das war die Wirkung der
Zuneigung des Volks von Bologna gegen die Familie Bentivoglio,
welche damals so groß war, daß die Bologneser,
in Ermangelung eines Andern von der Familie, der nach
Annibals Tode den Staat hätte regieren können, nach Florenz
kamen, wo ein Sprößling des Hauses Bentivoglio sich
aufhielt, der aber für den Sohn eines Schmieds galt, um
diesem die Regierung zu übertragen, die er auch wirklich
geführt hat, bis Herr Giovanni das hinreichende Alter erreicht
hatte.Er besann sich, ob er den Antrag annehmen solle. Da ihm zugeredet
ward, wenn er ein ächter Bentivoglio sei, so würde er den Antrag
nicht ablehnen, und das Volk von Bologna ihn auch nicht verlassen,
wagte er den Schritt: und nun kam es auch so. Er bewies sich des
Blutes würdig, das man in ihm voraussetzte, und machte sein Recht
dadurch geltend. So viel vermag die Geburt, wenn sie nicht allein
Alles thun soll. Ich schließe also, daß ein Fürst Verschwörungen
wenig zu fürchten hat, so lange ihm das Volk gewogen
ist. Wenn er demselben aber verhaßt ist, so muß
er Alles und jeden Menschen fürchten. Wohlgeordnete
Staaten und weise Fürsten haben daher immer mit der
größten Sorgfalt zu vermeiden gesucht, daß die Großen
nicht in Verzweigung fallen, das Volk aber zufrieden bleibe;
denn dieses ist eine der wichtigsten Sorgen des Regenten.
Unter den wohlgeordneten und regierten Reichen unsrer Zeit
ist Frankreich zu nennen, wo sich unzählige gute Anstalten
finden, von denen die Sicherheit und Freiheit des Königs
abhängt. Unter diesen ist die erste das Parlament und sein
Ansehn. Wer dieses gegründet hat, kannte den Uebermuth
der Großen und ihre Dreistigkeit: er sah die Nothwendigkeit,
ihnen einen Zaum anzulegen. Auf der andern Seite
kannte er den Haß des Volks gegen die Großen, der von
der Furcht herrührt. Um dasselbe sicher zu stellen, dem Könige
aber die üblen Folgen abzunehmen, die von den Großen
zu besorgen waren, wenn er das Volk begünstigte, und
von dem Volke, sobald er die Großen begünstigte, so ordnete
er einen dritten Richter an, der ohne Beschwerde des
Königs die Großen niederhalten und das Volk schützen
konnte. Es ließ sich keine bessere Ordnung für die Sicherheit
des Reichs und des Königs ausdenken. Hieraus ist
noch eine Lehre zu ziehen: daß die Fürsten alle harten Maßregeln
durch Andre ausführen lassen, Gnadensachen aber
für sich selbst behalten müssen. Ferner schließe ich, daß
ein Fürst den Großen mit Achtung begegnen solle, jedoch
ohne das Volk zum Hasse zu reizen. Es mag vielleicht
Manchem scheinen, daß das Beispiel der römischen Kaiser
diesem widerspreche, da doch mehrere, die vortrefflich regiert
und vorzügliche Kraft des Geistes gezeigt hatten, durch Verschwörungen
den Thron oder gar das Leben verloren haben.
Diesem Einwurfe zu begegnen, will ich den Charakter
einiger Imperatoren durchgehen, und die Ursachen ihres
Falles anzeigen, welche demjenigen nicht widersprechen, was
ich oben gesagt habe. Dabei werde ich zum Theil erinnern,
was dem, der die Geschichte jener Zeit liest, bemerkenswerth
sein muß. Es ist für mich hinreichend, die Imperatoren,
welche vom Marcus Antoninus an bis auf Maximinus
regiert haben, durchzugehen. Marcus, sein Sohn Commodus,
Pertinax, Julianus, Severus, Antoninus Caracalla,
Sohn des Vorigen, Macrinus, Heliogabalus, Alexander
und Maximinus. Zuerst ist zu bemerken, daß, wenn in
andern Reichen nur der Ehrgeiz der Großen und die Zügellosigkeit
des Volks zu bekämpfen ist, die römischen Imperatoren
noch eine dritte Schwierigkeit vor sich fanden,
welche in der Habsucht und der Wildheit der Kriegsmacht
bestand. Diese Sache hat solche Schwierigkeit, daß sie Ursache
des Unterganges einiger Kaiser wurde; weil es schwer
ist, die Soldaten zufrieden zu stellen und das Volk zugleich
mit: denn das Volk wünscht Ruhe und liebt deswegen die
Fürsten von gemäßigter Denkungsart: die Soldaten aber
lieben kriegerische, übermüthige, grausame, raubsüchtige Fürsten.
Sie verlangten Personen von solcher Gemüthsart zu
Imperatoren, um doppelten Sold zu erhalten und ihren
Geiz und grausame Gemüthsart zu befriedigen. Daher
mußten alle Imperatoren, die nicht von Natur oder durch
ihre Bestrebungen sich ein Ansehn zu verschaffen wußten,
welches Alles Jene im Zaume zu halten vermochte, zu
Grunde gehen. Die meisten von ihnen, insbesondere die
aus dem Privatstande waren, bemühten sich, wenn sie diese
Schwierigkeiten fühlten, nur die Soldaten zufrieden zu stellen,
und achteten wenig auf die Bedrückung des Volks.
Dies war nothwendig. Denn wenn Fürsten es nicht vermeiden
können, den Haß des einen oder andern Theils auf
sich zu laden, so müssen sie doch alle Sorgfalt anwenden,
daß es nicht von beiden zugleich geschehe. Ist es einmal
unvermeidlich, von einer Partei gehaßt zu werden, so sei
es doch wenigstens nicht von der mächtigsten. Die Imperatoren,
welche zur neuen Herrschaft aufstiegen, und desfalls
außerordentlicher Gunst bedurften, machten sich daher
lieber einen Anhang unter den Soldaten als im Volke,
welches ihnen aber doch nur in so fern etwas nützte, als
sie ihr Ansehn bei den Letztern zu erhalten vermochten. Aus
diesen Ursachen nahmen diejenigen, welche von milder Gemüthsart,
Gerechtigkeit liebend, der Grausamkeit abgeneigt,
menschenfreundlich und leutselig waren, nämlich Marcus,
Pertinax und Alexander, den einzigen Marcus ausgenommen,
ein gewaltsames Ende. Marcus allein lebte und starb
geehrt, weil er durch Erbrecht den Thron bestiegen hatte,
und ihn weder den Soldaten noch dem Volke verdankte.
Außerdem war er durch so viele Tugenden ehrwürdig, wußte
beide Stände während seiner ganzen Regierung in ihren
Grenzen zu halten und machte sich nie verhaßt oder verächtlich.
Pertinax aber ward gegen den Willen der Soldaten
gewählt, welche unter dem Commodus an Zügellosigkeit
gewöhnt, das ordentliche Leben, welches Pertinax einführen
wollte, unerträglich fanden. Dies erzeugte Haß.
Dazu kam Geringschätzung wegen seines Alters, und so
ging er, gleich nachdem er die Regierung angetreten, zu
Grunde. Es ist bemerkenswerth daß Haß durch gute
Handlungen sowol als durch schlechte erregt werden kann. Ein
Fürst, der sich auf dem Throne erhalten will, darf daher
oft, wie ich bereits gesagt habe, nicht gut handeln, denn
wenn die Masse seines Volks oder Kriegsheers, oder die
Großen seines Reiches, deren er bedarf, um sich zu halten,
verdorben sind, so muß er wol ihrem Sinne folgen und sie
zufrieden stellen, wozu die rechtschaffenste Handlungen oft
schädlich sind. Auf den Alexander zu kommen: dieser war
so gütig gesinnt, daß man unter anderm Lobe, das ihm
ertheilt wird, bemerkt, er habe in einer vierzehnjährigen
Regierung keinen Menschen, ohne daß er verurtheilt worden,
tödten lassen. Dennoch fiel er in Geringschätzung, weil
er für weibisch galt, und es hieß, er ließe sich von seiner
Mutter regieren. Es entstand eine Verschwörung der Soldaten
gegen ihn, durch welche er um das Leben kam. Nunmehr
wollen wir die entgegengesetzten Charaktere des Commodus,
Severus, Antoninus Caracalla und Maximinus
betrachten. Wir finden sie höchst raubsüchtig und grausam.
Um die Soldaten zu befriedigen, enthielten sie sich keiner
Art von Mißhandlung des Volks. Dennoch kamen sie,
mit alleiniger Ausnahme des Severus, gewaltsamer Weise
ums Leben. Severus hatte ein so tapferes Gemüth, daß
er die Herrschaft dadurch glücklich zu behaupten vermochte,
daß er die Soldaten zu Freunden behielt, obwol er das
Volk sehr drückte: denn seine großen Eigenschaften machten
ihn den Soldaten und dem Volke so ehrwürdig, daß dieses
erstaunt und demüthig, jene aber voll Verehrung und befriedigt
waren. Da die Handlungen dieses zur Herrschaft
emporgestiegenen Regenten ganz ausgezeichnet gewesen sind,
so will ich kurz zeigen, wie er den Fuchs und den Löwen
zu spielen verstand, was ich vom Fürsten verlangt habe.
Da Severus die Feigheit des Kaisers Julianus erkannte,
überredete er das Heer, welchem er in Slavonien vorgesetzt
war, nach Rom zu gehen, um den Tod des Pertinax
zu rächen, den die Leibwache getödtet hatte. Unter diesem
Vorwande setzte er sich in Bewegung, ohne seine Absichten
auf den Thron merken zu lassen, und langte in Italien
an, ehe man seine Abreise wußte. Gleich nach seiner Ankunft
in Rom erwählte ihn der Senat aus Furcht, und
Julianus ward getödtet. Noch blieben dem Severus zwei
Schwierigkeiten: die eine in Asien, wo Niger sich hatte ausrufen
lassen, die andre im Occidente, wo Albinus nach der
Würde des Imperators strebte. Er hielt es für gefährlich,
sich zugleich gegen Beide zu erklären, und beschloß daher,
den Niger anzugreifen, den Albinus aber zu hintergehen.
Diesem schrieb er, er sei vom Senate erwählt, wolle die
Würde mit ihm theilen, gab ihm den Titel Cäsar und ließ
ihn durch den Senat zu seinem Collegen erwählen. Albinus
nahm dieses für Ernst. Als Severus aber den Niger
besiegt und den Orient beruhigt hatte, kehrte er nach Rom
zurück und beschwerte sich im Senate über den Undank des
Albinus, der ihn verrätherischer Weise nach dem Leben getrachtet
habe, und den er wegen seiner Undankbarkeit züchtigen
müsse. Er suchte ihn hierauf in Frankreich auf und
nahm ihm Würde und Leben. Wer diese Geschichte aufmerksam
erwägt, wird den muthigsten Löwen und den
schlauesten Fuchs erkennen: wird sehen, wie er von Allen
gefürchtet und geehrt ward und beim Kriegsheere nicht verhaßt
war. Man darf sich nicht wundern, daß dieser neue
Fürst die Herrschaft zu behaupten gewußt, da er sich durch
seinen großen Ruf beständig gegen den Haß zu wehren
wußte, den seine Neuerungen beim Volke hätten erzeugen
können. Sein Sohn Antoninus hatte ebenfalls ausgezeichnete
Eigenschaften, und ward deswegen vom Volke bewundert,
bei den Soldaten aber beliebt, weil er kriegerisch war,
alle Strapazen nicht achtete und köstliche Speisen so wie
alle andern Wollüste verachtete, welches ihm die Zuneigung
aller Armeen erwarb. Aber seine Wildheit und Grausamkeit
war so unerhört, daß er bei verschiednen Gelegenheiten
einen großen Theil des Volks von Rom und alle
Bewohner von Alexandrien tödtete. Dadurch ward er der ganzen
Welt verhaßt, und flößte auch denen, die um ihn waren,
Furcht ein, so daß ein Centurio ihn mitten in seiner
Armee umbrachte. Hierbei ist zu bemerken, daß die Fürsten
solchen gewaltsamen Tod durch die Hand eines entschlossenen
Mannes gar nicht vermeiden können. Denn es kann
Jeder die That vollbringen, der nur sein eignes Leben nicht
achtet. Doch hat der Fürst sie eben nicht zu fürchten, weil
solche Handlungen äußerst selten sind. Er muß sich nur
hüten, diejenigen, die um ihn sind, und deren er sich in
Regierungsgeschäften bedient, nicht gröblich zu beleidigen,
wie Antoninus that, der einen Bruder des Centurio hatte
tödten lassen, und ihm selbst täglich drohte, trotzdem aber
die Leibwache anvertraute. Das war tollkühn und mußte
ein schlechtes Ende nehmen, wie es auch in Wahrheit geschehen
ist. Wir kommen zum Commodus, der die Herrschaft
gar leicht hätte behalten können, die er als Sohn
des Marcus geerbt hatte. Er durfte nur in die Fußtapfen
seines Vaters treten, so hätte er Volk und Soldaten Genüge
gethan. Da er aber ein grausames und thierisches
Gemüth hatte, veranlaßte er selbst in der Armee allerlei
Complotte, und ließ sie zügellos werden, um seine Raubgier
zu befriedigen und das Volk auszuplündern. Auf der
andern Seite behauptete er seine Würde schlecht, indem er
oft ins Theater herabstieg, um mit Gladiatoren zu kämpfen,
und andre Dinge vornahm, die der kaiserlichen Würde
schlecht anstanden; er ward also bei den Soldaten verächtlich.
Auf einer Seite gehaßt, auf der andern verachtet,
fiel er als Opfer einer Verschwörung. Endlich vom Maximinus.
Dieser war höchst kriegerisch, und da die Armee
einen Widerwillen gegen das weibische Wesen des Alexander
bekommen, von dem ich oben geredet habe, tödteten sie
diesen und wählten jenen zum Kaiser, welcher er jedoch
nicht lange blieb. Zwei Dinge machten ihn verhaßt und
verachtet. Das eine seine niedrige Herkunft, da er in
Thracien das Vieh gehütet hatte (welches allgemein bekannt war,
und ihn in allen Augen herabsetzte); das andre, daß er im
Anfange seiner Herrschaft verschob, nach Rom zu gehen und
Besitz von der kaiserlichen Würde zu nehmen; daneben in
üblen Ruf gerieth, weil er durch seine Statthalter in Rom
und anderen Orten viele Grausamkeiten verüben lassen.
Da mithin die ganze Welt voll Unwillen über seine niedrige
Herkunft, und andrerseits voll Haß und Furcht wegen
seines wilden Gemüths war, so verschwor sich der Senat,
ganz Rom und endlich ganz Italien gegen ihn. Hierzu
kam sein eignes Heer, welches im Lager vor Aquileja Schwierigkeiten
bei der Belagerung fand, seiner Grausamkeit überdrüssig
ward, und da es sah, daß ihn die ganze Welt haßte,
ihn umbrachte. Ich will weder vom Heliogabalus, noch
vom Macrinus, noch Julianus reden, welche so niedrige
Geschöpfe waren, daß sie sofort zu Grunde gingen: sondern
ich komme zum Schlusse und sage, daß die Fürsten unsrer
Zeit sich weniger in jener Verlegenheit befänden, auf außerordentliche
Mittel denken zu müssen, um die Soldaten zu
befriedigen. Wenngleich auf diese Rücksicht genommen werden
muß, so hat es doch damit so viel nicht zu bedeuten;
denn die heutigen Fürsten haben keine Heere beisammen,
die mit der Regierung und Verwaltung der Provinzen so
verwebt wären, als die römischen. War es damals nöthiger,
das Kriegsheer zu befriedigen, als das Volk, weil jenes
mächtiger war, als dieses; so ist es gegenwärtig für alle
Fürsten (mit Ausnahme der Sultane von Konstantinopel
und Egypten) notwendiger, das Volk zufrieden zu stellen,
weil selbiges heutigen Tages mehr vermag, als die Soldaten.
Ich nehme den türkischen Kaiser aus, der ungefähr
zwölftausend Mann zu Fuß und fünfzehntausend zu Pferde
hält, von denen die Sicherheit und Stärke seines Reiches
abhängt, und die er daher nothwendig ohne alle Rücksicht
auf die andern Unterthanen zu Freunden behalten muß.
Eben so ist es mit dem Sultan von Egypten, der ganz in
den Händen seiner Soldaten ist, und diese daher zu Freunden
behalten muß, es koste was es wolle. Es ist dabei zu
bemerken, daß dieser Sultan von allen andern Fürsten verschieden
ist, und Aehnlichkeit mit dem Papste hat, der weder
Erbfürst ist, noch für einen neuen Fürsten gelten kann; denn
es werden jedesmal nicht die Söhne des verstorbenen Regenten
Erben und Nachfolger, sondern der Fürst wird von
denen gewählt, die dazu befugt sind. Da diese Ordnung
der Dinge alt ist, so kann es nicht für eine neue Herrschaft
gelten, indem keine von den Schwierigkeiten vorhanden sind,
die ein neuerrichtetes Fürstentum drücken. Wenngleich der
Fürst aus dem Privatstande zu der Würde erhoben wird,
so sind doch die Anordnungen alt, und Alles ist darauf
eingerichtet, ihn als einen Erbfürsten zu empfangen. Auf
meine Behauptung zurückzukommen, so wird Jeder, der
die obige Erzählung erwägt, einsehen, daß Haß und Verachtung
die Ursachen des Unterganges jener Imperatoren
gewesen. Es wird dadurch begreiflich, wie es zugegangen
ist, daß, da einige auf diese, andre auf entgegengesetzte Weise
handelten, dennoch einige von jenen und einige von diesen
ein glückliches, andre ein unglückliches Ende genommen.
Dem Pertinax und Alexander half es nichts, dem Marcus
nachzuahmen, weil sie sich auf den Thron geschwungen hatten,
dieser aber ein Erbfürst war; dem Caracalla, Commodus
und Maximinus war es sehr nachtheilig, es so zu
machen wie Severus, weil es ihnen an den erforderlichen
Tugenden fehlte, in seine Fußtapfen zu treten. Ein neuer
Fürst kann dem Marcus nicht nachahmen und braucht
nicht dem Severus zu folgen: sondern er muß vom Severus
annehmen, was nöthig ist, seine Herrschaft zu gründen;
vom Marcus aber das, was ruhmwürdig und nützlich
ist, einen bereits festgegründeten Staat zu erhalten.
20. Ob Festungen und andere Sicherheitsanstalten
den Fürsten nützlich oder schädlich sind?
Einige Fürsten haben ihre Unterthanen entwaffnet, um
ihre Herrschaft sicher zu stellen, andre haben es darauf angelegt,
daß die Parteien in den ihnen unterworfenen
Städten fortdauern sollten, andre haben Feindschaften gegen
sich selbst unterhalten, andre haben sich bemüht, diejenigen,
welche ihnen zu Anfang verdächtig waren, zu gewinnen;
einige haben Festungen erbaut, andre haben sie
niedergerissen und zerstört. Obgleich über alle diese Dinge
kein allgemeines Urtheil stattfindet, sondern es auf die besondern
Umstände des Staates ankommt, in welchem eine
Entschließung zu fassen ist, so will ich doch im Allgemeinen
so viel davon reden, als die Natur der Sache verstattet.
Es ist einem neuen Fürsten niemals zuträglich gewesen,
seine Unterthanen zu entwaffnen. Vielmehr hat ein solcher
sie allemal mit Nutzen bewaffnet, wenn er sie unbewaffnet
fand: denn wenn er sie bewaffnet, so werden diese Waffen
Sein, Verdächtige werden treu, die Getreuen können sich
erhalten, und die Unterthanen werden Anhänger ihres
Herrn. Da es aber unmöglich ist, alle Unterthanen zu
bewaffnen, so sind diejenigen, welche dazu ausersehen werden,
mit gewissen Vorzügen auszuzeichnen: mit den andern
aber kann man ganz sicher nach Belieben verfahren. Diese
Verschiedenheit in der Behandlung sichert die Ergebenheit
derer, die hervorgezogen werden; die andern aber entschuldigen
das Verfahren, weil sie die Nothwendigkeit einsehen,
diejenigen, welche mehr Verpflichtung und Gefahr übernehmen,
zu belohnen. Wer hingegen damit anfängt, das Volk
zu entwaffnen, beleidigt es, und zeigt Mißtrauen in ihren
Muth oder ihre Treue: solche Gesinnungen erregen beide
Haß. Weil der Fürst nicht ganz ohne Kriegsmannschaft
sein kann, so muß er zu Miethstruppen greifen, von deren
Beschaffenheit oben gehandelt worden. Wären diese aber
auch tadellos, so kann man doch ihrer nicht genug unterhalten,
um sich gegen mächtige Feinde und verdächtige Unterthanen
zugleich zu vertheidigen. Neue Fürsten haben daher
allemal, wie ich bereits gesagt habe, in ihren neuerworbenen
Ländern Kriegsmannschaft eingeführt. Die Geschichte
ist voll solcher Beispiele. Wenn aber ein Fürst ein Land
erwirbt, welches als ein neues Glied mit seinen Besitzungen
im alten Staatskörper vereinigt wird, so ist es nothwendig,
diese Provinz zu entwaffnen, mit alleiniger Ausnahme derjenigen,
die sich bei der Eroberung für ihn erklärt haben.
Und auch diese ist es rathsam, mit der Zeit und bei guter
Gelegenheit schlaff und weichlich zu machen, und die Sachen
so einzurichten, daß alle Soldaten aus dem alten Lande
seien. Unter unsern Vorfahren pflegten die Weisesten zu
sagen, die Herrschaft müsse über Pistoja durch innere Uneinigkeit,
über Pisa durch Festungswerke behauptet werden.
Sie unterhielten daher in jener untergebenen Stadt die
innern Zwistigkeiten, um sie sichrer zu beherrschen. Dieses
mochte zu der Zeit gut sein, als ein gewisses Gleichgewicht
in Italien vorhanden war: gegenwärtig aber scheint mir
der Rathschlag nicht mehr tauglich. Ich glaube vielmehr,
daß aus angestifteten Uneinigkeiten niemals Gutes kommt:
vielmehr müssen Städte, die innerlich entzweit sind, bei
Annäherung eines Feindes bald fallen; denn der schwächste
Theil wird sich immer an den auswärtigen Feind hängen,
der andre aber nicht im Stande sein, sich zu behaupten.
Diese Ursachen haben, wie es mir scheint, die Venezianer
bewogen, die Parteien der Guelfen und Ghibellinen in den
ihnen unterworfenen Städten zu unterhalten. Wenn sie
es gleich nicht bis zum Blutvergießen kommen ließen, so
unterhielten sie doch diese Zwistigkeiten, damit die Bürger
beschäftigt und abgehalten würden, sich gegen sie aufzulehnen.
Dieses schlug aber nicht so aus, als beabsichtigt war;
denn sie waren nicht sobald bei Vaila geschlagen, so faßte
eine der Parteien Muth und stürzte die venezianische
Herrschaft. Aehnliches Verfahren deutet allemal die Schwäche
des Fürsten an. Unter einer kräftigen Herrschaft werden
solche Uneinigkeiten nicht gestattet, weil sie nur im Frieden
zu etwas nützen können, indem sie dienen, die Unterthanen
nach Gefallen zu behandeln; entsteht aber Krieg, so tritt
doch zu Tage, wie trüglich eine solche Art zu regieren ist.
Ohne Zweifel dient es zur Größe eines Fürsten, Schwierigkeiten
und Widerstand zu überwinden. Wenn das Schicksal
einen neuen Fürsten, der unstreitig eines guten Rufes
mehr bedarf, als ein Erbfürst, groß machen will, so erweckt
es ihm Feinde und reizt dieselben zu Unternehmungen gegen
ihn, damit er sie zu Schanden mache, und auf der
Leiter, die ihm seine Feinde solchergestalt zutragen, noch
höher steige. Es haben daher Einige geurtheilt, daß ein
weiser Fürst, wofern die Gelegenheit sich darbietet, einige
Feinde schlauer Weise anfeuern müsse, um durch ihre Besiegung
größer zu werden. Die Fürsten, und insbesondere
neue, haben mehr Treue bei denen gefunden, und mehr
Nutzen von denen gezogen, die ihnen im Anfang verdächtig
waren, als bei denen, die sich gleich anfangs zu ihnen schlugen.
Pandolfo Petrucci, Fürst von Siena, regierte seinen
Staat mehr durch Jene, als durch die Andern. Aber es
ist nicht viel davon zu sagen, weil es allein auf die Umstände
ankommt. Ich will nur noch dieses Einzige anführen,
daß diejenigen, welche einer Herrschaft anfangs feind
waren, wofern sie so beschaffen sind, daß sie sich nicht ohne
Unterstützung halten können, vom Fürsten leicht gewonnen
werden, und genöthigt sind, ihm treuere Dienste zu leisten;
da sie einsehen, daß sie etwas thun müssen, um die nachtheiligen
ersten Eindrücke auszulöschen. Der Fürst zieht
also von ihnen größern Nutzen, als von denen, welche sich
in seinem Dienste ganz sicher halten und daher seine Sache
vernachlässigen. Da der Gegenstand es erfordert, darf ich
nicht verabsäumen, die Fürsten, die ein Land durch Hilfe
ihrer Anhänger unter den Einwohnern erobern, zu erinnern,
daß sie wohl erwägen, welche Ursachen jene bewogen haben,
es mit ihnen zu halten. Ist dies nicht aus einer natürlichen
Zuneigung, sondern blos aus Mißvergnügen mit
dem vorigen Zustande der Dinge geschehen, so wird man
sie mit aller Mühe schwerlich zu Freunden behalten, weil
es beinahe unmöglich ist, sie zufrieden zu stellen. Wenn
man alte und neue Geschichten erwägt, so wird man finden,
daß es leichter ist, diejenigen zu gewinnen, welche bei dem
vorigen Zustande der Dinge zufrieden, und deswegen dem
neuen Herrn feind waren, als diejenigen, welche unzufrieden
waren und diesen deswegen begünstigten.
Die Fürsten pflegen wol zu ihrer Sicherheit Festungen
anzulegen, welche ihnen als Zaum und Gebiß ihrer Gegner
dienen, und bei einem Ueberfalle eine Zuflucht für den
ersten Anlauf anbieten. Ich kann diese Weise nicht mißbilligen,
da es von Alters her so geschehen. Doch hat Herr
Nicolo Vitelli zu unsrer Zeit zu Città di Castello zwei
Burgen niedergerissen, um diesen Ort zu behaupten. Guid’Ubaldo,
Herzog von Urbino, zerstörte nach seiner Rückkunft
in sein Land, aus welchem ihn Cäsar Borgia vertrieben
hatte, alle festen Plätze in demselben, weil er es auf diese
Art leichter zu behaupten dachte. Eben so machten es die
Bentivogli nach ihrer Rückkehr in Bologna. Festungen
sind daher nach Umständen nützlich oder schädlich, und
wenn sie auf einer Seite helfen, so schaden sie auf der andern.
Dies beruht auf Folgendem: der Fürst, der mehr
sein eignes Volk als Fremde zu fürchten hat, muß Festungen
anlegen; wer sich aber mehr vor fremden, als vor seinen
eignen Leuten fürchtet, unterlasse es. Dem Hause Sforza
hat das Castell von Mailand, welches Francesco Sforza
erbaut hat, mehr Schaden gethan, als irgend ein andrer
Umstand. Die beste Festung ist, seinem Volke nicht verhaßt
zu sein; denn wen das Volk haßt, dem helfen Festungen
nicht, weil es nie an Fremden fehlt, die dem Volke zu
Hilfe kommen, sobald es die Waffen ergriffen hat. Zu
unsern Zeiten hat man kein Beispiel gesehen, wo sie einem
Fürsten Nutzen gebracht hätten, außer der Gräfin von
Forli;Catharina, Tochter des Francesco Sforza und Schwester des
Ludwig. Ihr Gemahl war Hieronymus Riario, Neffe Papst Sixtus
des Vierten. welche sich bei einem Volksaufstande nach dem
Tode ihres Gemahls, des Grafen Girolamo, dahinein rettete,
bis Hilfe von Mailand kommen konnte und sie wieder
einsetzte: dabei verstatteten die damaligen Umstände den
Fremden nicht, dem aufrührerischen Volke zu Hilfe zu kommen.
Nächstdem aber, da Cäsar Borgia sie angriff, und
das Volk sich mit Fremden gegen sie verband, diente die
Festung zu nichts. Allemal wäre es ihr mehr werth gewesen,
von ihrem Volke nicht gehaßt zu werden, als Festungen
zu haben. In Erwägung alles dessen will ich gern
denjenigen loben, der Festungen anlegt, und den, der keine
anlegt; tadle aber denjenigen, der sich darauf verläßt, und
deswegen den Haß des Volkes nicht achtet.Eine weitere Ausführung der in diesem Kapitel enthaltenen Gedanken
findet man in den Discorsi über den Livius im 2. Buche, 24.
Kapitel.
21. Wie ein Fürst sich zu betragen hat, um
großen Ruhm zu erwerben.
Nichts erwirbt einem Fürsten so viel Achtung, als große
Unternehmungen und glänzende Handlungen. Zu unsrer
Zeit haben wir den Fernando, König von Arragonien, gegenwärtigen
König von Spanien. Derselbe kann gewissermaßen
für einen neuen Souverain gelten, weil er aus
einem schwachen Fürsten, durch den Ruhm seiner Thaten,
zu dem ersten Monarchen der Christenheit geworden. Wenn
man seine Handlungen betrachtet, so findet man in allen
Größe: einige sind aber ganz außerordentlich. Zu Anfang
seiner Regierung griff er Granada an; diese Unternehmung
ward der Grund seiner Größe. Anfangs vollführte er sie
ganz gemächlich und brauchte nicht zu besorgen, darin gehindert
zu werden; beschäftigte damit die castilischen Barone,
welche dadurch abgehalten wurden, auf Neuerungen
zu Hause zu denken, und erwarb selbst dadurch unvermerkt
großes Ansehn über sie und Ruf. Er war vermögend,
seine Armee mit dem Gelde der Kirche und seines Volks
zu unterhalten, und legte durch diese langen Feldzüge einen
guten Grund zu der Kriegsmacht, welche ihm in der Folge
zu so großer Ehre verhalf. Außerdem aber übte er, um
zu größeren Unternehmungen schreiten zu können, unter beständigem
Vorwande der Religion eine fromme Härte aus,
durch Vertreibung der Mauren. Ein schrecklicheres und
seltneres Ereigniß gibt es nicht. Unter gleichem Vorwande
fiel er in Afrika ein, versuchte einen Feldzug in Italien,
griff endlich Frankreich an. So beschäftigte er sich beständig
mit großen Entwürfen, welche unaufhörlich seine Unterthanen
in der Erwartung ihres Ausganges und in Bewunderung
erhielten. Diese seine Handlungen entsprangen
eine aus der andern, also, daß gar nicht dazwischen zu kommen,
und keine Zeit war, dagegen zu wirken. Ferner ist
es einem Fürsten sehr ersprießlich, in der innern Verwaltung
auffallende Dinge zu thun, so wie vom Herrn Bernhard
von Mailand erzählt wird, als wenn Gelegenheit entsteht,
irgend Jemanden wegen außerordentlicher Dinge im
Guten oder im Bösen auf solche Art zu belohnen oder
zu bestrafen, daß davon viel geredet werde. Vor allen
Dingen muß ein Fürst in jeder seiner Handlungen den
Ruf des Großen und Hervorstechenden suchen. Noch erweckt
es große Hochachtung gegen einen Fürsten, wenn er
sich als einen ernstlichen Freund oder Feind beweist: das
ist, wenn er ohne alle Bedenklichkeit entschiedene Partei
nimmt; dies bringt stets mehr Ruhm, als neutral zu bleiben.
Denn wenn zwei mächtige Nachbarn in Streit gerathen,
so hast du von dem Sieger etwas zu befürchten,
oder nicht. In beiden Fällen ist es besser, hervorzutreten
und ernstlich Theil zu nehmen: denn im ersten Falle wird
derjenige, der sich nicht bloßgeben wollte, allemal eine Beute
des Siegers, zur größten Zufriedenheit des Ueberwundenen,
und es bleibt keine andre Zuflucht mehr offen. Denn der
Ueberwinder verlangt keine verdächtigen Freunde, die in
der Gefahr nicht beistehen. Der Besiegte bietet demjenigen
keine Zuflucht an, der in den Zeiten des Kampfes sich geweigert
hat, Theil zu nehmen. Antiochus hatte sich von
den Aetoliern bewegen lassen, nach Griechenland zu kommen,
um die Römer zu bekämpfen. Er schickte Gesandte
an die Achäer, welche Freunde der Römer waren, um sie
zu bewegen, Zuschauer zu bleiben. Auf der andern Seite
redeten ihnen die Römer zu, die Waffen für sie zu ergreifen.
Als dies in der Versammlung der Achäer zur Berathung
kam, so antwortete der römische Gesandte dem
Botschafter des Antiochus, der zur Neutralität mahnte,
Folgendes: „Wenn es Euch als der beste und nützlichste
Ausweg empfohlen wird, neutral zu bleiben, so bedenket,
daß Euch nichts Nachtheiligeres angegeben werden könnte;
denn wenn Ihr am Kriege keinen Theil nehmet, so werdet
Ihr ohne Dank und ohne Ehre eine Beute des Siegers
werden.“ Es wird immer so kommen, daß derjenige, der
mit dir nicht gut steht, dich ersuchen wird, neutral zu bleiben;
der Andre aber wird dich bitten, ihn zu schützen. Unentschlossene
Fürsten schlagen meistentheils diesen Weg der
Neutralität ein und gehen auch meistentheils darüber zu
Grunde. Macht aber ein Fürst ernstlich gemeine Sache
mit einem Theile, und dieser trägt den Sieg davon, so
bleibt er freilich abhängig von demselben, jedoch sind die
Fäden der Dankbarkeit angeknüpft, und die Menschen sind
nicht so verrätherisch, daß sie die Undankbarkeit bis dahin
treiben sollten, ihren Anhänger sogleich zu unterdrücken.
Auch ist der Sieg selten so vollständig, daß der Sieger
nicht allerlei Rücksichten nehmen müßte und vorzüglich auf
die Gerechtigkeit. Wenn aber der Theil, zu dem du dich
geschlagen hast, unterliegt, so steht er dir doch bei, und du
hast einen Freund, mit dessen Beihilfe du vielleicht wieder
emporkommen kannst. Im zweiten Falle, da die streitenden
Parteien einander so gleich sind, daß vom Sieger nichts
zu fürchten ist, so ist es so viel klüger, Partei zu nehmen,
weil sonst Einer zu Grunde gerichtet wird, dem ein kluger
Zuschauer vielmehr beistehen würde; siegt er, so behältst
du ihn in Händen, und es ist fast unmöglich, daß derjenige,
dem du beistehst, nicht den Sieg davontrage. Hier ist noch
bemerkenswerth, daß ein Fürst sich niemals mit einem Mächtigern
verbinden muß, um über einen Dritten herzufallen,
außer im Falle der Noth. Denn wenn er siegt, so bist
du in seiner Gewalt: dies ist aber vor allen Dingen zu
vermeiden. Die Venezianer verbanden sich mit Frankreich
gegen den Herzog von Mailand; dies geschah unnöthiger
Weise, und sie gingen darüber zu Grunde. Wenn es aber
unvermeidlich ist, so wie mit den Florentinern der Fall
war, als der Papst und die Spanier die Lombardei überzogen,
alsdann muß man freilich wol diesen Entschluß nehmen.
Kein Staat glaube jemals mit Sicherheit auf etwas
zählen zu können, sondern rechne beständig auf die Ungewißheit
aller Dinge: denn die Welt ist so beschaffen, daß
man allemal einer Unbequemlichkeit entgeht, in eine andre
aber hineingeräth. Die Klugheit besteht darin, unter ihnen
auszuwählen, und die geringste auszusuchen. Ferner noch
muß ein Fürst Liebe zu ausgezeichneten Eigenschaften beweisen
und vorzügliche Männer in jedem Fache ehren. Er
muß seine Bürger anfeuern, daß sie sich ernstlich in ihrem
Gewerbe anstrengen, sei es im Handel oder dem Ackerbau,
oder anderm Gewerbe; daß sie nicht fürchten, das, was sie
erworben, zu genießen; ihre Besitzungen, aus Furcht sie zu
verlieren, vernachlässigen; aus Furcht vor neuen Steuern
den Handel liegen lassen. Vielmehr muß er Jeden dazu
aufmuntern, und denjenigen, der der Stadt oder dem
Staate auf irgend eine Art förderlich ist, belohnen. Sein
Volk muß er zu den gehörigen Zeiten im Jahre mit Festlichkeiten
und Schauspielen beschäftigen, und da jede Stadt
aus Zünften besteht, diese ehren, ihren Zusammenkünften
zu schicklichen Zeiten beiwohnen, sich menschenfreundlich und
freigebig beweisen, dabei aber seine Würde in allen Dingen
behaupten, welche niemals vernachlässigt werden darf.
22. Von den Ministern.
Die Wahl der Räthe ist keine der geringsten Angelegenheiten
eines Fürsten und fällt gut oder schlecht aus, nachdem
er wohl überlegt oder nicht. Man urtheilt zunächst
über ihn und über seinen Verstand, nachdem die Personen
beschaffen sind, die ihn umgeben. Sind sie der Sache gewachsen
und getreu, so wird er immer für einen weisen
Mann gelten, weil er sie für das erkannte, was sie waren,
und sie treu zu erhalten wußte. Ist das nicht, so kann man
über ihn kein günstiges Urtheil fällen, wenn er in dieser
ersten Angelegenheit Fehler begeht. Wer nur den Antonio
von Venafro, den Minister des Pandolfo Petrucci, Fürsten
von Siena kannte, mußte diesen für einen Mann von Verstand
halten, weil er jenen zu seinem Minister erwählte.
Es gibt drei Arten von Köpfen. Die erste sieht Alles von
selbst ein; die zweite begreift es, wenn Andre die Sache
darlegen; die dritte sieht nichts ein, weder von selbst, noch
durch die Bemühungen Andrer. Die ersten sind die vorzüglichsten,
die zweiten sind noch immer vortrefflich, die
letzte Art ist aber zu nichts nütze. Pandolfo gehörte nicht
zu der ersten, wol aber zu der zweiten Classe; denn wer
nur den Verstand hat, Gutes und Schlechtes, was Andre
sagen und thun, zu unterscheiden, kann, wenn er schon selbst
keinen erfinderischen Geist besitzt, die Handlungsweise seiner
Minister beurtheilen, tüchtige erheben und andre züchtigen;
kein Minister kann ihn hintergehen, und er erhält sich. Minister
zu beurtheilen, dazu ist Folgendes ein untrügliches
Mittel. Sieht man, daß einer mehr an sich als an seinen
Herrn denkt, und in allen seinen Handlungen seinen persönlichen
Vortheil vor Augen hat, der wird nie ein guter
Rathgeber sein, noch kann man ihm trauen. Denn wer
einmal die Angelegenheiten einer Regierung in Händen
hat, muß nicht mehr an sich denken, sondern an seinen
Fürsten, und Alles in Beziehung auf diesen betrachten. Auf
der andern Seite muß der Fürst wieder an ihn denken, ihm
Ehre und Reichthum zuwenden, ihn sich verbinden, an der
Ehre und der Führung der Geschäfte Theil nehmen lassen,
so daß er sehe, er könne ohne den Fürsten nicht bestehen,
und so viel Auszeichnung habe, daß er nicht nach höherer
strebe; des Reichthums so viel, daß er nicht noch mehr begehre;
und in so hohen Aemtern stehe, daß er jede Staatsveränderung
fürchten muß. Wenn Minister so beschaffen
sind und von den Fürsten so behandelt werden, dann können
beide einander trauen; sonst aber wird es sicher mit
dem Einen oder Andern ein schlechtes Ende nehmen.
23. Schmeichler sind zu fliehen.
Ein Kapitel von größter Wichtigkeit kann ich nicht übergehen,
da es einen Fehler betrifft, den die Fürsten selten
vermeiden, wenn sie nicht sehr viel Verstand haben und
nicht gut zu wählen wissen. Dies behandelt nämlich die
Schmeichler. Es gibt gar kein anderes Mittel, um sich gegen
die Schmeichelei zu sichern, als wenn man zeigt, daß
man die Wahrheit hören kann, ohne dadurch beleidigt zu
werden: darf aber Jeder dir die Wahrheit sagen, so verletzt
er die Ehrfurcht. Ein kluger Fürst muß daher einen dritten
Weg einschlagen, gescheidte Leute auswählen, diesen allein
erlauben, ihm die Wahrheit zu sagen, aber doch nur über
die Gegenstände, darüber er sie befragt; er muß sie aber
über Alles befragen, ihre Meinung hören und dann selbst
seine Entschließung fassen. Mit diesen Rathgebern muß er
sich so benehmen, daß Jeder sieht, er werde desto mehr Gehör
finden, je freimüthiger er spricht. Außer diesen aber
muß er Niemand hören, beschlossene Sachen nicht wieder
besprechen und von gefaßten Beschlüssen nicht zurückgehen.
Wer es anders macht, wird entweder durch die Schmeichler
ins Verderben gestürzt, oder wird über der Mannichfaltigkeit
der Ansichten, über das öftere Wanken in seinen
Entschlüssen verächtlich. Ich will hiervon ein Beispiel aus
der neuesten Geschichte anführen. Pater Luca, ein Vertrauter
Kaiser Maximilians, sagte von diesem, er ziehe Niemanden
zu Rathe und handle doch niemals nach seinem
eignen Sinne: welches daher rühre, daß er das Gegentheil
von dem zu thun pflege, was hier oben angegeben ist; der
Kaiser sei nämlich ein verschlossener Mann, eröffne Niemandem
seine Gedanken und frage Niemanden um seine Meinung.
Aber wenn er anfängt, seine Entwürfe ins Werk
zu richten, und sie sich entwickeln, so finden sie auch Widerspruch
bei seinen Umgebungen; und da er selbst von nachgibigem
Charakter sei, lasse er sich leicht davon abbringen.
Was er an einem Tage angefangen, vernichte er am folgenden
wieder. Man könne daher nie daraus klug werden,
was er vorhabe, und könne auf seine Beschlüsse nicht bauen.
Ein Fürst muß sich also beständig berathen: aber das, wenn
Er es will, nicht wenn Andre wollen; er muß Jedem den
Muth nehmen, ihm ungefragt Rath zu ertheilen; er muß
aber häufig fragen und alsdann den freimüthigen Vortrag
der Wahrheit gern hören, und vielmehr noch zürnen, wenn
Jemand sie ihm aus Nebenursachen vorenthält. Es glauben
wol Einige, daß manche Fürsten, welche den Ruf großer
Klugheit erworben haben, denselben nicht ihrem eignen
Verstande, sondern den guten Rathschlägen Andrer verdanken;
aber diese irren unstreitig: denn es ist eine ganz allgemeine
Regel ohne Ausnahme, daß ein Fürst, der selbst
keinen Verstand hat, auch nicht guten Rath annehmen kann,
es sei denn, daß er zufälligerweise ganz und gar von einem
einzigen, und zwar von einem sehr gescheidten Manne regiert
würde. In diesem letzten Falle kann er wol gut geleitet
werden; es dauert aber nicht lange: denn ein solcher Rathgeber
wird ihn bald selbst stürzen. Ein Fürst, dem es an
Weisheit fehlt und der Mehrere befragt, wird nie übereinstimmende
Rathschläge erhalten, und sie eben so wenig selbst
in Uebereinstimmung bringen. Jeder seiner Rathgeber wird
immer auf seine eigne Sache denken, und der Fürst wird
sie weder kennen, noch in Ordnung halten. Rathgeber, die es
anders machen, sind nicht zu finden, denn die Menschen sind
ihrer Natur nach schlecht, wenn sie nicht durch Noth gezwungen
werden, gut zu handeln. Mit Einem Worte: Gute Rathschläge,
sie mögen herrühren von wem sie wollen, müssen
von der Klugheit des Fürsten veranlaßt werden. Durch
gute Rathschläge wird kein Fürst klug gemacht.
24. Wie die Fürsten Italiens ihre Herrschaften
verloren haben.
Wenn alles bisher Ausgeführte gut beobachtet wird, so
wird ein neuer Fürst einem alten gleich und wird geschwind
so sicher und fest in seiner Herrschaft, als wenn er darin
aufgewachsen wäre. Denn die Handlungen eines neuen
Fürsten werden weit mehr beachtet, als eines Erbfürsten.
Erkennt man darin große Vorzüge, so gewinnt dieses die
Menschen, und er erwirbt sich eine größere Anhänglichkeit,
als ein altes Geschlecht; denn die Menschen sind viel mehr
mit dem Gegenwärtigen, als mit vergangenen Dingen beschäftigt;
befinden sie sich wohl, so sind sie damit zufrieden
und verlangen nichts Anderes, nehmen auch ernstlich die
Partei des Fürsten, wenn er nur sich selbst nicht im Stiche
läßt. Auf diese Art erwirbt er doppelten Ruhm, indem
er eine neue Herrschaft gegründet, zu Ehren gebracht, mit
guten Gesetzen, tüchtiger Kriegsmacht, Freunden und gutem
Beispiel für Andre versehen hat. Dagegen trifft doppelte
Schande den Fürsten, der eine alte Herrschaft durch Unverstand
verliert. Wenn man aber die Geschichte
derjenigen italienischen Fürsten betrachtet, welche zu unsrer Zeit
ihre Staaten verloren haben, wie den König von Neapel,
den Herzog von Mailand und Andre; so wird man zuerst
einen gemeinsamen Fehler finden, in den sie hinsichtlich der
Kriegsmacht gefallen sind: aus den oben aus einander gesetzten
Ursachen. Ferner wird man finden, daß einer oder
der andere von ihnen das Volk zum Feinde gehabt, oder
wenn er das Volk zum Freunde hatte, sich der Großen
nicht versichern konnte. Ohne solche Fehler geht keine Herrschaft
verloren, welche mächtig genug ist, ein Heer ins Feld
stellen zu können. Philipp von Macedonien, nicht der Vater
Alexanders des Großen, sondern derjenige, welchen Titus
Quintius überwand, hatte keinen großen Staat im
Vergleich mit den Römern und Griechen, die ihn angriffen;
dennoch hielt er es manches Jahr mit ihnen aus,
weil er kriegerischen Geist hatte, das Volk zu behandeln
verstand und sich der Großen zu versichern wußte. Wenn
er auch eine und die andre Stadt verlor, so behauptete er
sich doch in seinem Königreiche. Unsre Fürsten, welche eine
lange Jahre hindurch besessene Herrschaft verloren haben,
mögen also nur nicht das Schicksal anklagen, sondern ihre
eigne Feigheit; denn wenn sie in ruhigen Zeiten nie darauf
gedacht haben, daß diese sich ändern können – der gewöhnliche
Fehler der Menschen, bei gutem Wetter nicht an
den Sturm zu denken – und alsdann, wenn schlimme
Umstände eintreten, nicht darauf denken, sich zu vertheidigen,
sondern entfliehen und hoffen, daß die Völker sie aus
Ueberdruß der Sieger wieder zurückrufen sollen; so ist das
ganz gut, wenn gar kein andrer Weg eingeschlagen werden
kann: aber es ist sehr übel, andre Wege zu vernachlässigen
und diesen vorzuziehen. Kein Mensch wird je muthwillig
fallen, in Hoffnung, daß ein Andrer ihm wieder aufhelfen
werde. Mag das nun wirklich geschehen oder nicht, so ist
es immer höchst unsicher. Es hängt nicht von uns ab und
ist ein niedriges Mittel. Nur diejenige Vertheidigung ist
gut, sicher, dauerhaft, welche von uns selbst und unsrer
eignen Tapferkeit abhängt.
25. Welchen Einfluß das Glück auf die Angelegenheiten
der Menschen hat.
Ich weiß wohl, daß Viele ehedem die Meinung gehegt
haben und noch jetzt hegen, die Begebenheiten der Welt
würden solchergestalt vom Glücke und von Gott regiert,
daß die Menschen mit aller Klugheit sie nicht verbessern
und nichts dagegen ausrichten könnten. Daraus könne man
abnehmen, daß es nicht der Mühe werth sei, viel einzufädeln,
sondern daß man sich nur dem Schicksale hingeben
möge. Diese Meinung hat in unsern Tagen durch die
großen Veränderungen, die Alles erlitten hat, die man
noch täglich sieht, und welche alle menschlichen Vermuthungen
zu Schanden machen, viel gewonnen. Indem ich hierüber
nachgedacht, bin ich zu Zeiten geneigt gewesen, mich
zu derselben Meinung zu bekennen. Weil aber doch der
menschliche freie Wille damit in Widerspruch steht, so urtheile
ich, daß das Glück wol die Hälfte aller menschlichen
Angelegenheiten beherrschen mag; aber die andre Hälfte,
oder doch beinahe so viel, uns selbst überlassen müsse. Ich
vergleiche das Glück mit einem gefährlichen Flusse, der,
wenn er anschwillt, die Ebene überschwemmt, Bäume und
Gebäude umstürzt, Erdreich hier fortreißt, dort ansetzt.
Jedermann flieht davor und gibt nach; Niemand kann widerstehen.
Dennoch können die Menschen in ruhigen Zeiten
Vorkehrungen treffen, mit Deichen und Wällen bewirken,
daß der Fluß bei hohem Wasser in einem Canale abfließen
muß, oder doch nicht so unbändig überströmt und
nicht so viel Schaden thut. In gleicher Art geht es mit
dem Glücke, welches seine Macht zeigt, wo keine ordentlichen
Gegenanstalten gemacht sind, und sich mit Ungestüm dahin
kehrt, wo keine Wälle und Dämme vorhanden sind, es im
Zaume zu halten. Wenn man Italien betrachtet, welches
der Sitz dieser großen Umwälzungen gewesen ist, so wird
man ein ebenes Feld finden, ohne Wälle und Dämme.
Wäre dieses Land durch hinlängliche Kriegstugend vertheidigt,
so wie Deutschland, Frankreich und Spanien, so hätten
jene Ueberschwemmungen keine solchen Umwälzungen
hervorgebracht, oder wären gar nicht eingetreten. So viel
im Allgemeinen vom Widerstande gegen das Schicksal.
Nunmehr der Sache näher zu treten, sage ich, daß man
einen Fürsten heute im Wohlstande, morgen zu Grunde
gehen sieht, ohne daß er seine Natur im Geringsten verändert
habe. Dies scheint mir zuerst von den Ursachen
herzurühren, die ich oben ausführlich erörtert habe: nämlich,
daß ein Fürst, der sich ganz auf das Glück verläßt,
zu Grunde gehen muß, sobald dieses sich dreht. Ferner
glaube ich, daß es dem gut gehe, der in seiner Handlungsweise
mit dem Geiste der Zeit zusammentrifft, und daß derjenige
verunglücken müsse, der mit den Zeiten in Widerspruch
geräth. Denn man sieht die Menschen ihre Zwecke,
die sich ein jeder vorgesetzt hat, es sei nun solches Ehre
und Ruhm oder Reichthum, auf verschiedene Art verfolgen.
Einer mit Vorsicht, der andre mit Ungestüm; einer mit
Gewalt, der andre mit List; einer mit Geduld, der andre
auf entgegengesetzte Art, und jeder kann auf seine Weise
dazu gelangen. Man sieht zwei gleich vorsichtige: einem
gelingt es, dem andern nicht. Ebenfalls gelingt es zwei
verschiedenen gleich gut, von denen der eine vorsichtig, der
andre ungestüm zu Werke geht. Dies rührt lediglich von
der Verschiedenheit der Umstände her, welche mit der Art
zu verfahren übereinstimmen oder nicht. Daher kommt,
was ich gesagt habe, daß zwei entgegengesetzte Verfahrungsarten
zu dem gleichen Zwecke führen; und daß von zweien,
die auf gleiche Art verfahren, doch einer das Ziel erreicht,
der andre es verfehlt. Eben daher kommen die Abwechselungen
des Glücks; denn wenn Jemand sich mit Vorsicht
und Besonnenheit und Geduld benimmt, dazu die Umstände
wohl übereinstimmen, so geht Alles gut von Statten. Aendern
sich Zeiten und Umstände, so geht er zu Grunde, wenn
er sein Betragen nicht ebenfalls ändert. Es findet sich aber
nicht leicht ein so verständiger Mann, nach dem er sich zu
richten vermöchte; theils weil er nicht gegen seine natürliche
Neigung handeln kann; theils weil derjenige, dem es auf
einem gewissen Wege bis dahin gelungen ist, sich nicht überzeugen
kann, daß es gut sei, denselben nunmehr zu verlassen.
So geht es dem vorsichtigen Manne. Wenn es
Zeit ist, dreist darauf los zu gehen, so vermag er dies
nicht, und muß also zu Grunde gehen. Hätte er seine Gemüthsart
mit den Zeiten und Umständen geändert, so hätte
das Schicksal sich nicht geändert. Papst Julius der Zweite
ging in allen Dingen mit Ungestüm zu Werke, und die
Zeitumstände stimmten dazu so gut, daß er immerfort
glücklich war. Man erwäge nur seine erste Unternehmung
gegen Bologna, als Giovanni Bentivoglio noch lebte. Die
Venezianer waren damit nicht zufrieden: der König von
Spanien sowol als der von Frankreich dachten selbst auf
eine solche Unternehmung. Dennoch griff er mit seinem
gewöhnlichen Ungestüme die Sache an, und zwar persönlich.
Dieser kühne Schritt hielt Venedig und Spanien zurück;
jenes aus Furcht, dieses durch die Begierde, das ganze
Königreich Neapel zu erobern. Auf der andern Seite zog
der Papst den König von Frankreich in sein Interesse, indem
der König sah, daß der Papst einmal zugeschlagen
hatte; und da er selbst die Venezianer zu demüthigen
wünschte, so glaubte er jenen nicht durch Verweigerung der
Hilfstruppen offenbar beleidigen zu dürfen. Julius brachte
also durch seine ungestümen Bewegungen zu Stande, was
niemals ein andrer Papst durch alle menschliche Klugheit
ausgerichtet hätte. Hätte er gezaudert, von Rom aufzubrechen,
bis Alles gehörig bestellt und alle Anstalten vorläufig
getroffen wären, so wie andre Päpste es gemacht
hatten, so wäre es ihm nicht gelungen. Denn der König
von Frankreich hätte tausend Entschuldigungen gefunden,
und die Andern hätten ihm tausend Besorgnisse erregt.
Ich übergehe alle seine andern Handlungen, welche insgesammt
dieser ähnlich sind und alle gelangen. Die Kürze
seines Lebens hat nicht verstattet, daß er ein feindliches
Schicksal erfuhr. Wären aber Umstände eingetreten, die
ein vorsichtiges Betragen erheischten, so wäre auch Er zu
Grunde gegangen, weil er seinen natürlichen Charakter in
seiner Handlungsweise nicht würde haben verläugnen können.
Ich schließe also, daß, da die Glücksumstände veränderlich
sind, die Menschen aber bei ihrer Weise eigensinnig
beharren, es diesen nur so lange gut geht, als Beides
mit einander übereinstimmt; sobald aber Disharmonie
darin eintritt, Alles mißglücken muß. So viel ist indessen
wahr, daß allemal besser ist, muthig darauf los zu gehen,
als bedächtig; denn das Glück ist ein Weib, und wer
dasselbe unter sich bringen will, muß es schlagen
und stoßen. Es läßt sich eher von dem, der es so
behandelt, unterjochen, als von dem, der ruhig und kalt
zu Werke geht. Deswegen ist es auch als ein ächtes Weib
den jungen Leuten gewogen, weil sie weniger bedächtig sind,
muthiger und dreister ihm befehlen.Vorzüglich wahre Sentenz!
26. Aufruf, Italien von der Fremdherrschaft
zu befreien.
Erwägt man nun alles bisher Vorgetragene und überlegt
mit mir, ob augenblicklich wol in Italien die Zeitverhältnisse
so sind, daß man einen neuen Fürsten zu Ehren
bringen und daß ein tapferer und besonnener Mann eine
neue Verfassung schaffen könnte, die ihm selbst zum Ruhme
gereichte und der Nation Vortheil brächte, so scheinen mir
jetzt so viele Umstände zusammenzukommen, daß nie ein
günstigerer Zeitpunkt dazu vorhanden war. Wie gesagt,
die Künste des Moses konnten sich nicht entwickeln, wenn
die Juden nicht in der Dienstbarkeit Egyptens gewesen wären;
die Größe des Cyrus wäre nicht erkannt, wenn die
Perser nicht von den Medern vorher unterdrückt wären;
den Theseus berühmt zu machen, mußten die Athenienser
zu seiner Zeit zerstreut leben; und so mußte auch, damit
ein italienischer hoher Geist sich zeigen könne, Italien so
tief sinken, sklavischer werden, als die Juden je gewesen sind,
unterdrückter als die Perser, zerstreuter als die Athenienser,
ohne Kopf, ohne Ordnung, geschlagen, ausgeplündert,
zerrissen, überrannt, – das italienische Volk mußte auf
alle Weise zu Grunde gerichtet sein. Und wenn sich gleich
bis daher in Einem oder Anderm einiger Schein gezeigt
hat, als ob er von Gott dazu berufen sei, Italien zu erlösen,
so sind solche doch im Verfolge der Begebenheiten
durch das Schicksal so zurückgeworfen, daß Italien noch
immer wie todt daliegt und auf den harrt, der es von den
erlittenen Schlägen herstellen, den Plünderungen und Verheerungen
der Lombardei, dem Aussaugen und Erpressungen
des römischen Gebietes und Königreichs Neapel ein
Ende machen, und die durch die Länge der Zeit so tief hinein
brandig gewordenen Wunden heilen wird. Seht, wie
das Volk zu Gott ruft, er möge Jemand senden, der es
von der Grausamkeit und dem Uebermuthe der Barbaren
erlöse! Seht, wie geneigt es ist, der Fahne zu folgen, wenn
nur Jemand da wäre, der sie aufpflanzte. Es ist aber jetzt
Niemand zu finden, auf den man hoffen dürfte, außer in
eurem erlauchten Hause, welches durch seine hohen Eigenschaften
und durch seinen GlückssternNardi erzählt im 6. Buche seiner Geschichte von Florenz, daß
die Astrologen dem Papste Leo X. in den ersten Monaten seiner Regierung
vorhergesagt haben, sein Bruder Giuliano (der als Herzog von
Nemours starb) werde König von Neapel, und sein Neffe Lorenzo Herzog
von Mailand werden. (unter Begünstigung
Gottes und der Kirche, an deren Spitze euer Geschlecht
gegenwärtig steht) Anführer der Befreiung werden könnte.
Dies wird euch nicht schwer werden, wofern ihr nur die
von mir vorgehaltenen Beispiele vor Augen behaltet. Und
obwol diese von seltnen und bewunderungswürdigen Männern
herrühren, so waren sie doch auch Menschen: die Gelegenheit
aber nie so günstig als gegenwärtig; denn ihre
Unternehmungen waren weder gerechter noch leichter, noch
auch hat sich Gott ihnen günstiger bewiesen als euch. Hier
ist gerechte Sache: denn dieser Krieg ist gerecht, nothwendig.
Hier sind fromme Waffen: deswegen hoffet auf nichts
Anderes, als auf sie. Alles ist dazu vorbereitet, und mithin
kann es keine großen Schwierigkeiten haben, wenn man
nur die von mir aufgestellten Beispiele zum Muster nimmt.
Außerdem sind Zeichen und Wunder geschehen ohne Beispiel,
und die von Gott kommen; das Meer hat sich aufgethan,
eine Wolke hat euch den Weg gezeigt, ein Fels hat
Wasser ergossen, Manna ist geregnet: Alles hat sich vereinigt
zu eurer Größe; das Uebrige müßt ihr selbst thun.
Gott thut nicht Alles, um der Freiheit des menschlichen
Willens keinen Eintrag zu thun, und uns den Theil des
Ruhmes zu lassen, der unsre Handlungen angeht. Auch
ist es nicht zu verwundern, wenn keiner von oben gedachten
Italienern das hat leisten können, was man von eurem
erlauchten Hause hoffen darf, und wenn es in so vielen
Umwälzungen von Italien und so vielen kriegerischen Unternehmungen
den Anschein gehabt hat, als sei alle kriegerische
Tugend erloschen. Dies beweist nur, daß die alten
Anordnungen nichts taugten, und bisher Niemand neue zu
erdenken gewußt hat. Nichts bringt einem neu aufsteigenden
Helden mehr Ehre, als die Erfindung neuer Gesetze
und neuer Anordnungen. Sind diese gut begründet und
ist darin eine gewisse Größe, so erwerben sie ihm Verehrung
und Bewunderung, und es fehlt in Italien nicht an Materie
zu jeder neuen Gestalt. Kraft genug ist in den Gliedern,
wenn sie nur nicht in den Köpfen gefehlt hätte. Die
Zweikämpfe und einzelnen Gefechte unter wenigen Personen
beweisen, wie viel Ueberlegenheit die Italiener in Kraft,
Geschicklichkeit und Verstand besitzen. So wie sie aber in
ganzen Heeren zusammen erscheinen, so sieht man nichts
mehr davon; Alles liegt nur an der Schwäche der Häupter,
denn die es besser wissen, gehorchen nicht; Jedermann
aber will es so gut wissen als der Andre, da bis jetzt noch
Niemand aufgestanden ist, der Ueberlegenheit genug in Tugend
und Glück gezeigt hätte, daß die Andern ihm hätten
weichen müssen. Daher kommt es denn, daß seit zwanzig
Jahren kein einziges Heer etwas ausgerichtet hat, welches
aus bloßen Italienern bestand. Das beweisen die Schlachten
am Taro, Alexandrien, Capua, Genua, Vaila, Bologna,
Mestri. Wenn also euer erlauchtes Haus das Beispiel derer
nachahmen will, die ihr Vaterland befreit haben, so ist
vor allen Dingen nöthig (worauf ja jede Unternehmung
beruht), eigne Mannschaft anzuwerben, weil es keine treueren,
ächteren und besseren Soldaten gibt. Wenn gleich jeder
Einzelne für sich gut ist, so werden sie zusammengebracht
noch besser, sobald sie von ihrem eigenen Fürsten
angeführt sind und sich von demselben geehrt und gut behandelt
sehen. Es ist also nöthig, sich auf diese Art zu
rüsten, um sich mit italienischer Tapferkeit gegen die Fremden
zu vertheidigen. Und obgleich die schweizerischen und
spanischen Fußvölker für furchtbar gelten, so haben doch
beide ihre Fehler, die einem Dritten Gelegenheit zum Widerstande
und Hoffnung geben, sie zu besiegen. Denn die
Spanier können den Angriff der Reiterei nicht aushalten,
und die Schweizer geben dem Fußvolke nach, wenn sie auf
solches stoßen, das eben so hartnäckig im Gefechte ist, als
sie selbst. Die Erfahrung hat dieses bewiesen; die Spanier
können eine französische Reiterei nicht abhalten; die Schweizer
unterliegen spanischem Fußvolke. Von dem letzten haben wir
noch keine vollständige Erfahrung: jedoch hat sich ein Probestückchen
davon in der Schlacht bei Ravenna gezeigt, als die
Spanier mit deutschen Truppen zusammentrafen, welche
dieselbe Art zu fechten haben wie die Schweizer. Die Spanier
drangen nämlich durch die Gewandtheit des Körpers
und durch Hilfe ihrer kleinen Schilder tief auf sie ein, unter
ihre Piken, und waren dabei im Angriffe gedeckt, ohne daß
die Deutschen sich gegen sie wehren konnten. Wäre die
Reiterei nicht dazu gekommen, so waren sie Alle verloren.
Da man also die Mängel jener Mannschaft zu Fuß erkannt
hat, so kann gegenwärtig eine neue Einrichtung derselben
eingeführt werden, welche der Reiterei zu widerstehen vermag
und andres Fußvolk nicht zu fürchten braucht. Dieses
wird nicht durch die Beschaffenheit der Waffen, sondern durch
Stellung und Anordnung der Mannschaft bewirkt werden.
Dieses sind die Erfindungen, welche einen neuen Fürsten
groß machen und seinen Ruhm gründen. Die gegenwärtige
Gelegenheit möge also nicht vorübergehen, damit Italien
endlich nach so langer Zeit seinen Erretter sehe. Ich
vermag es nicht auszudrücken, mit welcher Begierde ihn alle
Länder aufnehmen würden, die so viel von den fremden
Ueberschwemmungen gelitten haben; mit welchem Durste
nach Rache, welcher unüberwindlichen Treue, welcher frommen
Liebe; wie viel Thränen für ihn fließen würden! Welche
Thore würden wol ihm verschlossen werden? Welches Volk
könnte es versagen, ihm zu gehorchen? Wie dürfte der Neid
sich gegen ihn regen? Welcher Italiener könnte sich weigern,
ihm zu folgen? Einen Jeden ekelt diese fremde Herrschaft
an! So ergreife denn euer erlauchtes Haus den Entschluß,
mit dem guten Muthe und der Hoffnung, womit gerechte
Unternehmungen angefangen werden, damit das Vaterland
unter seinen Fahnen wieder geadelt werde, und die Prophezeiung
des Petrarca eintreffe:
„Die Tugend wird gegen die wilde Wuth in Waffen
treten und das Gefecht bald entschieden sein; denn die alte
Tapferkeit ist in der Brust der Italiener auch heute noch
nicht erstorben!“
Erläuterungen.
1.
Charakteristisch für den Standpunkt des Verfassers sind
sogleich die ersten Worte. Ein heutiges politisches Handbuch
würde etwa beginnen: „Die Verfassungen der Völker
im staatsbürgerlichen Vereine“. Dagegen heißt es hier:
„Die Gewalten, welche Herrschaft über die Menschen ausüben“.
Dieser Herrschaft setzt Macchiavelli die Freiheit entgegen,
wie die Griechen und Römer Tyrannei und Republik
einander entgegensetzten. Aber in seinen Betrachtungen
über die Republik (Discorsi sul Livio) ist eben sowol als
im Buche vom Fürsten nur von der Befriedigung des Ehrgeizes
und der Herrschsucht, hier des Einzelnen, dort der
Partei, die im Staate regiert, und den äußern Verhältnissen
die Rede. Nach einer von Simonde Sismondi am
Schlusse seiner Geschichte der italienischen Republiken vortrefflich
ausgeführten Bemerkung sind in diesem Gemeinwesen
des Mittelalters, wie in den griechischen und römischen,
die Ideen von Freiheit und Unabhängigkeit nur auf
diese äußern Verhältnisse und nicht auf den einzelnen Bürger
angewandt, auch nur der herrschenden Mehrzahl zu
Gute gekommen; während dagegen der Genuß der Freiheit
und des Vermögens jedes Einzelnen, so weit dies Alles
mit der Ordnung des Ganzen vereinbar ist, den Hauptgegenstand
der politischen Speculation unserer Zeit ausmacht.
An dieser für das menschliche Geschlecht sehr wohlthätigen
Veränderung hat die Neigung zu metaphysischen
Spekulationen unverkennbar großen Antheil, und das darf
bei der Beurtheilung des Zeitgeistes im achtzehnten Jahrhunderte
nicht übersehen werden. Die Entwickelung abstracter
Begriffe über die Rechte der Menschen in der bürgerlichen
Gesellschaft erregt meistentheils bei denen, die die
wirkliche Welt im Auge haben, nur ein mitleidiges Lächeln.
Allerdings gehen aus dem Spiele mit abstracten Begriffen
oft Theorien hervor, die auf Nichts anwendbar sind, und
diese haben unsinnige und verderbliche Unternehmungen erzeugt.
Aber die Versuche wesentlicher Verbesserungen der
rechtlichen Verhältnisse im Staate, mit denen sich unser
Zeitalter so ernstlich beschäftigt, erhalten durch die sorgfältige
Prüfung und Sonderung allgemeiner Begriffe eine bestimmte
Richtung. Wir verdanken daher der Metaphysik
wirklich weit mehr, als diejenigen glauben, welche sich mit
der Verbesserung der Gesetze beschäftigen und sich des Einflusses
der ihnen verhaßten oder von ihnen verachteten Systeme
abstracter Begriffe auf ihre eignen Arbeiten nicht bewußt
sind.
2.
Dies Kapitel zeigt kurz die Vortheile, die es dem gebornen
Fürsten so leicht machen, sich zu erhalten, so lange
nicht ein Sturm von außen sich erhebt, der alle Berechnungen
der Politik zu Schanden macht. Betrachten wir
kurz die Ursachen, welche solche Katastrophen herbeizuführen
im Stande sind.
Wenn es den erblichen Regenten so leicht ist, sich gegen
innere Gefahren zu sichern, warum werden sie so oft ein
Raub äußerer Feinde, denen zu widerstehen die Kräfte des
Staates doch noch wol zureichten? – Weil sie diese Kräfte
so wenig gebrauchen. Eben weil es so leicht scheint, und
wirklich so leicht ist, eine angeerbte Herrschaft zu behaupten,
so schläfert das Bewußtsein dieser Sicherheit ein. Die
Fürsten werden sorglos, indem sie sehen, wie das Volk ihnen
anhängt, und daß es ihnen anhängen muß. Ihre
Rathgeber wissen es nur zu gut, daß Alles, was den Menschen
werth ist, die Sicherheit des Eigenthums und die Erhaltung
aller gewohnten Verhältnisse, mit demjenigen steht
und fällt, der das oberste Glied der Kette in der Hand
hält. Hierauf verlassen sie sich. Aber alle moralischen
Bande unter den Menschen sind gegenseitig. Das Volk
erkennt mit seinem geraden Sinne und unverdorbener Empfindung,
daß es seiner Obrigkeit unterthan sein müsse, um
frei zu leben und das Seinige sicher zu genießen. Die
Religion heiligt dieses Verhältniß durch die Lehre, daß
alle Ordnung von Gott kommt, der diejenigen eingesetzt
hat, die sie handhaben. Aber die Großen und ihre Rathgeber,
welche nichts empfinden, was der rechtlichen Denkungsart
des Volks entspricht, verkennen ihren Gehalt.
Sie halten die Anhänglichkeit desselben, worin ihre eigne
größte Stärke liegt, für Eigennutz, und verachten sie als
Beweise einer knechtischen Gemüthsart. Daher dürfen sie
es denn auch nicht wagen, ihre Unterthanen in der Gefahr
mit Bewegungsgründen aufzufordern, die ihr eignes Betragen
für leere Worte erklärt hat.
Die Anhänglichkeit eines Volkes an das Haus seiner
Fürsten beruht auf Ueberlieferungen der Ahnen: sie ist mit
der Liebe zu alten ererbten Einrichtungen zu der Verfassung
und den Maximen der Verwaltung, die dem ganzen Stamme
des Volkes und seiner Häupter eigen sind, innigst verwebt.
Wer mit diesen tief gegründeten Verhältnissen willkürlich
spielt, zerstört den Grund, auf dem die Sicherheit des
Staates und der regierenden Familie beruht. Es kann der
Eitelkeit schmeicheln, Einrichtungen des Staates nach Gefallen
abzuändern und seinen eignen Willen an die Stelle
alles dessen zu setzen, was auf die Einsichten und die Autorität
einer Reihe von Geschlechtern gegründet war. Wenn
aber der Sinn des ganzen Volkes widerstrebt, so entstehen
Schwierigkeiten, die der Kraft des mächtigsten Herrschers
unüberwindlich sind. Bricht der allgemeine Unwille in offenbaren
Widerstand aus, so ist die größte Kriegsmacht
nicht immer vermögend, ihn zu überwältigen. So verlor
Joseph der Zweite Belgien, als er die alten politischen und
religiösen Ordnungen mit einem Schlage vernichten und
einen neuen Staat nach seinen Ideen an die Stelle setzen
wollte. Kommt es nicht so weit, so ist der bloße unthätige
Widerstand der Untergebenen, die alle Mitwirkung verweigern,
und das, was ihr guter Wille leisten sollte und könnte,
den Dienern höhere Befehle überlassen, schon hinreichend,
die Anschläge der Allgewalt zu vereiteln, die sich ohnmächtig
fühlt, wenn sie von den eignen Dienern verlassen wird,
welche nichts mehr ausrichten können. Eben so wenig
vermag der Eigensinn des mächtigsten Regenten, der an ererbten
Gewohnheiten festhält, welche mit dem Bedürfnisse
der Zeiten und der veränderten Denkart des lebenden Geschlechts
in Widerspruch gerathen. Man hat gesehen, daß
Regierungen, die Recht und Macht auf ihrer Seite zu haben
schienen, in solchen Unternehmungen bei der ersten Erschütterung
gefallen sind; und wenn sie bestehen bleiben,
so vergeht dennoch das, was sie festzuhalten vermeinten,
ohne daß sie es merken, unter ihren eignen Augen und
Händen.
Das persönliche Betragen, wodurch ein Erbfürst sich bei
seiner Würde behauptet, ist z. B. von Haller in seinem
„Handbuch der Staatenkunde“ vortrefflich dargestellt. Wenn
dieser Autor aber hinzufügt, daß Macchiavelli sich viel vergebliche
Mühe damit gemacht habe, Mittel auszudenken,
wie die Herrschaft aufrecht erhalten werden könne, da dieses
doch aus ihren natürlichen Gründen ganz von selbst
erfolgen müsse, so vergißt er, daß Macchiavelli nur von
den Mitteln redet, eine neue Herrschaft zu gründen und zu
erhalten, die nicht, wie sein Tadler von aller Regierung
voraussetzt, aus natürlichen Verhältnissen erwachsen, sondern
von Einem Manne willkürlich geschaffen ist. Und
damit hat er sich so wenig eine vergebliche oder überflüssige
Mühe gegeben, daß vielmehr oft ein Zweifel entsteht, ob
der Schriftsteller, der doch Alles geleistet hat, was die Kräfte
des menschlichen Verstandes in dieser Absicht vermögen, genug
gethan habe. Denn es liegt, wie die Folge dieser Betrachtungen
zeigen wird, in der Sache selbst, daß aller Aufwand
von Verstand, und sogar die Ueberspannung aller
Mittel, die sich aus demselben ziehen lassen, oftmals nicht
zureicht, eine aus bloßer Selbstsucht errungene Herrschaft
zu befestigen.
3.
Dies Kapitel behandelt also die Mittel, ein fremdes
Land zu unterjochen, nicht den Zweck selbst. Davon sagt
der Autor nur vorsichtig: „Solche Unternehmungen werden
immer bewundert“ – nicht: „Sie verdienen bewundert
zu werden“.
Ein ewiger Friede ist unmöglich. Das Bestreben der
Völker, ihren Zustand zu verbessern, führt natürlich Gelegenheiten
herbei, kriegerische Talente und Tugenden zu
zeigen, und die Helden solcher Kriege sind es, die von
ihrem Volke als Wohlthäter verehrt, von der ganzen Welt
bewundert werden. Dagegen täuschen sich die Eroberer,
die nur eine wilde Herrschsucht zu befriedigen suchen, wenn
sie die abgedrungene Schmeichelei der in Furcht gesetzten
Völker für Beweise der Verehrung nehmen. Ihre Zeitgenossen
verfluchen sie. Das folgende Geschlecht, das sie nicht
mehr zu fürchten hat, schätzt sie gering.
Wenn Macchiavelli auch an alles dies gedacht hat, so
hielt er vermuthlich dafür, es sei vergeblich, es den Großen
zu sagen, die Lust haben, auf Eroberungen auszugehen.
Aus dem Glücke der Menschen, das sie aufopfern, machen
sie sich nichts, und an dem Erfolge ihrer Unternehmungen
pflegen sie nicht zu zweifeln. Auch von der Seite ist ihnen
schwer beizukommen. Wenn denn also erobert werden soll,
so müssen die Mittel erwogen werden, wie eine eroberte
Provinz behauptet werden kann. Hierüber sagt Macchiavelli
sehr viel Treffendes. Dennoch übersieht er das sicherste
Mittel, wodurch Eroberungen dauerhaft werden können.
Dasselbe liegt außer seinem Gesichtskreise, da er nur die
Neigungen und das persönliche Interesse des Machthabers
beachtet, ohne die Völker an sich selbst für etwas gelten zu
lassen. Durch diese engherzige Denkart wird das System
des scharfsinnigsten politischen Schriftstellers mangelhaft:
durch sie ist auch Napoleon I., der es vielleicht besser als
je Einer im wirklichen Leben dargestellt hat, zu Grunde
gegangen.
Welches andere Mittel gibt es denn, die neuerworbene
Herrschaft über ein fremdes Volk zu sichern, welches man
beim Macchiavelli vermißt? Es ist dies: eine Behandlung,
welche Achtung und Zutrauen gegen das ganze Volk beweist,
und indem sie die eigne Zufriedenheit desselben zu
ihrem nächsten Zwecke macht, dadurch zugleich das kräftigste
Mittel für die Zwecke des Herrschers erzeugt. Wenn man
dem Volke die Verfassung läßt, die ihm lieb ist, und es
von seinem vorigen Regentenhause nichts mehr
zurückwünscht, als die Personen, so hat man die Erinnerung
daran nicht so sehr zu fürchten. Wer Menschen für sich gewinnen
will, muß ihnen die Ueberzeugung beibringen, daß
Er es ist, durch den sie erhalten können, was sie verlangen.
Wer sie nur fühlen läßt, daß er ihnen nehmen kann, was
ihm gefällt, und daß sie Alles als Gnade annehmen müssen,
was er ihnen wol lassen will; wer hiermit freiwillig
auf alle feineren Beweggründe Verzicht leistet, und blos auf
Gewalt trotzt, spielt ein gefährliches Spiel; denn Gewalt
ist stets, und wäre sie auch noch so groß und schiene sie
noch so fest begründet, feindlichen Zufällen unterworfen.
4.
Schon von Hume (Essays 1, 3) ist, wie ich sehe, bemerkt,
daß das von Alexander eroberte Persien nicht so beschaffen
war, wie Macchiavelli es darstellt, und daß die
Fortdauer der von Jenem gegründeten griechischen Herrschaft
auf andern Ursachen beruht habe. An sich selbst aber
ist das Raisonnement des Macchiavelli zutreffend und vollkommen
auf die Geschichte des Mittelalters anwendbar, in
welchem die Verfassungen sich gebildet hatten, die Macchiavelli
vor Augen lagen. In den Verhältnissen, die er darstellt,
war die Ursache des abwechselnden Erfolges der langen
Kriege zu suchen, die Frankreich und Spanien mit einander
führten. Unruhige Große, die fremde Feinde hereinriefen
und von ihnen abfielen, sobald die Verblendung
aufhörte, mit der sie erwarteten, diese würden nicht für sich
selbst, sondern für sie kämpfen und erobern. Ludwig der
Vierzehnte dämpfte diese Unruhen, indem er den Uebermuth
der Vasallen, woraus der Factionsgeist Nahrung zog, demüthigte.
Seit jener Zeit hat sich auch der türkische Staat
verändert. Die Verhältnisse der Statthalter in den Provinzen
zum Sultan sind nicht mehr ganz dieselben, und
daher findet das Raisonnement des Macchiavelli keine genau
zutreffende Anwendung in der neueren Geschichte von
Europa.
5.
Macchiavelli hat Völker vor Augen gehabt, die heftigeren
Leidenschaften unterworfen und größerer Aufopferungen
fähig waren, als die meisten Nationen der spätern Zeit.
Er redet von Zerstörung ganzer Städte, von völliger Auflösung
von Staaten, wie von ganz gewöhnlichen und nothwendigen
Dingen. Dies ist bei einem Schriftsteller natürlich,
der die Zeiten der Guelfen und Ghibellinen im Sinne
hatte: Zeiten, da Städte wie Mailand vom Kaiser Friedrich
dem Ersten zur Vernichtung verurtheilt wurden, mit
nicht mehr Bedenklichkeit, als womit heut zu Tage ein
Edelmann etwa in Ländern, wo noch Leibeigenschaft herrscht,
seine Bauern verpflanzt, um ihre Höfe einzuziehen. Nimmt
man hierzu die unversöhnliche Rachsucht, die ewige Mordlust,
die verblendete Wuth des italienischen Volkes, so wird
es begreiflich, wie er Grundsätze aufstellen konnte, die nachmals
bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts der allgemeinen
Denkungsart und den Empfindungen der Gewalthaber
selbst widerstritten. Die neuere Regierungsweisheit,
ihre Finanz- und Kriegskunst, lehrt aus der Unterjochung
der Völker Vortheile ziehen, die mit so gewaltsamen Maßregeln
unvereinbar sind. Damals erforderte die geringere
Macht der Fürsten und die Unvollkommenheit ihrer Veranstaltungen
ein ganz anderes Verfahren. Wenn man erwägt,
wie klein das Heer war, das Karl der Fünfte als
Herr von Spanien und Indien, von Belgien und einem
Theile von Deutschland und Italien mit aller Anstrengung
dieses unermeßlichen Reiches auf Einen Punkt zusammenzubringen
vermochte, wie schwer es ihm ward, das erforderliche
Geld anzuschaffen, und wie unsicher dadurch alle
Eroberungen wurden: so sieht man wohl, daß damals andere
Maßregeln ergriffen werden mußten, als in den Zeiten,
in denen die Herrscher über Armeen von Hunderttausenden
und vermittelst eines grenzenlosen Credits über alles
Geld der Völker disponiren.
6.
Savonarola war ein halb religiöser, halb politischer
Schwärmer. Während des Exils der Medici in den ersten
Jahren des sechzehnten Jahrhunderts machte ihn ein großer
Theil des florentinischen Volkes zum Abgotte. Der religiöse
Fanatismus war der Grund, auf dem sein politischer
Einfluß beruhte, und er hätte die Florentiner dadurch so
unumschränkt beherrschen und seine Pläne durchsetzen können,
etwa wie Mahomed, wenn er nicht in der Quelle seiner
Gewalt selbst angegriffen wäre. Die Zwistigkeiten seines
Ordens mit andern Mönchen erregten ihm Neider und
Nebenbuhler, die eben so ausschweifende Wunderthaten des
Glaubens ankündigten, als er selbst. So ward das Volk
irre und sah ruhig zu, wie ein Mann verbrannt ward, der
wenige Monate vorher dreist hätte wagen dürfen, seine Gegner
zum Feuertode zu verdammen. – So unsicher ist Alles,
was auf der Combination heterogener Dinge beruht! Wenn
der ehrliche Fanatiker zu Grunde geht, sobald er seine
Schwärmerei gebrauchen will, sich politischen Einfluß zu
verschaffen; wie muß es dann erst dem ergehen, der nur
die Maske davon annimmt, und sich dessen, was bei Jenem
in allem Ernste Beweggrund war, nur als eines armseligen
Kunstgriffs bedient.
Es bedarf übrigens kaum einer Erinnerung, daß Alles,
was Macchiavelli von der geringen Kraft der Neuerungen
und von der Unzuverlässigkeit ihrer Anhänger sagt, nur
auf die Unternehmungen bezogen werden darf, die von einzelnen
unruhigen Köpfen herrühren. Wenn diese Neuerer
auch anfangs schwach und an Zahl unbedeutend sind, so
können sie es durch ihren lebendigen Feuereifer und ihre
hartnäckigen Anstrengungen doch bald dahin bringen, die
Majorität, die unter sich nicht einig ist und nur schlaffen
Widerstand leistet, zu beherrschen und sie zu zwingen, ihre
Ansichten anzunehmen und sich ihrer Führung zu unterwerfen.
7.
Wahrscheinlich geht es dem Leser bei der ersten Lectüre
dieses Kapitels wie den Bewohnern von Cesena, als sie
den ermordeten Remiro d’Orco ausgesetzt fanden: staunend
verstummten sie bei dem Anblick. Man sollte fast glauben,
Macchiavelli habe diese Geschichte idealisirt, um Etwas aufzustellen,
das in seiner Art nicht zu übertreffen war. Vielleicht
war der Richter nicht blos ein harter aber gerechter
Mann von etwas grausamer Gemüthsart, sondern er befriedigte
seine eigenen schlechten Leidenschaften, unter dem
Vorwande der Gerechtigkeit, die er handhaben sollte. Cäsar
Borgia hat ihm vielleicht eine Zeit lang nachgesehen, weil
er ihn sonst brauchbar fand, und am Ende der Gerechtigkeit
selbst ein Opfer gebracht, indem er ihn hinrichten ließ.
War er aber wirklich das, wofür Macchiavelli ihn ausgibt,
so war auch dieser einzige falsche Streich des Fürsten hinreichend,
zu verhindern, daß sich nie wieder ein Mann von
Ehre und zuverlässiger Gesinnung zu seinem Dienste hergab.
Und eines Mannes von Ehre und zuverlässiger Gesinnung
bedurfte doch der Herzog von Valentinois zur
Ausführung seiner Pläne.
Dieser Held des Macchiavelli, dessen Betragen er so oft
allen denen zum Muster aufstellt, die nach der Herrschaft
streben, war klüger, entschlossener, und ging zusammenhängender
zu Werke, als die große Zahl derer, welche sich damals,
so wie Er, Alles erlaubten, um sich zu erheben. Die
Herren, die er zu Sinigaglia ermorden ließ, wie Macchiavelli
in einer besondern Erzählung ausführlich berichtet,
waren um nichts besser als er, und in Rücksicht auf ihre
Unterthanen viel schlechter. Insbesondere liest man von
dem Oliverotto, Herrn von Fermo, eine solche Reihe von
Schandthaten, daß es eine Art von Beruhigung gewährt,
zu erfahren, daß er am Ende durch einen mächtigern bösen
Geist bestraft und von der Erde hinweg geschafft worden.
Wo der ganze Haufe der Mächtigen sich den wildesten Leidenschaften
ergibt und die Menschheit auszieht, da ist es
ein großer Gewinn, wenn Einer durch die Ueberlegenheit
seines Verstandes die Oberhand behält. Dieser wird, um
seines eignen Vortheils willen, manches Gute thun, manches
Ueble hindern. Der Cäsar Borgia war unstreitig listiger
und hatte dabei etwas Größeres in der Gesinnung, als
seine Mitwerber. Ob er aber wirklich ein solches Ideal
von Verstand war, wozu ihn Macchiavelli machen will,
könnte noch bezweifelt werden. Das Gespräch mit dem,
dessen Macchiavelli gedenkt, kann den Verdacht erregen, daß
es einigen Einfluß auf sein Urtheil gehabt habe. Es war
allzu schmeichelhaft, von dem furchtbaren Manne, der Geißel
seiner Zeit, einer vertraulichen Mittheilung gewürdigt
zu sein, als daß derselbe nicht dadurch ein größeres und
bewunderungswürdiges Ansehen erhalten haben sollte. Er
mag inzwischen den Ruhm, den Macchiavelli ihm beilegt,
verdient oder nur erschlichen haben: von größerem Interesse
ist die Frage, ob es denn wirklich, so wie Macchiavelli behauptet,
für eine Vollkommenheit des Regenten gelten kann,
wenn er die Menschen insgesammt nur als Werkzeuge seiner
Absichten ansieht, und sich aller Empfindungen für sie
entäußert, um große Zwecke zu erreichen.
Daß Große der Erde so denken, ist ja etwas sehr Gewöhnliches.
Man braucht dazu auch nicht Regent zu sein.
Vielmehr ist es noch eine Frage, ob es nicht den Geringern
öfter gelingt, Höhere und Mächtige, die sich das nicht
träumen lassen, so zu mißbrauchen, als den Großen, welche
die Geringern bei Weitem nicht so gut kennen, als sie von
ihnen gekannt werden. Ist es aber die rechte Denkungsart
für die Ausführung großer Entwürfe, wenn man die Menschen
um sich her nur als eine eigne Art von Maschinen
ansieht, deren Kräfte und Wirkungen der Berechnung unterworfen
werden können, und das ganze verwickelte Gewebe
ihrer Verhältnisse als ein Spiel betrachtet, in welchem man,
eben so wie in andern Glücksspielen, nur so lange glücklich
sein kann, als man sich der eignen Empfindung entschlägt
und alle Handlungen von dem eiskalten Verstande bestimmen
läßt?
Die Triebfedern der Menschen liegen doch nicht so deutlich
vor Augen, daß ihre Wirkungen nach klaren Gesetzen
mit Sicherheit vorher bestimmt werden könnten. Der größte
Kenner wird unzählige Male durch unerwartete Anomalien
überrascht. Wie selten findet man einen nur mäßig consequenten
Menschen! Wer vermag die übrigen mit einiger
Zuverlässigkeit zu errathen?
Eben so wenig kann man sich selbst zu einem bloßen
Werkzeuge seines eignen Verstandes machen. Wenn der
Macchiavellische Politiker auch von sich selbst ganz sicher sein
könnte und sich nie verriethe, so thut doch sein erkünsteltes
Betragen nicht die rechte Wirkung. Wer von lebhafter Empfindung
ergriffen ist, reißt Andere mit sich fort. Diese
Kraft des wahren Gefühls ist nicht durch eine, wenngleich
noch so gut ausgedachte und gespielte Rolle zu ersetzen.
Die Menschen lassen sich auf die Länge nicht so anführen.
Gerade die Einfältigsten sind darin oft zum Bewundern
scharfsichtig. Sie sind nicht im Stande, sich selbst klar zu
machen, warum ihnen so übel zu Muthe ist: aber ihre eigne
ehrliche Gesinnung verräth ihnen, daß sie nur zum Spiele
des überlegenen Verstandes dienen sollen. So glücklich
auch einzelne schlau ausgesonnene Streiche ausfallen, so
verfehlt das ganze Gewebe der Kunst doch seinen Zweck.
Endlich verzeiht das allgemeine Urtheil dem, der sich
Alles erlaubt, die Schlechtigkeit seiner Mittel, doch nur
dann, wenn er das Ziel wirklich erreicht hat. Wer es wagen
will, sich über die Moralität ganz hinwegzusetzen, muß
also wenigstens des Ausganges gewiß sein. Er muß zum
Voraus Alles übersehen, auf jeden Fall gefaßt sein und nie
einen falschen Schritt thun. Cäsar Borgia, den Macchiavelli
als das vollkommenste Muster eines politischen Betragens
aufstellt, hat doch Einen Fehler gemacht. Und gerade
durch diesen Fehler ist er zu Grunde gegangen. Denn
eben die Papstwahl, wobei er den Schritt verfehlte, den er
thun mußte, um sich sicher zu stellen, stürzte ihn in die Gefangenschaft,
worin er sein Leben beschloß.
Wenn aber auch in einem ganzen langen Leben, unter
den schwierigsten Umständen, durchaus kein Fehler gemacht
würde, – eine Sache, die leichter zu denken, als auszuführen
ist – so bleiben noch immer die zufälligen Begebenheiten
übrig, die sich gar nicht voraussehen lassen. Wer
nicht sich selbst aufs Spiel setzen und seine ganze Zufriedenheit
daran wagen will, wie die Karte fällt, wird bei jedem
unerwarteten Vorfalle darauf zurückgeführt, daß die reine
Absicht mehr werth ist, als alle Kunst; die ächte Güte des
Willens mehr, als aller Verstand, der seiner Natur nach
dem guten Willen dienen sollte, statt daß er verkehrter
Weise zum Herrn eingesetzt wird.
Bisher ist von der klugen Benutzung günstiger Umstände
die Rede gewesen. Wie aber, wenn das Glück, dem
so Viele, die groß geworden sind, die Gelegenheit dazu verdanken,
seinen Beistand versagt? Alsdann muß derjenige,
der herrschen will, auch diesen Mangel ersetzen und sich
selbst den Weg eröffnen. In einem vollständigen Lehrbuche
des Ehrgeizes darf die Anweisung hierzu nicht fehlen, und
davon handelt Macchiavelli im achten Kapitel.
8.
Die angeführte Ueberschrift schon gibt zu erkennen, welche
Gesinnungen man zu erwarten hat.
Es gibt mehrere Wege zum Throne. Große Verdienste:
dreiste Verbrechen. Beide kommen in der Geschichte vor.
Von beiden muß hier erklärt werden, wie man glücklich
durchkommt oder untergeht.
So viel ist wahr: allgemeine Gesetzlosigkeit ist der
schlimmste Zustand, in den ein Volk gerathen kann. Das
erste Bedürfniß jeder menschlichen Gesellschaft ist bürgerliche
Ordnung; Gesetze und Gewalt sie einzuschärfen. Man muß
aber erst Herr sein, ehe man regieren kann. Die Zügel
müssen also mit starker Hand ergriffen werden, und es
möchte immerhin Einer für sich selbst Ausnahme von allen
moralischen Gesetzen machen, wenn er dadurch in den Stand
gesetzt würde, alle Andern zu ihrer Befolgung anzuhalten.
Ein einziges Verbrechen, das dahin führt, könnte als nothwendige
Abweichung von der Regel entschuldigt werden,
wenn es das einzige bliebe. Das ließe sich aber nur von
dem erwarten, bei dem es nicht aus dem Herzen entsprungen,
sondern vernunftmäßig beschlossen wäre, weil es mit
ruhiger Ueberlegung als das einzige Mittel zu großen und
guten Zwecken erkannt worden. Hat aber die Geschichte
wol Männer aufzuzeigen, die ein großes Verbrechen begangen
hätten, blos um wohlwollenden Neigungen einen
freieren Wirkungskreis zu eröffnen? So meint es auch
Macchiavelli selbst nicht. Er sieht die Sache nur aus dem
Gesichtspunkte des Ehrgeizes an. Für diesen gibt er Lehren:
die dadurch errungene Herrschaft mag dann gebraucht
werden, wie es dem Mächtigen gefällt.
Besondere Beachtung verdient noch die letzte Bemerkung
dieses Kapitels, da sie nicht nur für den hier behandelten
Fall gilt, sondern auf jeden Regenten Anwendung findet.
Bei allen harten Verfügungen, zu denen man durch außerordentliche
Umstände veranlaßt wird, ist es immer sehr
wohlgethan, Macchiavelli’s Rath befolgend, mit einem
einzigen Schlage zu vollführen, was man vorhat. Vorzüglich
trifft diese Erinnerung die Behandlung großer Staatsverbrecher.
„Schlage den Hirten und die Schafe werden sich
zerstreuen.“ So lange aber diese in Ungewißheit bleiben
und Strafe für das Vergangene besorgen, werden sie gereizt,
sich durch Erneuerung der fehlgeschlagenen Entwürfe
zu retten. Haben sie nichts mehr zu fürchten, so verlieren
sie allmählich das Interesse an der Sache und an den Führern,
die dafür gelitten haben, und bemühen sich es Andere
vergessen zu machen, daß sie an der verunglückten
Unternehmung Theil gehabt. Große politische Verbrecher
nehmen ferner außer ihren entschiedenen Anhängern leicht
eine Menge ihrer Mitbürger durch blendende Vorwände
ihrer verräterischen Anschläge für sich ein. Diese, welche,
ohne selbst für die Sache thätig gewesen zu sein, günstig
von ihr dachten und den Unternehmern wohlwollten, sind
nicht leicht eines Bessern zu belehren. Aber sobald sie die
Hoffnung aufgeben müssen, daß die Sache gelingen könne,
so werden sie gern glauben, sie sei vergessen. Darüber vergessen
sie sie wirklich am Ende selbst. Dazu aber ist nothwendig,
daß sie sobald als möglich für beendigt erklärt
werde. Alsdann wird die Aufmerksamkeit des großen Haufens
bald durch die neuen Angelegenheiten des Tages abgelenkt.
10.
Ueber dies treffliche Kapitel ist nichts weiter zu sagen,
als daß es einen Zustand der Welt voraussetzt, der nicht
mehr existirt. Sobald Heere von Hunderttausenden auf
dem Kriegstheater erscheinen und die Uebermacht entscheidet,
kann nicht mehr von der Vertheidigung kleiner Herrschaften
die Rede sein. Damals bedeutete jeder einzelne Fürst, der
eine Stadt besaß, und jede kleine Republik etwas, sobald
Verstand da war, die geringen Kräfte zu gebrauchen und
unter der großen Menge der Nachbarn durch geschickte Unterhandlungen
Hilfe zu suchen. In solchen Zeiten haben
alle Kräfte des Verstandes und des Gemüthes Gelegenheit
zu freier Entwicklung. In Perioden aber, wo eine übermächtige
Gewalt Alles besiegt und unterjocht, kommt nichts
auf, was Interesse zu erregen verdiente. Die Nachwelt aber
übt Gerechtigkeit aus: sie mag nichts von den Thaten dessen
hören, der doch wähnte, sie werde sich ganz allein mit
ihm beschäftigen!
11.
Dieses Kapitel ist das dürftigste oder vielmehr das einzige
schwache im ganzen Werke. Macchiavelli hat im Eingange
versprochen, von den verschiedenen Arten der Herrschaft
zu reden. Man erwartet hier also Bemerkungen über
die eigenthümlichen Verhältnisse, in denen sich die geistlichen
Fürsten befinden, über die starken und die schwachen Seiten
ihres weltlichen Ansehns und über die in der That
höchst merkwürdige Rolle, die sie in der Geschichte spielen.
Wenngleich Macchiavelli überhaupt die Unternehmungen,
die Grundsätze, das Betragen der Fürsten, in Beziehung
nicht auf die regierten Völker, sondern nur auf die Befestigung
der Herrschaft selbst betrachten wollte, so war noch
immer genug über die geistlichen Fürstenthümer zu sagen.
Diese, sagt er, bestehen unter dem Schutze des religiösen
Vorurtheils, und wenn einer nur durch glückliche Intrigue
oder Zufall auf den heiligen Stuhl erhoben worden, so
wird von ihm nichts weiter gefordert, um sich zu behaupten.
Hat er Geist genug, sein Glück zu benutzen, und Sinn
für den einzigen Genuß, der eines Fürsten würdig ist, für
die Befriedigung der Herrschsucht, so wird er es machen,
wie Sixtus der Vierte, Alexander der Sechste, Julius der
Zweite, Leo der Zehnte. Hat er das nicht, so mag er sein
Leben mit Beten zubringen, oder mit Schlemmen, wie es
ihm gefällt. Abgesetzt wird er dafür nicht werden. Mit
diesem bösen Spotte fertigt Macchiavelli den heiligen Stuhl
ab. Jene Päpste, von denen er hin und wieder redet, waren
Männer von heftigen Leidenschaften und Meister in der
Politik, die in Italien zu ihrer Zeit die höchste Ausbildung
erhalten hatte und deren Geheimnisse Macchiavelli aufdeckt.
Sie waren insgesammt seine Zeitgenossen, und er hatte
keinen Andern auf dem päpstlichen Stuhle gesehen.
Aber es hat auch Perioden in der Geschichte gegeben,
in welcher die Häupter der Kirche in ganz anderm Geiste
auf die Angelegenheiten der Völker einwirkten; wo sie
Schiedsrichter der Könige waren und durch ihr friedliches
Ansehn größere Kriege beilegten, als der feurige Ehrgeiz
Julius des Zweiten erregt hat. Auch dies hing von dem
persönlichen Charakter und den Talenten einzelner Päpste
ab. Aber die Mittel, wodurch sie so große Dinge ausgeführt
haben, lagen in der Natur ihrer Würde. Die veränderte
Denkart verschiedener Zeiten erforderte jedesmal
besondere Modificationen. Im sechzehnten Jahrhunderte
konnte die Sache nicht durch einen hingeschleuderten Bannstrahl
ausgemacht werden, wie zu der Zeit Gregor des
Siebenten; aber das Verhältniß des heiligen Stuhls zu
den weltlichen Monarchen war doch im Grunde immer dasselbe,
wenn es gleich nicht mit so hoher Hand geltend gemacht
werden durfte.
Die Päpste genossen als Oberhäupter der christlichen
Kirche ein Ansehn, das allemal um so viel größer und unverletzlicher
war, jemehr sie sich bemühten, im Geiste ihrer
Würde zu handeln und das Interesse ihrer weltlichen Besitzungen
und ihrer Familien so weit zu verläugnen, daß
es wenigstens nicht als nächste und vorzüglichste Triebfeder
hervorleuchtete. Alle Verhandlungen, die mit dem päpstlichen
Hofe geführt sind, oder in welche dieser auch nur
verwickelt gewesen ist, haben einen eignen Charakter. Der
überlegnen Macht darf der Schwächere nicht wagen entgegen
zu setzen: „Ich will nicht“ (non volumus). Aber wenn sein
demüthiges: „Ich kann nicht“ (non possumus) durch den
Zusatz „wegen meines Gewissens“ geschützt wird, so
erhält er vielleicht Gerechtigkeit für Andre, wenigstens Schonung
für sich selbst. Die Verhandlungen unter den erbittertsten
Gegnern nehmen einen ganz andern und sanftern
Charakter an, wenn eine Person dazwischen tritt, die sich
gegen Beleidigungen nicht wehren kann, die man aber nicht
beleidigt, ohne sich selbst mehr zu beschimpfen, als seinen
Gegner. Wie oft hat die Dazwischenkunft eines als Fürsten
ohnmächtigen, aber wegen der allgemeinen Verehrung
der Völker gegen seine geheiligte Person gefürchteten Papstes
die entschlossensten, ehrgeizigsten, ungestümsten Kriegshelden
aufgehalten, und ganzen Ländern einige Jahre Ruhe
verschafft! Wenige Fürsten haben es gewagt, gegen sie
die Härte, den Ungestüm, den Eigensinn zu äußern, wodurch
ihre Uneinigkeiten unter sich so fürchterlich werden.
Die Politik des römischen Hofes besteht in geschicktem Zaudern.
Durch unendlichen Aufschub, Wiederholung derselben
Aeußerungen in andrer Gestalt und mit veränderten Wendungen
ist dort unzählige Male einbrechendes Ungewitter
abgeleitet. Von wem anders hätte man sich das gefallen
lassen, als von dem, der in seinen Verhandlungen mit
weltlichen Mächten die Sprache des alten Mannes zu der
feurigen Jugend redete, und den diese Sprache wohl kleidete.
Wenn man in der Geschichte findet, wie die Gesandten
der größten Mächte ihrer Zeiten, französische und spanische
Abgeordnete, unter dem Vorsitze eines päpstlichen Legaten,
der nur ermahnen soll und gar nicht drohen kann, wenigstens
den Anschein friedlicher Gesinnungen annehmen und
durch den Anstand gegen den gemeinsamen Vater der christlichen
Völker zu einem nachgibigen Betragen verleitet werden,
so kann man sich nicht enthalten zu wünschen, daß noch
jetzt eine Autorität vorhanden sein möchte, der diese Mittel
zu Gebote ständen.
Die Religion bezieht sich auf die Bedürfnisse, die Rechte
und Würde der menschlichen Natur, auf welche der Geringste
wie der Höchste und Mächtigste Anspruch machen
darf. Wie die bürgerlichen Verhältnisse auch beschaffen sein
mögen, in der Kirche sind die Menschen an sich selbst etwas:
da dürfen sie nicht als bloße Werkzeuge und Untergebene
ihrer Herren betrachtet werden. Dem Oberhaupte
einer solchen geistlichen Gemeinheit steht es daher sehr wohl
an, Bewegungsgründe vorzubringen und an Grundsätze zu
erinnern, die in dem Munde des weltlichen Staatsmannes
vielleicht verlacht würden.
Der Einfluß der geistlichen Gewalt auf die Angelegenheiten
der Welt ist zwar eben sowol dem Mißbrauche unterworfen,
als die Herrschaft des Schwertes; und es ist
doppelt empörend, wenn das angebliche Seelenheil der
Menschen nur zum Vorwande der nämlichen Leidenschaften
dient, die der Kriegsheld auf andern Wegen zu befriedigen
sucht. Ein Lehrbuch der geistlichen Regierungskünste, von
einer Feder wie Macchiavelli’s, müßte noch unangenehmere
Empfindungen erregen, als die Stellen im Buche vom
Fürsten, die das Gefühl am meisten beleidigen. Dieser
Mißbrauch der geistlichen Herrschaft hat den Bemühungen
der weltlichen Regenten, ihr Ansehn zu vernichten, allgemeinen
Beifall verschafft. Die Philosophie des achtzehnten
Jahrhunderts hat entschieden für diese Partei genommen,
und nach den Grundsätzen eines spekulativen Naturrechts
die geistliche Autorität aus der bürgerlichen Verfassung verwiesen.
Aber die Staaten der wirklichen Welt sind nicht
nach reinen Abstractionen angeordnet, und ihre Verhältnisse
können nicht nach einfachen Principien beurtheilt werden.
Der ursprüngliche Beruf des christlichen Priesterthums,
der die Gelehrsamkeit als seine vorzüglichste Beschäftigung
voraussetzt, hat auf die ganze innere Verwaltung und auf
die äußern Verhandlungen der geistlichen Fürstenthümer
einen großen Einfluß. Selbst die Hofhaltung des Oberhauptes
der katholischen Kirche ist danach eingerichtet, und
die ganze Politik desselben sucht die weltlichen Angelegenheiten
einem höhern, zwar nicht immer wohl verstandenen,
aber an sich selbst ehrwürdigen Interesse unterzuordnen.
Zu den Zeiten Macchiavelli’s war die Hierarchie von
demselben verderblichen Geiste ergriffen, der ganz Italien
verwirrte. Aber der Sinn für literarische Cultur und Liebe
zu den Wissenschaften, die sich mit der größten Schnellkraft
entwickelten, erzeugte einen neuen Charakter, den auch die
hohe Kirche annahm. Bald nach dem Zeitalter Macchiavelli’s
bestieg ein Mann den heiligen Stuhl, der die Satyre,
die wir gelesen haben, mit der That widerlegte, und
bewies, was Regententugenden auf jener Stelle vermögen.
In einer kaum fünfjährigen Regierung hat Sixtus der
Fünfte nicht allein sein Ansehn bei fremden Mächten eben
so gut und noch weit mehr behauptet, als Alexander, Julius
und Leo. Er vollbrachte daneben in dieser kurzen Zeit
Alles, Alles, was die thätigste fürstlichste Verwaltung zu
leisten vermag. Ruhe und Ordnung wurden hergestellt,
öffentliche Sicherheit geschafft, die vorher im Kirchenstaate
Niemand kannte; Gerechtigkeit gehandhabt, der Wohlstand
befördert, und dabei eine unglaubliche Menge der
glänzendsten Unternehmungen vollendet, die der Stadt Rom die
Bewunderung der hinströmenden Welt verschafften.
Dieser Sixtus gehörte zu den seltenen Männern, denen
Alles zu gering ist, was allein persönlichen Ehrgeiz oder
Familieninteresse befriedigt, die nichts ihrer Aufmerksamkeit
und ihrer Bemühungen werth achten, als öffentliche Ordnung
und Wohlfahrt; für die nichts so großen Reiz hat,
als was das Interesse des menschlichen Geistes angeht.
Solche Menschen können auch auf Thronen geboren werden.
Aber in der Beurtheilung der Bedürfnisse des Privatlebens
wird ihnen der immer überlegen sein, der durch
diese selbst hindurchgegangen ist. Hierin könnte ein Vorzug
der Verfassung liegen, worin die Regenten nicht durch das
Recht der Geburt bestimmt werden. Aber in welchem
Wahlreiche wird man durch jene Eigenschaften auf den
Thron erhoben, außer im geistlichen? Wenn in einem andern
der Privatmann hoffen darf, die Intriguen der Familien
und Parteien durch persönliches Verdienst zu überwinden,
so ist es nur der Kriegsheld. Die Geschichte des
Dejoces, den die Meder wegen seiner Gerechtigkeitsliebe
zum Könige gewählt haben, gehört in die alten Zeiten,
von denen man gar viel erzählen kann. Auf den päpstlichen
Stuhl aber sind in allen Perioden von Zeit zu Zeit
Männer erhoben, von deren Herkunft Niemand etwas wußte,
und die sich blos durch persönliche Vorzüge den Weg gebahnt
haben.
Familienintrigue hat zwar oft auf die Wahl von Päpsten
und auf die Politik derselben einen entscheidenden Einfluß
gehabt, und die Nepoten haben nicht blos in der innern
Staatsverwaltung, in welcher ihnen keine ständischen
Rechte Widerstand leisteten, großen Schaden gethan; sie haben
auch oft die Staatshändel aller Mächte von Europa
verwirrt, die das Ansehn des heiligen Stuhls vielmehr
hätte besänftigen sollen. Die Farnese, die Caraffa, die
Barberini spielen keine schöne Rolle in der Geschichte. Aber
das ganze Gebäude der hohen Kirche beruht so wesentlich
auf der Bildung des Geistes, ihre weltliche Macht, Reichthum
und Einfluß ist so sehr mit den Anstalten für wissenschaftliche
Cultur verwebt, daß Verdienste um diese letztere
immer in guten Zeiten einen überwiegenden Einfluß haben,
und selbst in den schlechtesten nicht ganz zurückgesetzt werden
können. Wenn man zum Beispiel die Schilderung
liest, die der Cardinal Bentivoglio, selbst ein ausgezeichneter
Staatsmann und Schriftsteller, von dem Cardinals-Collegium
und dem päpstlichen Hofe macht, so wie er es unter
Clemens dem Achten bei seinem ersten Eintritte in die Welt
fand, so erstaunt man über die Menge von Cardinälen
und andern hohen Dignitaren, die sich durch Gelehrsamkeit
oder durch große Geschicklichkeit in Staatshandlungen zu
ihrer Würde emporgeschwungen hatten, ohne durch irgend
etwas Anderes empfohlen zu sein. Rom hat nicht zu allen
Zeiten eine so ehrwürdige Prälatur besessen; aber Talenten,
Einsichten und Kenntnissen ist der Weg zu hohen Würden
niemals ganz verschlossen gewesen, selbst nicht unter den
Päpsten, die ihre Erhebung keinen persönlichen Vorzügen
verdankten.
Die deutsche hohe Geistlichkeit, welcher man das in mancher
Rücksicht verdiente Lob durch einseitige Schilderung
aller Nachtheile der ehemaligen deutschen Reichsverfassung
mit Unrecht zu entziehen sucht, ist jedoch hinsichtlich des
persönlichen hervorstechenden Glanzes einzelner Prälaten
weit hinter der italienischen zurückgeblieben. Man hat es
schon in sehr frühen Zeiten darauf angelegt, den Weg zu
hohen Stellen allen denen zu verschließen, die sich nur auf
Verdienste berufen konnten; und diese Bemühungen des
deutschen Adels, alle Stellen in hohen Stiftern in dem
Kreise gewisser Geschlechter festzuhalten, in welchem sie nach
einer gewissen Billigkeitsrolle vertheilt werden müßten, ist
nicht ohne Wirkung geblieben.
In Rom hat man nie lernen können, so zu denken.
Der Besitzstand, bei dem die deutschen Prälaten sich so
wohl befanden, war gar nicht hinreichend, die Absichten
und Bedürfnisse der ganzen Hierarchie zu befriedigen. Der
Einfluß, den sie immer zu erweitern strebte und nur mit
ausnehmender und ununterbrochener Aufmerksamkeit aufrecht
erhalten konnte, erforderte vielmehr eine große Thätigkeit
und Bekanntschaft mit der ganzen Welt, mit der
vergangenen und mit der lebenden. Es ist daher ganz
falsch, was Macchiavelli von der Geistlichkeit sagt: daß ihre
Häupter auf ihren hohen Stellen durch die Kraft der Trägheit,
die in alten Einrichtungen liegt, erhalten werden, sie
mögen sich aufführen wie sie wollen. Vielmehr hat sich in
der Geschichte keines einzigen Staates deutlicher gezeigt, wie
viel wahrer Verstand und gute Gesinnung in der Welt
vermögen, als gerade in der Geschichte der Päpste.
Die Philosophen und Geschichtschreiber der neuern Zeiten
haben sich mit großem Erfolge bemüht, die geistliche
Gewalt verhaßt zu machen, indem sie ihr Alles zur Last
legen, was Geistliche gethan haben, ohne zu beachten, ob
sie die Kraft dazu durch ihren geistlichen Stand erhielten,
und ob man der Herrschsucht ihr Gift genommen hätte,
wenn ihr das geistliche Kleid ausgezogen wäre. Die französischen
Schriftsteller insbesondere machen sehr bittere Bemerkungen
darüber, wie viel Unheil die Cardinäle in der
Staatsverwaltung gestiftet. Richelieu und Mazarin fanden
es zwar sehr vortheilhaft, ihrer Person durch den römischen
Purpur Schutz zu verschaffen. Würden sie aber anders
regiert haben, wenn sie als weltliche Minister die Macht
besessen hätten, die sie nicht ihrer geistlichen Würde, sondern
persönlichem Einflusse auf die Gemüther ihrer Regenten
verdankten? Der geistliche Beruf hat freilich einem Alberoni
Gelegenheit gegeben, sich dem Regenten von Spanien
zu nähern und das Schicksal mehr als Einer Monarchie
zum Spiele seines Ehrgeizes zu machen; aber auch dem Ximenes,
d’Ossat und andern großen Männern den Weg zu
Stellen eröffnet, die den vorzüglichsten Menschen so schwer
zu Theil werden, wenn sie nicht durch die Geburt begünstigt
sind.
Die Philosophie hätte sich also begnügen sollen, die Anmaßungen
der Kirche in billige Schranken zurückzuweisen,
ohne sie zu vernichten, um dagegen ein für die Würde der
menschlichen Natur eben so gefährliches System der bürgerlichen
Ordnung nach den Gesetzen des äußern Rechts zu
erheben.
Das leichtsinnige und fehlerhafte Urtheil des Macchiavelli
über die geistlichen Fürsten erforderte diese Betrachtungen
über die Vortheile, welche das System der
katholischen Hierarchie gewährt. Es ist hier nicht der Ort, von
den wesentlichen Fehlern derselben zu reden, welche die Veranlassung
zu der Trennung der Protestanten von ihr gegeben,
und die Wiedervereinigung kaum möglich machen.
Diese Fehler werden nicht durch die Veränderungen gehoben,
welche vermöge der neuern Denkart in der katholischen
Kirche entstanden sind, und die ihr zugethanen Völker laufen
daher Gefahr, die Vortheile zu verlieren, welche sie besaßen,
ohne durch diejenigen entschädigt zu werden, die die
protestantischen errungen haben.
In dem kirchlichen Systeme dieser Letztern findet die
Einwirkung einer geistlichen Gewalt auf Staatsverhandlungen
mit andern Mächten gar nicht statt. Was aber
ihren Einfluß auf innere Landesangelegenheiten betrifft, so
kann hier nur der Gesichtspunkt im Allgemeinen angegeben
werden, von dem die Untersuchung darüber ausgehen muß.
Es ist überhaupt das größte Problem des natürlichen
Staatsrechts und der Politik, wem man in der bürgerlichen
Gesellschaft die Befugniß ertheilen solle, sich der willkürlichen
Gewaltthätigkeit zu widersetzen. Das Gesetz Gottes
geht über das Gesetz der Menschen. Seit den rasenden
Tyrannen Roms, die sich zu lebenden Göttern erklärten,
hat selten ein Regent gewagt, seinen Völkern ins Gesicht
zu sagen, er wolle, daß ihm mehr gehorcht werde, als Gott.
Aber wie soll die Stimme des unsichtbaren Gottes durchdringen?
Wer soll sie erklären? Soll derjenige, den das
Volk für ihren Ausleger hält, gar keine weltliche Macht in
Bewegung setzen können, so wird er zu einer leeren Stimme
in der Wüste, sobald es dem Regenten gefällt. Soll er
Mittel besitzen, sich Gehorsam zu verschaffen, so entsteht ein
innerer Krieg, sobald seine Vorschriften mit dem Willen
des weltlichen Regenten disharmoniren. Diese letzten schrecklichen
Folgen hat die katholische Kirche oft erfahren. Jenem
Nachtheile ist die protestantische ausgesetzt, sobald die
Geistlichkeit, wie es nach den eingeschränkten Ideen derer
sein sollte, die einem dürren Systeme zu Gefallen alle Verhältnisse
möglichst vereinfachen, als besoldete Diener des
Regenten betrachtet werden, welche bestellt sind, Moral zu
predigen und die bürgerlichen Gesetze einzuschärfen. Wo
sollte wol ein solcher bestellter Officialis der Sittlichkeit
den Muth hernehmen, seinem Herrn, den alle Welt fürchtet,
ins Gewissen zu reden? Friedrich Wilhelm dem Ersten
von Preußen hat doch ein Landprediger den Vers aus der
Bibel vorgehalten: „Wer einen Menschen stiehlt“, um damit
seine gottlose Menschenräuberei für die Potsdamer
Garde zu strafen. Wer wird dergleichen unternehmen dürfen,
wenn es weder Vorsteher der Nation gibt, die von
ihr, und nicht vom Regenten abhängen; noch auch Lehrer
göttlicher Weisheit, die einen höhern Beruf anerkennen, als
ein Bestallungspatent!
Die Reformatoren der Kirche haben dies Alles wohl
gefühlt. Sie verkannten ihren Beruf nicht. Sie haben
den geistlichen Stand, dem die Sorge anvertraut ist, eine
höhere Bildung des Menschengeschlechts zu erhalten, nicht
zu Dienern des irdischen Gemeinwesens, zu Staatsdienern
herabgewürdigt. Die Fürsten der Zeit haben sich
nicht vermöge ihrer fürstlichen Würde zu Häuptern der
Hierarchie erklärt. Das hätte das damalige Volk nicht gelitten.
Die deutschen Fürsten haben als natürliche Beschützer
der Kirche, deren mächtigste Glieder sie waren, die
bischöflichen Rechte und Pflichten auf sich genommen, nachdem
die Gemeinden sich von der katholischen Hierarchie losgemacht
hatten. Dieser wesentliche Unterschied wird kaum
mehr beachtet, seitdem die Speculationen über das Staatsrecht
und über die Staatsklugheit eine angeblich metaphysische
Wendung genommen haben, vermöge deren ein strenges
äußeres Recht das Wesentliche aller sittlichen Verhältnisse
der bürgerlichen Gesellschaft ausmachen soll: da doch
die Menschen, aus denen der Staat besteht, die Gesetze über
äußeres Recht nicht eher begreifen, und die Verpflichtung
sie zu besolden nicht anerkennen, bis sie durch viele religiöse
Bemühungen und moralischen Unterricht dazu fähig gemacht
sind.
12.
Der Hauptgedanke, auf welchen diese lehrreiche Darstellung
der vergangenen italienischen Zeiten führt, ist ganz
allgemein wahr und zu allen Zeiten nützlich. Selbst ist
der Mann. Jeder muß sich selbst zu schützen suchen, so
viel er kann. Man darf nie Andere für sich tapfer, vorsichtig,
klug sein lassen und sie dafür bezahlen; denn wer
Schätze hat, fremden Schutz zu erkaufen, dem werden sie
gerade von demjenigen genommen, den er zum Wächter zu
bestellen dachte. Der Genuß des Reichthums erschlafft und
nimmt selbst dem, welchem es nicht an Einsicht fehlt, die
Kraft zu handeln. Daher hat großer Reichthum der Völker
von jeher schlimme Perioden herbeigeführt: entweder
Unterjochung von Außen oder Revolutionen im Innern,
wodurch die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten und
das Eigenthum der Nation in die Hände derjenigen Classen
gerieth, die bis dahin noch keinen Antheil am Ueberflusse
gehabt hatten. Hieraus ergibt sich auch die Ursache,
warum Seemächte, trotz des größten Reichthums und selbst
des übertriebensten Luxus, den er veranlaßt, groß und mächtig
bleiben können. Die Quelle ihrer Schätze führt das
Heilmittel selbst bei sich. Die Schifffahrt gelingt nur durch
die äußerste Anstrengung aller Kräfte des Geistes und des
Körpers. Daher nöthigt der Seehandel, der den größten
Gewinn bringt, zugleich zu dem emsigsten Bestreben nach
einer Ausbildung, die auch im Kriege Ueberlegenheit gibt.
Wenn eine Seemacht jemals andere Nationen in Sold
nähme, um für sich die Gefahren und Mühseligkeiten der
Schifffahrt zu übernehmen, so wäre sie verloren. Aber auch
nur dann. Die große Seefahrt und die Gesetze, die sie
veranlaßt, werden gewöhnlich nur aus dem eingeschränkten
Gesichtspunkte des Handelsgewinns angesehen. Die Veranstaltungen,
die sich darauf beziehen, sind aber noch weit
wichtiger in moralischer Rücksicht. Sie befördern die ernsthafte
Beschäftigung und Abhärtung, sie erhalten einen
männlichen Charakter in der Nation. Und da das Seewesen
einer großen Menge von wissenschaftlichen Kenntnissen
bedarf, so entsteht daraus das Phänomen einer kriegerischen
Macht, die zugleich alle Künste des Friedens zu
vervollkommnen sucht; wohingegen eine sehr kriegerische Nation
auf dem festen Lande immer Gefahr läuft, in Rohheit
der Sitten zurückzusinken.
15.
Macchiavelli kannte die Begriffe von Recht und Sittlichkeit
und ihren Einfluß auf die Menschen sehr wohl.
Aber sie galten ihm nur als Erscheinungen im menschlichen
Gemüthe, die gleich andern Neigungen und Vorteilen in
die Berechnungen über die Triebfedern der menschlichen
Handlungen mit aufgenommen werden mußten, ohne ihnen
einen Werth an sich selbst zuzugestehen. Eben so kannte
einer von seinen Schülern, die ihn am besten begriffen
hatten, die sittlichen Triebfedern der Menschen gut genug,
um sie für seine Zwecke und zu dem Verderben derer zu
mißbrauchen, die er dadurch zu seinen Werkzeugen machte.
Aber dieser Mann, Napoleon der Erste, verkannte die Natur
der Dinge, wenn er die ganze lebende Welt um ihn
her nur im Verhältnisse zu seiner Person beurteilte, und
in Beziehung auf sich ordnen wollte. Er wähnte, sich für
ein personificirtes Schicksal erklären zu dürfen. Der mächtigste
Mensch bleibt doch immer nur ein Triebrad des
Schicksals unter vielen. Er ist und bleibt abhängig, so
wie Andre, nur auf andre Art. Es ist daher etwas Verkehrtes
in der Sinnesart, die alles Allgemeine, Höhere, Edlere
der Persönlichkeit unterordnet, und deshalb kann sie
schon vor dem Richterstuhle des bloßen Verstandes nicht
bestehen; wohingegen derjenige, der sein persönliches Interesse
höheren Zwecken unterordnet, auch alsdann mit sich
einig bleibt, wenn er diese verfehlt, und sogar, wenn er
selbst darüber untergeht.
16.
Diese Bemerkungen sind von der größten Wichtigkeit
für jeden Regenten. Die Freigebigkeit ist eine natürliche
Eigenschaft des hohen Sinnes. Man fühlt sich über andre
Menschen erhaben, indem man ihnen wohl thut. Sie ist
also ganz eigentlich eine fürstliche Tugend. Der Geiz hat
etwas Kleinliches und ist daher in einer hohen Stelle unanständig.
Bei dem, der nach der Herrschaft strebt, kommt
noch hinzu, daß er des Beistandes so Mancher bedarf, und
denselben durch alle Mittel suchen, ihn also auch oft erkaufen
muß.
Betrachtet man aber die Folgen, so sieht man auf der
Seite der Freigebigkeit undankbare Günstlinge, die immer
mehr fordern, je mehr sie erhalten haben; ganze Classen,
die als ein Recht ansehen, was Einem unter ihnen zugestanden
worden; die, wenn sie das gesammte fürstliche Gut
unter sich getheilt haben, denjenigen gering schätzen, der
nichts mehr zu geben hat und sich gegen ihn auflehnen;
mißlungene Unternehmungen, weil es an Mitteln fehlt;
unbelohntes Verdienst, ungerechte Vorenthaltung rechtmäßiger
Forderungen, allgemeine Unzufriedenheit, zuletzt Verachtung.
Der Geiz hingegen, nicht aber die Habsucht, die vielmehr
mit leichtsinniger Verschwendung nahe verwandt ist,
kann wol mit Gerechtigkeitsliebe bestehen. Strenge Wirthschaftlichkeit
macht den Grund aller guten Regierung aus.
Ist aber der Geiz nicht die Folge ernstester Ueberlegung
und Vorsicht, entspringt er vielmehr aus Neigung, so fällt
er auf die Gegenstände, welche nicht die wichtigsten sind,
sondern nur die nächsten; er läßt große Dinge fahren, um
Kleinigkeiten zu ergreifen, freut sich nicht über den Zweck
der guten Haushaltung, sondern nur über das Ersparen
selbst, mißgönnt daher Jedem die wohlverdiente Belohnung
geleisteter Dienste und erzeugt allmählich die tiefe Abneigung,
welche derjenige stets einflößt, dessen Macht man
fürchtet, ohne seinen Charakter zu achten.
17.
Die Lehren dieses Kapitels sind einleuchtend. Dennoch
wird es Männern von menschenfreundlicher Gemüthsart
sehr schwer, sie anzunehmen. Sie hoffen immer, die Menschen
werden zu ihren Gunsten eine Ausnahme machen.
Ihre eignen Gesinnungen verleiten sie auch in Andern entsprechende
zu wünschen – vergeblich zu erwarten. Aber
es wird im Gegentheil demjenigen, der einmal im Rufe
der Menschenliebe steht, von allen Seiten angesonnen, sich
gefallen zu lassen, was keinem Andern widerfährt, und das
ist der wahre Grund, warum die angebliche Tugend der
Gutmütigkeit – sehr verschieden von der Liebe zum Guten
– so allgemein erhoben wird. Sie ist in Wahrheit
nur Schwäche eines harmlosen Gemüths und schon im
Privatleben verächtlich. Wer den Menschen im Ernste
wohl will und für sie thätig sein möchte, muß kämpfen
und überwinden, den widerstrebenden Eigennutz der Schlechtgesinnten
in Furcht setzen, die Schwachen zwingen mitzuwirken
und oft diejenigen selbst, denen er wohlthun will,
nöthigen, ihr eigenes Bestes zu besorgen. Im öffentlichen
Leben gibt es gar keinen größeren Fehler, als jene Gutmüthigkeit,
die immer nachgibt: Schlechte schont und Gute
preisgibt; bescheidene Selbstverleugnung vorschützt, um zurückzubleiben,
wo es die Pflicht erfordert, hervorzutreten,
und die verächtlichste Feigheit mit dem nichtswürdigen
Ruhme der Sündhaftigkeit im Leiden, da wo man sich
wehren sollte, beschönigt. Vorzüglich ist Nachgibigkeit und
unzeitige Schonung im Verhältnisse zu Untergebenen verderblich.
Die Liebe zu Vorgesetzten erfordert einen überwiegenden
Zusatz von Achtung. Diese ist mit der Furcht
näher verwandt, als mit der Zuneigung. Ein anderer Bestandtheil
der Liebe zu Vorgesetzten ist Vertrauen auf ihren
Schutz. Dazu gehört wieder die Ueberzeugung, daß Andre
sich vor ihnen fürchten. In einem andern Sinne als Macchiavelli
es behauptet, ist es in der That wahr: die Furcht
ist das Band der bürgerlichen Gesellschaft.
18.
Unter allen Lehren, die Macchiavelli den Großen gibt,
haben diese den allgemeinsten Beifall gefunden. Auf ihn
berufen sich alle Staatsmänner, die Verträge und Zusagen
brechen und den Betrug mit dem Namen der Politik rechtfertigen
möchten. Doch hat ein so erfahrener Mann unmöglich
sagen wollen, daß ohne Gefahr immer und immer
nur betrogen werden könne. Das hat er auch nicht gesagt,
denn er verlangt ja von seinem Fürsten, daß er gegen Tugend
und Laster nur gleichgiltig sein, Eines wie das Andere
üben und beides nur als Mittel gebrauchen solle, Absichten
zu erreichen. Die Großen und Mächtigen begehren gewöhnlich
von den Fesseln moralischer Gesetze befreit zu werden,
um ihre Leidenschaften zu befriedigen. Das aber gewährt
ihnen Macchiavelli nicht. Es fordert vielmehr keine
noch so strenge Moral, so große Aufopferungen, als diejenige
Staatskunst, welche von keiner Moral etwas wissen
will, und Alles, was der Mensch thut, den kalten Berechnungen
des Verstandes unterwirft, um einen einzigen Zweck
zu erreichen. Wer danach strebt, Herrschaft zu erringen,
und wenn er sie hat, zu erweitern, darf nichts Anderes
wünschen. Macchiavelli sagt gar nicht, der Fürst darf sich
über die Moralität ganz wegsetzen, sobald es ihm beliebt,
weil er mächtig genug ist, es ungestraft zu thun. Dazu
kannte er das Volk zu gut und beurtheilte zu richtig, was
auf dasselbe wirkt. Er verlangt aber vollkommene Gleichgiltigkeit
gegen die Tugenden im Herzen selbst. Der Fürst
soll den Redlichen und Unredlichen spielen, so wie es die
Umstände verlangen. Es ist also auch nicht damit gethan,
sich gegen Gefühl und Gewissen abzuhärten und bei keinem
Verbrechen anzustoßen, das in den Plan des Ehrgeizes gehört.
Wer dies leistet, hat nur die Hälfte der Forderung
erfüllt. Er muß sich daneben das Ansehn aller Tugenden
geben. Hier aber erkennt man den scharfsinnigen Beobachter
der Menschen gar nicht. Aristoteles, der in seiner Politik
(im fünften Buche, elften Kapitel) dem Tyrannen Lebensregeln
gibt, die überhaupt mit dem Macchiavelli ziemlich
übereinstimmen, verlangt ebenfalls, daß er den Schein
aller Tugenden annehme, die ihm fehlen. So nöthig sind
die wahrhaft königlichen Tugenden jedem Herrscher, daß er
den Ruf, sie zu besitzen, nie ganz entbehren kann. Aber
Aristoteles räth ihm, sich ihnen möglichst zu nähern, davon
anzunehmen, was er nur vermag, und wenigstens den
Schein der andern zu suchen. Macchiavelli hingegen verbietet
ihm die Tugenden selbst, weil sie ihm hinderlich sein
würden; verlangt aber dabei, daß er ihren Schein annehme,
so oft er ihrer Wirkung nicht entbehren kann. Kann nun
wol der bloße Schein diese hervorbringen? Wir sehen
schon im gewöhnlichen Leben, wie wenig Zutrauen und
welche tiefe Abneigung diejenigen Menschen erregen, denen
es nur auf den Effect ankommt, die sich daher selbst immer
im Auge haben und einen Spiegel mit sich umhertragen.
Sie mögen sich noch so gut darauf verstehen, andre Menschen
anzuführen, sie werden dennoch bald für das erkannt,
was sie sind. In den kleinsten Zügen ihres Betragens
liegt ein „Hüte dich!“ das seine Wirkung nicht verfehlt.
Die Großen sind vielleicht mächtig genug, das vorwitzige
Urtheil ihrer Unterthanen zu unterdrücken. Aber auch der
Nachwelt? Und doch hat schwerlich jemals ein Fürst existirt,
der Geist genug hatte, die schwere Rolle zu spielen,
die Macchiavelli vorzeichnet, ohne den Wunsch zu hegen,
daß er auch nach seinem Tode so beurtheilt werden möchte,
als er sich bemüht, vor seinen Zeitgenossen zu erscheinen.
Wer mächtig genug ist, ehrlich handeln zu können, thut
daher immer noch besser, der Heuchelei zu entsagen. So
lange Verstand gegen Verstand kämpft und der Macchiavellische
Fürst sich auf seinem wohlbekannten Fechterboden
befindet, wo Verrath und Treulosigkeit von beiden Seiten
angewendet werden, die Absichten durchzusetzen, wird stets
der Schlaueste den Sieg davontragen. Wenn es aber darauf
ankommt, nicht den Listigen zu überlisten, sondern die
Ehrlichkeit zu berücken und die gerade Einfalt des Herzens
sich nicht mehr anführen lassen will, so vermag alle Kunst
nichts mehr, und Satan selbst hat nicht Verstand genug,
um die Tugenden des Gemüths zu ersetzen, die fortan allein
etwas auszurichten vermögen.
Was insbesondere die Wortbrüchigkeit betrifft, von der
Macchiavelli als von einer notwendigen und gewöhnlichen
Sache redet, so bedarf es einer genauen Bestimmung, wann
sie dem Fürsten erlaubt sein kann. Es ist ein alter und
mit religiöser Ehrfurcht bewährter Ausspruch, daß das Wort
der Fürsten heilig sein solle. Die Wahrhaftigkeit ist überhaupt
das Band, das die menschliche Gesellschaft zusammenhält.
Selbst die einzelne Lüge kann nur da etwas
wirken, wo Wahrheit allgemeine Regel ist. Von Andern
verlangt sie daher auch ein Jeder, und der ärgste Lügner
schreit immer am lautesten gegen den Betrug, der gegen
ihn gespielt wird. Die ganze Welt aber vereinigt ihre
Stimme, denjenigen, der sich nicht etwa einmal eine Unwahrheit
oder einen Wortbruch zu Schulden kommen läßt,
sondern in dessen Charakter es liegt, durchaus unwahr zu
sein, wie eine Pest der Gesellschaft zu fliehen.
Die Natur hat aber dem Menschen die List nicht
umsonst gegeben. Sie ist die Schutzwehr des Schwachen gegen
Stärkere; sein Vertheidigungsmittel gegen übermächtige
Gewalttätigkeit. Mit Recht sagt daher Macchiavelli,
daß der Fürst sich darauf verstehen müsse, den Fuchs und
den Löwen zu spielen. Weil er unter Menschen wandelt,
die mehr von der thierischen Natur an sich haben, als vom
Geistigen, so muß er gleichfalls die Bestie herauskehren,
wenn es Noth thut. Beides soll er können, den Fuchs
spielen und den Löwen. Der Löwe ist stark, wirft Alles
nieder und verzehrt, was ihm gefällt. Wenn er theilt, so
nimmt er das beste Stück, weil er Löwe heißt. Der Fuchs
hilft sich mit List, um zu erlangen, was er zu seiner Erhaltung
bedarf. Aber den Wolf, den Feind aller Geselligkeit,
der selbst mit seines Gleichen nur Verbindungen des
Augenblickes eingeht, um über den Dritten herzufallen und
nie in einer friedlichen Gemeinschaft angetroffen wird, dieses
ganz ungesellige Thier soll kein Mensch jemals nachahmen.
Vielmehr soll ja der Fürst, wie Macchiavelli selbst
sagt, den Löwen machen, um die Wölfe zu vertreiben. Noch
in andern Stellen seiner Werke spricht er nachdrücklich gegen
diejenigen, die wie die Wölfe unter Menschen leben.
Wenn denn also dem Menschen die Schlauheit des Fuchses
gegeben ist, damit er die Wölfe ins Verderben ziehe, gegen
die er sich nicht wehren kann, wohlan, so gebrauche die List,
so oft sie nothwendig ist. Lüge, brich dein Wort, verschwöre
dich, verleite deinen Gegner durch die hinterlistigsten Vorspiegelungen
und stich ihm den Dolch ins Herz, indem du
ihn umarmst. Aber beweise, daß dies Alles nothwendig
war, um dich von der Noth zu befreien, die die Bosheit
über dich brachte: und du bist gerechtfertigt. Zeige, daß
es nothwendig war, um das dir anvertraute Volk vom
Untergange zu retten – und du wirst als ein wohlthätiger
Schutzgeist verehrt werden. Wer kann sich der lebhaftesten
Theilnahme erwehren, wenn die Unternehmungen
des selbstsüchtigen, unersättlichen, gegen Wohl und Wehe
der Menschen gefühllosen Ehrgeizes und der Habsucht durch
die Verschlagenheit des Unterdrückten auf den Urheber der
Mißhandlung zurückfallen?
Es ist um so viel notwendiger, die Künste der List
und Verstellung richtig zu würdigen, da sie einen ganz
eigenthümlichen Reiz für die Großen haben, der aus den
besondern Verhältnissen ihrer Lage entspringt. Wer so viel
vermag, sollte man denken, wird sich die Mühe nicht geben
wollen, sich zu verbergen. So Vieles kommt ihren geringsten
Wünschen entgegen. Sie brauchen kaum zu wollen,
so geschieht schon, was ihnen angenehm ist. Wie selten hat
Einer von denen, die sich ihnen nahen, die Dreistigkeit, etwas
zu tadeln, das sie thun. Aber das Alles trifft doch
nur die Kleinigkeiten, die ihre eignen persönlichen Neigungen
angehen. In Allem, was zu ihrem politischen Leben
gehört, ist es ganz anders. Sie finden in den verwickelten
Anstalten der bürgerlichen Ordnung, in der Organisation
der Gewalt selbst, mit der sie ihren Willen vollziehen,
Schwierigkeiten und Widerstand. Sie verachten die Menschen
und mißbrauchen sie ohne Scheu. Dennoch können
sie dieselben nicht zu Maschinen machen. Der unumschränkteste
Monarch muß sich herablassen, ihre eignen Gesinnungen
und Empfindungen zu schonen. Außerdem ist Alles,
was ihn umgibt, unaufhörlich beschäftigt, von jeder seiner
Aeußerungen Vortheil zu ziehen. Er lernt bald, daß Alles,
was von ihm herkommt, von der größten Wichtigkeit ist
und oft Wirkungen thut, die ihn selbst überraschen. Wenn
er nicht etwa von dem Feuer eines ungestümen Temperaments
beherrscht wird, das keinen Zwang erträgt, so wird
er in sich selbst mißtrauisch und geneigt zur Verstellung.
Kommt hierzu noch eine verkehrte Bildung des Geistes,
entschuldigt er bei sich selbst den Mangel an Entschlossenheit
und Muth mit dem Grundsatze, es sei besser, Alles,
was auf geradem Wege zweifelhaft sein könnte, mit versteckter
Kunst zu Stande zu bringen; findet er ein Vergnügen
darin, Schwierigkeiten aufzusuchen, und bewundert
seinen eignen Verstand, wenn er mit seinen Mittelchen die
Kraft des Willens zu ersetzen sucht, – so entsteht zuletzt
ein Gewebe, darin sich der Künstler, der es angelegt hat,
selbst verstrickt und verliert.
Die Wirkungen der Politik, die Macchiavelli lehrt, haben
sich niemals deutlicher gezeigt, als in der Geschichte der Familie,
für die sein Buch zunächst bestimmt war.
Lorenzo von Medici, dem er es zugeeignet hat, ist nicht
Herr von Florenz geworden. Aber er scheint doch von
den Rathschlägen, die ihm hier ertheilt werden, Gebrauch
gemacht zu haben. Er hatte, wie es scheint, Anlage zu
einem Schüler des Macchiavelli im praktischen Leben. Ein
früher Tod unterbrach seine Ausbildung. Aber er vererbte
diesen Schatz von Grundsätzen auf seine Tochter. Catharina
von Medici nahm sie mit sich nach Frankreich. Dort
ward das florentinische Gewächs von den Landsleuten, die
sie dahin begleiteten, sorgfältig gepflegt. Die Geschichte der
französischen Nation hat dadurch eine ganz eigne und ihrem
ursprünglichen Charakter fremde Wendung genommen. Der
Herzog von Retz, den Catharina aus Florenz kommen ließ,
hatte einen entscheidenden Einfluß auf die Entschließungen
Karl des Neunten und Heinrich des Dritten, und brachte
Pläne zur Reife, die in französischen Gemüthern schwerlich
gediehen wären. Mehrere Italiener umgaben Heinrich den
Dritten. Unter diesen der Abbate del Bene, von dem sich
jener Monarch, dessen Charakter und dessen Leben ein sonderbares
Gemisch von Wollust, Trägheit, Leichtsinn und
tiefer Verstellung, dreister Thätigkeit und Grausamkeit war,
in den Stunden, wo es ihn anwandelte, Politik zu studiren,
den Tacitus, Polybius und mehr als diese den Fürsten
von Macchiavelli vorlesen ließ.Das erzählt Davila, der durch seinen Bruder, einen Kammerherrn
der Catharina, mit Heinrich dem Dritten und seinem Hofe genau
bekannt war. Davila, selbst ein Italiener, spricht von der Catharina
und ihren Söhnen mit der sympathetischen Empfindung des Landmanns.
Daher ist seine Geschichte dieses mehr italienischen als französischen
Hofes so natürlich, so lebendig, so anziehend. Er fühlte ganz
anders, wie die florentinischen Gemüther gesinnt waren, als französische
Schriftsteller. In den Erzählungen solcher Geschichtschreiber sieht man
die Menschen selbst vor sich; in den Bemerkungen andrer über die ihnen
fremden Gestalten entgeht das Eigenthümlichste und Feinste. Ueber
ächt französische Charaktere muß man hingegen französische Schriftsteller
lesen: über Heinrich den Vierten den Voltaire. Den Helden der Galanterie
und des Point d’honneur stellt dieser mit eben so vielem Talente
dar, als Davila die Catharina, die er wegen ihres verschmitzten
Herrschertalents vergöttert. Die Lehren, die er
hier vernahm, übte er auch dann und wann einzeln, nach
Laune aus. Und damit bekräftigte er selbst recht nachdrücklich
die Bemerkung seines Lehrers, daß die Menschen selten
den Muth und die Beharrlichkeit haben, etwas recht und
ganz zu sein, und daß sie eben dadurch zu Grunde gehen.
Die Mutter aber war anders. Beides, natürliche Anlage
und Bildung durch die Lehren des Meisters in der
italienischen Politik, vereinigten sich in ihr, und in ihrer
Lage fanden sich Veranlassungen, die ganze Rolle zu spielen,
die er vorgezeichnet hatte. Ihre Ansprüche auf die
Regentschaft während der Minderjährigkeit ihrer Söhne
waren zweifelhaft. So weit befand sie sich mit dem Fürsten
des Macchiavelli in gleichen Verhältnissen, und die
Schwierigkeiten, die ihr entgegenstanden, wurden noch durch
ihre fremde Abkunft vermehrt. Große persönliche Vorzüge
waren erforderlich, sie zu überwinden, und solche hat sie
unstreitig besessen.
Catharina von Medici hatte so viel Verstand und Talent,
als irgend eines der Weiber, die in der Geschichte berühmt
geworden sind. Der begeisterte Verehrer ihrer Vorzüge,
der Geschichtschreiber Davila, hält ihr bei der Erzählung
ihres Todes folgende Standrede:
„Die großen Eigenschaften dieser Frau, welche dreißig
Jahre lang die Augen von ganz Europa auf sich gezogen
hat, erhellen besser aus ihrer Geschichte, als ich sie in wenigen
Worten darstellen könnte. Ihr Verstand war unerschöpflich
an Mitteln, um die unerwarteten Zufälle zu verbessern,
und die Wirkungen des üblen Willens der Menschen
zu vereiteln. Hierdurch ertrug sie während der Minderjährigkeit
ihrer Söhne die Last der bürgerlichen Kriege,
während welcher sie zu gleicher Zeit den Religionseifer, die
Widerspenstigkeit der Unterthanen, die Bedrängnisse des
Schatzes, die Verstellung der Großen und die ungeheuern
Unternehmungen des Ehrgeizes bekämpfte. Ihre Beständigkeit,
ihr hoher Sinn, womit sie, eine Fremde, es unternahm,
das Ruder der Regierung den einheimischen Großen
zum Trotze zu ergreifen, womit sie sich desselben bemächtigte
und es festhielt gegen alle Künste der Widersacher und
den Schlägen des Schicksals zum Trotze, hatte mehr Aehnlichkeit
mit dem Geiste eines in den großen Welthändeln
gebildeten Mannes, als mit der Gesinnung eines an die
Weichlichkeit des Hofes gewöhnten und von ihrem Eheherrn
unterdrückten Weibes. Aber die Geduld, die Gewandtheit,
die Mäßigung, womit sie sich zu behaupten wußte,
und ungeachtet des in ihrem Sohne selbst gegen sie allmählich
entstandenen Argwohns die Regierung so festhielt,
daß er es nicht wagte, ohne ihren Rath und ohne ihre Einwilligung
zu handeln, selbst da, wo er ihr nicht traute:
dieses ist der größte Beweis und das kräftigste Kunststück
ihrer vorzüglichen Gaben. Daneben wußte sie sich stets
über die natürlichen weiblichen Schwächen zu erheben und
unterlag nie den kleinlichen Neigungen, welche vom rechten
Wege abführen. Sie hatte einen hellen Verstand, wahrhaft
königliche Anmuth in ihrem Benehmen gegen die Menschen,
mächtiges Talent zu reden, lebendige Neigung sich
freigebig und geneigt gegen die Guten zu beweisen, den
bittersten und unversöhnlichen Haß gegen die Andern. Sie
ließ nicht ab, ihre Anhänger zu begünstigen und zu erhöhen,
und dennoch konnte sie es nicht dahin bringen, daß der
französische Stolz ihre italienische Geburt vergessen hätte.
Die unruhigen Köpfe hörten nie auf, sie als die Feindin
ihrer Absichten zu hassen, und insbesondere ist sie von den
Hugenotten verleumdet worden, als wenn sie nur aus unbegrenzter
Begierde zu herrschen Rathschläge gegeben, wodurch
Frankreich doch aus den größten Gefahren gerettet worden
ist. Mit allen diesen Tugenden war sie der allgemeinen
Unvollkommenheit der menschlichen Natur unterworfen
und hatte ihre Fehler. Man hielt dafür, ihr sei durchaus
nicht zu trauen: etwas zu allen Zeiten, vorzüglich aber und
ganz besonders zu den unsrigen Gewöhnliches. Sie dürstete
mehr nach Blut oder verachtete das Menschenblut wenigstens
mehr, als ihrem Geschlechte wohl ansteht, und es
ward bei vielen Gelegenheiten offenbar, daß sie alle und
jede Mittel, auch die ungerechtesten und verrätherischsten
gut fand, um nur zu ihrem Zwecke zu gelangen. Aber
bei billigen Beurtheilern werden diese Fehler, welche die
Noth der Zeiten veranlaßte, durch die erwähnten großen
Eigenschaften bedeckt.“
Wenn man nun diese große Königin, dieses Ideal
italienischer Politik, deren Bild Davila hier beinahe mit denselben
Ausdrücken entwirft, womit Macchiavelli seinen Fürsten
zeichnet; wenn man sie näher betrachtet und ihre Geschichte
erwägt, so wie sie von ihrem Lobredner selbst erzählt
wird, was findet man denn für große Wirkungen
ihrer hochberühmten Eigenschaften? Die schlaue Frau wußte
durch ein verstecktes Spiel, durch die Künste der verführerischen
List, die sie in der That im vollkommensten Maße
auszuüben verstand, alle Parteien in gewissem Gleichgewicht
und sich über sie erhaben zu erhalten. Jede dieser Parteien
ward zwar bald inne, daß mit ihr gespielt werde, mußte
sich aber diesem Spiele hingeben, so oft es ihr gefiel, es
wieder anzuknüpfen, weil sie anfangs als Regentin die rechtmäßige
Gewalt und nachmals als geliebte und gefürchtete
Mutter einen entscheidenden Einfluß hatte. Der heimliche
Widerwille und das Mißtrauen, mit welchen diese Nachgibigkeit
beständig verbunden war, vereitelte aber auch auf
jener Seite alle ernstlichen Unterhandlungen, und so ward
es unmöglich, so lange sie lebte, die bürgerlichen Unruhen
beizulegen, welche Frankreich solche Uebel zugefügt haben,
daß man wirklich nicht einsieht, wovon Catharina das Reich
errettet haben soll.
Die innern Kriege, die Frankreich vierzig Jahre lang
zerrissen haben, wurden beendigt, indem der rechtmäßige
Erbe der Krone zu der Kirche übertrat, welcher bei weitem
der größte Theil des Volkes leidenschaftlich anhing. Heinrich
dem Vierten war es lange vorher gesagt, er werde
den Thron von Frankreich nie besteigen, wenn er das Volk
nicht durch diesen Schritt versöhnte. Er war selbst davon
überzeugt und ging Jahre lang damit um, durfte es aber
nicht wagen, aus Besorgniß, die Partei, die ihm schon anhing,
zu verlieren, ohne der andern gewiß zu sein. Catharina
hatte schon Unterhandlungen mit ihm angefangen, die
dahin führen sollten, und durch deren glücklichen Ausgang
das, was einmal geschehen mußte, zum Besten der französischen
Nation viel früher geschehen wäre. Was vereitelte
denn diese Bemühungen der klügsten Frau ihrer Zeiten?
Der geringe Umstand allein: der kleine Naturfehler, über den
Davila so leicht weggeht: – „Ihr war nicht zu trauen.“ –
Nachdem sie unzählige Male gelogen und betrogen hatte,
da konnte sich auch der treuherzigste Mensch auf der Erde
nicht mehr von ihr anführen lassen. Solche Politik ist gut,
um Kriege anzuzetteln. Wenn man aber das Feuer auslöschen
möchte, das durch so schlaue Künste angefacht ist,
so findet man selbst mit Erstaunen, daß alle die Werkzeuge,
wodurch der feine Verstand so bewunderungswürdiges
Machwerk zu Stande gebracht hat, nichts mehr vermögen;
daß das einzige Wort eines zuverlässigen redlichen
Mannes eine sicherere Grundlage abgibt, als die künstlichsten
Veranstaltungen der List, und daß Achtung und Zutrauen
der Menschen kräftigere Mittel sind, etwas Großes
zu vollbringen, als die Ueberlegenheit des Verstandes, wenn
sie gemißbraucht wird, Andere zu bethören, die sich für die
erlittene Demüthigung mit unversöhnlicher Erbitterung rächen,
sobald sie können.
Lange vor dem Macchiavelli und Davila hatte schon
der jüngere Philipp von Macedonien ein Beispiel davon
gegeben, was die Geschichte des Betrugs und der List für
einen Ausgang nimmt. Er versuchte sich zum Oberhaupte
der Griechen zu machen, um den Römern die Spitze zu
bieten. Ungefähr so wie Cäsar Borgia sich eine überwiegende
Macht in Italien zu erwerben trachtete, um den
Fremden zu widerstehen. Und mit denselben Mitteln. Was
war das Ende? Er hatte in allen griechischen Staaten so
viel Mißtrauen, so viel heimliche und öffentliche Feindschaft
erregt, daß es ihm unmöglich ward, die Nation mit sich
zu vereinigen. Er unterlag im Kampfe, ohne nur einmal
von seinem eignen Volke bedauert zu werden.
Die Menschen hören indessen nicht auf, den Verstand
ohne alle Beziehung auf die Eigenschaften des Gemüths,
die ihm zur Unterlage dienen müssen, wenn er wahren
Werth haben soll, ausschließlich zu bewundern. Der scheinbare
Erfolg seiner Kunststücke im Einzelnen verleitet sie nicht
allein zu dem Vorurtheile, daß es in der Welt nur auf
Verstand ankomme; sie verkennen auch seine Natur. Das
sichere treffende Urtheil, welches in verwickelten Verhältnissen
das Geringfügige übersieht und den Punkt festhält, auf den
Alles ankommt, ist ihnen zu einfach. Ein Gewebe von
kleinen Künsteleien, von Auswegen des Augenblicks, die immer
tiefer in die Verwicklung führen, von verschmitzten
Ränken, gefällt ihnen besser. Doppelzüngigkeit, Falschheit
und List, über deren zweckmäßigen Gebrauch Macchiavelli
selbst Lehren gibt, die wol einiges Bedenken erregen könnten,
ob man sich auch zutrauen dürfe, sie so anzuwenden;
diese Untugenden gelten am Ende für Beweise von Verstand
und Talent, oder sollen den Mangel daran ersetzen.
Wer gar keine Lust hat, die Maske des Löwen vorzunehmen,
die ihn auch schlecht kleiden würde, glaubt genug gelernt
zu haben, wenn er zu lügen, zu betrügen, sein Wort
zu brechen weiß. So ist es zu gewissen Zeiten in der Geschichte
dahin gekommen, daß man überall, wo sich Jemand
in vollendeter Nichtswürdigkeit nur recht schamlos beweist,
den Geist von Macchiavelli’s Fürsten zu erkennen geglaubt
hat. Zu diesem aber gehört die Tapferkeit des entschlossenen
Gemüths eben sowol, als die Gewandtheit des listigen.
Nur in dieser Beziehung verträgt die Welt die Unredlichkeit.
Der Abscheu, den diese einflößt, nimmt dabei
den Charakter einer grauenvollen Bewunderung an; geht
aber in Verachtung über, sobald diese nachläßt: „Du sublime
au ridicule il n’y a qu’un pas!“
19.
Interessant ist der Rath Macchiavelli’s an den neuen
Fürsten, sich nicht an den Weibern seiner Unterthanen zu
vergreifen.
Einem gebornen Prinzen wird es ja nicht schwer, solche
Neigungen zu befriedigen. Die Weiber kommen ihm natürlich
stets entgegen. Er ist immer allein schön, klug,
liebenswürdig. Er hat also wenig Versuchung, die Schranken
zu übertreten, die ihm der Anstand vorschreibt, und in
der fürstlichen Erziehung wird auf die Erhaltung des Anstandes
so viel Werth gelegt, daß er ihn wol einmal verletzen,
aber sich schwerlich ganz darüber wegsetzen wird.
Anders der Privatmann, der zur Unabhängigkeit von den
Gesetzen, die Andre binden, gelangt ist und keine Scheu vor
dem öffentlichen Urtheile hat, er ergibt sich den Ausschweifungen
der Wollust nicht allein aus Sinnlichkeit oder Eitelkeit,
sondern oft aus bloßem Uebermuthe. Manche neue Fürsten
haben einen Genuß darin gesucht, ihre Unterthanen
auf diese Art zu beschimpfen, und die hierdurch gereizte
Rache hat mehr Fürsten das Leben gekostet, als der Patriotismus
von Republikanern.
Der neue Fürst selbst beschäftigt sich größtentheils mit
herrschsüchtigen Plänen und wird durch die Rücksicht auf
diese einigermaßen zurückgehalten. Aber Söhne und Brüder,
die ihre Erhebung nicht eignen Bemühungen verdanken,
verlieren alle Besinnung im Rausche der neuen Größe.
Unzählige Beispiele finden sich in der Geschichte der römischen
Imperatoren und des neuen Italiens. Eines lag dem
Macchiavelli vermuthlich zunächst vor Augen.
Der alte Pandolfo Petrucci von Siena ließ morden,
zwang reiche Erbinnen, seine Anhänger zu heirathen, und
verfuhr überhaupt gewaltthätig mit den Bürgern, wo es
in seinen Plan gehörte. Dabei behauptete er sich bis an
das Ende seiner Tage. Aber sein Sohn, Borghese Petrucci,
der die Früchte der väterlichen Bemühungen von
früher Jugend an einerntete, wußte nicht was Alles beginnen,
um sie zu genießen. Er beraubte Diesen und Jenen,
verführte und mißbrauchte mit Gewalt Weiber und
Töchter. Dafür ward er verjagt. Nicht besser machte es
in Florenz selbst Alessandro von Medici, der nach Macchiavelli’s
Tode nicht durch eigne Talente und Bemühungen,
sondern durch Protection Herzog geworden war: auch
er ward deshalb ermordet. Die Geschichte des sechzehnten
Jahrhunderts enthält noch mehrere Beweise, bis zu welchem
Unsinne der Uebermuth der Emporkömmlinge die unnatürlichsten
Ausschweifungen der Wollust treiben kann.
Was zum Beispiel ein Pietro Luigi Farnese, Sohn des Papstes
Paul des Dritten, mit dem Erzbischofe von Bologna
vorgenommen, als dieser ihn bei einem feierlichen Einzuge
bewillkommte, grenzt beinahe an das Unglaubliche ....
22.
Es ist bereits einige Male Pandolfo Petrucci erwähnt,
der sich zum Oberhaupte des Staats von Siena aufgeworfen
hatte, ohne jedoch den Namen eines Herrn zu führen.
Er verdankte den ruhigen Besitz seiner hohen Stelle vorzüglich
dem Antonio Giordani von Venafro, der die Aemter
eines Richters und öffentlichen Lehrers zu Siena bekleidet
hatte, und dem Pandolfo als Staatssecretair und
in Gesandtschaften diente. Den Ratschlägen dieses Mannes
werden die feine Politik und das feste Benehmen, seiner
grausamen Gemüthsart aber auch die Mordthaten zugeschrieben,
wodurch sein Gönner sich emporschwang und erhielt.
Von der Sinnesart des Giordani und zugleich vom
Geiste der damaligen Zeit kann die Antwort als Probe
dienen, die er als Gesandter dem Papst Alexander dem
Sechsten gab. Dieser fragte ihn, wie er es anfange, die
Sieneser zu regieren? – „Mit Lügen, heiligster Vater.“ –
Der alte Petrucci brachte es dahin, daß sein Sohn
Borghese Petrucci (seine Mutter war eine Borghese) nach
seinem Tode in seine Stelle einrückte. Aber der leichtsinnige
und ausschweifende junge Mensch hatte nicht so viel
gesunden Verstand, dem alten Rathgeber seines Vaters zu
folgen. Er hatte einen Günstling, Pochintesta, der sich die
ausschweifendsten Mißhandlungen seiner Mitbürger erlaubte.
Antonio rieth ihm, sich durch die Hinrichtung desselben die
Liebe des Volkes zu erwerben. Er aber ergab sich ihm,
dem geliebten Genossen aller eigenen Bubenstücke, immer
mehr, anstatt ihn zu züchtigen. Die Partei, welche den
Borghese Petrucci zu verdrängen suchte, bemerkte bald, wo
seine Stärke lag, und fing damit an, ihm den Antonio
verdächtig zu machen. Der gedankenlose Borghese ging in
diese Falle und ertheilte dem beschwerlichen Mentor den
Abschied mit angeblichem Bedauern und in der Einkleidung
eines Rathes, er möge der allgemeinen Abneigung ausweichen
und sich entfernen. Recht wohl, erwiderte Jener,
ich werde Ihnen das Quartier bestellen. Der junge Fürst
mußte wirklich bald nachfolgen. Die Petrucci hatten es
mit den republikanisch gesinnten Florentinern gehalten.
Die Revolution zu Florenz, wodurch die Medici in demselben
Jahre wieder eingesetzt wurden, als Pandolfo starb
(1512), zog also natürlich auch in Siena eine Katastrophe
nach sich, wodurch unter dem Schutze Papst Leo X. Rafael
Petrucci, Bischof von Grosseto und Castellan des
Castel Sant’ Angelo zu Rom, ein Vetter und geschworener
Feind des Borghese Petrucci und Anhänger der Medici,
statt des vertriebenen Borghese auf kurze Zeit Oberhaupt
von Siena geworden war. Antonio von Venafro war
glücklich nach seiner Vaterstadt entkommen und beschloß daselbst
sein Leben in Ruhe. Borghese aber ward wahnsinnig
und starb bald darauf in Neapel.
Der Fürst von Siena und sein Minister mögen in Einem
verdienten Schicksale untergegangen sein und mit so
vielen Andern vergessen werden. Was gehen sie uns weiter
an? Aber das Mittel, wodurch der alte Rathgeber entfernt
und der Fürst seiner Stütze beraubt worden, verdient
Aufmerksamkeit. Dieser ließ sich überreden, sein Freund sei
allgemein verhaßt; durch die Entfernung desselben werde
ihm die Liebe des Volkes erhalten und seine Herrschaft gesichert
werden. Eben so erregten die Günstlinge Königs
Karl des Zweiten von England, denen der unbestechliche
Clarendon im Wege war, zuerst ein leises Gemurmel: der
Kanzler fange an verhaßt zu werden, er sei auch gar zu
wenig nachgibig, sein Benehmen allzu rauh. Es fanden
sich ihrer bald genug, die mit einstimmten, weil er sich geweigert
hatte, ihre unziemlichen Begehren zu erfüllen, und
so gelangte eine angeblich allgemeine Stimme vor den
Thron, der König müsse seinen Minister entfernen, um
selbst bei dem Volke beliebt zu bleiben. Clarendon mußte
weichen, und nur sein Andenken hat eine verspätete Genugthuung
von der unparteiischen Nachwelt erhalten.
Noch viele andere Fürsten sind in ähnliche Schlingen
gefallen. Auch bessere, und diese eben durch den Mißbrauch,
den man von ihren vorzüglichsten Eigenschaften gemacht
hat; ihrer Achtung gegen das öffentliche Urtheil und gegen
die Gesinnungen des Volkes. Dazu gehört wahrlich nicht
einmal die Schlauheit eines Arlington oder Buckingham.
23.
Nie ist das alte, wenn man so sagen will, abgedroschene
Kapitel der Moral die uralte Lehre, die schon jener griechische
Philosoph beim Stobäus seinem jungen Prinzen ertheilt:
„Hüte dich vor Schmeichlern!“ so lebendig und
eindringend vorgetragen als hier. Nur ist der Satz: „Die
Menschen sind ihrer Natur nach schlecht“ hier nicht recht
passend, wenigstens zu allgemein gefaßt. Die Menschen
sind nicht alle schlecht – wenn auch unläugbar die überwiegende
Mehrzahl. Sie sind nicht alle eigennützig, von
sträflichen Leidenschaften getrieben, wahrer Zuneigung und
Vertrauens unwerth. Durfte wol Heinrich der Vierte den
Sully für schlecht halten? Und hätte dieser eine solche
Meinung ertragen? Aber nur ein Fürst, der wie dieser die
Schmeichelei verschmäht, kann einen Sully finden. Macchiavelli
hat vorhin in Kapitel 22 selbst einen Minister aufgestellt,
dem der Fürst unbedingt vertrauen und den er in
sein eignes Schicksal verflechten soll. Der Autor durfte
doch kaum gemeint haben, daß der Fürst dies mit einem
„schlechten“, wenn auch noch so klugen Menschen wagen
solle.
25.
Die Geschichte der großen Weltereignisse sowol als die
einfache Lebenserfahrung bestätigt ohne Zweifel die in diesem
Kapitel vorgetragenen Lehren. – Jedes Zeitalter hat
seinen eignen Charakter. Es hat nicht allein eine jede Generation
ihren besondern Geschmack, ihre eigenthümlichen
Grundsätze und Empfindungsweisen, sondern auch viele Begebenheiten,
welche zufällig scheinen, weil ihr Zusammenhang
mit den Gesinnungen und Neigungen der Menschen
nicht klar vor Augen liegt, nehmen etwas von jenem eigenthümlichen
Geiste der Zeit an. Nur derjenige kann hoffen,
eine große Wirkung hervorzubringen, dessen Talente in gewissem
Verhältnisse zu seinen Zeitgenossen stehen, und der
in das, was sie treiben, auf die rechte Art eingreift. Dies
Verhältniß des einzelnen handelnden Mannes zu dem, was
ihn umgibt, läßt sich nicht immer in bestimmten Ausdrücken
angeben und auf Grundsätze zurückführen. Der Beobachter
der Welt stößt in der Geschichte und im täglichen Leben
häufig auf ein unerklärliches Etwas, welches vollkommen
gut ausgesonnene Pläne vereitelt. Es war nicht die rechte
Zeit. Ein altes Sprüchwort sagt: „Der Mensch, der des
Morgens mit dem linken Fuße zuerst aus dem Bette tritt,
stößt den ganzen Tag über allenthalben an und läuft Gefahr,
ein Bein zu brechen.“ Wer das Unglück hat, in seine
Laufbahn mit einem ersten falschen Schritte einzutreten,
kommt den ganzen Tag seines Lebens über nicht in den
rechten Tact, und findet stets Widerstand.
Die größten Talente, ja auch Vorzüge des Gemüths,
haben nur eine gewisse Zeit, während welcher sie vollgiltig
sind. Glücklich, wenn ein günstiges Geschick den Mann
von vorzüglichem Geiste abfordert, ehe die Periode abgelaufen
ist, in welcher er etwas zu leisten vermag; oder wenn
er den rechten Augenblick trifft, sich aus der thätigen Welt
herauszuziehen, um dem herben Schicksale zu entgehen, ungeachtet
der größten Anstrengung, geringeren, aber gerade
jetzt besser angebrachten Kräften weichen zu müssen.
Macchiavelli sah selbst wohl ein, daß es unmöglich ist,
dem Menschen vorzuschreiben, wie er handeln soll, ohne
darauf Rücksicht zu nehmen, ob er, nach seiner individuellen
Gemüthsart, gerade er so handeln kann. In einem Briefe
an Piero Soderini, worin er nicht mit der feierlichen Miene
des Lehrers der Fürsten auftritt, sondern vertraulich seine
Meinung mittheilt, drückt er es ganz vortrefflich aus. „So
wie die Natur,“ sagt er, „den Menschen verschiedene Gesichter
gegeben hat, so haben sie auch verschiedene Gemüthskräfte
und verschiedene Launen. Auf der andern Seite sind
auch die Zeiten gar sehr von einander verschieden. Demjenigen
gelingt Alles ad votum, der es mit dem Zeitalter
in seinem Verfahren recht trifft, und derjenige ist unglücklich,
der mit demselben in Widerspruch geräth. Die Zeiten
und die Umstände ändern sich aber gar oft, ohne daß die
Menschen ihre Einfälle und Handlungsweise danach abändern.
Wer so gescheidt wäre, Zeit und Umstände allemal
zu kennen und sich danach zu richten, würde immer glücklich
sein oder sich doch vor Unglück hüten. So würde der
Weise wirklich den Sternen und dem Schicksale zu gebieten
scheinen. Aber solche gibt es nicht: die Menschen können
ihre Natur nicht so ändern.“
Können das die Menschen nicht? Hängt ihr Betragen
also auch nicht blos von der richtigen Beurtheilung der
Umstände allein ab? Bestimmt wirklich die eigenthümliche
Gemüthsart, der Charakter des Menschen, auf welche Art
er in das Gewebe der Begebenheiten, das ihn umgibt, eingreifen,
und ob er etwas ausrichten werde? So ist es ja
falsch, worauf doch das ganze System des Macchiavelli beruht:
daß der Fürst sich ohne Vorliebe für irgend Etwas
ganz allein von der kalten Beurtheilung leiten lassen müsse,
um in seinen Unternehmungen glücklich zu sein. Am Schlusse
des Kapitels, wo er Alles übersieht, was der Fürst gethan
haben mag, und das Schicksal aller seiner Unternehmungen
so treffend weissagt, gesteht der Lobredner des Verstandes
selbst ein, daß zu einem großen Manne etwas ganz Anderes
erfordert wird als Verstand, und daß es die Kräfte des
Gemüths sind, welche die Rolle bestimmen, die er spielen wird.
26.
Das Schlußkapitel, der Aufruf zur Abschüttelung der
fremdherrlichen Ketten, hat jetzt für uns nur als ein Meisterstück
der Beredtsamkeit Interesse.
Es fand sich thatsächlich damals in Italien kein Fürst,
der der Unternehmung gewachsen gewesen wäre, durch neue
Anordnungen der Nation Einheit und Unabhängigkeit zu
verschaffen. Die Intrigue fuhr daher fort, das Land zu
zerreißen, und die Völker blieben ein Spiel fremder Mächte.
– Der Historiker Sismonde de Sismondi sucht (in
seiner Histoire des republiques de l’Italie) die Ursachen
des tiefen Verfalls des italienischen Volkes seit dem fünfzehnten
Jahrhundert in dem Untergange der großen Republiken
in der Lombardei, wodurch zuletzt auch das Ende
der Freistaaten in Mittelitalien und die Unterwerfung der
ganzen Nation unter fremde Herrschaft herbeigeführt worden
ist. Es ist begreiflich, daß die rohe Gewaltthätigkeit,
wodurch die Herrschaft in allen Landschaften und Städten
von Italien unzählige Male genommen und verloren worden,
in Unbändigkeit des schwelgerischen Genusses überging,
und daß allgemeine Erschlaffung erfolgen mußte, sobald
Nachfolger und Enkel jener Emporkömmlinge zum ruhigen
Besitze der Gewalt gelangten. Aber dagegen schützt auch
die republikanische Verfassung nicht. In der Geschichte von
Venedig entwickelt sich zufolge der Darstellung, welche Daru
(Histoire de la republique de Venise) aus urkundlichen
Quellen entworfen hat, in ihrem Entstehen, Fortschreiten
und Verfallen der Verfassung derselbe Charakter, der den
gleichzeitigen italienischen Einzelherrschern eigen ist.
In den Bewegungen eines von Parteien zerrissenen
Volkes werden alle Anlagen des Geistes und des Gemüthes
gereizt, sich zu entwickeln, aber nicht blos die schlechten, auch
die besten und edelsten. Man sieht daher in Republiken,
auch in Zeiten der größten Verdorbenheit, einzelne große
Bürgerseelen aufstehen; dahingegen unter der Tyrannei
nichts von Allem aufkommt, was bei Macchiavelli virtù
heißt. Sie verschwand sehr bald in Florenz unter den
Großherzogen, und von dieser Seite hat die frühere Erhebung
der Visconti und Sforza zu Herren von Mailand
der Nation viel geschadet. Aber die Unabhängigkeit von
Italien würde schwerlich durch die Herstellung der mailändischen
Republik bewirkt sein. Diese würde gleich den toscanischen
Freistaaten nur dahin gestrebt haben, schwächere
Nachbarn zu unterdrücken, statt mit ihnen einen großen
Verein zu bilden, um sich gegen fremde Uebermacht zu
schützen. Schon vormals hatte die Geschichte des alten
Griechenlands ein Gleiches gezeigt.
Wenn man nun den ganzen mit Macchiavelli zurückgelegten
Weg hier nochmals mit einem Blicke übersieht, so
wird man von einer sonderbaren Empfindung ergriffen.
Jedes einzelne Urtheil, jeder Rath, jeder Anschlag ist so zutreffend,
daß man der überredenden Kraft nirgends widerstehen
kann, sobald man sich einmal von dem Rade hat
ergreifen lassen, welches unaufhaltsam mit sich fortreißt.
Vorausgesetzt, daß der erste Schritt einmal geschehen sei, so
kann er nicht besser verfolgt werden. Es muß Alles so
kommen, wie Macchiavelli sagt. Man muß also auch so
handeln, wie er angibt, um die Abgründe zu vermeiden,
zwischen denen sich der Weg hinzieht. Dennoch bleibt immer
in der Tiefe des Gemüths etwas, das widerstrebt und
die Ueberzeugung zu Schanden macht. Macchiavelli kann
dreist seine Leser auffordern, etwas gegen seine einzelnen
Urtheile einzuwenden. Aber wer könnte wol das Ganze
für mehr als für ein Spiel des Verstandes halten? Das
ist es eben: das ganze Buch ist nur die Frucht des
Verstandes. Von Theilnahme am Schicksale der Menschen,
von Rücksichten auf ihre Empfindungen, von ihrer
Zufriedenheit als einem Zwecke an sich selbst ist gar nicht
die Rede. Man vermißt durchaus Alles, was vom Gemüthe
abhängt und aus der Empfindung für Andere entspringt,
oder was der Sinn für einen erhabenen schönen
Zweck eingeben könnte. Daher bleibt der Leser immer unbefriedigt,
so viel er auch zu bewundern findet. Moralisches
Gefühl hat Macchiavelli entweder gar nicht gehabt,
oder es ist in ihm von politischen Leidenschaften ganz unterdrückt.
Was aber bloßer Verstand zu leisten
vermag, das hat er erreicht. Und deswegen ist im
Einzelnen so viel von ihm zu lernen; auch für den, der
die ganze Denkungsart und die Grundsätze, die im Buche
herrschen, verabscheut. Niemals hat ein politischer Schriftsteller
die Handlungen der Menschen und ihre Folgen mit
mehr Scharfsinn entwickelt, und gerade vom gewöhnlichen
Fehler der Scharfsinnigen findet sich bei ihm keine Spur:
von der Ueberfeinheit. Keiner hat jemals besser gewußt,
jedesmal den Punkt, auf den Alles ankommt, zu treffen.
So wie man von seinem großen Landsmanne Michel Angelo
erzählt, daß er immer mit dem Meißel in den Marmor
geradezu hinein gehauen und auf ein Haar getroffen
habe, wie weit er gehen müsse, eben so gibt Macchiavelli
immer mit Einem Worte das Rechte an, verwirft alle
Künsteleien, die nur verwirren, und sagt den Mächtigen
auf den Kopf zu, was in ihrem Sinne tief verborgen liegt.
Hiermit stimmt auch sein Vortrag überein. Es ist bekannt,
daß die Italiener ihn für ihren besten Prosaisten halten.
Von der Weitschweifigkeit, dem verwickelten und weit
ausgesponnenen Periodenbau der meisten italienischen Schriftsteller,
von diesem allgemeinen Fehler, der fast der Sprache
selbst eigen zu sein scheint, ist er ganz frei. Die Vollkommenheiten
seines Vortrages, der gedrängte Inhalt und der
kräftige Ausdruck sind aber am auffallendsten im Buche vom
Fürsten. Dieses thut denn auch eine Wirkung, welche der
größten Erwartung entspricht, die der Verfasser davon gehabt
haben mag. Man fühlt, daß es unmöglich ist, besser
anzugeben, wie man die Herrschaft erwerben und behaupten
könne, sobald es nur um dieses zu thun ist, und alles Andere
nicht beachtet werden soll.
Aber das Bild dieser Herrschaft steht auch in Begleitung
aller furchtbaren Genien, die sie herbeigeführt haben,
der Gewalt, der List, der Treulosigkeit, Heuchelei und Schamlosigkeit,
mit ihrem Gefolge, dem dumpfen Mißtrauen der
Unterworfenen, und der tiefen Verschlossenheit ihres gedemüthigten
Herzens, dies Alles steht in der schrecklichsten
Verbindung zu einem Ganzen vor den Augen des Lesers,
und läßt nicht ab, ihn zu verfolgen. Wer die Geschichte
selbst durchgedacht hat, wird unablässig aufgefordert, immer
wieder aufs Neue zu prüfen, wie denn diese Resultate
der Beobachtung dessen, was geschieht und was geschehen
kann, mit den Grundsätzen über das, was geschehen sollte,
die Niemand verläugnen kann, in Uebereinstimmung gebracht
werden mögen.
Diese Untersuchung, deren Hauptmomente in den Bemerkungen
über das Buch angegeben sind, ist um so viel
interessanter, da es nicht nothwendig ist, eine gänzliche Unempfindlichkeit
gegen das Wohl andrer Menschen, und einen
selbstsüchtigen Ehrgeiz bei dem Schüler Macchiavelli’s vorauszusetzen.
Ein Kopf, der von schwärmerischen Plänen
zur Verbesserung des Menschengeschlechts und seiner Verhältnisse
im Großen eingenommen ist, kann sich auch wol
verleiten lassen, alle einzelnen Menschen als Werkzeuge seiner
gutgemeinten großen Absichten anzusehen und alle Verpflichtungen,
die sich auf die gewöhnlichen Vorschriften der
Sittlichkeit gründen, einem erdichteten höhern moralischen
Zwecke aufzuopfern.
So ist der Geist der Politik, die Macchiavelli lehrt, auch
in philosophischer Gestalt und mit einer moralischen Larve,
in dem Grundsatze, daß der Zweck die Mittel heilige, zum
Vorschein gekommen. So sehr aber dieser Lehrsatz auch
von den Leidenschaften begünstigt wird, die sich vortrefflich
darauf verstehen, ihre Wünsche dem angeblichen höhern
Zwecke unterzuschieben, so ist doch die gewöhnliche Moral
zu tief in den Empfindungen gegründet, als daß man häufig
Menschen finden sollte, die sich in einem ganz consequenten
Betragen darüber weggesetzt hätten.
Dieses geheime Gefühl der moralischen Bande wird oft
unterdrückt, erwacht aber immer wieder. Daher kommt es
denn, daß die Menschen in ihrem Benehmen (so lautet eine
der berühmtesten und treffendsten Bemerkungen Macchiavelli’s
in seinen „Discursen“ 1, 27) nie ganz gut oder
ganz böse sind, und eben deswegen in so vielen großen
Unternehmungen verunglücken.
Sie möchten wohl: aber da sie doch nicht dürfen, so
wollen sie auch nicht recht. Sie fangen an, in Hoffnung,
der Zufall werde das Uebrige thun. Verweigert dieser seinen
Beistand, so bedenken sie sich, Schritte zu thun, von
denen sie doch voraussehen konnten, daß sie unvermeidlich
sein würden. Einige Treulosigkeit, einige Verrätherei, einige
Verletzung der allgemeinen Gesetze der Sittlichkeit hält Jeder
im Gedränge der Umstände für erlaubt, und verzeiht
man einander allenfalls. Wenn es aber dadurch so weit
gekommen ist, daß ein letzter dreister Streich zum Ziele
führen würde, so versagt das Herz. Wären die Menschen
etwas besser, so blieben sie von Unternehmungen zurück, die
sie in solche Verwicklungen führen; wären sie etwas schlechter,
so verfolgten sie ihre Zwecke ohne Bedenklichkeit bis
ans Ende, opferten alles Andre auf und verlören vielleicht
Manches, erhielten aber doch das Eine, worauf es abgesehen
war. Sie erhielten es vielleicht in einzelnen Fällen.
Aber wohin führt ein ganz consequentes unsittliches Betragen?
Lassen sich dadurch Zwecke erreichen, die eines
wirklich großen Geistes würdig wären? Macchiavelli selbst
gesteht ein, daß es dazu nicht hinreicht, indem er von seinem
Idealfürsten verlangt, er solle trotz seiner innern
Gleichgiltigkeit gegen die Moralität den Anschein und den
Ruf aller Tugenden erwerben, die er ihn im Herzen zu
verachten befiehlt. Was aber davon zu halten ist, das haben
wir vorher gesehen.
Ende.