The Project Gutenberg EBook of Aus dem Matrosenleben, by Friedrich Gerstäcker

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Title: Aus dem Matrosenleben

Author: Friedrich Gerstäcker

Release Date: October 8, 2013 [EBook #43913]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK AUS DEM MATROSENLEBEN ***




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Aus dem Matrosenleben

von
Friedrich Gerstäcker.

Der Verfasser behält sich die Uebersetzung dieses Werkes vor.


Leipzig,
Arnoldische Buchhandlung.

1857.

Inhaltsverzeichniß.

Cap.   Seite
1. An Bord 1
2. Der Markt zu Sydney 11
3. Die Matrosenkneipe 20
4. Die Flucht von Bord 34
5. Die Entdeckung 50
6. Sydney im Dunkeln 59
7. Was das Geld vermag 89
8. Die Ausfahrt 106
9. Hans 116
10. Die unterbrochene Execution 134
11. Der Sturm 153
12. Die Riffbank 161
13. Das Wrack 178
14. Die Mannschaft trennt sich 188
15. Die Bootfahrt 202
16. Der Morgenbesuch 225
17. Die Landung 241
18. Der Australische Busch 247
19. Das Bivouak 270
20. Bills Wacht 280
21. Schluß 302

[S. 1]

Erstes Capitel.
An Bord.

Captän an Bord? frug am Morgen des 2. August ein sonngebräunter, breitschultriger – Herr, muß ich sagen, denn er stack wenigstens in feinen Tuchkleidern, mit einem hohen schwarzen Seidenhut und feiner Wäsche. Seine breiten braunen Fäuste, die allen Glacéhandschuhen ingrimmig Trotz boten und ihrem Eigenthümer in jeder anderen Kleidung gewiß Ehre gemacht hätten, ließen aber weit sicherer auf einen Arbeitsmann als auf ein Mitglied der »höhern Classen« schließen, und doch schien er zu denen zu gehören, oder rechnete sich wenigstens selbst dazu.

Der Fremde stand in einem der gewöhnlichen Bayboote von Sydney, und hatte die Fallreeps der herunterhängenden Schiffsleiter gefaßt, während er zu dem oben über Bord sehenden Steuermann des »Pelican«, der schon draußen in der Bay von Sydney [S. 2] lag und am nächsten Morgen unter Segel gehen wollte, hinaufrief.

»Ay, ay, Sir«, lautete die seemännische Antwort; der Fremde sprang auf die Leiter und lief, nach einem paar mit den Bootsleuten gewechselten Worten, die ihr kleines Fahrzeug gleich darauf festmachten und seine Rückkehr zu erwarten schienen, an Deck.

Das Deck des »Pelican« bot nichts außergewöhnliches dar. Die Leute waren theils beschäftigt von dem am andern Bord liegenden »Watertank«[1] Wasser einzunehmen, theils hie und da Kleinigkeiten am Tauwerk auszubessern, oder ausgebessertes zu theeren. Der Zimmermann kalfaterte das Deck, und die monotonen Schläge seines hölzernen Hammers waren fast das einzige Geräusch an Bord, so still und ruhig ging alles zu.

So beschäftigt übrigens die ganze Mannschaft auch mit dieser oder jener Sache schien, denn selbst der Mate oder Steuermann war dabei, die Logleine auszumessen und neu zu »märken«, so müßig sahen sich [S. 3] zwei junge Leute die Sache an, die ruhig an Deck auf- und abschlenderten, und nur dann und wann bei einer oder der andern Gruppe stehen blieben, einmal nach dem Boot hinunter sahen, und ihre Wanderung langsam wieder fortsetzten. Sie trugen leichte Sommerhosen, kurze, dünne Jacken und einen breitrandigen Strohhut von sogenanntem cabbageleaf (der Kohlpalme), um den ein breites, schwarzes Band befestigt war, mit den gelb darauf gemalten Worten: »water-police

Der Fremde ging nach einem flüchtigen über Deck geworfenen Blick, der zum größten Theil dem Takelwerk galt, nach hinten, und stieg, ohne einen von den Leuten weiter zu grüßen, die Cajütstreppe hinunter.

»Kanntest du den?« frug einer der Polizeileute den anderen.

»Nein«, sagte der Gefragte, »weißt du wie er heißt?«

»Wirst schon noch seine Bekanntschaft machen«, lachte der erste – »es ist Capitain Oilytt vom Boreas, und will nach Calcutta. – Das Schiff ist auf Dienstag angezeigt.«

»Noch niemand fortgelaufen von den Leuten?«

»Noch nicht, aber wie ich gestern gehört habe, wollen sie morgen fort. – Ich könnt's leicht hintertreiben, [S. 4] damit ist uns aber nicht gedient. – Es sind Ausländer, der größte Theil wenigstens von ihnen, und wenn erst einmal eine tüchtige Belohnung auf sie gesetzt ist, wollen wir sie schon wieder kriegen.«

»Wo gehen sie denn gewöhnlich Abends hin?« frug der zweite – »hast du sie schon im Auge gehabt?«

»O, schon seit acht Tagen – sie sind bis jetzt meistens im »Elephant und Castle« in Pittstreet, und ein paarmal auch in einer von den Kneipen in Kentstreet gewesen, es scheint aber, daß sie sich jetzt weiter hinauf in Pittstreet gezogen haben. Es sind theils Franzosen, theils Deutsche und nur vier Engländer an Bord, und dort oben herum wohnen einzelne von ihren Landsleuten.«

»Die werden sie dann aber auch nicht verrathen wollen«, meinte der zweite, der noch nicht lange in seinen jetzigen Posten eingetreten war.

»Nicht verrathen?« lachte der erste, »laß nur erst einen tüchtigen Preis darauf stehen, dann ist mir vor dem Andern auch nicht bange. Derart Leute wollen Geld verdienen, und die Art wie das geschieht, ist ihnen gewöhnlich verdammt gleichgültig, so ihnen nur die Polizei nichts dabei anhaben kann.«

Capitän Oilytt war indessen, während dies für [S. 5] ihn so wichtige Gespräch am Deck verhandelt wurde, in die Cajüte des Pelican getreten und hatte mit dem am Tisch sitzenden Capitän die ersten Begrüßungen gewechselt.

»Also Morgen wollen Sie fort?« sagte er. »Wie ich sehe haben Sie Polizei an Deck? Fürchten Sie, daß Ihnen noch einige von Ihren Leuten weglaufen sollten?«

»Ja und nein,« antwortete Capitän Howell vom Pelican. »Der Henker traue den Schuften. – Sie werden auf meinem Schiff so gut behandelt, wie kaum auf einem anderen. Kein hartes Wort wird zu ihnen gesprochen, keine unnöthige Arbeit wird von ihnen verlangt, mein Mate ist ein sehr ruhiger ordentlicher Mann, und das Essen ist ebenfalls gut und nahrhaft; in der Hinsicht können sie sich also über nichts beklagen. Das verwünschte Gold steckt ihnen aber darum nicht minder im Kopf – der große Klumpen hat ja ganz Sydney verrückt gemacht, warum nicht auch die Leute, und mit allen möglichen Schwindeleien werden sie überdies noch, sobald sie nur einmal den Fuß an Land setzen von allen Seiten bestürmt. All die sogenannten »Schlafbaasen« gehen ja darauf aus, sie von den Schiffen abzulocken. Hat so ein Kerl sie dann in den Klauen, dann zieht er sie aus bis auf den letzten [S. 6] Fetzen Kleidungsstücke oder auf den letzten Penny an Geld, und verkauft sie dann wieder an ihr altes Schiff oder an irgend ein anderes – ihm gleich, wenn er nur seinen Verdienst daraus zieht. Das wollen aber die Leute nicht einsehen, und wenn sie auch tausend solcher Beispiele hören, so halten sie sich selber doch immer für klüger, und denken, sie werden es schon besser machen. Um mich deshalb vorzusehen, und nicht im letzten Augenblick etwa noch sitzen zu bleiben, hab' ich lieber das Geld angewandt mir die Polizei auf's Schiff zu nehmen bis ich absegle, und ich glaube das Geld ist nicht gerade unnütz ausgegeben.«

»Wie viel zahlen Sie für die Polizeiaufsicht täglich?« frug Oilytt.

»Für jeden Mann eine Guinee«, erwiederte der Capitän des Pelican, »es ist theuer, läßt sich aber doch nun einmal nicht ändern.«

»Eine Guinee?« rief Oilytt erstaunt – »na, da dank ich. Dafür kann ich meine Leute selber bewachen. Ueberdies halt ich gar nicht so viel von dem, was sie auf See »gute Behandlung« nennen. Die Leute müssen natürlich ihr ordentliches Essen und Trinken, ihren Brandy oder Rum haben, nachher aber auch wissen wen sie vor sich sehen, und ich, für meinen Theil, habe wenigstens stets mit Strenge mehr ausgerichtet [S. 7] als mit Güte und Zureden. Sie wollen wahrhaftig gar nicht gut behandelt sein und lachen Einen nur dafür hinter dem Rücken aus. Wenn ich nur mit den Augen blinze, wissen sie schon was die Glocke geschlagen hat, und Gnade Gott dem, der da noch mukst. – Sie muksen aber auch nicht.«

Der Steward, der Wein und Gläser auf den Tisch gesetzt hatte, sah den Sprecher mit einem halb verächtlichen, halb höhnischen Lächeln von der Seite an, war aber gleich wieder ganz ernsthaft, als dieser zufällig zu ihm aufschaute.

»Und wann gedenken Sie zu segeln?« frug Capitän Howell den anderen, »Sie liegen am Slip, nicht wahr?«

»Ja, am Patent Slip, Montag Morgen will ich die noch übrigen Pferde einnehmen, und Dienstag Morgen leg' ich in die Bay hinaus – ist der Wind gut, so geh ich noch Dienstag Abend, oder spätestens Mittwoch Morgen in See.«

»Weggelaufen ist Ihnen noch keiner von Ihren Leuten?«

»Nicht ein einziger«, lachte Oilytt, »ja, sie haben zu viel Respect. Sie wissen recht gut, wieder krieg' ich sie doch, und nachher ging's ihnen erbärmlich.«

»Mit dem Wiederkriegen ist es aber doch eine [S. 8] mißliche Sache«, sagte Howell kopfschüttelnd, »und ich würde mich an Ihrer Stelle nicht zu sicher darauf verlassen. Aber wenn auch, ich setze den Fall Sie bekommen sie, mit hoch darauf gestellten Belohnungen wirklich wieder, kostet Sie das weniger als die paar Pfund Sterling, die sie jetzt an die Polizei ausgeben?«

»Das kostet mich gar nichts«, lachte Oilytt, »das versteht sich doch von selbst, daß die ausgesetzte Belohnung für das Einfangen die eingefangenen Schufte auch selbst bezahlen müssen, und dafür hab' ich schon gesorgt, daß sie dazu noch alle genug zu gut haben.«

»Und Ihre Zeit? das andere ist das wenigste. Rechnen Sie aber einmal was Sie allein an Futter und Wasser für Ihre Thiere, die Sie an Bord haben, mehr brauchen. Außerdem müssen Sie dann sogar noch Leute für 6 Schilling den Tag miethen, die Ihnen nur die nöthigsten Arbeiten besorgen. Ich will nichts davon sagen, wenn man keine Polizei an Bord nimmt, sobald man noch acht oder vierzehn Tage im Hafen zu liegen hat; die Kosten wären sonst zu bedeutend. Wer aber schon den größten Theil seiner lebendigen Fracht eingenommen, und in ein oder zwei Tagen zum Absegeln gekommen ist ohne Leute zu verlieren, der sollte auch die paar Pfund Sterling nicht scheuen. Die Verführung ist jetzt zu groß; man kann auf die besten [S. 9] Leute nicht mehr mit Bestimmtheit rechnen. Aber wir wollten ja über unsere Passage sprechen – Sie gedenken durch Torresstrait[2] zu gehen?«

»Ich weiß noch nicht«, sagte Oilytt, indem er sein Glas austrank und wieder füllte; »ich mag mich nicht gerne in die verdammten Klippen hineinwagen. – Am liebsten ging ich um den Süden, wenn man jetzt nur trauen dürfte wie's mit dem Wind steht, und nachher nicht die ganze Reise gegen den Monsun anzupeitschen hat. Sind Sie schon einmal durch die Torresstrait gegangen?«

»Nein«, sagte Capitain Howell; »aber die jetzt darüber ausgefertigten Karten sollen ausgezeichnet sein, und ich werde jedenfalls die Passage von Raines Eiland versuchen.«

Die beiden Capitäne unterhielten sich jetzt noch eine Zeitlang über die Torresstraße, wie einige andere Geschäftssachen, und Capitän Oilytt nahm endlich [S. 10] Abschied und stieg wieder in sein Boot hinunter, das ihn rasch nach dem Circular Werft hinüberruderte.

»Da fährt auch Einer,« sagte ein Matrose oben in den Marswanten, wo er die Pardunen theerte, zu seinem Cameraden, der mit dem Fetttopf zwischen den Zähnen eben von oben niederglitt und dicht neben ihm Posto faßte – »da fährt auch Einer, wo ich ebenso gern in der Hölle wäre, als daß ich sein Biscuit kaute.«

»Das ist der Capitän vom Boreas«, sagte der andere, »nicht wahr? der Kerl sieht auch gleich so aus, als ob er einen Monat in heißem Pfeffer gelegen und nachher mit Essig abgerieben wäre. Es ist zum Tod zu verwundern, daß ihm noch keiner von den Leuten weggelaufen ist.«

»Lauf du jetzt einmal weg, wenn du Lust hast«, lachte der erste, »sie werden wohl nicht können.«

»Nicht können? dicht am Land liegt das Schiff, und keine Seele von Polizeidiener an Bord. Da wollte ich einmal den Steuermann oder Bootsmann oder selbst Polizeidiener sehen, der mich hindern sollte nicht allein mich selbst, sondern auch meinen Kleidersack fortzuschaffen. Ne, die Burschen müssen etwas anderes auf der Wippe haben, oder sie wären nicht so lange geblieben. Vielleicht warten sie auch nur bis [S. 11] zum letzten Augenblick. – Die Geschichte ist aber faul wenn sie sich da nicht vorsehen, kann's ihnen am Ende gerade so gehen wie uns. Hätt' ich mich damals nicht von dir abreden lassen, so säß ich jetzt vielleicht ganz bequem oben in den Minen, und fände Stücke Gold wie mein Kopf groß. Das Matrosenleben soll doch der Teufel holen, sobald er nur im mindesten Lust dazu spürt.«

»Ja und das Minenleben soll noch viel ärger sein«, meinte der andere – »d. h. man ist freilich sein eigener Herr dort, das ist richtig – mit dem Verdienst ist's aber auch dafür desto unsicherer, denn an die großen Klumpen glaub' ich nun einmal nicht.«

Der eine glitt mit seinem Fetttopf weiter nach unten, und das Gespräch war abgebrochen.

Zweites Capitel.
Der Markt in Sydney.

Ein Sonnabend Abend in Sydney ist das lebendigste, was die sonst gewiß nicht todte Stadt nur irgend aufzuweisen hat. Alles scheint auf den Beinen zu sein, und wen nicht besondere Geschäfte hinaustreiben, den läßt die Neugierde schon nicht zu Hause, und er muß wenigstens einmal »durch den Markt gehen.«

[S. 12] Der englische Sonntag trägt hiervon allein die Schuld. Da er sehr streng gehalten wird, kann man an diesem Tag natürlich gar Nichts zu kaufen bekommen. In vielen, sehr orthodoxen Haushaltungen, wird sogar schon am Sonnabend Alles für den Sonntag gekocht, gebraten und vorbereitet, damit der Sabbath durch nichts Alltägliches entweiht werde. Der äußerste Termin aber, für Fromme und Nichtfromme, was man braucht noch zu bekommen, ist der Sonnabend Abend, und Fleischer, Gärtner, Obst- und Blumenhändler, überhaupt Alle, die nur irgend etwas Wirthschaftähnliches zu verkaufen haben, drängen sich an diesem Abend herzu, es auszulegen.

Jeder wetteifert dabei mit dem Andern, seinen Stand so einladend als möglich herzurichten, und ganz besonders schmücken die Fleischer ihre Buden mit fetten Hammeln und feisten Ochsen. Große Brode von ausgelassenem Talg bilden die Säulen, und hie und da bringt ein ausgeschlachtetes und bei den langen Hinterläufen aufgehangenes Känguruh oder Wallobi, Abwechselung in die sonst etwas monotonen Fleischspeisen.

Der Markt von Sydney besteht aus vier langen, hohen, luftigen und höchst praktisch eingerichteten Gebäuden, die übrigens noch auf eine bedeutende Vergrößerung [S. 13] der Stadt berechnet waren, denn sie wurden damals nur zur Hälfte benutzt. Eines stand wenigstens ganz leer, und ein zweites hatte einen sehr geringen Theil seiner Stände erst in Gebrauch.

Das eine von diesen ist ausschließlich für rein animalische Erzeugnisse bestimmt, und hier fallen neben den Schlächtern am meisten die reinlichen Butter- und Käsestände ins Auge; mit ihren aufgehäuften Massen von Hühner- und Enteneiern, mit ihren Schmalz- und Butterkufen, und den gelb glänzenden, hell durchschnittenen Käsen, die den Vorübergehenden aus ihren tausend Argusaugen verlangend nachschauen.

Neben diesem befinden sich ebenfalls die Stände mit Geflügel, mit diesem aber gehts den Bewohnern von Sydney wie mit dem Fleisch, sie haben keine Abwechselung darin, weil ihnen das wilde Geflügel, wilde Enten ausgenommen, fehlt, und immer und ewig sind Hühner, Tauben oder Truthühner das einzige was ihrem Gaumen geboten wird. Im Land drin gibt es allerdings hie und da viel kleine Rebhühner, Wachteln und einige andere Arten; wer die schießt, ißt sie aber auch gewöhnlich selber, und sie kommen nicht auf den Markt.

Aus diesen Tausenden, der menschlichen Gier gemordeten [S. 14] Leben, tritt man jedoch in ein viel freundlicheres Bild ein, sobald man den schmalen Gang überschreitet und in das andere, rein vegetabilischen Erzeugnissen bestimmte Gebäude kommt. Die vorragendste Stellung nehmen hier unstreitig die in wahren Unmassen aufgestapelten und geschütteten Orangen oder Apfelsinen ein. Die australische Orange ist dabei vorzüglich, und im Verhältniß auch billig genug, und wird viel consumirt. Ueber diesen hängen Ananas von Moreton-Bay, und aufgeschichtete Wände von Blumenkohl und anderen Gemüsen bilden den Hintergrund. Es war jetzt gerade nicht die eigentliche Fruchtzeit, sonst hätten auch noch Pfirsiche und Feigen einen nicht unbedeutenden Platz hier angefüllt.

Am schwächsten war der Blumenmarkt vertreten – die Australier haben wenig Sinn für Blumen – auf dem ganzen Markt wäre kein schöner geschmackvoller Strauß aufzufinden gewesen.

Blumen sind aber auch das, wonach die Menschen am wenigsten verlangten. – Etwas Compactes wollten sie haben, Roastbeef und Blumenkohl oder Weißkraut – Hammelskeulen und Zwiebeln – was halfen ihnen die Blumen, die waren ja doch nur zum Ansehen.

Durch dieses »Vegetabilische Marktgebäude«, wenn [S. 15] ich es so nennen darf, schlenderten langsam, und mit der Miene von Leuten, die nichts auf der Gotteswelt, am wenigsten aber Zeit zu verlieren haben, vier Matrosen – der erste Blick auf ihre weit zurückgesetzten Hüte und blauen Jacken ließ sie als solche erkennen – und sahen sich ziemlich gleichgültig die rechts und links aufgestapelten Fruchtmassen, und zu ihrer Schande muß ich's gestehen, ebenso gleichgültig auch die manchmal wirklich lieben und freundlichen Gesichtchen an, die geschäftig zwischen den einzelnen Ständen hin- und herglitten, und ihre Einkäufe für den morgenden Tag besorgten. Sie waren eben hierhergekommen, weil sie alle anderen Menschen hatten hierher gehen sehen, und ihr Spaziergang schien eher den Grund zu haben, ihre Beine wieder einmal »gegen Straßenpflaster zu reiben« als irgend etwas anderes.

»Du, Jack«, sagte da endlich der eine von ihnen zu dem vorangehenden, »braß einmal hier einen Augenblick back und leg ein halb Dutzend von den Apfelsinen ein.«

»Hast du Geld?« wandte sich der also Angesprochene langsam nach ihm um – »mir hat der Alte heute Abend keinen Penny geben wollen. – Er sagte, er hätte es heute ganz vergessen Geld mitzubringen, [S. 16] wir sollten aber morgen früh jeder ein Pfund haben, und dann möchten wir noch einen Sonntag Abend, wenn wir wollten, an Land gehen – den Dienstag Morgen legte er in die Bay hinaus. Er war verdammt gesprächig.«

»So? dann traue ich ihm gerade am allerwenigsten«, meinte der andere, »er hat übrigens höllische Angst daß wir ihm auskneifen, und verdient hätt' er's zehnmal. – Wenn man nur wegkommen könnte. Die Straße in die Minen soll ganz besetzt mit Polizeidienern sein, und hier versteckt Einen auch niemand. – Die Strafe ist zu groß, wenn sie erwischt werden.«

»Du, sprich nicht so laut«, sagte der dritte – »ich habe da hinten eben unseren Steward gesehen, der Grünes einkaufte. Wenn der ein Wort aufschnappen kann, bringt er's dem Alten brühheiß wieder. Das wäre so Wasser auf seine Mühle – er traut uns überhaupt nicht.«

»Hat auch alle Ursache dazu«, brummte der erste, und zog sich die Hosen etwas höher über die Hüften – »wie ich wenigstens jetzt gestimmt bin, trau' ich mir selber nicht, und sollte mich gar nicht wundern, wenn ich mich morgen oder übermorgen früh einmal in irgend einem dunklen aber sicheren Winkel weggestaut fände, und dort krumm läge, bis der Boreas [S. 17] beim – Boreas wäre – oder sonst wo, wohin er immer Lust hat. Es ist schon schlimm genug bei dem alten Schuft Matrose zu sein, wie viel weniger denn Pferdejunge.«

Der eine von ihnen, der etwas Geld bei sich hatte, war bei dem nächsten Obststand stehen geblieben und hatte seinen Hut voll Apfelsinen gekauft.

»Wo sind denn die übrigen?« frug er seinen Cameraden, als er sie wieder eingeholt, »ich dachte, es hätte uns heute Abend irgend jemand irgendwo sprechen wollen?«

»Die sitzen im goldenen Kreuz in Pittstreet«, lautete die Antwort, »ein Irländer hat dort eine Schenke, und da wollten wir heute Abend zusammenkommen.«

»Aber was machen die Deutschen und Franzosen bei dem Irländer?«

»O, er hat eine Frau, vom Rhein glaub' ich, die deutsch und französisch spricht – und dann ist noch ein wunderhübsches Mädchen im Hause – Jean hat sich schon sterblich in die verliebt.«

»Das passirt Jean sehr oft«, sagte der Engländer trocken – »Das könnte er billiger haben. Aber kommt; es wird Zeit – es muß schon acht Uhr sein.«

»Zum Donnerwetter – da ist der Alte« – rief plötzlich der eine von ihnen, und als sie sich umsahen, [S. 18] war ihr würdiger Capitän auch schon dicht hinter ihnen. Er sah sie aber nicht – die breiten Schultern suchten sich, herüber und hinüber arbeitend, Bahn durch das Gedränge zu brechen, und jedenfalls hatte er irgend ein Ziel dem er nachstrebte, denn er schaute weder rechts noch links, und das Gebäude entlang konnten sie der langen riesigen Gestalt mit dem dicken rothen Gesicht, mit den Augen folgen.

»Da schwimmt er hin«, sagte der erste lachend – »mit einer fliegenden Fahrt vor dem Wind. Möchte nur wissen auf was er Jagd macht.«

»Wahrscheinlich auf das kleine Fahrzeug da vor ihm, mit dem schwarzseidenen Jäckchen. Ob er uns wohl gesehen hat? Er guckte aber gar nicht her.«

»O Gott bewahre«, lachte ein anderer. »Der nahm eben ganz genaue Peilung voraus und scheert sich auch überhaupt den Teufel um uns. Sobald wir nur immer zur rechten Zeit an Bord kommen und kein Geld von ihm wollen, sind wir ihm gut genug. In allem anderen können wir zum Teufel gehen. Aber kommt, wir halten hier gerade durch Georgestreet durch und die kleine Straße hinunter. An der nächsten Ecke gehen wir über Stag, und dann haben wir reines Fahrwasser, bis wir das goldene Kreuz über der Thüre sehen.«

[S. 19] Die vier Matrosen verließen das Marktgebäude und gingen Marktstreet hinunter nach Pittstreet zu, der sie aufwärts folgten. Am Courthaus standen zwei Männer in dunklen Ueberröcken und Mützen. Sie sahen den Matrosen nach, und der eine von ihnen sagte leise:

»Weißt du von welchem Schiff die sind? im Markthaus machte mir der eine ein paar sehr verdächtige Bemerkungen; ich möchte wohl wissen wo sie hingehen. Wenn ich nicht irre, so nannte der eine den Namen Boreas – sind sie von dem Schiff, so können wir nur immer die Augen offen haben.«

»Weit marschiren werden sie nicht«, sagte der zweite, »und da brauchen wir ja nur einmal mitzugehen.«

Die beiden Männer folgten langsam den vier Matrosen, bis diese in der Thür des goldenen Kreuzes verschwanden – dann blieben sie auf der anderen Seite der Straße stehen.

»Wollen wir einmal hinein?« sagte der eine.

»Ja, aber jetzt noch nicht«, entgegnete ihm der andere – »es ist noch zu früh. Wir müssen ihnen ein Weilchen Zeit lassen, bis sie erst ein halb Duzend Gläser im Kopf haben.« Und mit diesen Worten gingen sie langsam die Straße wieder hinunter nach [S. 20] dem Theater zu, wo um diese Zeit das regste Leben war.

Laß sie gehen, lieber Leser – es sind zwei verkleidete Polizeidiener, und die melden sich immer schon von selber wieder. Wir wollen indessen einmal in das goldene Kreuz treten, und zusehen ob sie da drinnen guten Portwein haben.

Drittes Capitel.
Die Matrosenkneipe.

Das goldene Kreuz zeichnete sich vielleicht in nichts, als eben seinem frommen Aushängschild vor den übrigen tausend Schenken Sydney's aus, wo der Wirth über der Thür die vom Staat erhaltene Erlaubniß mit den stereotypen Worten anzeigt: »Licensed to sell spirituous and fermented liquors,« was er sich selber übersetzt – »Du darfst jeden Schund verkaufen den man nur in eine Flasche gießen, und aus einem Glase trinken kann.«

Im Innern sah es aber reinlich und selbst behaglich genug aus, denn es ist kaum so sehr des Wirths Vortheil seine Gäste hereinzulocken, als sie nachher darin zu halten. Das große mittlere Fenster, das die halbe Wand einnahm, war inwendig mit weißer Farbe leicht [S. 21] überstrichen und nur auf den Scheiben prangten oben die Worte »Wine Vaults«, und rechts und links »London Porter« und »Baß's Ale«, zierlich mit Wein und Hopfenreben umrankt. Im Innern aber standen oben auf den blank lackirten Gefachen messingbeschlagene kleine Fäßchen, mit ihrem Inhalt in sauberen goldenen Buchstaben darauf verzeichnet, und reinliche geschliffene Caraffen mit neusilbernen gravirten Schilden.

Nur rechts und links war das schwere Geschütz, eine dunkle Batterienmasse von Ale- und Porterflaschen mit ihren bleiernen Deckseln, aufmarschirt, und unten lagen kleine rundbäuchige weiße Glasflaschen, fest zugebunden, mit Sodawasser und moussirender Limonade, wie denn auch an der Wand eine Hand mit einer daringehaltenen Sodaflasche die werthe Adresse des Fabrikanten jedem verkündigte, der sich nur die Mühe geben wollte sie zu lesen.

Auf dem Ladentisch waren die nach unten niedergehenden Pumpen mit elfenbeinernen Knöpfen angebracht, draught Ale and Porter gleich frisch heraufzuziehen und rings im Zimmer aufgestellte Tische und Stühle mit kleinen, heimlichen, hölzernen Verschlägen, in die nur höchstens immer vier Menschen hineinpaßten. Diese hatten statt der Thüren Gardinen.

Hinter dem Schenktisch stand auf der einen Seite [S. 22] der Wirth, eine vierschrötige pockennarbige Gestalt mit rothen Haaren und kleinen aber verschmitzten Augen, und einem besonderen humoristischen Zug um den Mund. Es war der Irländer Mac Carther und der Eigenthümer des goldenen, und eines anderen Kreuzes, das mit weißer Schürze und kleiner blumenbesetzter Mütze an der anderen Seite hinter dem Schenktisch stand, und die bestellten Gläser füllte. Das flinke Schenkmädchen, Polly, trug sie dann an den Ort ihrer Bestimmung, und cokettirte dabei nach besten Kräften mit den Gästen. Mac Carther zog die Propfen aus den Flaschen und spülte die Gläser aus.

Mrs. Mac Carther kann ich mit wenigen Worten schildern – Sie war eine Elsässerin mit schwarzen Haaren und schwarzen Augen, etwa 30 Jahr alt, was man ihr aber kaum ansah, und von resolutem festem Charakter, wie denn auch Mac Carther, der sonst gewiß nicht zu den Schwächlingen gehörte, nicht umhin konnte zu bezeugen. Daran war kein Zweifel, sie regierte das Kreuz, und da sich dasselbe unter den zarten Händen ungemein wohl befand, und an Gästen und Einnahmen fast wöchentlich wuchs, fügte sich auch Mac Carther sehr gern dieser Autorität, und begnügte sich, daneben nur noch allerlei kleine Beigeschäfte auf seine eigene Hand zu treiben. Doch davon später.

[S. 23] Polly war das Muster eines Sydney-Schenkmädchens; drall und schlank gewachsen, und mit ein paar Augen, die denen ihrer Herrin an Schwärze und Feuer wahrlich nicht nachstanden, die sie selber aber an jugendlicher Frische weit übertraf. Mrs. Mac Carther war aber deshalb nicht im mindesten eifersüchtig. – Gerade diese »jugendliche Frische« zog ihr allabendlich so und so viel mehr Gäste in das Haus, und deshalb hatte sie Polly eben zum Schenkmädchen angenommen.

Es war noch nicht spät am Abend; darum hatten sich auch noch nicht so viel Gäste eingefunden. Nur an zweien der Tische saßen die Leute vom Boreas, fünf Deutsche und drei Franzosen, und tranken, die ersteren Ale, die anderen Claret. Polly brachte den letzeren eben eine frische Flasche auf den Tisch, und Jean hatte die Hand gefaßt, die sie nach der geleerten ausgestreckt. Sie sah ihn lächelnd an und versuchte sich leise loszumachen.

»Polly«, sagte der junge hübsche Matrose, und legte ihr die linke Hand auf die Schulter – »du bist auch heute Abend wieder einmal recht häßlich, und willst mich gar nicht ansehen – hab ich dir irgend etwas zu leid gethan?« – Er sprach das Englische etwas gebrochen, es klang aber doch gut und das Mädchen schüttelte lachend den Kopf.

[S. 24] »Nichts zu leid gethan, Mr. Jean, aber los lassen müßt ihr mich, denn Missis sieht schon scharf nach mir herüber und ich habe viel zu thun. – Da kommen noch andere Gäste.«

»Polly, ich habe dir etwas zu sagen«, flüsterte ihr Jean jetzt leise und rasch in's Ohr – »willst du mir nachher nur auf wenige Secunden hinausfolgen?«

»Ich weiß noch nicht«, sagte das Mädchen halblaut und machte sich von ihm los. Die Augen wußten es aber und sagten ja, und Jean leerte sein Glas auf einen Zug.

»Hallo, schon wieder so geschäftig?« lachte Bill, der zuerst eintretende von den englischen Matrosen, »da ist ja die ganze Bescheerung bei einander, und Jean hat alle Hände voll zu thun, wie ich sehe. Guten Abend Mac Carther, guten Abend Missis – jung und schön wie eine Rose – aber nicht wie die letzte – heh Missis? – Was trinkst du, Jack, und du Bob – wie? Jims Geschmack kenne ich schon, der hält's wie ich, mit Brandy und Wasser!«

Die viere traten zum Schenktisch und tranken, und setzten sich dann an den, an der hinteren Wand quer vorstehenden langen Tisch, wohin ihnen die anderen bald darauf mit ihren Flaschen und Gläsern folgten, und ein leises Gespräch mit einander begannen. [S. 25] Außer den Leuten vom Boreas waren nur noch wenige andere Gäste im Zimmer, und der Wirth, der eben erst noch zwei Porterflaschen für die Letztgekommenen geöffnet hatte, rückte sich nach einer kleinen Weile einen Stuhl mit zu ihnen, sprach aber noch kein Wort. Er schien etwas auf dem Herzen zu haben.

»Wer ist denn das, der uns heute hier sprechen wollte«, sagte Jean endlich, sich zu ihm wendend, »heraus mit ihm und mit dem was er zu sagen hat. Ich kann heute Abend nicht lange hier bleiben, und wir sind jetzt so ziemlich alle zusammen.«

»Hm«, sagte Mac Carther, und warf einen anscheinend gleichgültigen Blick über das Zimmer, der übrigens keinen der sonstigen Gäste, so flüchtig er auch über ihnen hinstreifen mochte, unbeobachtet ließ. Gleich darauf als ob ihn diese Rundschau befriedigt hätte, bog er sich über den Tisch etwas vor und sagte mit leiser Stimme, die Umsitzenden dabei alle mit den Augen musternd:

»Seid Ihr gesonnen an Bord zu bleiben, oder wollt Ihr hier in der Stadt eine Beschäftigung haben? – Das heißt – versteht mich wohl – ich weiß nicht was Ihr für einen Contract an Bord habt; geht mich auch gar nichts an. – Hält Euch aber nichts dort, so weiß ich Euch hier eine Stelle, wo Ihr [S. 26] mit Bequemlichkeit Eure sechs bis acht Schilling den Tag verdienen könnt – und dafür müßt Ihr eine ganze Woche an Bord wie die Pferde arbeiten. Sind welche von Euch Segelmacher?«

»Vier von uns sind gelernte Segelmacher« – sagte der eine Deutsche, »und die anderen verstehen meist alle genug davon, die laufenden Arbeiten verrichten zu können.«

»Das wäre dann noch besser, die verdienen jetzt noch mehr mit Zeltmachen«, sagte der Wirth sinnend. »Habt Ihr noch Geld zu gut, oder sind welche unter Euch, die vielleicht selber etwas anfangen können?«

»Ich habe 600 Franken«, sagte Jean rasch, »und Lust genug hier für immer an Land zu bleiben, wenn nur« – er hielt inne und sah forschend nach Polly hinüber, diese aber warf ihm einen freundlichen Blick zu und Jean schien dadurch plötzlich zu einem Entschluß gekommen. – »Was wollt Ihr mit uns thun? – was könnt Ihr? – heraus mit der Sprache und haltet nicht so lange hinter dem Berge.«

»Ich?« sagte der Wirth erstaunt – gab ihm aber doch dabei ein Zeichen nicht so laut zu sprechen – »ich? was ich mit Euch will? – gar nichts. – Was kann ich mit Euch wollen. Ich frage Euch nur Euretwegen, und habe Euch schon gesagt, ich weiß gar nicht [S. 27] und kann nicht wissen, wie Ihr mit dem Schiff steht. So viel aber ist gewiß – jetzt wäre die Zeit hier in Sydney für einen jungen Mann sein Glück zu machen, und wer das mit Füßen von sich stößt, der hat es nachher selber zu verantworten.«

»Ja, das ist Alles recht gut, aber wie können wir vom Schiff loskommen?« sagte der eine Engländer – »und wenn wir los sind, denn das wäre noch das wenigste, wo können wir bleiben? Wir müssen erst einen Zufluchtsort hier am Ufer haben, und einen sicheren Zufluchtsort, denn sonst ist die Sache nachher verdammt Essig. Vom Schiff hat jeder von uns allerdings noch zu gut, das wißt Ihr aber selber wohl, können wir nicht bekommen, und das einzige was wir im Stande sind mitzunehmen, sind vielleicht unsere Kleider. Wer soll uns nachher aufnehmen und wer wird uns so lange Credit geben?«

»O, so viel sind unsere Kleider schon werth«, sagte ein anderer. »Wo die so lange in Versatz bleiben, können wir auch ein paar Tage essen und trinken, bis das Schiff fort ist, und mit dem hohen Lohn hier sind wir dann leicht im Stande, unsere Schulden wieder abzutragen.«

»Ich will Euch was sagen«, meinte da Mac Carther und bog sich zu ihnen über den Tisch hinüber – [S. 28] »wenn Ihr meinem Rathe folgen wollt, so –« In diesem Augenblicke fiel hinter dem Schenktisch ein Glas herunter und zerbrach klirrend am Boden. Mrs. Mac Carther hatte es fallen lassen. Mac Carther fuhr aber, ohne sich dadurch irre machen zu lassen, ja ohne den Kopf dorthin zurückzudrehen, ruhig und langsam fort – »so malt Ihr Euer Schiff mit einer hellen Farbe und nicht mit Schwarz. – In dem heißen Klima wohin Ihr geht zieht Schwarz die Sonne viel zu sehr an, während eine hellere Farbe das Holz ungemein conservirt.«

»Aber was zum Donnerwetter geht uns denn in diesem Augenblick die Farbe an, wo wir –«

»Nichts mit dem Bezahlen des Schiffes zu thun haben«, unterbrach Mac Carther den Engländer, indem er ihm zugleich einen warnenden Blick zuwarf – »das weiß ich wohl, ich sage nur ich thäte das, wenn ich Capitän von einem Schiff wäre, und in ein heißes Klima hinaufginge.«

Während er noch sprach, waren unsere beiden Bekannten vom Markthaus in das Zimmer, und gerade als das Glas zerbrach, dicht hinter den Wirth getreten, und ließen sich jetzt an demselben Tisch nieder, wo sie eine Flasche Porter verlangten.

Der Wirth ging hin diese zu öffnen, und das Gespräch [S. 29] war für den Augenblick abgebrochen. Die Matrosen merkten bald genug, daß Mac Carther seine wohlbegründete Ursache haben mußte, in Gegenwart der beiden Fremden weiter nicht über die bewußte Sache zu reden. Jean stand auf, blinzte Polly mit den Augen zu und ging hinaus an die Hofthür. Wenige Minuten später stand das wunderhübsche Mädchen an seiner Seite und legte ihre Hand in die ihr dargebotene Rechte des jungen Mannes.

»Polly«, sagte Jean, und zog die nur leise Widerstrebende fester an sich – »ich habe keine Zeit zu großen Umschweifen, ich will dich auch gar nicht mit langen Redensarten plagen. Hör mir nur wenige Secunden zu und sage dann ja oder nein.«

»Aber ich weiß ja nicht –«

»Du sollst es gleich erfahren« unterbrach sie der junge Franzose – »ich bin des Seefahrens, ja überhaupt des Herumschweifens satt. Zehn Jahre lang habe ich mich nun in der Welt und in allen Welttheilen umhergetrieben, und bin nicht im Stande gewesen etwas für ein reiferes Alter zu thun – es liegt auch das eigentlich nicht im Blut meiner Landsleute. Hier aber, glaub ich, ist der Zeitpunkt gekommen wo ich etwas Besseres ergreifen kann, doch allein will ich das nicht thun. – Willst du mir helfen, Polly? willst du [S. 30] – mein Weib werden?« flüsterte er leise, sich zu ihr niederbeugend und ihr einen heißen Kuß auf die Stirn drückend.

»Do'nt – do'nt«, bat das Mädchen flüsternd, und suchte sich von ihm loszumachen. Es war ihr aber nicht recht Ernst damit, denn Jean konnte sie leicht zurückhalten; doch dringender bat er jetzt.

»Antworte mir, Polly. – Von dir hängt es ab ob ich in Sydney – in Australien bleiben soll oder nicht. – Sagst du ja, dann sollst du einmal sehen wie tüchtig ich arbeiten kann, und haben wir uns etwas verdient, dann kehren wir nach meinem schönen Frankreich zurück. – Es soll dir schon gefallen in der Provence. – Aber du sagst ja kein Wort, und ich weiß doch, daß du dich in den Verhältnissen hier nicht glücklich fühlst, nicht glücklich fühlen kannst.«

»Glücklich?« sagte das Mädchen leise und schüttelte wehmüthig mit dem Kopf – »es ist ein schreckliches Leben fortwährend dem wüsten Trinken und Treiben zuzusehen. – Aber was soll ein armes Mädchen anderes thun – und es ist doch immer ein ehrlicher Unterhalt.«

»Und sagst du ja, Polly?« bat der junge Mann dringender, und küßte die jetzt nicht mehr widerstrebenden rosigen Lippen – »sagst du ja?«

[S. 31] »Komm nur erst an Land«, flüsterte Polly, und ehe er es sich versah, war sie ihm unter den Händen fort und ins Haus geschlüpft. Mit leuchtenden Augen folgte ihr aber Jean, und war auch gar nicht böse darüber, daß sie seinen suchenden Blick im Anfang vermied und sich mit ihrer Arbeit eifrig beschäftigte, während sie Mrs. Mac Carther ausschalt, was sie draußen herumzustreifen habe, indessen in der Stube alles drunter und drüber ging.

In derselben Zeit übrigens, in der Jean draußen zu einem Entschluß gekommen war, hatte sich auch in der Stube selber manches geändert. Die beiden Polizeidiener, welche Mrs. Mac Carther ebenso gut kannte als ihr Mann das Vorsichtszeichen mit dem klirrenden Glas, waren, als sie sahen, daß sie weiter nichts Besonderes hören und erfahren konnten, weiter gegangen. Dafür aber war ein neuer Besuch gekommen, und zwar der Steward vom Pelican, der früher mit einem der Engländer auf ein und demselben Schiff gefahren, und heute Abend noch einmal in die Stadt gemußt hatte, mehreres Vergessene an Gemüsen und Früchten für das morgen früh in See gehende Schiff einzukaufen. Er wußte wo die Leute vom Boreas heute zusammenkamen, und schien sie dort aufgesucht zu haben. Als Jean hereinkam, waren sie [S. 32] im eifrigsten Gespräch. – »Und ich sage Euch«, behauptete der Steward auf einen der Gegeneinwürfe Bills, »daß ich heute morgen mit meinen eigenen Ohren und aus dem eigenen Munde Eures Capitäns gehört habe, wie er morgen früh um sechs Uhr mit dem kleinen Dampfschiff The Brothers in die Bay hinauslegen will. – Dasselbe Boot soll ihm auch dann am Montag Morgen die noch fehlenden Pferde hinausbringen und dann geht er auch wahrscheinlich noch den Montag Mittag in See. Euer Capitän war heut zweimal bei uns an Bord – das erstemal that er furchtbar dick, das zweitemal schien er sich aber doch besser besonnen zu haben, und will Euch vor allen Dingen in Sicherheit bringen. Ihr seht also daß Ihr keine Zeit mehr zu verlieren habt.«

»Seeschlangen und Schildkröten!« brummte der eine Engländer – »das wäre ein verdammter Streich. Deshalb wollte uns also der alte schlaue Fuchs morgen erst das Geld geben. Nachher hatte er uns alle sicher an Bord, und setzte uns am Ende gar noch ein paar von den Polizeiknechten oben drauf.«

»Und Ihr wißt uns einen Platz, Mac Carther«, sagte der eine von den Franzosen, »wo Ihr uns sicher unterbringen könnt? – Wahrhaftig ich komme heute Abend mit Sack und Pack an Land.«

[S. 33] Mac Carther ging fort als ob er die Frage nicht gehört hätte, seine Frau aber, die indessen zum Tisch getreten war, sagte mit halb unterdrückter Stimme auf französisch:

»Laßt ihn gehen – er darf sich mit den Geschichten nicht befassen, denn kommt so etwas vor Gericht, so muß er am Ende schwören, und wenn er nichts davon weiß, kann er das auch mit gutem Gewissen. Ich werde dafür aber schon sorgen. Bringt nur heute Abend spät Eure Kleidungsstücke her – die Hinterthüre kennt Ihr ja, wenn die vordere Thür geschlossen sein sollte, und mit Tagesanbruch schaff ich Euch aus der Stadt. Es ist ein Arbeiter von meinem Schwager über der Bay drüben gerade hier, und mit dem könnt Ihr Holz schlagen oder Segel machen, zu was Ihr Lust habt, bis das Schiff fort ist.«

»Was zum Teufel ist das für ein Gewälsch,« brummte Bill. – »Redet englisch, daß ein anderer auch ein Wort verstehen kann.«

»Seid ruhig, Jean wird es Euch übersetzen«, flüsterte Mrs. Mac Carther, »es sind hier noch andere Ohren, die gerade nicht zu wissen brauchen, über was wir gesprochen haben.« Damit wandte sie sich vom Tisch ab, und trat hinter ihren Schenkstand zurück. Die Leute vom Boreas flüsterten aber noch [S. 34] eine Weile miteinander, und verließen dann die Schenke. Jean selbst hatte mit Polly keine weitere Abrede nehmen können.

Viertes Capitel.
Die Flucht von Bord.

Der Boreas, ein volles Schiff, lag dicht am Patent Slip – eine Art Dock, wo hinauf die Schiffe durch Maschinerie gezogen werden, bis sie vollkommen trocken zu liegen kommen, und bis zum Kiel hinunter nachgesehen und ausgebessert werden können. Nach dem Herunterlassen hatte der Boreas dicht daneben angeholt, seine Takelage nachgesehen, Ballast, Wasser, Mais, Heu und Pferde eingenommen, und lag nun dort dicht an dem abgebauten Werft vor einem Anker, der nach der Bay zu ausgeworfen war. Zwei starke Taue hielten noch außerdem das Schiff am Land befestigt, und man stieg an der Fallreepstreppe gleich von Bord auf das Werft hinunter.

Die Mannschaft des Boreas kam in einzelnen Gruppen, zu zweien und dreien, an Bord zurück. Der Zimmermann, ein Engländer, hatte die Wacht als sie kamen, und die Leute gingen rasch in das Vorcastle [S. 35] hinunter, diese Zeit zu benutzen und ihre Sachen zusammenzupacken.

Den Zimmermann und Mate durften sie natürlich nichts merken lassen; der Mate schlief aber gewöhnlich um diese Zeit schon. Einer von ihnen blieb bei dem Zimmermann an Deck, um, wenn irgend einer der Officiere Miene machen sollte hinunter zu ihnen zu steigen, das verabredete Zeichen zu geben, d. h. irgend etwas Schweres auf Deck fallen zu lassen. Es konnte das ohne Aufsehen geschehen.

Jean war an Deck und schlenderte mit dem Zimmermann langsam den Gangweg auf und nieder. – Er erzählte ihm Geschichten aus der Provence, um ihn beschäftigt zu halten, und es gelang ihm auch so weit, daß er seinen Cameraden vollständig Zeit verschaffte sich zu rüsten. Die einzige Schwierigkeit war jetzt ihre Sachen an Deck zu bringen und von hier damit an Land zu kommen, ohne daß Lärm geschlagen wurde. In dem Fall befanden sie sich nämlich in einer höchst fatalen Lage, da nur ein ganz schmaler langer Weg von dem Werft an dem sie lagen nach Sussexstreet hinaufführte, und eine Masse von Constablern in der Gegend fortwährend auf und ab gingen. Der geringste Lärm konnte einen davon an den Eingang der Straße führen und dann hatte er, wenn er wollte, zwanzig [S. 36] Andere mit Blitzesschnelle zu seiner Hülfe herbeigezogen.

Am besten wäre es gegangen, wenn sie eines der an den Pfählen befestigten Boote geborgt hätten, und damit an das gegenüber liegende Ufer der Bay gefahren wären. Auf jeden Fall konnten sie solcher Art ihre Sachen am leichtesten in Sicherheit bringen. Dort drüben standen auch noch keine, oder nur wenige Häuser, keinenfalls waren Polizeidiener dort. Sie selber brauchten nur bis Georgestreet hinaufzugehen, wo sie die dort einlaufende Bay umgangen hatten, und konnten dann ihr ganzes Gepäck leicht und ohne Verdacht zu erregen quer über Georgestreet in das Wirthshaus zum goldenen Kreuz schaffen.

Es war noch nicht zwölf als der zweite Mate vom Land an Deck kam und nach vorne ging. Jean stand mit dem Zimmermann gerade an der Cambuse, und als er die dunkle Gestalt auf sich zukommen sah, stieß er mit dem Fuß an eine dort zufällig liegende Handspake, nahm sie auf und warf sie von sich, daß sie mit lautem Gepolter auf Deck niederschlug.

»Gott verdamme das verwünschte Holz«, fluchte er dabei, und hielt sich den Fuß – »stößt man sich auf dem sakermentschen Deck auch noch die Gliedmaßen zu Schanden.«

[S. 37] »Was für ein Heidenlärm ist denn das da drüben?« rief der Mate ärgerlich und kam herüber nach Backbord. – »Wer ist da? Jean? kommt Ihr eben erst von Land?«

»Nein, ich bin schon fast eine Stunde mit dem Zimmermann hier auf- und abgegangen.«

»Chips«[3] sagte der Mate, und zog den Zimmermann etwas bei Seite – »haltet Eure Augen offen. – Im Vorcastle war eben, als ich auf Deck kam, noch Licht – jetzt ist's aber aus. Sind die Leute schon lange an Bord?«

»Die letzten kamen vor etwa einer halben Stunde – ich denke sie sind jetzt wohl zu Coye gegangen«, sagte der Zimmermann. »Wie viel Uhr ist's? – es muß bald Mitternacht sein.«

»In fünf Minuten etwa ist's zwölf«, sagte der Mate – »ich will den Steward jetzt wecken, um zwei Uhr löst Ihr ihn wieder ab. Beim geringsten Verdächtigen was Ihr seht, ruft Ihr mich. Ihr könnt zu Bett gehen, Jean«, wandte er sich dann lauter an den indessen weiter nach vorne gegangenen Matrosen. – »Es wird gleich 12 Uhr sein.«

[S. 38] »Soll ich Bill rufen?« frug Jean, der stehen blieb – »ich glaube Bill hat die nächste Wacht.«

»Nein, ist nicht nöthig«, lautete die Antwort. – »Ihr könnt alle zu Coye gehen.«

»Das ist eine schöne Geschichte«, dachte Jean, als er in das Logis hinabstieg, die übrigen mit dem neuen Befehl bekannt zu machen. Vorher lauschte er aber noch eine Weile unter der Logiscap, zu sehen ob ihm auch niemand folge. Als er alles sicher wußte sagte er leise:

»Hallo da – schlaft Ihr?« es war stockfinster und man konnte keine Hand vor Augen sehen.

»Ist das Jean?« frug vorsichtig eine einzelne Stimme.

»Ja«, lautete die ebenso leise Stimme – »habt Ihr alles in Ordnung?«

»Alles in Ordnung«, erwiederte Bill – »ist die Luft rein? meine Wacht muß gleich angehen.«

»Gebt Euch keine Müh«, sagte Jean. »Die Schufte müssen Lunte gerochen haben; wir brauchen die Nacht nicht zu wachen. Wahrscheinlich will der Mate mit dem Zimmermann, und vielleicht auch Steward selber Wache gehen. Der Capitän ist auch schon an Bord, wie mir der Zimmermann gesagt hat.«

»Verflucht noch einmal«, rief der Koch, der es in [S. 39] diesem Fall ganz mit den Matrosen hielt, und sprang mit einem Satz aus der Coye, in die sie sich alle, als sie das Zeichen hörten, hineingeflüchtet hatten. »Jetzt sind wir geleimt.«

»Doch noch nicht«, meinte Jean, der vorher noch einen vorsichtigen Blick nach oben geworfen. »Erst wollen wir einmal abwarten wer die nächste Wache hat, und dann sehen was sich thun läßt – wenn ich nur erst meine Siebensachen in Ordnung hätte. Ein Licht darf ich mir aber gar nicht anstecken, sonst haben wir den Satan gleich wieder auf dem Hals.«

»Hier, nimm die kleine Laterne«, sagte Bill und reichte sie ihm aus der Coye – »die kannst du in deine Kiste setzen, da fällt kein Strahl nach oben.« Jean fühlte sich zu ihm hin, ging in die vorderste Ecke die Kerze darinnen anzuzünden und brachte dann den vollkommen geschützten Strahl sicher in seine Kiste, die glücklicherweise an einer Wand stand und von oben aus nicht leicht gesehen werden konnte. Er brauchte auch nicht lange, mit seinen Sachen in Ordnung zu kommen; um halb ein Uhr war alles gerüstet, das Licht wieder ausgelöscht und Bob wurde jetzt zum Recognosciren an Deck geschickt. Er kam nach zehn Minuten etwa wieder herunter. Der Steward war auf Wache, und kaum hatte er diesen Bericht abgestattet, [S. 40] als der Zimmermann ins Logis kam, sich auszog und zu Coye ging.

Es war jetzt weiter gar nichts zu thun, und Jean faßte schon den Entschluß bis Tagesanbruch noch zu warten, dann aber, wenn sich bis dahin kein anderer Ausweg zur Flucht zeigen sollte, seine Sachen im Stich zu lassen und nur mit seinem Gelde an Land zu gehen, oder, wenn auch das nicht gehen sollte, über die Bay ans andere Ufer zu schwimmen.

Bis zwei Uhr lagen die Matrosen alle in peinlichster Erwartung; keiner schlief, keiner wagte aber auch nur ein Wort zu sprechen, denn der Zimmermann schnarchte nicht und verrieth auch sonst durch nichts, daß er selber eingeschlafen sei. Was da thun?

Ihrer Rechnung nach mußte es bald Tag werden, als der Steward in das Logis herunterkam. Er blieb erst ein paar Minuten stehen und horchte – aus allen Coyen tönte das tiefe regelmäßige Athmen fest Schlafender. Selbstzufrieden und stillvergnügt nickte er mit dem Kopf, fühlte sich dann leise, ja keinen der Leute zu stören, nach des Zimmermanns Coye hin und weckte diesen.

»Wer ist da?« rief der Zimmermann aus tiefem Schlafe auffahrend – »halt sie – da laufen sie.«

»Halt doch das Maul«, flüsterte der Steward [S. 41] und schüttelte ihn aus Leibeskräften, »du machst ja die ganze Mannschaft munter. – Es ist zwei Uhr, steh auf – ich bin müde wie ein Hund.«

»Ay, ay«, sagte der Zimmermann, noch immer halb im Schlaf – »ich komme gleich – wo sind denn – O ja – 's ist alles recht – ich weiß schon. – Alles in Ordnung?«

»Alles! Steh nur auf und schlaf nicht wieder ein« – antwortete ihm der Steward und wandte sich nach der Treppe zurück, stieß sich aber mit dem Schienbeine an eine dort vorgeschobene Kiste. – »Gott verdamme den Plunder!« rief er leise mit verbissenem Schmerz – »da muß ein ganzer Fetzen Haut herunter sein. – Ich wollte daß die Kerln da –«

Er brummte das andere, als er auf der endlich erreichten Treppe langsam an Deck kletterte, leise vor sich hin und verschwand gleich darauf oben.

Der Zimmermann lag noch etwa zehn Minuten still, wälzte sich dann stöhnend aus seiner Coye, tappte nach seiner dicken wollenen Jacke, die er endlich fand und anzog, nahm die Mütze von dem Nagel, an dem sie inwendig in seiner Schlafstelle ihren Platz hatte, und folgte dem Steward an Deck.

Er hatte kaum den letzten Fuß von der Leiter genommen, als Jean ebenfalls aus der Coye sprang, [S. 42] ihm leise nachschlich und an Deck horchte wo er blieb. Er war zurück nach dem Quarterdeck gegangen.

»Was jetzt thun?« sagte er leise, als er wieder herunterstieg – »in ein paar Stunden ist es Tageslicht, und das größte Glück, daß wir den Burschen wenigstens aus dem Logis haben. Das hätt' ich aber wissen sollen, daß er so fest wie ein Bär schlief – wir könnten jetzt alle in Sicherheit sein. Wer gibt nun den besten Rath?«

»Ob es der beste ist weiß ich nicht«, sagte der eine Deutsche, »aber etwas kann ich Euch vorschlagen: ich will mich, wenn die Luft klar ist, vorne hinunter lassen und eins von den kleinern Booten dicht unter die Klüsen holen. – Dann müßt Ihr sehen wie Ihr die Säcke, ohne daß der Zimmermann etwas merkt, einen nach dem anderen hinunterbringt, und ich schaffe sie dann ans andere Ufer hinüber, wo ich auf Euch warte bis Ihr mich abholt.«

»Aber sollen wir es denn doch nicht lieber erst einmal versuchen die Sachen an Land zu schaffen?« frug Bob, der eine Engländer. »Das wären doch verdammt weniger Umstände als mit dem Wasser – und nachher das Herumlaufen um die Bay. Es wird ja heller lichter Tag, ehe wir nur hinüber kommen.«

[S. 43] »Wir dürfen es nicht wagen unsere Sachen hier an Land zu bringen«, sagte der Deutsche rasch – »wenn die solche Vorsichtsmaßregeln treffen wie mit der Wache, so werden sie auch nicht versäumt haben den Constables in Sussexstreet aufzutragen, alle, die etwa hier heraus mit Bündeln kommen sollten, einfach zu arretiren. – Das ist wenigstens das Wahrscheinlichste, und dem wollen wir uns doch nicht aussetzen. Uebrigens muß der Zimmermann auch jeden sehen, der hier über den langen, schmalen, und an allen Seiten offenen Platz nach den Häusern zu geht, und würde augenblicklich Lärm schlagen!«

»Wie kommen wir selber dann aber nachher fort?« frug Jean wieder.

»O nur erst einmal die Sachen in Sicherheit, das andere findet sich dann von selber«, sagte der Deutsche – »alles klar an Deck, Jean?«

»Ja, jetzt noch; der Zimmermann kommt aber gerade wieder die Quarterdeckstreppe herunter. – Es ist die höchste Zeit.«

Ohne weiter ein Wort zu erwiedern glitt der Deutsche wie eine Schlange die Treppe hinauf, um die Logiskappe herum und in die Gallione hinaus, dort an der Ankerkette hinunter und ins Wasser hinein. Jean horchte aufmerksam, konnte aber kein [S. 44] Plätschern hören, so vorsichtig hatte sich jener hineingelassen.

Der Zimmermann ging ein paarmal an Deck auf und ab, und die Leute saßen indessen des Zeichens harrend, daß das Boot am Steven liege, mit klopfendem Herzen im »Logis.« Sie hatten all ihr Zeug an, was sie nur auf den Leib bringen konnten, und das übrige in die gewöhnlichen Leinwandsäcke, die den Reisesack eines Seemanns bilden, »eingestaut.« Bill nahm seinen Sack zuerst heraus und schaffte ihn, als der Wächter gerade nach vorne ging, auf die Gallione. Jean wollte aber keinen weiter hinauslassen, bis das Boot darunter liege. – Fiel es dem Zimmermann einmal ein nur ein paar Schritt weiter nach vorn zu gehen wie gewöhnlich, so waren sie zu sehr der Gefahr ausgesetzt entdeckt zu werden.

Endlich kam das erwartete Zeichen – schneller fast als sie es eigentlich hoffen konnten. – Leise wurde von außen vorn an das Schiff geklopft, und Jean horchte hinaus ob er etwas vom Wächter hören konnte.

»Wo ist der Zimmermann jetzt?« frug Bill von unten herauf – »kannst du ihn sehen, Jean?«

»Nein«, flüsterte dieser zurück, »weiß der Teufel wo er steckt – ich will lieber einmal über Deck gehen.«

[S. 45] »Gott bewahre«, rief Bill – »da machst du ihn nur aufmerksam. – Er wird wahrscheinlich hinten an dem Quarterdeck bei den Wasserfässern sein. – Komm nur rasch und hol' deine Sachen.«

»Wir wollen uns das anders einrichten«, erwiederte ihm Jean. – »Einer muß hinaus in die Gallione steigen, und das, was ihm gegeben wird, hinunterreichen. Bob mag sich hier hinter die Logiskappe drücken, und ich kann dann von hier aus ihm alles zugeben und zugleich das Deck übersehen. – Aber nachher auch kein Wort mehr gesprochen. – Höll und Teufel wer hat denn da unten Licht angesteckt?«

Er sprang rasch hinunter einer Unvorsichtigkeit zu begegnen, die so leicht zu ihrer Entdeckung führen konnte, denn sobald der Wachthabende Licht im Vorcastle sah, mußte er ja gleich wissen daß etwas Außergewöhnliches vorgefallen war.

»Löscht das Licht aus«, rief er mit ärgerlicher, aber vorsichtig gedämpfter Stimme. – »Ihr wollt wohl die ganze Geschichte verderben? Wer hat die Laterne angesteckt?«

»Ich« – brummte Jim – ein Irländer »und verdammt gute Ursache dazu. – Ich habe eine halbe Krone hier unter die Kiste rollen lassen, und ich glaube jeder steckte sich ein Licht an, wenn er damit sein ganzes [S. 46] verlorenes Vermögen auf einen Strich wieder kriegen kann. – Außer der halben Krone hab' ich nur noch drei Schilling Schulden.«

Hinter Jean stieg in diesem Augenblick jemand die Treppe herunter – der Deutsche vor dem Steven gab zu gleicher Zeit noch einmal, und jetzt etwas lauter, das verabredete Zeichen. Jim hatte seine halbe Krone gefunden, steckte sie in die Tasche und öffnete die Laterne diese auszublasen.

»Hallo« – sagte in diesem Augenblick eine Stimme mitten zwischen ihnen, und zwar so laut, daß alle wie von einem elektrischen Schlag zusammenzuckten – »was ist das?«

Jim ließ unwillkürlich das volle, durch kein Horn mehr gedämpfte Licht der Laterne auf das Gesicht des Sprechers fallen. – Es war der Zimmermann, der sich erstaunt in der reisefertigen Gruppe umsah.

»Das ist mir ja eine schöne Geschichte«, rief er verwundert aus – »da soll ja gleich –«

Er sagte nichts weiter – nur zwei Worte hatten die an der Treppe stehenden Bill und Jean miteinander gewechselt, und in derselben Secunde fast fühlte er sich von zwei riesenstarken Armen dermaßen umfaßt, daß seine Hände wie von einer eisernen Zange gehalten wurden, während ihm zu gleicher Zeit irgend ein [S. 47] anderer guter Freund ein festgedrücktes Tuch wie einen Knebel in den Mund stieß. Jim ließ, bei dieser zauberschnellen Veränderung der Scene den Strahl der noch immer hochgehaltenen Laterne links und rechts fallen, und sah Bill und Jean mit ihrem Opfer beschäftigt. – Im nächsten Moment schloß er aber das Licht, und alles war wieder in tiefste Dunkelheit gehüllt.

Draußen ertönte zum drittenmal, und jetzt laut und ungeduldig das Zeichen.

»Der wird den Steven noch einschlagen«, lachte Jim – doch immer noch halblaut vor sich hin – »sollen wir ihm den Zimmermann hinuntergeben, daß er sich beruhigt.«

»Jetzt rasch und keine Zeit mehr verloren« – rief aber Jean den Anderen zu. – »Bill, schafft die Sachen hinauf und dann fort ins Boot.«

Der Zimmermann sträubte sich aus Leibeskräften frei zu kommen oder wenigstens den Knebel aus den Mund zu bringen, daß er den Alarm geben konnte; Jean lag aber mit Riesenkraft auf ihm und jeder derartige Versuch war umsonst.

»Reich' Einer von Euch mir ein Ende« – stöhnte dieser endlich, als der Zimmermann einen Augenblick ruhig lag. – »Hier Bob – bind ihm einmal [S. 48] die Hände zusammen – so – das ist gut. Jim zeig dein Licht noch einmal, hast du sie fest?«

»Die kriegt er nicht wieder los«, lachte Bob zwischen den Zähnen durch – »die Füße auch?«

»Ja, es ist besser – so, nun schlag das hier um den Pfosten – so – noch fester – das wird's thun, und nun noch den Knebel –« und damit nahm er sein eigenes Halstuch vom Nacken und band es dem unbeweglich an den mitten im »Logis« stehenden Pfosten Geschlossenen, fest um den Mund, so daß er nur die Nase zum Athmen frei behalten konnte. »Nun rasch fort«, rief er, als er endlich auf die Füße sprang – »sind die Sachen oben?«

»Dies ist das letzte«, rief Bob, als er zwei Säcke nach der Treppe hob und hinauflangte – »nun, ade Boreas, und bleibt hübsch gesund, Zimmermann. – Wenn nur der Steward die Zeit nicht verschläft.«

Damit sprang er die Treppe hinauf und von den übrigen gefolgt über die Gallion hinunter ins Boot. Jean war der letzte der das Schiff verließ – es regte sich aber nichts darauf. Oben in Sussexstreet hörte er wie die Constabler ihre Stunde abriefen – es war gerade drei Uhr. An der Bay herum fingen hie und da schon die Hähne zu krähen an, und von den Schmelzöfen glühten noch immer die rothen Flammen [S. 49] aus den Schornsteinen heraus – sie hatten die ganze Nacht gebrannt. Sonst schlief ganz Sydney noch und die Bay lag so ruhig, daß die auf sie niederfunkelnden Sterne ihr Licht so rein und ruhig wieder erhielten als sie es gegeben. Kein Lufthauch bewegte das Wasser, und man konnte deutlich den regelmäßigen Schritt der Wache auf einer nicht weit davon vor Anker liegenden englischen Barke hören.

Jean glitt, als er sich überzeugt hatte daß niemand auf ihrem Schiff auch nur das Mindeste von dem Vorgefallenen ahne, wie seine Cameraden vor ihm, an der Ankerkette in das da vorn befestigte Boot hinunter, und im nächsten Augenblick schossen sie, von zwei kurzen Bretern, die als Ruder gebraucht wurden vorwärts getrieben, über die Bay schräg hinüber an's andere Ufer. Dort banden sie das Boot fest, das sich der Eigenthümer, wenn er es haben wollte, am nächsten Morgen selber holen konnte, nahmen ihre Säcke auf die Schultern, und waren im nächsten Augenblick in dem Schatten der dichtbei gelegenen Häuser, zwischen denen sie sich nach verschiedenen Richtungen hin zerstreuten – verschwunden.

Von der ganzen Mannschaft war nur ein einziger – ein Deutscher – an Bord des Boreas zurückgeblieben. – Er hielt sich, ohne daß ihn die anderen [S. 50] vermißten – und als sie ihn vermißten, war es zu spät – ruhig in seiner Coye, band aber auch den Zimmermann nicht los, legte sich, als seine Cameraden das Schiff verlassen, auf die andere Seite, und war bald wieder wirklich fest eingeschlafen.

Fünftes Capitel.
Die Entdeckung.

Der Capitän vom Boreas lag in seiner Coye – er hatte den vorigen Abend bös geschwärmt, und der Kopf glühte ihm noch von all den »Brandys hot« und »Brandys cold«, die er in sich hineingegossen. Er träumte – aber was kümmern uns seine Träume, wir können ihn doch nicht länger schlafen lassen.

Der Tag brach eben im Osten an, ja der hellere Schein drängte sich schon durch das obere Cajütfenster, das sogenannte Skylight,[4] in die Cajüte. Der Capitän murmelte etwas von »half and half« – er trank gern Porter und Ale zusammen, und mochte [S. 51] wahrscheinlich Durst haben – stöhnte noch ein paarmal, und warf sich dann auf die andere Seite.

Der Steward war indessen ebenfalls munter geworden. – Nicht daß ihn jemand geweckt hätte, sondern mehr von einem halb unbewußten Gefühl aufgetrieben, das uns manchmal, ohne die geringste äußere Einwirkung, aus dem tiefsten Schlafe aufrüttelt, wenn wir uns nur Abends vorher fest vorgenommen haben zu einer gewissen Stunde aufzuwachen.

Es ist das ein Gefühl, das mit unserem Gewissen genau verwandt sein muß, denn es verrichtet, wenn auch nur im Kleinen, denselben Dienst; ja vielleicht wird es von der haushälterischen Natur selber dazu verwandt, wer kann es wissen. Wer von uns ist in die geheimen Gänge und Falten seines eigenen Geistes schon je so weit eingedrungen, um nur mit Bestimmtheit voraussagen zu können, was er in der nächsten Minute selber denken, selber empfinden will? Er kann es nicht.

Mag er seinen Geist alle Kraft anwenden lassen sich nur auf einen einzigen Punkt zu concentriren – es ist umsonst. Irgend eine ihm unbewußte, aber in ihm bestehende Kraft lenkt den Strahl seiner Gedanken, ganz von ihm selber unabhängig, wohin sie eben Lust hat, und schüttelt ihm gerade dann gewöhnlich, [S. 52] wenn er etwas Bestimmtes festhalten will, den ganzen bunten Bilderkram seines Gehirns – diese tollste Rumpelkammer alter Geschichten und Träume – um und um, daß es ihm schwarz und blau vor den Augen wird, und er diese endlich in Verzweiflung schließen muß, nur all dem krausen Wirrwarr zu entgehen. Und selbst das hilft ihm nichts. – Gerade durch die fest auf die Augen gepreßten Finger sieht man das tollste Zeug, und muß zuletzt ruhig seine Zeit abwarten, bis das alles wieder aus eigenem freien Antriebe in seine alten Behälter und Gefache zurückgekehrt und verschwunden ist.

Und wohin bin ich jetzt selber gerathen, von eben diesem wunderlichen Geist geneckt? Halt, ich sprach von dem Steward, der erschreckt von seinem Lager auffuhr.

War er aber noch im halben Schlaf, so brachte ihn der Stoß, mit dem er seine eigene Stirn beim in die Höh fahren gegen den quer durch seine Coye laufenden »Beam« stieß, augenblicklich zur Besinnung, und er sprang jetzt erschrocken aus der Coye, denn zu ihm herein drang das Tageslicht, und um vier Uhr hatte er ja schon wieder auf Deck sein sollen.

Warum mochte ihn denn der Zimmermann nicht geweckt haben? Er lief, ohne sich erst weder die Jacke [S. 53] anzuziehen, noch nach der neben ihm liegenden Mütze zu greifen, an Deck. Alles war hier stumm und still – dem Steward klopfte das Herz wie ein Schmiedehammer, denn er dachte an das was ihm, im Fall wirklich etwas passirt sei, selber bevorstand.

Im »Logis« fand er denn auch nur zu bald seinen schlimmsten Argwohn bestätigt, und den armen Teufel von Zimmermann in der wirklich traurigsten Lage von der Welt. Als er ihm aber das Tuch vom Gesicht band und den Knebel aus dem Mund zog, war es gerade als ob er den Stöpsel aus einer Flasche Weißbier gezogen hätte, denn wie aus dieser der Schaum, so sprudelten aus dem endlich befreiten Munde des Gebundenen jetzt eine wahre Unzahl von Flüchen und Verwünschungen – die alle hier so lange festgestopft gesessen hatten – in solcher Schnelle und Kraft heraus, daß der Steward im ersten Moment wirklich vergaß seine Hände zu lösen, und nur ganz erstaunt und verdutzt neben ihm stand und ihn ansah.

Durch den Lärm munter gemacht, wachte auch der Deutsche auf, und sah aus seiner Coye. Ueber diesen fielen sie nun Beide her und wollten von ihm erfahren, was aus den anderen geworden, und wo sie sich aufhielten. Er wußte von gar nichts – hatte keinen Menschen weggehen hören oder irgend etwas mitgetheilt [S. 54] bekommen, was die Absicht der Entlaufenen betreffen konnte. Er war spät an Bord gekommen, sehr müde gewesen, gleich eingeschlafen und in diesem Augenblick durch das gotteslästerliche Fluchen des Zimmermanns zum erstenmal aufgewacht.

Aus ihm war auch nicht das mindeste herauszubekommen, und dem Steward lag jetzt die höchst unangenehme Pflicht ob, den Capitän von dem Vorgefallenen in Kenntniß zu setzen, damit dieser augenblicklich seine Maaßregeln darnach nehmen könnte. Er ging in die Cajüte hinunter, zog seine Jacke an, strich sich die Haare aus dem Gesicht und trat zu des Capitäns Coye.

»Capitän Oilytt«, sagte er, als er ihn am Arm faßte und leise schüttelte.

»Brandy hot«, antwortete der Capitän – »der Teufel soll das Ale holen, das brennt wie Feuer.«

»Capitän Oilytt«, wiederholte der Steward. – Wär' er ein Zauberer gewesen, er hätte den Capitän einmal vor allen Dingen einige tausend Jahre so fortschlafen, und nachher in einer kühlen Grotte mit einer wunderschönen verwunschenen Prinzessin wieder aufwachen lassen. So aber konnte er das nicht, und schüttelte ihn noch einmal etwas stärker als das erstemal.

[S. 55] »Sieben Schilling Sixpence« lautete diesmal die hartnäckige Antwort, die sich wahrscheinlich auf irgend eine gestern bezahlte Zeche bezog – »lieber Gott!« – und ein tiefer Seufzer folgte.

»Ja jetzt ruft er den lieben Herrgott an, wenn er nicht weiß was er spricht« – brummte der Steward leise vor sich hin, »und wenn er nachher aufwacht und zur Besinnung kommt, flucht er wie ein Heide. – Und wenn er nur blos noch fluchte. – Ich muß ihn aber wahrhaftig wecken.«

Diesmal wich der tiefe Schlaf dem stärkeren und entschlossenen Schütteln des Dieners, und der Capitän fuhr, die Augen weit aufgerissen, in seinem Bett in die Höhe.

»Was zum Donnerwetter gibts nun?« rief er ärgerlich aus – »kann man denn in des drei Teufels Namen nicht einmal ruhig schlafen bis es Tag ist, daß du Einen mitten in der Nacht herausrütteln mußt? – was ist los? – na? – wird's bald?«

Der Steward, der bis dahin gar nicht hatte zu Wort kommen können, sagte jetzt schnell:

»Capitän Oilytt, die ganze Mannschaft ist fortgelaufen – der Koch und der ganze andere Schwarm. – Nur der Zimmermann und Hans – der eine Deutsche – sind noch an Bord.«

[S. 56] Der Capitän war mit einem Satz aus seinem Bett und mit einem zweiten in seinen Hosen, während er eine wahre Sündfluth von Flüchen ausströmte. Damit wurde die Sache aber um kein Haarbreit geändert. Natürlich hatten der Zimmermann und der Steward die alleinige Schuld, und der zurückgebliebene Deutsche, als der Capitän wie ein Wüthender nach vorn gefahren war, sollte nun gezwungen werden zu beichten. Er wußte aber, dabei blieb er trotz allen Drohungen und Versprechungen – von gar nichts. Er hatte die ganze Nacht, wenigstens von der Zeit an wo er an Bord gekommen, bis zu der wo der Steward den Zimmermann losband, geschlafen. Früher sei, wie er weiter erzählte, allerdings vom Fortlaufen die Rede gewesen, da er aber stets fest erklärt habe daß er nicht mit ginge, hätte man ihm diesmal, wie es schiene, gar nichts davon gesagt.

Der Capitän schäumte vor Wuth. – »Das kommt davon«, rief er, »daß ich mich mit dem verdammten fremden Gesindel eingelassen habe. – Hätte ich lauter Engländer gehabt, wäre das nicht geschehen. – Aber wartet, wartet Canaillen, Euch will ich ein Gericht einbrocken, auf das Ihr nicht gerechnet haben sollt, und hab ich Euch erst wieder, dann Gnade Euch Gott. Dann geb ich Euch mein Wort drauf, Ihr sollt Euch [S. 57] lieber in der Hölle als bei mir an Bord wünschen. – Und du Steward, vor allen andern, du verdientest überhaupt, daß ich dich an die Railing binden und dir 25 aufzählen ließ – du – Holzkopf du.«

Und damit schoß er wie ein Pfeil in seine Cajüte hinunter, in seine Kleider hinein und dann an Land, die Anzeige bei der Wasserpolizei von den Entflohenen zu machen und eine Belohnung auf ihren Fang zu setzen.

Kaum war er aber fort, und ehe sich der Steward noch von dem ersten Erstaunen über die entsetzliche Drohung erholen konnte, so kam der erste Mate schon auf ihn zu, faßte ihn am Kragen und überschwemmte ihn mit einer wahren Fluth von Schimpfreden.

»Du Lump!« – rief er, »bist der einzige der die ganze Geschichte zu verantworten hat. – Warum hast du nicht aufgepaßt, – heh? – was zum Donnerwetter hast du denn sonst auf der Welt zu thun? – wozu bist du nütz?« –

Nach diesem Ausbruch innerer Gefühle stieg er an Deck und lief eine gute Stunde das Quarterdeck auf und ab. Der Steward fing indessen an die Tische unten abzuwischen. Er hatte aber noch nicht einen fertig, als der zweite Mate ebenfalls den Kopf hereinsteckte.

[S. 58] »Du bist doch das nichtsnutzigste miserabelste Stück Takelwerk am ganzen Bord«, sagte er, und sah den Steward an als ob er ihn mit Haut und Haaren, und ohne Pfeffer und Salz verschlingen wolle. – Damit schlug er die Thür wieder zu und ging ebenfalls an Deck. Er war die halbe Nacht an Land gewesen, und erst um Mitternacht an Bord gekommen.

Der Steward aber setzte sich mit dem Abwischtuch in der Hand am Tische nieder, schüttelte in einem fort mit dem Kopf und murmelte leise vor sich hin.

»Na, nu wird's Tag – ich habe die Schuld – ich bin die alleinige Ursache, daß die anderen fortgelaufen sind. – Natürlich – wenn ich nicht meine zwei Stunden geschlafen hätte, wo die anderen auf Wacht waren, hätte das alles nicht geschehen können. Na, das wird eine schöne Reise werden – ich glaube wahrhaftig, es wäre das Beste ich liefe auch fort – nachher wär ich denn doch neugierig wer die Schuld davon hat – ich wieder; natürlich. Und wieder kriegen? – wenn sie die wieder kriegen freß' ich sie – alle zusammen.« Und mit diesem kannibalischen Entschluß stand er auf und begann seine Arbeit auf's neue.

[S. 59]

Sechstes Capitel.
Sydney im Dunkeln.

Eine ganze Woche war verflossen, und noch immer lag der Boreas an seinem alten Platze am Werft, ohne, trotz der darauf gesetzten Belohnung, einen einzigen von seinen Leuten wieder bekommen zu haben. Natürlich konnte er, mit einem Mann an Bord, auch nicht in See gehen, und andere Matrosen waren ebenfalls nicht zu bekommen. Der Capitän hatte schon, der schlechten Behandlung seiner Leute wegen, einen solchen Namen in Sydney bekommen, daß niemand mit ihm segeln wollte und der Goldschwindel machte überdies die Leute die extravagantesten Preise fordern.

Natürlich mußte er unter der Zeit Arbeiter annehmen, die an Bord nothwendigen Geschäfte zu verrichten, und an diese ebenfalls sehr theuren Lohn bezahlen; das ging aber freilich alles aus der Tasche der weggelaufenen Leute und zwar von dem ihnen gut stehenden Geld was sie an Bord zurückgelassen – vorausgesetzt, natürlich, daß man sie wieder bekam. Wurden sie wieder eingefangen, so hatten sie die Arbeiterkosten für fremde Hülfe, wie selbst den auf ihr Einfangen [S. 60] gesetzten Preis von dem ihnen noch gut stehenden Geld, oder von ihrer nächsten Reise – und wenn die nicht zulangte, von der nächstfolgenden – zu bezahlen.

Die Wasserpolizei war indessen, wie sie sagte, sehr thätig gewesen die Leute wieder einzubringen, oder wenigstens auf ihre Spur zu kommen, doch ohne Erfolg. Es war erst ein Pfund Sterling auf den Kopf gesetzt, und man konnte nicht gut erwarten, daß sie sich den Preis muthwillig verderben sollten, da er mit der Zeit von selber steigen mußte.

Der Capitän hoffte indessen das meiste von dem Sonnabend Abend, wo sich die Matrosen in Sydney gewöhnlich am freisten gehen lassen und, wenn sie erst einmal ins Trinken kommen, nicht mehr die sonst kaum vergessene Vorsicht gebrauchen, die Straße oder alle öffentlichen Häuser zu vermeiden. Von vielen anderen Schiffen war ebenfalls die Mannschaft fortgelaufen, und die ganze Wasserpolizei sollte an diesem Abend auf den Beinen sein. Die beiden Steuerleute des Boreas hatten sich ebenfalls erboten mit den Steuerleuten noch zweier anderen Schiffe, je zwei mit einem Polizeidiener zu gehen, um, falls sie einen der Ihrigen treffen sollten, ihn gleich zu kennen und festhalten zu können.

Um sieben Uhr setzte sich der ganze Zug in Bewegung, [S. 61] zerstreute sich aber bald nach verschiedenen Richtungen hin, um mehrere Stadttheile auf einmal durchstreifen zu können, und man bestimmte nun einen Platz am entferntesten Ende der Stadt, wo man sich um 12 Uhr Nachts treffen und die gemachten Beobachtungen mittheilen wollte. Bis ein Uhr Morgens ist es auf den Straßen stets lebendig.

Der erste Mate vom Boreas, der zweite von einer anderen englischen Barke und ein Polizeidiener nahmen den oberen Theil der Stadt Georgestreet, Pittstreet und was dort in der Nähe lag, obgleich in Georgestreet, als der Hauptstraße der Stadt, wohl kaum einer der Weggelaufenen anzutreffen sein mochte. Sie wagten sich schon nicht in diesen Stadttheil, wo eine so zahlreiche Menschenmenge fortwährend hin- und wiederströmte, und zwischen diesen leicht jemand sein konnte der sie kannte und den Händen der überall postirten Constabler übergab. Nichtsdestoweniger gingen die drei Männer Georgestreet hinauf und bogen dann oben links ab, durch Liverpoolstreet in Pittstreet hinein, vor allen Dingen einmal das »goldene Kreuz«, was ihnen als der frühere Hauptaufenthaltsort der Leute des Boreas beschrieben war, zu revidiren.

Es war noch zu früh am Abend um schon viel [S. 62] Gäste in den Wirthshäusern anzutreffen; die meisten wanderten noch in der Nähe des Markthauses und durch den Markt auf und ab, und erfreuten sich des schönen mondhellen Abends. Dennoch saßen etwa zehn oder zwölf Männer, meistens Matrosen, an den verschiedenen Tischen, und in einem der kleinen Verschläge, wo zwei Seeleute ihre beiden Mädchen mit hineingenommen hatten und ihnen dort zutranken, ging es besonders lustig und auch laut zu.

Der Mate vom Boreas warf einen schnellen aber forschenden Blick über sämmtliche Gäste hinüber, und trat auch in das kleine »Privatzimmer«, in das er indiscret genug und, von einem »what do you want« der darin Sitzenden angeschnauzt, hineinschaute, konnte aber kein bekanntes Gesicht entdecken. Mrs. und Mr. Mac Carther warfen sich übrigens einen Blick zu, den sie beide zu verstehen schienen, und die »Dame« wandte sich dann mit der größten Freundlichkeit an die Neuangekommenen, und frug was sie zu trinken wünschten. Sie ließen sich eine Flasche Porter und drei Gläser geben, und setzten sich an einen der Tische.

Polly ging ab und zu, und schien besonders mit dem Polizeidiener, einem jungen, hübschen und schlanken Mann, gut bekannt zu sein. Als Mr. Mac Carther [S. 63] die zweite Flasche auf den Tisch setzte, stand der junge Mann von der Wasserpolizei auf und ging hinaus – wenige Minuten darauf folgte ihm Polly – sie standen beide in der offenen Hausthür.

»Polly«, sagte der Polizeidiener, und hob ihr mit dem rechten Zeigefinger das Kinn empor – »wo sind die Leute vom Boreas, die Ihr versteckt habt?«

»Die Ihr versteckt habt?« sagte das Mädchen schnippisch und schnell, und schlug den Finger mit der verkehrten Hand weg – »die Ihr versteckt habt? – was gehen mich die Leute vom Boreas oder irgend einem anderen »aß« an, und was hätt' ich davon, Matrosen zu verstecken? – Wenn Ihr mir weiter nichts zu sagen habt, Mr. Naseweis, dann seid so gut und laßt mich ein andermal zufrieden.« Und damit wollte sie sich von ihm losmachen und wieder ins Schenkzimmer gehen. Charles, wie der junge Mann hieß, faßte aber ihre Hand und sagte schmeichelnd: – »Sey nicht närrisch, Polly – du verstehst wie ichs meine, und daß ich recht gut weiß wie du selber nichts damit zu thun hast – obgleich mir Gerüchte zu Ohren gekommen sind von einem jungen Franzosen der –«

»Charles«, sagte das Mädchen, und schien ernstlich böse zu werden, »du hast es heut Abend ordentlich [S. 64] darauf angelegt mich zu ärgern, und ich antworte dir keine Sylbe weiter.«

»Was das betrifft, mein Schatz«, lachte der andere, während er jedoch die Hand des Mädchens noch immer fest dabei hielt – »so hast du mir auch noch gar keine Sylbe geantwortet. – Ich weiß aber, daß du ein vernünftiges Mädchen bist – du hast mir davon schon zu viele Proben gegeben, so laß uns denn auch ohne weitere Umschweife ein vernünftiges Wort miteinander reden. Auf das Einfangen der Leute vom Boreas wird in der nächsten Woche, wenn der Capitän erst einmal weg muß, ein sehr bedeutender Preis gesetzt werden – wenn du die Hälfte davon verdienen kannst, wirst du doch vielleicht zusehen, ob du mir ein oder das andere von Mr. und Mrs. Mac Carther herausbekommen kannst?«

»Du glaubst doch nicht etwa«, fiel ihm das Mädchen rasch in die Rede, »daß Mr. und Mrs. Mac Carther weggelaufenen Matrosen in ihrem eigenen Hause ...«

»Gott bewahre«, unterbrach sie Charles lachend »da sind sie beide viel zu vernünftig dazu, als daß sie sich einer solchen Gefahr aussetzen sollten – es stehen 50 Pfund Sterling Strafe darauf. – Nein, aber sie – haben doch manches – oh hol's der Henker, du [S. 65] bist klug genug, und dir brauch ich doch weiter keine Erklärung zu geben.«

Das Mädchen sah einen Augenblick vor sich nieder und sagte dann leise –

»Wie hoch wird die Belohnung etwa sein?«

»Wie hoch? nun unter vier Pfund Sterling per Mann auf keinen Fall, wahrscheinlich aber sechs, und wie viel sind es gleich – vier, sieben – neun, nicht wahr?«

Das Mädchen sah zu ihm auf und schüttelte verschmitzt mit dem Kopf – die Falle war ein klein wenig zu plump gewesen. Charles mochte das auch wohl fühlen, denn er wurde bis über die Ohren roth, sagte aber gleich darauf lachend – »bitt' um Entschuldigung, ich hatte ganz vergessen, daß du gar nichts davon weißt. Doch genug für jetzt. Mir liegt selber nichts daran, daß wir sie heut Abend erwischen sollten, und sind sie in der Nähe, so thäten sie sehr wohl sich ein wenig von den Straßen oder aus den öffentlichen Trinkhäusern zu halten, sie könnten sich sonst leicht morgen an einem Orte finden, auf den sie Heute schwerlich gerechnet haben. Also good bye, Polly, sei ein gut Mädchen und halte die Augen offen.«

Damit trat er mit ihr in den dunklen Gang zurück, zog sie etwas näher an sich und – doch es war zu [S. 66] dunkel etwas weiter zu erkennen. Als aber gleich darauf die Thür aufging, stand Charles vorn im Haus, und Polly kam, allem Anschein nach eben vom Hof, und trat in die Schenkstube.

Als Charles wieder in die Stube kam, hatten die beiden Steuerleute schon die Zeche bezahlt und sich zum Fortgehen gerüstet. – Sie hielten sich erst einmal vor allen Dingen nach der Rowson oder Rosenstraße hinüber, wo ein freier eingezäunter Platz die eine Reihe Straßen begrenzt und die Matrosen, in der Nähe zahlreicher verrufener Häuser gern umherschlendern. Obgleich sie aber manchen von diesen begegneten, und alle scharf ins Auge faßten, war doch keiner der rechten darunter. Einmal freilich glitt eine dunkle Gestalt rasch und flüchtig vor ihnen hin, verschwand aber auch gleich darauf durch die dort hohe Pallisadenfenz, in eine kleine Thür, die sich hinter ihm schloß. Es war dies kein öffentliches oder Kosthaus, und der Polizeimann hätte erst einen »warrant« ausnehmen müssen, ehe er ein Privathaus untersuchen durfte. Oft blieb Charles aber eine kurze Strecke zurück, und flüsterte hie und da mit einer, im Schatten irgend eines niedern Hauses, neben einem erleuchteten Fenster stehenden weiblichen Gestalt – er schien mit allen Winkeln und Höhlen der ganzen Stadt bekannt zu sein.

[S. 67] Es war etwa neun Uhr als sie nach Pittstreet zurückkamen; hier hatte sich indessen manches verändert, und die im Anfang noch ziemlich öde Straße wimmelte jetzt, besonders in der Nähe des Theaters, von Menschen. Dem Theater gerade gegenüber sind eine Anzahl kleiner Spelunken oder Trink- und Tanzhäuser nur von liederlichen Dirnen besucht, zu denen sich die Menschen förmlich drängten. Unsere drei Wanderer traten ebenfalls ein, und zwar zuerst in das bedeutendste, das sogenannte »Shakespeare Haus.«

Unten befand sich die sogenannte Bar – ein Schenktisch mit den dazu gehörigen Vorräthen von Flaschen und Gläsern; dahinter ein kleines Zimmer für solche die ruhig ein Glas Bier trinken wollten. Beide Locale waren aber fast leer von Gästen, und doch sollte dies Haus ungemein großen Absatz haben. Außer diesen beiden Zimmern hatte es aber auch noch andere Räume. Gleich neben der Bar, von dieser nur durch eine Mauer getrennt, und mit einem aparten Eingang von der Straße, ging eine schmale Treppe in die erste Etage hinauf, wo der ganze Raum in zwei große Locale getheilt war. Das eine war ein hoher Saal, dessen äußerstes Ende ein statuenartig und lebensgroß gemaltes Bild Shakespeare's zierte.

Der große Dichter stand aufrecht da und überschaute [S. 68] mit einem merkwürdigen Zug unendlicher Gleichgültigkeit das ganze wilde Treiben um sich her. Der Maler hatte in diesem Bild sicher eine schwere Aufgabe gelöst, und Shakespeare wenigstens an Gestalt, Kleidung und Gesichtszügen kennbar, zugleich aber auch mit einem so nichtssagenden faden Gesicht hingestellt, daß man dem Bild, da der Maler gerade nicht bei der Hand war, die erste beste Flasche hätte an den Kopf werfen mögen. Rings an den übrigen Wänden waren Scenen aus Shakespeare's Werken, colorirt, dargestellt, mit gerade solchen Gesichtern als sie der Shakespeare geschaffen haben würde. – Der Sturm und Romeo und Julie, König Lear und Fallstaff hatten besonders dazu herhalten müssen, und auf einem Bild stand eine lange schwarze Figur mit einem Barrett auf dem Kopf und einer Kegelkugel in der Hand, und sah ums Leben aus, als ob sie eben im Begriff wäre alle neun zu schieben. – Das sollte Hamlet sein.

Es war noch ziemlich leer im Saal; in der äußersten linken Ecke stand ein altes, abgepauktes Pianino wie ein Luftspringer auf einem Dorfe, der sich auf die Hände stellt und mit den Füßen an der Wand hinaufreicht. – Vor diesem saß ein junger Mann, der Horn an den Fingern haben mußte, denn er schlug unablässig [S. 69] eine alte Polka von vorn bis hinten durch, und fing, wenn er hinten fertig war, vorn wieder an. Neben ihm stand ein kleiner Junge mit einer Violine, der ihn zu begleiten suchte, aber nicht mit kommen konnte. Allerdings hielt er ziemlich Tact mit ihm, aber er konnte ihn nur nicht einholen. – Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, die Augen traten ihm aus dem Kopf, die Finger gingen in rastloser Hast auf den gequälten Saiten auf und nieder, aber vergebens – zwei Noten war er regelmäßig hinter ihm. Hätte der Clavierschläger nur eine Secunde gewartet – nur den Gedanken einer Secunde – aber nein – vorwärts, unaufhaltsam vorwärts ging es, wie die wilde Jagd – kein Rückblick, außer für die, denen das Gesicht auf den Nacken gedreht war – und der Violinspieler gab die Verfolgung endlich in Verzweiflung auf.

Rings an den Wänden hin standen Bänke und Sophas; unter der Shakespearestatue der beste, und auf diesem lag lang ausgestreckt ein junges wunderhübsches Mädchen in einem seidenen, oben hochanschließenden Kleid, unter dem die kleinen zierlichen Füße nur eben mit den Spitzen hervorschauten. Ihre Beschäftigung war, wie sich das unter einer Shakespearestatue auch gar nicht anders denken läßt, eine [S. 70] rein geistige – sie schlürfte ein Glas Brandy und Wasser, und stellte das Glas als sie es ausgetrunken der Bequemlichkeit wegen vor sich auf die Erde nieder.

Auf den anderen Sophas und Bänken saßen viele andere Mädchen und junge Leute – von den ersteren einige sehr elegant gekleidet, mit Hüten und Schleiern und großen Shawls, andere wieder mit schlicht zurückgekämmten Haaren und kattunenen Kleidern. Ebenso großer Unterschied war bei dem männlichen Geschlecht, von dem feingekleideten Stutzer bis, in einzelnen Fällen, zum einfachsten Matrosen herunter, so standen, saßen und lehnten sie in den buntesten und verschiedenartigsten Gruppen umher. – Nur der eine Unterschied war doch wohl, daß die Mädchen alle einem bestimmten jugendlichen Alter angehörten, während sich unter den Männern auch sogar einige aus dem »besten« befanden, die mit noch recht jugendlichem Anstand scheinbar theilnahmlos hin- und herwanderten, oder an einem der Tische ihren »Portwein St. Gris« sippten.

Der Tanz hatte aber noch nicht begonnen – der verzweifelte Wettlauf der beiden Musici schien nur erst eine Vorübung gewesen zu sein.

Unsere drei Freunde fanden hier übrigens nicht [S. 71] was sie suchten, und Charles meinte, sie wollten lieber später noch einmal hierher zurückkehren, und erst nebenan in die anderen Locale hineinsehen. Es sei wahrscheinlicher, daß sich einzelne der Leute, wenn sie sich überhaupt in ein öffentliches Local getraut, eher dort als hier aufhalten würden.

Ehe sie übrigens die Treppe wieder hinuntergingen, traten sie noch einen Augenblick in das nach vorn hinaussehende Zimmer. Drei junge Mädchen saßen hier an dem mittleren Fenster und schauten nach dem gegenüberliegenden Theater hinüber; ein paar andere lehnten in verschiedenen Sophaecken und schienen zu schlafen, und an dem Tisch stand eine sechste im eifrigen aber leise geführten Gespräch mit einem jungen Mann, der sehr elegant gekleidet war, und augenscheinlich den höheren Ständen angehörte.

Hier war weiter nichts für sie zu thun – sie stiegen die Treppe hinunter, bogen rechts ab, und traten in das erste Local hinein, das sie drei oder vier Thüren weiter hin fanden. Wilder Lärm tönte ihnen schon bei ihrem Eintritt entgegen, aus dem Saal hinter der Bar kreischten die schrillen Töne einer Violine hervor, und kaum hatten sie diesen Platz betreten, als sie auch in eine wahre Wolke von Tabaksqualm und Brandygeruch eingehüllt waren.

[S. 72] Alle drei hatten aber schon in ihrem Leben weit schlimmere Dinge mitgemacht, und bewegten sich in diesem Chaos wie in ihrem Element. In der That gingen auch all diese äußeren Eindrücke spurlos an ihnen vorüber, denn die männlichen Gäste bestanden fast einzig und allein aus Matrosen von all den verschiedenen Schiffen in der Bay, und die Dirnen, die sich zwischen ihnen herumtrieben, gehörten der verworfensten Classe an. – Auch lag der Platz weiter zurück und mehr getrennt von der Hauptstraße, und mehrere der Leute vom Boreas sollten in dieser Woche, und seit sie das Schiff verlassen, hier gesehen worden sein.

Charles rief den Barkeeper bei Seite und sprach eine kurze Zeit lang heimlich mit ihm. – Es war sehr wahrscheinlich, daß sich die Leute des Boreas nicht alle an Einem Ort aufhielten, besonders da sie von verschiedenen Nationen waren, und leicht möglich wäre es gewesen einen oder den anderen hier aufzutreiben. Der Barkeeper wußte aber von nichts; er schüttelte wenigstens höchst entschieden mit dem Kopf, und machte dabei fortwährend eine Bewegung mit seinem Körper, als ob ihn hinten jemand am Hosengurt gefaßt habe, denn eine Jacke trug er nicht, und aus Leibeskräften daran zöge. Nur der Respect vor [S. 73] dem Polizeidiener, den er, wenn auch in Civil, doch jedenfalls kannte, hielt ihn noch zurück.

»Ich bin sicher, daß hier Einer oder ein paar von den Burschen gewesen sind«, sagte Charles, als er zu den Steuerleuten zurückkam. – »Der Schuft erschrack, als ich es ihm auf den Kopf zusagte, und war gar so ängstlich bemüht, wieder von mir abzukommen. – Wir wollen fortgehen und nachher noch einmal einsprechen, dann aber gleich hinten in die kleine Kammer gehen, ehe sie uns vermuthen können.«

Zwei Häuser weiter war eine andere solche Kneipe – dort standen einige zehn oder zwölf Mädchen vor der Thür, und zankten sich und schimpften einander. Von der anderen Seite der Straße kamen mehrere Constabler herüber, und die Dirnen, die nicht arretirt sein wollten, traten rasch ins Haus, setzten aber hier den Streit in einer der Nebenstuben unerbittlich fort. Es waren meist noch junge Dinger von sechszehn bis achtzehn Jahren. Mehrere hatten aber schon blaugeschlagene Augen – die Folgen eines früheren Gefechts, vielleicht vom letzten Sonnabend Abend – viele trugen brennende Cigarren im Mund. Natürlich drängte sich dabei Alles um sie her, den fast stets in Thätlichkeiten ausartenden Scandal zu Ende zu sehen, und was nur von Matrosen in der ganzen [S. 74] Straße war, schien sich hier auf einmal concentrirt zu haben.

»Jetzt ist unsere Zeit« flüsterte Charles den beiden Steuerleuten zu. – »Stellen Sie sich beide an verschiedenen Seiten der Stube auf und betrachten sie sich vor allen Dingen die Gesichter der Hereinkommenden. – Die wieder hinaus wollen, müssen nachher immer bei mir vorbeidefiliren. Sehen Sie einen der Burschen, dann geben Sie mir nur ein Zeichen, und für das andere werde ich sorgen.« Er schlug dabei bedeutungsvoll auf seine Tasche, in welcher er ein paar, von der Regierung bezeichnete Handschellen, für ihn zugleich der eiserne Ausweis seiner Function, trug.

Der Streit im Innern nahm indessen einen immer bedenklicheren Character an. Die beiden Feindinnen hatten die Arme in die Seite gestemmt, und bliesen den Rauch ihrer Manillas in dicken Wolken von sich. – Es war das ein Zeichen sehr heftiger Gemüthsstimmung, und Beide gehörten jedenfalls dem verworfensten Theil der menschlichen Gesellschaft an.

»Und was thust Du überhaupt hier, Du gotteslästerliches Ding Du mit deinen großen Glotzaugen?« rief die eine jetzt, die Unterhaltung wie es schien auf ein anderes Feld überführend. – »Was hast Du hier [S. 75] zu suchen, als Dich unnütz machen und Scandal anfangen Du – Preisverderber Du –«

»Was ich hier thue?« schrie die andere aber, und schleuderte mit einem entsetzlichen Fluche ihre brennende Cigarre zur Erde nieder, während sie sich zu gleicher Zeit die Aermel in die Höhe streifte und zum nicht mehr zu vermeidenden Kampfe vorbereitete; sie hatte die Geduld verloren. – »Ich gehe meinem Broderwerb nach so gut wie Du – – und wenn Dir das nicht genügende Auskunft ist, so will ich Dir meine andere mit rother Dinte in die Fratze zeichnen.«

»Go it Nellygo it ye cripples – Hurrah für Sally – fünf Schilling auf Nelly« – schrieen mit einem wilden Gejauchze die umstehenden Matrosen, die einen festen Kreis um die beiden gebildet hatten.

»Vier Brandy hot«, schrie in diesem Augenblick der rothhaarige Kellner, und versuchte mit einem Präsentirteller und vier halb gefüllten Gläsern in das Zimmer zu dringen. Es wäre für ihn aber viel vortheilhafter gewesen, hätte er statt dem bestellten heißen Brandy, kalten gebracht, denn irgend einer von den fünfzig Ellbogen, die ihm in seiner nächsten Nähe entgegenstarrten, fuhr ihm – ob absichtlich oder unabsichtlich, wer kann das sagen – unter den Teller [S. 76] und sandte dem armen Teufel die ganze Ladung im wahren Sinne des Worts »über den Hals« und in das Vorhemdchen.

Sally war übrigens zu viel »game«, auf solche Ausforderung auch nur noch weiter ein anderes Wort, als höchstens einen Fluch zu erwiedern. – In demselben Moment schleuderte sie ebenfalls ihre Cigarre mitten zwischen die sie umdrängende Schaar, die lachend das Feuer von sich abschlug, und fiel in richtiger Boxerstellung auf ihre Gegnerin aus.

Das Schreien und Hurrahen hatte in diesem Augenblick seinen höchsten Grad erreicht, und die Stube drängte so voll von Menschen wie sie nur Kopf an Kopf neben einander stehen konnten. Alles was in der Nachbarschaft gewesen war, preßte herzu.

Der Mate vom Boreas, der sich im Anfang ziemlich nahe der Thür postirt hatte, um im Fall der Noth gleich bei der Hand zu sein, war durch das Zuströmen immer neu Hinzukommender viel weiter zurückgeschoben worden als ihm selber lieb sein mochte. Hinaus konnte er aber nicht wieder, bis sich wenigstens ein Theil der Menge verlaufen hatte, und er that deshalb nur sein Möglichstes einen Platz auf dem Fensterbrett zu gewinnen. Nicht aber um dem Kampfe zuzusehen, denn der interessirte ihn sehr wenig, sondern die stets [S. 77] wechselnden Gesichter zu beobachten, die sich theils immer noch in das Zimmer drängten, theils die Thüre in einem dicht geschlossenen Ring von Köpfen umstanden.

An der Thür hatte Charles noch immer, trotz jedem Andrang von außen, seinen Posten behauptet, nur war er ein klein wenig nach innen geschoben worden, und blickte abwechselnd nach den beiden Mates hinüber, ob nicht Einer von ihnen seine Thätigkeit für irgend ein noch näher zu bezeichnendes Individuum in Anspruch nehmen wollte. Da sah er, wie sich plötzlich der Steuermann vom Boreas so hoch aufrichtete, wie er sich nur immer auf seine Zehen heben konnte und, ein Bild der gespanntesten Aufmerksamkeit in die Masse von Menschen starrte. Ein Gesicht war vor ihm aufgetaucht, das er nur noch nicht recht erkennen konnte, weil die Lampe darüberhing, die ihren Schatten hinunter warf.

Dies Gesicht gehörte aber niemand anderem als unserem alten Bekannten Bill, der, die Hände in den Taschen und eine Cigarre im Munde, eben am Haus vorbeigeschlendert war, als der Lärm innen sich erhob, und nun blos einmal sehen wollte was hier vorging. Fast ohne daß er es merkte, war er aber weiter und weiter in das Zimmer hineingeschoben, und der Kampf [S. 78] selber hatte im ersten Augenblick seine Neugierde so erregt, daß er wirklich an gar keine weitere Gefahr für seine eigene Person dachte. Endlich, aber nur zufällig und nicht etwa aus irgend einer Ahnung ihm drohenden Unheils, warf er den Blick einmal höher, senkte ihn aber nicht wieder, denn er begegnete gerade in diesem Momente dem seines eigenen Steuermanns, von dem er, sobald der nur einmal sein Auge sehen konnte, ebenfalls erkannt wurde. Der Steuermann stieß halb in Ueberraschung, halb in Freude einen lauten Schrei aus.

Den Schrei würde nun freilich der an der Thür postirte Charles in all dem wilden Lärmen nicht gehört haben, aber die damit begleitete Bewegung entging ihm nicht, und fast unwillkürlich griff er schon in die Tasche, die eisernen »darbies« herauszuholen.

Bill war übrigens viel zu klug, nicht mit einem einzigen Blicke seine ganze Gefahr zu übersehen, denn er wußte recht gut daß der Steuermann hier in dies Local nicht allein hereinkommen würde, ohne jedenfalls noch Hülfe, am Ende gar Polizei, bei sich zu haben. Dabei hatte das Zimmer nur eine Thür, und war die – und wie konnte es anders sein, besetzt, so befand er sich hier allerdings in einer Falle die ihn umsomehr ärgerte, da ihn sein eigener fabelhafter [S. 79] Leichtsinn hineingeführt. – Für den Augenblick ließ sich noch dazu gar nichts thun, seine Lage auch nur im Geringsten zu verbessern. – Er konnte seine Hände nicht einmal aus der Tasche bekommen, so drängte das Volk um ihn her, denn der Kampf nahte sich seinem Ende: Nelly hatte schon ein, Sally zwei blaue Augen und die letztere empfing gerade unter dem beifälligen Hurrahschrei der Masse einen letzten entscheidenden Schlag, der sie wie todt zu Boden warf. Nelly war ein sehr nervöses Mädchen, d. h. sie hatte ausgezeichnete Nerven und Muskeln.

Bill interessirte sich aber nicht im mindesten mehr für den Kampf; seine eigene Lage nahm seine Aufmerksamkeit viel zu sehr in Anspruch, und rasch warf er den Blick umher, jede nur irgend günstige Gelegenheit zu seinem Vortheil zu benutzen.

Der Mate hatte indessen mit Charles eine Art telegraphischer Depesche unterhalten, worin er ihm bemerkbar machte, daß Einer der gesuchten Leute hier in der Mitte des Zimmers sei. Zugleich gab er ihm dabei zu verstehen, daß er einen großen Bart habe. Bill sah das alles selbst mit an. So gern er aber auch seinen Feind mit eigenen Augen kennen gelernt hätte, wagte er doch nicht den Blick dorthin zu wenden, und wäre am liebsten in dem Meer von Köpfen, [S. 80] das ihn umgab, untergetaucht, wenn er sich auch nur einen Zoll hätte bewegen können. Aber fest eingekeilt stand er da, und der Mate warf dem Polizeidiener einen triumphirenden Blick zu. Bill war ihm sicher.

Gerade in diesem Augenblick machte Nelly noch einen Ausfall auf die schon gefällte Feindin. Das aber war zu unritterlich, als daß es die Umstehenden hätten zugeben sollen, und sie warfen sich zwischen sie. Dadurch bekam Bill wenigstens so viel Luft, die Hände aus den Taschen zu ziehen und sich selber niederzuducken. Zu gleicher Zeit nahm er einen verzweifelten Anlauf gegen die Beine der ihn Umdrängenden – es blieb ihm kein anderer Ausweg mehr als mit Gewalt durchzukommen, wußte er doch recht gut, daß jeder versäumte Augenblick seine Gefahr nur immer noch vergrößern mußte. Wie ein unter Wasser Fortschwimmender hielt er dabei geraden Cours auf die Thür zu, obgleich er das Schlimmste von den draußen stationirten Constablern fürchtete. Er konnte aber nicht anders und vertraute jetzt nur seinem guten Glück.

So wie aber der Mate diese Bewegung des Flüchtlings bemerkte, von der er augenblicklich den richtigen Grund errieth, schrie er dieses dem Polizeidiener zu, und da er wohl merkte, daß der in dem Heidenlärm [S. 81] kein Wort verstehen konnte, suchte er ihm die Absicht ihres Opfers pantomimisch begreiflich zu machen. Aber auch dies hatte seine Schwierigkeiten, denn er mußte sich mit einer Hand am Fenster festhalten, und durfte sich auch nicht tief bücken, sonst konnte ihn Charles nicht sehen. Durch diese unbequeme Stellung wurde er gezwungen die wunderlichsten und entsetzlichsten Bewegungen zu machen, so daß Charles ganz erstaunt zu ihm hinübersah, und gar nicht begreifen konnte – oder wollte, was das alles eigentlich zu bedeuten habe.

Das rettete Bill – gerade in diesem Augenblick glitt er wie eine Schlange, obgleich unbewußt, an den Beinen seines gefährlichsten Gegners vorbei, der schon die Handschellen für ihn gefaßt hielt, und war im nächsten Moment auf der Straße – in Kingstreet, Kingstreet hinauf in alle kleinen Quergassen die er auftreiben konnte, und spornstreichs nach seinem Versteck zurück; fest entschlossen, dieses von jetzt an mit keinem Schritt wieder zu verlassen.

Der Steuermann vom Boreas wollte erst gar nicht glauben, daß ihnen der Matrose entgangen sein konnte; es war aber doch so, und er tröstete sich zuletzt damit, er habe sich am Ende gar getäuscht, und Bill sei das gar nicht gewesen. Es war auch nicht [S. 82] wahrscheinlich, daß sich dieser so öffentlich und allein herauswagen sollte – und doch hatte er ihm erstaunlich ähnlich gesehen.

Von hier aus gingen sie noch einmal in das Shakespeare Haus zurück. Hier schien indessen alles in vollem Gang; das Theater war gerade aus, und zu den jetzt vereinigten Tönen des Claviers und der Violine – die wunderbarerweise zusammenstimmten – drehten sich die flüchtigen und mitunter auch sehr graciösen Paare in Quadrillen und Contratänzen. Alle Sophas waren besetzt, alle Stühle und Tische von Menschen beiderlei Geschlechts in Beschlag genommen, und eine ungeheure Quantität von Brandy und Portwein wurde verzehrt. Shakespeare sah dabei noch mit demselben nichtssagenden Gesicht auf die bunten Gruppen nieder, und Hamlet war noch immer am Schub.

Für ihren Zweck fanden sie aber nichts, weder hier noch nebenan, und verließen bald darauf Pittstreet, um zuerst einmal ein Stück in Georgestreet hinaufzugehen, wo sie ein besonderes Haus an der Ecke von George- und Kingstreet im Auge hatten.

Es war dies ebenfalls ein Schenkhaus, aber zugleich mit einer Art Abendunterhaltung. Sie gingen durch die Schenkstube und ein paar Stufen hinauf in ein anderes saalartiges Zimmer, sehr einfach mit hölzernen [S. 83] Bänken und Tischen meublirt, und im Hintergrund mit einer Art schmaler Bühne, in dessen einer Ecke ein Clavier traurig auf drei Beinen stand und von einem jungen Virtuosen in einem abgetragenen blauen Frack »beschlagen« wurde. Diese musikalische Abendunterhaltung war aber nicht zum Tanz eingerichtet, sondern hatte einen höheren, geistigen Zweck, der sich ihnen bald offenbaren sollte.

Auf die Bühne trat eine Gestalt in einem Charakteranzug, für die Person aber jedenfalls höchst passend gewählt. Sie war in einen zerrissenen Frack, an dem bedenklichsten Theil stark beschädigte Beinkleider und einen eingedrückten Hut nebst schiefgetretenen Schuhen gekleidet, und sang ein komisches, sehr langes und sehr unanständiges Lied, das bei dem Publicum den unbegränztesten Beifall fand. Das Letztere bestand zur einen Hälfte aus Matrosen und Handarbeitern aus der Stadt, und zur anderen aus liederlichen Dirnen, die wie in all den anderen derartigen Häusern hierherkamen ihre Cigarre zu rauchen, ihren Brandy zu trinken und Bekanntschaften anzuknüpfen. Es waren widerliche, freche, ekelerregende Geschöpfe.

Auch hier fanden sie keinen ihrer Leute. Gerade aber als sie wieder aus der Thür auf die Straße traten, rannte in ziemlicher Eile ein junger Bursch gegen [S. 84] den Mate des »Phönix« an und wollte eben mit einer Entschuldigung ausweichen, als dieser sein Gesicht zu sehen bekam und rasch zugriff –

»Hallo Smith«, rief er dabei aus, »ich bin höllisch froh dich hier so zufällig zu finden; habe schon einen langen Spaziergang dir zu lieb gemacht. Hr. Charles, ich möchte Sie einmal um ihre Handschellen bemühen.« Charles war rasch damit bei der Hand, der arme Teufel von Matrose aber, der hier so plötzlich dem Feind gerade in den Rachen gerannt war, wollte wenigstens noch einen letzten Versuch machen zu entwischen. Sich deshalb auf seine schnellen Beine verlassend, riß er sich rasch von dem Mate, der daran gar nicht mehr dachte, los, und sprang Kingstreet hinauf. Die Straße war aber hier hell erleuchtet und an den Ecken von King- und Kentstreet stand ein wahres Nest von Constablern. Der Alarmschrei wurde gegeben, die Straße war augenblicklich besetzt, und fünf Minuten später befand sich Smith in den Händen und Handschellen des Polizeidieners Charles von der Sidney Wasserpolizei.

Es war indessen schon ziemlich spät geworden, und Charles ging mit seinem Gefangenen zu seiner Station hinunter. Die beiden Steuerleute wollten aber erst noch einmal zu dem besprochenen Sammelplatz hinauf, wo [S. 85] sie weiteres von den übrigen Dienern der Gerechtigkeit und ihren eigenen Cameraden über den Verlauf und das »Glück« des Abends hören sollten.

Dicht vorher, ehe sie das in Pittstreet ihnen bezeichnete Haus erreichten, und oben zwischen Druitt und Bathurststreet, kamen die Beiden an einem kleinen niedern Schenkhaus vorbei, wo sie ebenfalls Lärm hörten. Die Thür stand offen und sie traten ein.

Es war eines der gewöhnlichen Branntweinhäuser geringerer Classe, und es schien hier an diesem Abend schon wild hergegangen zu sein. Eine Masse Gläser standen ungespült mit Löffeln und Zuckersatz auf dem Schenktisch – andere lagen zerbrochen auf der Erde. Unter einem der Tische lag ein trunkenes menschliches Wesen, das weibliche Kleidung trug, auf dem anderen Tisch lehnte mit dem Kopf ein Mann und schnarchte schwer. Hinter der Bar stand der Wirth, der auch der Flasche bös zugesprochen zu haben schien, denn er konnte die kleinen dickgeschwollenen Augen nicht mehr offen halten, und schlief im Stehen.

Die scheußlichste, aber auch interessanteste Gruppe bestand aus fünf Frauen und Mädchen, zwei noch jung, dem Anschein nach wenigstens nicht mehr als zwanzig bis einundzwanzig Jahr, und vielleicht noch jünger, denn das wüste Leben altert vor der Zeit, die [S. 86] anderen aber schon über die dreißig hinaus, mit widerlichen, schmutzigen, geschwollenen Gesichtszügen und alle betrunken. Den ungemischten Brandy gossen sie in die ausgebrannten Kehlen, und lachten und schrieen sich die rohsten, wüstesten Sachen zu. Es hörte aber schon keine mehr was die andere sprach.

Abgesondert von allen übrigen stand ein einzelnes Mädchen, vielleicht achtzehn Jahre alt – das Haar hing ihr wild um die Schläfe, die Schminke war ihr zum Theil von den Wangen gelaufen und die bleiche schmutzige Haut sah darunter vor. – An Stirn und Schläfen trug sie dabei Zeichen eines kürzlich bestandenen Kampfes, das geronnene Blut klebte dort noch an mehrern Stellen. Das Zeug hing ihr unordentlich und zerrissen am Körper, an der linken Seite war es ihr vollkommen aufgeschlitzt und eine volle weiße Brust quoll hindurch. Mit der linken Hand hielt sie aber ein halb mit Brandy gefülltes Glas – sie hatte schon einen Theil desselben getrunken und sang jetzt mit leiser wunderbar melodischer Stimme eines jener so zum Herzen sprechenden irischen Volkslieder – »oh no, we never mention her

Keiner hörte aber auf sie, der Wirth schlief, die anderen Weiber hatten zu viel mit sich selber zu thun, und die Singende schien ihrer auch wenig zu achten. [S. 87] In wilder heftiger Tonart hatte sie das Lied begonnen, wie sie aber weiter und weiter hineinkam, schienen andere, vergangene Scenen vor ihr aufzutauchen – Ihre Stimme wurde weicher und weicher, und bei den letzten Worten »if he has loved, as I have loved, he never can forget« – ließ sie auf einmal das Glas fallen, das am Boden zersplitterte, warf sich auf die ihr nächste Bank nieder, barg das Gesicht in den Händen und schluchzte laut.

»Nine pence für das Glas, sixpence für den Brandy«, sagte der Wirth noch halb im Schlaf – »macht einen Schilling drei Pence – wer war das?« fuhr er dann aber plötzlich in die Höh und blinzte unter den kurzen borstigen Augenlidern schläfrig vor.

Die beiden Männer schlugen im Ekel die Thür hinter sich zu, und erreichten bald darauf den bestimmten Versammlungsort, wo sie die übrigen schon ihrer harrend fanden.

Vom Boreas war ein Franzose unten am Wasser eingefangen, von dem Phönix noch ein anderer, und drei Matrosen von einem schon länger eingelaufenen Wallfischfänger. Man hatte aber sonst nutzlos all die Plätze durchstöbert, wo den Polizeileuten, wie sie sagten, gewisse Kunde zugegangen, daß sie heimlich versteckte Matrosen finden sollten. Wie sie meinten, war ihnen [S. 88] der auf den Fang gesetzte Preis noch nicht hoch genug, denn sie könnten nicht anders hinter ihre Schlupfwinkel kommen, als wenn sie die Leute, die sie versteckt hielten, bestachen, ihnen selbst den Zufluchtsort anzuzeigen. Das kostete natürlich viel Geld, und wollten die Capitäne nicht so viel anwenden, so sollten sie nur noch »ein Bißchen Geduld« haben. Mit der Zeit hofften sie schon alle wieder zu bekommen.

»Mit der Zeit« – das konnte aber noch vier bis sechs Wochen dauern, und sie wußten recht gut, daß die Schiffe dann das zehnfache an Unkosten haben würden. Sie bezweckten aber auch damit was sie wollten. Die Capitäne waren gezwungen höhere Belohnungen auf den Einfang der weggelaufenen Leute zu setzen.

Als sie auf ihre Schiffe zurückkehrten, mochte es schon ein Uhr Morgens sein, und die Straßen waren still und öde. Einzelne Constabler gingen langsam auf und ab, und ihre Schritte hallten von den hohen Gebäuden wieder. Nur nach unten, nach dem Wasser zu zeigte sich der helle Schimmer weiblicher Kleidungsstücke. Es waren zwei Frauen, die betrunken auf einem Haufen dort gebrochener Steine lagen und ihren Rausch ausschliefen. Da sie keinen Lärm mehr machten, ließen sie die Constabler ruhig liegen.

[S. 89]

Siebentes Capitel.
Was das Geld vermag.

Noch volle zehn Tage nach diesem Abend hatte der Boreas draußen in der Bay gelegen, und auf das Einfangen seiner Leute gewartet, ohne nur das mindeste Resultat weiter erzielt zu haben. Neue konnte der Capitän ebenfalls nicht bekommen; seine frühere Mannschaft hatte seinen Ruf durch die ganze Stadt verbreitet, und ein Proceß, den er gleich beim Einlaufen mit dem Koch und einem der französischen Matrosen gehabt und der gegen ihn entschieden und in den Blättern besprochen war, diente auch nur noch dazu, Matrosen, die ja schiffen wollten und dazu hundert andere Gelegenheiten finden konnten, vor seinem Schiff zu warnen.

Er mußte aber jetzt fort – schon hatte er sich wieder genöthigt gesehen frisches Wasser und sogar noch mehr Futter für die Pferde, die er an Bord hatte, einzunehmen. Die Preise der Leute stiegen dabei von Tag zu Tag, und es geschah endlich was die Diener der Wasserpolizei schon lange vorhergesehen hatten – er mußte sechs Pfund Sterling auf jeden eingefangenen [S. 90] Matrosen stellen, und brachte dadurch die ganze Polizei in Bewegung. Hier war etwas zu verdienen, und Charles wenigstens wußte, an wen er sich zu wenden hätte.

Es wird übrigens Zeit, daß ich den Leser auch wieder zu den Hauptpersonen dieser Erzählung zurückführe.

Die Mannschaft des Boreas hatte sich an dem Morgen, wo sie ihre Flucht so glücklich von Bord bewerkstelligte, nach Verabredung in das goldene Kreuz begeben. Hier harrte ihrer schon der Wirth, nahm ihre Sachen in Empfang, die er sorgfältig in ein besonderes kleines Zimmer verschloß, und ließ die Flüchtigen dann durch einen jungen Burschen, den er zu diesem Zweck die Nacht bei sich behalten hatte, über die Bay schaffen. Er beköstigte sie dort, und war durch ihre Kleider für die Auslagen der wenigen Lebensmittel, durch ihre Entfernung aber auch dagegen gesichert, daß das Gesetz ihm, wenn sie wirklich ausgespürt wurden, nicht zu Leibe konnte.

Ging nun alles gut, d. h. segelte das Schiff ohne seine Matrosen wieder bekommen zu haben, so bekümmerte sich die Polizei entweder gar nicht mehr um sie, oder war besondere Ordre zu diesem Zweck vom Capitän hinterlassen worden, so wurden sie im schlimmsten [S. 91] Fall auf kurze Zeit hingesetzt und sahen sich dann wieder frei, Arbeit anzunehmen wo sie es für gut hielten. Die besorgte ihnen aber dann ihr sogenannter »Schlafbaas«, und sah sich wohl vor, daß er vor allen Dingen seine Kost und sein Logis bezahlt bekam, indem er den ersten oder die beiden ersten Monate Löhnung, die besonders Schiffe in solchem Falle stets vorauszahlen müssen, in Empfang nahm. Bekam er das, so konnten die Leute ihre Sachen wieder bekommen, geschah das nicht, so waren sie ihm verfallen und er hatte immer reichlich seine Kosten gedeckt.

In den meisten Fällen verdienen diese Schlafbaasen, die in solcher Weise gewissermaßen eine Art Seelenhandel treiben, schönes Geld. Hundertmal ist es schon dagewesen, daß sie zuerst die Matrosen selbst überreden ihr Schiff zu verlassen, und sie dann, so wie nur ein richtiger Preis auf ihren Fang gesetzt wird, dem Capitän des Schiffes oder am häufigsten den Polizeidienern selber anzeigen, mit denen sie zwar den Raub theilen müssen, aber auch gegen die Folgen vollständig gedeckt sind.

Man sagte, daß der Wirth im goldenen Kreuze auf solche Art und Weise ebenfalls sein ganzes Vermögen zusammengeschlagen habe, und den armen Matrosen ein wirkliches Kreuz gewesen sei. Er hatte [S. 92] auch stets eine ganze Zahl solcher Leute, die bei ihm in Kost gingen, und in seinem eignen Hause wohnten. Dorthin kamen sie aber erst, wenn er von dem Gesetz nichts mehr zu fürchten brauchte – bis dahin wußte er bessere und sicherere Plätze für sie. An einen solchen Ort hatte er denn auch die Leute vom Boreas geschickt, die sich jetzt noch unter keiner Bedingung in der Stadt durften sehen lassen.

Es war am 22. August, ziemlich spät am Abend, und schon seit drei Tagen hatte das Gerücht in der Stadt Umlauf gefunden, der Boreas habe Mannschaft und wolle in See gehen. Nichtsdestoweniger durfte noch keiner der Leute aus seinem Versteck, und Polly hatte es besonders Jean, der sich bis dahin an solche Verordnungen wenig gekehrt, sehr streng anbefohlen, sich unter keiner Bedingung in der Nähe des goldenen Kreuzes sehen zu lassen.

Diesem Verbot gehorchte Jean auch auf das pünktlichste, keine Seele wurde ihn in der Nähe des Platzes, der für ihn die größte Anziehungskraft hatte, gewahr, aber im goldenen Kreuz selber stellte er sich jeden Abend pünktlich ein, gab Polly das verabredete Zeichen und schlüpfte dann zwei Treppen hinauf in das kleine Hinterstübchen, wo er doch wenigstens manchmal, wenn sie unten für kurze Zeit abkommen konnte, [S. 93] ein paar Worte mit ihr plaudern mochte. Jean hatte Polly, der Sicherheit wegen, sein ganzes Geld zum Aufheben gegeben, und sie ihm dafür, sobald der Boreas erst einmal fort sei, ihre Hand versprochen.

Jean wollte mit einem Landsmann, den er in Sydney getroffen, ein kleines Geschäft anfangen und die Aussichten waren dazu gerade in dieser Zeit vortrefflich.

Er wie seine Cameraden wohnten indessen gerad über der Bay drüben, am sogenannten North Shore in einem kleinen abgelegenen Häuschen, an einer Stelle im dichten Busch, die selten jemand betrat, und wo gewiß niemand entflohene Matrosen gesucht hätte.

Denselben Abend um acht Uhr stand Polly mit unserem alten Bekannten Charles von der Wasserpolizei im Hausflur – im Schenkzimmer war es fast ganz leer heut Abend – Mr. Mac Carther lehnte hinter der Bar und schlief, und Madame saß und strickte, und betrachtete nur dann und wann mit ziemlich verdrießlichen Blicken zwei Kunden, die schon seit einer halben Stunde hinter dem Tische saßen und an einem »nobbler brandy« zogen. Polly wurde nicht vermißt.

»Also es bleibt bei unserer Verabredung«, sagte Charles gerade in diesem Augenblicke und reichte Polly [S. 94] die Hand zum Einschlagen, die er nachher fest in der seinen behielt – »es bleibt dabei und – keine Ausnahme

»Ich weiß nicht«, sagte Polly piquirt, »was du immer mit der Ausnahme meinst, daß du die mit einem so bedeutenden Ton erwähnst. – Wenn ich einmal etwas sage, so kannst du dich darauf verlassen.«

»Polly«, meinte Charles lächelnd, »ich habe dir schon einmal gesagt, daß mir von zwei Personen als ganz gewiß mitgetheilt ist, du habest dich mit dem einen Franzosen versprochen.«

Polly zog ihre Hand rasch aus der seinen und rief ärgerlich –

»Mit einem Franzosen; ich dächte doch du kenntest mich besser, als daß ich mich an einen der Parlewus hängen sollte. Daß er mir den Hof gemacht hat weißt du, und in Ehren kann man auch ein Geschenk annehmen. Damit ist die Sache aber auch fertig, und wenn du nun noch einmal –«

Ein scharfer, vom Hof gellender Pfiff unterbrach hier ihre Rede, und das Mädchen schrack so auffallend zusammen, daß es Charles selbst in der dunklen Flur auffallen mußte.

»Hallo!« sagte er leise und horchte – Polly wollte nach dem Hof zu gehen, er faßte sie aber am Arm und [S. 95] flüsterte: »bleib nur einen Augenblick hier, Polly – wir gehen gleich zusammen.«

Vorsichtige Schritte wurden jetzt gehört, die fast geräuschlos aber rasch die Treppe hinaufgingen. – Sie verriethen, daß der welcher diesen Weg nahm, ihn schon mehr als einmal gegangen sein mußte. Charles mochte das wohl auch fühlen, denn als die Tritte mehr nach oben verhallten und die Stufen jetzt kaum hörbar im zweiten Stock knarrten, sagte er leise vor sich hinlachend:

»Der kennt jede Stufe im ganzen Haus, darauf wollt' ich schwören. – Also das sind die ersten sechs Pfund, Polly, wie? –«

Das Mädchen stand einen Augenblick wie unschlüssig da – sie erwiederte kein Wort. Endlich als oben eine Thür leise aufging und wieder geschlossen wurde, sagte sie, mehr zu sich selber als zu dem jungen Manne sprechend, und wie nur mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt:

»Er hat mir Geld zum Aufheben gegeben.«

»Für so dumm hätt' ich ihn nicht gehalten«, meinte Charles trocken, – »doch Matrosen wissen überhaupt nicht ihr Geld zu wahren. – Gehe aber jetzt in die Stube, Polly, ich will noch etwas warten, damit kein Verdacht auf dich fällt.«

[S. 96] »Aber Charles –«

»Aber Polly – Und nicht etwa ein Zeichen gegeben. – Ich gehe nicht fort, ich bleibe hier unten an der Treppe stehen – good bye, Polly – Heut Abend werden wir nicht weiter mitsammen sprechen können, morgen Mittag aber komm ich her und sage dir Antwort, und – laß der Alten nichts merken.« Damit nahm er die sich nur schwach Sträubende ohne weitere Umstände beim Kopf, küßte sie herzhaft ab und öffnete dann selber, ihr jede weitere Einrede abzuschneiden, die Thür, hinter der er sich aber wohlweislich verborgen hielt. Es blieb Polly auch gar kein anderer Ausweg als einzutreten, und um ihre Bewegung zu verbergen, machte sie sich, so viel sie konnte, im Zimmer Beschäftigung, wischte die Tische ab, und trocknete die Gläser aus.

Noch war sie mit dieser letzten Arbeit beschäftigt, als dicht vor dem Fenster, draußen auf der Straße, dreimal mit einem schweren Stock aufgestoßen wurde – sie erschrack so heftig darüber, daß sie das eben erst aufgenommene Glas fallen ließ, wobei es in Scherben brach. Während Mrs. Mac Carther noch darüber zankte, standen die beiden Männer, die am Tisch gesessen hatten, auf, tranken das letzte aus was sie noch im Glas hatten, und verließen langsam [S. 97] das Zimmer. Das diente ebenfalls nicht dazu Madame in bessere Laune zu bringen.

»Da geht das Lumpengesindel, das in zwei Stunden für einen Sixpence verzehrt hat – und dafür muß man Licht verbrennen und Gläser zerbrechen lassen. Wenn ich meinen Willen hätte, so würden die Tische und Bänke hier eher zu Feuerholz verbrannt, als daß sie mit hälfen das faule, povere Gesindel auch noch hier in seinem Müßiggang zu bestärken, und Einem zu Schimpf und Aerger da sitzen zu bleiben.«

Mac Carther, der durch das Zerbrechen des Glases erwacht und aufgefahren war, warf einen vorsichtigen Blick im Zimmer umher. Da er aber niemanden bemerkte, wollte er sich eben wieder auf seinen alten Sitz niederlassen, als er schwere Schritte auf der Hausflur hörte. Er war noch nicht ganz hinter dem Schenktisch vor als die Thür aufging, Charles den Kopf hereinsteckte und sagte:

»Mr. Mac Carther, auf ein Wort.«

Polly horchte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit, und das Herz schlug ihr fast hörbar in der Brust, aber sie konnte nichts verstehen. – Die Männer gingen zusammen die Treppe hinauf – sie konnte es endlich nicht länger aushalten, ging an die Thüre und öffnete diese. – Oben entstand Geräusch – ein Schlüssel [S. 98] wurde im Schloß umgedreht und dann angeklopft – Alles ruhig – im nächsten Augenblick schallte ein Lärm herunter, als ob eine Thür aufgebrochen würde.

»Polly« – rief Mrs. Mac Carthers Stimme – Polly drehte sich um und ein ganzer Schwarm Matrosen kam in diesem Augenblick durch die Mittelthür ins Zimmer – Brandy, Ale, Porter, Portwein, alle nur möglichen Getränke wurden verlangt, und Polly hätte gerade in diesem Moment Gott weiß was dafür gegeben, nur wenigstens eine ungestörte Viertelstunde zu haben. Bald darauf kamen die Schritte wieder die Treppe herunter; Stimmen wurden auf der Hausflur gehört und das Geräusch verlor sich auf der Straße. Fast in demselben Augenblick kam Mr. Mac Carther herein, warf die Thür hinter sich zu, daß die Fenster klirrten, griff seinen Hut auf und stürmte wieder hinaus.

Gleich darauf war Alles ruhig und Polly sagte leise vor sich hin – »Gott sei Dank, daß es vorbei ist.«

Als Charles Mr. Mac Carther zu sich auf die Flur gerufen hatte, sagte er zu diesem freundlich:

»Mr. Mac Carther, wollten Sie wohl die Güte haben, mir das kleine Hinterzimmer im zweiten Stock noch einmal aufzuschließen. Ich und meine beiden Freunde hier« – die zwei Männer, die zum Aerger seiner [S. 99] Frau so lange an dem »Nobbler«[5] getrunken hatten – »wünschen sich die Gelegenheit zu besehen.«

»Mit dem größten Vergnügen«, sagte Mr. Mac Carther, bei dem solche Haussuchungen keineswegs eine Seltenheit waren, und ging ruhig die Treppe vorne hinauf. – Er hatte keine Idee von dem Schreck der ihm bevorstand.

Charles kannte nur zu genau den Ort wo er zu suchen hatte. Als sie die Thür von innen verschlossen fanden, wurde sie einfach aufgebrochen, und Jean sah sich im nächsten Augenblick in Eisen und den Händen eines der Gerichtsdiener, der den weiter keinen Widerstand Leistenden, nach schon früher erhaltenem Befehle, direct zur Wasserpolizei hinunterführte.

Der Wirth war über diese Entdeckung, die ihn in die größte Unannehmlichkeit bringen konnte, außer sich, und suchte sich nur vor allen Dingen bei Charles, dem er die heiligsten Versicherungen seiner Unschuld und gänzlichen Unwissenheit von dem Vorgefallenen gab, zu vertheidigen. In dessen eigenem Interesse lag es aber ihn zu beruhigen, und er versicherte Mr. Mac Carther daher, daß er recht gut wisse, der Gefangene [S. 100] habe nicht bei ihm gewohnt, ja er sei ihm sogar die ganze Straße herauf bis in's Haus und an die Thür gefolgt, und er glaube der Franzose habe sich hier nur herein geflüchtet, weil er jemanden hinter sich bemerkt habe der ihm nachschliche, dadurch vielleicht seinen etwaigen Verfolger von der richtigen Spur abzubringen. Er konnte ja nicht wissen, daß dieser gerade so genau in dem goldenen Kreuz bekannt sei.

Mr. Mac Carther drückte ihm die Hand, faßte ihn dann unter den Arm und führte ihn, während der eine der Leute mit dem Gefangenen abging, etwas bei Seite.

»Mr. Charles«, flüsterte er hier leise und vertraulich – »nicht wahr, es sind auf das Einbringen der Matrosen vom Boreas sechs Pfd. St. per Mann gesetzt – wie? ich habe es heute Abend erst gehört und wollte Sie morgen früh selber aufsuchen.«

»Allerdings«, erwiederte ihm Charles lächelnd – »haben Sie eine Spur?«

»Eine Spur?« sagte Mac Carther leise, und kniff den Polizeidiener vertraulich in den Arm – »wollt Ihr ein hübsches Trinkgeld verdienen, Freundchen?«

Der junge Mann von der Wasserpolizei bog sich zu ihm hinüber, hielt seinen Mund dicht an das Ohr des Wirthes und flüsterte:

[S. 101] »Nicht wahr, wenn ich hinüber an das North Shore in Kennedy's alte Hütte ginge?«

Mac Carther machte sich rasch von ihm los, und sah ihn erschreckt an. Charles lachte. – »Ja, ja, mein alter Fuchs«, fuhr er dann lauter fort, »manche Nasen sind schärfer als man es ihnen zutraut – meine reicht bis zum North Shore hinüber – und noch mehr« fuhr er wieder mit unterdrückter Stimme fort – »unten am Werf liegt schon ein Boot mit zwölf Mann, die nur auf mich warten. In einer halben Stunde sind wir an Ort und Stelle, und übermorgen früh segelt der Boreas. – Der Wind ist günstig und ich habe mein Wort darauf gegeben. Guten Abend, Mac Carther –« und damit schnellte er, von seinem Begleiter gefolgt, zur Thür hinaus auf die Straße. Mac Carther aber stürzte, wie schon erwähnt, in die Schenkstube, griff seinen Hut auf und eilte, so rasch er konnte, nach einer anderen Richtung hin zum Wasser hinunter.

Charles hatte seine Maaßregeln aber viel zu gut und sicher getroffen; außerdem kannte er den Platz selber schon genau, und zwei seiner Leute mußten den ganzen Nachmittag dort in der Nähe versteckt liegen und auf die geringsten Bewegungen der Entflohenen achten. Die armen Teufel von Matrosen waren, als [S. 102] sie sich gerade am sichersten fühlten, schon verrathen und verkauft.

Das Boot landete, zwei Mann ließ man schwer bewaffnet als Wache dabei zurück, die kleine Hütte wurde dann umzingelt und die ganze Mannschaft des Boreas, mit Ausnahme eines Deutschen und eines Franzosen, die gerade in der Stadt waren Provisionen zu holen, gefangen genommen und in Eisen gelegt. Die beiden kamen gerade zurück als die Polizei in das Haus drang und flüchteten in den Busch, wo sie sich mit den Provisionen versteckt hielten, bis der Boreas, den sie von ihrem Versteck aus konnten in der Bay liegen sehen, wirklich abgesegelt war.

Gerade als das Polizeiboot mit seinen Gefangenen vom Lande abstieß, schoß ein anderes kleines scharfgebautes Boot, mit zwei Männern darin, in eine kleine durch einen Felsenvorsprung gebildete Bucht. Einer von diesen sprang augenblicklich an Land und sah dem Boot nach. Man konnte die Gestalt in der Dunkelheit nicht mehr genau erkennen, Charles hatte aber allen Grund auf den richtigen Mann zu rathen, und rief deßhalb auf gut Glück nach dem Lande zurück.

»Guten Abend, Mr. Mac Carther.«

Die Gestalt verschwand in demselben Moment wieder in den Büschen und das kleine Boot ruderte, [S. 103] eine halbe Stunde später, mit denselben beiden Männern nach der Stadt zurück.


Am Montag Morgen wehte vom großen Mast des Boreas die Signalflagge für die Wasserpolizei. Alles andere war zur Abfahrt fertig, der Lootse an Bord, vom Anker schon alles Unnöthige an Kette eingeholt, und die Segel hingen gelöst von den Raaen nieder. Der Wind wehte stark von Westen und die Brise konnte zum in See Gehen nicht günstiger sein.

Eine Viertelstunde später schossen um das Castell zwei schmale lange Boote. Es war die Wasserpolizei mit den Gefangenen die sie an Bord brachte, denn der Boreas hatte indessen, um die nothwendigsten Arbeiten zu verrichten, andere Arbeiter an Bord gehalten.

Die Gefangenen trugen sämmtlich Handschellen. Da es zu viele waren, und die Polizei vielleicht einen letzten Fluchtversuch fürchten mochte, ließ sie den Einzelnen, wenn sie die Fallreepsleiter hinaufsteigen sollten, auch die Eisen nicht abnehmen, sondern es wurde eine Leine heruntergelassen, diese um das Eisen geschlagen, und der Gefangene mußte dann nach oben steigen. An Bord nahm man ihnen die Schellen ab, die Boote ließen sich aber an langer Leine bis hinter das Schiff treiben.

[S. 104] Die im goldenen Kreuz versetzten Kleider der Entflohenen waren auch schon wieder an Bord; der Capitän hatte sie bei Mr. Mac Carther, durch Charles Vermittelung einlösen lassen, denn er konnte die Leute natürlich nicht ohne Kleider mit in See nehmen. Es war das seinerseits übrigens nicht etwa aus Menschlichkeit geschehen; er wußte recht gut, aus wessen Casse das Geld bezahlt werden mußte. Die Matrosen schienen jedoch bis zu diesem Augenblick noch immer nicht recht geglaubt zu haben, daß es wirklich schon so bald in See gehen sollte. Wahrscheinlich hatten sie noch auf Rettung gehofft, und jetzt erst, da sie die Segel gelöst und den Lootsen an Bord sahen, mochte ihnen die Gewißheit ihres Schicksals zuerst in ihrer vollen Wirklichkeit vor Augen treten.

Am meisten freute sich aber der Zimmermann über das Einfangen derer, die ihn am Morgen ihrer Flucht in einem so schmählichen Zustand zurückgelassen, und er konnte nicht umhin Bill sowohl als Jean ganz besonders um ihr Befinden zu befragen.

Bill antwortete ihm mit einem kernigen Fluch, Jean lachte ihm aber gerade ins Gesicht, denn er mußte trotz seiner jetzt keineswegs angenehmen Lage doch unwillkürlich an die trostlose Gestalt des Zimmermanns denken, als sie ihn vor 14 Tagen, mit dem [S. 105] Knebel im Munde, in dem Logis vorn liegen hatten. Andere Sachen nahmen aber seine Aufmerksamkeit gleich darauf mehr in Anspruch.

Die Polizei war fertig an Bord und machte sich eben bereit wieder in ihre Boote zurückzukehren – als Jean auf Charles zutrat und ihn am Arm faßte.

»Ah, Jean?« sagte der Polizeidiener und wandte sich freundlich zu ihm – »noch etwas zu bestellen am Ufer? – werde es mit dem größten Vergnügen zur Besorgung übernehmen.«

»Weiter nichts als diesen Brief« – sagte der junge Mann, ohne seine Freundlichkeit weiter zu erwiedern – »Ich glaubte nicht, daß wir so bald in See gingen und – ich weiß Sie sind dort im Haus bekannt«, setzte er mit etwas bitterem Ausdruck hinzu – »wollten Sie vielleicht so gut sein und ihn an seine Adresse – aber heute noch – besorgen?«

Charles las statt aller Antwort die Adresse – Miss Polly Whitbygolden cross – »soll richtig besorgt werden und zwar noch vor Tisch,« sagte er dann und legte den Brief in seinen Strohhut – »sonst noch etwas, Jean?«

»Ich danke, weiter nichts«, erwiederte der Matrose, und ging langsam nach dem Vorcastle, wo indessen die Miethleute des Boreas den Anker herauf bekommen [S. 106] hatten. Die Marssegel-Raaen stiegen in die Höhe, das große und Vorsegel fiel herunter und die Halsen wurden festgemacht – die Clüver und leichteren Segel folgten, und vor dem Wind schoß das flüchtige Schiff den Heads zu, zwischen denen hindurch sie schon die offene See erkennen konnten. Eine halbe Stunde später befanden sie sich zwischen den Heads – den beiden schroffen Felsbänken, die den Eingang des schönen Sydney-Hafens bilden, und auf deren südlichem Kamm der hohe treffliche Leuchtthurm steht.

Hier ging der Lootse mit den gemietheten Leuten von Bord; die Segel wurden etwas angebraßt, und mit einer herrlichen Brise hielt der Boreas mit Nordost Cours in die offene See hinaus.

Achtes Capitel.
Die Ausfahrt.

Der Boreas hatte die »Heads« des schönen Sydney-Hafens kaum hinter sich, als er, von einer scharfen Südbrise gefaßt, pfeilschnell durch die Wogen schoß. Die Raaen standen eben genug zu Backbord angebraßt, daß der Wind auch die Klüver füllen, und voll in alle [S. 107] Segel hineinstehen konnte, und noch war die Nachmittagswache nicht gesetzt als die leichteren Segel schon wieder nieder mußten.

Gegen Abend wurde der Wind immer stärker, und da das Schiff nicht so stark bemannt war, mit sehr viel Segeln in schlechtem Wetter rasch handthieren zu können, ließ der Capitän noch vor Dunkelwerden ein Reef in die Marssegel nehmen. Das Schiff loggte neun Knoten.

Von den letzt eingefangenen Leuten waren außerdem noch zwei auf der Krankenliste; der eine englische Matrose, Jack, der schon mit einem leichten Fieber an Bord gekommen, und der deutsche Matrose, Hans – derselbe der damals, bei der Flucht der anderen in Sydney an Bord geblieben. An demselben Morgen, an dem sie ausliefen, hatte diesen, beim Füttern, eines der Pferde an den Schenkel geschlagen, und obgleich ihm die Wunde vom zweiten Mate ziemlich gut verbunden war, schmerzte sie ihn doch noch sehr. Er konnte nicht auftreten, mußte also gleichfalls die Coje hüten.

Die ganze Mannschaft bestand außer diesen beiden und dem Capitän mit seinen beiden Mates nur noch aus zehn Personen, und zwar dem Steward und Zimmermann, dem Koch (einem Neger), aus drei Engländern, [S. 108] unseren alten bekannten Bill, Bob und Jim, zwei Franzosen, Jean und François, zwei Deutschen und einem Jungen.

Der Junge war ein Malaye und gehörte eigentlich, wenn das Schiff Passagiere führte, mit in die Cajüte, dem Steward und Koch als Hülfe, wurde aber jetzt, da er vorne nöthiger war, mit in das Vorcastel gethan und ging seine Wachen wie die anderen.

Auf der Starbords- oder Steuerbordswache (die erste) waren der Capitän mit dem zweiten Mate, der Steward, Bill, Jean, Hans und der junge François; auf der Backbord- oder zweiten Wache, der erste Mate mit dem Zimmermann, der auch zugleich mit Bootsmannsdienste verrichtete, mit Bob, Jack, Karl, Jim und dem Malayen.

Zu seiner vollen Besatzung hätte der Boreas die doppelte Mannschaft gebraucht, der Capitän war aber, wie die Sachen jetzt in Sydney standen, nur froh mit diesen fortgekommen zu sein und glaubte sich bis Indien in einem ziemlich günstigen Monsun auch wohl behelfen zu können. Bei günstigem Winde, und wenn das Schiff nicht zwischen vielen Inseln hindurch und aus engen Straßen hinauszukreuzen hat, wo die Mannschaft durch das ewige Wenden erschöpft und aufgerieben [S. 109] wird, kann man auch ein Schiff mit verhältnißmäßig sehr wenig Leuten vorwärts bringen.

Die Mannschaft saß unten im Logis oder Vorcastel (wie der vorderste Raum im Schiff genannt wird, wo die Matrosen gewöhnlich ihren Aufenthalt haben), beim »Schaffen.« Zwei große hölzerne Schüsseln oder besser Wannen, die eine mit einem gar verdächtig aussehenden Stück gesalzenem Speck und Rindfleisch, die andere mit hartem muldigem Schiffszwieback gefüllt, standen zwischen ihnen, und nebenbei dampfte eine riesige Blechkanne, aus der sich jeder, wie es ihm gut dünkte, seinen vor ihm stehenden Blechbecher mit dem allerdings etwas sehr dünnen und unschuldigen aber kochend heißen Getränk füllte.

»Da seid Ihr schuld daran, Gott verdamm mich,« brummte der Zimmermann, als er sich eben selber zu einer »Tasse Thee« half, wie dies Wasser schmeichelhafterweise genannt wurde – »ich glaube wahrhaftig sie wollen uns knapp halten, und nun muß ich das verfluchte Zeug mitsaufen. Koch, du schwarze Bestie, was hast du hier für eine Brühe zurecht gebraut? – ist das Aufwaschwasser da Thee – heh?«

»Kann nicht helfen, Massa,« sagte der Schwarze, der eben die Stiege heruntergekommen war und seine Pfeife in der kleinen, in der Mitte schwingenden Lampe [S. 110] angezündet hatte. Er zuckte dabei mit den Achseln und that als ob er selber sehr betrübt darüber sei; die großen rollenden Augen fuhren aber zu gleicher Zeit und mit unverkennbarem Humor im Kreis herum, und man sah es ihm an, daß es ihm nicht gerade das Schmerzlichste war, den Zimmermann über seinen Thee entrüstet zu finden. »Massa Steward« setzte er hinzu, »gibt nur ganz kleine Fingerspitzen voll Thee – meinte, wenn die Leute jetzt in den Minen wären, hätten sie auch keinen stärkeren Thee gehabt – wäre gerade recht.«

»Oho,« knurrte der Zimmermann – »wenn die Sache so gemeint ist, werde ich mir meine Theekanne künftig insbesondere halten. – Spaß ist Spaß – aber nach warm Wasser wird mir immer schlecht.«

Er stieß seinen Becher auf die Kiste nieder, auf der er gesessen, und kletterte ärgerlich und vor sich hinbrummend an Deck.

»Hallo, Doctor« (denn der Koch wird gewöhnlich auf den englischen und amerikanischen Schiffen mit diesem ihm auch wohlklingenden Titel belehnt), sagte jetzt, als der Zimmermann aus der Logiskappe verschwunden war, Bill, indem er mit seinem Messer ein Stück Speck aus der Schüssel stach, an die Nase hob und wieder hineinwarf – »shiver my timbers, [S. 111] wenn ich nicht glaube, die haben da hinten das alte Faß Speck wieder aufgeschlagen, was schon vor vier Wochen einmal condemnirt wurde. Wenn der Capitän oder Steward im Sinn haben uns hier, nachdem wir wieder in der Falle sitzen, auch noch auszuhungern, so weiß ich einen Fehler. Dann kenn' ich einen gewissen Bill Stumper, der sterbenskrank wird und sich in seine Koje legt, und so lange jeden Morgen mit dem größten Vergnügen eine Dosis Salz nimmt, als der Vorrath an Bord dieses braven Schiffes aushält – was doch hoffentlich nicht so entsetzlich lang dauern soll. Seine Segel kann er nachher allein herüber und hinüber brassen.«

Der Koch sah sich nach oben um, ob der Zimmermann auch nicht mehr in der Luke stand, und sagte dann leise:

»Massa Bill, Timor« (wie der malayische Junge nach der Insel von der er stammte), genannt wurde – »Timor hat gehört wie Capitän zu Steward sagte – alte Faß wieder aufzumachen und den Leuten zu geben – wollte Schufte schon zwiebeln, hat er gemeint.«

»So? – das nennt er also zwiebeln?« lachte Jean, »Alter, Alter, ein zu straff angespanntes Tau reißt leicht und – wir sind noch nicht in Calcutta.«

[S. 112] »Nur sehr gut ist, daß Zimmermann mittrinken und essen muß,« lachte der Doctor – »wird auch mit gezwiebelt, hi, hi, hi, für seinen guten Willen.«

»Ja; aber Hans kriegt ja auch nichts besseres,« sagte der andere Deutsche, »und der hat doch ebenfalls keinen Fuß in Sydney von Bord gesetzt.«

»Der hat aber nicht sagen wollen wo wir hin sind,« murrte Bill, »und deßhalb wird er natürlich mit uns über einen Kamm geschoren. Wenn wir nur den verdammten Zimmermann hier nicht mit unten in unserer Back hätten, ließe sich das alles aber schon machen. Im Zwischendeck liegt nur Heu und zwischen den Ballen durch kann man leicht nach der Vorrathskammer kommen – doch der Lump verriethe, glaub' ich, seinen eigenen Bruder, wenn er sich selber einen weißen Fuß dadurch machen könnte.«

»Steward ist der Schlimmste,« sagte der Doctor, aber noch leiser als vorher – »hat Massa Jean so auf dem Strich, weil ihn der 'mal durchgeprügelt hat – will's wieder gut machen.«

»Daß ich ihm nicht zum zweitenmal auf den Pelz komme,« brummte Jean zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch. – »Diesmal möcht's besser fördern – der Wille ist wenigstens da.«

[S. 113] »Brassen!« lautete des ersten Mate Stimme vom Quarterdeck herunter, und »Brassen« rief der Zimmermann auch in demselben Augenblick in die Back nieder – »Brassen, Boys – Donnerwetter, macht nicht so lange da unten; der Mate hat schon dreimal gerufen.«

»Schade, daß Massa Spahn nicht am Lügen erstickt,« lachte der Koch und sprang vorneweg die Leiter hinauf.

Bis acht Uhr Abends und zwar von Morgens fünf Uhr an, hatte er die Wache auf Deck, nach acht Glasen Abends aber war seine Wacht bis zum anderen Morgen zu Koje. Jetzt aber, da die beiden Leute krank, oder doch wenigstens zur Arbeit für einige Zeit unfähig waren, mußte er so lange des Capitäns Wache mithalten, und durfte dafür, um doch seinen gehörigen Schlaf zu bekommen, Nachmittags bis vier Uhr zu Koje gehen.

Die Raaen mußten vierkant gebraßt werden. Der Wind drehte mehr und mehr nach Westen herum, so daß er jetzt von hinten in den Segeln lag, und um 12 Uhr schon gingen sie über Backbord Bug mit halbem Wind, und es wehte ein fliegender Sturm. Der Boreas zischte vor dicht gereeften Vormars-, Sturm- und Vorstengenstagsegeln wie ein Pfeil durch [S. 114] die kochende schäumende Fluth. – Drei Tage lang dauerte der Sturm; vom Lande aber herüberwehend konnte keine so gewaltige See stehen, wie das der Fall gewesen, wäre er von der anderen Seite gekommen. Das Schiff brauchte deshalb auch nicht beizulegen, sondern lief mit ganz kleinen Segeln und nur weniger Unterbrechung fast seine 10 Miles die Stunde.

Am schlechtesten befanden sich die im Raum stehenden Pferde dabei, die, noch nicht an unruhige See gewöhnt, gleich vom ersten Anfang an in solch ein Unwetter hineinkamen. Zwei starben auch schon den dritten Morgen und eines hatte ein Hinterbein Nachts zwischen die Stangen bekommen und gebrochen, und mußte, da hier keine Möglichkeit war es zu heilen, mit den anderen beiden über Bord geworfen werden.

Das Füttern und Besorgen der Thiere geschah in den verschiedenen Wachen immer von denen, die gerade auf Wacht waren, und man kann sich denken daß die Leute, noch außerdem unfreundlich vom Capitän behandelt, eben nicht viel Lust zu einer Arbeit zeigten, welche Matrosen selbst unter den günstigsten Verhältnissen ungewohnt und zuwider ist.

Hierzu kam noch daß die Pferde, durch die starke Bewegung des Schiffs wie das dadurch unvermeidliche stete Hin- und Hergeworfenwerden, dann durch [S. 115] das Knarren der Balken, den Dunst, die Dunkelheit, wie alle die fremden Gestalten, wild und scheu gemacht und oft gar nicht zu bändigen waren und die Leute mehrmals nur mit genauer Noth der Gefahr entgingen, von den wüthend aushauenden Thieren Arm und Bein zerschlagen zu bekommen. In der That hatten auch schon fast Alle Quetschungen und Wunden wegbekommen. Selbst beim Wassergeben bissen ein Paar der boshaftesten nach denen, die ihnen den Eimer hinhielten, und Bill machte schon Vorschläge, wie man die sämmtlichen »Bestien,« wie er sie nannte, mit einemmale vergiften und loswerden könnte.

Der zweite Mate, ein ruhiger, ordentlicher Mann that sein Bestes die Leute zufrieden zu stellen, und da er auch den Proviant auszutheilen hatte, so versprach er ihnen schon gleich am zweiten Tag, daß sie bessere Provisionen haben sollten, »wenn ihm der Capitän und Steward nur erst nicht mehr so auf die Finger sähen.« Damit mußten sie sich aber für jetzt begnügen, denn für den Augenblick ließ sich darin noch nicht viel ändern. Der zweite Mate half auch, wo es irgend ging, mit im Raum bei den Pferden; weder Steward noch Zimmermann ließen sich dort aber nur ein einzigesmal blicken. – Sie hatten immer ungemein viel andere nothwendige Sachen in der Zeit gerade zu thun.

[S. 116]

Neuntes Capitel.
Hans.

Am vierten Tag ging der Wind wieder mehr nach Süden herum und wurde schwächer. Dadurch legte sich die See allerdings in etwas, der Boreas kam aber nun auch wieder platt vor den Wind und hiermit in so viel stärkere Bewegung. Nur in Ballast geladen, mit den Pferden im unteren Raum, das Heu in das Zwischendeck gestaut, und sogar noch mit einem Dutzend Wasserfässern oben an Deck, war er etwas kopfschwer geworden, und lief allerdings ziemlich ruhig, sobald er von dem mehr schräg einstehenden Winde auf einer besonderen Seite gehalten wurde. War das aber nicht mehr der Fall, so schlingerte[6] er so herüber und hinüber, daß die Raanocken manchmal fast die Wogen berührten. Es sah oft aus, als ob er sich im Leben nicht wieder aufrichten würde.

Den Pferden bekam dies noch schlechter als das Stampfen des Schiffes. – Noch an dem nämlichen [S. 117] Tage crepirte ein viertes, und zwei hatten sich die Brust, mit der sie fortwährend gegen die Querbalken geworfen wurden, vollkommen aufgescheuert.

Capitän Oilytt war wüthend darüber; er stieg selber in den unteren Raum hinunter, und als er den Zustand sah, in dem sich einige der Thiere befanden, fluchte und lärmte er auf eine entsetzliche Weise und schwur, er wolle den letzten Mann von der »Räuberbande«, die er jetzt an Bord habe, zu Tode – oder aus seiner Haut hinauspeitschen lassen, wenn auch noch einem seiner Thiere nur »das Fell geritzt würde.«

Capitän Oilytt hatte eine andere Tugend an sich – er trank. Nach dem Mittagstisch nahm er seinen »Verdauungstropfen«, wie er es nannte – ein Bierglas halb mit Brandy, halb mit heißem Wasser gefüllt und mit etwas Zitronensaft versetzt – er verschmähte Zucker. Dabei blieb es aber nicht. – Dem »Verdauungstropfen« folgte ein anderer und noch einer, bis sein Gesicht glühte und manchmal ordentlich Funken zu sprühen schien und in solchem Zustand sah er sich gewöhnlich nach ein wenig »Sport« oder Vergnügen, wie er meinte, um, und stieg auf Deck oder zu den Leuten hinunter. Gnade dann Gott dem, der ihm dort verkehrt in den Weg kam, oder Ursache zu Mißfallen gab. Er verschmähte es oft nicht, selber [S. 118] Hand anzulegen, und da er ein breitschultriger, schwerer Gesell und überdem Capitän des Schiffes war, also vor Gericht stets das Recht auf seiner Seite hatte, hüteten sich die Leute auch wohl, wo sie das nur irgend vermeiden konnten, mit ihm anzubinden, und gingen ihm lieber aus dem Wege.

Es war am achten Tag ihrer Ausfahrt von Sydney. Der Wind wehte ziemlich stetig aus SSO und der Boreas lief, jetzt einen Nord zu West Cours haltend, an der Küste Australiens vor einer herrlichen Brise hinauf. Der Capitän hoffte am nächsten Tag in Sicht der Riffe zu kommen, zwischen denen hinein er durch die Torresstraße seine Bahn suchen wollte.

Die Torresstraße ist jene, an Flächenraum ziemlich breite Straße, die im Süden von der nördlichen Küste Australiens, im Norden durch die große noch fast unbekannte Insel Neu-Guinea gebildet wird, aber dermaßen mit Inseln und Sandklippen überstreut und von Korallenriffen durchwachsen ist, daß die Passage, selbst bei günstigem Wetter, immer gefährlich bleibt und die größte Umsicht erfordert; bei stürmischem Wetter aber selten oder nie gewagt wird. Hierzu kommt daß gerade in dieser Gegend, vielleicht durch die vielen Inseln und die nahe so heiße australische Küste hervorgerufen, das Wetter höchst unbeständig [S. 119] ist, und Nebel und plötzliche Böen etwas sehr gewöhnliches sind, vor denen sich die Schiffer dann natürlich nicht genug hüten können.

Die Riffe selbst haben einen ebenso eigenthümlichen als gefährlichen Charakter. Sie bestehen einzig und allein aus Korallenfelsen; steigen aber nicht selten und besonders an diesem Theil der australischen Küste, über tausend Fuß steil und schroff, manchmal bis an die Oberfläche, manchmal diese nicht ganz erreichend, empor, nie aber so weit über dieselben emporragend, daß mehr als das Schäumen der auf ihnen überstürzenden Brandung sichtbar wäre, und dem Schiffer die Nähe seines gefährlichen Feindes verriethe. Hie und da nur lauscht zu Zeiten eine schwarze Felsspitze aus dem weißen Gischt des erregten Wassers empor, und kündet die Gränze irgend eines in einem schmalen Streifen vielleicht weit auszweigenden Riffs, während dicht davor, ja vielleicht selbst in dem Bogen den das eigentliche Riff umschließt, das ganz dunkelblaue Wasser die fast unergründliche Tiefe zeigt. An vielen Stellen ragen die Korallen bis zur Oberfläche empor, während dicht daneben und keine 20 Schritt davon entfernt, über 260 Faden, also 1560 Fuß, Tiefe sind.

Mit der australischen Küste von Süden nach Norden gleichlaufend, zieht sich nun eine förmliche Mauer [S. 120] dieser theils mehr, theils minder steil aufschießenden Riffe bis nach Neu-Guinea hinauf, und nur hie und da laufen schmale gewundene und natürlich höchst gefährliche Eingänge in diese Riffe hinein, an denen sich das Meer in seiner östlichen Strömung mit aller Kraft und Stärke bricht. In einigen Meilen Entfernung gesehen bieten sie dem Auge auch nichts als eine einzige, ununterbrochene Kette weißen Schaumes, die sich von Süden nach Norden in schneeiger, beweglicher Linie hinaufzieht, und erst dicht hinanfahrend entdeckt der Schiffer von seiner Vorbramraae aus hie und da einen schmalen dunklen Eingang, der zwischen den milchigen Massen hin auf die innere spiegelglatte und stille Fluth führt.

Macht aber wirklich das Schiff diesen schmalen Eingang, so ist immer noch nicht gesagt daß es darin auch weiter kann, daß dieser nämlich eine förmliche Durchfahrt in die tiefere innere Bay gestattet. Eine starke, gewöhnlich nach Nordwesten setzende Strömung droht ihm zugleich fortwährend in dem engen Fahrwasser, mit den nördlich von ihm liegenden Klippen, während er, dicht von Riffen eingeschlossen, sich vielleicht auf einer Tiefe befindet, in der seine beiden aneinander gesteckten Ketten nicht einmal Ankergrund erreichen würden.

Der Capitän war an dem Tage besonders mürrisch [S. 121] gewesen. Er hatte sich mit dem zweiten Steuermann, irgend einer Kleinigkeit in den Provisionen wegen, gezankt, oder diesen vielmehr einer Sache beschuldigt, die sich nachher als unwahr herausstellte, und aus Aerger darüber schien er mehr als seine gewöhnliche Zahl Verdauungstropfen zu sich nehmen zu wollen. Da fiel ihm aber möglicherweise ein, daß er an dem zweiten Mate doch vielleicht noch einen andern Haken finden könne, da dieser ja auch die Aufsicht über das Füttern und Halten der Pferde hatte. Er beschloß deshalb, einmal selber in den unteren Raum hinabzusteigen, und zu sehen wie sich seine Pferde befänden. Er rief den Steward, ihm mit einer Laterne zu folgen.

Jean stand am Ruder und Bill saß nicht weit davon auf dem Quarterdeck und besserte das dort ausgebreitete große Marssegel aus, das in der letzten Bö beschädigt worden war. Der zweite Mate, der bis jetzt daran mitgeholfen hatte, stand auf und ging nach vorn.

Hans und François, die beiden übrigen auf Wache, waren gerade im unteren Raum mit dem Füttern und Tränken der Thiere beschäftigt. Hans hatte sich wieder so weit erholt, daß er wenigstens herumhinken und die nothwendigsten Arbeiten mit verrichten konnte. [S. 122] Auch Jack war besser geworden, lag aber immer noch, zu schwach irgend etwas anzugreifen, zu Koje.

»Na, heut' Nachmittag wird's wieder was Schönes setzen«, meinte Jean mit halblauter Stimme zu Bill, der nicht weit von ihm saß, und nachdem er erst einen vorsichtigen Blick über Deck geworfen. – Der Mann am Ruder darf mit niemandem sprechen und von niemandem angeredet werden, damit er seine Aufmerksamkeit ungetheilt Compaß und Segeln zuwenden kann; »der Alte ist in vortrefflicher Laune, und wenn er erst noch ein paar »Tropfen« weggestaut hat, giebt's aller Wahrscheinlichkeit nach einen Wolkenbruch. Sollte mich gar nicht wundern, wenn er unten schon anfinge. – Dort hat er aber niemanden. François versteht nicht was er sagt wenn er schimpft, und Hans mukst nicht, und wenn er dem das Leder vollschlüge.«

»Das laß gut sein,« meinte Bill kopfschüttelnd, »Hans läßt viel mit sich machen; wenn es aber zum Aeußersten kommt, traut' ich ihm gerade weniger als jedem anderen. Er hat was im Auge was mir nicht gefällt, und muß seine ganz besonderen Gründe gehabt haben, in Sydney nicht mit fortzulaufen, denn aus Feigheit ist es wahrhaftig nicht geschehen.«

»Er hat Frau und Kind zu Haus,« entgegnete ihm Jean, »das wird der Grund gewesen sein.«

[S. 123] »Fällt ihm nicht ein,« meinte Bill kopfschüttelnd, »der hat so wenig eine Frau zu Haus wie ich und du. Nein, ich will dir sagen was er mir geantwortet hat, als ich ihn deshalb fragte – er meinte er hätte dem Capitän sein Ehrenwort gegeben an Bord zu bleiben, und das könne er nicht brechen.«

»Den Teufel auch?« rief Jean rasch und erstaunt – »das hätt ich Hans gar nicht zugetraut. – Es ist überhaupt ein sonderbarer Kauz, und so wenig er damit ausläßt, spricht er doch jedenfalls auch französisch. – Er versteht wenigstens alles, obgleich ich ihn nie zum Antworten bringen kann. Er weicht dann immer aus und meint die Zunge sei ihm zu schwer dazu. Ich glaub's aber nicht.«

»Manchmal kommt's mir vor als ob er gar kein Deutscher wäre,« sagte Bill. »Obgleich er sonst nur ganz gebrochen englisch spricht, sind ihm doch schon ein paarmal Worte herausgefahren, die mich ganz stutzig machten, und im Schlaf neulich will ich verdammt sein, wenn er nicht den einen Satz so rein englisch herausbrachte wie nur je Einer an den alten Kreideküsten Geborner. Nachher kam freilich eine Menge Kauderwälsch dazwischen das ich nicht verstand, wahrscheinlich »dutch.« – Hallo, da unten gehts los – hörst du's Jean?«

[S. 124] »Ich hab's mir vorneherein gedacht,« sagte dieser gleichgültig. – »Daß er dem Mate nichts anhaben konnte, war dem alten Höllenhund schon ein Dorn im Fleisch, und jetzt hat er denn richtig so lange herumgesucht, bis er sich ein anderes Vergnügen herausstöbern konnte.«

»Hm!« sagte Bill, »da unten ist's laut – hallo, da kommt der Alte zu Luft – Donnerwetter, was er für einen rothen Kopf hat – wahrhaftig ich glaube er blutet. Na jetzt werden wir was Neues hören,« und mit unendlichem Fleiß, als ob er bis dahin gar nicht von seiner Arbeit aufgesehen, machte er sich wieder über das alte, von Wetter und Zeit schon arg mitgenommene Marssegel her.

Im Raum war es indessen allerdings bunt hergegangen. Als der Capitän hinunter kam, standen Hans und François eben und tränkten die Pferde, von denen einige immer noch ungern aus dem Eimer soffen. Sie schnoperten und scharrten und schnaubten, stießen mit der Nase nach dem Eimer, oder versuchten auch wohl mit einem Vorhuf hineinzufühlen, wie sie einen schwanken Steg oder zu weichen Boden erst versuchen würden, ob er auch stark und sicher genug wäre sie zu halten.

Es war natürlich sehr dunkel im unteren Raum, [S. 125] denn das wenige Licht was durch die schmalen Luken fiel, wurde fast total durch die beiden Windfänge gebrochen und aufgehalten, die von oben herunter niedergelassen sein mußten, den Dunst der Pferde, der sonst nirgends Abzug hatte, hinauszutreiben und reine Luft hinabzuführen. Die Hitze war dadurch auch in der That sehr gemäßigt worden, und wenn man sich erst einmal eine kurze Zeit unten befand, gewöhnte sich das Auge eher an die Dunkelheit und konnte die Gegenstände, gegen die der eben Niedersteigende wie erblindet war, leichter unterscheiden.

Als der Capitän hinunterkam, stolperte er gleich bei den ersten Schritten über eine dort lehnende Mistgabel, mit der die Leute die Streu etwas aufgelockert und die trockene von der feuchten geschieden hatten. Der Steward, der mit der Laterne hinter ihm herkam, half ihm natürlich wenig oder gar nichts mit seinem Licht, und das erste was die beiden Leute unten von der Gegenwart ihres Capitäns erfuhren, war ein entsetzliches Schwören und Fluchen über die erstlich, die in ihrer »verdammten Nachlässigkeit« das Werkzeug dort hatten stehen lassen, und dann über die ganze »nichtsnutzige, diebische, strickwerthe« u. s. w. Schiffsmannschaft.

»Parbleu,« sagte François leise auf französisch zu [S. 126] Hans – denn die beiden sprachen einem Verständniß gemäß, das sie unter sich getroffen, der eine sein Französisch und der andere sein Deutsch, womit sie vollkommen gut auskamen – »der Alte ist heut' in einer besonders rosenfarbenen Laune. – Ich gäb' 'was darum wenn er dem Fuchs da drüben ein bischen nahe käme. Er und der würden's dann bald zusammen kriegen.«

Der Fuchs, von dem François sprach, war das bösartigste Thier im ganzen Schiff, und Hans der einzige der ihm selbst Wasser oder Futter geben durfte. Sobald sich nur ein anderer der Leute ihm näherte, und er nur eben glaubte, sie mit seinen Zähnen erreichen zu können, fuhr er wie ein Tiger aus seiner Höhle zwischen den beiden Querbalken mit dem Kopfe durch, und Gnade Gott dann allem was er erwischte. Die übrigen Pferde hatten sich schon etwas mehr in die Umstände gefügt, obgleich sie trotzdem noch immer gern nacheinander bissen und schlugen.

»Was gutes hat er nicht im Sinn, wenn er Nachmittags hier herunterkommt,« erwiederte Hans, mehr jedoch mit sich selber redend als auf die Bemerkung des Anderen antwortend. – »Komm hier, Schwarzer,« rief er dann laut gegen das Pferd gewandt, an dem er gerade stand, und das nach dem jetzt näher kommenden Licht der Laterne hinüberschnoperte. Es [S. 127] trat ängstlich dabei so weit zurück, als es ihm das etwas kurze Seil, an dem sein festes Halfter saß, erlaubte – »komm hier, Bursche – es thut dir niemand 'was – hier – sauf dein Wasser, daß die anderen auch 'was kriegen – Steward! haltet ihm die Laterne nicht so vor die Nase,« wandte er sich jetzt aber rasch gegen diesen, der indessen mit dem Capitän ganz nahe getreten war und das Licht so hoch als möglich hielt, um selber darunter wegsehen zu können – »es scheut vor dem ungewohnten Strahl und wird das Halfter am Ende zerreißen.«

Der Steward senkte das Licht und wollte zurücktreten, der Capitän hatte aber in demselben Augenblick auch eine Schramme am Hals des Pferdes bemerkt – eine Stelle, wo es das Seil ein wenig wund gescheuert hatte und die jetzt, da es mit dem ganzen Gewicht seines Körpers nach hinten zog, frei kam und sichtbar wurde.

»Halt, Steward – gieb mir einmal die Laterne,« sagte er rasch – »Gott verdamme mich, wenn sie mir hier unten die Thiere nicht zu Tode schinden, falls ich nicht selber dann und wann darnach sehe. – Woh Poney – woh mein Thier – come up here, you damned son of a bitchcome up herew-o-h – daß dich die Pest!«

[S. 128] Das Pferd durch das ihm dicht vorgehaltene Licht und die fremden Laute scheu und furchtsam gemacht – drängte nur immer mehr zurück, schnürte sich fast die Kehle zu, daß ihm die Augen weit aus dem Kopf traten, sprengte endlich, als der Capitän mit dem letzten, »daß dich die Pest« den Arm mit der Laterne rasch und heftig gegen es in die Höhe stieß, das Halfterseil, und stürzte auf seinen Hintertheil zurück gegen die Schiffswand. Allerdings war es noch mit einem anderen Nothtau um den Hals befestigt und festgehangen, dieses aber länger als das andere, so daß es ihm mehr Raum gab. Als es deshalb wieder in die Höhe sprang, drückte es mit aller Kraft hinter die ihm zunächst stehenden Thiere hinein, die, durch den ganzen Lärm und die ungewohnten heftigen Stimmen ebenfalls scheu gemacht, ausschlugen und wieherten und stampften, und einen Lärm machten als ob sie das ganze Unterdeck aus einander reißen wollten.

Die Verwirrung hatte ihren Höhepunkt aber noch lange nicht erreicht. Das einzige Pferd nämlich, was sich bis jetzt bei der ganzen Sache vollkommen ruhig verhalten, ja nicht ein Glied gerührt, und nur vorsichtig gebückt mit zurückgezogenem Kopf, aber lebhaft und tückisch blitzenden Augen dagestanden hatte, war eben der Fuchs gewesen, von dem François vorher [S. 129] gesprochen, und der geduldig ein Opfer für seinen nächsten Angriff zu erwarten schien. Der Steward war ihm der nächste. Dieser stand, nicht das mindeste von der ihm im Rücken drohenden Gefahr ahnend, mit der ihm vom Capitän wieder zugereichten Laterne mitten in dem Gang, der zwischen den beiden Reihen Pferden gelassen worden. Der aber war nicht drei Schritt von der Stelle ab, wo der Fuchs, mit fest zusammengebissenen Zähnen, gierig auf die nächste Bewegung seiner ausersehenen Beute lauerte.

Die sollte auch nicht lange auf sich warten lassen. Der Capitän bedeutete den Steward mit dem Licht nach hinten zu gehen, daß die Thiere sich wieder beruhigen möchten. Dieser wollte auch eben dem Befehl Folge leisten, hatte aber kaum seinen zweiten Schritt gethan, als er einen lauten Angst- und Schmerzensschrei ausstieß und die Laterne fallen ließ. Der Fuchs war nämlich ohne weitere Warnung mit dem Kopf durch seine beiden Querbalken hingefahren, und den Mann gerade über der Hüfte packend, hielt er ihm hier Hose und Fleisch, ingrimmig zwischen seinen scharfen ehernen Zähnen eingeklemmt; an Losreißen war nicht zu denken.

»Pfui, Fuchs, schäm dich!« rief Hans, der wegen seines kranken Beines nicht gleich so schnell hinüber [S. 130] konnte, den Gefangenen zu befreien. Fuchs aber, obgleich er sonst gewöhnlich auf seines Fütterers Wort hörte, schämte sich diesmal nicht, und ließ den jetzt Zeter und Mord Brüllenden auch nicht eher los, bis der Capitän zusprang, ihn zu befreien; dann geschah es aber auch nur, um nach dem neuen Opfer zu schnappen. An diesem hafteten jedoch seine Zähne diesmal nicht, denn er stieß ihn so heftig mit dem Maul gegen den Leib, daß er zurücktaumelte und mit dem Kopf an den gegenüberstehenden Pfosten schlug.

Als er sich wieder in die Höhe richtete, wollte der Fuchs seinen Angriff erneuern, jetzt sprang aber Hans dazwischen und trieb das freudig und fast höhnisch wiehernde Thier in seine Gränzen zurück. Der Steward aber kroch indessen wie eine Schlange in dem schmalen Gang hin und hielt nicht eher an, bis er die Leiter halb hinauf war. Dort blieb er stehen und schrie nun zurück, »das sei eine schändliche Gemeinheit, denn er habe selber gesehen wie Hans das Thier auf ihn gehetzt hätte.«

»Tropf,« war das einzige was Hans, halb lachend, halb verächtlich auf die Anschuldigung erwiederte, und er wandte sich dabei wieder nach dem Rappen um, diesen aufs neue festzumachen, und die anderen Thiere zu beruhigen und zu tränken. So leichten Kaufs sollte [S. 131] er aber bei dem Capitän nicht davonkommen, denn Capitän Oilytt, durch Rum, Aerger und den letzten Fall zu wahrer Wuth gebracht, schäumte fast vor innerlich kochendem Grimm und suchte nur noch ein Opfer, an dem er ihn auslassen konnte.

François merkte das, und drückte sich aus dem Weg, und auch Hans fühlte, wie der Capitän nur eine Ursache suche mit ihm anzubinden; that aber als ob er entweder nichts merke oder sich nur wenig um die Sache bekümmere. Den ersten allgemeinen Ausbruch des Gereizten oder eigentlich sich selber erst Aufreizenden: »Ihr verdammten Hallunken hier unten macht was Ihr wollt mit den Thieren, und ich muß Euch nur erst einmal die Katze zu fühlen geben,« ließ er deshalb auch unbeantwortet, und machte sich mit dem Rappen zu schaffen, den er durch Zureden so weit vorn an die Stange zu bringen versuchte, daß er ihm das Halfterseil wieder anknoten konnte.

»You, Sir, there,« rief aber der Capitän, »ich spreche mit Euch – Gott verdamme es, wollt Ihr wohl so gut sein und mir Antwort geben wenn ich mit Euch rede? – Was ist das hier für eine Wirtschaft unten? – Ueberall liegt das Geschirr herum, daß man Hals und Beine darüber bricht – die Pferde sind wund gescheuert und liederlich angebunden, daß [S. 132] sie sich einander zu Schanden schlagen müssen – damn it to hell and damnation, ich will darin Ordnung sehen, oder ich lasse Euch alle mit einander krumm schließen und abpeitschen.«

Hans zuckte zusammen, als ob er schon einen Schlag empfangen hätte, und hielt einen Moment, wie unschlüssig was er thun solle, in seinen Bewegungen ein. – Was ihm aber auch für Gedanken im Kopfe herum gegangen waren, seine Vernunft siegte.

»Geduld – Geduld,« murmelte er leise, wie eine Art Beschwörungsformel vor sich hin, und griff eine andere, neben ihm liegende Mistgabel auf, um das den Pferden kurz vorher gegebene und jetzt umhergestreute Heu wieder zusammenzuschieben. Der Capitän mochte aber wohl die leise geflüsterten Worte gehört haben, denn er sprang rasch auf den Mann zu, faßte ihn am Kragen und rief wüthend:

»Was murmelt der Hund – willst du auch noch gegen mich knurren? Einen Muks noch, Canaille, und ich schlage dir den tückischen Schädel bis in den Kragen hinunter!« Und er riß bei den Worten dem, nicht den mindesten Widerstand Leistenden die Mistgabel aus der Hand und hob sie drohend, wie zum Schlag in die Höhe.

Hans sagte kein Wort, er drehte sich nur halb [S. 133] nach ihm um und sah ihm starr ins Gesicht – er war todtenbleich geworden, und das kranke Bein, auf dem er zu lange gestanden, fing ihn plötzlich so an zu schmerzen, daß er sich an dem nächsten Pfeiler halten mußte.

»Faule, schuftige Bande,« schrie jetzt der Capitän in fast trunkener Wuth, ohne jedoch zuzuschlagen, denn der Mann stand ihm, ohne eine Hand aufzuheben, gegenüber – »die das Brod nicht verdienen, was sie ihrem Herrgott abstehlen. Nun, zum Donnerwetter, was steht der Lump da und hat Maulaffen feil – Wird's bald, und kriegen die Pferde heute noch etwas zu saufen.«

Hans wandte sich um, als er aber auf sein Bein trat, knickte er zusammen und konnte sich nur mit Mühe aufrichten, suchte aber doch mit äußerster Anstrengung seinen Schmerz zu verbeißen. Er hatte dabei die Laterne umgestoßen, die neben ihm stand, nahm sie aber gleich wieder in die Höh und hing sie in einen dazu bestimmten Haken.

»Ungeschicktes Vieh,« sagte da der Capitän, und stieß ihm, noch während er damit beschäftigt war, den Stiel der Gabel gegen den Nacken.

»Capitän!« knirrschte aber auch in diesem Augenblick der Gemißhandelte zwischen den fest zusammengebissenen [S. 134] Zähnen hindurch – »ich habe meine Schuldigkeit, so viel in meinen Kräften stand, gethan, und keine Mißhandlung verdient!«

»Bestie!« schrie jetzt ordentlich jauchzend, daß er eine gegründete Ursache gegen einen Widersetzlichen hatte, der Capitän, und drehte die Gabel in der Hand um, daß er das schwere Eisen nach oben schwang – »willst du muksen?« und im nächsten Moment fuhr das Instrument sausend nach dem Kopfe des Matrosen – aber es traf nur den Pfosten, und während die Pferde wieder in wilder Scheu zurückschreckten und stampften, schlugen und an den Tauen rissen, griff eine eiserne Faust des Capitäns Kehle, und ein schwerer Schlag schmetterte ihn zu Boden.

Zehntes Capitel.
Die unterbrochene Execution.

Eine Stunde etwa nach den im letzten Capitel beschriebenen Vorgängen lag der Capitän, mit Essigumschlägen über den Kopf, in seinem Bett in der Cajüte, und der deutsche Matrose Hans schwer in Eisen geschlossen in einer kleinen Art von Behälter des untersten [S. 135] Raumes dicht neben dem Steuer, zwischen zwei dort angebrachten eisernen Wasserreservoiren. Der Capitän hatte sich seine Bestrafung auf den andern Tag vorbehalten und wollte, wie er gemeint, ein exemplarisches Beispiel statuiren. – Er hatte mit dem ersten Mate eine lange Besprechung darüber gehabt.

Der Steward lag übrigens auch in seiner Koje, der Leib war ihm, wo ihn das Pferd gepackt gehabt, bös aufgeschwollen und er wimmerte und lamentirte vor Schmerzen. Mit Jack ging es ebenfalls nicht besser – er hatte den Abend wieder starkes Fieber und konnte nicht an Aufstehen denken. Des Capitäns Wache war dadurch so eingeschmolzen daß der Koch mit dazu genommen werden mußte, obgleich er sich keineswegs, wie er sich ausdrückte, ein »Vergnügen daraus mache.«

Es herrschte übrigens ein dumpfes Schweigen unter der Mannschaft. Hans war seines stillen anspruchslosen Wesens wegen von Allen gern gesehen; dabei gab es keinen tüchtigeren Matrosen an Bord als ihn, und François' Erzählung, der ja Zeuge des Vorfalls im unteren Raum gewesen, diente gerade nicht dazu sie gegen den Capitän günstiger zu stimmen. Nichts destoweniger hatte er Hand an seinen Vorgesetzten gelegt, und die angeborene, fast möchte ich sagen [S. 136] Scheu, die in dieser Hinsicht in den Leuten steckte, ließ sie auch von seiner Bestrafung – wie er immer gereizt gewesen sein mochte – als von einer Sache sprechen die sich von selbst verstände, und durch Nichts geändert werden könne.

»Der Teufel muß heute in Hans gefahren sein« meinte Jack, als die Leute nach eben eingenommenem Abendessen noch auf ihren Kisten, und um die hölzernen Schüsseln herum, im Logis saßen, »das hätt' ich ihm gar nicht zugetraut, daß er so hitzig werden könnte.«

»Ich hab' Dir's gestern wohl gesagt« lachte Bill – »s'ist mir schon ein paar Mal so vorgekommen, als ob der kleine dutchman vom richtigen Stoff wäre und nur einen mittelmäßigen Stahl brauche vortreffliches Feuer zu geben. Schade daß er den alten betrunkenen Schuft nicht gleich todtgeschlagen hat, dann wären wir ihn auf einmal los« – er sah sich dabei um, ob ihn auch der Zimmermann nicht gehört habe, doch der war schon an Deck.

»Schade für uns, aber nicht für ihn« meinte Jean nachdenkend – »dem armen Teufel wird's so schlecht genug gehen. – Ich möchte morgen früh nicht in seiner Haut stecken.«

»Sie können ihm doch weiter nichts thun als daß sie ihn in Eisen lassen,« sagte Carl rasch, »das ist für [S. 137] jetzt Strafe genug, und nachher mögen sie ihn den Gerichten übergeben. Auf dem festen Land wird er nicht so schwer abkommen wie an Bord.«

»Das kommt aufs Wetter an« meinte Bill trocken, und schob sich ein tüchtiges Primchen in den Mund, den er sich vorher mit einem halben Kumpen Thee ausgespült hatte.

»Auf's Wetter?« sagte Bob – »wie soll das auf's Wetter ankommen – wohl die Laune vom Alten.«

»Ich meine das Wetter,« behauptete Bill – »nach Recht und Gesetz weiß ich nicht einmal ob er ihn schlagen kann. Wird aber das Wetter morgen unbeständig, und es sieht heute gerade so aus als ob wir vor dem alten miserabeln Riffnest Gott weiß wie lange herumkreuzen müssten, dann kann ihn der Alte, so schwach wie wir jetzt bemannt sind, gar nicht in Eisen lassen, oder er muß erwarten daß ihm einmal über Nacht ein Viertel Dutzend Masten über Bord gehen. Nachher heißts »wieder auf Deck« und daß er ihn dann nicht so ohne alle Strafe frei herum laufen läßt, ich dächte dazu kenntet Ihr doch unseren Alten ein klein Bischen zu gut.«

»Er darf ihn doch nicht schlagen lassen!« rief Carl entrüstet.

[S. 138] »Darf nicht?« lächelte Bill verächtlich – »ich möchte sehen wer ihn daran verhindern wollte. – Wenn wir's thäten, wär's weiter nichts als »Seeräuberei« von unserer Seite – »Rebellion und Aufruhr« und wie die schönen Worte sonst noch alle heißen, nach denen man eines ehrlichen Menschen Hals so lang zieht, daß er bis an die nächste Raanocke reicht. Und wollte ihn Hans nachher verklagen wenn wir an Land kommen, so möchte ich drei Monat Lohn gegen einen Priem Taback wetten, daß der Capitän Recht bekommt und der Kläger, – wenn sie ihn nicht gar noch einmal einstecken – höchstens den Verweis bekommt, sich in Zukunft besser zu betragen. Das nennen sie nachher Gerechtigkeit.«

»Ich hebe keine Hand gegen ihn auf,« betheuerte Carl, »wenn sie mich krumm und lahm schließen lassen.«

»Wirst du auch gar nicht 'zu kommen,« meinte Bill – »das ist des Bootsmanns Sache, und da »Spahn« jetzt überhaupt hier an Bord den Bootsmann spielt, so wird der also auch wohl die kleinen Nebengeschäfte zu besorgen haben. Doch hoffentlich bekommen wir besser Wetter, und dann macht sich vielleicht noch Alles.«

»Ich glaube auch nicht daß ihn der Capitän wird wirklich peitschen lassen,« tröstete sich Jean, – »er [S. 139] mag wohl den Teufel im Kopf haben wenn er die »Tropfen« im Magen spürt – aber Morgens ist er ja sonst immer still und ruhig, und flucht nicht einmal besonders viel.«

»Trau du dem Morgens,« brummte Bob hier aus seiner Ecke vor, »ich hab' ihn einmal Morgens bei solchem Geschäft gesehen, und verlang es nicht wieder.«

Bob war, außer Hans, der einzige von der ganzen Mannschaft, der schon früher einmal eine Reise mit dem Capitän in ein und demselben Schiffe gemacht; aber man hatte ihn bis jetzt nie dazu bringen können auch nur das mindeste darüber zu erzählen. Desto gespannter drehten sich jetzt Alle gegen ihn um, weil sie glaubten er würde ihnen nun das, worauf er anspielte, zum Besten geben. Bob aber, der vielleicht fürchten mochte daß er dazu gedrängt würde, stand auf, zündete seine Pfeife an, und stieg auf Deck, und da der Zimmermann gleich nach ihm herunter kam, hörte jede weitere derartige Unterredung von selber auf.

Der Gefangene bekam von dem zweiten Mate Wasser und einen Schiffszwieback, auf des Capitäns Ordre hinuntergebracht – auf seine eigene fügte er aber ein Stück Fleisch und ein Fläschchen mit Rum bei, und sprach dem armen Teufel Muth ein: er [S. 140] solle nicht das Schlimmste glauben; es würde noch Alles gut gehen?«

»Gut gehen?« lachte Hans leise und bitter vor sich hin, nachdem er dem Mate, der mit der Laterne neben ihm stand, freundlich zugenickt – »gut gehn? – was der Capitän thun kann daß mir's schlecht geht, thut er gewiß, darauf könnt Ihr Euch verlassen, und er hat jetzt die Macht in Händen. – Das Blatt hat sich gewendet.«

»Das Blatt hat sich gewendet?« wiederholte der Mate verwundert – »wie meint Ihr das?«

»Oder es wendet sich vielleicht wollte ich sagen« erwiederte der Matrose und that einen kräftigen Zug aus der ihm dargereichten Flasche. – »Ich spreche schlechtes englisch Mate, und Ihr dürft bei mir die Worte nicht so auf die Wagschaale legen.«

»Donnerwetter Mann, Ihr sprecht heute Abend ein recht gutes Englisch, besser wie ich's noch je von Euch gehört habe – Ihr müßt schnell lernen.«

»Wenn man den ganzen Tag weiter Nichts hört,« meinte der Gefangene, »bleibt einem ein Bischen hängen, und andere Menschen lernen's ja, warum soll gerade mein Kopf von Holz sein.«

»Nun, laßt's Euch schmecken,« sagte der Mate, »und wenn Ihr das Fläschchen leer habt, steckt's hier [S. 141] in die Ecke, zwischen die beiden Balken hinein. Der Lump der Steward könnte wieder aufstehn und herunter kommen und wenn der's ausschnoperte, wüßte es der Capitän auch schon in den nächsten fünf Minuten.«

»Ist denn der Steward krank?« frug Hans erstaunt – »was fehlt ihm?«

»Alle Wetter, Ihr waret doch selbst mit unten und sollt ja das Pferd gerade auf ihn gehetzt haben, was ihn gebissen hat,« lachte der Mate leise.

»Oh, hat Ihn der Fuchs so derb gepackt gehabt« meinte Hans, kopfschüttelnd, »hm, hm – ja, Pferde beißen scharf, wenn sie einmal richtig zufassen – liegt er denn zu Bett?«

»Ja – aber ich kann jetzt auch nicht länger unten bleiben, ich habe die Wache an Deck, – also gute Nacht Hans« – und damit nahm er seine Laterne wieder in die Hand, und stieg die Leiter in die Höh, und Hans blieb im Dunkeln allein.

Am nächsten Morgen war der Wind ziemlich schläfrig geworden; das Schiff machte nur wenig Fortgang. Am vorigen Tag hatten sie dabei gar keine Observation bekommen, und auch heute verdunkelte sich gegen Mittag die Sonne. Der Logrechnung nach mußten sie allerdings dem südlichen Eingang der Riffe ziemlich nahe, d. h. fast auf einer Breite mit [S. 142] ihm sein. Wie aber der Wind jetzt stand, wäre es gefährlich gewesen zu nah an die Klippen anzulaufen, denn die Strömung setzte in dieser Jahreszeit stark dagegen. Befiel sie vor dem Eingang Windstille, so war die größte Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß sie gegen die Riffe getrieben werden mußten. Außerdem konnten sie dabei unter keiner Bedingung vor Anker gehen – mit ihrer längsten Lothleine hätten sie, dicht vor den Riffen, keinen Grund gefunden.

Der Morgen war so vorüber gegangen, ohne daß der Capitän auch nur ein Wort über den Gefangenen erwähnt hätte. Erst mit sechs Glasen (drei Uhr) gab er dem zweiten Mate den Befehl Hans an Deck zu bringen. In Süd-Westen stieg eine dichte Wolkenschicht auf, und es war jede Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß sie eine häßliche Nacht bekommen würden.

Hans war todtenbleich als er das Deck erreichte, aber vollkommen ruhig. – Er stieg durch die hintere Luke vor dem Mate die Zwischendeckstreppe hinauf, und blieb, auf ein Zeichen desselben, an der Nagelbank des großen Mastes stehen. – Hier aber, ob ihn sein Bein vielleicht noch schmerzte, oder er sich durch die Aufregung, in der er sich jedenfalls befand, erschöpft fühlte, aber er lehnte sich halb auf das neben ihm stehende Fleischfaß, und erwartete dort die Ankunft [S. 143] des Capitäns, der gleich darauf über das Quarterdeck herüber auf ihn zu kam.

Capitän Oilytt sah gerade das Gegentheil von Hans aus – er war glühend roth im Gesicht, und über der Stirn saß ihm ein breites und langes schwarzes Pflaster. Es war dieselbe Stelle, auf die ihn der jetzt in Eisen Geschlossene gestern getroffen. Seine Augen hafteten aber nur für kurze Zeit auf dem Gefangenen, der seinem Blick fest begegnete – er schaute unruhig über sein Schiff hinweg, nach den Segeln hinauf, nach den Wolken hinüber und befahl dann dem zweiten Mate mit heiserer fast nur halblauter Stimme all hands on deck zu rufen und aufs Quarterdeck zu bringen.

Die Leute kamen still und schweigend an und sammelten sich um Hans, Keiner aber, außer dem Zimmermann, ohne ihm nicht halb verstohlen und freundlich zuzunicken.

Um des Gefangenen Züge spielte ein leises schmerzliches Lächeln, – aber sein Blick suchte wieder die im Süd-Westen aufsteigenden Wolken, die er in den letzten Minuten schon aufmerksam betrachtet hatte. Wie unruhig schaute er dann nach dem Oberbramsegel hinauf. Bill, der neben ihm stand hatte den Blick gesehen und sagte leise:

[S. 144] »Du hast recht Hans, wir kriegen heut Abend faul Wetter und wenn der Alte nicht bald Segel« –

Des Capitäns Stimme unterbrach ihn hier. – Dieser war bis dicht an die dünne eiserne Railing getreten, die das Quarterdeck, das halb aus dem unteren Raum emporragte, von dem Mitteldeck trennte, und redete jetzt die Mannschaft mit lauter aber doch nicht fest klingender Stimme an:

»Leute – wie Ihr wohl wissen werdet, so hat gestern der deutsche Matrose da – könnt Ihr nicht aufrecht stehn, Sir, wenn man zu Euch spricht? – heh?« – Hans versuchte sich aufzurichten, mußte sich aber immer noch festhalten und suchte sich jetzt mit dem gesunden Beine gegen das Faß zu stützen.

»Sein Bein thut ihm noch weh,« sagte der zweite Mate leise zum Capitän, hinter dem er stand. –

»Sein Bein soll verdammt sein,« erwiederte dieser barsch und laut, »übrigens hab ich Euch nicht gefragt Sir, daß Ihr Euch hier das Wort erlaubt.« –

»Ich meinte nur.«

»Ihr habt Nichts zu meinen, Ruhe Sir – Gott verdamme mich, ich will Ordnung hier an Bord haben, oder mit Schiff und Mannschaft zu Grunde gehn – und Gnade Gott allen denen, über die ich vorher noch weg muß. – Also wie ich Euch sagte, Leute, so hat [S. 145] gestern der deutsche Matrose, sich erst im Raum unten, als ich ihn wegen Unordnung und Liederlichkeit zurecht wieß, mit Worten gegen mich vergangen, und zuletzt sogar einen mörderischen Angriff auf mich gewagt, bei dem er mich, von der Dunkelheit des unteren Raumes und der Lokalität begünstigt, mit irgend einem schweren Instrument oder Gegenstand vor den Kopf traf und zu Boden warf.«

»Ich hätte meinen Hals verwettet,« flüsterte Bill dem neben ihm stehenden Jean zu, »daß er's akkurat so herausbringen würde. – Ein Advokat hätt's nicht besser machen können.«

»Dem Gesetz nach könnte ich ihn nun bis Indien« – fuhr der Capitän fort, »schwer geschlossen im unteren Raume lassen. Da wir aber überdies schwach bemannt und einige von uns noch dazu krank sind, so dürfte ich das jetzt kaum mit der Sicherheit des Schiffes verantworten können. Ganz ohne Strafe soll er aber natürlich, bis ich ihn in Calcutta den Gerichten übergeben kann, nicht wegkommen, und der Bootsmann wird ihm deshalb hier vor Euren Augen funfzig Hiebe aufzählen – als Warnung für jeden Einzelnen unter Euch für die Zukunft. Ihr habt mir in Sydney Aerger und Kosten genug gemacht, und ich will mir hier an Bord wenigstens nicht länger von [S. 146] Euch auf der Nase herumspielen lassen, oder mich gar Euren mörderischen Angriffen aussetzen. Bootsmann – thut Eure Schuldigkeit.«

Er wandte sich um als ob er nach hinten gehen wollte. Des Gefangenen Stimme hielt ihn da zurück; er blieb mitten im Gange stehen, drehte sich aber nur halb nach diesem wieder um.

»Capitän,« sagte Hans, dem die Worte kaum aus dem Mund wollten, so erstickte die innere fürchterliche Aufregung seine Stimme. Er sprach auch sehr langsam, wie er immer that wenn er sich des Englischen bediente. – »Capitän – in Sydney haben fast alle Euer Schiff verlassen, nur ich nicht, weil ich Euch mein Wort gegeben hatte zu bleiben.«

»Du bist geblieben, Schuft, weil ich den Lohn von voriger Reise für dich in Händen hatte,« lachte der Capitän und drehte sich wieder ab – »nicht wegen deines Ehrenworts.«

»Capitän,« rief aber Hans noch einmal, dem das Blut jetzt wie mit vollen Strömen aus dem Herzen herauf ins Gesicht stieg – »ich blieb, weil ich mein Wort gegeben – und ich gebe es Euch hier noch einmal – nehmt die Strafe zurück. Ihr wißt selber, wie Ihr mich gereizt habt. – Ich war meiner Sinne nicht mächtig als ich nach Euch schlug – aber nur [S. 147] mit meiner nackten unbewaffneten Faust, so helfe mir Gott. – Nehmt die Strafe zurück und ich will arbeiten, daß mir das Blut unter den Nägeln vorkommt – oder in Eisen liegen wie Ihr wollt – ich will nicht murren. – Setzt mich die ganze Reise auf Wasser und Brod – behaltet zur Strafe für mich jeden Cent, den ich bis jetzt hier an Bord verdient habe – aber – aber – keine Schläge.«

Der Capitän war stehen geblieben, aber allem Anschein nach ohne den Worten auch nur die geringste Aufmerksamkeit zu widmen. – Er wandte sich jetzt rasch gegen den Zimmermann und sagte schnell: –

»Hab' ich Euch nicht befohlen Eure Schuldigkeit zu thun? – Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren, dort hinten kommt ein Wetter auf – Bob – Jim – bindet den Gefangenen an die Leeseite – nur mit den Händen – er mag aufrecht dabei stehen bleiben oder – wenn ihm das bequemer ist, auf die Kniee niederfallen.«

»Capitän!« schrie aber jetzt Hans plötzlich, als die beiden auf ihn zutraten, mit lauter fast drohender Stimme, und in so reinem, flüssigem Englisch, daß selbst der Capitän sich erstaunt nach ihm umschaute – »Ihr wißt, daß ich mein Wort halte, aber beim heiligen Gott des Himmels, der, der Hand an mich [S. 148] legt, schlage mich lieber gleich todt, denn so wahr ich einst selig zu werden hoffte, so wahrhaftig morde ich ihn im nächsten Augenblick, wo ich die Hände frei bekomme.«

»Ah, wenn die Sachen so stehen, wollen wir wohl zusehen daß du die Hände nicht frei bekommst, mein Bursche,« lachte der Capitän höhnisch – »Gott verdamme es, wie der Kerl auf einmal so gut englisch spricht – das bringt die Angst heraus. Also Mord – gut Sir, wir werden's nicht vergessen. – Und nun an die Arbeit, Bootsmann, und legt gut auf, oder ich laß Euch auf Euerm eigenen Rücken zeigen wie man's machen muß. Allons, Bob – Jim – Pest, noch einmal Burschen, soll ich's Euch zum drittenmal sagen?«

Die beiden hatten unschlüssig dagestanden. Dem directen Aufruf des Capitäns wagten sie aber nicht den Gehorsam zu verweigern, und führten den Gefangenen an die Leeseite, wo sie ihm das Hemd abzogen und den Rücken entblößten. Brust und Schultern waren ihm mit blauen wunderbaren Zeichen tättowirt, und auf der ersteren hatte er noch außerdem drei tiefe, aber schon seit Jahren verharrschte Narben. Sie banden ihm die Hände hoch in die Höhe, aber er sprach kein Wort mehr, und ließ alles [S. 149] ruhig mit sich geschehen. Der Zimmermann hatte indessen ein schon bereitliegendes noch neues Reefband vorgenommen, wickelte sich das eine Ende davon um die rechte Hand, und trat auf den Gefangenen zu.

Indessen hatte es schon lange im Südwesten geblitzt, und es folgte gerade in diesem Augenblick ein so heftiger Donnerschlag, daß Alle, die bis jetzt nur mit dem Gefangenen beschäftigt gewesen, erschrocken aufsahen.

»Werft die Bramsegelfalle los,« schrie aber jetzt auch der Capitän, der auf einmal fand daß ihn das Wetter ganz plötzlich überrascht hatte. – »Bramsegel fest – schnell – Falle los – Donnerwetter, Zimmermann, laßt den Burschen jetzt stehen und werft die Taue los.«

Die Leute sprangen, froh dem peinlichen Schauspiel enthoben zu sein, blitzesschnell auf ihre verschiedenen Posten, und im nächsten Augenblick schien alles nur Verwirrung in den gelösten Tauen und flatternden Segeln. – Niemand kümmerte sich um den Gefangenen, der noch mit entblößtem Oberkörper an den Wanten hing.

Ueber die See kam es indessen in dumpfem, hohlem Brausen herangestürmt. – Noch standen die Wolken tief am Horizont, aber die Luft wurde schon [S. 150] dick und düster, und das Wasser fing an sich vor der andrängenden Gewalt zu kräuseln und zu gähren. Die leichteren Segel waren indessen, so rasch es die schwache Mannschaft nur irgend erlaubte, festgemacht, die Marsraaen rasselten jetzt zum Reefen nieder, und in das monotone Heulen der Matrosen, die an den Reeftaljen hingen und die schweren Segel zum Reefen aufholten, mischte sich schon das Brausen des Sturmes, und die Segel schlugen dabei an die von den Brassen gelösten Raaen, als ob sie der kommenden Windsbraut ängstlich entfliehen und hinaus ins Weite wollten.

Hier besonders zeigte sich jetzt der Nachtheil einer zu schwachen Bemannung. – Sämmtliche Mannschaft wurde gebraucht ein einziges Segel zu reefen – und war selbst dazu kaum stark genug. Ehe sie denn auch das Vormarssegel fest bekommen konnten, brauste der Sturm heran, riß das große Marssegel mit einem Schlag, wie aus einer Kanone geschossen, von einander, und in der nächsten Secunde peitschten schon die Streifen davon um die Raaen. Der Capitän stampfte ingrimmig mit dem Fuß.

»Soll ich Hans lieber losbinden, daß er mit hilft?« sagte der erste Mate zum Capitän, mit dem er allein auf dem Verdeck stand – der zweite Mate war mit oben auf der Marsraae. –

[S. 151] »Verdammt! nein,« rief aber dieser »ich traue dem Burschen nicht, und er soll nicht sagen, daß er oder das Wetter mir seine Strafe abgetrotzt. Das Segel ist nun doch einmal beim Teufel, und mit den anderen werden sie schon fertig werden. So wie der Zimmermann herunterkommt, soll er ihm seinen Theil auflegen und dann wieder marsch hinunter in sein Loch. Wenn er so mordlustige Gedanken hat, wollen wir den Wolf doch lieber nicht aus der Falle herauslassen.«

Der Wind, der indessen eher an Stärke zugenommen als nachgelassen hatte, war erst ganz nach Norden herumgegangen, und bis die Leute mit Reefen fertig waren, neigte er sich sogar so weit gegen Nord-Ost daß der Capitän, der in den letzten beiden Tagen keine Observation bekommen, und die Nacht vor der Thür sah, der Nähe der Riffe nicht mehr traute, und lieber gleich zu wenden befahl.

Jetzt war aber der Angebundene wirklich im Weg, und da der Capitän auch wohl einsehen mochte, daß unter den jetzigen Umständen und während der Sturm über die aufgeregten Wogen heulte, die Vollziehung der Strafe unter den Leuten weit eher einen bösen Eindruck machen, als sie vor ähnlichen Vergehungen zurückschrecken würde, befahl er dem jetzt wieder an Deck gekommenen zweiten Mate ihn abzubinden und [S. 152] nach unten zu führen – »bis das Wetter besser geworden wäre.«

Der Mate, ein gutherziger Bursche, hatte wohl kaum einen Befehl seines Oberen mit größerer Freudigkeit befolgt als eben diesen. Er sprang rasch nach unten, warf ihm sein Hemd wieder über und stieg mit ihm die Luke hinunter.

»Es kann sich noch alles machen, Hans,« sagte er ihm hier freundlich, als er ihn in sein kleines Behältniß wieder eingebracht hatte – »Zeit gewonnen alles gewonnen, und wenn wir morgen glücklich in die Riffe einlaufen, denkt der Alte vielleicht gar nicht mehr an die ganze Geschichte.«

»Ich dank Euch für Euren freundlichen Wunsch, Mate,« sagte der Gefangene düster und warf sich auf seine Matratze, die ihm Jean heute, allerdings gegen des Capitäns Befehl, zu verschaffen gewußt hatte. Der Mate hatte auch nicht lange Zeit, denn von oben nieder tönte schon das Schreien und Heulen der Matrosen, die an den Schoten und Brassen rissen, das Schiff auf den anderen Bug zu legen, und er sprang rasch die Leiter wieder hinauf.

[S. 153]

Elftes Capitel.
Der Sturm.

Als an Deck alles klar war, die nicht durchaus nöthigsten Segel geborgen, die Raaen scharf angebraßt standen, lief das Schiff wieder nach Süden zurück. Südost lag freilich auf dem Compaß an, aber ein paar Striche trieb es doch noch immer weiter nach Süden hinüber, so daß es vielleicht einen SSO-Cours steuerte. Unter der Zeit war es aber auch vollkommen dunkel geworden, und der Capitän saß in der Cajüte und trank, theils aus Aerger über das schlechte Wetter, theils über die vereitelte Execution an dem Deutschen, von dessen schwerer Faust ihm das Zeichen noch immer auf der Stirn brannte, ein Glas Grog über das andere. Der erste Mate, der die Wache auf Deck hatte, ging ab und zu, bald in die Cajüte hinunter, das Nöthige mit dem Capitän über die Fahrt zu besprechen, bald einmal wieder an Deck schauend, wie es mit dem Wetter stehe.

Die Karte der Torresstraße lag mit Cirkeln und Parallel-Lineal auf dem Tisch der Cajüte, und es [S. 154] schien ihm nichts weniger als angenehm, daß sich der Capitän heute gerade um seinen Verstand trank.

»Um zwölf wollen wir wieder über den anderen Bug gehen,« sagte endlich Capitän Oilytt, der in der einen Sophaecke lehnte, und das rechte Bein zu sich heraufgezogen hatte. – »Damn it, wir dürfen nicht so weit von der Straße ablaufen, wir haben sonst morgen Abend wieder dieselbe Geschichte.«

»Um zwölf möchte wohl ein wenig früh sein, Capitän,« meinte der Steuermann – »ich war noch vor Dunkelwerden oben im Mast, und wenn ich's auch nicht gerade bestimmt behaupten will, so war mir's doch als ob ich im Westen Land gesehen hätte. – Die Strömung setzt uns hier sehr stark nach den Riffen hinein, und es wäre eine fatale Geschichte, wenn wir im Dunkeln drauf liefen.«

»Unsinn,« brummte der Capitän und füllte sich auf's neue sein Glas – »wenn's Tag wird, werden wir gerade in der rechten Entfernung sein, bis Mittag die Einfahrt machen zu können, und dann soll auch der Bursche, der Hans, seine Ladung haben – der Schuft der.«

»Capitän Oilytt,« sagte der Mate ruhig – »ich würde die Sache sein lassen, bis wir durch die Torresstraße [S. 155] sind. – Es ist nicht gut jetzt böses Blut unter der Mannschaft machen. Nachher, wenn Ihr Euch nicht anders besonnen habt, könnt Ihr ja immer noch thun was Ihr wollt. – Er läuft uns in der Zeit wahrhaftig nicht weg, und da unten in Eisen liegen ist auch eben kein Spaß.«

»Papperlapapp!« rief der Capitän ärgerlich auffahrend – »glaubt Ihr ich soll vor meiner Mannschaft mit zerschlagenem Gesichte herumlaufen, und den Schuft nicht gezüchtigt haben, der es gewagt hat Hand an mich zu legen? Pest und Gift – und hinter dem Burschen steckt auch noch mehr. – Ich habe ihn im vorigen Jahr zuerst von Sydney mit fortgenommen, und er sprach fast kein Wort englisch, und gestern Abend, Gott verdamme mich, ging's ihm vom Maule als ob er in seinem ganzen Leben keine andere Sprache gesprochen. Hier an Bord kann er das in der kurzen Zeit nicht so gelernt haben, also hat er sich vorher verstellt und da sitzt ein Haken dahinter. Es sollte mich nicht so viel wundern, wenn er irgend ein durchgekniffener Verbrecher von Neusüdwales oder Vandiemensland wäre. – Ich wollte, ich hätte früher eine Ahnung davon gehabt.«

»Ja, sein englisch Sprechen ist mir auch gestern Abend aufgefallen,« sagte der Mate, nachdenkend – [S. 156] »was sollte er aber für eine Ursache haben, seine Sprache zu verstellen?«

»Und den ganzen Leib hat der Schuft voller Narben,« fuhr der Capitän, ein anderes Glas leerend, fort, »ich möchte nur wissen wo er die gekriegt hat – im ehrlichen Kriege wahrhaftig nicht, denn so alt ist er gar nicht irgend einen Krieg mitgemacht zu haben – verdammte Bestie. – Und dabei ist mir's immer als ob ich seine grauen Katzenaugen schon irgendwo einmal früher gesehen hätte.«

»Er müßte denn mit in Indien gewesen sein,« meinte der Mate.

»Indien – pah« – sagte Oilytt – »die Tättowirungen hat er auch nicht aus Indien, die sind aus der Südsee. – Wo sich der Schuft nur mag alles herumgetrieben haben.«

Er schenkte sich ein frisches Glas ein und rührte dieses wüthend zusammen, während der Mate, der das nicht länger mit ansehen mochte, die Cajüte verließ. Dem Capitän gingen aber indessen allerlei Dinge durch den Kopf – die Narben des Gefangenen gefielen ihm nicht. – Der Mann hatte schon mehr erlebt als er wieder erzählen mochte, und war allerdings im Stande seine Drohung auszuführen.

»Hol ihn der Teufel,« brummte er endlich vor sich [S. 157] hin – »er soll nicht sagen können daß er Bill Oilytt erst geschlagen und nachher in's Bockshorn gejagt hat. – Morgen früh, wenn wir gesund bleiben, soll er seine fünfzig – Narben oder keine Narben – richtig aufgezählt kriegen. – Wart Canaille, ich will dir das Fell noch einmal übertättowiren und nachher kann er sehen wie er sein Wort hält, wenn er unten in Eisen krumm liegt. – Verdammte meuterische Hundeseele.« Mit diesen Worten zog er auch das andere Bein auf's Sopha herauf, um sich zum Schlafen zurecht zu legen. – Das Rückenkissen unter den Kopf schiebend, rief er dann, erst in seiner gewöhnlichen Stimme, zum zweiten Mal jedoch laut und ärgerlich nach dem Steward – er hatte ganz vergessen daß der im Bett lag. An dessen Statt erschien aber Timor, der Malayische Knabe in der Thür, und frug was der Capitän befehle.

»Wo ist der Steward, der Lump?« schrie ihn dieser an – »schon zu Bett? – ach ja so, hat eine dicke Seite – Pest noch einmal, daß ich ihm nicht einen dicken Buckel dazu gebe – Timor – Timor!«

»Ich bin hier, Sir,« sagte der Junge, und trat dicht zum Sopha hinan.

»Timor – um zwölf Uhr weckst Du mich – verstanden?«

»Ja Sir,« – der Junge blieb noch eine ganze [S. 158] Weile auf seinem Platz, fernere Befehle seines Herrn, mit dem er wohl wußte daß sich in diesem Zustand nicht spaßen ließ, abzuwarten. Der Capitän war aber schon fest eingeschlafen und Timor drückte sich in seinen Verschlag zurück, – wenn es ihm der Mate verstattete – ein Gleiches zu thun.

Unter fast gar keinen Segeln und gegen eine ziemlich schwere See an, machte das Schiff nur sehr geringen Fortgang. Trotzdem sie aber vom Lande, ihrem Cours nach, abgingen, schickte der zweite Mate, der bis zwölf Uhr Wacht hatte, mehrmals Leute nach oben, um zu sehen ob sich nach Westen zu nicht doch irgend etwas erkennen ließ. Der Himmel war jedoch zu bewölkt und die Luft zu dunkel. Ohne daß etwas besonderes vorgefallen wäre kam 12 Uhr heran.

Timor schüttelte jetzt seinen Herrn und that im Anfang wirklich was er thun konnte, ihn nur munter zu bekommen. Dann sprang derselbe aber auch mit beiden Füßen zugleich empor, rieb sich die Augen und sah nach dem über ihm hängenden Compaß. Fünf Minuten blieb er noch etwa, wie in tiefe Gedanken versunken, auf dem Sopha sitzen – er besann sich wahrscheinlich, was in den letzten Stunden mit ihm vorgegangen, und erst jetzt, mit einem plötzlichen »Ja so« – stand er auf, sah nach der Kanne, die er jedoch [S. 159] leer fand, und stieg, darüber auch eben nicht ganz zufrieden, an Deck hinauf.

Der Wind wehte noch aus demselben Quartier, ja hatte sich eher noch mehr nach Osten gedreht; die See ging hoch und hohl, und es war eine häßliche Nacht. – Der erste Mate kam eben an Deck und zog sich, schon oben, seinen dicken Rock an, den er fest unter dem Halse zuknöpfte.

»Guten Morgen, Capitän,« sagte er, als er an diesem vorüberging – »noch immer um nichts besser – da hinten sieht's noch häßlich aus.«

»Guten Morgen, Mr. Black – nun ich denke mit Sonnenaufgang sollen wir wieder klar Wetter bekommen, die Luft sieht da drüben schon lichter aus. Sind die Leute an Deck? – he Bill,« wandte er sich zu dem Mann, der eben vom Ruder abgelöst war – »geht noch nicht zu Koje, wir wollen wenden.«

Das Manöver, das auf vollkommen bemannten Schiffen nicht viele Minuten dauern darf, erforderte mit der schwachen Mannschaft, bis alles wieder in der gehörigen Ordnung war, fast eine halbe Stunde, und der Boreas nahm, gegen die schwere See an, eine Masse Wasser über Bord. Wie der Wind stand, konnte er dabei nur eben einen Nordcours liegen, und [S. 160] hatte jedenfalls nach Westen hin, ohne die dort hinüber setzende Strömung, anderthalb Strich Abdrift. –

»Capitän Oilytt,« sagte der Mate, als die letzten Brassen angeholt waren und das Schiff wieder, mit etwa drei Meilen Fahrt, langsam gegen die Wogen ankämpfte. – »Ich glaube wahrhaftig nicht daß wir bis vier Uhr über diesen Bug liegen dürfen. Unserer Berechnung nach sind wir allerdings noch über einen Grad von der Küste ab, wir haben aber in zwei vollen Tagen keine ordentliche Observation gehabt, und – es ist eine verdammt gefährliche Küste.«

»Kommen Sie mit hinunter, wir wollen einmal auf der Karte ablegen,« sagte Capitän Oilytt, und stieg voran die Treppe hinunter.

Ihrer Berechnung nach waren sie allerdings noch weit genug von den Klippen ab, und mit dem geringen Fortgang den das Schiff machte, ließ sich eben nichts besonderes für die wenigen Stunden fürchten. Der Mate schüttelte aber doch mit dem Kopf und meinte, »sicher sei jedenfalls sicher.«

»Gut, dann wecken Sie mich um zwei Uhr,« brummte der Capitän mürrisch und legte sich wieder auf's Sopha, dort die anderthalb Stunden zu verbringen.

[S. 161]

Zwölftes Capitel.
Die Riffbank.

Der Mate kam um die bestimmte Zeit selber herunter, legte die Distance ab, die sie nach Log und Compaß gemacht, und fand daß sie der Küste, wenn die Strömung hier nicht sehr stark war, etwa um fünf Meilen näher gekommen. Sie gingen dann mitsammen auf Deck, und es wurde ein Mann nach oben gesandt, auszusehen, während vorn auf der Back ein anderer die Wacht halten mußte. Es ließ sich aber nicht das mindeste erkennen, und der Capitän blieb bis zu seiner Wacht oben. Gewendet wurde aber nicht.

Um vier Uhr ging der erste Mate nach unten, und als er den zweiten weckte, prägte er ihm noch besonders ein, ja fortwährend Jemand auf dem Ausguck zu haben, der nicht allein nach der Brandung aussähe, sondern auch aushorche, denn sie würden sie in dieser stockfinstern Nacht eine Stunde eher hören als sehen können. Er ging dann zu Koje, konnte aber nicht schlafen und wälzte sich unruhig, alle Augenblicke aufhorchend, auf seinem Bett herum.

[S. 162]

Es war um fünf Uhr Morgens, als er ganz deutlich durch sein offenes Fenster, bei einem plötzlich herüberwehenden Windstoß, das ferne dumpfe Rollen der Brandung zu hören glaubte. – Mit einem Satz war er aus dem Bett und an Deck – einen Augenblick war alles still, dann kam es dumpfgrollend und deutlich wieder über die empörte See daher, und mischte sich in das Heulen des Windes.

»Capitän Oilytt, wir sind dicht auf der Küste,« rief der Mann erschrocken und sprang rasch die wenigen Stufen hinauf und auf den Capitän zu, der bis jetzt auf dem hinteren Theil des Quarterdecks mit schnellen Schritten auf- und abgegangen war.

»Unsinn, Sir – was macht Sie das glauben?« frug der Capitän, indem er stehen blieb.

»Hörten Sie nichts?« sagte der Mate, und hielt die gebogene Hand trichterförmig an das lauschend vorgebeugte Ohr. Eine halbe Minute wohl ließ sich nichts deutlich unterscheiden, dann aber plötzlich quollen die dumpfgrollenden Töne ferner Brandung so deutlich zu ihnen herüber, daß sich die Sache nicht mehr bezweifeln oder gar wegläugnen ließ.

»Ich höre nach vorn zu auch die Brandung, Capitän,« sagte Jean der am Steuer stand, und schon [S. 163] eine Weile nach der Richtung hinüber gehorcht hatte, »gerad' da drüben.«

»Er hat wahrhaftig recht,« rief der Mate – »wir sitzen mitten drinn.«

»All hands on deck« donnerte der Capitän jetzt, ohne etwas darauf zu erwiedern, über Deck hin – »schnell Jungen, schnell, treibt mir die Schläfer aus den Kojen. – Nach oben ihr Leute, und schüttelt mir die Reefen aus den Marssegeln. – Rasch, munter, Jungens – zwei nach vorn und zwei für die Besahn – jetzt fehlt uns das große Marssegel. Den großen Klüver los, Einer von Euch, und nun Marsraaen in die Höhe, was das Zeug halten will.«

Die Leute waren aus dem Logis halb bekleidet herausgesprungen und flogen an die Taue. Die Vormarsraae ging rasch, diesmal ohne Singen und nur unter dem schnellen Tactheulen eines Einzelnen, nach oben, und das gewaltige Segel faßte bald voll und kräftig den Wind. »Vor-Bramsegel los!« – tönte der nächste Ruf, und ob sich gleich die Stenge vor der ungeheuren Last die gegen sie preßte, ordentlich bog, als die Schoten nach dem Nocken flogen und der Wind plötzlich hineinschlug, sie brachen wenigstens nicht. Das große Besahn war ebenfalls gesetzt, und das Schiff bewegte sich etwas schneller durchs Wasser.

[S. 164] »Ist das neue Marssegel zur Hand, Mr. Black?« frug der Capitän jetzt diesen, der neben ihm stand und die Besahnschot befestigen half.

»Alles in Ordnung, Sir – liegt gerade hier unter der Luke. Ich wollte es überhaupt schon heute früh anschlagen und das alte Segel ausbessern lassen.«

»Ich wollte Sie hätten's gestern gethan,« erwiederte der Capitän – »allons, hinauf damit – wir müssen sehen, daß wir es fest kriegen. – Wenn wir nicht Segel setzen können, jagen wir unrettbar auf die Riffe hinauf.«

Es ist eine schlimme Arbeit, an Bord eines Schiffes, in solchem Wetter und solcher See ein Segel anzuschlagen, das schon durch sein ungeheures Gewicht ein stetes Hinderniß bietet. In offener See wäre es auch sicher unterblieben. Hier aber lag ihre einzige Rettung darin von der Küste oder den Riffen vielmehr, die sich hier gefährlicher als an irgend einer Küste hinauf erstreckten, wieder abzukommen, und die Marssegel sind durch ihre Größe wie ihren Platz bei solchem Absegeln gerade die wichtigsten von allen. Ob die Stengen und Masten hielten, mußte sich jetzt zeigen. Aber halten oder nicht – brachten sie nicht mehr Segel auf, so saßen sie in einer Stunde zwischen den Klippen.

[S. 165] Die Luke war geöffnet, und die Männer arbeiteten daran das schwere Segel auf Deck zu heben, während der Capitän unruhig vorgebeugt nach der Brandung horchte, und in der mehr und mehr lichtenden Dämmerung den weißen Schaumstreifen, der jetzt sichtbar sein mußte, zu erkennen suchte. Einer der Leute war nach oben geschickt, eine Talje an eine der Pardunen zu schlagen, um das Segel nachher gleich in die Marsen hinaufheben zu können. Zuerst mußte es aber erst auf Deck vollkommen dicht gereeft, und so fest zusammengeschnürt werden, daß oben der Wind, ehe es fest gemacht war, nicht hineingreifen konnte.

»Capitän Oilytt,« sagte der Mate jetzt zu diesem tretend – »wir sind zu schwach an Händen – soll ich Hans vielleicht aus dem untern Raum heraufholen lassen?«

»Nein« – sagte der Capitän rasch – »es geht auch ohne den – ich will nicht. – Doch meinetwegen,« setzte er, sich eines besseren besinnend hinzu – »wir dürfen nichts versäumen, denn wenn wir Unglück haben, käme uns am Ende die Assecuranz-Compagnie auf den Kragen. – Bringt ihn herauf und nehmt ihm die Eisen ab. Wenn wir von der Küste los sind, können wir immer noch thun, was wir wollen.«

Der Zimmermann mußte den Gefangenen heraufbringen, [S. 166] und auch der Steward war indessen aus dem Bett geholt. Obgleich er ächzte und stöhnte als ob er am Spieße stäke, half ihm das diesmal nichts. Kaum hatte er aber einen Blick über See und Takelwerk geworfen, und nach den donnernden Riffen hinüber gehorcht, als er auf einmal so gesund schien, als ob ihm im Leben nichts gefehlt hätte. Er war lange genug zur See gewesen, um bald einzusehen wie die Sachen hier standen.

Als Hans an Deck kam, warf er einen einzigen flüchtigen Blick über Segel und Luft, im nächsten Moment schlug aber schon das dumpfe, jetzt ganz deutliche Donnern der Brandung an sein Ohr, und ein leichtes, fast triumphirendes Lächeln überflog seine bleichen Züge.

»Nehmt ihm die Eisen ab, Zimmermann,« sagte der erste Mate rasch, als ob er befürchte, daß vom Capitän wieder Einsprache geschehen könnte – »und dann rasch ans Werk, mein Bursche. Wir arbeiten heute Morgen alle nur für uns selber, denn wer den Hals nicht voll Seewasser haben will, mag zusehen daß er seinen Mund noch eine Weile über hoch Wassermark behält. – Rasch mit dem Segel, Ihr Jungen, das dauert ja eine Ewigkeit.«

»Mr. Black,« sagte aber in diesem Augenblick [S. 167] Hans, der dem Zimmermann seine Hände wieder entzogen hatte, daß er ihn noch nicht frei machen konnte – »ehe ich einen Finger dazu aufhebe, dies Schiff vom Untergang mit frei zu arbeiten, will ich erst wissen ob der Capitän die – Prügelstrafe, die er mir zudictirt, zurückgenommen. – Ist das der Fall, so soll er wahrlich keinen willigeren Mann als mich an Bord haben, und er mag mich nachher geduldig wieder in Eisen legen. – Ist das aber nicht der Fall, so – ist mir's lieber wir treiben auf die Klippen. – Ich für meinen Theil ersaufe nun einmal lieber als daß ich mich peitschen lasse.«

»Das ist Unsinn, Mann,« rief aber der Mate – »macht keine Flausen, und seid froh, daß man Euch Gelegenheit giebt Euer eigenes Leben mit retten zu helfen. – Erst einmal von der Küste ab – das andere findet sich nachher?«

»Was? – will sich der Hund noch widersetzen?« schrie aber der Capitän jetzt, auf das Mitteldeck springend und eine Handspeiche, die beim Oeffnen der Luke gebraucht war, aufgreifend – und ehe ihn jemand daran verhindern konnte, schlug er sie dem Gefangenen der wehrlos und mit gefesselten Händen vor ihm stand, über den Kopf, daß er besinnungslos zu Boden stürzte. Bill und Karl wollten ihm zu Hülfe springen [S. 168] und ihn aufrichten. Der Capitän schrie sie aber an bei ihrer Arbeit zu bleiben und sich nicht zu rühren, warf dann die Handspeiche auf Deck, und befahl Timor den »Körper« aus dem Weg und auf die Seite zu ziehen.

Mr. Black – sonst wohl ein rauher Gesell, aber keineswegs mit solcher unnöthigen Grausamkeit einverstanden, wartete diesmal auf keine weiteren Befehle von seinem Capitän, sondern rief dem ihm nächsten Matrosen – es war Bill – den Bewußtlosen aufzuheben und hinunter in das Zwischendeck zu schaffen. Dort legten sie ihn auf ein paar der da aufgestapelten Heuballen und ließen ihn liegen – es war nicht möglich in diesem Augenblick weiter etwas mit ihm vorzunehmen.

Der Capitän sah dies wohl, da aber Mr. Black, und wie es schien ziemlich entschlossen, selber dabei betheiligt war, ließ er ihn gewähren und ging mürrisch nach hinten.

Das Segel war indessen an Deck dicht gereeft und fest zusammengeschnürt. An einem Ende an die Taille befestigt zogen es die Leute mit leichter Mühe in den großen Mars. Zwei von den Leuten hatten indessen die Reeftalje von den Marsraanocken bis hierher niedergeholt, schlugen diese an beiden Seiten [S. 169] durch eine der Reefkausen, und holten nun das Segel nach Steuer- und Backbord aus. Eine andere Talje um die Mitte geschlagen, brachte es dicht unter die Raae und die ganze jetzt über die Raae vertheilte Mannschaft zog mit unendlicher Schwierigkeit zwar, aber doch sicher und gut das Segel mit den ersten Reefbändern an seine gehörige Stelle, und festigte es dort mit allen Bändern.

Nach kaum einer Viertelstunde schlug das Segel, von den beiden Tauen befreit, auf. Mit der Geschwindigkeit von Affen glitten aber auch die Leute zu gleicher Zeit an Wanten und Pardunen nieder, die Schoten auszuziehen, und hoch flog die wilde Spritzsee über den Bug des Schiffes aus und schleuderte förmliche Wellen über Deck weg, als die neue Gewalt das ächzende Fahrzeug gegen die anstürmende Wassermasse trieb.

Es war ein Glück für das Fahrzeug, daß sich der Wind mit der Tagesdämmerung etwas gelegt hatte, es wäre sonst gar nicht im Stande gewesen diese Segel zu führen. Selbst jetzt noch standen die Taue zum äußersten gestrafft, und die starken Stengen bogen sich und schienen nur eines einzigen Druckes mehr zu bedürfen, um wie Glas von einander zu springen.

[S. 170] Mr. Black war indessen selber nach oben gegangen, und sein gleich darauf nichts weniger als tröstlich klingender Ruf – Brandung einen Strich über den Leebug, brachte auch den Capitän bald an seine Seite.

»Da drüben sind die Riffe, Sir« – sagte der Mate, auf der Bramraae stehend, und sich mit dem linken Arm um die Stenge festhaltend. Er deutete dabei mit der Rechten nach einem weißen Kamm hinüber, der, aus hohen Brandungswellen bestehend, weit vom Süden heraufkam und den ganzen Westen zu umschließen schien.

»Können Sie gar kein hohes Land erkennen, Sir?« frug der Capitän, der auf die Raae mit hinaufstieg und sein linkes Bein darüber weg schlug. – »Wenn wir nur den Thurm von Raines Island ausmachen könnten – in einer Stunde wären wir in Sicherheit.«

»Es ist zu neblich,« lautete die Antwort – »gerad hinter der Brandung liegt es wie schwerer Duft auf dem Wasser, und es läßt sich nichts erkennen. – Ich glaube nicht daß wir abkommen, Capitän.«

»Laßt das große Bramsegel auch beisetzen, Mr. Black« – sagte dieser – unruhig den drohenden Küsten- oder vielmehr Inselstreifen übersehend – »wir müssen

[S. 171] »Die Stenge hält es nicht, Capitän,« sagte der Mate – »sie ist alt und schon einmal geflickt – wir werfen sie augenblicklich über Bord.« –

»Wir müssen, Mr. Black – wir kommen wahrhaftig nicht einmal mehr mit diesen Segeln um die Südspitze der Riffe dort weg, und wenn wir hier noch einmal zum Wenden gezwungen werden, sind wir rettungslos verloren. – Wir verlieren mehr dabei, als wir in einer vollen Wacht wieder gut machen können.«

»Große Bramsegel los!« schrie der Mate, statt weiterer Antwort, nach unten. – Einer von den Leuten, es war der Deutsche, Karl, stieg nach oben, das Segel zu lösen. – Unten zogen sie indessen schon die Raae auf. Als das Segel ausflatterte, ächzte die Stenge und Karl sah sich erschreckt um.

»Nieder mit Euch – nieder!« schrie ihm der Mate hinüber und winkte ihm mit der Hand, daß er sich rasch niederlassen sollte. – Das Brausen des Windes übertönte aber seine Worte, und Karl war eben damit beschäftigt einen der Geitaublöcke, der unklar gekommen war, wieder frei zu machen – die Schoten fuhren aus und der Wind schlug in das Segel.

»Nieder mit Euch aus dem Top!« schrie der Mate, während er wie der Capitän selber blitzesschnell nach unten glitten – aber Karl hörte die warnende Stimme [S. 172] nicht. – Um ihn krachte und brach es – seine Geistesgegenwart verlierend, griff er nach dem ersten besten Tau das er erfassen konnte, und seine Sinne schwanden in der Gewalt des Sturzes.

»Mann über Bord!« schrie Jean, vom Ruder aus, durch den Lärm des krachenden Holzes und das Brüllen der See hinweg. – Wie instinctartig flog auch Bill die Quarterdeckstreppe hinauf, und ein dort liegendes Tau ergreifend, schleuderte er es mit geschicktem Wurf dem eben vorbeitreibenden Körper fast über den Kopf, – aber es war umsonst. – Die Fähigkeit es zu halten und zu greifen war aus den erschlafften Muskeln gewichen. – Im Fall mußte er mit dem Kopf gegen irgend einen der Blöcke oder Raaenocken geschlagen sein; die Stirn zeigte, eben als Bill noch in Todesangst hinübersah, eine klaffende Wunde. – Die See schlug über dem Unglücklichen zusammen und er sank in die Tiefe.

Das alles geschah während es über den Häuptern der beiden ebenfalls krachte und zusammenbrach. – Dicht neben Bill schlug der Besahntop herunter, und fuhr gerade durch das eine der Boote, die an beiden Seiten, in eisernen Krahnen, aufgehißt und befestigt waren – aber der Matrose hörte es gar nicht. Wie erstarrt hing sein Blick an der wegsinkenden Leiche des [S. 173] Cameraden. – Als er sich wieder umschaute, war das Schiff ein Wrack – alle drei Stengen waren niedergebrochen und der Klüverbaum nach Lee herumgeschlagen. Das Schiff, welches im Anfang fast schon durch die Segellast auf der Seite gelegen und eine Unmasse Wasser übergenommen hatte, richtete sich dadurch allerdings wieder etwas auf, wurde aber auch zu gleicher Zeit durch das jetzt nebenherschleifende Takelwerk mit Raaen und Stengen so in seinem Lauf gehemmt, daß es fast nicht den geringsten Fortgang machte, und nur mit der hier stark nach Nordwest setzenden Strömung gerade auf die Klippen trieb.

»Kappt weg, Jungen, kappt alles!« schrie der Mate und suchte selber, mit gutem Beispiel vorangehend, das Schiff von dem Anhängsel, das es sogar im Steuern hinderte, zu befreien, was ihm auch mit Hülfe der anderen Zuspringenden bald gelang. Sie kappten alles frei was über Bord hing; das Schiff vermochten sie aber nicht mehr zu retten. Nur noch wo möglich eine Stelle zu treffen, wo sie in ruhiges Wasser kommen konnten, war das einzige was ihnen zu thun übrig blieb, und der Capitän hatte sich durch das hängende und schlagende Tauwerk bis zu dem Stumpf des vorderen Mastes hinauf gearbeitet, von dem er jetzt nieder schrie das Schiff zwei Striche abfallen [S. 174] zu lassen. – Der Befehl wurde augenblicklich befolgt, und sie näherten sich den brandenden schäumenden Klippen mit rasender Schnelle.

»Können Sie die Backbord-Raaen etwas anbrassen, Mr. Black?«

»Ay, ay, Sir – brassen meine Jungen – nur ein wenig – für Euer Leben – greift zu hier. Ahoy – ahoy – noch einmal – so – Vor-Raaen jetzt.«

»Noch mehr abfallen – halt – Steady –« tönte der langgezogene Ruf.

Die Leute standen an Deck und wagten kaum zu athmen. Eine, wie es von hier aus schien, durchaus ununterbrochene Mauer von Klippen streckte sich vor ihnen aus, auf die das Schiff jetzt halb vor dem Wind mit wenigstens Neun-Meilen Fahrt hinauftrieb. Sobald sie aufstießen, mußte sie die erste nachstürzende Woge zerschmettern, und in diesem Chaos von scharfen Korallenfelsen und Sturzseen wäre es nicht möglich gewesen auch nur ein einziges Leben zu retten.

»Noch mehr abfallen!« lautete der eintönige ruhige Ruf.

»Noch mehr abfallen!« wiederholte fast bewußtlos mehr als ein halbes Duzend der Umstehenden – Jean stand am Steuer und sah todtenbleich aus, aber [S. 175] ein fast trotziges Lächeln spielte um seine Lippen, als er die Befehle, zum Zeichen daß er sie gehört und während sie schon ausgeführt waren, wiederholte.

Die Brandung stürmte jetzt so gewaltig und so in ihrer Nähe, daß es schon fast war als ob das Wasser auf Deck spritzen könnte. Bill sah nach den Masten hinauf, denn er erwartete mit jedem Augenblick den ersten Stoß, und wußte, daß sie dann auch rettungslos nach vorn übergehen mußten. Keiner sprach aber ein Wort, und wohl drei oder vier Minuten standen die Männer still und lautlos, den Augenblick der Entscheidung erwartend.

An Hans dachte keiner mehr von ihnen. Der Tod lauerte vor jedes einzelnen Thür, und mahnte mit ernstem Klopfen an Zeit und Ewigkeit.

»Luff – ein klein wenig Luff nur!« rief der Capitän in diesem Augenblick von oben herunter.

»Luff it is!« die Antwort des Steuernden.

»Steady!« die Stimme klang geisterhaft wild durch das Heulen des Sturmes und das Brausen der Brandung – »Steady um Euer Leben.«

Rechts und links am Schiff hinauf stürzten die Wogen, die sich an den Korallenfelsen neben ihnen brachen, aber das Schiff schoß mit Blitzesschnelle hindurch.

[S. 176] »Hard a port –« überschrie der Capitän mit seiner Donnerstimme das Toben der Elemente und während fast jede bleiche Lippe den Befehl wiederholte, und sich der Mate selbst mit in die Speichen des Rades warf ihn auszuführen, glitt Capitän Oilytt blitzesschnell an einer der Pardunen an Deck hinunter. Er hatte dieses aber kaum berührt und das Schiff war noch nicht mehr wie seine eigene Länge in der neuen Richtung fortgeschossen, als ein furchtbarer Stoß es bis in den Kiel hinunter erschütterte. – Was nicht fest stand, stürzte auf Deck nieder, und wie mit einem Schlag brachen die drei Masten über Backbord nieder und schmetterten in das wie kochend schäumende, milchige Wasser.

Alle schienen einen zweiten Stoß und das Zerschmettern des Schiffes selber zu erwarten – aber er kam nicht. – Die ungeheuren Wogen des stürmenden Meeres wälzten gegen sie heran, aber sie erreichten das Schiff nicht. – Dieselbe Wand starrer Korallen, die ihnen vorher Verderben gedroht und auf denen sie, wenn sie dort aufgestoßen, auch rettungslos verloren gewesen wären, lag jetzt, ein unerschütterlicher Schutz, zwischen ihnen und dem drohenden Verderben.

Die Leute wagten kaum zu athmen, und viele Minuten lang rührte sich keiner von seiner Stelle, als ob [S. 177] sie an Rettung noch gar nicht glauben könnten. Bill war der erste, der auf das kleine hinter dem Rad angebrachte Haus, das sogenannte Farbenspintje sprang, und mit einem Jubelruf die Rettung verkündete.

»Sicher fest gefahren!« schrie er den andern zu, »verdammt will ich sein, wenn das nicht der niedlichste Platz ist, den ich in meinem ganzen Leben gesehen habe.«

Die Worte brachen den Zauber, und Alles sprang jetzt auf die hohe Railing, so viel als möglich die Stelle wo sie sich befanden, zu übersehen, und die Möglichkeit einer Rettung zu berechnen.

Das Schiff war glücklich zwischen zwei hohen Korallenriffen und durch einen Durchgang eingelaufen, der vielleicht nicht viel breiter war als das Fahrzeug selber. – Der glatte Streifen Wasser der den Weg wenigstens bezeichnete, in dem sie eingekommen, war kaum Mannslänge breit, und an beiden Seiten stürzte sich die Brandung der Nachbarklippen hinein. Weiter ließ sich aber auch, so weit das Auge reichte, keine einzige Einfahrt erkennen, und nur ihre verzweifelte Lage hatte den Capitän veranlassen können sein Schiff auf den schmalen Streifen zuzutreiben, der ebenso gut wie das übrige eine versteckte Klippe hätte bergen können. Hier, inmitten der Riffe, lagen sie nun in einem kleinen, kaum hundert Schritt langen [S. 178] See hellen, fast gelblich grünen Wassers, in dem sich die den Grund bildenden Baumkorallen klar und deutlich erkennen ließen.

Ringsum waren sie total von Korallenbänken eingeschlossen, die an den meisten Stellen bis dicht an die Oberfläche reichten, hie und da aber kleine, zwei, drei und vier Fuß tiefe Canäle bildeten, von denen einige offen lagen, andere mit langen treibenden Seegewächsen überzogen waren. Diese Korallenriffe konnten indessen kaum 200 Schritt breit sein, denn dicht dahinter lag wieder tiefes blaues, nur jetzt von der schweren Brise aufgeregtes Wasser, das nicht so durch die hohe Brandung vor dem darüber hinstreifenden Wind geschützt war wie die Stelle, auf der sie gerade saßen.

Dreizehntes Capitel.
Das Wrack.

Vor allen Dingen galt es jetzt die Möglichkeit einer Rettung zu überlegen.

Wenn sie ihr großes Boot flott bekommen konnten, schien nicht die mindeste Schwierigkeit vorhanden in [S. 179] die wirkliche Fahrstraße durch die Torresstraße einzulaufen, und dann konnten sie sich leicht auf einer der kleinen Inseln halten, bis ein anderes von Sydney nach Britisch- oder Holländisch-Indien bestimmtes Schiff vorbeikommen und sie aufnehmen würde. Es war jetzt noch die günstigste Jahreszeit für diese Fahrt, und Capitän Oilytt wußte selbst mehrere Schiffe, die beabsichtigt hatten ihm in acht oder vierzehn Tagen zu folgen.

Aber selbst von ihrer eigenen Lage wurden sie in diesem Augenblick durch einen furchtbaren Lärm, der aus dem unteren Deck herauftönte, abgezogen, und alles sprang an die Luken, hinabzuschauen. Um das Schiff selber brauchten sie sich jetzt auch in der That nicht weiter zu kümmern, das lag fest genug zwischen seinen Korallen, und hätte es ja noch gescheuert, so durften sie höchstens die Anker auswerfen, es ganz fest und sicher zu bekommen.

Der Lärm rührte von den armen Thieren, den Pferden her. Natürlich war das Schiff leck geworden und das Wasser in den unteren Raum gedrungen und die festgebundenen rangen nun mit ihren letzten Anstrengungen gegen den sie bewältigenden Tod an. Manchmal wenn eines der unglücklichen Geschöpfe seinen Kopf noch über Wasser bekam, hörten sie deutlich [S. 180] das Schnauben, und oft drang ein entsetzlicher Nothschrei zu ihren Ohren und machte sie schaudern – aber Hülfe zu bringen war nicht mehr möglich. – Wären sie selbst im Stande gewesen die Stricke zu zerschneiden mit denen die Thiere festgebunden standen, aus dem unteren Raum konnten sie sie doch nicht herausbekommen, und dort stieg das Wasser mit rasender Schnelle.

Jean sprang zwar die Leiter hinunter, mehr um sich von der vollkommenen Nutzlosigkeit einer Hülfe zu überzeugen, als irgend etwas zu thun. Gerade da aber wurde diese, wahrscheinlich durch eines der losgerissenen Thiere das sich dagegen geworfen, umgestoßen. Er konnte eben noch das zum Auf- und Niedersteigen befestigte Tau fassen und sich vor einem Sturz in die Tiefe retten, der ihn nur zu wahrscheinlich unter die Hufe der verzweifelten Thiere geworfen hätte. Als er festen Fuß auf dem Heu faßte, und traurig in den dunklen Raum hinabstarrte, wo es jetzt stiller und stiller wurde, sagte eine leise schwache Stimme an seiner Seite:

»Jean – was ist mit dem Schiff vorgegangen?«

»Hans, um Gotteswillen,« rief der junge Franzose, und sprang rasch nach ihm hinüber – »armer Teufel, wie geht dir's? Hol's der Henker, wir haben [S. 181] die Hände, oder vielmehr Augen und Ohren die letzte Stunde so voll gehabt, daß beim Himmel keine Seele an etwas anderes als sich selber denken konnte – Jesus Maria, wie blutig du aussiehst – wie ist dir?«

»Besser, viel besser, aber was ist mit dem Schiff vorgegangen?« sagte der Verwundete.

»O das sitzt fest und wacker auf einer Korallenbank,« lachte Jean, der, einmal aus der nächsten Todesgefahr heraus, schon all seinen frischen und fröhlichen Muth wieder bekommen hatte. »Masten über Bord, alle drei, und so sicher vor Anker wie nur je ein gutes Fahrzeug nach langer Reise gelegen hat. Der arme Karl ist aber auch über Bord« – setzte er ernster und fast traurig hinzu.

»Ich wollte ich wäre an seiner Stelle,« sagte Hans, und fiel mit geschlossenen Augen auf das Heu zurück.

»Unsinn,« lachte aber Jean wieder – »deine Leiden sind jetzt zu Ende. – Wer weiß, ob's nicht am Ende ganz gut ist, daß wir den alten verdammten Kasten auf soliden Grund gesetzt haben. Der Schuft von Capitän kann jetzt sehen wo er ein neues Schiff bekommt, mich kriegt er aber wahrhaftig nicht wieder als Matrose an Bord, so viel ist gewiß. Pest, Mann, du hast aber die Eisen noch an, das geht nicht; die [S. 182] müssen herunter, und das Wasser ist auch schon bis ins Zwischendeck gestiegen – der untere Raum ist ganz voll. – Wie still und ruhig es jetzt da unten ist,« setzte er schaudernd hinzu – »der Mensch ist doch ein entsetzliches Geschöpf mit seiner Gewalt über das Thier.«

»Jean,« rief in diesem Augenblick der Mate herunter – »wo zum Teufel steckt Ihr?«

»Komme,« antwortete der Matrose, wandte sich dann aber noch rasch zu Hans und sagte tröstend, »ich bin bald wieder bei dir. Hab' keine Furcht, wir wollen die Sache schon machen.«

Er schob die Leiter, die nur auf die Seite geschlagen war, wieder zurück und kletterte rasch an Deck. Dort wurden indessen schon die nöthigen Vorbereitungen getroffen ein paar Nothspieren aufzurichten, um das große Boot über Bord zu heben und flott zu bekommen, was der doppelten Mannschaft ohne die Hülfe von diesen und Flaschenzügen nicht möglich gewesen wäre mit blosen Händen ins Werk zu setzen.

Jean wandte sich nun an Mr. Black, Hansens Freilassung zu bewirken. – Der Mann lag verwundet im unteren Raum und durfte nicht ohne Hülfe dort liegen bleiben, wenn man sein Leben nicht in Gefahr bringen wollte. Mr. Black sprach auch augenblicklich [S. 183] mit dem Capitän darüber, dieser aber wollte von nichts hören. So lange er an Bord Herr sei, schwur er, bleibe der Schuft in Eisen. – Er habe sich widersetzt und dem den Tod gedroht, der ihn bestrafen würde, also offene unverhehlte Meuterei, und er wolle sich nicht der Gefahr aussetzen, gemeuchelmordet zu werden. Damit wandte er sich ab und den Arbeitenden wieder zu.

»Aber Sir,« sagte der Mate, »Sie können ihn doch nicht gut geschlossen mit ins Boot nehmen. Er wird da mehr im Wege sein und – ich weiß auch nicht, ob Sie das später werden verantworten können.«

»Verantworten?« lachte der Capitän höhnisch – »übrigens wer sagt Ihnen denn, Mr. Black, daß ich ihn überhaupt mit ins Boot haben will? Es fällt mir gar nicht ein mich mit dem rebellischen Schurken länger zu behelligen.«

»Sie werden ihn doch nicht hülflos zurücklassen wollen?« rief der Mate rasch.

»Hülflos,« meinte Oilytt, »ist das hülflos? ich lasse ihn im Besitz meines ganzen Schiffs, und da ist auch die Jölle, die er nehmen kann wenn es ihm beliebt, sollte ihm der Aufenthalt hier nicht länger behagen. – Was verlangt er mehr?«

[S. 184] »Das geht wahrhaftig nicht an, Capitän Oilytt,« sagte der Mate kopfschüttelnd.

»Sie sollen einmal sehen wie schön es geht,« lachte dieser zurück. – »Es geht alles auf der Welt, was man nur will, und der Bursche kann noch seinem Gott danken, daß ich ihn nicht mit nach dem nächsten Hafen nehme, um ihn dort als einen meuterischen Hund, der er ist, aufhängen zu lassen. Sähe ich die Möglichkeit ein, wieder nach Sydney zurückzukommen, so geschähe das auch jedenfalls. All die Schiffe, die aber in nächster Zeit auslaufen, und auf die wir hier hoffen können, sind nach Batavia bestimmt, und mit der holländischen Regierung mag ich nichts zu thun haben. – Ich und sie sind schon einmal zusammen gewesen, und eben nicht als die besten Freunde geschieden.«

»So will ich ihm wenigstens jetzt die Eisen abnehmen, daß wir nach seiner Wunde sehen können« – sagte Mr. Black, und wollte sich abdrehen, in das Zwischendeck hinunterzusteigen.

»Halt, Mr. Black,« hielt ihn aber sein Vorgesetzter zurück, »nicht eher bis ich Ihnen das sage – wenn's Ihnen gefällig ist. – Nach der Wunde kann auch ohne das gesehen werden. Hier haben Sie den Schlüssel zur Medicinkiste und sein Sie so gut und [S. 185] besorgen Sie das. – Der dickköpfige Schuft wäre auch ohne dies nicht sogleich abgefahren – aber die Eisen behält er, bis wir von Bord gehen.«

Der Mate konnte nichts dagegen einwenden, stieg aber augenblicklich in die Cajüte hinunter, das nöthige Wundpflaster heraufzuholen. Von dem steckte er auch eine Quantität in die Tasche, es Hans zum ferneren Gebrauch zu lassen, und sah dann nach seinem Kranken, den er aber weit besser fand als er wirklich erwartet hatte.

Unterdessen gingen die Arbeiten an Deck rasch vor sich. Provisionen wurden heraufgeschafft, der Capitän hatte seine Instrumente, Karten, den Compaß für den Nothfall und seine Papiere geborgen, vertheilte dann die an Bord befindlichen Musketen mit der gehörigen Munition unter die Leute, da man in der Straße sehr häufig auf Schwarze stößt, von denen man nicht immer weiß, ob sie freundlich oder feindlich sind, und ließ dann die Leute an die Arbeit gehen, das große Boot vom Verdeck hinunter in See zu heben.

Unter all diesen Arbeiten rückte der Abend mehr und mehr heran, und es war schon kein Gedanke mehr, noch an diesem Tag sich einzuschiffen. Um 12 Uhr hatte der Capitän, da die Sonne heute hell und klar [S. 186] am Himmel stand, seine Observation genommen, die Breite zu bekommen, auf der sie sich befanden, denn die Länge wußten sie nur zu genau. Er fand dabei daß sie etwa 30 Meilen überhalb Raines Insel auf den Riffen saßen. Von hier aus konnten sie leicht in die südliche, am häufigsten befahrene Straße kommen, und an Gefahr für ihr Leben, wenn sie sich nur ein wenig mit ihren Provisionen einschränkten, oder sich zugleich auf den Fischfang legten, war nicht zu denken. Die einzige Vorsicht die sie gebrauchen mußten war, einen gehörigen Vorrath von Wasser einzulegen, und damit konnten sie dann getrost nach einer der Zwischen-Inseln oder auch Booby-Island hinfahren, an welchem letzteren Ort sogar Vorräthe für Schiffbrüchige von mehreren englischen Schiffen niedergelegt sind. Die gehörigen Segel für die Barkasse, die jetzt vollkommen gut in Stand und mit allem Nöthigen versehen fertig lagen, wurde ebenfalls hergerichtet, und mit Tagesanbruch am nächsten Morgen wollten sie ihre Pilgerfahrt beginnen.

Die Matrosen packten indessen ebenfalls das Nöthigste was sie an Wäsche gebrauchten mit ihren wollenen Decken zusammen, denn sonstiges Gepäck oder gar ihre Kisten konnten sie natürlich nicht mitnehmen – stauten das alles in eine Kiste hinein, und [S. 187] waren somit ebenfalls gerüstet. Nur Jean, François und Bill hatten ihre paar Hemden zurückgelassen. – Die Kiste war auch gerade von den andern Sachen voll geworden – und sie meinten sie wollten das Ihrige nur lieber so ins Boot werfen. Alle drei schienen übrigens andere Absichten zu haben.

An dem Abend hätten die Leute gern viel mit einander unterhandelt, der Zimmermann, der sonst nie lange im Logis blieb, wich und wankte aber gerade heute nicht von seiner Kiste. Jean, François und Bill gaben sich deshalb einen Wink und gingen nach oben.

Mit kurzen Worten vereinigten sie sich. Sie waren fest entschlossen Hans nicht allein an Bord des Wracks und mit einem Boot zurückzulassen, mit dem er allein wenig oder gar nichts anfangen konnte – sie wollten bei ihm bleiben. Hierzu kam auch noch, daß alle drei viel lieber nach Sydney zurückzukehren, als mit dem Capitän auf irgend einem anderen Fahrzeug nach Indien zu gehen wünschten, und sie machten sich deshalb schon die schönsten Pläne einer Landreise an der Küste hinunter. Sie kannten das Land und die Schwierigkeiten einer solchen Reise nicht, und der leichte Sinn eines Matrosen, der Gefahren überhaupt gar nicht achtet, weil er eben zwischen ihnen aufwächst, ließ sie das Alles mit frohem Muthe betrachten.

[S. 188] Heute Abend beschlossen sie aber noch nichts darüber zu äußern, sondern das alles bis auf morgen früh zu verschieben.

Vierzehntes Capitel.
Die Mannschaft trennt sich.

Am nächsten Morgen mit Tagesanbruch weckte der Mate – denn der Zimmermann, der mit dem Steward die letzte Wache gehalten, schnarchte auf Deck mit diesem um die Wette – und eine Stunde später war das letzte Frühstück an Bord eingenommen; die Mannschaft zur Abfahrt gerüstet.

Jean, der mit seinen Verbündeten an diesem Morgen nur wenige Worte wechseln konnte, Hans aber, dem er in der Nacht Matratze und Decke hinuntergetragen, ihren ganzen Plan schon mitgetheilt und natürlich nicht im mindesten auf dessen Einwendungen gehört hatte, stand vorn auf der Back, jetzt dem höchsten Theil des Schiffs, und suchte einen Ueberblick über die Binnenwasser zu bekommen, durch welche sie nun bald ihre einsame Bahn in einem kleinen schmalen Boote steuern sollten. Da glitt Timor, der kleine [S. 189] Malaye, zu ihm hinan, und flüsterte in seinem halb Englisch, halb Malayisch:

»Tuwan Jean – gestern hab' ich gehört – Ihr mit Tuwan Hans gehen wollt – ich auch. – Wollt Ihr mich mitnehmen? ich kann gut rudern und will recht folgsam sein.«

»Donnerwetter, Junge, herzlich gern, wenn's von mir abhinge. Da mußt du aber den Capitän fragen, denn ich kann wohl über mich selber, aber über niemanden anders von seiner Schiffsmannschaft bestimmen.«

»Ja, der Capitän wird nicht wollen,« meinte der Bursche traurig und schüttelte mit dem Kopf – »habe schon müssen meine Sachen in sein Boot legen.«

»Ja, dann kann ich's nicht ändern, Timor,« sagte Jean. – »Es thut mir aber leid – ich möchte dich gern mit haben.«

»Gewiß?« rief der Junge und seine Augen leuchteten vor Freude.

»Gewiß,« erwiederte ihm der junge Matrose – »sieh' zu daß du's einrichtest.«

»Timor,« rief gerade der Capitän – »was hast du da vorn zu suchen, Schlingel? – marsch, hier [S. 190] die Sachen hinunter ins Boot, und dann bleibst du selber unten dabei – was gibt's noch, he?«

»Wer bleibt denn bei Tuwan Hans, Capitän?« frug der Junge schüchtern und sah seinen Herrn von der Seite an.

»Ist der Junge verrückt geworden?« rief aber der Capitän wüthend. »Was zum Donnerwetter geht das dich an, du lederbraune Canaille? – Laß mich noch einmal eine derartige Frage von dir hören, und ich tattowire dir das braune Fell mit blauen und rothen Streifen, daß du deine Freude daran haben sollst. – Marsch, die Sachen ins Boot, und dann das andere, was hier noch liegt auch hinunter, und dann setzest du dich hinten hinein und muksest nicht mehr. – Sind die Flaschen alle unten, die ich dir gestern Abend gegeben habe? – he?«

»Saya Tuwan« – murmelte der kleine Bursche erschreckt, und sprang hin, den Befehl des strengen Gebieters zu erfüllen. – Es wäre nicht die erste Mißhandlung gewesen, die er von seinen Händen zu erdulden gehabt, und er wollte sich dem nicht selber muthwillig aussetzen.

Indessen wurden die Matrosen zusammengerufen sich einzuschiffen. – Der Capitän stand an der Fallreepstreppe – fertig niederzusteigen – alle seine [S. 191] Sachen mit Provisionen und Wasser waren im Boot, und Timor hatte eben das letzte Kistchen – den Peil-Compaß, den sie vielleicht zwischen den Inseln gebrauchen konnten, heruntergebracht. Der erste Mate war ins Zwischendeck gestiegen, Hans loszuschließen, und ihm anzukündigen was der Capitän über ihn beschlossen hätte. Da traten Jean, Bill und François vor, und erklärten dem Capitän, daß sie mit Hans an Bord bleiben und versuchen würden, sich in dem kleinen Boote zu retten. Hans sei zu schwach sich allein zu helfen, und sie wollten ihn nicht umkommen lassen.

Der Capitän wüthete, und befahl ihnen augenblicklich in die Barkasse hinunterzusteigen, Bill aber, der in dieser Sache das Wort genommen hatte, blieb ganz ruhig und erklärte, das Schiff sei ein Wrack und die Mannschaft könne sich retten, wie sie es am zweckmäßigsten halte. Capitän Oilytt, da ihn seine Steuerleute nicht im mindesten dabei unterstützten, sondern eher noch das Betragen der Matrosen zu billigen schienen, sah bald, daß er gegen sie in dieser Sache nichts ausrichten könne, und rief endlich trotzig, sie sollten seinetwegen zum Teufel gehen, aber vorher die Gewehre und Munition, die sie bekommen hätten und die dem Schiff gehörten, wieder abliefern.

[S. 192] »Die Gewehre abliefern, Sirrah?« rief Bill erstaunt – »wollen Sie uns hier von den Wilden, wenn sie in ihren Canoes ankommen, morden lassen? Gott verdamme mich, wenn das nicht zu arg wäre. Dem Schiff gehören die Gewehre, Capitän; der Lohn den wir beim Schiff zu gut haben, gehört auch uns und wir kriegen nicht die Probe davon. – Wenn's blos das wäre, könnten Sie die paar Schießeisen auf Abschlag rechnen.«

»Schufte,« schrie aber der Capitän wüthend – »Ihr zu gut haben? Ihr seid dem Schiff noch schuldig für das, was ich in Sydney für Euer Wiedereinfangen Belohnung zahlen mußte. – Glaubt Ihr Euer Schlaf-Baas hätte Euch umsonst verrathen?«

»Also Mr. Mac Carther hat uns den freundlichen Streich gespielt,« sagte Bill lachend. – »Nun das bleibt sich gleich, aber die Gewehre behalten wir, und ich will mich lieber später einmal, wenn es dazu noch kommen sollte, auf sechs Wochen von irgend einem Gerichtshof einsperren, als hier von den Wilden fangen und auffressen lassen. – So – das ist das Lange und Kurze davon.«

Mr. Black flüsterte leise einige Worte mit dem Capitän. Dieser blieb einen Augenblick noch wie unschlüssig stehen; da aber die drei Matrosen, mit ihren [S. 193] Gewehren in der Hand, ruhig seinen wild und boshaft auf sie gerichteten Blick aushielten, und die anderen, die noch an Deck waren, zu ihnen traten und ihnen herzlich die Hand schüttelten, drehte er sich mit einem Fluch um und wollte eben die Fallreepstreppe hinunter ins Boot steigen. Da wurde unten im Raum ein Fall in das, jetzt bis ins Zwischendeck hinaufsteigende Wasser gehört, und gleich darauf tönte ein gellender Hülfeschrei zu ihnen auf. Alles was in der Nähe war drängte sich um die Luke, um hinunter zu sehen. Unten auf dem erregten Wasser schwamm ein Strohhut.

»Das war Hans!« schrie Jean erschreckt – »er ist ins Wasser gestürzt!«

»Nein, Hans habe ich selber eben ins Logis gebracht,« sagte der erste Mate, »und ihm dort die Eisen abgenommen. Wie ich fortging, war er dabei seine Kiste aufzuschließen.«

»Wo ist Timor?« rief aber jetzt der Capitän, der einen Blick in sein Boot hinuntergeworfen und den Jungen dort vermißt hatte, schnell und erschreckt aus – »wo ist Timor?«

»Vor ein paar Secunden stand er hier an der Luke« – betheuerte der Steward, der ein Packet mit seinen eigenen Kleidungsstücken und noch einige andere Sachen unter dem Arm trug, mit denen er dem [S. 194] Capitän ins Boot hinunter folgen wollte. – »Timor!« rief der Capitän noch einmal, als ob er gar nicht glauben könnte, der arme kleine Bursche sei hier hineingestürzt – »wo steckt der Schlingel?« und er sah sich ängstlich dabei nach allen Seiten um. Jean aber, rasch entschlossen wie er immer war, hatte schon alles was er trug dem neben ihm stehenden Bill in die Hände gedrückt, und glitt jetzt mehr als er stieg, an der steilen Leiter in den Raum hinunter. Einen Augenblick faßte er auf dem Rande des Zwischendecks festen Fuß, dann verschwand er in der Fluth die kaum über dem ihm vorangegangenen Körper zu kreisen aufgehört hatte.

Alles stand in sprachloser Erwartung um die Luke her und schaute auf die unheimliche Fluth in den Raum nieder. Jeder andere Hader, jeder andere Gedanke war vergessen, und jedes Auge hing nur in peinlicher Spannung an den da unten jetzt langsam aufsteigenden Luftblasen, welche die Thätigkeit des Untergetauchten verkündeten.

»Bei Gott, der kommt auch nicht wieder,« rief François endlich mit vor Angst fast erstickter Stimme. – »Jean – um Gotteswillen, Jean.« –

»Da ist er!« tönte es plötzlich von den erleichterten Herzen der Schaar, aus deren Brust sich ein tiefer [S. 195] Seufzer aufrang. – Sie hatten in der Zeit nicht einmal zu athmen gewagt. – Das kohlschwarze, sonst so lockige, jetzt straff niederhängende Haar des jungen Franzosen wurde sichtbar, gleich darauf sein todtenbleiches Gesicht. Mit einer einzigen Armbewegung war er an der Leiter und hob sich, auf eine der Sprossen tretend, in die Höhe und mit den Schultern aus dem Wasser. – Er war allein.

»Kannst du gar nichts fühlen, Jean,« rief ihm der erste Mate ermunternd hinunter, »es wird ja doch so entsetzlich schnell nicht weggewaschen sein. – Lieber Gott, der Junge kann schwimmen wie ein Fisch, er muß sich beim Hinunterstürzen an den Kopf geschlagen haben.«

Jean erwiederte nichts, verschwand aber zum zweitenmal unter Wasser, und blieb diesmal länger aus als das erstemal. Als er endlich wieder zu Tag kam, stieg er schweigend, ohne ein Wort zu sagen, an Deck und schnürte sein Bündel auf, sich trockene Kleider anzuziehen.

»Armer Junge,« murmelte der Mate, als er dem Capitän, der sich rasch und mürrisch abwandte, ins Boot folgte. Der Steward aber, der sich neben dem Zimmermann niedersetzte, brummte leise vor sich hin:

[S. 196] »Das ist mir auch noch nicht vorgekommen, daß Einer in einem Schiff drin ersaufen kann. Das hat die Kröte aber nur mir zum Possen gethan, damit ich jetzt Alles allein besorgen muß.«

In wenigen Minuten war das Boot zur Abfahrt bereit. »Goodbye, Cameraden,« riefen Bob und Jim hinüber, und die an Bord Zurückgebliebenen winkten mit der Hand.

»Stoßt ab – Gott verdamme Euch!« zürnte aber der Capitän, den freundlichen Gruß unterbrechend – »und macht Euch da vorne Platz, daß Ihr, wenn wir einmal rudern müßten, nicht gehemmt seid.«

Der Kranke, Jack, lag vorne auf seiner Matratze im Boot. – Er war noch sehr schwach und sah unwohl aus, obgleich ihn das Fieber verlassen zu haben schien; dadurch entstand eine kleine Verzögerung, während die beiden Mates beschäftigt waren die Segel in Ordnung zu bringen.

Der Sturm von gestern hatte gänzlich nachgelassen, die Luft war hell und klar, und eine leichte Ostbrise versprach ihnen eine rasche und glückliche Fahrt nach Booby Island. Nur durch die Strömung aber, und durch das Segel, das den leichten Wind doch schon etwas gefaßt hatte, waren sie ungefähr [S. 197] 20 Schritt vom Schiff abgetrieben, als plötzlich ein Ruf vom Schiffe niederschallte, und aller Augen dorthin zog. Der Capitän, der ebenfalls aufsah, bekam eine Aschfarbe, denn dort stand Hans und in seinen Händen hielt er ein kurzes in der Sonne blitzendes Doppelgewehr.

»Mörder!« entfuhr fast unwillkürlich den bleichen Lippen des Capitäns der Angstlaut, der bis zu den Ohren seines früheren Opfers drang. Hans aber schüttelte verächtlich lächelnd mit dem Kopf und rief, indem er das Gewehr neben sich auf Deck stieß:

»Habt keine Furcht, Capitän Oilytt, ich will Euern letzten feigen Angriff auf mich nicht solcher Art erwiedern. – Hättet Ihr mich peitschen lassen, wäret Ihr jetzt ein todter Mann, aber den Schlag, den Ihr einem Gefesselten gabet, vergelt ich Euch auf ein andermal. – Wir sehen uns wieder,« und er drehte sich mit diesen Worten von dem Boote, das jetzt zum erstenmal den Wind ordentlich in seine Segeln faßte und rasch durch die grüne Fluth dahinschoß, ab. Als er sich aber wandte, sah er, wie Jean und Bill plötzlich erschreckt auseinander stoben und in demselben Augenblick pfiff auch eine Kugel, aber schlecht genug gezielt, über sie hin. Mit Blitzesschnelle flog er herum und riß die eigene Büchse in die Höhe, doch ein [S. 198] Blick auf das Boot sagte ihm, wie sehr er dabei das Leben anderer Menschen gefährden müßte. – Er setzte das Gewehr rasch wieder nieder, hob aber, zum Zeichen seines Wohlbefindens, die Mütze, schwenkte sie um den Kopf und rief mit trotzigem Hohn:

»Dank Euch, Capitän – werd's Euch zu gut schreiben – auf Wiedersehen!«

Er sah wie der Capitän im Boot einen Versuch machte, eine andere neben ihm liegende Muskete nach ihm hinzurichten, aber der erste Mate verhinderte ihn daran, und fünf Minuten später war das Boot außer Schußweite – eine halbe Stunde später kaum noch in Sicht.

Die Matrosen blieben noch eine Weile auf Deck stehen, ehe sie an ihre Vorbereitungen gingen. Sie schauten, jeder in seine Gedanken versenkt, dem wegschießenden Boote nach, so lange sie noch eine Gestalt darin unterscheiden konnten, und dann erst, als es nur noch wie ein schwarzer Punkt auf dem Wasser lag, reichte Hans Jean, Bill und François die Hand, und dankte ihnen für ihre ausharrende Freundschaft.

»O Unsinn, Mann,« lachte Jean – »reiner Eigennutz von uns. Wir wollen nicht mit dem Alten nach Indien, ich möchte gern wieder nach Sydney [S. 199] zurück und darum sind wir alle drei hier geblieben die Landreise zusammen zu versuchen.« Hans schüttelte aber zweifelnd mit dem Kopf sagte bedächtig:

»Jean, Jean, Ihr irrt Euch da alle drei in der Natur des Landes, das Ihr durchwandern wollt. Ich habe Euch das schon diese Nacht gesagt. Ich fürchte sogar, wir dürfen nicht einmal den Versuch wagen, wenn wir uns nicht der größten Gefahr aussetzen wollen. – Die Schwarzen an diesen Küstenstrichen sind nichtswürdiges, blutdürstiges Gesindel.«

»Pah, wagen,« lachte Jean mit seiner ganzen sorglosen Keckheit, die nie einer Gefahr aus dem Wege ging, ja sie eher noch aufsuchte als sie vermied, wenn er einmal die Wahl zwischen den beiden hatte. – »Wir sind hier vier entschlossene Männer, und gut bewaffnet. – Wetter noch einmal, wer mein Fleisch kochen oder braten wollte, würde es verdammt zäh finden. Gott sei Dank nur, daß wir den Alten mit seinem Schwarm los sind; für das andere ist mir wahrhaftig nicht bange. Jetzt an die Ausrüstung, und in einer Stunde können wir segelfertig sein. Wenn uns nur der arme Teufel von Junge nicht heute Morgen ertrunken wäre.«

Jean hatte das Wort kaum ausgesprochen, als er [S. 200] wie von einer Natter gestochen in die Höhe sprang, denn dicht unter seinen Füßen – er stand keine zwei Schritt von der offenen Luke, flüsterte eine leise Stimme, die ihm das Blut aus dem Gesichte ins Herz zurücktrieb:

»Tuwan Jean – Tuwan Jean – ist Capitän fort?« – und im nächsten Moment kletterte der kleine Malaye, flink wie eine Katze, an dem Mittelpfosten des Decks auf, griff den oberen Lukenrand und schwang sich an Deck – über das er zuerst einen flüchtigen noch ängstlichen Blick warf. – In der höchsten Freude haftete aber bald sein großes schwarzes Auge auf dem schimmernden Segel des fernen Boots, und in ein lautes jubelndes Lachen ausbrechend, sprang er wie besessen auf Deck herum.

Hans wußte von dem ganzen Vorgang nichts, und begriff nicht weshalb die anderen so erschreckt waren und der Junge zurückgeblieben sein konnte. Jean sammelte sich aber zuerst wieder und rief mit komischer Wuth, denn es schien ihm nicht halb Ernst bei der Sache zu sein:

»Nun seh' ein Mensch in der Welt so eine kleine schwarze Bestie an – trocken wie eine Pulverkammer, und läßt mich da zweimal hinunter zwischen die todten Pferde tauchen, um ihn wieder herauszufischen. Ob [S. 201] ich jetzt nicht wahrhaftig Lust habe ihn kopfüber da hinunter zu schicken wo ich gewesen bin, nur um zu probiren, wie sich's da im stockfinstern Raum, bei den todten Thieren herumschwimmt – der kleine Heide, der!«

Timor aber der wohl wußte, daß ihm von alle denen, die er noch an Bord sah, kein Leid geschähe, lachte, daß ihm die Thränen aus den Augen liefen, wobei Jean und François natürlich mit einstimmten, und erzählte seinen neuen Freunden nun, daß er unter keiner Bedingung mit dem alten garstigen Capitän hätte weiter segeln wollen, aber auch gar nicht gewußt habe wie er von ihm anders abkommen konnte, als auf solche Art.

»Als Ihr alle damit beschäftigt waret Euch zu zanken, wer da bleiben wollte und mitgehen sollte,« erzählte der kleine Bursche in seinem gebrochenen Englisch, »und als ich sah, daß niemand auf mich achtete, glitt ich auf das Heu ins Zwischendeck hinunter, warf ein kleines Fäßchen mit Nägeln, das ich mir schon heute Morgen früh zu dem Zweck dorthin geschafft, ins Wasser hinunter, daß es recht aufplätscherte meinen Strohhut dann dahinter her, und kroch nun, während ich einen lauten Schrei ausstieß, rasch zwischen ein paar Heuballen hinein und zwischen diesen [S. 202] fort, bis ich sicher war, daß sie mich nicht finden könnten, und wenn sie eine Stunde nach mir suchten. Dort bin ich liegen geblieben, bis ich hörte daß Jean hier sagte, das Boot sei abgefahren. Nun bin ich da und will mit Euch gehen.« Er setzte sich hierauf ruhig auf eines der Wasserfässer nieder und schien geduldig eine Antwort auf seinen Vorschlag abwarten zu wollen.

Hans lachte und meinte der kleine Strick habe jetzt gut auf eine Antwort warten, er wisse recht wohl daß sie ihn nicht zurücklassen könnten. Er solle aber nur, was er mitzunehmen wünsche, zusammenpacken und dann helfen daß sie ihren Proviant und Wasservorrath in Ordnung brächten, die heutige herrliche Brise wenigstens insoweit zu benutzen, Land zu erreichen.

Fünfzehntes Capitel.
Die Bootfahrt.

Hierbei war ihnen jetzt Timor, der ja früher auch mit in der Cajüte aufgewartet und viel mit dem Proviant zu thun gehabt hatte, von unendlichem Nutzen. Der Steward hatte nämlich, um den Zurückbleibenden [S. 203] womöglich nichts als die Provisionen zu lassen, die nicht unter seiner Aufsicht standen, alles was von Eingemachtem, sauren Gurken, feinen Zwiebacken, Weinen und Liqueuren nur irgend noch vorräthig war, entweder selber mitgenommen, oder, wo das nicht anging, zerstört. – Die ganze Cajüte schwamm in Brandy und Wein, denn er schien, als er zuletzt unten war, alle Flaschen die er nur möglicherweise erreichen konnte, zerstoßen zu haben.

Die Mühe war aber vergebens gewesen, denn Timor wußte zu genau überall Bescheid und brachte in kurzer Zeit eine solche Unmasse von Delicatessen und Liqueuren angeschleppt, daß sie drei solche kleine Boote hätten damit verproviantiren können. Das Beste wurde natürlich von alle diesem ausgesucht, ein ziemlich bedeutender Wasservorrath in kleinen Brandyfässern als Ballast unten angelegt, eine der Kisten mit ihren nothwendigsten Sachen gepackt an Bord geschafft und um 11 Uhr Morgens konnten sie schon die leichte Jölle von den eisernen Krahnen, an denen sie noch unversehrt hing, in See lassen.

Dies war des Capitäns Jölle. Obgleich aber in Sydney wenig gebraucht, da das Schiff dort dicht am Lande lag, nahm sie doch nicht viel Wasser ein, und als sie eine Stunde in See gelegen, stand sie [S. 204] vollkommen dicht. Etwa eine Stunde später war das Boot zum Absegeln bereit.

»Alle fertig?« rief Bill, indem er sein Ruder gegen die Seite des Wracks setzte, das noch immer unbeweglich auf den Riffen saß.

»Alles klar!« lautete die Antwort, und im nächsten Augenblick glitten sie von dem kahlen Rumpf ab und in denselben schmalen Canal hinein, durch den ihnen schon an diesem Morgen die Barkasse vorangegangen war.

Bill saß am Steuer, Jean und François standen an den Segeln, Timor kauerte vorne im Bug und schaute auf die unten vorübergleitenden Korallenbäume nieder, und Jean und Hans saßen in der Mitte, der erstere von den Strapatzen des Morgens, von seiner Schwimmpartie, die ihm Timors List verschafft, und den Provisionstransporten verschnaufend, und der andere sein Bein ausruhend.

Fünf Minuten später rannten sie aber plötzlich fest. – Einzelne Korallenstämme stiegen hier überall aus der Tiefe auf, und der hinten am Steuer Sitzende konnte von dort aus solche Stellen auf dem blendenden Spiegel des Wassers nicht deutlich genug erkennen, sie zu vermeiden. François mit den englischen Ausdrücken nicht so vertraut, war auch nicht dazu geeignet [S. 205] und Hans nahm deshalb den Platz vorne, dicht am Bug ein, die nöthige Warnung zu geben, wenn irgend ein Hinderniß in ihrem Fahrwasser liegen sollte.

Sie mußten auch über eine halbe Stunde arbeiten von dem einzelnen Korallenbaum wieder abzukommen, der sie gerade in der Mitte unter dem Boot gefaßt hatte und festhielt, und so steil ringsum niederlief, daß sie mit ihren Rudern weder den Grund, noch ihr gerade unten befindliches Hinderniß erreichen konnten. Endlich gelang es ihnen den Bootshaken zwischen den Kiel und die Koralle zu bringen, und mit einem kurzen Ende Tau an der äußern Spitze der starken Stange hoben sie das Boot etwas, und konnten es seitwärts wieder in tief Wasser schieben. Hans paßte von da an sorgfältig auf, und sie näherten sich mehr und mehr dem tiefen Wasser des inneren Beckens.

Gerade an der letzten Wand oder Mauer die hier wieder zu einer beträchtlichen Tiefe niederschoß, hatten sie aber wohl den weitesten Canal verfehlt, denn hier starrten überall Korallenbäume empor. Sie mußten Segel bergen, daß sie nur langsam mit der Strömung hindurch liefen.

»Luff, Bill, Luff!« rief Hans, als sie auf diese »Barriere« (denn barrier reefs werden diese Felsen ja auch genannt) zuliefen, und sich hier von einem [S. 206] breiten Streifen gelbgrünen Wassers eingeschlossen sahen, aus dem überall oft wie dichtes Gebüsch, das zum Theil wunderlich geformten und verkrüppelten Bäumen glich, eine braune Korallenart emporschoß. »Luff, mehr noch, so halt, Steady jetzt – tiefer – tiefer – noch tiefer – Steady – Luff wieder – und nun Cours –« rief er, sich lächelnd nach Bill umdrehend, der sich die größte Mühe gab den so rasch wechselnden Befehlen zu folgen. »Allons, François, Segel wieder in die Höhe, wir sind jetzt sicher.«

»Donnerwetter, Hans, du jagst mich ja förmlich im Zickzack herum,« rief Bill, während er das Ruder von Steuer nach Backbord und wieder zurück brachte, »sind wir hinaus?«

»Frei und sicher in der Torresstraße eingelaufen« gab ihm Hans, viel fröhlicher, als er sich bis jetzt nur je gezeigt, zur Antwort. – »Wetter, Mann, als ich das letztemal hier war, dachte ich nicht, daß ich in einer Nußschale wie dies Ding hier, zurückkommen würde.«

»Bist du schon früher hier einmal durchgekommen?« frug Bill schnell und erstaunt.

»Dies ist das fünfte Mal, Camerad, und Ihr könntet keinen besseren Lootsen hier hindurch haben als mich. – Wäre der Capitän ein vernünftiger [S. 207] Mann gewesen, er hätte das Schiff da draußen nicht zu verlieren gebraucht – doch so ist's besser, und einmal flott, bekommen wir auch wieder festen Boden, oder was mir lieber wäre, ein anderes gutes Fahrzeug unter die Füße, mit dem wir weiter gehen können. Ist's aber nicht anders, so mögen wir auch getrost mit diesem kleinen Ding dem Monsun folgen. Wie die Jahreszeit jetzt hier ist, wollte ich in einem Canoe von hier nach Batavia oder Singapore laufen.«

»Hör' einmal Hans,« sagte aber jetzt Bill, der ihm die ganze Zeit schweigend zugehört hatte – »ich wollte dich schon lange – aber Wetter noch einmal, wo steuern wir denn jetzt hin? der verdammte Schuft von Capitän hat uns nicht einmal einen Compaß gelassen, und ich halte da immer ins Blaue hinein.«

»Hier ist einer,« sagte Hans und löste ein Band von seinem Nacken los, an dem eine kleine wunderzierlich von Kupfer gearbeitete und mit Gold eingelegte Kapsel hing – »gebrauch den so lange, er thut's wenigstens zur Noth und steuere nur einen Westsüdwest-Cours, bis wir Land in Sicht bekommen.«

»Verdammt wunderliches Ding,« brummte Bill, als er, das eine Steuerreep so lange zwischen den Zähnen, die kleine Kapsel öffnete und mißtrauisch von allen Seiten betrachtete, »wo ist denn darauf Norden [S. 208] oder Süden – Donnerwetter, das Ding steht ja nach allen Seiten hin und – hol's der Henker, die Nadel ist verkehrt angesetzt, die Pfeilspitze sitzt auf der falschen Seite oder zeigt wahrhaftig nach Süden hin.«

»Es ist ein chinesischer Taschencompaß,« lachte Hans, »doch komm, laß mich hin, ich will steuern und dabei kann ich dir erklären wie er eingetheilt ist, du wirst dich bald hineinfinden.«

Bill ließ ihn auf seinen Platz, blieb aber neben ihm sitzen, und als er sich die Sache hatte auseinander setzen lassen, die er bald begriff, sagte er, Hans auf einmal wieder ansehend:

»Ja, Camerad, was ich dich vorher fragen wollte, wie mir da der Compaß durch den Kopf fuhr, und was mir die letzten Tage im Schädel hin- und hergegangen ist. – Wo zum Teufel hast du denn auf einmal das viele Englisch hergekriegt, und warum hast du's vorher nicht gesprochen? – Ich will verdammt sein wenn ich jetzt glaube daß du irgend was anderes bist als ein Engländer. Hol mich dieser und jener, wenn's nicht wahr ist.«

»Und ich glaube, er spricht auch ebenso gut französisch, wie ich selber,« lachte Jean, »und hat uns [S. 209] hier die ganze Reise zum besten gehabt – ich möchte nur wissen warum.«

»Wenn ich keinen Grund dazu gehabt hätte, Cameraden,« sagte Hans gutmüthig, jetzt aber auf einmal ganz ernst geworden, »so hätt' ich's nicht gethan. Da ich also einen Grund dafür haben muß, laßt mir den auch. Wenn ich kann, sollt Ihr ihn später erfahren, bis dahin müßt Ihr aber Geduld haben.«

»Kurz und süß wie wir bei uns sagen,« lachte Bill, »jetzt glaub' ich aber auch, François verstellt sich ebenfalls, und kommt nächster Tage einmal, nur hoffentlich bei einer andern Gelegenheit, mit einem so reinen Englisch zu Tage wie's unser Schulmeister nur zu Hause aus uns Jungen herausquetschen wollte. Doch meinetwegen, jeder nach seinem Spaß und wie er's verantworten kann – und nun erst einmal einen Schluck auf gute Cameradschaft und glückliche Reise!«

Und damit langte er sich eine Flasche Portwein, die er, wie er versicherte, ganz besonders zu diesem Zweck beigepackt habe, aus dem kleinen Spintge, was unter dem Sternsitz angebracht war, heraus, that erst selber einen kräftigen Zug und ließ dann die Flasche im Kreis herumgehen. Selbst Timor wurde nicht vergessen.

[S. 210] Sie waren nun vollkommen in diesen wunderbaren Ort eingedrungen der, nicht See, nicht festes Land, nicht Inselgruppe – ein Mittelding zwischen allen dreien zu halten scheint. Wenn sie über Bord schauten, lag es tief unter ihnen manchmal wie die unergründliche Tiefe des Meeres selber da, und manchmal wieder war es als ob sie in einem Luftballon über weiten schneeigen Feldern mit Blitzesschnelle hingeführt wurden. – Waldungen, Ströme – selbst Städte schwanden mit einer nur etwas regen Einbildungskraft rasch vorüber, und wenn sie plötzlich wieder in tiefer Wasser kamen, sah es gerade so aus, als ob eine dunkle Wolke unter sie getreten sei, und nur die eben noch gesehenen Bilder verdecke.

»Es wird einem ganz schwindlich wenn man so hinunterschaut,« brach Jean endlich ein ziemlich langes Schweigen, indem sich jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt hatte. »Ist das nicht gerade so, als ob man meilenhoch über einer wundervollen, vom Mondlicht beschienenen Landschaft hinwegflöge? sieh Bill, da kommt es wieder – dort der Wald – dort das tiefe Thal.«

Bill warf einen Blick über Bord, wechselte sein Priemchen aus einer Backe in die andere und lachte.

»Aber Mann, das sind ja die Korallen unten, über [S. 211] die wir weggehen! – kaum drei Faden Tiefe und all solch verdammt bröckliches, aber zähes Zeug wie die dort, die da über Wasser vorragen. – Bless you, ein Wald und Thäler – der Mann phantasirt. – Nimm noch einen Schluck von dem Portwein, es wird dir ausnehmend gut thun.«

Bill war nichts weniger als ein Romantiker, und wenn er Bäume oder Thäler sah, so mußten sie auch wirklich mit allem nöthigen Zubehör da sein. Jean lächelte und blinzte nach Hans hinüber, Bill der das aber sah, meinte gutmüthig: –

»Ja, lacht nur Jungen; mir ist's recht, aber hier haben wir in Wirklichkeit Salzwasser unter und Korallen um uns, und wir mögen wieder frei von der ganzen Geschichte kommen, das ist wahr, der Teufel kann aber auch sein Spiel haben und uns sonst einen Possen spielen, und nachher ist die Geschichte faul. Soviel ist jedoch gewiß, wenn das Bäume da unten sind, so will ich nur wünschen daß keiner von uns in ihren Schatten zu liegen kommt, das ist alles.« – Und damit hob er die Flasche gegen das Licht, zu sehen ob der Inhalt noch eines Zuges werth war, und leerte sie dann ohne abzusetzen. Fertig damit, machte er eine fast unwillkürliche Bewegung, sie über Bord zu werfen, hielt aber auch ebenso rasch wieder [S. 212] ein und legte sie auf ihren alten Fleck zurück – »halt,« sagte er dabei – »zum Wegwerfen ist's noch immer Zeit, und wer weiß wozu wir die noch einmal gebrauchen können, ehe wir andere kriegen.«

Vor einer ziemlich steten und frischen Brise in dem jetzt hie und da leise gekräuselten Wasser dahingleitend, schwand das Wrack mehr und mehr am Horizont, und im Westen tauchten dafür schon einige dunkle Punkte kleiner Inseln in diesen Korallengruppen empor, und boten dem Steuernden, der nun seinen Compaß wieder schloß, ein festes Ziel, auf das er halten konnte.

»Dort links hinüber liegt auch Land, wenn ich nicht irre« – sagte Bill, als sie mehrere Stunden ruhig fortgesegelt waren und wenig mehr sprachen als eben zu ihrer Fahrt gehörte. – »Am Ende ist das das feste Land und wir hielten am besten dort gleich hinüber.«

»Habt Ihr Lust gefressen oder wenigstens Eures Bischen Fetts beraubt zu werden, so mögen wir sehen daß wir die Nacht auf australischem Boden zu schlafen kommen,« meinte da Hans. »Ich meinestheils hätte geglaubt, wir wollten erst einmal eine von den Inseln erreichen und dann Kriegsrath halten. Wir fahren uns dabei nicht einmal aus dem Weg, denn [S. 213] was du siehst, Bill, kann schwerlich die Küste, sondern wird Hendriks Insel sein – eine kleine aufragende Spitze; – wie?«

»Ja,« sagte Bill, der auf einen der Thwarten oder Bänke getreten war und seine Augen mit der Hand gegen das helle Licht schützte, »ich kann auch weiter nichts sehen als den Punkt – doch halt, da rechts hinein liegt noch mehr Land glaub' ich – luff ein wenig mehr auf, Hans, wir halten besser Strich.«

»Ich seh übrigens gar nicht ein,« meinte Jean, »weßhalb wir uns hier im Boot nicht ebenso gut berathen können wie auf irgend einem der kleinen Sandflecke in der Straße hier. Wir haben weiter nichts zu thun, und je eher wir uns einen festen Plan bilden, desto besser.«

»Gut,« sagte Hans – »und seid Ihr wirklich entschlossen den Landweg nach Sydney zu wagen?«

»Entschlossen?« rief Bill erstaunt, »ei Mann, ich glaubte das bedürfe gar keiner Frage mehr, sondern wir wollten nur berathen wie wir am schnellsten zum Lande kämen.«

»Aber, Leute, Ihr bedenkt gar nicht was für ein Land Ihr durchwandern wollt. – Ich bin von Herzen gern dabei den Versuch mitzumachen, Euch zu überzeugen, aber wir kommen keine 50 Meilen ins Innere, [S. 214] so viel ist gewiß. – Wir finden kein Wasser und verwünscht wenig zu essen, und werden zuletzt froh sein, wenn uns die Schwarzen nur wieder zur Küste zurücklassen.«

»Ja, aber was zum Donnerwetter sollten wir denn da eigentlich thun?« frug Bill verblüfft – »ich habe bis jetzt noch an gar nichts anderes gedacht. Dann bleibt uns nichts übrig, als hinter dem Alten herzufahren und uns vielleicht von demselben Schiff auflesen zu lassen, was den mit fortnimmt. Deßhalb haben wir ja doch keinen Scandal mit dem Capitän angefangen.«

»Nein, daran denk ich wahrhaftig nicht,« sagte Hans schnell – »das Schiff das ich betrete, möchte ich mir vorher wählen, und deßhalb können wir meinetwegen erst irgendwo an der Küste landen und einen Versuch machen; ich möchte das feste Land selber gern einmal sehen. Geht es aber dort nicht, dann schiffen wir uns wieder ein und segeln mit diesem Monsun, und von dieser Strömung begünstigt frisch und fröhlich in den Indischen Archipel ein – vielleicht gar nach Timor, wo wir ja hier einen herrlichen Dolmetscher und Führer haben.«

»Gut, dabei bleibt's,« rief Jean schnell – »es wäre doch wunderbar wenn vier starke junge Kerle [S. 215] – und Timor dürfen wir immer für einen halben rechnen – sich nicht durch die Welt schlagen könnten, sei's wo's sei. Also frisch einen Südcours hinüber, Hans. Hier verlieren wir zu viel Grund und Boden, und wir wollen gleich von vornherein wissen, welche Aufnahme wir an der Küste zu erwarten haben.«

»Aber wird François damit einverstanden sein?« frug Hans auf diesen blickend.

François verstand nicht viel englisch, doch genug den Sinn der Verhandlung begriffen zu haben, und nickte lachend mit dem Kopf. –

»Cest la même chose pour moi, camerade,« rief er fröhlich, »wohin es auch geht, ich bin dabei, und was die Indianer betrifft, so denk ich brauchen wir uns deretwegen keine Sorge zu machen. Wir sind gut bewaffnet und Schießgewehre kennen sie vielleicht hier oben noch gar nicht.«

»Was sagt er?« frug Bill, der ihn indessen scharf angesehen hatte.

»Vorwärts« lachte Hans und luffte mit einer leisen Bewegung des Ruders, scharf gegen den Wind an, »Brassen meine Burschen – brassen; so, das thuts François. Ich denke wir können mit diesem Cours der Küste nahen.«

»S'ist doch ein merkwürdiges gibberitch das [S. 216] Französische« brummte Bill kopfschüttelnd. »Ich habe mich nun so lange zwischen Franzosen herum getrieben, aber nie mehr davon wegkriegen können als merci Monsiehr und sil woo plaze – was beinah wie breit Irish klingt. – S'ist eigentlich merkwürdig daß wir Engländer, wenn wir uns ein paar Worte französisch merken immer nur Höflichkeiten, und die Franzosen bei ihrem ersten Englisch Sprechen nur Fluchen lernen. Hol mich dieser und jener wenn nicht das erste Wort was ein Franzmann von unserer Sprache begreift, jedesmal God dam ist. – Ich möchte nur wissen woher das kommt, denn es ist ja doch gerade gegen beider Natur. – Wenn ich z. B. höflich sein soll, komme ich mir immer vor wie eine Katze die schwimmen will. – Wir sind einmal nicht daran gewöhnt.«

»Es mag doch wohl daher kommen,« sagte Hans lächelnd, »daß Ihr Engländer so entsetzlich viel flucht, und die Franzosen so entsetzlich viel höfliche Redensarten haben. – Was die eine Nation nun von der andern am meisten hört, behält sie auch am leichtesten.«

»Hm,« brummte Bill, »das wäre möglich, daran habe ich noch nicht gedacht« und er saß eine Zeit lang so in Gedanken versunken da, daß er nicht einmal [S. 217] merkte wie er eine neue Flasche vorgeholt, geöffnet und einen langen Zug daraus gethan hatte.

Timor's Augen, obgleich er an dem Gespräch nicht Theil nahm, leuchteten, als er die Möglichkeit vor sich auftauchen sah, sein lange nicht gesehenes Heimathland wieder zu betreten. Nur soviel eifriger machte er sich jetzt daran die Angelgeräthschaften, die er auch an Bord des Boreas unter Händen gehabt, hervorzusuchen, und seinen Fischfang zu beginnen. Zu dem Zweck befestigte er jetzt ein Stück rothes Zeug an einem ziemlich starken Haken, und ließ es, etwa zehn Ellen vom Boot entfernt, nachschleifen.

Das kleine ziemlich schwerbeladene Boot legte sich indessen, mit dem Wind recht breit von der Seite in die Segel, fast bis an den Steuerbordrand auf das Wasser, und die Besatzung mußte nach Backbord hinüberrücken, das Gleichgewicht wieder herzustellen. Nach Südwesten zu wurden jetzt schon die drei Spitzen der Hannibals Inseln sichtbar. Nachmittag starb der Wind aber plötzlich weg, und um nicht von der Strömung zu weit westlich getrieben zu werden, ruderten sie nach einer kleinen Sandbank, deren weißen Rücken sie über dem dunklen Wasser vielleicht zwei Meilen vor sich konnten herausschimmern sehen, und warfen dort Anker. Timor hatte allerdings einen [S. 218] Fisch gefangen, niemand aber daran gedacht Feuerholz vom Schiff mitzunehmen, und da auf dieser Sandbank auch nicht der kleinste Strauch, ja kein Grashalm wuchs, mußten sie ihr Abendbrod, von ihren Vorräthen halten und den Fisch auf morgen sparen.

Die Nacht schliefen sie im Boot, mit regelmäßig ausgestellter Wache. Es ließ sich indessen nicht das mindeste hören oder sehen, was sie hätte beunruhigen können. Die Nacht war warm und ruhig, und erst gegen Morgen erhob sich wieder eine schwache Ostbrise, bei der Hans, dessen Wacht es war, den leichten Anker hob, die Segel setzte und langsam über das spiegelglatte Wasser hinglitt. Als die andern erwachten, fanden sie sich zu ihrem Erstaunen schon wieder unterwegs und die Sandbank, die jetzt bei Fluthzeit auch fast bedeckt war, weit hinter sich.

Der Wind blieb übrigens den ganzen Tag sehr schwach; sie mußten zweimal wieder ankern, und erreichten den zweiten Abend mit genauer Noth die nördlichsten der Hannibal Inseln, wie sie auf der Karte genannt sind – ein niederer, nur mit wenigem Gesträuch bedeckter Felsen unter dessen Lee sie ankerten, und es vorzogen wieder im Boot zu schlafen. Abends gingen sie aber vorher an Land und brieten mit zusammengesuchtem [S. 219] trockenen Holz eine tüchtige Portion delicater Fische, die Timor über Tag gefangen.

Hans war allerdings nicht recht damit einverstanden daß sie ein Feuer anmachten, denn wenn sie das auch vorsichtigerweise auf der Nordseite der Insel thaten, so daß es von der jetzt deutlich sichtbaren Küste des festen Landes aus nicht gesehen werden konnte, so mochte der aufsteigende Rauch dort etwa herumstreifenden Wilden leicht verrathen, daß sich hier Fremde aufhielten. Bill wollte davon aber nichts hören, und meinte die schwarzen Schufte würden dann ebenso wenig wissen, ob es nicht Fischer von ihrem eigenen Stamm wären, als Weiße, und wenn sie jetzt schon in der Hinsicht so ängstlich sein wollten, wie das dann nachher werden sollte? Die Fische wurden deshalb auch gebraten und schmeckten ausgezeichnet.

Am nächsten Morgen wehte ihnen ein schwacher Landwind gerade entgegen, und erst um 10 Uhr konnten sie Segel setzen und den Anker lichten. Die australische Küste trat jetzt immer klarer und deutlicher heraus. Sie konnten schon das niedere buschige Gehölz, das ihre Ufer bedeckte, unterscheiden. An der weißen sandigen Bank ließen sich aber keine menschlichen Wesen erkennen, und sie sahen auch nirgends Rauch aufsteigen. Der ganze Strich hier schien vollkommen [S. 220] unbewohnt, und Hans, der wieder am Steuer saß, bat Bill, ihm doch das kleine Fernrohr, das gleich oben links in der Kiste lag, herüberzureichen.

»Wenn wir hier nicht mit Wilden zu thun bekommen, finden wir auch kein Wasser,« sagte er, nachdem er das Land eine Weile mit dem Fernglas überflogen hatte. – »Willst du das Glas haben, Bill?«

»Merci,« meinte dieser trocken, ohne den Arm nach dem dargereichten auszustrecken, »wenn Brandy drin wäre, ja, – weiß der Henker woher es kommt, ich bin doch sonst nicht so ungeschickt. Mit den Dingern da aber habe ich mich nie befreunden können, und wenn ich durchsehe schwimmt mir immer Alles vor den Augen. Gerade so geht mir's auch mit den Gewehren; abdrücken kann ich sie, aber wo die Kugel hingeht das ist ihre Sache. Siehst du nichts, Hans?«

»Nicht das mindeste,« sagte dieser, das Glas Jean hinüberreichend. »Nun so viel besser, denn da können wir die Gegend ungestört untersuchen und nachher immer noch thun was uns gefällt.«

Gegen Abend starb der Wind wieder weg, und sie mußten diesmal zu den Rudern greifen, denn es war hier so tief, daß sie nicht einmal hätten ankern können. Mit Sonnenuntergang waren sie etwa noch einen [S. 221] Büchsenschuß vom Lande ab, in vier Faden Wasser, und beschlossen dort auch die Nacht zu bleiben. Sie wollten sich nicht gerade mit Dunkelwerden einem vollkommen fremden Küstenstrich anvertrauen, an dem sie weder die Bewohner, noch die Thiere kannten.

»Was es nur hier für Bestien geben mag,« sagte Jean, als sie ihren Anker fallen gelassen, die Segel geborgen und niedergelegt, und ihr Abendbrod auf zwei besonders dazu aufgestellten Weinkisten ausgebreitet hatten, »weiß man denn gar nichts davon?«

»Der erste der hier ins Innere eingedrungen ist, und durch den wir einigermaßen Nachrichten von diesem bis jetzt noch meist geheimnißvollen Küstenstrich erhalten haben,« sagte Hans, »war ein Deutscher, ein Dr. Leichhardt, der mit einer kleinen Gesellschaft und mit aufopfernder Kühnheit diese Küste bis weit gegen Westen besucht hat. Diesem nach haben wir hier aber eine ganz andere Thierwelt als im südlichen Australien, und es soll an der nördlichen Küste Krokodile und Büffel geben. Ob wir die auch hier so weit im Osten finden würden, weiß ich nicht. Känguruhs giebt's aber jedenfalls, und deren Erlegung wäre das einzige, von dem wir hoffen könnten im Innern zu existiren. – Seht aber das Land erst, und wenn Ihr euern Plan durch das Innere zu gehen, dann nicht aufgebt, [S. 222] dann seid Ihr die ersten Matrosen oder Fischer, die das Land nicht satt hatten und wieder nach Salzwasser schnappten.«

»Unsinn,« lachte Jean, »ich will Gott danken wenn ich nur erst einmal wieder vom Salzwasser hinunter bin. – Nein, ich habe mir Australien zu meiner künftigen Heimath erwählt, und je schneller ich Sydney wieder erreiche, desto besser – und nachher nie mehr zur See.«

Hans hatte das Fernglas wieder aufgenommen und schaute so lange nach der Küste hinüber als es ihm die jetzt rasch einbrechende Dämmerung erlaubte. Es ließ sich aber nicht das mindeste verdächtige erkennen, und auf dem blendend weißen Korallensand der das Ufer bildete, hätte ihm der kleinste dunkle Gegenstand, der sich nur im mindesten bewegte, augenblicklich ins Auge fallen müssen.

Darüber beruhigt ging er wieder an sein Abendessen und die Wacht wurde, als sich die andern zum Schlafen niederlegten, aufgesetzt. Hans hatte die erste Wacht, Jean die zweite, François die dritte, und Bill die Morgenwacht. Timor durfte die ganze Nacht schlafen.

Als sich die Männer, so gut das der enge Raum erlaubte, ausgestreckt, und für eine gute Rast eingerichtet [S. 223] hatten, sah Hans noch einmal nach seinem Gewehr, setzte frische Zündhütchen auf und legte es zum augenblicklichen Gebrauch an seiner Seite nieder. Dann schob er sich seine zusammengerollte wollene Decke unter den Rücken, und schaute, auf diese gestützt, träumend zu den leichten über ihn hinziehenden Wolken und blinkenden Sternen empor, manchmal nur aufhorchend, wenn er irgend ein fernes Geräusch zu hören glaubte oder ein aufschnellender Fisch, zweimal auch ein eigenthümlicher Schrei vom Lande herüber, der Ruf irgend eines fremdartigen Nachtvogels, die Stille unterbrach.

Hätte er die sechs dunklen Gestalten gesehen, die still und geräuschlos, aber schnell wie das Wild ihrer Wälder durch die düsteren Uferbüsche glitten und nach Osten zu dem Strand hinaufliefen, dessen hellen Sand zu betreten sie sich aber wohl hüteten, er würde die Stunden seiner Wacht nicht so ruhig verträumt und sich nachher mit so leichtem Herzen zum Schlafen niedergelegt haben. So aber wandte sich sein Geist bald von der Gegenwart ab. – Den Kopf in die Hand gestützt und mit den Blicken an den funkelnden Sternen über ihm haftend, dachte er bald keiner Gefahr mehr die ihnen hier drohen konnte. – Die Bilder der Vergangenheit gingen vor seiner inneren Seele vorüber, [S. 224] und die Stunden der Wacht schwanden ihm wie Minuten dahin.

Jean hatte eine Uhr, die einzige an Bord, die der Wachthabende jedesmal in Verwahrung bekam. Die ersten drei Wachen verliefen übrigens vollkommen ruhig, und als Bill sich, von François geweckt, aufrichtete, schliefen Hans, Jean und Timor so fest, als ob sie in irgend einer wohl verwahrten und civilisirten Stadt in ihren Betten lägen und dort auch, bis Morgens der Kaffee käme, jedenfalls liegen bleiben wollten.

»Hallo,« sagte Bill und rieb sich die Augen – »was zum Henker, ist's schon zwei Uhr? – ich glaubte, ich hätte mich eben erst niedergelegt. – Es wird ordentlich kalt, Morgens.«

»Schon drei Uhr fast, Kamerad,« versicherte François, »Alles ruhig gewesen!« Damit übergab er dem Wachthabenden die Uhr und rollte sich ebenfalls in seine Decke, die Beine über die nächste Bank streckend.

Bill war übrigens zu lange in Australien gewesen sich nicht indessen an ein Pfeifchen gewöhnt zu haben, aus dem sich sonst Matrosen, wenn sie ihren Kautabak haben, gewöhnlich nicht viel machen. Vor allen Dingen knöpfte er sich aber erst einmal warm in [S. 225] seine dicke Lootsenjacke ein, denn die Morgenluft zog schon scharf von Osten her über das Wasser, schnitt sich dann in der Hand eine Pfeife voll Kautaback klein, stopfte seinen kurzen irdenen Stummel und schlug Feuer. – Das dauerte aber wohl eine Viertelstunde lang, denn der Schwamm war feucht geworden und wollte nicht fangen. Bill wurde auch endlich ärgerlich darüber und fluchte nach Matrosenart, bis er zuletzt all seine Kraftwörter erschöpft hatte, und nur immer bei jedem Schlage damn itdamn itdamn it, brummte. Endlich bekam er Feuer, setzte sich dann mit übergeschlagenen Beinen und die Schulter bequem gegen den kleinen Mast gestützt, in Wachtpositur, und qualmte aus Leibeskräften.

Sechszehntes Capitel.
Der Morgenbesuch.

Durch das Feuerschlagen war Timor wach geworden und richtete sich ebenfalls auf. Es schien ihm aber zu frisch außerhalb der Decke, und noch halb im Schlaf sah er nur einmal über den Bootsrand weg neben dem er lag, nach dem Lande zu, und wickelte sich dann wieder, so warm es ihm möglich war, ein.

[S. 226] Bill wußte nun allerdings recht gut daß er die Wacht hatte, und nicht allein munter bleiben, sondern auch aufpassen mußte; aber es war ihm nur eine höchst unbestimmte Idee, auf was eigentlich. Canoes hatten sie am Abend vorher nicht gesehen, und so dunkel wie es jetzt geworden war, sollte es den Wilden, wenn überhaupt welche an der Küste hausten, sehr schwer werden das fremde Boot zu finden. Keinenfalls hätten sie aber so geräuschlos anrudern können, daß sie von ihm nicht bemerkt wären, und in dieser Hinsicht fühlte er sich auch vollkommen beruhigt.

Das Wetter sah ebenfalls günstig aus, denn obgleich sich am Himmel hie und da dichte Wolken sammelten, versprachen die mehr einen möglichen Regenschauer als viel Wind. Ueberdies lagen sie hier durch das Land durchaus geschützt, und brauchten nicht das mindeste für ihr kleines Boot zu befürchten. Die Wacht versprach also, ebenso wie die übrigen drei, ohne das mindeste Außergewöhnliche abzulaufen. Nichtsdestoweniger setzte er sich so, daß er den schmalen Wasserstreifen, der zwischen dem festen Land und ihrer Jölle lag, vollkommen übersehen konnte, und bließ, den rechten Ellbogen auf das rechte übergeschlagene Knie gestützt, seinen Tabaksdampf in regelmäßigen Puffen dem Morgenwind entgegen.

[S. 227] So mochte es vier Uhr geworden sein. Bill hatte sich seine dritte Pfeife gestopft, und im Osten zeigte sich eben der erste graue Dämmerschein des nahenden Tages. Der Schwamm war aber diesmal nicht gefälliger als das erstemal, und Timor, der überdies die ganze Nacht vortrefflich geschlafen, und auch am Schiff daran gewöhnt war meist um diese Zeit aufzustehen und Kaffee zu kochen, richtete sich bei dem hartnäckigen Feueranschlagen des Matrosen auf den Ellbogen in die Höhe und frug leise, die anderen nicht zu stören:

»Wie viel Uhr, Tuwan Bill. – Wird's schon Tag? es muß noch früh sein?«

Bill, überhaupt kein großer Freund von vielen Worten, zeigte mit der Pfeifenspitze nur gerade nach Osten hin und sagte, indem er den Kopf ebenfalls dorthin drehte – »kommt eben.«

Timor folgte seiner Bewegung und schaute mehrere Minuten lang schweigend nach dem östlichen Horizont hinüber, das Wachsen des lichten Streifens zu beobachten. Plötzlich richtete er sich aber ein wenig höher auf, machte sich seinen rechten Arm frei, rieb sich die Augen, und schaute wieder unverwandt nach der Gegend hin. Er faßte zugleich Bills Knie und drückte es leise. –

»Tuwan Bill,« flüsterte er dabei, doch so geräuschlos, [S. 228] daß die Laute kaum zu des Mannes Ohr drangen – »was ist das dort – Fische?«

Bill drehte den Kopf dorthin, wohin der junge Malaye zeigte, und sah allerdings gerade in diesem Augenblick einen dunklen Gegenstand über dem Wasser vorkommen. – Aber er hob sich nur höchstens einen Fuß über die Oberfläche, glitt etwa zwei oder drei Fuß darüber hin, und verschwand dann wieder.

»Tümmler,« sagte Bill laut, als gleich darauf vier oder fünf derselben Art dem ersten folgten; »es sind Fische, Timor, mit denen können wir uns jetzt aber nicht einlassen. Wenn wir an so einen fest kämen, schleppte uns der mit Anker und allem, Gott weiß wohin.« Er nahm seine alte Stellung wieder ein und rauchte ruhig weiter, während Timor eine Weile die Fische beobachtete. Sie kamen nach kurzer Zeit noch einmal zum Vorschein – etwas näher dem Boote zu, wo auch eine ziemliche Menge Seetang, an einen der vorragenden Korallenfelsen wahrscheinlich, an- und festgeschwemmt war. Der Tang bildete dort eine volle, dunkle Masse. Der Tag war aber noch nicht weit genug vorgerückt, mehr als einen schwarzen schattigen Streifen davon erkennen zu lassen. Der Tang lag nach NO. zu.

Es ist vielleicht nöthig den Leser hier darauf aufmerksam [S. 229] zu machen wie das Boot zu der Küste geankert hatte. Die australische Küste, an deren nördlichem Ufer sie sich hier befanden, streckte sich von Osten nach Westen hin, und bildete dadurch die südliche Bank der Torresstraße. Der vorherrschende Wind war in dieser Jahreszeit der Ostwind, und die Strömung setzte deshalb auch, durch Ebbe und Fluth nur wenig beherrscht oder geändert, in ziemlicher Stärke nach Westen. Das kleine Boot »ritt« vor seinem Anker der es festhielt, während es zugleich der Strömung, so weit es der Anker ließ, nachgab, und deshalb mit seinem Bug gerade nach Osten, vielleicht einen Strich noch südlich, zeigte, da eine, gerade hier oberhalb liegende kleine Bucht die Strömung gewissermaßen aufgefangen hatte, und da wo sie lagen, in die Straße zurückführte. Die Steuerbord oder Starbordseite des Bootes zeigte deshalb nach dem Lande, die Backbordseite nach der offenen Straße hin.

Timor, der vorn im Bug kauerte, fing an zu frieren; die Morgenluft war, trotz der niederen Breite in der sie sich befanden, ziemlich frisch, und er wickelte sich wieder in seine Decke. Die Fische wollten ihm aber doch noch nicht aus dem Kopf, und ehe er sich auf's neue hinlegte, warf er noch einen Blick nach dem Tang hinüber, wo sie verschwunden waren. Der [S. 230] graue Streifen im Osten war indessen auch etwas breiter und lichter geworden, ohne jedoch noch mehr zu vermögen als einen matten falben Schein auf das sonst fast spiegelglatte Wasser zu werfen, was eher das Auge blendete, als ihm die Gegenstände unterscheiden half. Trotzdem glaubte er sich wieder Etwas nach jener Richtung hin bewegen zu sehen, und sprang noch einmal auf, stieg auf die vordere Bank und schaute scharf hinüber.

»Das sind im Leben keine Tümmler,« murmelte er dann für sich, auf malayisch – »das sind entweder Schildkröten oder andere Fische, und vielleicht kommen sie dicht ans Boot heran, daß wir einen mit dem Elker (eine kleine fünf- oder dreizackige Harpune) erreichen können. – Ich will wenigstens alles fertig machen.«

Der Elker lag aber mitten im Boot, und die Spitzen staken unter dem hinteren Sitz, damit sich niemand die Nacht hineinreißen konnte. Um ihn zu bekommen mußte der junge Bursche über François wegsteigen, und die Stange jetzt hebend und vorziehend, konnte er nicht verhindern daß er Hans anstieß und weckte. Dieser, als er sich berührt fühlte, fuhr rasch in die Höhe und frug »was es gäbe?«

»O nichts,« sagte der Malaye leise, »legt Euch ruhig wieder hin, ich wollte nur die Harpune vorholen [S. 231] und bin ungeschickt dabei gewesen. – Es sind Fische da, die vielleicht zum Boot herankommen.«

»Was für Fische, Timor?« sagte Hans, sich die Haare aus dem Gesicht streichend und seine Mütze, die ihm im Schlaf heruntergefallen war, wieder aufsetzend. –

»O ich weiß selber noch nicht, ich kann nur sehen wo sie sich bewegen,« erwiederte Timor. – »Sie scheinen hier ums Boot herum zu spielen und kommen vielleicht näher.« Timor sprach mit Hans gewöhnlich in seiner eigenen Sprache, und deshalb lauter mit ihm als den anderen.

Hans richtete sich auf und warf einen Blick um sich. Er schaute nach den sich lichtenden Wolken und dem noch düster vor ihnen liegenden Küstenstreifen hinüber. Timor aber, der glaubte daß er den Platz suche wo die Fische wären, zeigte mit dem Arm nach dem Tang hinüber, der aber jetzt vollkommen regungslos blieb. Der Tang konnte etwa 60 Schritt von ihnen entfernt sein.

»Da war aber etwas, mehr nach dem Lande hin,« sagte Hans, dessen Blick unwillkürlich der Richtung gefolgt war, die ihm Timors Arm bezeichnete. – »Das muß ein großer Fisch gewesen sein, und ich hätte gar nicht geglaubt, daß sich die so weit nach dem Lande zu [S. 232] verlieren. Wirf ja nicht die Harpune nach solch einem Burschen, wenn er hier herankommen sollte, Timor, denn entweder riß er dich selber mit über Bord, oder wir sehen nie etwas von dem Elker wieder, und es ist der einzige den wir mit haben. – Halt, da wieder – er will zwischen dem Lande und uns durch.«

Der Fisch ging aber tief, und kam nicht wieder auf, wenigstens nicht daß es Hans und Timor bemerkt hätten. Durch das Sprechen war jedoch François ebenfalls munter gemacht, richtete sich auf, und rief den anderen beiden seinen guten Morgen zu.

»Qu'est – ce que c'est ça?« – rief er aber plötzlich, den Arm nach dem Lande ausstreckend – »des poissons?«

»Nein, bei Gott nicht!« rief Hans, der bei dem jetzt deutlich zu ihnen herüberschallenden Plätschern den Kopf rasch dorthin drehte – »das sind keine Fische – das ist ein Schwarzer, und ich habe doch niemand ins Wasser steigen sehen.«

»Wo?« rief Bill, und richtete sich rasch in die Höhe; auch Jean wurde munter.

Bill hatte seine Muskete aufgegriffen und schaute scharf nach dem Gegenstand hin, der sich jetzt gar nicht mehr verkennen ließ. Es war jedenfalls ein Indianer, [S. 233] der hier ganz unbesorgt, etwa 60 Schritt von ihrem Boot entfernt, herumschwamm und tauchte. Als er übrigens bemerken mochte, daß aller Blicke nach ihm gerichtet waren, hob er sich, so weit er das schwimmend konnte, aus dem Wasser und rief etwas nach ihnen hinüber.

Was er rief konnten sie natürlich nicht verstehen, Hans aber, um ihm zu zeigen daß er gesehen sei, antwortete ihm auf gut Glück in einem südaustralischen Dialekte, obgleich er kaum hoffen durfte von ihm verstanden zu werden. Jeder australische Stamm hat fast eine andere Sprache.

»Parni tirriapindo – komm näher heran.« Der Wilde, als ob er wisse was man von ihm verlange, kam jetzt einige Striche herangeschwommen, und hielt dann wieder wie unschlüssig.

In demselben Augenblicke wurden nach Norden zu, also an der dem Land entgegengesetzten Seite, mehrere Köpfe über Wasser sichtbar, tauchten aber auch schon nach wenigen Secunden wieder unter – sie waren nur zum Athemholen in die Höhe gestiegen, und befanden sich keine 30 Schritte mehr vom Boot. Die Aufmerksamkeit der Matrosen wurde jedoch durch den neuen Aufruf des Wilden zu sehr in Anspruch genommen, um sich der anderen Seite zuzuwenden. [S. 234] – Sie sahen nicht was hinter ihnen vorging.

»Es wäre gut, wenn wir uns einen der Burschen zum Freund machen könnten,« sagte Hans zu Jean gewandt – »der würde uns auf dem festen Land von unberechenbarem Nutzen sein. Wir wollen es jedenfalls versuchen.«

»Nunja ngun renga patlerti!« rief der Wilde jetzt deutlich zu ihnen herüber.

»Hol' der Teufel die Sprache,« brummte Hans, »ich verstehe kein Wort davon.«

Dicht unter Backbord des Bootes tauchte ein schwarzer Kopf auf und ein paar dunkle Augen blickten scheu empor – jetzt noch einer, jetzt ein dritter. Die Männer im Boot hätten sie müssen Athem holen hören.

»Wir wollen ein Tuch nehmen und damit wehen,« rief Jean – »einen grünen Busch haben wir ja doch nicht hier, und er wird verstehen daß das freundlich gemeint ist.«

»Parni tirriapindo!« munterte ihn Hans noch einmal dabei auf, weil Jener das vorher verstanden zu haben schien, und Jean schwenkte das Tuch. –

»Diable!« schrie in diesem Augenblick François – und riß sein Messer, das er wie jeder Matrose an [S. 235] der Seite trug, aus der Scheide. – Hans wollte sich umdrehen, verlor aber auch schon das Gleichgewicht, und fiel mit beiden Händen auf den Bootrand zu Steuerbord. Am Backbordrand hingen in dem Moment fünf dunkle Gestalten und suchten, sich so hoch das ging aus dem Wasser schnellend, mit ihrem Gewicht den Rand niederzudrücken, und das Boot jedenfalls dadurch zu füllen und zu versenken.

Die Jölle schwankte natürlich mit einem plötzlichen Ruck nach ihnen hinüber und zwar so stark, daß Jean auf Steuerbord überstürzte, und nur noch glücklicherweise mit der linken Hand den Rand ihres kleinen Fahrzeugs erfaßte. Dadurch hielt er sich nicht allein über Wasser, sondern bewahrte auch wahrscheinlich durch das Gegengewicht was er hiermit an die andere Seite warf, das Boot vor dem gänzlichen Füllen und Sinken, auf das der Angriff berechnet gewesen. Freilich konnte er nicht verhüten, daß trotzdem eine Masse Wasser über Bord schlug.

Ein zweiter solcher Stoß wäre ihnen auch jedenfalls verderblich gewesen, und er mußte erfolgen, sobald die Schwarzen nur einfach mit ihrem Gewicht hängen blieben, Bill aber rettete sie diesmal, und zwar ganz gegen seinen Willen, denn mit dem ersten Ruck schon hinten überfallend, stürzte er gerade in den Vordertheil [S. 236] des Bootes hinein. Wahrscheinlich aber dabei mit dem Finger den Drücker der Muskete berührend, oder auch nur durch das Anstoßen des Kolbens auf den Sitz, entlud sich diese, und die Kugel fuhr zischend ins Blaue.

Die Wirkung zeigte sich zauberschnell. – Im Nu waren die sechs schwarzen Köpfe, die eben noch ein gellendes Siegesgeschrei ausgestoßen, in der über ihnen zusammenschlagenden Fluth verschwunden. Durch das schnelle Loslassen des Bootes und Jeans Gewicht nach der andern Seite hätten sie aber beinahe das erreicht, was sie durch ihren Angriff verfehlt, denn die Jölle schlug nun ebenso viel nach Steuerbord über, als vorher nach Backbord, und nahm wieder eine Menge Wasser ein.

Das kleine Boot war jedoch glücklicherweise ziemlich breit gebaut, und das nächste Zurückschwanken nach Steuerbord zeigte ihnen, daß die Gefahr für den Augenblick vorbei sei.

Während aber Jean, so rasch ihm das irgend möglich war, zurück ins Boot kletterte – und Timor faßte ihn dabei und half ihm hinein – hatte Hans sein Gewehr aufgegriffen und gespannt, und François mit dem Messer noch immer in der Faust, bewachte scharf die beiden Bootränder, ob sich wieder eine [S. 237] schwarze Hand auf ihnen sollte blicken lassen. Aber nirgends zeigte sich auch nur eine Spur von den Flüchtigen, und Hans meinte erstaunt, es wären doch keine Fischmenschen, daß sie ganz unter Wasser leben könnten; sie müßten wieder vorkommen. Da deutete Timor nach dem Seetang, der an den Korallen hing, an dem sie schon vorher das Auftauchen der geglaubten Fische beobachtet hatten.

Alle folgten mit ihren Augen der Richtung, nur François nicht, der fest die Feinde noch einmal auf ihren alten Angriffsplatz – er wußte nur nicht recht auf welcher Seite – zu erwarten schien.

»Dort sind sie!« rief aber jetzt auch Hans, und Jean, der indessen ebenfalls seine Muskete aufgefaßt, wollte schon auf das Dunkle dort, was sich ziemlich deutlich als die dunklen Köpfe der Feinde erkennen ließ, zielen. Hans verhinderte ihn aber daran und meinte ruhig, es wäre besser Blutvergießen zu vermeiden, bis es nicht anders mehr möglich wäre.

Die Köpfe verschwanden auch in demselben Moment fast wieder, und erst weit außer Schußweite kamen sie zum zweitenmal hervor. Als sie sich zum drittenmal zeigten, war es dicht am Ufer, und sechs schwarze Gestalten, mit kurzen Speeren in der Hand, wie es Hans deutlich durch das jetzt aufgegriffene [S. 238] Fernrohr erkennen konnte, sprangen aufs Trockene und tauchten in der nächsten Minute in die dichten Büsche ein, die sie den Blicken der Nachschauenden gänzlich entzogen.

Deren nächste Sorge war jedoch jetzt ihr Boot, und zwei gingen daran, es so schnell als möglich wieder auszuschöpfen, während die anderen noch immer auf Wacht blieben, denn sie glaubten kaum, daß so wenige von den Wilden es gewagt haben sollten sie anzugreifen.

Der Plan war auch gar nicht so übel gewesen, und nur daran gescheitert, daß die Schwarzen nicht die Natur einer solchen Jölle kannten, die weit fester mit ihrem breiten Boden auf dem Wasser liegt als eines der gewöhnlichen Canoes. Keines dieser letzteren hätte einem solchen Gewicht, plötzlich an die Seite geworfen, widerstehen können, und einmal die Mannschaft über Bord, hätte sie den Wilden, die im Wasser fast gewandter sind als auf festem Lande, sicherlich nicht widerstehen können. Mit ihren kurzen Speeren würden sie die Weißen entweder ermordet, oder untergezogen und ertränkt haben, und das Boot mit der Ladung, die sie leicht wieder vom Grund mit Tauchen aufbringen konnten, wäre ihre gute Beute geworden.

[S. 239] Ihr ganzes Manöver ließ sich jetzt auch sehr leicht erklären. Zuerst hatten sie versuchen wollen im Dunkel der Morgendämmerung (fast alle wilden Stämme machen ihre Angriffe zu dieser Tageszeit) heimlich anzuschwimmen. Timors Munterwerden machte ihnen das aber unmöglich, und einmal die richtige Zeit versäumt, war auch die andere Mannschaft wach geworden. Einer schwamm also deshalb wieder von den übrigen ab, die Aufmerksamkeit der Fremden auf sich und von den Cameraden abzulenken, während diese unbeachtet herantauchen und den vorher verabredeten Plan ausführen konnten. Vor Feuergewehren haben aber diese Stämme, die mit Weißen fast noch nie in Berührung gekommen, eine heilsame Furcht, und das zufällige Losgehen von Bills Muskete erschreckte sie so, daß sie jeden Gedanken an Angriff aufgaben, und nur ihre eigene Haut in Sicherheit zu bringen suchten.

»Nun, wie gefällt Euch Euer Empfang bei den Schwarzen?« frug Hans die anderen, als sie ihr Boot wieder in Ordnung gebracht und ihre Provisionen vorgesucht hatten, um ein hastiges Frühstück einzunehmen. »Nicht wahr, es sind gastliche Gesellen, die nicht einmal abwarten bis wir bei ihnen an Land gekommen sind, sondern uns gar schon vor der Thüre besuchen.«

[S. 240] »Hol der Teufel die Landlubbers,« brummte Bill, der damit das schlimmste Wort seines Kopfwörterbuchs ausgesprochen – »wenn die Sachen hier so stehen, hab' ich wenigstens allen Appetit verloren mich viel bei ihnen zu Gaste zu bitten. – Das sind ja verteufelte Kerle – und wie die Bestien schwimmen und tauchen können.«

»Die Hälfte von unserem Brod ist naß geworden,« sagte Timor, der sich indessen eifrig damit beschäftigte den beschädigten Proviant nachzusehen – »ein Glück nur daß das meiste hoch lag.«

»Wir essen das naßgewordene zuerst weg,« meinte Jean – »wenn das Brod auch ein wenig salzig schmeckt, das schadet nichts, und aufgeweicht ist's doch nicht. Da müssen unsere Schiffszwieback länger im Wasser liegen, wenn sie wirklich weich werden sollen; für solche Fälle haben unsere Rheder glücklicherweise gesorgt. – Aber so heimtückische Canaillen; auf einer Seite Freundschaftsversicherungen, und auf der anderen Meuchelmord. Doch feige sind die Kerle. Hei wie sie ausbrannten als Bill sein Gewehr unter sie abschoß. Mich wundert nur daß sich Bill so rasch fassen und schießen konnte; der Angriff kam so schnell, daß ich an mein Gewehr gar nicht dachte.«

[S. 241]

Siebenzehntes Capitel.
Die Landung.

Bill sah ihn mit einem trocken komischen Ausdruck in den Zügen an, und die anderen lachten.

»Ja,« sagte Bill endlich, »wenn ich jedesmal mein Gewehr auf die Art abfeuere, dann thu' ich meinem eigenen Leichnam mehr Schaden dabei als jemand anderem. Nicht allein daß ich mir meine ganze hintere Fronte auf den scharfen Kistenecken und Gott weiß was abgescheuert habe, nein, die verdammte Muskete stieß mich auch, wie sie los ging, so gegen den Leib, daß ich erst fürchtete, ich hätte einen förmlichen Decimalbruch gekriegt. – Das sind verwetterte Dinger so Schießgewehre – da ist's ja wahrhaftig so gefährlich dahinter wie davor zu stehen, und ich hatte nur eine einzige Handvoll Pulver drin. Aber Donnerwetter, Ihr braucht nicht so furchtbar zu lachen; wir sitzen hier keineswegs in einer so angenehmen Lage hier vielen Spaß machen zu können. Gebt lieber einen guten Rath, wie wir aus dieser Klemme wieder hinauskommen und was wir thun sollen.«

»Sail ho!« rief in diesem Augenblick Timor, der [S. 242] trotz seiner Beschäftigung im Boot, doch nicht aufgehört hatte den Horizont wie seine nächste Umgebung zu beobachten.

Dieser Ruf gab natürlich den Gedanken der kleinen Mannschaft eine total andere Richtung. Aller Augen richteten sich blitzesschnell nach der einzigen Himmelsgegend hin, wo ein Segel sichtbar werden konnte – der Einfahrt der Torresstraße zu. Und richtig genug, über dem Horizont waren deutlich die oberen Segel eines wahrscheinlich großen Schiffes zu sehen, das schon gestern Abend in die Straße eingelaufen und vor Anker gegangen sein mußte, und jetzt mit einer guten, wenn auch leichten Brise und von der starken, westwärts setzenden Strömung begünstigt, seine Durchfahrt antrat.

»Da wär' eine Gelegenheit von hier fortzukommen,« sagte Hans lächelnd, nachdem sie das Segel, dessen Fortgang sie leicht bemerken konnten, eine kleine Weile schweigend beobachtet hatten, »was meinst du, Bill? sollen wir unser Glück damit versuchen?«

Bill schüttelte aber finster mit dem Kopf und sagte endlich, nachdem er sich ein tüchtiges Stück von seinem Kautaback abgebissen und den Rest wieder in die Mütze – dem gewöhnlichen Aufbewahrungsort, gelegt [S. 243] hatte: – »Ne – so gern ich hier weg wäre, aber die Gesellschaft Capitän Oilytts ist doch zu gut für mich – ich bin sie nicht werth und – ich will mich nicht gern wieder hineindrängen. – Wenn wieder ein's käme, ja, da will ich nichts dagegen sagen, aber ich denke dies erste gönnen wir unserem Alten zu seiner alleinigen Verfügung.«

»O wenn's nur deshalb wäre,« rief Jean, »das sollte mich wahrhaftig nicht abhalten. – Auf einem fremden Schiff hat er Nichts zu sagen, denn er ging höchstens als Cajütenpassagier und wir kämen als Wachtverstärkung mit ins Vorcastel. Was könnte er uns da anhaben?«

»Was er uns anhaben könnte?« wiederholte Bill, »weiter nichts, Mann, als daß er uns viere hier einfach in Eisen legen ließe, wegen Widersetzlichkeit – wenn er da irgend Gefallen d'ran fände. Und thäte er das wirklich nicht, so kannst du dich d'rauf verlassen, er würde uns bei dem anderen Capitän einen solchen Namen machen, daß ich lieber mit sieben Jahr Urlaub nach Norfolk Island oder Vandiemensland geschickt werden möchte, als dort Matrose sein. Frag einmal Hans, was der dazu meint. – Und Timor erst für sein bischen Versteckens spielen. – Aus dem seiner Haut machten sie, Gott straf mich, Kabelgarn.« [S. 244]

»Unsinn, Mann,« lachte Jean, »es fällt mir ja gar nicht ein Capitän Oilytts Gesellschaft je wieder aufzusuchen. Im Gegentheil, ich danke Gott daß ich sie mit so guter Manier los geworden bin. Das Schiff hat aber jedenfalls den Vortheil für uns, daß es den Capitän mit seiner ganzen Gesellschaft aus der Straße herausnimmt, und kommt später einmal ein anderes, und es gefällt uns dann nicht auf dem festen Lande, dann können wir immer noch thun was wir wollen.«

»Hollo, Hans, was machst du da?« wandte er sich plötzlich zu diesem, der nach vorn gegangen war, und ohne weiter etwas zu sagen, den kleinen Anker aufholte.

»Was ich mache? – ich mache uns flott,« lautete die Antwort – »oder wollen wir heute hier liegen bleiben?«

»Gut dann, an Land!« rief Jean fröhlich, »und gefällt uns das Innere, so sollen uns alle Wilden Australiens nicht abhalten unser Ziel zu erreichen.«

»Damit bin ich auch einverstanden,« meinte Bill, »meine Flinte kann aber Timor nehmen. Ich will verdammt sein, wenn ich das Ding noch einmal losschieße oder vielmehr sich selber losschießen lasse. Was ich bis jetzt daran gesehen habe, so scheint [S. 245] es mir verwünscht unabhängig zu sein, und sich wenig daran zu kehren, ob an dem kleinen Stück Eisen da gedrückt wird oder nicht.«

Als der Anker gelichtet war, wollten Bill und François nach den Rudern greifen, die kurze Strecke hinüber zu rudern; Hans richtete aber das Segel auf und schlug ihnen vor, noch eine kleine Strecke an der Küste hinabzufahren, bis wo sie wieder Hügel zum Strande niederdachen sehen konnten. Die Gegend war hier vollkommen flach, die kleinen Hügel standen aber mit anderen höheren, deren blaue Spitzen sie jetzt schon erkennen konnten jedenfalls in Verbindung. Es war dort auch eher wahrscheinlich daß sie Wasser finden würden als hier; und Wasser blieb ihnen ja doch, bei einem Marsch ins Innere, die Hauptsache, wo sie wohl dann und wann ein Stück Wild erlegen konnten, ihren Hunger zu stillen, aber nie im Stande gewesen wären sich ohne Wasser zu behelfen.

»Und dann kommen wir auch ein Stück von diesen verdammten schwarzen Heiden fort,« sagte Bill, als er die Schote des kleinen Segels anholte und fest machte – »hol sie der Henker!«

»Das nun wohl nicht,« meinte Hans, »denn ich bin fest überzeugt, daß wir die ganze Zeit von mehr als den wenigen beobachtet wurden, und selbst diese [S. 246] können uns leicht zu Lande folgen. Laufen wir aber scharf gegen die Küste an, so werden sie sich jedenfalls zurückziehen, und ich bin ziemlich gewiß, daß sie uns beim Landen nicht im geringsten stören.«

Nach zwei Stunden etwa erreichten sie das höher gelegene Land, und fanden hier sogar, ganz gegen Erwarten, ein wohl 30 Schritt breites kleines Strombett, in dem eine ziemlich starke Quelle niederrieselte. Es war gerade Regenzeit, und sie durften jetzt allerdings weit eher erwarten dann und wann Wasser zu finden als im Sommer, wo auch diese Quelle sicher vertrocknete.

Bei der Landung gebrauchten sie nichtsdestoweniger jede Vorsicht, die ihnen unter ihren Umständen nur möglich war. Während Bill vorn mit dem Springtau in der Hand auf das Anlaufen des Bootes wartete, und dann hinaussprang und es ans Ufer zog, standen Jean, und François mit ihren geladenen Gewehren neben ihm. Hans hielt das Ruder. Es ließ sich aber kein Indianer blicken, ja nicht einmal die Spur ihrer Füße konnten sie in dem Ufersand entdecken, und nachdem sie erst zu diesem Zweck eine kleine Runde durch die Büsche gemacht, und auch nicht das mindeste Verdächtige gefunden hatten, zogen sie ihr Boot in die kleine Süß-Wasser-Bay, die hier das [S. 247] frische Wasser in den sonst überall nahe zum Ufer kommenden Korallen gebildet zu haben schien, und fanden sich, zum erstenmal wieder, auf festem, trockenem Lande.

Achtzehntes Capitel.
Der Australische Busch.

François und Jean hielten es allerdings jetzt noch für unumgänglich nöthig Posten auszustellen, und indessen ihr Boot in Sicherheit zu bringen. Hans aber, mit den Sitten dieser Stämme, wie es schien, besser bekannt, beruhigte sie darüber, und gab ihnen die Versicherung, daß sie gewiß keinen neuen Ueberfall, so lang es hell sei, zu fürchten hätten; obgleich er keineswegs für dasselbe nach Dunkelwerden einstehen möchte.

Was aber nun thun? ihr Boot am Strand, oder irgendwo im Dickicht versteckt zurücklassen, und geradezu den Landweg durch das Innere versuchen? die Sache wurde bald als unmöglich verworfen, denn die gerade, die im Anfang am exaltirtesten für einen solchen Plan gewesen waren, schienen durch diese erste Begrüßung einen heilsamen Schreck vor irgend einem solchen Unternehmen bekommen zu haben.

[S. 248] Hierzu kam noch, daß jetzt die Provisionsfrage in Anregung gebracht werden mußte, und es sich nun herausstellte, wie solche auf keine andere Weise fortzubringen wären, als auf den eigenen Rücken. Hans setzte ihnen dabei die etwaige Entfernung auseinander, bei der Bill schon vollkommen genug hatte, sobald er die Zahl der Tagemärsche hörte, und selbst François und Jean wurden kleinmüthig als sie das ihnen nächste Wasser, das sie für frisches gehalten, kosteten und – salzig fanden. Allerdings hatte das seine sehr natürlichen Ursachen, da die Mündung des kleinen Creeks oder Flusses – denn das Bett desselben sah breit genug aus – hier jedenfalls der Ebbe und Fluth ausgesetzt war.

Hansens Rath lautete nun, wie er von Anfang an gewesen, in ihrem Boot zu bleiben und so rasch sie könnten nach Westen zu segeln, um jedenfalls Timor oder eine andere Insel jener dicht gedrängten Gruppe zu erreichen. Bis dorthin führten sie auch genug Provisionen bei sich, denn Wasser konnten sie, wenigstens etwas, bei einzelnen doch jedenfalls zu erwartenden Regengüssen oder Gewitterschauern mit ihrem Segel auffangen.

Wenn nun aber auch die übrigen im Ganzen mit dem Plan vollkommen übereinstimmten, versicherten [S. 249] doch François sowohl wie Jean, das feste Land hier nicht eher wieder verlassen zu wollen, ehe sie mehr davon gesehen hätten, denn der Beweis wäre ihnen geworden, welchen Respect die Wilden hier vor Feuerwaffen hätten. François besonders, mit der eigenen Leidenschaft die Matrosen für jede Art von Jagd zeigen, wenn sie einmal festes Land betreten haben, verschwor sich hoch und theuer hier erst einmal die Gegend untersuchen zu wollen, ehe er wieder in See ginge – die Zeit sei ihm lang genug an Bord geworden und er müsse jedenfalls erst »sein Gewehr einmal anschießen.« Etwaige Gefahren konnten ja nur den Reiz erhöhen, aber nimmer vermindern.

Der einzige, dem es ziemlich gleichgültig schien was vorgenommen wurde, war Bill, so sie nur nicht von ihm verlangten lange Tagemärsche mit einer Last auf dem Rücken zu machen. Er gestand jetzt ein daß er sich das Land ebenfalls anders gedacht habe, und stimmte Hans bei, so rasch als möglich Timor zu erreichen. – Gegen eine kleine Excursion ins Innere hatte er aber ebenfalls nichts, vorausgesetzt, daß er dieselbe ohne Flinte mitmachen könne, denn nur im äußersten Nothfall möchte er, wie er meinte, gezwungen sein, solch ein »hintenausschlagendes Schießeisen« wieder abzufeuern. – Aber was sollte indessen aus [S. 250] dem Boote werden? – Die Frage war die natürlichste, und wenn auch besonders François im Anfang geglaubt hatte, man würde es irgendwo leicht verstecken können, überzeugte sie doch bald die ganze Natur des Bodens, daß etwas derartiges wohl leicht gedacht, aber schwer ausgeführt werden könne. Handelten sie übrigens hierin leichtsinnig, so waren sie der fast unvermeidlichen Gefahr ausgesetzt, alles was sie an Provisionen bei sich hatten nicht allein zu verlieren, sondern auch noch zugleich der Möglichkeit eines Rückzugs von hier beraubt zu werden.

Dagegen erklärte sich auch Hans auf das Bestimmteste, und erbot sich mit Timor im Boot zu bleiben und dies flott zu halten, bis die drei Cameraden ihrer »Landungswuth« genügt und vom Land so viel gesehen hätten als ihnen zuträglich wäre, was, wie er hoffte, gar nicht so sehr lange dauern sollte. Timor war sehr gern damit einverstanden, Jean aber nicht, der Hans mit an Land zu haben wünschte und dagegen Bill, als am schlechtesten auf den Füßen, zur Bootwacht vorschlug. Als Station für das Boot konnte der dann eine kleine Insel nehmen, die jetzt, in der Fluthzeit, nur eben über die Oberfläche des Wassers vorragte und mit dichtem Gebüsch bewachsen war. Trotzdem lag sie gerade bequem und etwa eine englische [S. 251] Meile vom Lande ab, so daß sie dort wenig oder gar nichts von einem Ueberfall, ausgenommen in Canoes, zu fürchten hatten. Den aber brauchten sie am hellen Tag um so weniger zu fürchten, da sie gesehen hatten, welchen Respect die Eingeborenen den Schießgewehren gegenüber gezeigt.

Bill, überdies nicht sehr lebhaften Temperaments, war mit diesem Plan vollkommen einverstanden, ließ ihn derselbe doch in unbeschränktem, unverkümmertem Besitz und unmittelbarer Nähe des Portweins, für den er anfing eine stille Neigung zu fühlen.

Hans wünschte selber gern einen Theil der Küste und das Innere des Landes zu sehen, wenn sich die Cameraden denn doch nun einmal nicht von ihrem Plan abbringen ließen, und da er sich auch wohl bewußt war manche Gefahr von ihnen abwenden zu können, stand der Ausführung des beabsichtigten Streifzugs nichts weiter im Weg. Timor schien mit Allem einverstanden, was ihn nur nicht wieder in den Bereich der Schwarzen brachte, die sich bei ihm durch den so schlau ausgeführten Angriff gar tüchtig in Respect gesetzt.

Mit Vorbereitungen verloren sie denn auch keine lange Zeit weiter. Jeder nahm nur an Munition und Proviant was er auf zwei oder drei Tage nothwendig [S. 252] zu brauchen glaubte – denn etwas zu schießen mußten sie ja doch auch hier im Walde finden – und als Signal, wenn sie zurückkehren wollten, wurden zwei rasch hintereinander abgefeuerte Schüsse bestimmt. Sobald Bill dieselben höre, solle er sich, aber immer noch sehr vorsichtig, dem Festland nähern. Auch jetzt wurde es ihm zur Pflicht gemacht, um ganz gesichert gegen einen Ueberfall zu sein, augenblicklich vom Lande abzustoßen.

Zuerst aber nahm er noch herzlichen Abschied von den Cameraden und warnte sie ernstlich, ganz besondere Acht auf ihre eigene Haut zu haben, damit sie dieselbe nicht unnöthiger Gefahr aussetzten. Dann nöthigte er noch jedem, sie mochten dagegen einwenden was sie wollten, eine extra Flasche Madeira auf – Madeira, meinte er, sei besser wie Portwein, wenn man ihn mit Salzwasser trinken müsse – und schob hierauf mit Hülfe der Zurückbleibenden vom Lande ab. Hier wandte er rasch den Bug seines kleinen Fahrzeugs, setzte das Segel und suchte mit Timor am Steuer, vom Lande abzukreuzen, was ihm jetzt, von der eintretenden Ebbe begünstigt, auch bald gelang.

Die drei Matrosen sahen ihn aber kaum frei und unter Segel, als sie auch ihre verschiedenen Packen schulterten, die Gewehre unter den Arm nahmen, und [S. 253] dem nächsten Hügel zuwanderten, den sie vor allen Dingen erst einmal besteigen wollten, einen ungefähren Ueberblick über das benachbarte Land zu gewinnen.

Hansens Bein schmerzte ihn allerdings noch ein wenig. Die letzten Ruhetage und die gute Pflege hatten ihn jedoch so weit wieder hergestellt, einen derartigen nicht zu langen Marsch ohne große Gefahr für sich wagen zu können.

Da sie sich hier noch innerhalb des Flußthals befanden, das nach Osten und Westen in einem, wenn auch schmalen doch weit auslaufenden Streifen abzweigte, so hatten sie sich vor allen Dingen durch einen höchst beschwerlichen Mangrovesumpf hinzuarbeiten. Im Anfang durften sie auch wirklich kaum wagen auf den Schlamm zu treten, der oft unter ihnen wegsank. Sie mußten sich über die hoch emporstehenden Wurzeln, die nach allen Seiten hin wie die Beine einer Spinne vom Stamme wegstarrten, hinarbeiten, nur erst einmal höheres und damit auch festeres Terrain zu gewinnen.

Hans fühlte sich aber gleich von vorn herein in diesem Sumpf nicht wohl, denn hätten die Wilden wirklich noch böse Absichten auf sie gehabt, so wären sie hier, wo sie ihre beiden Hände gebrauchten, um sich nur fortzuhelfen, ihren Angriffen jedenfalls auf [S. 254] eine höchst gefährliche Weise preisgegeben gewesen. Aber nicht ein einziger ließ sich sehen; keine Spur konnten sie von ihnen, selbst in dem weichen Schlamm erkennen, und François meinte lachend, als sie den ersten festen Platz erreicht hatten und hier einen Augenblick stehen blieben, sich zu erholen; die schwarzen Schufte die an dem Morgen einen Angriff versucht hätten, liefen wahrscheinlich noch, so seien sie über den Knall von Bills unfreiwilligem Schuß erschreckt worden.

Hans war anderer Meinung, aber er begnügte sich damit, vorsichtig auszuschauen, und erhielt dazu noch kräftigeren Grund als sie hier, am Rande eines kleinen »Theebaum«-Dickichts nicht allein Spuren, sondern einen festgetretenen Pfad von Indianern fanden, der am Rande des Sumpfes hinzulaufen, und wahrscheinlich dem nächsten frischen Wasser, am Flusse weiter hinauf, zuzuführen schien.

Hier, mit dem ersten hohen Land, wurde auch die Vegetation eine andere, üppigere und hier zum erstenmal schienen selbst Bäume den Hügelkamm zu decken, während weiter unten sowohl wie oben die nächsten Küstenhügel nur starre, dürftige Sandberge gewesen waren. Kleine schmale Lagunen oder flache, mit frischem Gras bewachsene Ausläufe zogen sich hier [S. 255] zum Fluß hinunter, deren Ränder mit Banksias eingefaßt standen, während dahinter einzelne Kohlpalmen aufragten und der ganzen Landschaft, mit dem dunklen Hintergrund von Stringybark-Bäumen und Casuarinen, einen freundlichen Anstrich gaben. Nach rechts hinüber schienen diese Palmen in noch größerer Menge zu stehen und weiter eindringend in den Wald, kamen sie auch zu einzelnen Pandanus-Dickichten, an denen besonders die Wilden ordentliche Lager gehabt zu haben schienen.

Hans sowohl wie Jean und François fühlten sich aber beengt in dem dichten Unterholz, das übrigens eine Masse weißer Tauben belebte, und gerade das ewige Geflatter und Aufschrecken dieser Vögel diente nur dazu, sie mehr und mehr zu beunruhigen. Glaubten sie doch anfänglich in jedem solchen Geräusch einen versteckten Wilden zu hören, der mit Speer oder Waddie (Keule) auf sie losbrechen wolle.

Hier noch im flachen Lande wäre auch ein solcher Ueberfall nicht so unmöglich gewesen, denn die üppige Vegetation würde einen Hinterhalt sehr begünstigt haben. Deshalb wandten sich alle drei, wie nach gemeinsamer Verabredung, dem nächsten Hügellande zu, und erreichten bald darauf einen vollkommen baum- und buschfreien Hang, dürftig mit Rasen und kleinen [S. 256] gelbrothen Blumen bedeckt, an dem hinauf sie rasch und ungefährdet ihre Bahn verfolgen konnten.

Eigenthümlich war hier eine Masse einzelnstehender hoher und spitzer Lehmhaufen, die ihnen von fern wie zugespitzte alte Baumstümpfe vorkamen, und überall am Hügel hin, oft zu zweien und dreien, manchmal 20 und 25 zusammenstanden. Diese wiesen sich jedoch bald als Ameisenhaufen aus, die meist acht bis zehn Zoll unten im Durchmesser, bis vier Fuß hoch und scharf abgespitzt, von dem gelblichen Lehm des Bodens errichtet, der ganzen Landschaft einen wunderlichen Anstrich gaben. François glaubte in der That im Anfang, es sei eine gewaltige Schaar von lederfarbenen Eingebornen, die dort über den Berg zerstreut, nur ihr Hinaufsteigen abwarteten, um von allen Seiten über sie herzufallen. Hans kannte aber diese Hügel schon von früher, und bald konnten sie sich auch selber von dem harmlosen Wesen derselben überzeugen.

Eine ihnen fremde Gattung von Taube, mit dunkelbraunem Körper und hellerer Zeichnung schienen übrigens die einzigen Bewohner dieses Hügelhanges zu sein. Diese hatten in einzelnen vorragenden Felsen ihre Wohnungen aufgeschlagen, aus denen sie scheu hervorschwirrten, sobald sich ihnen die Fremden [S. 257] näherten. Die Seeleute wollten aber weder ihre Munition nach so kleinem Wild verschießen, noch die benachbarten Wilden unnöthigerweise auf sich aufmerksam machen, und kletterten deshalb, ohne ein Gewehr abzudrücken, den jetzt steiler werdenden Hang empor.

Hier befanden sie sich, etwa eine halbe Stunde später, auf dem äußersten Kamm des Bergrückens, der sich nach Süden zu hinunterzog, und im Osten durch die noch höhere Kette, die in Cape York ausläuft, begränzt wurde. Nach Westen zu öffnete sich ihnen dagegen die Aussicht über ein weites buschiges Thal, um das der Ocean seinen endlosen blauneblichen Gürtel zog. Aber auch dorthin sah das Land traurig genug aus. Dürre, theils mit dichtem Busch bewachsene Strecken, theils grausandige Flächen dehnten sich rings um sie her, und nicht die geringste Anzeige irgend eines bedeutenden Wasserlaufes ließ sich darin erkennen. Es war eine trostlose Wildniß, die ihre Einbildungskraft noch nach Gefallen mit den heimtückischen Schwarzen bevölkern konnte – und dagegen donnerte im ewigen Ansturm die weite See.

»Großer Gott!« brach François endlich zuerst das Schweigen, nachdem sie eine ganze Zeitlang lautlos auf das weite monotone Land hinabgeschaut hatten, [S. 258] »wie verlassen, wie entsetzlich todt sieht jene weite furchtbare Fläche aus. Hier in den Hügeln haben wir zwar auch gerade nichts Besonderes, aber ich kann mir denken wie man von da unten aus ordentlich mit einer wahren Sehnsucht hier heraufschauen könnte.«

»Und durch ein solches Land wolltet Ihr, von allen Mitteln entblößt die einer solchen Reise wenigstens die Möglichkeit des Gelingens ließe, den Marsch versuchen;« sagte Hans.

»Aber es wird auch nicht überall so sein,« entgegnete Jean rasch. »Da wo sich der Fluß durch das breite Thal zieht, grünt und blüht eine so üppige Vegetation, wie sie sich der Wanderer nur wünschen kann, und diesem Strome folgend –«

»Kämst du nur zu bald zu seiner Quelle, wo all' die Schrecken und Gefahren einer Wüste beginnen,« unterbrach ihn Hans kopfschüttelnd. »Wir können uns ein Beispiel an dem Deutschen, an Dr. Leichhardt, nehmen, der diesen Landstrich allerdings, aber Gott weiß auch mit welchen Mühseligkeiten und Gefahren durchzogen, und auf einer zweiten Reise sein Leben dennoch eingebüßt hat. Mit allem Nöthigen zu einem solchen Marsch ausgerüstet, mit der Kenntniß des Landes, die er auf der ersten Tour erworben, mit Muth und Ausdauer, wie sie nur je ein Mensch bewiesen, [S. 259] mußte er doch in den entsetzlichen Wüsten, die das Innere dieses weiten Landes bilden, elendiglich umkommen, und seine Gebeine bleichen jetzt vielleicht neben irgend einer Salzquelle, vom Sand der Wüste bedeckt. Ich bin sonst wahrlich nicht furchtsam, aber ein heimliches Grausen durchrieselt mich jedesmal, wenn ich auf das Innere dieses ungeheuren räthselhaften Landes blicke, das seinen kühnen Bewohnern noch immer hartnäckig die starre Sandwüste entgegenhält. Trotz allen Versuchen das Innere zu erforschen, trotz aller Aufopferung, trotz allem Todesmuth, es blieb vergebens, und wer weiß ob es je den Menschen gelingen wird, die ganze Insel zu durchwandern.«

»Es hat aber auch einen eigenen Reiz in solche, noch unbetretene Wildniß vorzudringen,« sagte Jean, der, auf sein Gewehr gestützt, lange und sinnend nach Süden hinabgeschaut hatte. »Fast unwillkürlich treibt und drängt es uns vorwärts, und – der Drang wird um so mächtiger, wenn gerade dahinter das Ziel unseres ganzen Lebens liegt, und unseren ausgestreckten Armen fast erreichbar scheint.«

»Dir steckt die Dirne aus dem goldenen Kreuz noch im Kopf,« lachte François, »aber ich weiß nicht, ob ein paar tausend Meilen Sand und Salzwasser nicht selbst die heißeste Liebe, ich will nicht gerade [S. 260] sagen abkühlen, aber doch wenigstens auftrocknen könnte. Wenn ich meinestheils ein ganzes Pensionat von lauter Geliebten in Sydney sitzen hätte, es würde mir nicht einfallen, so parteiisch für mein Herz, Magen und Kehle auf eine so entsetzliche Weise zu behandeln.«

»Bah,« sagte Jean leicht erröthend, »du bist reiner Materialist, François und hast keine Idee davon was wirkliche Liebe ist. Der allein glaub ich auch, wäre es nur möglich, alle solche Schwierigkeiten zu besiegen, die uns bei ruhigem Blut, bei kalter Ueberlegung geradezu unüberwindlich scheinen.«

»Es giebt für solche Zwecke ein noch mächtigeres Gefühl, Jean,« nahm aber Hans jetzt das Wort – »und zwar der Ehrgeiz. Es ist das die mächtigste, aber auch furchtbarste Gewalt unseres ganzen Systems, und kann sich selber nur in solchem Falle übertreffen, wo er sich mit der Liebe vereinigt, und das arme Menschenherz dann zu Sieg und Ruhm oder – zu ewigem Verderben mit fortreißt. – Ich habe in meiner Zeit von beiden Beispiele erlebt, die –«

Ein wilder, merkwürdiger Laut unterbrach ihn plötzlich, und alle drei griffen wie unwillkürlich nach ihren Gewehren.

»Ku-ih!« tönte es aus dem Wald heraus, das [S. 261] den oberen Hügelhang begränzte, »Ku-ih!« und der gleiche Ruf antwortete von zwei verschiedenen Stellen im Thal.

»Was für ein Thier war das?« frug François leise, als die Töne endlich schwiegen, indem er vorsichtig nach dem nächsten Dickicht hinüberhorchte.

»Vielleicht unsere Freunde von heut' Morgen,« lachte Hans endlich, mit den Blicken den Waldrand nach jener Richtung hin musternd, von woher der Laut zum erstenmal getönt. – »Jedenfalls waren es Eingeborne, denn das ist ihr Ruf. Möglich kann es auch sein, daß es als eine Art telegraphische Meldung beabsichtigt wurde, den Cameraden unten im Thal wissen zu lassen, daß wir bis hier oben glücklich angelangt seien.«

»Wir reisen ja da ordentlich wie die hohen Herrschaften in Europa,« lachte Jean, »von denen auch die Zeitungen jeden Schritt und Tritt, jeden Bissen den sie essen, jeden Schluck den sie trinken, melden, und – noch mehr melden würden, wenn sie sich eben nicht genirten. Aber – ich muß aufrichtig gestehen, ich mache mir für den Augenblick nichts aus einer derartigen Berühmtheit, und wenn ich wüßte daß ich die Rolle auch gut durchführen könnte, hätte ich gar nichts dagegen mich, so lange ich hier an Land wäre, schwarz anzustreichen und incognito zu reisen.«

[S. 262] »Hier auf dem Berg sind wir ihnen auch vollkommen preisgegeben,« meinte François kopfschüttelnd. »Sie können jede unserer Bewegungen beobachten, und sich nachher prächtig ins Dickicht in den Hinterhalt legen, ehe wir nur einmal ahnen daß sie in der Nähe sind. – Wenn sie nur mit Bill nichts unter der Zeit anfangen. Bill ist ein ganz tüchtiger Kerl, und fürchtet sich vor dem Teufel nicht; aber wo es heißt irgend einer List zu begegnen, da traue ich ihm eben nicht übermäßig viel zu.«

»Mir ist das auch schon im Kopf herumgegangen,« sagte Hans, »und ich habe nur dabei meine Hoffnung auf Timor gesetzt, der, selber halb ein Wilder, sich nicht wird so leicht überlisten lassen. – Hättet Ihr nicht Euer Herz einmal darauf gestellt, ich wäre auch gar nicht aus dem Boot gegangen.«

»Ja, und ich glaube wir haben dabei einen dummen Streich gemacht,« entgegnete ihm Jean kopfschüttelnd. »Ich gebe allerdings zu, daß ich selbst jetzt noch dabei wäre, wenn Ihr Euch alle dahin entschlösset die Landtour nach dem Süden hinunter zu unternehmen, so verzweifelt das Mittel auch sein möchte, um von hier fortzukommen. Dann aber hätten wir auch unser Boot ganz im Stich lassen, und unsere Kräfte nicht zersplittern sollen. Ueberdies sehe ich jetzt nicht recht [S. 263] gut ein was wir hier eigentlich wollen. Proviant brauchen wir hier noch nicht, sondern verzehren im Gegentheil mehr als mir scheint, daß wir hier wieder einlegen können, und vom Land werden wir auch nicht mehr zu sehen bekommen als wir bis jetzt gesehen haben. Es ist eine trostlose, entsetzliche Wildniß und ich stimme dafür, daß wir sobald als möglich machen wieder abzukommen. Wollen wir dabei noch ein Uebriges thun, so können wir ja eben nur einen Bogen durchs Thal ziehen, die Vegetation unten ein wenig genauer kennen zu lernen, dann sind wir gegen Abend wieder am Ufer, rufen unser Boot an und schlafen die Nacht an Bord wahrhaftig besser und sicherer als hier, wo man nie weiß von welcher Seite die schwarzen Schufte zuerst über uns einbrechen mögen.«

»Ja, und je eher wir hier fortkommen, desto besser,« stimmte François etwas kleinmüthig bei, »denn, weiß der Böse woher es kommt, aber meine Schuhe fangen auch an zu drücken, und den einen hab' ich mir auch schon in dem scharfen Boden hier aufgetreten. – Mit keiner Silbe hatt' ich ja daran gedacht, daß man zu einer Fußreise zu Land auch tüchtiges Schuhwerk nöthig hat, denn das leichte Zeug, womit wir an Deck herumlaufen müssen, damit wir dem Capitän das Quarterdeck nicht zerkratzen, würde bald [S. 264] fertig werden. Nachher was dann? Nein, eine Landreise klingt recht gut von Bord aus, aber mir ist's doch jetzt ungemein lieb, daß wir noch den Hinterhalt an unserem Boot haben. Nun Hans, wie stehts? – was giebts wieder?«

»Meine Meinung braucht Ihr nicht erst zu hören,« sagte dieser, ohne die Augen jedoch von einem gewissen Punkt des Waldstreifens, der sich unfern von ihnen über den Berg hinzog, zu verwenden. – »Ich bin von Anfang an gegen einen solchen Marsch gewesen, und wußte recht gut Ihr würdet das Wahnsinnige eines solchen Unternehmens einsehen, sobald Ihr nur einmal den Fuß an Land gesetzt hättet. Aber ich glaube, wir bekommen Besuch,« fuhr er dann fort, den Arm nach der Richtung hin ausstreckend, nach der er schaute. »Dorthin regt sich's jedenfalls, will aber noch nicht recht heraus. Nun wir brauchen uns wenigstens keine Mühe zu geben unsere Anwesenheit geheim zu halten, denn ich bin fest überzeugt, wir werden von allen Seiten scharf genug beobachtet.«

»Ku-ih!« rief es in dem Augenblick wieder aus dem Walde herüber, und Hans wollte eben die Hand an den Mund heben, den Ruf diesmal zu beantworten, als dicht hinter ihnen, wo ein kleiner Vorsprung des Hügels auslief, daß sie die Ecke nicht hatten übersehen [S. 265] können, der Schrei laut und sorglos beantwortet wurde.

Wie der Blitz fuhren die drei nach dem unerwarteten Ruf herum, und unwillkürlich rissen sie ihre Gewehre in die Höhe, Hans aber winkte ihnen auch ebenso rasch sich ruhig zu verhalten, und nur nach der Gegend zu Front machend, von der der Laut kam, standen sie still und regungslos.

Sie brauchten nicht lange zu warten. Noch keine halbe Minute hatten sie so gestanden, als ein Schwarzer, vollkommen nackt, und nur mit einem kurzen Speer bewaffnet um den Absprung des Hügels bog. Er hielt den Blick auf den Boden geheftet, und es war augenscheinlich, daß er keine Ahnung von der Anwesenheit der weißen Männer haben konnte. In dem Moment aber, wo sie glaubten daß er jetzt erstarrt vor Schreck zu ihnen aufschauen und die entsetzlichen Weißen vor sich erblicken sollte, war er plötzlich wieder fast wie in den Boden hinein verschwunden.

»Peste!« riefen Jean und François fast zu gleicher Zeit; als Hans aber rasch dem kleinen Abhang zusprang, zu sehen was aus ihm geworden, konnte er eben noch die dunkle Gestalt erkennen, wie sie an dem bröcklichen Gestein, ganz gleichgültig gegen irgend eine Gefahr von Knochenbrüchen oder sonstigen Quetschungen [S. 266] mehr niederrollte als glitt, und wie eine Schlange unter den nächsten Büschen verschwand.

»Wenn der Bursche nicht fest überzeugt ist den Teufel gesehen zu haben,« lachte Jean, »so will ich nie wieder auf Salzwasser fahren. Der wird eine schöne Geschichte erzählen, wenn er zu Haus kommt.«

»Der muß noch keine Ahnung von uns gehabt haben,« meinte François.

»Es mag wohl selten genug vorkommen,« sagte Hans, »daß Weiße hier an der Küste landen, denn die Eingebornen hier haben vielleicht einen noch schlimmeren Ruf als sie verdienen. – Wir würden auch manchem auf diese Art begegnen, wenn wir länger hier blieben. Aber Jean hat recht – auch ich sehe nicht den geringsten Nutzen weiter für uns darin, nur Schaden; also je rascher wir wieder fortkommen, desto besser, und zu diesem Zweck nehmen wir ebenso gut den nächsten Weg nach der Küste zu, wo wir allerdings durch eine längere Strecke Thalland müssen, aber auch die offene Küste eher erreichen und das Boot anrufen können.« – Und ohne weiter eine Antwort abzuwarten, wollte er den bezeichneten Weg vorangehen, als ihn Jean noch einmal am Arm ergriff und gegen den Hügel, an dem sie standen, hinüberdeutend, ausrief:

[S. 267] »Aber sieht das hier nicht so aus wie bewohnter Boden? – die freie, scharf vom Wald begränzte Fläche, die baumstumpfähnlichen Ameisenhügel, jene fast regelmäßig eingeschnittene Hecke. – Ich glaube wahrhaftig hier ist einmal Feld gewesen.«

»Ein Schlachtfeld vielleicht feindlicher Stämme,« erwiderte Hans kopfschüttelnd, »sonst wahrlich kein anderes. – Nein Camerad, all diese weiten ungeheueren Strecken des nördlichen Australiens liegen noch wild und unberührt, ein oder zwei kleine Forts weiter westlich hin ausgenommen – und werden auch wohl so lange so liegen bleiben, bis es hier auf unserer guten Erde recht an Platz zu fehlen anfängt, oder – die Leute sich mit Salzwasser anstatt frischen Quellen zu begnügen lernen. – Aber fort – da gerade vor uns tönt schon wieder ein Ku-ih der Eingebornen, es wird Zeit daß wir nach unten gehen, denn die Sonne sinkt mehr und mehr, und – ich weiß nicht, ich fühle mich Bills wegen beunruhigt. Dort hinüber kann ich auch nicht einmal das Boot sehen, und das müßte doch eigentlich von hier aus gut zu erkennen sein.«

»Es wird hinter der kleinen Insel liegen,« meinte François – »die steigt so mit der Ebbe höher und höher hinauf. – Mir scheint, wir haben jetzt niedrig [S. 268] Wasser. Wetter noch einmal, wie lange wir schon hier herumgeklettert sind.«

Hans warf noch einen langen forschenden Blick über den ruhigen Spiegel dieser weiten, mit Inseln und Klippen überstreuten Binnensee, und stieg dann ohne Weiteres nach unten, ihren Weg gegen die Küste hin zu suchen. Das war aber nicht so leicht ausgeführt, als sie im Anfang geglaubt haben mochten. Gerade dem Strande zu breitete sich ein so entsetzliches Dickicht von jenen Theebaumdickichten mit durcheinander gestürzten Cycas und Banksias und Pandanus aus, daß sie mit ihren Packen oft Viertelstunden lang gebrauchten, sich nur eine kleine Strecke weit fortzuarbeiten, und die zähen Stämme nie brechen, sondern höchstens nur aus dem Weg biegen konnten.

Hans hatte gleich von Anfang an vorgeschlagen wieder umzukehren, und lieber den Weg zurückzumachen den sie gekommen waren. Jean und François wollten aber den mühseligen Pfad nicht zurück, da dem letzteren besonders die Füße wie Feuer brannten. Während sie deshalb mit jedem Schritt hofften den helleren Waldstreifen zu erreichen, hinter dem endlich der offene Strand sichtbar werden mußte, arbeiteten sie sich tiefer und tiefer in das Dickicht hinein. Zuletzt fehlte ihnen sogar die Richtung, und sie fanden [S. 269] bald daß sie viel weiter in den Thalgrund hineingerathen sein mußten als sie im Anfang beabsichtigt hatten.

Dabei rückte der Abend mehr und mehr vor, und Hans blieb endlich stehen, da ihm die Vegetation um sich her vorkam, als ob sie sich eher wieder den Hügeln als dem Strande der See näherten. – Die verschiedenartigen Gumbäume, Eisenrinde, Melaleuca, Gum und Stringybark, mit Acacien und Cypressen zeigten sich, und von dem Mangrovesumpf, den sie kreuzen mußten ehe sie den Strand erreichten, war noch nicht die Spur zu sehen.

»Hier dürfen wir nicht mehr weiter,« sagte er endlich, »denn ich fürchte wir haben uns schon seit etwa zwei Stunden die größte Mühe gegeben, von unserem Boote fortzukommen, anstatt darauf zuzugehen – wo ist jetzt die See – wo sind die Hügel? –«

»Ja, wenn mich Einer auf den Kopf stellte,« lachte Jean, »ich könnt's nicht sagen; Wetter noch einmal, ich weiß nicht einmal wo Nord und Süden ist, so lange ich die Sonne nicht sehen kann.«

»Norden ist dort,« sagte Hans, »und Süden hier, aber ich fürchte wir sind zu weit in das Thal des Flusses selber hinein gerathen, und da wird uns die Himmelsrichtung insofern irre geführt haben, als sich [S. 270] die breiteste Strecke Sumpfland gerade hier nach Norden hinaufzog; unsere einzige Wahl bleibt jetzt nur geradezu nach Osten hinüberzuarbeiten, und dann unserem guten Glück zu vertrauen, wohin wir kommen, und wo wir zuerst frei von diesem Chaos von Zweigen und Stämmen werden.«

Neunzehntes Capitel.
Das Bivouak.

Die beiden Franzosen, so schon durch das ungewohnte Gehen und Klettern, ermüdet und abgemattet waren durch das Hindurcharbeiten durch Dornen und Schlingpflanzen und niedergebrochenes trockenes Holz oder verwachsene Büsche so erschöpft worden, daß sie kaum mehr ihre Glieder regen konnten. Das Bewußtsein sich verirrt zu haben, oder wenigstens nicht mehr genau zu wissen wo man sei – jedenfalls ein geringerer Grad desselben – schien dabei nicht geeignet sie heiterer zu stimmen. Der Wasservorrath den sie mitgenommen, war ebenfalls schon aufgezehrt, die Zunge klebte ihnen fortwährend am Gaumen, und das in den Flaschen warm gewordene Getränk löschte nicht einmal mehr ihren Durst. [S. 271]

Hans wußte zu gleicher Zeit recht gut, daß ein Berathschlagen mit den beiden doch weiter nichts gefruchtet hätte. Ruhig deshalb die Bahn verfolgend, die er für die richtige ansah, hielt er sich jetzt am Ufer einer schmalen Salzwasser-Lagune, die nach Nordosten zulief, und in ihrem inneren Bett etwas offenere Vegetation zeigte, und suchte dabei so rasch als möglich vorwärts zu dringen. Aber es half ihm alles nichts, die Nacht brach an, ehe sie auch nur einen anderen, der See näher scheinenden Ort erreicht hatten, und es blieb ihnen jetzt nichts weiter übrig als da, wo sie sich gerade befanden, ein Lager aufzuschlagen und den dämmernden Tag zu erwarten.

Jean wollte nun freilich auch noch die Nacht benützen, den Strand doch am Ende zu erreichen, da, wie er gehört hatte, die Eingebornen in dunkler Nacht nie gern ihren Lagerplatz verließen. Hans weigerte sich aber entschieden aufs geradewohl noch weiter, besonders im Dunkeln durch die Büsche zu kriechen, und warf nicht mit Unrecht ein, daß sie möglicherweise dadurch immer weiter vom Boote abkämen. Dagegen konnten sie in der Nacht wenn alles ruhig geworden war und besonders der Lärm der wilden Tauben hier im Unterholz aufgehört hatte, ihre Gewehre abschießen und Antwort vom Boot aus bekommen, [S. 272] wonach sie dann die genaue Richtung wußten, in der dasselbe lag.

Diesem fügten sich François und Jean endlich ebenfalls, und bald loderte mitten in einem Pandanusdickicht ein lustiges Feuer auf, um das sie ihre Gewehre jedoch immer schußfertig neben sich lagerten, und von ihren Provisionen ein reichliches Mahl hielten. Der mitgenommene Wein kam ihnen jetzt sehr zu statten, denn sie hatten kein Wasser finden können, und erst nachdem alles still und ruhig um sie her geworden, und nur noch hie und da das Zirpen einer Grille oder das wunderliche Geräusch eines einzelnen »fliegenden Fuchses« die Ruhe der Nacht unterbrach, nahm Hans sein Gewehr, um es nach der Richtung zu, nach der er das Boot vermuthete, abzufeuern.

In dem Augenblick tönte schwach, aber nichtsdestoweniger deutlich, der Schall eines Schusses zu ihnen herüber, und als sie sämmtlich von ihren Sitzen emporfuhren und horchten, hörten sie unverkennbar das zweite Signal.

»Das ist gescheut!« sagte François, während er den Hahn seines eigenen Gewehres spannte – »nun wollen wir« –

»Halt!« unterbrach ihn aber Hans, indem er die Hand auf das Gewehr des Franzosen legte, »Bill erspart [S. 273] uns die Nothwendigkeit, der ganzen Nachbarschaft anzugeben wo wir uns gegenwärtig befinden, und es wäre mehr als thöricht, das jetzt leichtsinnig zu mißbrauchen.«

»Aber sie werden im Boote glauben wir hätten es nicht gehört,« sagte Jean.

»Desto besser,« erwiderte Hans, »dann schießen sie noch einmal, und die Schwarzen hier herum erfahren um so deutlicher, daß auf dem Wasser noch andere Weiße sind, die sich um ihre Landsleute bekümmern.«

Das Zeichen wurde deshalb nicht erwidert, die regelmäßige Wache aber mit jeder nur möglichen Vorsicht gestellt. Hans selber übernahm die Morgenwache, weil diese von den wilden Stämmen fast stets zur Zeit ihrer Angriffe gewählt wird, wenn sie überhaupt etwas Bösartiges und Feindliches im Sinne haben. Die Nacht verging aber, wirklich wider Erwarten, vollkommen ruhig. – Sie hörten das Ku-ih der Wilden wohl nach verschiedenen Richtungen hin in den Büschen, aber Niemand belästigte sie, und mit dem ersten Dämmerschein des jungen Morgens hatte Hans schon seine beiden Cameraden geweckt und munter, jedes Angriffs gewärtig.

Eine halbe Stunde hatten sie so zusammen gesessen und eben ihr Frühstück beendet, um mit vollem Tageslicht [S. 274] zum Aufbruch fertig zu sein. Der Tag war auch nicht mehr fern, denn der östliche Himmel deckte sich schon mit einem rothglühenden Schein. Da hörten sie plötzlich in einem kleinen Pandanusdickicht dicht bei, Schritte, und gleich darauf, die Gewehre im Anschlag und lautlos das Näherkommen des Gegners erwartend, trat keineswegs ein Feind, sondern niemand weiter als ein einzelner, nur mit seinem kurzen Speer und dem Wurfholz bewaffneter Schwarzer aus den nächsten Büschen. Dieser kam aber allem Anschein nach ganz unbekümmert um die Anwesenheit der Weißen, den Blick nur auf das Feuer gerichtet, auf sie zu, und stand wirklich schon zwischen ihnen, dicht vor den glimmenden Kohlen, ehe er nur einmal aufschaute. Die Wirkung aber war auch fabelhaft.

Einen Blick nur warf er umher. Dann aber, als er entdeckte in wessen Nachbarschaft, ja in wessen Gewalt er sich befand, vielleicht zur selben Zeit auch halb seiner Sinne beraubt, in dem einen entsetzlichen Gedanken dem Devil Devil, oder sonst einem anderen Ungethüm seiner Heimath in die Hände gerathen zu sein, lief er, wie es eine Katze unter ähnlichen Umständen gethan haben würde, in fast wunderbarer Schnelle an dem ihm nächsten Gumbaum empor, wo er in dem höchsten Wipfel desselben, und so weit [S. 275] wie ihn das Holz nur tragen konnte, regungslos stehen blieb.

Daß dieser Schwarze nichts Böses gegen sie im Schilde geführt, ja ihre Anwesenheit nicht einmal geahnt, und ihr Feuer für das seines eigenen Stammes oder seiner Bekannten gehalten, war natürlich, und die jungen Leute suchten ihn nun durch Zureden, durch Winken und Schwenken von Büschen zu überzeugen, daß er von ihnen nichts zu fürchten habe, und ruhig und ungehindert herunterkommen möge. Umsonst – wie eine aus schwarzem Marmor gehauene Statue stand er starr und regungslos oben in dem Baumwipfel. Kein Lärm der unten gemacht werden konnte, schien ihn zu bewegen auch nur das geringste Lebenszeichen von sich zu geben, und selbst als Hans jetzt sein Gewehr aufgriff, seine beiden Signalschüsse abzufeuern und Bill zugleich mit dem Boot zum Strand zu rufen, blieb er noch in seiner Stellung da oben, als ob er zu dem Baum gehöre, und mit ihm, als wunderliche Frucht, aus der Erde aufgewachsen sei.

»Hol' den Burschen der Henker,« rief François endlich ungeduldig – »wir wollen ihm doch zeigen daß wir ebenfalls klettern können, und im Stande wären ihn herunterzuholen, wenn wir ihn nur haben wollten« und damit lehnte er sein Gewehr gegen einen [S. 276] umgefallenen Stamm, und fing an den ihm nächsten Baum hinaufzuklimmen. Er war aber noch nicht seine eigene Länge vom Boden auf, als der Wilde plötzlich bewies, er sei weder taub noch stumm. Er schrie und »birrrrte,« ku-ichte und hallote und machte in der That jede Art von Spectakel, die er da oben möglicherweise machen konnte, und das alles mit solcher Energie, daß François erschreckt wieder niederglitt und zu ihm aufschaute.

»Der Bursche wird uns den ganzen Stamm über den Hals ziehen,« fluchte Jean – »ich glaube er schreit Beschwörungsformeln von da oben herunter, daß wir ihn nicht fressen sollen. – Seht nur wie er spuckt und prustet. – Es wird uns nichts übrig bleiben als ihm eine Kugel durch den Kopf zu schießen. Wer weiß überhaupt, ob er nicht mit zu den Schuften gehört, die gestern Morgen ihr Bestes versuchten uns zu ersäufen, und der Spectakel da oben nur die Folgen seines bösen Gewissens sind.«

»Horch – das war ein Antwortschuß vom Boot!« rief Hans dagegen. – »Kommt, laßt dem armen Teufel Raum vom Baum hinunter und ins Freie zu kommen; er hat Angst genug ausgestanden, und sein Tod könnte uns wenig nützen. Wir sind sicher nicht weit mehr vom Strand entfernt, und können ihm das [S. 277] Vergnügen, sich einmal ordentlich auszuschreien, schon gönnen.«

»Und unter der Zeit brüllt uns der Bursche die ganze Nordküste zusammen,« fluchte Jean.

»Nun, so laß ihn,« lachte Hans, »sind wir erst auf offenem Strand, wagt sich keiner der schwarzen Burschen an uns. Hier dagegen, wenn wir länger blieben, wären wir allerdings leichter einem Angriff ausgesetzt. Ueberdies wird das Boot jetzt so rasch herankommen, wie es Bills und Timors Ruder bringen können, und je eher wir das erreichen, desto besser.«

Damit waren seine beiden Cameraden ebenfalls einverstanden, und ihre wenigen Sachen zusammenpackend, zogen sie sich vor allen Dingen erst einmal eine kurze Strecke von dem Baum zurück, auf dem der Schwarze noch immer schrie und tobte, und jedenfalls die Genugthuung hatte, daß ihm schon von mehreren Seiten geantwortet wurde. Sie hörten jetzt das Ku-ih der Eingebornen an verschiedenen Stellen im Wald.

Kaum aber sah der so wunderlich Gefangene die friedliche Bewegung der vermutheten Feinde, als er seine Schreiübungen einstellte, und noch hatten ihn diese kaum zwanzig Schritte freigegeben, als er mit [S. 278] Blitzesschnelle, und gänzlicher Mißachtung aller seiner Gliedmaßen, an dem Stamm mehr hinunterschoß wie glitt, und zwei Secunden später auch in dem dichten Gebüsch von Pandanus- und Theebaumgesträuch spurlos verschwunden war.

Das Ku-ihen der Schwarzen kam indeß näher und näher, und so komisch auch wohl der Rückzug des eingeschüchterten Wilden war, durften sie sich doch nicht lange damit aufhalten. Der Richtung also folgend, die sie sich nach dem Schusse gemerkt, und die allerdings von der gestern vermutheten um ein Bedeutendes abwich, durchschritten sie rasch ein hier etwas offenes Terrain von Boxholz und Casuarinen, das seinerseits wieder von Pandanus, Theebaumsträuchen und Cycas, so wie einzelnen Arten von Acazien begränzt war, passirten ein altes Lager der Blacks, neben dem ganze Berge von Muschelschalen lagen, und erreichten, nach einem etwa halbstündigen Marsch, unangefochten von den Schwarzen, aber oft durch ihre jetzt ganz nahen Rufe gewarnt, den Mangrovesumpf und mit diesem, das Ueberklettern über Wurzeln und niedergestürzte Stämme nicht achtend, den freien offenen Strand von glattem hartgeschlagenem Korallensand.

»Hurrah!« rief Jean, der mit einem etwas gewagten [S. 279] Satz den letzten Schlammstreifen überflogen hatte, und zuerst wieder festen sicheren Boden betrat – »hurrah – allen Respect vor der Landpartie – mir ist Salzwasser lieber – aber wo ist das Boot?«

Hans war im nächsten Augenblick an seiner Seite und das leichte Fernrohr, das er sich umgehangen als sie das Boot verließen, rasch öffnend und richtend, überflog er zuerst die nächste Nähe der kleinen Insel, wo sie das Boot vermuthen mußten, und dann den Horizont mit dem Glas, ohne das Gesuchte zu finden.

François, der erst noch einmal in ein Schlammloch gerathen war, sich aber wieder herausgearbeitet hatte, stand jetzt ebenfalls an ihrer Seite, und rief, nachdem er einen flüchtigen Blick über die Oberfläche des Wassers geworfen und diesen jetzt auf der Insel wenige Secunden aufmerksam haften ließ –

»Was ist das dort? –«

»Was? – wo?« – frugen Jean und Hans rasch und zu gleicher Zeit, und Hansens Fernrohr haftete auch in demselben Moment, wo er die Richtung von François ausgestrecktem Arm gewahrte, auf der kleinen schon mehrfach besprochenen Insel.

»Dort ist Bill!« rief er aber kaum zwei Secunden später, und das Wort war kaum seinen Lippen entflohen, [S. 280] als der Knall des Gewehres wieder zu ihnen herüberdrang.

»Er will uns zeigen daß er uns gesehen hat,« rief Jean lachend, »mich wunderts nur, wo er die Courage hergenommen seine alte Muskete so oft abzufeuern – er muß sich schon ordentlich daran gewöhnt haben.«

»Dort geht das Boot,« rief François plötzlich, dessen scharfes Auge die dunklen Umrisse des kleinen Fahrzeugs in demselben Moment erspähte, als es hinter der kleinen Insel, die es bis dahin ihren Blicken entzogen, vorschoß.

»Teufel!« schrie aber auch Hans in diesem Augenblick, mit dem Fuße stampfend – »wir sind verloren. – Es ist in der Gewalt der Schwarzen.«

»Der Schwarzen?« stöhnten die beiden Franzosen entsetzt – »das ist ja nicht möglich.«

»Da seht selber,« erwiderte ihnen Hans tonlos, indem er Jean das Glas hinüberreichte – »nun sei uns Gott gnädig in unserer Noth.«

Zwanzigstes Capitel.
Bill's Wacht.

Wir müssen jetzt zu unserer Bootsmannschaft, Bill und Timor zurückkehren, die wir verlassen hatten [S. 281] als sie wieder vom Lande abkreuzten, um in sicherer Entfernung das Zeichen ihrer ans Ufer gegangenen Cameraden zu erwarten.

»Hm!« sagte Bill nach einer langen Weile, in der keiner der beiden auch nur ein Wort gesprochen – »eigentlich ärgerts mich, daß ich nicht mit an Land bin. – Ist doch ein anderes Leben, als hier ewig die Knie eingezwängt zu haben zwischen die Bootsdoften, und blaue Luft über sich, blaues Wasser unter sich zu sehen. So eine acht Tage halt ichs immer vortrefflich am Ufer aus, nur nachher wirds langweilig, und ich setze dann allerdings am liebsten wieder Segel – aber eine Weile gefällt mir's doch.«

»Tuwan Bill würde sich hier aber sehr wenig unterhalten,« lachte Timor in seinem gebrochenen Englisch, indem er den eben wieder zugerichteten Fischhaken über Bord warf und nachschleifen ließ. – »Viel Wald hier und viel Busch, und viel böse Wilde – und viel Thiere, und viel nichts zu essen und zu trinken.«

»Viel nichts zu trinken, ah?« sagte Bill und verzog den Mund fast zu einem Lächeln, was aber selten oder nie bei ihm ganz zum Ausbruch kam, »das wäre freilich bös, Timor, herzlich bös, und ein ordentlicher Kerl sollt' es bald satt bekommen. – Aber es wäre [S. 282] doch eine Veränderung, und man könnte jeden Augenblick wieder an Bord kommen.«

»Wenn man nicht im Wald irre läuft,« setzte Timor hinzu – »Wasserleute wissen selten viel mit Wald Bescheid – Wasserleute steuern bald den, bald den Cours in Busch, wenn sie keinen Compaß haben – australische Busch viel schlimm zu laufen.«

»Hm! das wäre ein schöner Spaß,« brummte Bill leise vor sich hin, »wenn unserer Gesellschaft da drin etwas Aehnliches passirte. Hätten wir nur wenigstens ein Rakete, so könnten wir die heut' Abend aufsteigen lassen – das bliebe jedenfalls das sicherste.«

»Tuwan Bill muß heute nach Dunkelwerden zweimal Gewehr abschießen,« argumentirte dagegen der kleine Malaye – »Tuwan Bill ...«

»Will verdammt sein, wenn er das verwünschte Schießeisen wieder in die Hand nimmt,« unterbrach ihn der Matrose aber rasch und mürrisch – »ich habe mir einmal die Schulter damit ausgerenkt, und der Knochen sitzt eben nur erst wieder in der Pfanne.«

Der Malaye ließ sich aber nicht so leicht abweisen. Er wollte schon früher einmal in diesem Theil des Landes, den er Marega nannte, und zwar mit seinen Landsleuten von Timor aus, zum Fischen gewesen sein, und konnte die Gegend gar nicht traurig und [S. 283] wasserarm genug beschreiben. Hätten die Wanderer dann auch noch dazu die Richtung verfehlt, so müßten ihnen ein paar Signalschüsse, nachdem der Wald ruhig geworden, von unendlichem Nutzen sein, und wenn Bill sich zu schießen fürchtete – der schlaue kleine Bursche faßte den alten Matrosen beim Ehrgefühl – »so solle er ihm nur die Flinte geben – er wolle sie selber abfeuern.«

Das konnte Bill doch unmöglich zugeben, und that endlich eine halbmürrische Zusage, dem Rathe Folge zu leisten – heißt das mit der vorsichtigen Clausel: nur wenn sie nicht selber noch vor Dunkelwerden wieder etwas von den ihrigen gesehen hätten.

Gestern Abend – und sie hatten den Tag über dicht hinter der kleinen Insel gelegen, hatte Timor die »Wacht zur Coje,« d. h. konnte schlafen, während Bill »an Deck« munter bleiben mußte. Als Timor endlich die Augen wieder aufschlug, denn der kleine Bursche schien ordentlich zu fühlen, wie ihre beiderseitige Sicherheit mehr von seiner eigenen Wachsamkeit, als der seines älteren Gefährten abhänge, saß Bill im Heck vom Boot und nähte, ohne nur einen Blick links oder rechts hinauszuwerfen, eifrig an einem kleinen viereckigen Säckchen, das er eben beendet und mit etwas Heu aus einer der Flaschenkisten gestopft [S. 284] hatte. Er war gerade damit fertig, und jetzt dabei, eine Strippe daran zu befestigen. Timor, nachdem er im Boot aufgestiegen und sich rings umgeschaut hatte, sah ihm eine Weile neugierig zu und sagte endlich, ganz verwundert der sonderbaren Verrichtung zuschauend:

»Aber Tuwan Bill, was das? – macht kleine Polster für Boot? – hier nicht Felsen und nicht neue Schiff.«

»Für Boot?« knurrte aber Bill zwischen den Zähnen durch, indem er seiner Hände Werk wohlgefällig betrachtete, und auf dem Knie vorn eindrückte und weich machte, »Boot soll verdammt sein; nein, meine eigenen Schultern will ich mir nicht schamfielen.[7] Wenn ich denn doch einmal die blutige Donnerbüchse wieder abbrennen soll, hab' ich mir hier das Kissen gemacht, zum Unterlegen. Aber was giebt's nun wieder? – heh? was hast du zu gucken, Braunfisch. – Sind die schwarzen Canaillen wieder im Ansegeln?«

»Was der weiße Punkt da, Tuwan Bill?« sagte aber Timor, der auf eine der Doften gesprungen war, und sich so viel als möglich auf die Fußspitzen hebend, [S. 285] nach Osten, wo die »Barrier Riffe« lagen, hinüberzeigte – »da drüben, da weiter links – gerade über die kleine Sandbank dort.«

»Hm, das sieht wahrhaftig wie ein Segel aus,« sagte Bill nach einer Weile, in der er sich bemüht hatte den von dem schärferen Auge des Knaben bezeichneten Punkt zu finden – »aber ausmachen kann ich's doch noch nicht recht. Es kann auch ein Wasservogel oder ein weißes Riff, oder Gott weiß was sonst, in diesem verwünschten Fahrwasser sein, wo ein ordentlicher Seemann eigentlich gar nichts drin zu verlieren haben sollte. Wo sonst eine Klippe oder Sandbank in der Karte angegeben ist, giebt man ihr gewöhnlich fünf bis sechs und mehr Meilen Seeraum und ist froh wenn man sie gar nicht, oder doch nur wenigstens von den Marsen aus zu sehen kriegt, und hier jagt man mit dem Schiff gerade mitten hinein, als ob man im Nothfall auch ein paar Räder oder Kufen drunter schrauben, und damit über alle möglichen Steine und Korallen und Sandbänke wegfahren könnte. Nun meinetwegen,« setzte er hinzu, während er wieder von der Bank herunterstieg und seinen vorigen Platz einnahm, »laß es auch ein Segel sein; desto früher kommen wir vielleicht von hier fort.

Weit kann es heute Abend nicht mehr gehen, ehe [S. 286] es Anker werfen muß, und dann wirds morgen Nachmittag etwa gerade in Zeit hier eintreffen, unsere ganze Gesellschaft wieder bei einander zu finden.«

Timor hätte sich nun freilich gern noch besser von der Identität des Segels überzeugt, aber mit dem sinkenden Abend legte sich ein leichter Dunst über die Oberfläche des Wassers, der die entfernteren Gegenstände bald umhüllte, und jede weitere Beobachtung unmöglich machte. Der Nebel zwang sie aber auch zu noch weit größerer Vorsicht und Aufmerksamkeit, denn unter seinem Schutz, wenn er nur etwas dichter wurde, hätten sich ihnen selbst Canoes nähern können, wie viel mehr denn einzelne Wilde mit ihren so einfachen, und doch so gefährlichen Waffen.

Timor drang auch deshalb darauf, daß sie von der Insel ablegten, und weiter draußen Anker würfen. Bill sah auch endlich selber ein daß das nöthig sein würde, wollte sich aber später, als er nach Dunkelwerden die beiden Signalschüsse, und zwar diesmal ohne schlimme Folgen abgefeuert hatte, unter keiner Bedingung dazu verstehen den Ankerplatz noch einmal zu verändern, um etwa lauernde Schwarze irre zu führen. Der Nebel legte sich nämlich gleich nach Dunkelwerden in dicken Schwaden auf das Wasser, und Bill hielt es für unnöthig, sich Mühe und Arbeit [S. 287] zu machen, wo bei solchem Wetter selbst ein Indianer sein kleines, vor einem leichten Wurfanker liegendes Boot nicht hätte finden können.

Um Mitternacht erhob sich übrigens eine leichte östliche Brise, und trieb die Schwaden nach Westen und Nordwesten hinüber. Die Sterne leuchteten hell und klar von dem dunkelblauen Firmament hernieder, und die See funkelte und blitzte in der leisen Bewegung ihren Glanz tausend und tausendfach wieder.

Bill war ganz damit einverstanden die erste Wacht von sechs bis zwölf zu nehmen, und die zweite dem Malayen zu überlassen. Dieser streckte sich denn auch ziemlich sicher, daß sie um diese Zeit wenig von einem Angriff zu fürchten hätten, in seiner wollenen Decke im Bug des kleinen Fahrzeugs aus, und war bald sanft und süß eingeschlafen. Bill indeß, in dem doppelten Genuß einer guten Pfeife Tabak und eines vorzüglichen Glases Portwein, welchen beiden er ohne den mindesten Rückhalt zusprach, theilte seine Aufmerksamkeit gewissenhaft zwischen diesen und dem dann und wann über das Wasser tönenden Geräusch von Fischen oder Seevögeln.

Er war jedoch weit davon entfernt der Flasche mehr zuzusprechen als er vertragen konnte, denn er wußte recht gut von welchen Gefahren sie, wenn auch [S. 288] nicht wirklich umgeben, doch jedenfalls erreicht werden konnten, und wie nöthig es in einer solchen Lage sei seine Sinne vollständig beisammen zu haben.

Ein paarmal aber nur wurde er wirklich beunruhigt, indem ein wunderliches Gurren und Schnalzen, wahrscheinlich von auf dem Wasser schlafenden oder träumenden Seevögeln seine Lebensgeister zu voller Thätigkeit weckte und anspannte. Einmal stand er sogar im Begriff Timor zu wecken, denn die Laute kamen weit näher als ihm lieb war, und doch konnte er nicht das mindeste über dem Wasser erkennen. Mit einem derben und ziemlich lauten Fluche sich Luft machend, nahm er sein Gewehr auf die Knie, dem ersten sich zeigenden und verdächtigen Gegenstand erst vor allen Dingen einmal eins aufzubrennen. Von dem Moment an war aber wieder alles ruhig, und selbst die Töne ließen sich nur erst später in einiger Entfernung zum zweitenmal hören.

So kam Mitternacht heran. Der Nebel zog sich fort und Timor, dem Bill von den wunderlichen Lauten um das Boot her, erzählt hatte, legte sich vergebens flach in das Boot, und nur mit dem Kopf über den Rand desselben auf die Lauer, irgend weiter etwas Verdächtiges zu erspähen. Bis gegen Morgen blieb alles ruhig, und nur ein einzigesmal glaubte er [S. 289] in der Richtung nach der kleinen Insel zu, neben der sie den Tag über gelegen, etwas zu hören, das nicht, weder von einem Bewohner der Tiefe noch der Luft herzurühren schien. Es kam dem von Bill erwähnten Laut nah, klang aber anders als er beschrieben worden, und schien von zwei verschiedenen Seiten beantwortet zu werden.

Timor lauschte den Tönen auf das aufmerksamste, bis er den vollen Klang derselben begriffen hatte, und ahmte jetzt denselben erst leise, dann laut und zuversichtlich nach. In demselben Moment schon hatte er auch die Genugthuung sich beantwortet zu hören, und zehn Minuten später etwa glaubte er in dem bewegten und sternblitzenden Wasser etwas heranschwimmen zu sehen. Was es aber auch gewesen, es verschwand in Sicht von dem Boot, und ein gleich darauf ganz in der Nähe des vermutheten Gegenstands aufsteigender großer dunkler Seevogel, der mit flappenden Schwingen über die Oberfläche der See eine Strecke lang schwerfällig hinflog, bis seine Flügel die Luft ordentlich faßten und ihn nach oben trugen, beruhigte ihn über die Ursache der gehörten, scheinbar verdächtigen Laute.

Nichtsdestoweniger wußte er, selbst ein Kind des Waldes, viel zu gut, wie nöthig in der Nähe feindlicher [S. 290] Stämme stete und unausgesetzte Wachsamkeit sei, und verwandte, während der Stunden seiner Wacht kein Auge von dem nur leise durch die leichte Brise bewegten Wasserspiegel.

Im Osten dämmerte endlich der Tag. Dem kleinen Burschen hatte aber lange keine Nacht so wirklich endlos geschienen, und um gerade in dieser gefährlichsten Stunde keine Vorsicht zu versäumen, weckte er jetzt auch noch seinen Cameraden. Der Seemann war rasch munter gebracht; aber mehr Mühe kostete es, Bill zu bewegen die beiden Signalschüsse zu geben. Er entschloß sich auch erst dazu, als dieselben wirklich vom Lande her abgefeuert waren, und er die Antwort nicht schuldig bleiben durfte. Dies Signal sollte ihnen den doppelten Vortheil gewähren, den Freunden die genaue Richtung in der das Boot lag anzuzeigen, als auch ihren Feinden zu verstehen zu geben, wie sie gerüstet wären und gute Wache hielten.

Den ersten Schuß that Bill auch, bekam aber, da er im Dunklen am vorigen Abend geladen, und wahrscheinlich zu viel Pulver genommen hatte, trotz des »Schamfiel-Kissens« wieder einen so fürchterlichen Stoß, daß er durch keine Ueberredung von Seiten Timors bewogen werden konnte, seinen rechten Schulterknochen noch einmal in Gefahr zu bringen. Ja er [S. 291] wollte im Anfang nicht einmal wieder laden, und verstand sich erst nach langer Weigerung dazu, dem so gefährlichen Rohr noch eine »Hand voll Pulver« anzuvertrauen.

Mit der aufgehenden Sonne, die den Meeresspiegel um sie her rings beleuchtete und nicht das geringste Verdächtige erkennen ließ, schien aber auch die Gefahr eines Angriffs, für jetzt wenigstens, vollkommen verschwunden, und Bill beschloß seinen Anker zu lichten und nach der kleinen Insel, von der sie nur eine kurze Strecke entfernt waren, zurückzukehren. Dort gedachte er zum Frühstück einige Fische zu braten, die Timor in der Nacht auf seiner Wacht gefangen hatte.

Der Anker war rasch gehoben, und da sie am vorigen Abend absichtlich nach windwärts aufgegangen waren, brauchten sie fast nur mit der Strömung wieder niederzutreiben, um die Insel gerade anzulaufen. Um vier Uhr Morgens etwa war es vollkommen windstill geworden – kein Hauch hatte gegen Morgen die spiegelglatte Fläche dieses »Binnensees im Ocean« bewegt, und erst jetzt hob sich wieder eine leichte Brise, und schien zu wachsen, je höher die Sonne über die Meeresfläche emporstieg.

»Was nur aus dem Segel von gestern geworden sein mag,« sagte Timor jetzt, der sich vergebens Mühe [S. 292] gegeben hatte den weißen Punkt von gestern Abend zwischen den verschiedenen, dort umhergestreuten Inseln wieder herauszufinden. – »Sie müssen doch jetzt bei der Brise schon wieder Segel gesetzt haben.«

»Segel können sie immer gesetzt haben,« meinte Bill, »ob wir sie aber jetzt gerade sehen können, ist die Frage, denn sie scheinen heute Morgen nicht so hell als gestern Abend. Gestern leuchtete nämlich die Sonne im Westen gerade gegen die helle Leinwand, während sie heute dahinter aufgeht, und wir dadurch nur die Schattenseite zu sehen bekommen. – Aber geh nach vorn, Timor,« setzte er dann hinzu, »nimm das Segel wieder nieder und steh bei dem Tau, daß du gleich an Land springen kannst. Wir wollen keine Zeit verlieren, damit wir unser Frühstück wenigstens verzehrt haben, ehe uns Hans und Jean vom Ufer aus das Zeichen geben.«

»Tuwan Bill,« sagte aber Timor jetzt, der jedoch den ersten Befehl, das Segel niederzulassen, rasch befolgt hatte – »ich weiß nicht ob gut ist, so rasch auf Insel zu treiben – viel dichtes Buschwerk auf kleinen Inseln. Lieber erst einmal hineinschießen mit Gewehr – ist besser.«

»Was du immer so verdammt rasch mit deinem Gewehrschießen bei der Hand, bist, du verwetterter [S. 293] kleiner brauner Hallunke,« fluchte aber Bill, »wenn du deine Schulter dagegen halten solltest, würdest du das Mittel sparsamer verschreiben, denk' ich. – Wer ist nun wieder todt, daß ich schon wieder Pulver verplatzen soll?«

»Todt?« frug der kleine Bursche verwundert, der die Redweise des Matrosen noch nicht so recht verstand. – »Niemand todt, glaub' ich, aber vielleicht Lebendige da drin, und ist besser ein Bißchen Feuer hineinmachen.«

»Darin hast du recht,« lachte aber jetzt Bill – »Feuer wollen wir auch hineinmachen, und das so rasch als möglich, aber nicht um mir die Glieder auseinanderzuschlagen, sondern unsere Fische zu braten. – Und so mach daß wir hinankommen; was hast du in einen fort zu gucken und dir den Hals halb auszurenken? – Wenn die schwarzen Schufte da drin stäken, würden sie sich auch ein Feuer anmachen und ihre paar Lebensmittel kochen oder braten, gerade wie andere Christenmenschen. – Leben wollen wir alle, und sein Frühstück versäumt niemand gern – ich am allerwenigsten.«

Timor lachte bei dem Gedanken leise vor sich hin, daß im Hinterhalt liegende Eingeborne ein Feuer anmachen sollten, ihr Frühstück zu braten. Aber der [S. 294] kleine Bursche hatte auch dabei eine unbestimmte Ahnung, welchen Gefahren sie ausgesetzt sein konnten. Während sie also jetzt von der Strömung gerade auf die kleine Insel zugetrieben wurden, die mit der wachsenden Fluth noch kaum etwa 20 bis 25 Fuß aus dem Wasser lag, stand er vorn auf der niederen Back oder dem Vorboot, und betrachtete aufmerksam und mißtrauisch das dichte Gebüsch, das von der Fluth hier auf der obersten Kuppe zusammengedrängt schien, und aus dem nur drei oder vier kleine Stämme mit knorrigen Aesten dürftig hervorragten.

Fast dicht an die nächste Korallenbank, die sich rings um den schmalen Erdhügel hinzog, hinangekomnen, stieg Bill ebenfalls auf eine der Doften oder Bänke. Von hier aus einen Blick über den Horizont werfend, was die Matrosen aus alter Gewohnheit selten oder nie unterlassen wenn sie nach oben gehen, oder auch nur einen etwas höheren Punkt besteigen, haftete sein Auge plötzlich auf einer gar nicht weit entfernten anderen, etwas längeren und höher bewachsenen Insel, die nach Osten zu lag und, wie es von hier aus schien, theilweis von einer breiten Sandbank umschlossen war.

»Hallo, Timor,« rief er dabei – »ich glaube wahrhaftig gleich hinter den Büschen dort liegt das [S. 295] Fahrzeug, das wir gestern Abend gesehen haben – mir war's wenigstens als ob der weiße Fleck da, der auch jetzt noch wie ein Segel aussieht, eben aufgezogen wurde als ich darnach hinsah. – Die müssen die halbe Nacht gefahren sein.«

Timor folgte der angewiesenen Richtung mit den Augen, und glaubte auch einen weißen Schein hinter den Büschen zu erkennen, stand aber zu niedrig oder war zu klein es genau unterscheiden zu können, und hatte auch in der That seine Aufmerksamkeit viel zu sehr der Insel vor ihnen zugewandt, um sich mehr, als ein flüchtiger Blick erforderte, mit dem Segel zu beschäftigen. Das lag jedenfalls noch eine Strecke hinter ihnen, und mußte seiner Zeit schon von selber sichtbar werden.

Bill dagegen interessirte sich weit mehr für das fremde Fahrzeug, wenn es wirklich ein solches und nicht vielleicht ein Streifen Sand war, der so hell da herüber blinkte. Wies es sich jedoch wirklich als ein Segel aus, so mußten sie vor allen Dingen darauf zufahren, und es zu bewegen suchen daß es beilege, bis seine drei Schiffscameraden abgeholt werden konnten. Der Gedanke an ihre hier mögliche und baldige Rettung beschäftigte ihn dabei so, daß er darüber wirklich sogar sein Frühstück vergaß. Nur in aller Geschwindigkeit [S. 296] schob er sich rasch ein frisches Priemchen Kautaback in den Mund, und seinen Hut dann in die Stirn drückend nahm er den einen Riemen auf; legte ihn hinten ein und begann das Boot nach der Insel zuzuwricken.[8]

»Von da oben aus muß man sehen können ob es ein Segel ist oder nicht, Timmy,« sprach er dabei vergnügt zu dem jungen Malayen, dem aber das zuversichtliche Benehmen des älteren Gefährten gar nicht so besonders zu gefallen schien – »der Erdhaufen da liegt wenigstens drei oder vier Faden höher wie das Wasser, und ist es wirklich ein Schiff, oder ein Schooner wenigstens, denn nur ein klein Ding von einem Fahrzeug dürfte wagen hier in den Klippen und Untiefen die Nacht zu fahren, so segeln wir hinüber und belegen uns Plätze nach irgend einem christlichen Seehafen. Stand by old Fellow. Komm Timmy, spring hinaus und mach das Boot fest.«

»Timmy,« wie ihn Bill zutraulich nannte, sprang aber nicht hinaus, sondern schaute nur ängstlich und kopfschüttelnd nach den dichten Büschen hinauf, die jetzt fast über ihn herüber hingen. – Hatten sich hier [S. 297] in der That Schwarze in den Hinterhalt gelegt – und eine Art Instinct warnte ihn vor den Feinden – so befanden sie sich in einer fast mehr als nur gefährlichen, in einer wirklich verzweifelten Lage. Ein großes Messer aufgreifend, das er schon lange neben sich gelegt hatte, schien er auch wirklich in dem Moment, als der eisenbeschlagene Bug des Bootes den Korallensand berührte, einen förmlichen Angriff zu erwarten.

Nicht das Mindeste rührte sich aber zwischen den Büschen, und Bill, der keine Ahnung von irgend etwas Bedrohlichem hatte, zog den Riemen ein, ließ ihn mitten im Boote »vor und aft« liegen, und trat über die Doften weg, an Land zu springen.

»Nehmt die Flinte mit, Tuwan Bill,« bat aber Timor und faßte ihn am Arm – »viel besser Flinte; weiß nicht was an anderer Seite ist.«

»Viel besser, Hell,« rief Bill aber ärgerlich, der nun einmal eine gründliche Aversion gegen das Gewehr gefaßt hatte. »Wenn du mir noch einmal mit dem verdammten Dings da kommst, werf ich es über Bord, nachher ist Ruhe. – Weshalb soll ich denn das alte Eisen überall mit hinschleppen? – ich komme ja gleich wieder herunter.«

Er wollte wirklich ohne die Waffe an Land gehen; [S. 298] Timor ließ aber nicht mit Bitten nach, und Bill griff endlich nach der ihm gereichten Muskete – mochte ihm doch selber vielleicht bei den Befürchtungen des Knaben etwas weniger sicher zu Muthe werden.

»Na meinetwegen,« rief er unwillig »und nur damit du endlich Frieden hältst, will ich das nichtsnutzige Ding noch einmal zum Vergnügen da hinauf und nachher wieder herunter schleppen. Nachher läßt du mich aber damit ungeschoren; so viel sag ich dir.«

Damit sprang er an Land, und sich durch das nächste Gesträuch drängend, kletterte er so rasch er konnte an dem bröcklichen Korallgestein empor. Lag ihm doch vor allen Dingen daran, von oben aus einen freien Ueberblick nach jener Gegend hin zu bekommen, wo er das Segel vermuthete.

Allerdings warf er zuerst einen flüchtigen Blick über die kleine Insel selber. Da er hier jedoch nicht das mindeste Verdächtige entdecken konnte, wandte er sich auch gleich darauf sorglos der Richtung zu, in der das Segel liegen mußte. Nur wenige Secunden hatte er auch, seine Augen mit der Hand schützend, dorthin gesehen, als er die Mütze schwenkte und jubelnd nach Timor hinunter rief:

»Hurrah mein Junge, sail ho! bei Allem was da schwimmt. Gerade hinter – Alle Wetter,« unterbrach [S. 299] er sich aber selber und fuhr blitzesschnell herum, denn dicht vor ihm, wie aus dem Boden heraus, tauchten plötzlich ein paar schwarze Gestalten auf, und schleuderten ihre Lanzen auf ihn.

Allerdings fuhr er, fast instinktartig mit dem Gewehr nach ihnen nieder, aber lange vorher ehe er zielen konnte, war er schon wieder mit dem Finger an den Drücker gekommen, und die Kugel zischte harmlos über die Köpfe der Feinde hin.

Diesmal hatte ihn aber sein gutes Glück vor einem sonst gewissen Tode bewahrt. Die Lanzen waren allerdings in der kurzen Entfernung mit tödtlicher Fertigkeit nach seiner Brust geworfen, trafen aber, die eine den Kolben der Muskete, an dem sie abglitt, und ihm nur eben den Arm ritzte, die andere das Stück Kautabak das er in der Brusttasche trug, und das sie nicht durchbohren konnte. Die schlimmste Wunde in dem ganzen Kampf erhielt er wieder von dem eigenen Gewehr, das ihn mit dem scharfen Bügel Haut und Fleisch vom Zeigefinger der rechten Hand abschlug.

In dem Moment fühlte er aber weder den Schmerz des verwundeten Fingers, noch den Wurf der Lanzen, denn die Feinde, die den Weißen nach den beiden Lanzenwürfen auf kaum sechs Schritte Entfernung sicher [S. 300] unschädlich gemacht glaubten, kümmerten sich weiter gar nicht um ihn, sondern sprangen in wilden Sätzen die steile Uferbank nieder, dem Boote zu, dieses vor allen Dingen in Sicherheit zu bringen.

Timor fanden sie nun freilich nicht unvorbereitet. Schon bei dem ersten Ausruf Bills hatte er die vorn im Boot liegende Stange ergriffen, das Fahrzeug rasch vom Lande abzuschieben, um es flott zu haben, sobald sein Gefährte zu ihm niederflüchten würde. Daran schien Bill aber noch gar nicht gedacht zu haben, so hatte ihn der Angriff eines gar nicht mehr vermutheten Feindes überrascht, und fast seiner ganzen Besinnung beraubt.

Der kleine Malaye sah da plötzlich vier dunkle Gestalten zu sich niederspringen, von denen eine schon zum Wurf nach ihm ausholte. Recht gut begriff er dabei, wie jeder Widerstand von seiner Seite vollkommen nutzlos und nur für ihn allein verderblich sein müßte. Rasch deshalb den Bootshaken fallen lassend, warf er sich rückwärts in demselben Augenblick über Bord, als der kurze spitze Wurfspeer über ihn wegsauste, mit dem zugleich er unter der Oberfläche verschwand.

Der Anblick brachte den Matrosen wieder zu sich selber. Er sah, wie der Knabe, den er ermordet glaubte, über Bord stürzte, sah die vier Schwarzen, [S. 301] denen sich noch ein fünfter anschloß, dem Boot zuspringen, und mit dem Schrei »Murder!« das bei dem Schuß weggeworfene Gewehr wieder aufgreifend, packte er es am Lauf und flog den Feinden nach.

Aber er kam zu spät. – Die Wilden hatten beim Hineinspringen in das kleine schwanke Fahrzeug, dieses schon durch ihr eigenes Gewicht eine Strecke vorwärts getrieben, und als er das Ufer erreichte, waren sie schon wenigstens funfzehn Schritt von diesem entfernt. Die in voller Wuth nach ihnen geschleuderte Muskete fiel dicht vor ihnen in die Fluth, das aufspritzende Wasser bis selbst ins Boot werfend, und in blinder aber machtloser Wuth griff der jetzt wüthende Matrose lose Stücke Korallen auf, sie den Flüchtigen nachzuschleudern.

Er selbst blieb dabei dem Wurf ihrer Speere, falls es ja einem von ihnen eingefallen wäre, diese nach ihm zu schleudern, vollkommen blos gegeben. Die Schwarzen hatten aber in diesem Augenblick zu viel mit ihrem eroberten Boote zu thun, das außer den Bereich seines vorigen Eigenthümers zu bringen, um sich noch weiter mit diesem zu beschäftigen. Ohne sich selbst nur nach ihm umzusehen, griffen sie die Riemen auf, die sie recht gut zu benutzen verstanden, und während drei [S. 302] mit diesen arbeiteten, setzten die beiden anderen das Segel, das sie bald in einem Nordcours der Insel entführte.

Einundzwanzigstes Capitel.
Schluß.

Noch war das genommene Boot übrigens kaum dreimal seine eigene Länge vom Ufer abgeschossen, als die funkelnden Augen des Malayen schon wieder über der Oberfläche des Wassers emportauchten. – Wenige Secunden blieb der Kopf sichtbar, dann verschwand er wieder und gleich darauf stieg, jetzt aber von einem schmalen Vorsprung der Insel gedeckt, der kleine Bursche rasch aufs Trockene und glitt, ohne auch nur einen Blick um sich herzuwerfen, ins Dickicht. Wenigstens vor den Wurflanzen des Feindes wollte er gesichert sein, sollte sich dieser ja noch nahe genug befinden, ihn damit zu erreichen. Nur erst als er Bill unten am Ufer jubeln und hurrah schreien hörte, wagte er seinen Versteck zu verlassen zu sehen was es plötzlich draußen so ungemein Erfreuliches gäbe.

An das fremde Fahrzeug hatte er im ersten Schreck des Ueberfalls gar nicht mehr gedacht. Das aber erschien [S. 303] gerade jetzt, im entscheidenden Moment, und unter vollen Segeln hinter der Insel vor, hinter der es jedenfalls während der kurzen Morgen-Windstille vor Anker gelegen.

Es war ein kleiner Schooner, von vielleicht 90 bis 95 Tonnen mit langen, weit nach vorn gesetzten keck aussehenden Masten, aber lichtbraun angestrichen mit kleinen gemalten Kanonenluken, wie ein Kauffahrteischiff, und alten, ziemlich abgenutzten Segeln.

Im Anfang und selbst nach dem Schuß, den er jedenfalls gehört haben mußte, behielt er noch seinen Westcours bei. Bills Auge aber, das sich in allem auf die See Beziehenden nur selten täuschte, obgleich niemand leichter als er auf festem Lande irre zu führen war, erkannte schon einen nach oben gesandten Mann in den Wanten. Als dann auch noch gleich darauf der scharf geschnittene Bug des kleinen Fahrzeugs etwas mehr gegen sie und das flüchtige Boot anluvte, da stieß Bill seinen Triumphschrei aus, denn er wußte jetzt nicht allein daß sie gesehen waren, sondern daß auch der Schooner wahrscheinlich das Boot mit den Eingebornen anhalten würde.

Eine gute Weile blieb aber der Erfolg dieser Jagd ziemlich zweifelhaft, denn die Schwarzen, die selbst [S. 304] mit ihren einfachen, nicht selten mit doppelten Lee- und Luv-Bäumen versehenen Canoes vortrefflich umzugehen wissen, hatten sich gar bald in die Führung des Segels hineingefunden, dessen größere Nützlichkeit sie leicht vor ihren gewöhnlichen Matten-Segeln erkennen lernten. Außerdem lag, wenn auch das fremde Fahrzeug rasch näher kam, nördlich vor ihnen, und gar nicht weit entfernt, eine breite Kette von Sandbänken und Korallenfelsen, und konnten sie diese glücklich erreichen, war es dem Schooner jedenfalls unmöglich ihnen zu folgen.

Dieser aber, der jetzt ihre Absicht erkannte und die für ihn gefährliche Strecke schon übersehen konnte, versuchte sein Letztes, dicht an dem südlichen Rande dieses Klippen-Archipels niederzulaufen. Zu dem Zweck wieder etwas mehr von der frischen Südostbrise abfallend, hielt er scharf gegen die Einfahrt auf, welcher das Boot zuzustreben schien, und ein tüchtiger Renner, glaubte er den Wilden schon jede Möglichkeit, zu entkommen, abgeschnitten zu haben. Da entdeckten die vorn auf der Vor-Marsraae stationirten Wachen des kleinen Fahrzeugs einen schmalen, aber gefährlich lichten Streifen hellgrünen Wassers, der sich quer vor ihnen nach Süden niederzog, und den sie vielleicht hoch genug gingen, um ihn zu passiren, auf dem sie [S. 305] aber auch ihr wackeres Seeboot, wenn sie irgend eine heimtückisch verborgene Klippe berühren sollten, leicht total verlieren konnten. Mit dem rasch gegebenen und im Moment befolgten Befehl flog das behende Fahrzeug dem Wind in die Zähne herum, und während alle Segel back lagen, und das eroberte Boot der Einfahrt zuschoß, stießen die Schwarzen ein wildes gellendes Freuden- und Siegesgeschrei aus.

Ihr Triumph sollte nicht lange dauern.

Vom Deck des Schooners hob sich ein leichter Rauch; und während der dumpfe Schall eines Schusses über die weite Meeresfläche dahindröhnte, schlug der Mast des geraubten Bootes nach Lee über. Mit ihm stürzte zugleich Einer der Wilden mit gähem Aufschrei über Bord.

Die Schwarzen erwarteten aber keinen zweiten Schuß – Hals über Kopf warfen sie sich, wie nur der erste starre Schreck vorüber war, in die Fluth, und das Boot, durch dessen Backbordbug die Kugel hindurchgeschlagen war, füllte sich langsam und sank. – Zwei Minuten später sah man hie und da einen schwarzen Kopf auftauchen und den nächsten Klippen zuschwimmen, dann verschwanden auch diese zwischen den einzelnen Riffen, und einzelne, auf der Fluth treibende Kisten und Fäßchen zeigten nur die Stelle [S. 306] an, wo das Boot vor kurzen Minuten zerschmettert gesunken war.

Die Raaen des Schooners waren indessen, und selbst noch während der Katastrophe, herumgebraßt, und an der gefährlichen Klippenzunge niederlaufend kam er in Lee von der Insel, auf der Bill jetzt alle nur möglichen Anstalten getroffen hatte, nicht unbeachtet sitzen zu bleiben. Sein Hemd wehte an einem Busch, und Timor hatte müssen rasch ein Feuer anmachen, denn Bill führte noch glücklicherweise das Feuerzeug bei sich, zu dessen friedlicher Benützung er besonders an Land gestiegen war. Der Rauch stieg in dicken Schwaden in die blauklare Luft empor, während Bill selber noch außerdem auf der weißen, jetzt allerdings von der Fluth sehr eingeschränkten Uferbank auf und absprang, und schrie, und seine Jacke um den Kopf schwenkte.

Er würde sich ruhig hingesetzt und das Nahen des Schooners erwartet haben, hätte er die Späße hören können, die an Bord desselben auf seine Unkosten gemacht wurden.

Die Gefahren der Schiffbrüchigen sollten aber hiermit ihr Ende erreicht haben. Etwa eine halbe Stunde später sank die kleine Jölle vom Bord des Schooners nieder und schoß, von zwei Matrosen gerudert [S. 307] und von dem »Mate« gesteuert, gegen die Insel zu, Bill und Timor an Bord zu nehmen. Die auf dem Festland zurückgelassene Mannschaft hatte indessen auch wieder mehrere Schüsse abgefeuert, das Boot ging gleich von der Insel zu ihnen hinüber, und zwei Stunden später hatte der »Shooting Star« (die Sternschnuppe), wie der kleine Schooner hieß, die bootlos gewordene Mannschaft des »Boreas« sicher an Bord, braßte seine Raaen auf, und glitt vor einer herrlichen Brise gen Osten, dem Indischen Meere zu.

[S. 308]

Leipzig,
Druck von Giesecke & Devrient.

Fußnoten

[1] Watertanks sind kleine Fahrzeuge, deren innerer Schiffsraum eingerichtet ist, mit Wasser statt anderer Ladung gefüllt zu werden. Sie gehen dann langseit der Schiffe, die frisches Wasser verlangen, und pumpen dasselbe mit Hülfe eines langen Schlauchs in die an Bord befindlichen Fässer.

[2] Von Australien nach Indien giebt es zwei Wege. Der nördliche ist eigentlich der nächste, hier aber liegt die, durch ihre gewaltige Klippenreihe den Schiffen nicht selten gefährliche Torresstrait, die zwischen Australien und Neu-Guinea durchschneidet. Die Schiffe müssen in dieser Nachts vor Anker gehn, bis sie den Indischen Ocean erreichen. Die Passage um die Südküste Australiens ist gefahrloser, wenn auch weiter.

[3] Chips, Spähne, wird der Zimmermann gewöhnlich auf den Englischen Schiffen genannt.

[4] Auf deutschen Schiffen heißt dasselbe in verdorbenem Englisch »Scheilicht.«

[5] Nobbler heißt in Australien ein halbes Glas – ein Schnitt.

[6] Schlingern heißt die nach rechts und links hinüber schaukelnde Bewegung des Fahrzeugs. Stampfen dagegen das vorn auf und nieder gehen desselben.

[7] Durch Reiben beschädigen oder abnützen.

[8] Wricken heißt, mit einem einzelnen, hinten ausgelegten und herüber und hinüber gedrehten Ruder ein Boot vorwärts treiben.

Hinweise zur Transkription

Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. Antiquaschrift wird hier als kursive Schrift dargestellt. Offensichtliche Fehler wurden korrigiert, bei Zweifeln und bei uneinheitlichen Schreibweisen der Originaltext beibehalten. Eine Liste der vorgenommenen Änderungen befindet sich hier am Ende dieses Textes. Die Änderungen bei falsch gesetzten oder fehlenden Anführungszeichen sind dort nicht gesondert aufgeführt.

Liste der Änderungen

Original Änderung
Inhaltsverzeichniß
5. Die Entdeckung 53 5. Die Entdeckung 50
Seite 12
damit der Sabbath durch nichts Alttägliches entweiht werde damit der Sabbath durch nichts Alltägliches entweiht werde
Seite 13
mit ihren aufgegehäuften Massen von Hühnern und Enteneiern mit ihren aufgehäuften Massen von Hühner- und Enteneiern
Seite 17
»Aber was machen die Deutschen und Franzosen bei dem Irländer«. »Aber was machen die Deutschen und Franzosen bei dem Irländer?«
Seite 32
behauptete der Steward auf eine der Gegeneinwürfe Bills behauptete der Steward auf einen der Gegeneinwürfe Bills
Seite 34
Viertes Kapitel. Viertes Capitel.
Seite 42
wir den Burschen wenigsten aus dem Logis wir den Burschen wenigstens aus dem Logis
Seite 62
in das er insdiscret genug in das er indiscret genug
Seite 88
Da sie keinen Lärmen mehr machten Da sie keinen Lärm mehr machten
Seite 89
Siebentes Kapitel. Siebentes Capitel.
Seite 91
vor allen Dingen feine Kost und sein Logis vor allen Dingen seine Kost und sein Logis
Seite 98
Als Charles Mr. Mac Charter zu sich auf die Flur Als Charles Mr. Mac Carther zu sich auf die Flur
Seite 102
sich sich gerade am sichersten fühlten sie sich gerade am sichersten fühlten
Einer von dieser sprang augenblicklich an Land Einer von diesen sprang augenblicklich an Land
Seite 103
Eine Vierstelstunde später schossen um das Castell Eine Viertelstunde später schossen um das Castell
Seite 104
es wirklich schon sobald in See gehen sollte es wirklich schon so bald in See gehen sollte
Seite 105
glaubte nicht, daß wir sobald in See gingen glaubte nicht, daß wir so bald in See gingen
Seite 109
wo die Motrosen gewöhnlich ihren Aufenthalt haben wo die Matrosen gewöhnlich ihren Aufenthalt haben
Seite 110
den Zimmerman über seinen Thee entrüstet zu finden den Zimmermann über seinen Thee entrüstet zu finden
Seite 113
gingen sie über Backbord Bug mit halben Wind gingen sie über Backbord Bug mit halbem Wind
Vorstengenstagsegeln wie eiu Pfeil durch Vorstengenstagsegeln wie ein Pfeil durch
Seite 114
dadurch unvermeidliche stete Hin- nnd Hergeworfenwerden dadurch unvermeidliche stete Hin- und Hergeworfenwerden
Seite 122
Er hat Frau und Kind zu Hans Er hat Frau und Kind zu Haus
Seite 133
nach ihn um und sah ihm starr ins Gesicht nach ihm um und sah ihm starr ins Gesicht
Seite 134
Zehntes Kapitel. Zehntes Capitel.
Seite 144
Leute – wir Ihr wohl wissen werdet Leute – wie Ihr wohl wissen werdet
Seite 150
auch des Vormarssegel fest bekommen konnten auch das Vormarssegel fest bekommen konnten
Seite 154
und füllte sich auf's neue sein Gles und füllte sich auf's neue sein Glas
Seite 161
Zwölftes Kapitel. Zwölftes Capitel.
Seite 178
Ringsum waren sie total von Karollenbänken eingeschlossen Ringsum waren sie total von Korallenbänken eingeschlossen
Dreizehntes Kapitel. Dreizehntes Capitel.
Seite 183
daß ich ihn überhaupt mit ins Bot haben will daß ich ihn überhaupt mit ins Boot haben will
Seite 184
Das geht wahrwaftig nicht an Das geht wahrhaftig nicht an
Seite 211
Ja, lacht nur Jungen; mir ist's rechts, aber Ja, lacht nur Jungen; mir ist's recht, aber
Seite 216
was beinah wie breit Irihs klingt was beinah wie breit Irish klingt
Seite 225
schnit sich dann in der Hand eine Pfeife schnitt sich dann in der Hand eine Pfeife
Sechszehntes Kapitel. Sechszehntes Capitel.
Seite 227
aufzustehen und Kaffe zu kochen aufzustehen und Kaffee zu kochen
Seite 234
rief der Wilde jetzt deulich zu ihnen herüber rief der Wilde jetzt deutlich zu ihnen herüber
Seite 240
Wir essen das naßgewordeue zuerst weg Wir essen das naßgewordene zuerst weg
Seite 241
Siebenzehntes Kapitel. Siebenzehntes Capitel.
Seite 251
Angriff gar tüchtig in Respeckt gesetzt Angriff gar tüchtig in Respect gesetzt
Seite 302
Einundzwanzigstes Kapitel. Einundzwanzigstes Capitel.





End of Project Gutenberg's Aus dem Matrosenleben, by Friedrich Gerstäcker

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