The Project Gutenberg EBook of Schriften 4: Phantasus 1, by Ludwig Tieck This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have to check the laws of the country where you are located before using this ebook. Title: Schriften 4: Phantasus 1 Phantasus / Der blonde Eckbert / Der getreue Eckart / Der Runenberg / Liebeszauber / Die schöne Magelone / Die Elfen / Der Pokal Author: Ludwig Tieck Release Date: November 18, 2015 [EBook #50480] Language: German Character set encoding: ISO-8859-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHRIFTEN 4: PHANTASUS 1 *** Produced by Delphine Lettau, Jens Sadowski, and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Ludwig Tieck's Schriften. Vierter Band. Phantasus Erster Theil. Berlin, bei G. Reimer, 1828. An den Dr. und Prof. Schleiermacher in Berlin. Gern erinnere ich mich der Jugendzeit, als wir uns nahe waren und uns oft bei gemeinschaftlichen Freunden trafen. Mögen Sie in ernsten Forschungen und Geschäften vertieft nicht diese luftigen Gaben der Phantasie verschmähen, sondern sich noch eben so gern, wie ehemals, durch sie erheitern. L. Tieck. Inhalt (hinzugefügt): Einleitung Phantasus Der blonde Eckbert Der getreue Eckart Der Runenberg Liebeszauber Die schöne Magelone Die Elfen Der Pokal Weitere Anmerkungen zur Transkription am Ende des Buches. Phantasus. Erster Theil. An A. W. Schlegel. (Anstatt einer Vorrede.) Es war eine schöne Zeit meines Lebens, als ich Dich und Deinen Bruder Friedrich zuerst kennen lernte; eine noch schönere, als wir und Novalis für Kunst und Wissenschaft vereinigt lebten, und uns in mannichfaltigen Bestrebungen begegneten. Jezt hat uns das Schicksal schon seit vielen Jahren getrennt. Ich verfehlte Dich in Rom, und eben so später in Wien und München, und fortdauernde Krankheit hielt mich ab, Dich an dem Orte Deines Aufenthaltes aufzusuchen; ich konnte nur im Geist und in der Erinnerung mit Dir leben. Von verschiedenen Seiten aufgefordert, war ich schon seit einiger Zeit entschlossen, meine jugendlichen Versuche, die sich zerstreut haben, zu sammeln, diejenigen hinzuzufügen, welche bis jezt noch ungedruckt waren, und andre zu vollenden und auszuarbeiten, die ich schon vor Jahren angefangen, oder entworfen hatte. Diese Mährchen, Schauspiele und Erzählungen, welche alle eine frühere Periode meines Lebens charakterisiren, vereinigt durch mannichfaltige Gespräche gleichgesinnter Freunde über Kunst und Literatur, machen den Inhalt dieses Buches. Manches, was ich in diesen Dialogen nur flüchtig berühren konnte, werde ich an andern Orten bestimmter darzustellen und auszuführen suchen. Diejenigen Dichtungen, welche schon bekannt gemacht waren, erscheinen hier mit Verbesserungen, und in der Summe der sieben verschiedenen Abtheilungen wird man eben so viele neue, als in den Volksmährchen, oder anderswo schon abgedruckte, antreffen. Die größeren Werke, wie der Zerbino oder die Genoveva schließen sich von dieser Sammlung aus. Es war meine Absicht, meinen Freunden diese Spiele der Phantasie, die sie früher schon gütig aufgenommen haben, in einer annehmlichern Gestalt vorzulegen. Du warst unter diesen einer der ersten, die mein Talent erhoben und ermunterten, Dein männlich heiterer Sinn findet auch im Scherze den Ernst, so wie er Gelehrsamkeit und gründliche Forschung durch Anmuth belebt: Du wirst gütig diese Blätter aufnehmen, die das Bild voriger Zeit und Deines Freundes in dir erneuern. Einleitung. 1811. Dieses romantische Gebirge, sagte Ernst, erinnert mich lebhaft an einen der schönsten Tage meines Lebens. In der heitersten Sommerszeit hatte ich die Fahrt über den Lago maggiore gemacht und die Borromäischen Inseln besucht; von einem kleinen Flecken am See ritt ich dann mit dem frühsten Morgen nach Belinzona, das mit seinen Zinnen und Thürmen auf Hügeln und im engen Thal ganz alterthümlich sich darstellt, und uns alte Sagen und Geschichten wunderlich vergegenwärtigt, und von dort reisete ich am Nachmittage ab, um am folgenden Tage den Weg über den Sankt Gotthard anzutreten. Am Fuße dieses Berges liegt äußerst anmuthig Giarnito, und einige Stunden vorher führt dich der Weg durch das reizendste Thal, in welchem Weingebirge und Wald auf das mannigfaltigste wechselt, und von allen Bergen große und kleine Wasserfälle klingend und wie musizirend niedertanzen; immer enger rücken die Felsen zusammen, je mehr du dich dem Orte näherst, und endlich ziehn sich Weinlauben über dir hinweg von Berg zu Berg, und verdecken von Zeit zu Zeit den Anblick des Himmels. Es wurde Abend, eh ich die Herberge erreichte, beim Sternenglanz, den mir die grünen Lauben oft verhüllten, rauschten näher und vertraulicher die Wasserfälle, die sich in mannigfachen Krümmungen Wege durch das frische Thal suchten; die Lichter des Ortes waren bald nahe, bald fern, bald wieder verschwunden, und das Echo, das unsere Reden und den Hufschlag der Pferde wiederholte, das Flüstern der Lauben, das Rauschen der Bäume, das Brausen und Tönen der Wasser, die wie in Freundschaft und Zorn abwechselnd näher und ferner schwazten und zankten, vom Bellen wachsamer Hunde aus verschiedenen Richtungen unterbrochen, machten diesen Abend, indem noch die grünenden Borromäischen Inseln in meiner Phantasie schwammen, zu einem der wundervollsten meines Lebens, dessen Musik sich oft wachend und träumend in mir wiederholt. Und -- wie ich sagte -- dieses romantische Gebirge hier erinnert mich lebhaft an den Genuß jener schönen Tage. Warum, sagte sein Freund Theodor, hast du nie etwas von deinen Reisen deinen nahen und fernen Freunden öffentlich mittheilen wollen? Nenn' es, antwortete jener, Trägheit, Zaghaftigkeit, oder wie du willst: vielleicht auch rührt es von einem einseitigen, zu weit getriebenen Abscheu gegen die meisten Reisebeschreibungen ähnlicher Art her, die mir bekannt geworden sind. Wenigstens schwebt mir ein ganz andres Bild einer solchen Beschreibung vor; den ältern, unästhetischen lasse ich ihren Werth: doch jene, in denen Natur und Kunst und Völker aller Art, nebst Sitten und Trachten und Staatsverfassungen der witzig-philosophischen Eitelkeit des Schriftstellers, wie Affen zum Tanze, aufgeführt werden, der sich in jedem Augenblick nicht genug darüber verwundern kann, daß er es ist, der alle die Gaukeleien mit so stolzer Demuth beschreibt, und der so weltbürgerlich sich mit allen diesen Thorheiten einläßt; o, sie sind mir von je so widerlich gewesen, daß die Furcht, in ihre Reihe gestellt, oder gar unvermerkt bei ähnlicher Beschäftigung ihnen verwandt zu werden, mich von jedem Versuche einer öffentlichen Mittheilung abgeschreckt hat. Doch giebt es vielleicht, sagte Theodor, eine so schlichte und unschuldige Manier, eine so einfache Ansicht der Dinge, daß ich mir wohl nach Art eines Gedichtes die Beschreibung eines Landes, oder einer Reise, denken kann. Gewiß, sagte Ernst, manche der ältern Reisen nähern sich auch diesem Bilde, und es verhält sich ohne Zweifel damit eben so, wie mit der Kunst zu reisen selbst. Wie wenigen Menschen ist das Talent verliehn, Reisende zu sein! Sie verlassen niemals ihre Heimath, sie werden von allem Fremdartigen gedrückt und verlegen, oder bemerken es durchaus gar nicht. Wie glücklich, wem es vergönnt ist, in erster Jugend, wenn Herz und Sinn noch unbefangen sind, eine große Reise durch schöne Länder zu machen, dann tritt ihm alles so natürlich und wahr, so vertraut wie Geschwister, entgegen, er bemerkt und lernt, ohne es zu wissen, seine stille Begeisterung umfängt alles mit Liebe, und durchdringt mit freundlichem Ernst alle Wesen: einem solchen Sinn erhält die Heimath nachher den Reiz des Fremden, er versteht nun einheimisch zu sein, das Ferne und Nahe wird ihm eins, und in der Vergleichung mannigfaltiger Gegenstände wird ihm ein Sinn für Richtigkeit. So war es wohl gemeint, wenn man sonst junge Edelleute nach Vollendung ihrer Studien reisen ließ. Der Mensch versteht wahrhaft erst das Nahe und Einheimische, wenn ihm das Fremde nicht mehr fremd ist. An diese Reisenden schließe ich mich noch am ersten, sagte Theodor, wenn du mir auch unaufhörlich vorwirfst, daß ich meine Reisen, wie das Leben selbst, zu leichtsinnig nehme. Freilich ist wohl in meiner Sucht nach der Fremde zu viel Widerwille gegen die gewohnte Umgebung, und sehr oft ist es mir mehr um den Wechsel der Gegenstände, als um irgend eine Belehrung zu thun. Die zweite und vielleicht noch schönere Art zu reisen, fuhr Ernst fort, ist jene, wenn die Reise selbst sich in eine andächtige Wallfahrt verwandelt, wenn die jugendliche Neugier und die scharfe Lust an fremden Gegenständen schon gebrochen sind, wenn ein reifes Gemüth mit Kenntniß und Liebe gleich sehr erfüllt, an die Ruinen und Grabmäler der Vorzeit tritt, die Natur und Kunst wie die Erfüllung eines oft geträumten Traums begrüßt, auf jedem Schritte alte Freunde findet, und Vorwelt und Gegenwart in ein großes, rührend erhabenes Gemälde zerfließen. Diese elegischen Stimmungen würden mich nur ängstigen, unterbrach ihn Theodor. Ihr andern, ihr ernsthaften Leute, verbindet so widerwärtige Begriffe mit dem Zerstreutsein, da es doch in einfachen Menschen oft nur das wahre Beisammensein mit der Natur ist, wie mit einem frohen Spielkameraden; eure Sammlung, euer tiefes Eindringen sehr häufig eine unermeßliche Ferne. Auf welche Weise aber, mein Freund, würdest du deine Ansicht über dergleichen Gegenstände mittheilen, im Fall du einmal deinen Widerwillen künftig etwas mehr bezwingen solltest. Schon früh, sagte Ernst, bevor ich noch die Welt und mich kennen gelernt hatte, war ich mit meiner Erziehung, so wie mit allem Unterricht, den ich erfuhr, herzlich unzufrieden. War es doch nicht anders, als verschwiege man geflissentlich das, was wissenswürdig sei, oder erwähnte es zuweilen nur, um mit hochmüthigem Verhöhnen das zu erniedrigen, was selbst in dieser Entstellung mein junges Herz bewegte. Dafür aber suchte ich nachher auch, gleichsam wie der Zeit zum Trotz und ihrer falschen Bildung, alles als ein Befreundetes und Verwandtes auf, was mir meine Bücher und Lehrer nur zu oft als das Abgeschmackte, Dunkle und Widerwärtige bezeichnet hatten; ich berauschte mich auf meinem ersten Ausfluge in allen Erinnerungen des Alterthums, begeisterte mich an den Denkmalen einer längst verloschenen Liebe, ja that wohl manchem Guten und Nützlichen mit erwiedertem Verfolgungsgeist unrecht, und stand bald unter meiner Umgebung selbst wie eine unverständliche Alterthümlichkeit, indem ich ihr Nichtbegreifen nicht begriff, und verzweifeln wollte, daß allen andern der Sinn und die Liebe so gänzlich fehlten, die mich bis zum Schmerzhaften erregten und rührten. Freilich, fiel Theodor lachend ein, erschienst du damals mit deiner Bekehrungssucht als ein höchst wunderlicher Kauz, und ich erinnere mich noch mit Freuden des Tages, als wir uns vor vielen Jahren zuerst in Nürnberg trafen, und wie einer deiner ehemaligen Lehrer, der dich dort wieder aufgesucht hatte, und für alles Nützliche, Neue, Fabrikartige fast fantastisch begeistert war, dich aus den dunkeln Mauern nach Fürth führte, wo er in den Spiegelschleifereien, Knopf-Manufakturen und allen klappernden und rumorenden Gewerben wahrhaft schwelgte, und deine Gleichgültigkeit ebenfalls nicht verstand und dich fast für schlechten Herzens erklärt hätte, da er dich nicht stumpfsinnig nennen wollte: endlich, bei den Goldschlägern, lebtest du zu seiner Freude wieder auf, es geschah aber nur, weil du hier die Gelegenheit hattest, dir die Pergamentblätter zeigen zu lassen, die zur Arbeit gebraucht werden; du bedauertest zu seinem Verdruß sogar die zerschnittenen Meßbücher, und wühltest herum, um vielleicht ein Stück eines altdeutschen Gedichtes zu entdecken, wofür der aufgeklärte Lehrer kein Blättchen Goldschaum aufgeopfert hätte. Es ist gut, sagte Ernst, daß die Menschen verschieden denken und sich auf mannigfaltige Weise interessiren, doch war die ganze Welt damals zu einseitig auf ein Interesse hingespannt, das seitdem auch schon mehr und mehr als Irrthum erkannt ist. Dieses Nord-Amerika von Fürth konnte mir freilich wohl neben dem altbürgerlichen, germanischen, kunstvollen Nürnberg nicht gefallen, und wie sehnsüchtig eilte ich nach der geliebten Stadt zurück, in der der theure Dürer gearbeitet hatte, wo die Kirchen, das herrliche Rathhaus, so manche Sammlungen, Spuren seiner Thätigkeit, und der Johannis-Kirchhof seinen Leichnam selber bewahrte; wie gern schweifte ich durch die krummen Gassen, über die Brücken und Plätze, wo künstliche Brunnen, Gebilde aller Art, mich an eine schöne Periode Deutschlands erinnerten, ja! damals noch die Häuser von außen mit Gemälden von Riesen und altdeutschen Helden geschmückt waren. Doch, sagte Theodor, wird das jezt alles dort, so wie in andern Städten, von Geschmackvollen angestrichen, um, wie der Dichter sagt: »zu malen auf das Weiß, ihr Antlitz oder ihren Steiß.« -- Allein Fürth war auch bei alle dem mit seinen geputzten Damen, die gedrängt am Jahrmarktsfest durch die Gassen wandelten, nebst dem guten Wirthshause, und der Aussicht aus den Straßen in das Grün an jenem warmen sonnigen Tage nicht so durchaus zu verachten. Behüte uns überhaupt nur der Himmel, (wie es schon hie und da angeklungen hat) daß dieselbe Liebe und Begeisterung, die ich zwar in dir als etwas Aechtes anerkenne, nicht die Thorheit einer jüngeren Zeit werde, die dich dann mit leeren Uebertreibungen weit überflügeln möchte. Wenn nur das wahrhaft Gute und Große mehr erkannt und ins Bewußtsein gebracht wird, sagte Ernst, wenn wir nur mehr sammeln und lernen, jene Vorurtheile der neuern Hoffarth ganz ablegen, und die Vorzeit und also das Vaterland wahrhafter und inniger lieben, so kann der Nachtheil einer sich bald erschöpfenden Thorheit so groß nicht werden. -- In jenen jugendlichen Tagen, als ich zuerst deine Freundschaft gewann, gerieth ich oft in die wunderlichste Stimmung, wenn ich die Beschreibungen unsers Vaterlandes, die gekannt und gerühmt waren, und welche auf allgemein angenommenen Grundsätzen ruhten, mit dem Deutschland verglich, wie ich es mit meinen Augen und Empfindungen sah; je mehr ich überlegte, nachsann und zu lernen suchte, je mehr wurde ich überzeugt, es sei von zwei ganz verschiedenen Ländern die Frage, ja unser Vaterland sei überall so unbekannt, wie ein tief in Asien oder Afrika zu entdeckendes Reich, von welchem unsichre Sagen umgingen, und das die Neugier unsrer wißbegierigen Landsleute eben so, wie jene mythischen Gegenden reizen müsse; und so nahm ich mir damals, in jener Frühlingsstimmung meiner Seele, vor, der Entdecker dieser ungekannten Zonen zu werden. Auf diese Weise bildete sich in jenen Stunden in mir das Ideal einer Reisebeschreibung durch Deutschland, das mich auch seitdem noch oft überschlichen und mich gereizt hat, einige Blätter wirklich nieder zu schreiben. Doch jezt könnt' ich leider Elegien dichten, daß es nun auch zu jenen Elegien zu spät ist. Einige Töne dieser Elegie, sagte Theodor, klingen doch wohl in den Worten des Klosterbruders. Am frühsten, sagte Ernst, in den wenigen Zeilen unsers Dichters über den Münster in Straßburg, die ich niemals ohne Bewegung habe lesen können, dann in den Blättern von deutscher Art und Kunst; in neueren Tagen hat unser Freund, Friedrich Schlegel, mit Liebe an das deutsche Alterthum erinnert, und mit tiefem Sinn und Kenntniß manchen Irrthum entfernt, auch hat sich die Stimmung unsrer Zeit auffallend zum Bessern verändert, wir achten die deutsche Vorzeit und ihre Denkmäler, wir schämen uns nicht mehr, wie ehemals, Deutsche zu sein, und glauben nicht unbedingt mehr an die Vorzüge fremder Nationen. Das ökonomische Treiben, die Verehrung kleinlicher List, die Vergötterung der neusten Zeit ist fast erstorben, eine höhere Sehnsucht hat unsern Blick in die Vergangenheit geschärft, und neueres Unglück für die vergangenen großen Jahrhunderte den edlern Sinn in uns aufgeschlossen. In jenen früheren Tagen aber hatten wir noch mehr Ueberreste der alten Zeit selbst vor uns, man fand noch Klöster, geistliche Fürstenthümer, freie Reichsstädte, viele alte Gebäude waren noch nicht abgetragen oder zerstört, altdeutsche Kunstwerke noch nicht verschleppt, manche Sitte noch aus dem Mittelalter herüber gebracht, die Volksfeste hatten noch mehr Charakter und Fröhlichkeit, und man brauchte nur wenige Meilen zu reisen, um andre Gewohnheiten, Gebäude und Verfassungen anzutreffen. Alle diese Mannigfaltigkeit zu sehn, zu fühlen und in ein Gemälde darzustellen, war damals mein Vorsatz. Was unsre Nation an eigenthümlicher Malerei, Sculptur und Architektur besitzt, welche Sitten und Verfassungen jeder Provinz und Stadt eigen, und wie sie entstanden, zu erforschen, um den Mißverständnissen der neueren kleinlichen Geschichtschreiber zu begegnen; welche Natur jeden Menschenstamm umgiebt, ihn bildet und von ihm gebildet wird: alles dieses sollte wie in einem Kunstwerke gelöst und ausgeführt werden. Den edlen Stamm der Oesterreicher wollte ich gegen den Unglimpf jener Tage vertheidigen, die in ihrem fruchtbaren Lande und hinter reizenden Bergen den alten Frohsinn bewahren; die kriegerischen und fromm gläubigen Baiern loben, die freundlichen, sinnvollen, erfindungsreichen Schwaben im Garten ihres Landes schildern, von denen schon ein alter Dichter singt: Ich hab der Schwaben Würdigkeit In fremden Landen wohl erfahren; die berührigen, muntern Franken, in ihrer romantischen, vielfach wechselnden Umgebung, denen damals ihr Bamberg ein deutsches Rom war; die geistvollen Völker den herrlichen Rhein hinunter, die biederben Hessen, die schönen Thüringer, deren Waldgebirge noch die Gestalt und den Blick der alten Ritter aufbewahren; die Niederdeutschen, die dem treuherzigen Holländer und starken Engländer ähnlich sind: bei jeder merkwürdigen Stelle unsrer vaterländischen Erde wollte ich an die alte Geschichte erinnern, und so dachte ich die lieben Thäler und Gebirge zu durchwandeln, unser edles Land, einst so blühend und groß, vom Rhein und der Donau und alten Sagen durchrauscht, von hohen Bergen und alten Schlössern und deutschem tapfern Sinn beschirmt, gekränzt mit den einzig grünen Wiesen, auf denen so liebe Traulichkeit und einfacher Sinn wohnt. Gewiß, wem es gelänge, auf solche Weise ein geliebtes Vaterland zu schildern, aus den unmittelbarsten Gefühlen, der würde ohne alle Affektation zugleich ein hinreißendes Dichterwerk ersonnen haben. Oft, fiel Theodor ein, habe ich mich darüber wundern müssen, daß wir nicht mit mehr Ehrfurcht die Fußstapfen unsrer Vorfahren aufsuchen, da wir vor allem Griechischen und Römischen, ja vor allem Fremden oft mit so heiligen Gefühlen stehn und uns durch edle Erinnerungen entzückt fühlen; so wie auch darüber, daß unsre Dichter noch so wenig gethan haben, diesen Geist zu erwecken. Manche, sagte Ernst, haben es eine Zeitlang versucht, aber schwach, viele verkehrt, und ein hoher Sinn, der Deutschland so liebte und einheimisch war, wie der große Shakspear seinem Vaterlande, hat uns bisher noch gefehlt. Wir vergessen aber, rief Theodor, die herrliche Gegend zu genießen, auf die Vögel aus dem Dickicht des Waldes und auf das Gemurmel dieser lieblichen Bäche zu horchen. Alles tönt auch unbewußt in unsre Seele hinein, sagte Ernst; auch wollten wir ja noch die schöne Ruine besteigen, die dort schon vor uns liegt, und auch mit jedem Jahre mehr verfällt: hier arbeitet die Zeit, anderswo die Nachlässigkeit der Menschen, an vielen Orten der verachtende Leichtsinn, der ganze Gebäude niederreißt, oder sie verkauft, um alles Denkmal immer mehr dem Staube und der Vergessenheit zu überliefern. Indessen, wenn der Sinn dafür nur um so mehr erwacht, um so mehr in der Wirklichkeit zu Grunde geht, so haben wir doch mehr gewonnen als verloren. Ist diese Gegend nicht, durch welche wir wandeln, fing Theodor an, einem schönen romantischen Gedichte zu vergleichen? Erst wand sich der Weg labirinthisch auf und ab durch den dichten Buchenwald, der nur augenblickliche räthselhafte Aussicht in die Landschaft erlaubte: so ist die erste Einleitung des Gedichtes; dann geriethen wir an den blauen Fluß, der uns plötzlich überraschte und uns den Blick in das unvermuthete frisch grüne Thal gönnte: so ist die plötzliche Gegenwart einer innigen Liebe; dann die hohen Felsengruppen, die sich edel und majestätisch erhuben und höher bis zum Himmel wuchsen, je weiter wir gingen: so treten in die alten Erzählungen erhabene Begebenheiten hinein, und lenken unsern Sinn von den Blumen ab; dann hatten wir den großen Blick auf ein weit ausgebreitetes Thal, mit schwebenden Dörfern und Thürmen auf schön geformten Bergen in der Ferne, wir sahen Wälder, weidende Heerden, Hütten der Bergleute, aus denen wir das Getöse herüber vernahmen: so öffnet sich ein großes Dichterwerk in die Mannichfaltigkeit der Welt und entfaltet den Reichthum der Charaktere; nun traten wir in den Hain von verschiedenem duftenden Gehölz, in welchem die Nachtigall so lieblich klagte, die Sonne sich verbarg, ein Bach so leise schluchzend aus den Bergen quoll, und murmelnd jenen blauen Strom suchte, den wir plötzlich, um die Felsenecke biegend, in aller Herrlichkeit wieder fanden: so schmilzt Sehnsucht und Schmerz, und sucht die verwandte Brust des tröstenden Freundes, um sich ganz, ganz in dessen lieblich erquickende Fülle zu ergießen, und sich in triumphirende Woge zu verwandeln. Wie wird sich diese reizende Landschaft nun ferner noch entwickeln? Schon oft habe ich Lust gefühlt, einer romantischen Musik ein Gedicht unterzulegen, oder gewünscht, ein genialer Tonkünstler möchte mir voraus arbeiten, um nachher den Text seiner Musik zu suchen; aber warlich, ich fühle jezt, daß sich aus solchem Wechsel einer anmuthigen Landschaft ebenfalls ein reizendes erzählendes Gedicht entwickeln ließe. Zu wiederholten malen, erwiederte Ernst, hat mich unser Freund Manfred mit dergleichen Vorstellungen unterhalten, und indem du sprachst, dachte ich an den unvergleichlichen Parceval und seine Krone, den Titurell. Jeder Spaziergang, der uns befriedigt, hat in unsrer Seele ein Gedicht abgelöset, und wiederholt und vollendet es, wenn er uns immer wieder mit unsichtbarem Zauber umgiebt. Sehn wir die Entwickelung der romantischen Verschlingung! rief Theodor; Wald und Fluß verschwinden links, unser Weg zieht sich rechts, und viele kleine Wasserfälle rauschen aus buschigen Hügeln hervor, und tanzen und jauchzen wie muntre Nebenpersonen zur Wiese hinab, um jenem schluchzenden Bach zu widersprechen, und in Freude und Lust den glänzenden Strom aufzusuchen, den schon die Sonne wieder bescheint, und der so lächelnd zu ihnen herüber winkt. Sieh doch, rief Ernst, wenn mein geübtes Auge etwas weniger scharf wäre, so könnte ich mich überreden, dort stände unser Freund Anton! aber seine Stellung ist matter und sein Gang schwankender. Nein, rief Theodor, dein Auge ist nicht scharf genug, sonst würdest du keinen Augenblick zweifeln, daß er es nicht selbst in eigner Person sein sollte! Sieh, wie er sich jezt bückt, und mit der Hand Wasser schöpft, nun schüttelt er die Tropfen ab und dehnt sich; sieh, nur er allein kann nun mit solchem leutseligen Anstande die Nase in die Sonne halten, -- und sein Auge hat uns auch schon gefunden! Die Freunde, die sich lange nicht gesehn hatten, und sich in schöner Einsamkeit so unvermuthet wieder fanden, eilten mit frohem Ausruf auf einander zu, umarmten sich, thaten tausend Fragen und erwarteten keine Antwort, drückten sich wieder an die Brust und genossen im Taumel ihrer freudigen Verwunderung immer wieder die Lust der Ueberraschung. O der Freude, dich wieder zu haben, rief Theodor aus, du lieber, lieber Freund! Wie fällst du so unvermuthet (doch brauchts ja keine Motive) aus diesen allerliebsten Episoden hier in unsre Haupthandlung und Wandlung hinein! Aber du siehst matt und krank aus, sagte Ernst, indem er ihn mit Wehmuth betrachtete. So ist es auch, erwiederte Anton, ich habe mich erst vor einigen Wochen vom Krankenlager erhoben, fühlte heut zum erstenmal die Schönheit der Natur wieder, und ließ mir nicht träumen, daß ihr wie aus dem Himmel noch heut in meinen Himmel fallen würdet. Aber seid mir tausend und tausendmal willkommen! Man ging, man stand dann wieder still, um sich zu betrachten, sich zu befragen, und jeder erkundigte sich nun nach den Geschäften, nach den Absichten des andern. Meine Reise, sagte Ernst, hat keinen andern Endzweck, als mich in der Nähe, nur einige Meilen von hier, über einige alte, sogenannte gothische Gebäude zu unterrichten, und dann in der Stadt ein altdeutsches Gedicht aufzusuchen. Und ich, sagte Theodor, bin meiner Gewohnheit nach nur so mitgenommen worden, weil ich eben weder etwas zu thun, noch zu versäumen hatte. Ich besuche unsern Manfred, sagte Anton, der mich auf sein schönes Landgut, sieben Meilen von hier, eingeladen hat, da er von meiner Krankheit und Genesung Nachricht bekommen. Wohnt der jezt in diesem Gebirge? fragte Ernst. Ihr wißt also nicht, fuhr Anton fort, daß er schon seit mehr als zwei Jahren verheirathet ist und hier wohnt? Manfred verheirathet? rief Theodor aus; er, der so viel gegen alle Ehe deklamirt, so über alle gepriesene Häuslichkeit gespottet hat, der es zu seiner Aufgabe zu machen schien, das Phantastische mit dem wirklichen Leben aufs innigste zu verbinden, der vor nichts solchen Abscheu äußerte, als vor jener gesetzten, kaltblütig moralischen Philisterei? Wie ist es möglich? Ei! der mag sich denn nun auch schön verändert haben! Gewiß hat ihn »das Dreherchen der Zeit« so umgedreht, daß er nicht wieder zu erkennen ist. Vielleicht, sagte Ernst, konnte es ihm gerade am ersten gelingen, die Jugend beizubehalten, in welcher er sich scheinbar so wild bewegte, denn sein Charakter neigte immer zum Ernst, und eben darum war sein Widerwille gegen den geheuchelten, läppischen Ernst unserer Tage oft so grotesk und bizarr: bei manchen Menschen dient eine wunderliche Außenseite nur zum nothwendigen Gegengewicht eines gehaltvollen, oft fast melankolischen Innern, und zu diesen scheint mir unser Freund zu gehören. Ich habe ihn schon im vorigen Jahre gesehn, sagte Anton, und ihn gar nicht verändert gefunden, er ist eher jünger geworden; seine Haushaltung mit seiner Frau und ihrer jüngern Schwester Clara, mit seiner eignen Schwester und Schwiegermutter ist die liebenswürdigste, die ich noch gesehn habe, so wie sein Landgut die schönste Lage im ganzen Gebirge hat: ihr thätet klug, mich dahin zu begleiten, was sich auch sehr gut mit deinen gelehrten antiquarischen Untersuchungen vereinigen läßt. Er muß! rief Theodor, oder ich laß ihn im Stich der gothischen, oder, wie er will, altdeutschen Spitzgewölbe. Darüber läßt sich noch sprechen, sagte Ernst halb zweifelnd; da ihm aber Anton noch erzählte, daß sie im nächsten Städtchen die beiden längst gesuchten Freunde Lothar und Friedrich finden würden, die ihn erwarteten, um mit ihm zum gemeinschaftlichen Freunde Manfred zu reisen, und sich einige Wochen bei diesem aufzuhalten, so ließ sich Ernst bewegen, seine Antiquitäten auch noch so lange beiseit zu thun, um nach vielen Jahren einmal wieder im Kreise seiner Geliebten eine neue Jugend zu leben, und die alten theuern Erinnerungen seinem Herzen zu erwecken. Die Freunde wanderten weiter, und nach geraumer Zeit fragte Theodor: wie hast du nur so lange krank sein können? Verwundre dich doch lieber, antwortete der Kranke, wie ich so bald habe genesen können, denn noch ist es mir selber unbegreiflich, daß meine Kräfte sich so schnell wieder hergestellt haben. Wie wird sich der gute Friedrich freuen, sagte Theodor, dich einmal wieder zu sehn; denn immer warst du ihm unter seinen Freunden der liebste. Sagt vielmehr, antwortete der Genesene, daß wir uns in manchen Punkten unsers Wesens am innigsten berührten und am besten verstanden; denn, meine Geliebten, man lebt, wenn man das Glück hat, mehre Freunde zu besitzen, mit jedem Freunde ein eignes, abgesondertes Leben; es bilden sich mannichfache Kreise von Zärtlichkeit und Freundschaft, die wohl die Gefühle der Liebe zu andern in sich aufnehmen und harmonisch mit ihnen fortschwingen, dann aber wieder in die alte eigenthümliche Bahn zurück kehren. Und eben so wie mir der Vertrauteste in vielen Gesinnungen fremd bleibt, so hebt eben derselbe auch vieles Dunkle in meiner eignen Natur bloß durch seine Gegenwart hervor, und macht es licht, sein Gespräch, wenn es diese Punkte trifft, erweckt es zum klarsten innigsten Leben, und eben so wirkt meine Gegenwart auf ihn zurück. Vielleicht war manches in Friedrich und mir, was ihr übrigen mißverstandet, was sich in uns ergänzte und durch unsre Freundschaft zum Bewußtsein gedieh, so daß wir uns mancher Dinge wohl sogar erfreuten, die andre uns lieber hätten abgewöhnen mögen. Was du da sagst, ist sehr wahr, fügte Ernst hinzu, der Mensch, der überhaupt das Leben und sich versteht, wird mit jedem seiner Freunde ein eignes Vertrauen, eine andre Zärtlichkeit fühlen und üben wollen. O das ist ja eben das Himmlische der Freundschaft, sich im geliebten Gegenstande ganz zu verlieren, neben dem Verwandten so viel Fremdartiges, Geheimnißvolles ahnden, mit herzlichem Glauben und edler Zuversicht auch das Nichtverstandne achten, durch diese Liebe Seele zu gewinnen und Seele dem Geliebten zu schenken! Wie roh leben diejenigen, und verletzen ewig sich und den Freund, die so ganz und unbedingt sich verstehn, beurtheilen, abmessen, und dadurch nur scheinbar einander angehören wollen! das heißt Bäume fällen, Hügel abtragen und Bäche ableiten, um allenthalben flache Durchsicht, Mittheilung und Verknüpfung zu gewinnen, und einen schönen romantischen Park verderben. Nicht früh genug kann der Jüngling, der so glücklich ist, einen Freund zu gewinnen, sich von dieser selbstischen Forderung unsrer roheren Natur, von diesem Mißverständniß der jugendlichen Liebe entwöhnen. Was du da berührst, sagte Anton, berührt zugleich die Wahrheit, daß es nicht nur erlaubt, sondern fast nothwendig sei, daß Freunde vor einander Geheimnisse haben, ja es erklärt gewissermaßen die seltsame Erscheinung, daß man dem einen Freunde wohl etwas anvertrauen mag, was man gern dem verschweigt, mit dem man vielleicht in noch vertrautern Verhältnissen lebt. Es ist eine Kunst in der Freundschaft wie in allen Dingen, und vielleicht daher, daß man sie nicht als Kunst erkennt und treibt, entspringt der Mangel an Freundschaft, über welchen alle Welt jezt klagt. Hier kommen wir ja recht, rief Theodor lebhaft aus, in das Gebiet, in welchem unser Friedrich so gerne wandelt! Ihn muß man über diese Gegenstände reden hören, denn er verlangt und sieht allenthalben Geheimniß, das er nicht gestört wissen will, denn es ist ihm das Element der Freundschaft und Liebe. Verarge doch dem Freunde nicht, sprach er einmal, wenn du ahndest, daß er dir etwas verbirgt, denn dies ist ja nur der Beweis einer zärteren Liebe, einer Scheu, die sich ängstlich um dich bewirbt, und sittsam an dich schmiegt; o ihr Liebenden, vergeßt doch niemals, wie viel ihr wagt, wenn ihr ein Gefühl dem Worte anvertrauen wollt! was läßt sich denn überall in Worten sagen? Ist doch für vieles schon der Blick zu ungeistig und körperlich! -- O Brüder, Engelherzen, wie viel thörichtes Zeug wollen wir mit einander schwatzen! Thöricht? sagte Anton etwas empfindlich; ja freilich, wie alles thöricht ist, was das Materielle zu verlassen strebt, und wie die Liebe selbst in dieser Hinsicht Krankheit zu nennen ist, wie Novalis so schön sagt. Hast du noch nie ein Wort bereut, das du selbst in der vertrautesten Stunde dem vertrautesten Freunde sagtest? Nicht, weil du ihn für einen Verräther halten konntest, sondern weil ein Gemüthsgeheimniß nur in einem Elemente schwebte, das so leicht seine rohe Natur dagegen wenden kann: ja du trauerst wohl selbst über manches, das der Freund in dein Herz nieder legen will, und das Wort klingt späterhin mißmüthig und disharmonisch in deiner innersten Seele wieder. Oder verstehst du dies so gar nicht und hast es nie erlebt? Nicht böse, du lieber Kranker, sagte Theodor, indem er ihn umarmte; du kennst ja meine Art. Schatz, warst du denn nicht eben einverstanden darüber, daß es unter Freunden Mißverständnisse geben müsse? diese meine Dummheit ist auch ein Geheimniß, glaubt es nur, das ihr auf eine etwas zartere Art solltet zu ahnden oder zu entwirren streben. Alle lachten, worauf Anton sagte: das Lachen wird mir noch beschwerlich und greift mich an, ich werde müde und matt in unsre Herberge ankommen. -- Er schöpfte hierauf wieder aus einem vorüberrollenden Bache etwas Wasser, um sich zu erquicken, und wies den Wein ab, den ihm Ernst anbot, indem er sagte: ihr könnt es nicht wissen, wie erquickend, wie paradiesisch dem Genesenden die kühle Woge ist; schon indem sie mein Auge sieht und mein Ohr murmeln hört, bin ich entzückt, ja Gedanken von frischen Wäldern und Wassern, von kühlenden Schatten säuseln immerfort anmuthig durch mein ermattendes Gemüth und fächeln sehnsuchtvoll die Hitze, die immer noch dort brennt. Viel zu körperlich und schwer ist dieser süße, sonst so labende Wein, zu heiß und dürr, und würde mir alle Träume meines Innern in ihrem lieblichen Schlummer stören. Jeder nach seinem Geschmack, sagte Theodor, indem er einen herzhaften Trunk aus der Flasche that; es lebe die Verschiedenheit der Gesinnungen! Womit aber hast du dich in deiner Krankheit beschäftigen können? Der Arzt verlangte, sagte Anton, ich sollte mich durchaus auf keine Weise beschäftigen, wie denn die Aerzte überhaupt Wunder von den Kranken fodern; ich weiß nicht, welche Vorstellungen der meinige von den Büchern haben mußte, denn er war hauptsächlich gegen das Lesen eingenommen, er hielt es in meinem Zustande für eine Art von Gift, und doch bin ich überzeugt, daß ich dem Lesen zum Theil meine Genesung zu danken habe. Unmöglich, sagte Ernst, kann im Zustand des Fiebers, des Ueberreizes und der Abspannung diese Anstrengung eine heilsame sein, und ich fürchte, dein Arzt hat nur zu sehr Recht gehabt. Was Recht! rief Anton aus; er hatte einen ganz falschen Begriff von der deutschen Literatur, so wie von meiner Kunst des Lesens, denn ich hütete mich wohl von selbst vor allem Vortrefflichen, Hinreißenden, Pathetischen und Speculativen, was mir in der That hätte übel bekommen können; sondern ich wandte mich in jene anmuthige Gegend, die von den Kunstverständigen meistentheils zu sehr verachtet und vernachlässigt wird, in jenen Wald voll ächt einheimischer und patriotischer Gewächse, die mein Gemüth gelinde dehnten, gelinde mein Herz bewegten, still mein Blut erwärmten, und mitten im Genuß sanfte Ironie und gelinde Langeweile zuließen. Ich versichre euch, einen Tempel der Dankbarkeit möcht' ich ihnen genesend widmen; und wie viele auch vortrefflich sein mögen, so waren es doch hauptsächlich drei Autoren, die ich studirt und ihre Wirkungen beobachtet habe. Ich bin begierig, sagte Ernst. Als ich am schwächsten und gefährlichsten war, fuhr Anton fort, begann ich sehr weislich, gegen des Arztes ausdrückliches Verbot, mit unserm deutschen La Fontaine. Denn ohne alles Lesen ängstigten mich meine Gedanken, die Trauer über meine Krankheit, tausend Plane und Vorstellungen so ab, daß ich in jener anbefohlnen Muße hätte zu Grunde gehen müssen. Kann man nun läugnen, daß dieser Autor nicht manches wahr und gut auffaßt, daß er manche Zustände, wie Charaktere, treffend schildert, und daß die meisten seiner Bücher sich durch eine gewisse Reinlichkeit der Schreibart empfehlen? Ohne alle Ironie sei es gesagt, viele seiner kleinen Erzählungen haben mich wahrhaft ergötzt und befriediget. Seine größeren Werke, denen die meisten dieser guten Eigenschaften abgehn, ersetzen diesen Mangel durch die unerschöpfliche Liebe, die schon in Kinderseelen heroisch arbeitet, durch einige Verführer im großen Styl und ansehnliche Gräuel, oder gar durch Kunsturtheile, die mich vorzüglich inniglich erfreuten, und die er leider seinen Büchern nur zu selten einstreut. Wie war ich hingerissen, als ich in einem seiner Romane an die ausgeführte Meinung gerieth, mit welcher er den Hogarth über Rafael setzt. Ja, meine Freunde, es giebt gewisse Vorstellungen, die unmittelbar uns Elasticität des Körpers und der Seele zuführen, und so schelte mir keiner die großartige Albernheit, denn ich war nach diesem Kapitel unverzüglich besser, und durfte doch noch keine China gebrauchen. So, sagte Theodor, wurde der ganz gesunde Spartaner durch Tyrtäus Hymnenklang zum Kriegestanze beflügelt. Was folgte nun auf diese Periode? Diese süßen Träume der Kindheit und Sehnsucht, fuhr Anton fort, lagen schon hinter mir, meine mündig werdende Phantasie forderte gehaltvolleres Wesen. Trefflich kamen meinem Bedürfniß alle die wundervollen, bizarren und tollen Romane unsers Spieß entgegen, von denen ich selbst die wieder las, die ich schon in früheren Zeiten kannte. Die Tage vergingen mir unglaublich schnell, und am Abend hatte ich freundliche Besuche, in deren Gesprächen die Töne jener gräßlichen, gespenstigen Begebenheiten wieder verhallten. So ward mein Leben zum Traum, und die angenehme Wiederkehr derselben Gegenstände und Gedanken fiel mir nicht beschwerlich, auch war ich nun schon so stark, daß ich einer guten Schreibart entbehren konnte, und die herzliche Abgeschmacktheit der Luftregenten, Petermännchen, Kettenträger, Löwenritter, gab mir durch die vielfache und mannichfaltige Erfindung einen stärkern Ton; meine Ironie konnte sich nun schon mit der Composition beschäftigen, und der Arzt fand die stärkenden Mittel so wie eine Nachlassung der zu strengen Diät erlaubt und nicht mehr gefährlich. Wieder eine Lebens-Periode beendigt, sagte Theodor. Nun war aber guter Rath theuer, sprach Anton weiter. Ich hatte die Schwärmereien des Jünglings überstanden, Geschichte und wirkliche Welt lockten mich an, zusammt der nicht zu verachtenden Lebens-Philosophie. Mein Fieber hatte zwar nachgelassen, konnte aber immer wieder gefährlich werden, ich litt unaussprechlichen Durst, und durfte nicht trinken, was mein Schmachten begehrte; immer nur wenig und nichts Kühles, und ich träumte nur von kalten Orangen, von Citronen, ja Essig, machte Salat in meiner Phantasie zu ungeheuern Portionen und verzehrte sie, trank aus Flaschen im Felsenkeller selbst den kühlsten Nierensteiner, und badete mich dann in Morgenluft in den Wogen des grün rauschenden Rheins. In dieser schwelgenden Stimmung begegnete mir nun der vortreffliche Cramer mit seinen Ritter- und andern Romanen, und wie soll ich wohl einem kalten, gesunden, vernünftigen Menschen, der trinken darf, wann und wie viel er will, die Wonne schildern, die mich auf meinem einsamen Lager diese vortreflichsten Werke genießen ließen? Ich kann nun sagen: werdet krank, lieben Freunde und leset, und ihr unterschreibt alles, was neben euch gehender Rezensent so eben behauptet. Mäßige dich nur, sagte Theodor, sonst bist du gezwungen, wieder Wasser zu schöpfen, um dir den Kopf naß zu machen, und auf diesem anmuthigen Hügel haben wir keine Quelle in der Nähe. Ja, rief Anton aus, Dank diesem biedersten Deutschen für seine Kämpen, für seinen Haspar a Spada und den Raugrafen zu Dassel! Wie saß ich mit ihnen allen zu Tische und sah und half die Kannen Rüdesheimer und Nierensteiner leeren; wir verachteten es, in Becher einzuschenken; nein, aus dem vollen Humpen selbst tranken wir Großherzigen das kühle, herrliche, duftende Naß, und ich lachte in dieser Gesellschaft meinen Arzt rechtschaffen aus: entzückt war ich mit dir, und begleitete dich bewundernd, du edelster Bomsen, ich zechte Zug für Zug mit dir, du Großer, der schon des Morgens um vier Uhr betrunken zu Rosse steigt, um Thaten eines deutschen Mannes adlich zu verrichten. Wie deine Gesinnungen, du großer Dichter, so ist auch dein Stil gediegen und deutsch, und alle die Prügel und Püffe, die den Feinden oder schlechten Menschen zugetheilt werden, oder gar den boshaften Pfaffen, waren mir eben so viele Herzstärkungen und Brownische Kurmittel, und darum trug ich auch kein Bedenken, deine vorzüglichsten Werke nach der Beendigung wieder von vorn zu beginnen, denn hier war ja Erfindung, Charakter, Essen, Trinken, Lebens-Philosophie, Wirklichkeit und Geschichte alles meiner drängenden Sehnsucht dargebracht, und alles gleich vortrefflich. Mein schmachtender Durst trieb sich nun nicht mehr in gigantischen Bildern zwecklos um, sondern fand seine Bahn vorgezeichnet und große Beispiele, denen er sich anschloß; nun träumte ich nicht mehr als Polyphem unter den steinernen Treppen eines Weinberges zu liegen, und daß sich vom Himmel herunter eine ungeheure Kelterpresse drücke, die mit Einem Wurf den ganzen Weinberg ausquetsche, so daß in Caskaden der Wein die Marmorstufen herunter rausche und wie in ein großes Bassin sich unten in meinen durstenden Schlund ergösse. Von diesen Riesenbildern war ich geheilt, und schon durft' ich mit Vorsicht kühlende Getränke genießen, schon widerstanden mir Fleischspeisen nicht mehr, und mein Arzt schrieb sich die Namen der vornehmsten Cramerschen Romane auf, um sie ähnlichen Kranken zu empfehlen; ich wandelte schon im Zimmer, sah bei der ersten Frühlingswärme aus dem Fenster, durfte wieder phantasiren, und nach einigen Wochen konnt' ich schon die Hoffnung fassen, bald dies Gebirge zu betreten, in welchem ich euch, ihr Lieben, zur Vollendung meiner Genesung, gefunden. -- Aber eilt, man läutet schon die Abendglocke, wir sind vor dem Städtchen, dort treffen wir die Freunde und vernehmen vielleicht wunderliche Dinge von ihnen. * * * * * Im Baumgarten des Gasthofes saßen am andern Morgen die fünf Vereinigten um einen runden Tisch, ihre Stimmung war heiter wie der schöne Morgen, nur Friedrich schien ernst und in sich gekehrt, so sehr auch Lothar jede Gelegenheit ergriff, ihn durch Scherz und Frohsinn zu ermuntern. Warlich! rief Theodor aus, es giebt kein größeres Glück, als Freunde zu besitzen, sie nach Jahren in schöner Gegend in anmuthiger Frühlingszeit wieder zu finden, mit ihnen zu schwatzen, alle ihre Eigenheiten wieder zu erkennen, sich der Vergangenheit zu erinnern und mit dem Zutrauen allen in die Augen zu blicken, wie ich es Gottlob! hier thun kann. Nur der Friedrich ist nicht, wie sonst. Hast du Gram, mein Lieber? Laß mich, guter heitrer Freund, sagte Friedrich, es soll nicht lange währen, so wirst du und ihr alle mehr von mir erfahren. Weißt du doch nicht, ob ich nicht vielleicht am Glücke krank liege. Wenn das ist, sagte Theodor, so möge Gott nur den Arzt noch recht lange von dir entfernt halten. O wärst du doch lieber gar inkurabel! Aber leider ist die Heilung dieser Krankheit nur gar zu gewiß; o die Zeit, die böse, liebe, gute, alte, vergeßliche und doch mit dem unverwüstlichen Gedächtniß, das wiederkäuende große ernste Thier, die alles erzeugt und alles verwandelt, sie wird freilich machen, daß wir einer den andern und uns selbst nach wenigen Jahren mit ganz veränderten Augen ansehn. Dadurch könntest du ihn noch trauriger machen, fiel Lothar ein: freilich will uns alles überreden, daß das Leben kein romantisches Lustspiel sei, wie etwa Was ihr wollt, oder Wie es euch gefällt, sondern daß es aus diesen Regionen entrinnt, wir möchten es auch noch so gerne so wollen und wenn es uns auch über die Maßen gefiele; der Himmel verhütet auch, daß es selten in ein großes Trauerspiel ausartet, sondern es verläuft sich freilich meist, wie viele unerquickliche Werke mit einzelnen schönen Stellen, oder gar wie der herrliche Rhein in Sand und Sumpf. O nein, sagte Friedrich, glaubt es mir, meine Freunde, das Leben ist höheren Ursprungs, und es steht in unserer Gewalt, es seiner edlen Geburt würdig zu erziehn und zu erhalten, daß Staub und Vernichtung in keinem Augenblicke darüber triumphiren dürfen: ja, es giebt eine ewige Jugend, eine Sehnsucht, die ewig währt, weil sie ewig nicht erfüllt wird; weder getäuscht noch hintergangen, sondern nur nicht erfüllt, damit sie nicht sterbe, denn sie sehnt sich im innersten Herzen nach sich selbst, sie spiegelt in unendlich wechselnden Gestalten das Bild der nimmer vergänglichen Liebe, das Nahe im Fernen, die himmlische Ferne im Allernächsten. Ist es denn möglich, daß der Mensch, der nur einmal aus dieser Quelle des heiligen Wahnsinnes trinken durfte, je wieder zur Nüchternheit, zum todten Zweifel erwacht? Bei alledem, sagte Theodor, wäre ein Jungbrunnen, von dem die Alten gedichtet haben, nicht zu verschmähn; wär' es auch nur der grauen Haare wegen. Wie könntet ihr, fuhr Friedrich fort, doch die Schönheit nur empfinden, oder gar lieben, wenn sie unverwüstlich wäre? Die süße Elegie in der Entzückung, die Wehklage um den Adonis und Balder ist ja der schmachtende Seufzer, die wollüstige Thräne in der ganzen Natur! dem Flüchtigen nacheilen, es festhalten wollen, das uns selbst in festgeschlossenen Armen entrinnt, dies macht die Liebe, den geheimnißvollen Zauber, die Krankheit der Sehnsucht, das vergötternde Schmachten möglich. Und, fuhr Ernst fort, wie milde redet uns die Ewigkeit an mit ihrem majestätischen Antliz, wenn wir auch das nur als Schatten und Traum besitzen, oder uns ihm nähern können, was das Göttlichste dieser Erde ist? das muß ja unser Herz zum Unendlichen ermuntern und stärken, zur Tugend, zum Himmel, zu jener Schöne uns führen, die nie verblüht, deren Entzückung ewige Gegenwart ist. Müßten wir nur nicht vorher aus dem Lethe trinken, sagte Anton, und zur Freude sprechen: Was willst du? und zum Lachen: du bist toll! Theodor sprang vom Tische auf, umarmte jeden und schenkte von dem guten Rheinwein in die Römer: ei! rief er aus, daß wir wieder so beisammen sind! daß wir wieder einmal unsre zusammen gewickelten Gemüther durchklopfen und ausstäuben können, damit sich keine Motten und andres Gespinst in die Falten nisten! Wie wohl thut das dem deutschen Herzen beim Glase deutschen Weins! Ja, unsre Herzen sind noch frisch, wie ehedem, und daß sich auch keiner von uns das Tabackrauchen angewöhnt hat, thut mir in der Seele wohl. Immer der Alte! sagte Lothar, du pflegst immer die Gespräche da zu stören, wo sie erst recht zu Gesprächen werden wollen; ich war begierig, wohin diese seltsamen Vorstellungen wohl führen, und wie diese Gedankenreihe oder dieser Empfindungsgang endigen möchte. Wie? sagte Theodor, das kann ich dir aufs Haar sagen: sieh, Bruderseele, stehn wir erst an der Ewigkeit und solchen Gedanken oder Worten, die sich gleichsam ins Unendliche dehnen, so kömmt es mir vor wie ein Ablösen der Schildwachen, daß nun bald eine neue Figur auf derselben Stelle auf und ab spazieren soll. Ich wette, nach zweien Sekunden hätten sie sich angesehn, kein Wort weiter zu sagen gewußt, das Glas genommen, getrunken und sich den Mund abgewischt. »Weiter bringt es kein Mensch, stell' er sich auch wie er will.« -- O das ist das Erquickliche für unser einen, daß das Größte wieder so an das Kleinste gränzen muß, daß wir denn doch Alle Menschen, oder gar arme Sünder sind, jeder, nachdem sein Genius ihn lenkt. Du scheust nur, sagte Anton, die liebliche Stille, das Säuseln des Geistes, welches in der Mitte der innigsten und höchsten Gedanken wohnt und dessen heilige Stummheit dem unverständlich ist, der noch nie an den Ohren ist beschnitten worden. Ohren, antwortete Theodor, klingt im Deutschen immer gemein, Gehörwerkzeuge affektirt, Hörvermögen philosophisch, und die Hörer oder die Hörenden ist nicht gebräuchlich, kurzum, man kann sie selten nennen, ohne anstößig zu sein. Der Spanier vermeidet auch gern, so schlecht hin Ohren zu sagen. Am besten braucht man wohl Gehör, wo es paßt, oder das Ohr einzeln, wodurch sie beide gleich edler werden. Dein Tabackrauchen hat aber das vorige Gespräch erstickt, sagte Lothar; freilich ist es die unkünstlerischste aller Beschäftigungen und der Genuß, der sich am wenigsten poetisch erheben läßt. Mir ist es über die Gebühr zuwider, sagte Theodor, und darum betrachtete ich euch schon alle gestern Abend darauf, denn es giebt einen eignen Pfeifenzug im Winkel des Mundes und unter dem Auge, der sich an einem starken Raucher unmöglich verkennen läßt; deshalb war ich schon gestern über eure Physiognomien beruhigt. Mir scheint die neuste schlimmste Zeit erst mit der Verbreitung dieses Krautes entstanden zu sein, und ich kann selbst auf den gepriesenen Compaß böse sein, der uns nach Amerika führte, um dies Unkraut mit manchen andern Leiden zu uns herüber zu holen. Wie einige Züge im Gesicht durch die Pfeife entstehn, sagte Lothar, so werden die feinsten des Witzes und gutmüthigen Spottes, so wie die Grazie der Lippen durchaus durch die oft angelegte Pfeife vernichtet. Ich ließe noch die kalte Pfeife gelten, sagte Ernst, so hielt sich einer meiner Freunde eine von Thon, um sie in der gemüthlichsten Stimmung zuweilen in den Mund zu nehmen, und dann recht nach seiner Laune zu sprechen; aber der böse, beizende, übel riechende Rauch macht das Ding fatal. Ich lernte einmal einen Mann kennen, der mir sehr interessant war, und der sich auch in meiner Gesellschaft zu gefallen schien; wir sprachen viel mit einander, endlich, um uns recht genießen zu können, zog er mich in sein Zimmer, ließ sich aber beigehn, zu größerer Vertraulichkeit seine Pfeife anzuzünden, und von diesem Augenblick konnte ich weder recht hören und begreifen, was er vortrug, noch weniger aber war ich im Stande, eine eigne Meinung zu haben, oder nur etwas anders als Flüche auf den Rauch in meinem Herzen zu denken, -- »nicht laute, aber tiefe« -- wie Macbeth sagt. Lothar lachte: mit einem trostlosen Liebhaber, fuhr er fort, ist es mir einmal noch schlimmer ergangen, er hatte mich hingerissen und gerührt; bei einer kleinen Ruhestelle der Klage suchte er seine Pfeife, Schwamm und Stein, schlug mit Virtuosität schnell Feuer, und versicherte mich nachher in abgebrochenen rauchenden Pausen seiner Verzweiflung. Ich mußte lachen, und nur zum Glück daß mich der Rauch in ein starkes Husten brachte, sonst hätt' ich dem guten Menschen als ein unnatürlicher Barbar erscheinen müssen. Es läßt sich wohl, sagte Theodor, alles mit Grazie thun, ich kenne wenigstens einen großen Philosophen, dem in seiner Liebenswürdigkeit auch dies edel steht. Mit dem Caffee wird nach der Mahlzeit eine lange Pfeife gebracht, die der Bediente anzündet, es geschehn ruhig und ohne alle Leidenschaft einige Züge, und eh man noch die Unbequemlichkeit bemerkt, ist die Sache schon wieder beschlossen. Aber schrecklich sind freilich die kurzen, am Munde schwebenden Instrumente, die jede Bewegung mit machen müssen und sich jeder Thätigkeit fügen, die den ganzen Tag die Lippen pressen und selbst die Sprache verändern. Mir ist es nicht unwahrscheinlich, sagte Anton, daß diese Gewohnheit, die so überhand genommen, die Menschen passiver, träger und unwitziger gemacht hat. Wir sollen keinen Genuß haben, der uns unaufhörlich begleitet, der etwas Stetiges wird, er ist nur erlaubt und edel durch das Vorübergehende. Darum verachten wir den Säufer, ob wir alle gleich gern Wein trinken, und der Näscher ist lächerlich, der seine Zunge durch ununterbrochenes Kosten ermüdet; vom Raucher denkt man billiger, weil es eben Gewohnheit geworden ist, die man nicht mehr beurtheilt, doch begreif' ich es wenigstens nicht, wie selbst Frauen jezt an vielen Orten dagegen tolerant werden. Könnt ihr euch, sagte Lothar, einen rauchenden Apostel denken? Eben so wenig, sagte Ernst, als den adlichen Tristan mit der Pfeife, oder den hochstrebenden Don Quixote. Dem Sancho aber, sagte Lothar, fehlt sie beinah; hätten manche umarbeitende Uebersetzer mehr Genie gehabt, so hätten sie diese lieber hinzu fügen, als so manche Schönheit weglassen dürfen. Vielleicht ist dieses Bedürfniß, fiel Friedrich ein, ein Surrogat für so manches verlorne Bedürfniß des öffentlichen Lebens, der Galanterie der Gesellschaft, der Freiheit und der Feste. Vielleicht soll sich zu Zeiten der Mensch mehr betäuben, und dann ist es wohl möglich, daß er jenen alten verrufenen blauen Dunst für ein wirkliches Gut hält. Nicht bloß Taback, auch philosophische Phrasen, Systeme, und manches andre wird heut zu Tage geraucht, und beschwert den Nichtrauchenden ebenfalls mit unleidlichem Geruch. Nicht so melankolisch, sagte Theodor, laßt uns diese tiefsinnige Betrachtung wenden, denn am Ende kömmt doch in keiner Tugend der ganze Mensch so rein zum Vorschein, als in den Thorheiten. Die Berge rauchen oft und die Thäler sind voll Nebel, viele Gegenden verlieren ihn oft in Monaten nicht, die See dampft, und so laßt denn unserm guten Zeitalter auch seinen Dampf. Nur wir wollen unsrer Sitte treu bleiben. Besorgt bin ich aber für Manfred, daß er sich diesen Zustand als Appendix der Ehe möchte angewöhnt haben, um seine weisen Lehrsprüche aus dampfendem Munde, wie Orakel aus rauchenden Höhlen, verehrlicher zu machen, und ich gestehe überhaupt, daß ich mich ihm nur mit einer gewissen heimlichen Furcht wieder nähern kann. Du bist ohne Noth besorgt, sagte Lothar. Seit lange kenne ich unsern Freund in seinem häuslichen Zustande, und ich habe nicht bemerken können, daß er seinen jugendlichen Frohsinn und seine muthwillige Laune gegen jene altkluge Hausväterlichkeit vertauscht habe, im Gegentheil, kann er oft so ausgelassen sein, daß die Schwiegermutter im Hause so wenig lästig oder überflüssig ist, daß sie vielmehr zuweilen als kühlende und besonnene Vernunft zum allgemeinen Besten hervortreten muß. Wenn alles übrige, sagte Theodor, auf denselben Fuß eingerichtet ist, so ist seine Haushaltung die vollkommenste in der Welt. Noch mehr, fuhr Lothar fort, diese Frau ist noch anmuthig und reizend, und man glaubt es kaum, daß sie zwei erwachsene Töchter haben könne. Sie hat selbst einige annehmlich scheinende Parthien ausgeschlagen, und Männer haben sich um sie beworben, die an Jahren weit jünger sind. Wenn die Mutter schon so gefährlich ist, sagte Theodor, so muß der Umgang mit den Töchtern gar herz- und halsbrechend sein. Die Gattin unsers Manfred, erzählte Lothar weiter, ist sehr still und sanft, von zartem Gemüth und rührend schöner Gestalt, er hat noch das Betragen des Liebhabers, und sie das blöde geschämige Wesen einer Jungfrau; ihre jüngere Schwester Clara ist der Muthwille und die Heiterkeit selbst, launig, witzig, und fast immer lachend, im beständigen kleinen Kriege mit Manfred; man sollte glauben, wenn man sie beisammen sieht, er hätte diese lieben müssen, und die ältere, ihm so ungleiche Schwester, hätte ihn nicht rühren können. Allein die Liebe fordert vielleicht eine gewisse Verschiedenheit des Wesens und des Charakters. Ich komme darauf zurück, sagte Ernst, daß wir immer noch nicht wissen können, wie viel in Manfred angewöhnte Manier ist, und wie viel Natur; ich habe oft bemerkt, daß er ernst, ja traurig war, wenn die Umgebung ihn für ausschweifend lustig hielt. Er hat es von je gescheut, seine innersten Gefühle kund zu thun, und so wirft er sich oft gewaltthätig in eine Laune, die ihn quälen kann, indem sie andre ergötzt. Wie wird es aber, fragte Theodor weiter, mit den Kindern gehalten? Wahrscheinlich hat sich doch auch zu ihm die neumodische und weichliche Erziehung erstreckt, jene allerliebste Confusion, die jeden Gegenwärtigen im ununterbrochenen Schwindel erhält, indem die Kinderstube allenthalben, im Gesellschaftszimmer, im Garten und in jedem Winkel des Hauses ist, und kein Gespräch und keine Ruhe zuläßt, sondern nur ewiges Geschrei und Erziehen sich hervor thut, eine unsterbliche Zerstreutheit im scheinbaren Achtgeben; jenes Chaos der meisten Haushaltungen, das mir so erschrecklich dünkt, daß ich die neuen Pädagogen, die es veranlaßt haben, und jene Entdecker der Mütterlichkeit gern als Verdammte in einen eignen Kreis der Danteschen Hölle hinein gedichtet hätte, der nur eine solche neuerfundene allgegenwärtige Kinderstube mit all ihrem Wirwarr und Schariwari moderner Elternliebe darzustellen brauchte, um sie als einen nicht unwürdigen Beitrag jener furchtbaren Zirkel anzuschließen. Auch von dieser neuen, fast allgemein verbreiteten Krankheit, erzählte Lothar, findest du in seinem Hause nichts: seine junge Gattin ist eine wahre Mutter, fast so, wie es unsre Mütter noch waren; sie liebt ihre beiden Kinder über alles, und hat eben darum eine Art von Schaam, in Gesellschaft die Mutter zu spielen, und die Kinder wie Dekorationen an sich zu hängen; die Wartung und alle Erziehung der Kleinen wird von ihr still im Heiligthum eines entlegenen Zimmers besorgt, und weil sie ordentlich ist, und weiß, was sie befiehlt, so darf sie die Kinder zu Zeiten dem gehorsamen Gesinde überlassen, und sie kann ruhig und heiter an der Gesellschaft Theil nehmen, weil sie die Stunde beobachtet; kurz, man nimmt an den allerliebsten Creaturen nur so viel Theil, als man selbst will, und ich, der ich die Kinder kindlich liebe, bin immer gezwungen, sie aufzusuchen. Vortrefflich! sagte Ernst, dies beweist am meisten für die Schwiegermutter, die die Töchter sehr gut und zur Ordnung muß erzogen haben. In deiner Beschreibung finde ich gerade die ehrwürdigsten Mütter wieder, die ich je gekannt habe. Alles Gute und Rechte soll nur so geschehn, daß es ein unachtsames Auge gar nicht gewahr wird. Unser Vaterland aber ist das Land der geräuschvollsten Erziehung, und die Nation wird bald nur aus Erziehern bestehen; für Mütter und Kinder sind Bibliotheken, und hundert Journale und Almanache geschrieben, alle ihre Tugenden und Pflichten hat man tausendfältig in Kupfer gestochen und zur größern Aufmunterung illuminirt, und aus dem Natürlichsten und Einfachsten, was kaum viele Worte zuläßt, haben wir mit Kunst einen Götzen der vollständigsten Thorheit geschnitzt, und es im ausgeführten System so weit gebracht, daß wir durch Beobachtung, Philosophie und Natur uns von allem Menschlichen und Natürlichen auf unendliche Weite entfernt haben. Nicht genug, daß man die Kinder fast von der Geburt mit Eitelkeit verdirbt, man ruinirt auch die wenigen Schulen, die etwa noch im alten Sinn eingerichtet waren; man zwingt die Kinder im siebenten Jahr, zu lernen, wie sie Scheintodte zum Leben erwecken sollen, man verschreibt Erzieher aus den Gegenden, in welchen diese Produkte am besten gerathen; ja die Staaten selbst verbieten das Buchstabiren, und machen es zur Gewissenssache, das Lesen anders als auf die neue Weise zu erlernen, und fast alle Menschen, selbst die bessern Köpfe nicht ausgenommen, drehen sich im Schwindel nach diesem Orient, um von hier den Messias und das Heil der Welt baldigst ankommen zu sehen; aber gewiß, nach zwanzig Jahren verspotten wir aus einer neuen Thorheit heraus diese jetzige. Dies sind auch nur Schildwachen, die sich ablösen, und so viel neue Figuren auch kommen, so bleiben sie doch immer auf derselben Stelle wandelnd. Jeder Mensch hat etwas, das seinen Zorn erregt, und ich gestehe, ich bin meist so schwach, daß die Pädagogik den meinigen in Bewegung setzt. So scheint es, sagte Lothar; ein geistreicher Mann sagte einmal: wir sind schlecht erzogen, und es ist nichts aus uns geworden, wie wird es erst mit unsern Kindern aussehn, die wir gut erziehn! Mir däucht, sagte Theodor, es wäre nun wohl an der Zeit, auch eine Wochenschrift »der Kinderfeind« zu schreiben, um die Thorheiten lächerlich zu machen, und der ehemaligen Strenge und Einfalt wieder Raum und Aufnahme vorzubereiten. Du fändest keine Leser, sagte Ernst, unter dieser Ueberfülle humaner Eltern und gereister, ausgebildeter Erzieher. Friedrich war schon vor einiger Zeit vom Tisch und Gespräch aufgestanden, und auf seinen Wink hatte sich Anton zu ihm gesellt. Sie gingen unter einen Baumgang, von welchem man weit auf die Landstraße hinaus sehen konnte, die sich über einen nahe liegenden Berg hinweg zog. Mich kümmern alle diese Dinge nicht, sagte Friedrich, treib' es jeder, wie er mag und kann, denn mein Herz ist so ganz und durchaus von einem Gegenstande erfüllt, daß mich weder die Thorheiten noch die ernsthaften Begebenheiten unserer Zeit ernstlich anziehn. Er vertraute seinem Freunde, der seine Verhältnisse schon kannte, daß es ihm endlich gelungen sei, alle Bedenklichkeiten seiner geliebten Adelheid zu überwinden, und daß sie sich entschlossen habe, auf irgend eine Weise das Haus ihres Oheims, des Geheimeraths, zu verlassen; dieser wolle einen alten Lieblingsplan fast gewaltthätig durchsetzen, sie mit seinem jüngeren Bruder, einem reichen Gutsbesitzer, zu vermälen, weil er sich so an die Gesellschaft des schönen liebenswürdigen Kindes gewöhnt habe, daß er sich durchaus nicht von ihr trennen könne, er sei gesonnen, nach der Heirath zu diesem Bruder zu ziehn, um in seinem kinderlosen Wittwerstande gemeinschaftlich mit ihm zu hausen. Es scheint vergeblich, so endete Friedrich, diesem Plan unsre Liebe entgegen zu setzen, wenigstens hält es Adelheid für unmöglich, und zwar so sehr, daß der Oheim noch gar nicht einmal von meinem Verhältnisse zu ihr weiß; so erwarte ich nun bei Manfred morgen oder übermorgen einen Boten, der unser Schicksal auf immer entscheiden wird. Eine drückende Lage wird oft am leichtesten durch eine Gewaltthätigkeit gelöst, und ich hoffe, daß Manfred mir durch seine Klugheit und seinen Muth beistehen wird. Ich würde mich unserm Ernst auch gern vertrauen, wenn er nicht gar zu gern tadelte, wo aller Rath zu spät kömmt. Doch kann Vorsicht nicht schaden, sagte Anton, und hüte dich nur, dich von Manfred, der alles Abentheuerliche übertrieben liebt, in einen Plan verwickeln zu lassen, dessen Verdrießlichkeiten vielleicht dein ganzes Leben verwirren. Denn es ist gar zu anlockend, auf Unkosten eines andern muthig und unternehmend zu sein, der Mensch genießt alsdann das Vergnügen des Wagehalses zugleich mit der Lust der Sicherheit. Mein Freund, sagte Friedrich, ich habe lange geduldet, gefühlt und geprüft, und mich gereut, daß ich nicht schon früher gethan habe, was du übereilt nennen würdest. Sind wir ganz von einem Gefühl durchdrungen, so handeln wir am stärksten und konsequentesten, wenn wir ohne Reflexion diesem folgen. Doch, laß uns jezt davon abbrechen. Ich mißverstehe dich wohl nur, sagte Anton, weil du mir nicht genug vertraut hast. Auch dazu werden sich die Stunden finden, antwortete Friedrich. In der Entfernung hatte ich mir vorgesetzt, dir alles zu sagen, und nun du zugegen bist, stammelt meine Zunge, und jedes Bekenntniß zittert zurück. Ihre Gestalt und Holdseligkeit tönt wie auf einer Harfe ewig in meinem Herzen, und jede säuselnde Luft weckt neue Klänge auf; ich liebe dich und meine Freunde inniger als sonst, aber ohne Worte fühl' ich mich in eurer Brust, und jezt wenigstens schiene mir jedes Wort ein Verrath. Träume nur deinen schönen Traum zu Ende, sagte Anton, berausche dich in deinem Glück, du gehörst jezt nicht der Erde; nachher finden wir uns wieder alle beisammen, denn irgend einmal muß der arme Mensch doch erwachen und nüchtern werden. Nein, mein lieber zagender Freund, rief Friedrich plötzlich begeistert aus, laß dich nicht von dieser anscheinenden Weisheit beschwatzen, denn sie ist die Verzweiflung selbst! Kann die Liebe sterben, dies Gefühl, das bis in die fernsten Tiefen meines Wesens blitzt, und die dunkelsten Kammern und alle Wunderschätze meines Herzens beleuchtet? Nicht die Schönheit meiner Geliebten ist es ja allein, die mich beglückt, nicht ihre Holdseligkeit allein, sondern vorzüglich ihre Liebe; und diese meine Liebe, die ihr entgegen geht, ist mein heiligster, unsterblichster Wille, ja meine Seele selbst, die sich in diesem Gefühl losringt von der verdunkelnden Materie; in dieser Liebe seh' ich und fühl' ich Glauben und Unsterblichkeit, ja den Unnennbaren selbst inmitten meines Wesens und alle Wunder seiner Offenbarung. Die Schönheit kann schwinden, sie geht uns nur voran, wo wir sie wieder treffen, der Glaube bleibt uns. O, mein Bruder, gestorben, wie man sagt, sind längst Isalde und Sygune, ja, du lächelst über mich, denn sie haben wohl nie gelebt, aber das Menschengeschlecht lebt fort, und jeder Frühling und jede Liebe zündet von neuem das himmlische Feuer, und darum werden die heiligsten Thränen in allen Zeiten dem Schönsten nachgesandt, das sich nur scheinbar uns entzogen hat, und aus Kinderaugen, von Jungfraunlippen, aus Blumen und Quellen uns immer wieder mit geheimnißvollem Erinnern anblitzt und anlächelt, und darum sind auch jene Dichtergebilde belebt und unsterblich. An dieser heiligen Stätte habe ich mich selbst gefunden, und ich müßte mir selbst verloren gehn, ich müßte vernichtet werden können, wenn diese Entzückung in irgend einer Zeit ersterben könnte. Seinem Freunde traten die Thränen in die Augen, weil ihn die Krankheit weicher gemacht hatte, und er ohnedies schon reizbar war; er umarmte den Begeisterten schweigend, als beide die Landstraße einen offenen Wagen mit vier geschmückten hüpfenden Pferden herunter kommen sahn, von einem mit Bändern und Federbüschen aufgeputzten Kutscher geführt: in wunderlicher bunter Tracht folgte ein Reiter dem Wagen, und die Sprechenden nebst den andern drei Freunden gingen vor das Thor des Gasthofes hinaus, um das sonderbare Schauspiel näher in Augenschein zu nehmen. Ists möglich? rief plötzlich Theodor aus, er selbst, Manfred ist es! und eilte den brausenden Pferden entgegen. Diese standen, auf den Ruf ihres Führers, er sprang vom Sitz, indem er die Leinen vorsichtig in der Hand behielt, und umarmte Theodor und die übrigen Freunde nach der Reihe. Er war freudig überrascht, auch Ernst zu finden, den er so wenig wie Theodor hatte erwarten können. Ich komme, euch abzuholen; so steigt nur gleich ein! rief er in zerstreuter Freude aus. Der Reiter war indeß abgestiegen und Anton erkannte ihn zuerst: Wie? der verständige Wilibald läßt sich auch zu solchen bunten Mummereien gebrauchen? rief er verwundert aus. Muß man nicht, erwiederte dieser, mit den Thörigten thörigt sein? Wir wollten euch recht glänzend abholen, und euch zu Ehren seh ich fast so wie der Lustigmacher bei herumziehenden Comödianten aus. Alle betrachteten und umarmten ihn, lachten, und stiegen dann ein, um in einer Waldschenke einige Stunden vom Städtchen anzuhalten, und dann noch bei guter Zeit die letzten Meilen bis zu Manfreds Wohnung zurück zu legen. Manfred begab sich ernsthaft auf seinen Sitz, Wilibald auf sein Pferd, und so rollten sie im Gallopp auf der Felsenstraße davon, indem ihnen aus jedem Fenster der Stadt ein verwundertes oder lachendes Angesicht nachblickte. * * * * * Ist es nicht ein reizender Aufenthalt? fragte Wilibald, indem er mit Theodor in den Gängen des anmuthigen Gartens auf und nieder schritt. Manfred ist sehr glücklich, antwortete Theodor; aber wo ist unsre Gesellschaft? Ernst und Lothar sind ausgeritten, erwiederte jener, um einen alten Thurm und Mauerwerk in der Nähe zu betrachten, Friedrich und Manfred haben sich eingeschlossen, und rathschlagen, so scheint es, über Herzensangelegenheit, und Anton, dünkt mich, wandelte vor kurzem noch in empfindsamen Gesprächen mit Rosalien, der jungen Frau, und Manfreds Schwester, Augusten. Ich fürchte, das Ende vom Liede ist, daß wir uns hier alle verlieben. Und warum nicht? sagte Theodor. Ich sehe wenigstens kein Unglück darin. Im Gegentheil finde ich es natürlich und schicklich, daß in jeder gemischten Gesellschaft, in welcher sich junge Männer und anmuthige Frauen und reizende Mädchen befinden, kleine Romane gespielt werden, dies eben erweckt den Witz und belebt und schafft den feinern Geist der Unterhaltung; auch kleine Eifersucht kann nicht schaden und artige Verläumdung, samt allen Künsten eines edlen Spiels und jener Laune, die den Weibern angeboren scheint und wodurch sie die Männer so unwiderstehlich fesseln. Dadurch können verlebte Tage von solchem poetischen Glanz bestrahlt werden, daß wir das ganze Leben hindurch mit Freuden an sie denken, da sie uns außerdem ziemlich trivial und langweilig verflossen wären. Es kann aber mit Anton bei seiner Reizbarkeit Ernst werden, wandte Wilibald schüchtern ein; nicht jeder hat die Geschicklichkeit, behutsam genug mit der Flamme zu spielen. Dafür laß du ihn sorgen, sagte Theodor; oder sollte etwa schon die Eifersucht aus dir sprechen, mein Theurer? O ja, warlich, deine grämliche Miene und dein suchender umschauender Blick sagen mir nichts geringeres. Nun, wer ist denn deine Schöne? Clara? oder die junge anmuthige Gattin? oder Manfreds Schwester, Auguste? oder die liebenswürdige Schwiegermutter, die ihr alle lieber Emilie nennt, und die auch freundlich diesem Taufnamen entgegen horcht? oder liebst du sie gar alle? Du bleibst ein Thor, fuhr Wilibald halb lachend auf, und ihr alle seid so seltsame liebe und unausstehliche Menschen, daß man eben so wenig ohne euch, als mit euch leben kann. In der Ferne sehn' ich mich nach euch allen und bin ungemuth, und in der Nähe ärgre ich mich über alle eure mannichfaltigen Thorheiten. Nun, fragte Theodor, was hast du denn Großes an uns auszusetzen? Du solltest mich nicht zu solchen Klageliedern auffordern, antwortete Wilibald: daß ihr alle immer nur so sehr vernünftig und geistreich seid, wo es nicht hin gehört, und niemals da, wo ihr Vernunft zeigen müßtet! da ist der Manfred, der sich für einen Heros der Männlichkeit hält, welcher meint, sich und seine Empfindungen so ganz in der Gewalt zu haben, und sich heraus nimmt, jeden zu verachten, den irgend ein Kummer quält, und der doch selbst ohne alle Veranlassung so unerträglich melankolisch sein kann, daß er über die ganze Welt die Schultern zuckt, weil sie eben schwach genug ist, nur zu existiren; so sitzt er in dieser Stimmung Tagelang im Winkel und findet jeden Scherz geistlos und jedes Gespräch albern, sein Blick und kümmerliches Gesicht schlagen aber auch jede Freude und Heiterkeit aus seiner Gesellschaft zurück; er ist zu träge, spazieren zu gehn, oder irgend etwas zu treiben: aber nun fällt ihn die Laune an, nun soll jedermann lustig sein, nun findet er es unbegreiflich, wenn irgend jemand nicht an seinen schwärmenden Phantasien Theil nimmt, nun ist jeder ein Philister, der nicht zum Zeitvertreib halb mit dem Kopf gegen die Felsen rennt, nun muß man mit ihm durch Garten und Gebirge laufen, fallen und klettern; oder er zwingt alles Musik zu machen und zu singen; oder, was das Schlimmste ist, er liest vor, und verlangt, jedermann soll an irgend einer Schnurre, oder einem alten vergessenen Buche denselben krampfhaften Antheil nehmen, zu welchem er sich spornt. So geschah es gestern, als er plötzlich den Philander von Sittewald herbei holte, ewig lange las, und sich verwunderte, daß wir nicht alle mit demselben Heißhunger darüber herfielen, wie er, der das Buch in Jahren vielleicht nicht angesehen hat; und so bringt er wohl morgen den Fischart, oder Hans Sachs. Wobei er sich auch nicht einreden läßt, sondern auf seine Lebenszeit hat er sich verwöhnt, daß alle Menschen ihm nur eben als Werkzeuge dienen, an welchen sich seine schnell wandelnde Laune offenbart. Nur ein solcher Engel von Frau kann mit ihm fertig werden, und mit ihm glücklich sein. Fahre fort, sagte Theodor; und Friedrich, der sich mit ihm eingeschlossen hat. O, ihr! -- sagte Wilibald, wärt ihr nur nicht sonst so gute Menschen, so sollte euch ein Verständiger wohl so abschildern können, daß ihr vielleicht in euch ginget, und ordentlicher und besser würdet. Dieser Friedrich, der immer in irgend einen Himmel verzückt ist, und den Tag für verloren hält, an welchem er nicht eine seiner verwirrten Begeisterungen erlebt hat, wie könnte er sein Talent und seine Kenntnisse brauchen, um etwas Edles hervor zu bringen, wenn er sich nicht so unbedingt diesem schwelgenden Müssiggange ergäbe. Auch erschrickt er alle Augenblicke selbst in seinem bösen Gewissen, wenn er von diesem oder jenem thätigen Freunde hört, wenn er ihre Fortschritte gewahr wird. Will man nun recht von Herzen mit ihm zanken, so wirft er sich in seine vornehme hyperpoetische Stimmung, und beweist euch von oben herab, daß ihr andern die Taugenichtse seid, er aber bleibt der Weise und Thätige. Man soll seinem Freunde nichts Böses wünschen, aber so wie er sich nun, weiß Gott wegen welches raren Geheimnisses mit dem Manfred eingeschlossen hat, so wäre es mir doch vielleicht nicht ganz unlieb, wenn dieser die Gelegenheit der Einsamkeit benutzte, um ihm auf prosaische Weise etwas der überflüssigen Poesie auszuklopfen. Sacht! sacht! rief Theodor, woher diese Neronische Gesinnung? Ergieb dich der Billigkeit, Freund, oder du sollst so mit albernen Späßen und Wortspielen, welche dir verhaßt sind, gegeißelt werden, daß du den Werth der Humanität einsehn lernst. Nun schau auf, geht drüben nicht unser Anton einsam, sanft und stille, sein Gemüth und die schöne Natur betrachtend? Wie unrecht haben wir ihm so eben gethan. Dieses mal, antwortete Wilibald, und wissen wir doch nicht, ob ihn die Weiber nicht so eben verlassen haben, denen er mit seinem sanften, lieben, zuvorkommenden Naturell stets nachschleicht, die ihm gern entgegen kommen, weil sie ihm anfühlen, daß er auch das Schwächste und Verwerflichste in ihnen ehrt und vertheidigt; denn nicht in ein Individuum, sondern in das ganze Geschlecht ist er verliebt: macht er hier nicht Claren, ihrer Mutter, der jungen Frau und Augusten emsig den Hof? die übrigen lächeln ihn auch stets an, nur sollte er es doch fühlen, daß er der letztern zur Last fällt und sie in Ruhe lassen. Alle andere Menschen ändern sich doch von Zeit zu Zeit und legen ihre Albernheiten ab, ihn aber kannst du nach Jahren wieder antreffen, und er trägt dir noch dieselben Kindereien und Meinungen mit seiner ruhigen Salbung entgegen, ja, wenn man ihn erinnert, daß er vor geraumer Zeit die und jene Angewöhnung gehabt, oder jene Sinnesart geäußert, so dankt er dir so herzlich, als wenn du ihm einen verlornen Schatz wieder fändest, und sucht beides von neuem hervor, im Fall er es vergessen haben sollte. Dann muß dir aber doch der wandelbare und empfängliche Lothar ganz nach Wunsche sein, erwiederte Theodor. Noch weniger als Anton, fuhr Wilibald in seiner Kritik fort, denn eben seine zu große Empfänglichkeit hindert ihn, sich und andre zu der Ruhe kommen zu lassen, die durchaus unentbehrlich ist, wenn aus Bildung oder Geselligkeit irgend etwas werden soll. Er kann weder in einer guten noch schlechten Gesellschaft sein, daß ihn nicht die Lust anwandelt, Comödie zu spielen, ^ex tempore^ oder nach memorirten Rollen; es scheint fast, daß ihm in seiner eigenen Haut so unbehaglich ist, daß er lieber die eines jeden andern Narren über zieht, um seiner selbst nur los zu werden. Die heilige Stelle in der Welt, sein Tempel, ist das Theater, und selbst jedes schlechte Subjekt, das nur einmal die Bretter öffentlich betreten hat, ist ihm mit einer gewissen Glorie umgeben. Gestern den ganzen Abend unterhielt er uns mit seiner ehemaligen Bekehrungssucht und Proselytenmacherei, wie er jeden armen Sünder zum Shakspear wenden und ihn von dessen Herrlichkeit hatte durchdringen wollen; er erzählte so launig, wie und auf welchen Wegen er nach so manchen komischen Verirrungen von dieser Schwachheit zurück gekommen sei, und, siehe, noch in derselben Stunde nahm er den alten Landjunker von drüben in die Beichte und suchte ihm das Verständniß für den Hamlet aufzuschließen, der nur immer wieder darauf zurück kam, daß man beim Aufführen die Todtengräber-Scene nicht auslassen dürfe, weil sie die beste im ganzen Stücke sei. Mir scheint es eine wahre Krankheit, sich in einen Autor, habe er Namen wie er wolle, so durchaus zu vertiefen, und ich glaube, daß durch das zu starre Hinschauen das Auge am Ende eben so geblendet werde, wie durch ein irres Herumfahren von einem Gegenstande zum andern. Selbst bei Weibern, die Schmeicheleien von ihm erwarten, bricht er in Lobpreisungen des Lear und Macbeth aus, und die einfältigste kann ihm liebenswürdig und klug erscheinen, wenn sie nur Geduld genug hat, ihm stundenlang zuzuhören. Gegen unsern Ernst kannst du wohl schwerlich dergleichen einwenden? fragte Theodor. Er ist mir vielleicht der verdrießlichste von allen, fiel Wilibald ein; er, der alles besser weiß, besser würde gemacht haben, der schon seit Jahren gesehn hat, wohin alles kommen wird, der selten jemand aussprechen läßt, ihn zu verstehn sich aber niemals die Mühe giebt, weil er schon im voraus überzeugt ist, er müsse erst hinzufügen, was in der fremden Meinung etwa Sinn haben könne. Er ist der thätigste und zugleich der trägste aller Menschen: bald ist er auf dieser, bald auf jener Reise, weil er alles mit eigenen Augen sehen will, alles will er lernen, keine Bibliothek ist ihm vollständig genug, kein Ort so entfernt, von dem er nicht Bücher verschriebe; bald ist es Geschichte, bald Poesie oder Kunst, bald Physik, oder gar Mystik, was er studirt; er lächelt nur, wenn andre sprechen, als wollt' er sagen: laßt mich nur gewähren, laßt mich nur zur Rede kommen, so sollt ihr Wunder hören! Und wenn man nun wartet, und Jahre lang wartet, ihn dann endlich auffordert, daß er sein Licht leuchten lasse, so muß er wieder dieses Werk nachlesen, jene Reise erst machen, so fehlt es gerade am Allernothwendigsten, und so vertröstet er sich selbst und andre auf eine nimmer erscheinende Zukunft. Die übrigen ärgern mich nur, er aber macht mich böse; denn das ist das verdrüßlichste am Menschen, wenn er vor lauter Gründlichkeit auch nicht einmal an die Oberfläche der Dinge gelangen kann: es ist die Gründlichkeit der Danaiden, die auch immer hofften, der nächste Guß würde nun der rechte und letzte sein, und nicht gewahr wurden, daß es eben an Boden mangle. Wollt ihr mir nun nicht auch von mir »ein liebes kräftig Wörtchen sagen?« neckte ihn Theodor. An dir, sagte Wilibald, ist auch das verloren, denn so wie du mit jeder Feder eine andere Hand schreibst, klein, groß, ängstlich oder flüchtig, so bist du auch nur der Anhang eines jeden, mit dem du lebst; seine Leidenschaften, Liebhabereien, Kenntnisse, Zeitverderb, hast und treibst du mit ihm, und nur dein Leichtsinn ist es, welcher alles, auch das widersprechendste, in dir verbindet. Du bist hauptsächlich die Ursach, daß wir, so oft wir noch beisammen gewesen sind, zu keinem zweckmäßigen Leben haben kommen können, weil du dir nur in Unordnung und leerem Hinträumen wohlgefällst. Heute sind wir einmal recht vergnügt gewesen! pflegst du am Abend zu sagen, wenn du die übrigen verleitest hast, recht viel dummes Zeug zu schwatzen; bei einer Albernheit geht dir das Herz auf, -- doch ich verschwende nur meinen Athem, denn ich sehe du lachst auch hierüber. Allerdings, rief Theodor im frohesten Muthe aus, o mein zorniger, mißmuthiger Camerad! du Ordentlicher, Bedächtlicher, der die ganze Welt nach seiner Taschenuhr stellen möchte, du, der in jede Gesellschaft eine Stunde zu früh kommt, um ja nicht eine halbe Viertelstunde zu spät anzulangen, du, der du wohl ins Theater gegangen bist, bevor die Casse noch eröffnet war, der auch dann im ledigen Hause beim schönsten Wetter sitzen bleibt, um sich nur den besten Platz auszusuchen, mit dem er nachher im Verlauf des Stückes doch wieder unzufrieden wird. Ich habe es ja erlebt, daß du zu einem Balle fuhrst, und mich und meine Gesellschaft so über die Gebühr triebst, daß wir anlangten, als die Bedienten noch den Tanzsaal ausstäubten und kein einziges Licht angezündet war. Diese deine Ordnung willst du in jede Gesellschaft einführen, um nur alles eine Stunde früher als gewöhnlich zu thun, und gäbe man dir selbst diese Stunde nach, so würdest du wieder eine Stunde zuverlangen, so daß man, um mit dir ordentlich zu leben, immer im Zirkel um die vier und zwanzig Stunden des Tages mit Frühstück, Mittag- und Abendessen herum fahren müßte. Weil gestern die Gesellschaft noch nicht versammelt war, als die Suppe auf dem Tische stand, und jeder nach seiner Gelegenheit etwas später kam, darüber bist du noch heut verstimmt, du Heimtückischer, Nachtragender! noch mehr aber darüber, daß wir aus Scherz die geheime Abrede trafen, dich durchaus von Augustens Seite wegzuschieben, zu der du dich mit öffentlichem Geheimniß so geflissentlich drängst, und meinst, wir alle haben keine Augen und Sinne, um deine feurigen Augen und wohlgesetzten verliebten Redensarten wahrzunehmen. Sieh, Freund, man kennt dich auch, und weiß auch deine empfindliche Seite zu treffen. Wilibald zwang sich zu lachen und ging empfindlich fort; indem sah man Lothar und Ernst von der Straße des Berges, der über dem Garten und Hause lag, herunter reiten. Der einsame Anton gesellte sich zu Theodor und beide sprachen über Wilibald; es ist doch seltsam, sagte Anton, daß die Furcht vor der Affektation bei einem Menschen so weit gehen kann, daß er darüber in ein herbes widerspenstiges Wesen geräth, wie es unserm Freunde ergeht; er argwöhnt allenthalben Affektation und Unnatürlichkeit, er sieht sie allenthalben und will sie jedem Freunde und Bekannten abgewöhnen, und damit man ihm nur nicht etwas Unnatürliches zutraue, fällt er lieber oft in eine gewisse rauhe Manier, die von der Liebenswürdigkeit ziemlich entfernt ist. So will er die Weiber auch immer männlich machen, sagte Theodor, ging' es nach ihm, so müßten sie gerade alles das ablegen, was sie so unbeschreiblich liebenswürdig macht. Eine eigne Rubrik, fügte Anton hinzu, hält er, welche er Kindereien überschreibt, und in die er so ziemlich alles hinein trägt, was Sehnsucht, Liebe, Schwärmerei, ja Religion genannt werden muß. Wie die Welt wohl überhaupt aussähe, wenn sie nach seinem vernünftigen Plane formirt wäre? Selbst Sonne und Mond, sagte Theodor, halten nicht einmal die gehörige Ordnung, des Uebrigen zu geschweigen. Die Abweichung der Magnetnadel muß nach ihm entweder Affektation oder Kinderei sein, und statt sich in den Euripus zu stürzen, weil er die vielfache Ebbe und Fluth nicht begreifen konnte, hätte er ruhig am Ufer gestanden, und bloß den Kopf ein wenig geschüttelt und gemurmelt: läppisch! läppisch! Bis zum Abentheuerlichen unnatürlich sind die Cometen, versetzte Anton, ja alle Existenz hat wohl nur wie ein umgekehrter Handschuh die unrechte Seite herausgedreht, und ist dadurch existirend geworden. Zweifelt ihr daran, ihr armen Sünder? rief Wilibald aus dem nächsten Laubengange heraus, in welchem er alles gehört hatte; könnt ihr euch euren doppelten unbefriedigten Zustand anders erklären? Habt ihr dies nicht schon oft im Ernst denken müssen, wenn ihr überhaupt darüber gedacht habt, was ihr jezt als Spaß aussprecht? Und wenn die Menschenseele sich selbst unvollendet und umgedreht empfindet, warum soll denn alles übrige Geschaffene richtiger und besser sein? Ihr hoffärtigen Erdenwürmer neigt euch in den Staub, und macht euch nicht über Leute lustig, die, wenn es die Noth erfordert, auch wohl über Milchstraßen und Trabanten und Sonnensysteme zu sprechen wissen. Ernst und Lothar traten hinzu und erzählten viel von der anmuthigen Lage der merkwürdigen Ruine, und Ernst zürnte über den frevelnden Leichtsinn der Zeit, der schon so viel Herrliches zerstört habe und es allenthalben zu vernichten fortfahre. Wie tief, rief er aus, wird uns eine bessere Nachwelt verachten, und über unsern anmaßlichen Kunstsinn und die fast krankhafte Liebhaberei an Poesie und Wissenschaft lächeln, wenn sie hört, daß wir Denkmale aus gemeinem, fast thierischem Nichtachten, oder aus kläglichem Eigennutz abgetragen haben, die aus einer Heldenzeit zu uns herüber gekommen sind, an der wir unsern erlahmten Sinn für Vaterland und alles Große wieder aufrichten könnten. So braucht man herrliche Gebäude zu Wollspinnereien und schlägt dürftige Kammern in die Pracht alter Rittersäle hinein, als wenn es uns an Raum gebräche, um die Armseligkeit unsers Zustandes nur recht in die Augen zu rücken, der in Pallästen der Heroen seine traurige Thätigkeit ausspannt, und große Kirchen in Scheuern und Rumpelkammern verwandelt. Ist ihnen doch die Vorzeit selbst nichts anders, sagte Lothar, und des Vaterlandes rührende Geschichte, eben so haben sie sich in diese mit ihren unersprießlichen Zwecken hinein geklemmt, und verwundern sich lächelnd darüber, wie man ehemals nur das Bedürfniß solcher Größe haben mochte. Jezt zeigte sich die übrige Gesellschaft. Manfred führte seine Schwiegermutter, Friedrich, welcher verweinte Augen hatte, die schöne Rosalie, Anton bot seinen Arm der freundlichen Clara, und Wilibald gesellte sich zu Augusten, indem er dem lächelnden Theodor einen triumphirenden Blick zuwarf. Man wandelte in den breiten Gängen, welche oben gegen den eindringenden Sonnenstrahl gewölbt und dicht verflochten waren, in heitern Gesprächen auf und nieder, und Lothar sagte nach einiger Zeit: wir sprachen eben von den Ruinen altdeutscher Baukunst, und bedauerten, daß viele Schlösser und Kirchen gänzlich verfallen, die mit geringen Kosten als Denkmale unsern Nachkommen könnten erhalten werden; aber indem ich den Schatten dieser Gänge genieße, erinnere ich mich der seltsamen Verirrung, daß man jezt vorsätzlich auch viele Gärten zerstört, die in dem sogenannten französischen Geschmack angelegt sind, um eine unerfreuliche Verwirrung von Bäumen und Gesträuchen an die Stelle zu setzen, die man nach dem Modeausdrucke Park benamt, und so bloß einer todten Formel fröhnt, indem man sich im Wahn befindet, etwas Schönes zu erschaffen. Du erinnerst mich, sagte Ernst, an die Eremitage bei Baireuth und manchen andern Garten; wenn diese Einsiedelei auch manche aufgemauerte Kindereien zeigt, so war sie doch in ihrer alten Gestalt höchst erfreulich; ich verwunderte mich nicht wenig, sie vor einigen Jahren ganz verwildert wieder zu finden. Es fehlt unsrer Zeit, sagte Friedrich, so sehr sie die Natur sucht, eben der Sinn für Natur, denn nicht allein diese regelmäßigen Gärten, die dem jetzigen Geschmacke zuwider sind, bekehrt man zum Romantischen, sondern auch wahrhaft romantische Wildnisse werden verfolgt, und zur Regel und Verfassung der neuen Gartenkunst erzogen. So war ehemals nur die große wundervolle Heidelberger Ruine eine so grüne, frische, poetische und wilde Einsamkeit, die so schön mit den verfallenen Thürmen, den großen Höfen, und der herrlichen Natur umher in Harmonie stand, daß sie auf das Gemüth eben so wie ein vollendetes Gedicht aus dem Mittelalter wirkte; ich war so entzückt über diesen einzigen Fleck unsrer deutschen Erde, daß das grünende Bild seit Jahren meiner Phantasie vorschwebte, aber vor einiger Zeit fand ich auch hier eine Art von Park wieder, der zwar dem Wandelnden manchen schönen Platz und manche schöne Aussicht gönnt, der auf bequemen Pfaden zu Stellen führt, die man vormals nur mit Gefahr erklettern konnte, der selbst erlaubt, Erfrischungen an anmuthigen Räumen ruhig und sicher zu genießen; doch wiegen alle diese Vortheile nicht die großartige und einzige Schönheit auf, die hier aus der besten Absicht ist zerstört worden. Hier wurde das Gespräch unterbrochen, indem der Bediente meldete, daß angerichtet sei. * * * * * Man ging durch die großen offenen Thüren des Speisesaales, der unmittelbar an den Garten stieß, und aus dem man den gegenüber liegenden Berg mit seinen vielfach grünenden Gebüschen und schönen Waldparthien vor sich hatte; zunächst war ein runder Wiesenplan des Gartens, welchen die lieblichsten Blumengruppen umdufteten, und als Krone des grünen Platzes glänzte und rauschte in der Mitte ein Springbrunnen, der durch sein liebliches Getön gleich sehr zum Schweigen wie zum Sprechen einlud. Alle setzten sich, Wilibald zwischen Auguste und Clara, neben dieser ließ Anton sich nieder, und ihm zunächst Emilie, zwischen ihr und Rosalien hatte Friedrich seinen Platz gefunden, an welche sich Lothar schloß, und neben ihm saßen die übrigen Männer. Auf dem Tische prangten Blumen in geschmackvollen Gefäßen und in zierlichen Körben frische Kirschen. Wie kommt es, fing die ältere Emilie nach einer Pause an, daß es bei jeder Tischgesellschaft im Anfang still zugeht? Man ist nachdenkend und sieht vor sich nieder, auch erwartet Niemand ein lebhaftes Gespräch, denn es scheint, daß die Suppe eine gewisse ernste, ruhige Stimmung veranlaßt, die gewöhnlich sehr mit dem Beschluß der Mahlzeit und dem Nachtische kontrastirt. Vieles erklärt der Hunger, sagte Wilibald, der sich meistentheils erst durch die Nähe der Speisen meldet, besonders, wenn man später zu Tische geht, als es festgesetzt war, denn Warten macht hungrig, dann durstig, und wenn es zu lange spannt, erregt es wahre Uebelkeit, fast Ohnmacht. Sehr wahr, sagte Rosalie, und die Herren sollten das nur bedenken, die uns Frauen fast immer warten lassen, wenn sie eine Jagd, einen Spazierritt, oder ein sogenanntes Geschäft vorhaben. Lassen denn die Damen nicht eben so oft auf sich warten, erwiederte Wilibald, und wohl länger, wenn sie mit ihrem Anzug nicht einig oder fertig werden können? Da überdies die meisten niemals wissen, wie viel es an der Uhr ist, ja daß es überhaupt eine Zeitabtheilung giebt. Recht! sagte Manfred; neulich wollten sie einen Besuch in der Nachbarschaft machen, noch vorher eine Oper durchsingen, und ein wenig spazieren gehn, um dabei zugleich das kranke Kind im Dorfe zu besuchen, dann wollte man bei Zeiten wieder zu Hause sein und etwas früher essen als gewöhnlich, weil wir den Nachmittag einmal recht genießen wollten; als man aber, um doch anzufangen, nach der Uhr sah, fand sichs, daß es gerade nur noch eine halbe Stunde bis zur gewöhnlichen Tischzeit war, und die lieben Zeitlosen kaum noch Zeit sich umzukleiden hatten. Doch bitt' ich mich auszunehmen, sagte Rosalie, tadelst du mich doch sonst immer, daß ich zu pünktlich, zu sehr nach der Stunde bin, sonst würde es auch mit den Einrichtungen der Wirthschaft übel aussehn. Dich nehm' ich aus, sagte Manfred, und einer Hausfrau steht auch nichts so liebenswürdig, als eine stille, unerschütterliche Ordnung: aber auch nur die stille Ordnung, denn noch schlimmer als die Unordentlichen sind die für die Ordnung Wüthenden, in deren Häusern nichts als Einrichtung, Abrichten der Domestiken, Aufräumen und Staubabwischen zu finden ist; eine solche Frau haben, wäre eben so wie unter der großen Kirchenuhr und den Glocken wohnen, wo man nichts als den Perpendikel und das fürchterliche Schlagen der Stunden hört: auch eine männlich ordentliche und unternehmende Therese ist widerwärtig. Aber in aller liebenswürdigen weiblichen Unordnung schweift meine theure Schwester Auguste etwas zu sehr aus. Das weiß Gott! fuhr Wilibald etwas übereilt heraus; denn wenn ein Spaziergang abgeredet ist, so muß man wohl anderthalb Stunden mit dem Stock in der Hand unten stehn und warten, und dann hat die liebenswürdige Dame entweder den Spaziergang ganz vergessen, und besinnt sich erst darauf, wenn man einigemal hat erinnern lassen, oder sie kommt auch wohl endlich, aber nun hat man nicht an Handschuh und Sonnenschirm und Tuch gedacht; man geht zurück, man kramt, und fällt dabei nicht selten wieder in eine Beschäftigung, die den Spaziergang von neuem mit Schiffbruch bedroht. O Gott! und nach allen diesen Leiden soll unser eins nachher noch liebenswürdig sein! Das ist ja eben die Liebenswürdigkeit, sagte Auguste, denn wenn euch alles entgegen getragen, allen euren Launen geschmeichelt wird, wenn man euch so schlicht hin für Herrscher erklärt, daß ihr dann zuweilen ein wenig liebenswürdig seid, ist doch warlich kein Verdienst. Um wieder auf die Suppe zu kommen, die jezt genossen ist, sagte Lothar, so rührt es wohl nicht so sehr von einem materiellen Bedürfniß her, daß man bei ihr wenig spricht, sondern mich dünkt, jedes Mahl und Fest ist einem Schauspiel, am besten einem Shakspearschen Lustspiel, zu vergleichen, und hat seine Regeln und Nothwendigkeiten, die sich auch unbewußt in den meisten Fällen aussprechen. Wie könnte es wohl einem verständigen Menschen etwas anders sein? unterbrach ihn Wilibald mit Lachen; o wie oft ist doch unbewußt der Lustspieldichter selbst ein erfreulicher Gegenstand für ein Lustspiel! Laß ihn sprechen, sagte Manfred, magst du doch die Mahlzeit nachher mit einer Schlacht, oder gar mit der Weltgeschichte vergleichen; am Tisch muß unbedingte Gedanken- und Eßfreiheit herrschen. Daß die abwechselnden Gerichte und Gänge, fuhr Lothar fort, sich mit Akten und Scenen sehr gut vergleichen lassen, fällt in die Augen; eben so ausgemacht ist es für den denkenden und höhern Esser (ich ignorire jene gemeinere Naturen, die an allem zweifeln, und etwa in materieller Dumpfheit meinen können, das Essen geschehe nur, um den Hunger zu vertreiben), daß eine gewisse allgemeine Empfindung ausgesprochen werden soll, der in der ganzen Composition der Tafel nichts widersprechen darf, sei es von Seiten der Speisen, der Weine, oder der Gespräche, denn aus allem soll sich eine romantische Composition entwickeln, die mich unterhält, befriedigt und ergötzt, ohne meine Neugier und Theilnahme zu heftig zu spannen, ohne mich zu täuschen, oder mir bittre Rückerinnrungen zu lassen. Die epigrammatischen Gerichte zum Beispiel, die manchmal zur Täuschung aufgetragen werden, sind gerade zu abgeschmackt zu nennen. Im nördlichen Deutschland, sagte Ernst, sah ich einmal Zuckergebacknes als Torf aufsetzen, und es gefiel den Gästen sehr. O ihr unkünstlich Speisenden! rief Lothar aus; warum laßt ihr euch den Marzipan nicht lieber als die Physiognomien eurer Gegner backen, und zerschneidet und verzehrt sie mit Wohlgefallen und Herzenswuth? dürften die Rezensenten, oder sonst verhaßte Menschen, gleich so auf den Märkten zum Verkauf ausgeboten werden? Von höchst abentheuerlichen Festen, sagte Clara, habe ich einmal im Vasari gelesen, welche die Florentinischen Maler einander gaben, und die mich nur würden geängstigt haben, denn diese trieben die Verkehrtheit vielleicht auf das äußerste. Nicht bloß, daß sie Palläste und Tempel von verschiedenen Speisen errichteten und verzehrten, sondern selbst die Hölle mit ihren Gespenstern mußte ihrem poetischen Uebermuthe dienen, und Kröten und Schlangen enthielten gut zubereitete Gerichte, und der Nachtisch von Zucker bestand aus Schädeln und Todtengebeinen. Gern, sagte Manfred, hätt' ich an diesen bizarren, phantastischen Dingen Theil genommen, ich habe jene Beschreibung nie ohne die größte Freude lesen können. Warum sollte denn nicht Furcht, Abscheu, Angst, Ueberraschung zur Abwechselung auch einmal in unser nächstes und alltäglichstes Leben hinein gespielt werden? Alles, auch das Seltsamste und Widersinnigste hat seine Zeit. Freilich mußt du so sprechen, sagte Lothar, der du auch die Abentheuerlichkeiten des Höllen-Breughels liebst, und der du, wenn deine Laune dich anstößt, allen Geschmack gänzlich läugnest und aus der Reihe der Dinge ausstreichen willst. Wüßten wir doch nur, sagte Manfred, wo diese Sphinx sich aufhält, die alle wollen gesehen haben, und von der doch Niemand Rechenschaft zu geben weiß: bald glaubt man an das Gespenst, bald nicht, wie an die Dulcinea des Don Quixote, und das ist wohl der Spaß an diesem Tagegeiste, daß er zugleich ist und nicht ist. Seltsam, aber nicht selten, fiel Friedrich ein, ist die Erscheinung (die deinen Unglauben fast bestätigen könnte), daß Menschen, die von Jugend auf sich scheinbar mit dem Geiste des klassischen Alterthums genährt, die immer das Ideal von Kunst im Munde führen, und unbillig selbst das Schönste der Modernen verachten, sich doch plötzlich aus wunderlicher Leidenschaft so in das Abgeschmackte und Verzerrte der neuern Welt vergaffen können, daß ihr Zustand sehr nahe an Verrücktheit gränzt. Weil sie die neue Welt gar nicht kannten, antwortete Lothar, war ihre Liebe zur alten auch keine freie und gebildete, sondern nur Aberglaube, der die Form für den Geist nahm. Mir kam auch einmal ein scheinbar gebildeter junger Mann vor, der, nachdem er lange nur den Sophokles und Aeschylus angebetet hatte, ziemlich plötzlich und ohne scheinbaren Uebergang als ächter Patriot unsern ungriechischen Kotzebue vergötterte. Ich bin deiner Meinung, so nahm Ernst das Wort: kein Mensch ist wohl seiner Ueberzeugung oder seines Glaubens versichert, wenn er nicht die gegenüber liegende Reihe von Gedanken und Empfindungen schon in sich erlebt hat, darum ist es nie so schwer gewesen, als es beim ersten Augenblick scheinen möchte, die ausgemachtesten Freigeister zu bekehren, weil von irgend einer Seite ihres Wesens sich gewiß die Glaubensfähigkeit erwecken läßt, die dann, einmal erregt, alle Empfindungen mit sich reißt, und die ehemaligen Ansichten und Gedanken zertrümmert. Eben so wenig aber steht der Fromme, der nicht mit allen seinen Kräften schon die Regionen des Zweifels durchwandert hat, seine Seele müßte dann etwa ganz Glaube und einfältiges Vertrauen sein, auf einem festen Grunde. Vorzüglich, sagte Friedrich, sind es die Leidenschaften, die so oft im Menschen das zerstören, was vorher als sein eigenthümlichstes Wesen erscheinen konnte. Ich habe Wüstlinge gekannt, wahre Gottesläugner der Liebe und freche Verhöhner alles Heiligen, die lange mit der stolzesten Ueberzeugung ihr verächtliches Leben führten, und endlich, schon an der Grenze des Alters, von einer höhern Leidenschaft, sogar zu unwürdigen Wesen, wunderbar genug ergriffen wurden, so daß sie fromm, demüthig und gläubig wurden, ihre verlorne Jugend beklagten, und endlich noch einigen Schimmer der Liebe kennen lernten, deren Himmelsglanz sie in besseren Tagen verspottet hatten. Könnte man nur immer, fügte Anton hinzu, jungen Menschen, welche in die Welt treten, und sich nur leicht von den scheinbar Reichen und Freien beherrschen und stimmen lassen, die Ueberzeugung mitgeben, wie arm und welche gebundene Sklaven jene sind, die gern alle ihre falschen Flitterschätze um ein Gefühl der Kindlichkeit, der Unschuld, oder gar der Liebe hingeben möchten, wenn es sie so beglücken wollte, in ihren dunkeln Kerker hinein zu leuchten. Wie oft ist der überhaupt in der Welt der Beneidete, der sich selber mitleidswürdig dünkt, und weit mehr Schlimmes geschieht aus falscher Schaam, als aus wirklich böser Neigung, ein mißverstandner Trieb der Nachahmung und Verehrung verlockt viel häufiger den Verirrten, als Neigung zum Laster. Wie aber das Böse nicht zu läugnen ist, sagte Ernst, eben so wenig in den Künsten und Neigungen das Abgeschmackte, und man soll sich wohl vor beiden gleich sehr hüten. Vielleicht, daß auch beides genauer zusammen hängt, als man gewöhnlich glaubt. Wir sollen weder den moralischen noch physischen Ekel in uns zu vernichten streben. Aber auch nicht zu krankhaft ausbilden, wandte Manfred ein. -- Ein Weltumsegler unsers Innern wird auch wohl noch einmal die Rundung unsrer Seele entdecken, und daß man nothwendig auf denselben Punkt der Ausfahrt zurück kommen muß, wenn man sich gar zu weit davon entfernen will. Dies führt, sagte Theodor, indem er mit Wilibald anstieß, zur liebenswürdigen Billigkeit und Humanität. Es führt, antwortete dieser, wie alles, was die letzte Spitze und den wahrhaften Schwindel mit einem gewissen Witze sucht, zu gar nichts. Theurer Lothar, laß uns wieder vernünftig sprechen, und führe deine Vergleichung einer Mahlzeit und des Schauspiels noch etwas weiter. Um deiner Wißbegier genug zu thun, fuhr Lothar fort, erklär' ich also, daß bei einem Schauspiele die Einleitung eine der wichtigsten Parthien ist; sie kann hauptsächlich auf dreierlei Art geschehen. Entweder, daß in ruhiger Erzählung die Lage der Dinge auf die einfachste und natürlichste Weise auseinander gesetzt wird, so wie in »den Irrungen,« oder daß uns der Dichter sogleich in Getümmel und Unruhe wirft, woraus sich nach und nach die Klarheit und das Verständniß eröffnen, so wie im »Romeo« und dem »Oldcastle,« die gar mit Schlägerei beginnen, oder auf die dritte Weise, die uns zwar auch sogleich in die Mitte der Dinge führt, aber mit ruhiger Besonnenheit, wie in »Was ihr wollt.« Es ist keine Frage, daß die letztere Art beim Gastmahl die vorzüglichere sei, und daß deshalb die zivilisirten Nationen, und Menschen, die nicht bizarr leben und essen wollen, ihre Mahlzeit mit einer kräftigen, aber milden, ruhig bedächtigen Suppe eröffnen. Wie nun alle Menschen Hang zum Drama haben, und dunkel die Ahnung in ihnen schläft, daß alles Drama sei, so hüten sie sich mit Recht, zu witzig, zu geistreich, oder auch nur zu gesprächig zu sein, so lange die Suppe vor ihnen steht. Emilie lachte und winkte ihm Beifall, und Lothar fuhr also fort: so wie sich in dem eben genannten Lustspiele nach der fast elegischen Einleitung die anmuthigen Personen des Junkers Tobias, der Maria und der Fieberwange als reizende Episode einführen, so genießt man zum Anbeginn der Mahlzeit Sardellen, oder Kaviar, oder irgend etwas Reizendes, welches noch nicht unmittelbar das Bedürfniß befriedigt, und so, um nicht zu weitläufig zu werden, wechselt Befriedigung und Reiz in angenehmen Schwingungen bis zum Nachtisch, der ganz launig, poetisch und muthwillig ist, wie jenes Lustspiel sich nach seinem Beschluß mit dem allerliebsten albernen, aber bedeutenden Gesang des liebenswürdigsten Narren beschließt, wie »Viel Lärmen um nichts,« und »Wie es euch gefällt« mit einem Tanze endigen, oder das »Wintermährchen« mit der lebendigen Bildsäule. Ich sehe wohl, sagte Clara, man sollte das Essen eben so gut in Schulen lernen, als die übrigen Wissenschaften. Gewiß, sagte Lothar, ziemt einem gebildeten Menschen nichts so wenig, als ungeschickt zu essen, denn eben, weil die Nahrung ein Bedürfniß unserer Natur ist, muß hiebei entweder die allerhöchste Simplizität obwalten, oder Anstand und Frohsinn müssen eintreten und anmuthige Heiterkeit verbreiten. Freilich, sagte Ernst, stört nichts so sehr, als eine schwankende Mischung von Sparsamkeit und unerfreulicher Verschwendung, wie man wohl mit vortrefflichem Wein zum Genuß geringer und schlecht zubereiteter Speisen überschüttet wird, oder zu schmackhaften leckern Gerichten im Angesicht trefflicher Geschirre elenden Wein hinunter würgen muß. Dieses sind die wahren Tragikomödien, die jedes gesetzte Gemüth, das nach Harmonie strebt, zu gewaltsam erschüttern. Ist das Gespräch solcher Tafel zugleich lärmend und wild, so hat man noch lange nachher am Mißton der Festlichkeit zu leiden, denn auch bei diesem Genuß muß die Schaam unsichtbar regieren, und Unverschämtheit muß in edle Gesellschaft niemals eintreten können. Dazu, sagte Anton, gehört das übermäßige Trinken aus Ambition, oder wenn ein begeisterter Wirth im halben Rausch zudringend zum Trinken nöthigt, indem er laut und lauter versichert, der Wein verdien' es, diese Flasche koste so viel und jene noch mehr, es komme ihm aber unter guten Freunden nicht darauf an, und er könne es wohl aushalten, wenn selbst noch mehr darauf gehn sollte. Dergleichen Menschen rechnen im Hochmuth des Geldes nicht nur her, was dieses Fest kostet und jeder einzelne Gast verzehrt, sondern sie ruhen nicht, bis man den Preis jedes Tisches und Schrankes erfahren hat. Wenn sie Kunstwerke oder Raritäten besitzen, sind sie gar unerträglich, und ihr höchster Genuß besteht darin, wenn sie in aller Freundschaftlichkeit ihren Gast können fühlen machen, daß es ihm, gegen den Wirth gerechnet, eigentlich wohl an Gelde gebreche. Das führt darauf, fuhr Lothar fort, daß so wie in den Gefäßen und Speisen Harmonie sein muß, diese auch durch die herrschenden Gespräche nicht darf verletzt werden. Die einleitende Suppe werde, wie schon gesagt, mit Stille, Sammlung und Aufmerksamkeit begleitet, nachher ist wohl gelinde Politik erlaubt, und kleine Geschichtchen, oder leichte philosophische Bemerkungen: ist eine Gesellschaft ihres Scherzes und Witzes nicht sehr gewiß, so verschwende sie ihn ja nicht zu früh, denn mit dem Confect und Obst und den feinen Weinen soll aller Ernst völlig verschwinden, nun muß erlaubt sein, was noch vor einer Viertelstunde unschicklich gewesen wäre; durch ein lauteres Lachen werden selbst die Damen dreister, die Liebe erklärt sich unverholner, die Eifersucht zeigt sich mit unverstecktern Ausfällen, jeder giebt mehr Blöße und scheut sich nicht, dem treffenden Spott des Freundes sich hinzugeben, selbst eine und die andre ärgerliche Geschichte witzig vorgetragen darf umlaufen. Große Herren ließen ehemals mit dem Zucker ihre Narren und Lustigmacher hereinkommen, um am Schluß des Mahls sich ganz als Menschen, heiter froh und ausgelassen zu fühlen. Jezt, sagte Theodor, bringt man um die Zeit die kleinen Kinder herein, wenn sie nicht schon alle in Reih' und Glied bei Tische selber gesessen haben. Freilich, sagte Manfred, und das Gespräch erhebt sich zum Rührenden über die hohen idealischen Tugenden der Kleinen und ihrer unnennbaren Liebe zu den Eltern, und der Eltern hinwieder zu den Kindern. Und wenn es recht hoch hergeht, sagte Theodor, so werden Thränen vergossen, als die letzte und kostbarste Flüssigkeit, die aufzubringen ist, und so beschließt sich das Mahl mit den höchsten Erschütterungen des Herzens. Nicht genug, fing Lothar wieder an, daß man diese Unarten vermeiden muß, jede Tischunterhaltung sollte selbst ein Kunstwerk sein, das auf gehörige Art das Mahl accompagnirte und im richtigen Generalbaß mit ihm gesetzt wäre. Von jenen schrecklichen großen Gesellschaften spreche ich gar nicht, die leider in unserm Vaterlande fast allgemeine Sitte geworden sind, wo Bekannte und Unbekannte, Freunde und Feinde, Geistreiche und Aberwitzige, junge Mädchen und alte Gevatterinnen an einer langen Tafel nach dem Loose durch einander gesetzt werden; jene Mahlzeiten, für welche die Wirthin schon seit acht Tagen sorgt und läuft und von ihnen träumt, um alles mit großem Prunk und noch größerer Geschmacklosigkeit einzurichten, um nur endlich, endlich der Fete los zu werden, die man schon längst von ihr erwartet, weil sie wohl zwölf und mehr ähnliche Gastmahle überstanden hat, zu der sie nun zum Ueberfluß noch jeden einladet, dem sie irgend eine Artigkeit schuldig zu sein glaubt, und gern noch ein Dutzend Durchreisende in ihrem Garne auffängt, um ihrer Besuche nachher entübrigt zu bleiben; nein, ich rede nicht von jenen Tafeln, an welchen Niemand spricht, oder Alle zugleich reden, an welchen das Chaos herrscht, und kaum noch in seltnen Minuten sich ein einzelner Privatspaß heraus wickeln kann, wo jedes Gespräch schon als todte Frucht zur Welt kommt, oder im Augenblicke nachher sterben muß, wie der Fisch auf dem trocknen Lande; ich meine nicht jene Gastgebote, bei denen der Wirth sich auf die Folter begeben muß, um den guten Wirth zu machen, zu Zeiten um den Tisch wandeln, selbst einschenken und frostige Scherze in das Ohr albern lächelnder Damen niederlegen; kurz, schweigen wir von dieser Barbarei unserer Zeit, von diesem Tode aller Geselligkeit und Gastfreiheit, die neben so vielen andern barbarischen Gewohnheiten auch ihre Stelle bei uns gefunden hat. Die krankhafte Karikatur von diesen Anstalten, fügte Wilibald hinzu, sind die noch größern Theegesellschaften und kalten Abendmahlzeiten, wo das Vergnügen erhöht wird, indem alles durch einander läuft, und wie in der Sprachverwirrung die Bedienten, gerufen und ungerufen, mit allen möglichen Erfrischungen balanzirend, dazwischen tanzen, jeder Geladene durch alle Zimmer schweift, um zu suchen, er weiß nicht was, und ein Ordnungsliebender gern am Ofen, oder an irgend einem Fenster Posto faßt, um in der allgemeinen Flucht nur nicht umgelaufen, oder von der völkerwandernden Unterhaltung erfaßt und mitgenommen zu werden. Dieses, sagte Manfred, ist der wahre hohe Styl unsers geselligen Lebens, Michel Angelo's jüngstes Gericht gegen die Miniaturbilder alter Gastlichkeit und traulicher Freundschaft, der Beschluß der Kunst, das Endziel der Imagination, die Vollendung der Zeiten, von der alle Propheten nur haben weissagen können. Vergessen wir nur nicht, unterbrach Ernst, die Festlichkeiten des Mittelalters, wo nicht selten Tausende vom Adel als Gäste versammelt waren; doch hatte jener freimüthige frohe Sinn nichts von der Zerstreutheit unserer Zeit, und ihre glänzenden Waffenkämpfe, diese Spiele, bei denen die Kraft mit der Gefahr scherzte, vereinigten alle Gemüther zu einem herrlichen Mittelpunkte hin. Die Schätze der Welt sind wohl noch niemals so öffentlich und in so schönem großen Sinne genossen worden. Wie soll denn nun aber nach deiner Vorstellung ein Gastmahl endigen? fragte Wilibald; was sollte denn wohl auf diesen lustigen Leichtsinn folgen können, um würdig zu beschließen, oder wieder in das gewöhnliche Leben einzulenken? Der orientalische Ernst des Caffee, antwortete Lothar, und nach diesem, wie neulich schon ausgemacht wurde, vielleicht sogar die Pfeife. Da befinden wir uns plötzlich wieder in der Mitte eines herabgestimmten Lebens, und denken an unsere vorige Lust nur wie an einen Traum zurück. Sollte man so bewußtlos leben, essen und trinken, warf Clara ein, so wäre es eben eine herzliche Last, sich mit dem Leben überall einzulassen. Es kömmt wohl nur auf die Uebung an, sagte Theodor, haben doch Elephanten gelernt auf dem Seile tanzen. Die meisten Menschen machen sich außerdem ihr Leben noch viel beschwerlicher, und sie leben es doch ab: o warlich, hätten sie nur etwas Leichtsinn in den Kauf bekommen, so entschlössen sich viele, sich sterben zu lassen. Ich sage ja nur, antwortete Lothar, daß uns dunkel dergleichen Vorstellung eines Drama vorschwebt, wie bei allen Dingen, in die wir uns bestreben, Sinn und Zusammenhang hinein zu bringen. Da man sich schon dem Nachtische näherte, so ließ Manfred heißern Wein geben und ermunterte seine Freunde zum Trinken. Du wolltest, dünkt mich, noch über die Tischgespräche etwas sagen, so wandte er sich nach einiger Zeit an Lothar. Ich wollte noch bemerken, antwortete dieser, daß nicht jedes Gespräch, auch wenn es an sich gut ist, an die Tafel paßt, oder wenigstens nicht in jede Gesellschaft. Beim stillen häuslichen Mahl darf unter wenigen Freunden oder in der Familie mehr Ernst, selbst Unterricht und Gründlichkeit herrschen, je mehr es sich aber dem Feste nähert, um so mehr müssen Geist und Frohsinn an die Stelle treten. Frage nun, sagte Wilibald, ob wir auch die gehörigen Diskurse führen? Bist du, dramatischer Lothar, in deinem Gewissen ganz beruhigt? Auch hiebei, erwiederte dieser, ist das gute Bestreben alles, was wir geben können, auch hier muß jenes Glück unsichtbar hinzutreten und die letzte Hand anlegen, um ein erfreuliches wahres Kunstwerk hervor zu bringen. Während dieser Gespräche, sagte Manfred, ist mir eingefallen, daß ich wohl unsre Schriftsteller und Dichter nach meinem Geschmack mit den verschiedenartigen Gerichten vergleichen könnte. Zum Beispiel? fragte Auguste; das wäre eine Geschmackslehre, die mir sehr willkommen sein würde, und wonach ich mir alles am besten merken und eintheilen könnte. Ein andermal, sagte Manfred, wenn du für dergleichen ernsthafte Dinge mehr gestimmt bist; jezt würdest du es wohl nur sehr frivol aufnehmen, und ich bin doch überzeugt, daß diese Vergleichungen sich eben auch so gründlich durchführen lassen, wie alle übrigen. Es war eine Zeit, sagte Emilie, in der es die Schriftsteller, die über die Poesie schrieben, niedrig und gemein finden wollten, das Geschmack zu nennen, was in Werken der Künste das Gute von dem Schlechten sondert. Das war eben in jener geschmacklosen Zeit, sagte Theodor. Wer noch nie über das Tiefe und Innige des Geschmacks, über seine chemischen Zersetzungen und universellen Urtheile nachgedacht hat, versetzte Ernst, der dürfte nur einiges über diesen Gegenstand in den Schriften mancher Mystiker lesen, um zu erstaunen, und die Verächter dieses Sinnes zu verachten. Er dürfte auch nur hungern, sagte Wilibald, und dann essen. Lieber noch dursten, sagte Anton, und dann trinken, indem er selber bedächtig trank. Am kürzesten ist es gewiß, antwortete Friedrich, indeß wie selten werden wir darauf geführt, das zu beobachten, und uns über dasjenige zu unterrichten, was wir in uns Instinkt nennen, und doch ist der Philosoph nur ein unvollkommener, der in diese Gegend seinen spähenden Geist noch niemals ausgesendet hat. So ist es freilich mit allen Sinnen, fuhr Ernst fort, auch mit denen, die schon dem Gedanken verwandter scheinen, wie das Ohr und das noch hellere Auge. Wie wundersam, sich nur in eine Farbe als bloße Farbe recht zu vertiefen? Wie kommt es denn, daß das helle ferne Blau des Himmels unsre Sehnsucht erweckt, und des Abends Purpurroth uns rührt, ein helles goldenes Gelb uns trösten und beruhigen kann, und woher nur dieses unermüdete Entzücken am frischen Grün, an dem sich der Durst des Auges nie satt trinken mag? Auf heiliger Stätte stehen wir hier, sagte Friedrich, hier will der Traum in uns in noch süßeren, noch geheimnißvolleren Traum zerfließen, um keine Erklärung, wohl aber ein Verständniß, ein Sein im Befreundeten selbst hinein zu wachsen und zu erbilden: hier findet der Seher die göttlichen ewigen Kräfte ihm begegnend, und der Unheilige läßt sich an der nämlichen Schwelle zum Götzendienste verlocken. Die Kunst, sagte Manfred, hat diese Geheimnisse wohl unter ihren vielfarbigen Mantel genommen, um sie den Menschen sittsam und in fliehenden Augenblicken zu zeigen, dann hat sie sie über sich selbst vergessen, und phantasirt seitdem so oft in allen Tönen und Erinnerungen, um diese alten Töne und Erinnerungen wieder zu finden. Daher die wilde Verzweiflung in der Lust mancher bacchantischen Dichter; es reißen sich wohl Laute in schmerzhafter üppiger Freude, in der Angst keine Scheu mehr achtend, aus dem Innersten hervor, und verrathen, was der heiligere Wahnsinn verschweigt. So wollten wild schwärmende Corybanten und Priesterinnen ein Unbekanntes in Raserei entdecken, und alle Lust die über die Gränze schweift nippt von dem Kelch der Ambrosia, um Angst und Wuth mit der Freude laut tobend zu verwirren. Auch der Dichter wird noch einmal erscheinen, der dem Grausen und der wilden Sehnsucht mehr die Zunge lößt. Schon glaub' ich die Mänade zu hören, sagte Ernst, nur Paukenton und Cymbelnklang fehlt, um dreister die Worte tanzen zu lassen, und die Gedanken in wilderer Geberde. Sein wir auch im Phantasiren mäßig, und auch im Aberwitz noch ein wenig witzig, bemerkte Wilibald. Ja wohl, fügte Auguste hinzu, sonst könnte man vor dergleichen Reden eben so angst, wie vor Gespenstergeschichten werden; das beste ist, daß keiner sich leicht dergleichen wahrhaft zu Gemüth zieht, sonst möchten sich vielleicht wunderliche Erscheinungen aufthun. Du sprichst wie eine Seherin, sagte Manfred, dieser Leichtsinn und diese Trägheit erhält den Menschen und giebt ihm Kraft und Ausdauer zu allem Guten, aber beide reißen ihn auch immerdar zurück von allem Guten und Hohen, und weisen ihn wieder auf die niedrige Erde an. Es gemahnt mir, bemerkte Theodor unhöflich, wie die Hunde, die, wenn auch noch so geschickt, nicht lange auf zwei Beinen dienen können, sondern immer bald wieder zu ihrem Wohlbehagen als ordinäre Hunde zurück fallen. Laßt uns also, erinnerte Wilibald, auch ohne Hunde zu sein, auf der Erde bleiben, denn gewiß ist alles gut, was nicht anders sein kann. Wir sprachen ja von Künsten, fuhr Theodor fort, und ich erinnere mich dabei nur mit Verdruß, daß ein Mensch, der seine Hunde ihre mannichfaltigen Geschicklichkeiten öffentlich zeigen ließ, jeden seiner Scholaren mit der größten Ernsthaftigkeit und Unschuld einen Künstler nannte. O welch liebliches Licht, rief Rosalie aus, breitet sich jezt nach dem sanften Regen über unsern Garten! So ist wohl dem zu Muthe, der aus einem schweren Traum am heitern Morgen erwacht. Ich werde nie, sagte Ernst, den lieblichen Eindruck vergessen, den mir dieser Garten mit seiner Umgebung machte, als ich ihn zuerst von der Höhe jenes Berges entdeckte. Du hattest mir dort, in der Waldschenke, mein Freund Manfred, nur im allgemeinen von dieser Gegend erzählt, und ich stellte mir ziemlich unbestimmt eine Sammlung grüner Gebüsche vor, die man so häufig jezt Garten nennt; wie erstaunte ich, als wir den rauhen Berg nun erstiegen hatten, und unter mir die grünen Thäler mit ihren blitzenden Bächen lagen, so wie die zusammenschlagenden Blätter eines herrlichen alten Gedichtes, aus welchem uns schon einzelne liebliche Verse entgegen äugeln, die uns auf das Ganze um so lüsterner machen: nun entdeckt' ich in der grünenden Verwirrung das hellrothe Dach deines Hauses und die reinlich glänzenden Wände, ich sah in den viereckten Hof hinein, und daneben in den Garten, den gerade Bäumgänge bildeten und verschlossene Lauben, die Wege so genau abgemessen, die Springbrunnen schimmernd; alles dies schien mir eben so wie ein helles Miniaturbild aus beschriebenen Pergamentblättern alter Vorzeit entgegen, und befangen von poetischen Erinnerungen fuhr ich herunter, und stieg noch mit diesen Empfindungen in deinem Hause ab, wo ich nun alles so lieblich und reizend gefunden habe. Ich gestehe gern, ich liebe die Gärten vor allen, die auch unsern Vorfahren so theuer waren, die nur eine grünende geräumige Fortsetzung des Hauses sind, wo ich die geraden Wände wieder antreffe, wo keine unvermuthete Beugung mich überrascht, wo mein Auge sich schon im voraus unter den Baumstämmen ergeht, wo ich im Freien die großen und breiden Blumenfelder finde, und vorzüglich die lebendigen spielenden Wasserkünste, die mir ein unbeschreibliches Wohlgefallen erregen. Mit derselben Empfindung, antwortete Manfred, betrat ich zuerst diese Gegend, dieser Garten lockte mich sogleich freundlich an. Ich liebe es, im Freien gesellschaftlich wandeln zu können, im ungestörten Gespräch, die Blumen sehen mich an, die Bäume rauschen, oder ich höre halb auf das Geschwätz der Brunnen hin; belästigt die Sonne, so empfangen uns die dichtverflochtenen Buchengänge, in denen das Licht zum Smaragd verwandelt wird, und wo die lieblichsten Nachtigallen flattern und singen. Mit Entzücken, so redete Ernst weiter, muß ich an die schönen Gärten bei Rom und in manchen Gegenden Italiens denken, und sie haben meine Phantasie so eingenommen, daß ich oft des Nachts im Traum zwischen ihren hohen Myrthen- und Lorbeergängen wandle, daß ich oftmals, wie die unvermuthete Stimme eines lange abwesenden Freundes, das liebliche Sprudeln ihrer Brunnen zu vernehmen wähne. Hat sich irgendwo ein edles Gemüth so ganz wie in einem vielseitigen Gedicht ausgesprochen, so ist es vor allen dasjenige, welches die Borghesische Villa angelegt und ausgeführt hat. Was die Welt an Blumen und zarten Pflanzen, an hohen schönen Bäumen besitzt, allen Reiz großer und freier Räume, wo uns labend die Luft des heitern Himmels umgiebt, labyrinthische Baumgewinde, wo sich Epheu um alte Stämme im Dunkel schlingt, und in der süßen Heimlichkeit kleine Brunnen in perlenden Stralen klingend tropfen, und Turteltauben girren: der anmuthigste Wald mit wilden Hirschen und Rehen, Feld und Wiesen dazwischen, und Kunstgebilde an den bedeutendsten Stellen, alles findet sich in diesem elysischen Garten, dessen Reize nie veralten, und der jezt eben wieder wie eine Insel der Seligen vor meiner Einbildung schwebt. Doch hab' ich in vielen Büchern gelesen, wandte Emilie ein, daß die Gartenkunst der Italiäner noch in der Kindheit sei, und daß sie weit hinter den Deutschen zurückstehen. In allen menschlichen Angelegenheiten, antwortete Ernst, herrscht die Mode, aus der sich, wenn sie erst weit um sich gegriffen hat, leicht Sektengeist erzeugt, welchen man oft genug als Fortschritt der Kunst oder Menschheit unter dem Namen des Geistes der Zeit muß preisen hören, und so gehören auch diese Aeußerungen und Glaubensmeinungen in das System so mancher andern, gegen die ich mich fast unbedingt erklären möchte. Wo sind denn in Deutschland die vortrefflichen Gärten im sogenannten Englischen Geschmack, gegen die der gebildete Sinn nicht sehr Vieles einzuwenden hätte? Sprechen sie weiter! rief Clara lebhaft; schon einige empfindsame Reisende haben unsern muntern Garten als altfränkisch getadelt und meiner Mutter auf vielfache Weise gerathen, einen krummen, und wenn man den nächsten Hügel mit hinein zöge, auch auf- und absteigenden Park mit allen möglichen Effekten, anzulegen, und meine gute Mutter hatte sich schon vor einigen Jahren nicht abgeneigt gezeigt, so daß ich schon für meine Blumenbeete und für die Wasserkünste, die selbst in der Stille der Nacht fortlachen, gezittert habe. Wir dürfen nur, fuhr Ernst fort, auf das Bedürfniß zurück gehn, aus welchem unsre Gärten entstanden sind, um auf dem kürzesten Wege einzusehn, welche Anlagen im Allgemeinen die richtigeren sein mögen. Der Landmann hat neben seiner einfachen Wohnung seinen Baumgarten, der ihm vor seiner Thür Früchte und Küchengewächse liefert; gern läßt er das Gras zwischen den Bäumen wachsen, sowohl, weil er es ebenfalls nutzen kann, als auch weil es ihm Arbeit erspart, indem er es schont. Sehn wir in dieser wilden grünen Anstalt noch irgend ein Fleckchen den Gartenblumen besonders gewidmet und mit Liebe ausgespart, so hat diese natürlichste Anlage, im Gebirge wie im flachen Lande, einen gewissen Zauber, der uns still und rührend anspricht, ja in der Blüthenzeit kann ein solcher Raum mit seinen dicht gedrängten Bäumen entzückend sein. Diese sind unter den Gärten die wahren Idyllen, die kleinen Naturgedichte, die eben deswegen gefallen, weil sie von aller Kunst völlig ausgeschlossen sind. Ein Mühlbach, der an solchem Garten vorüberrinnt, sagte Clara, und Lämmchen drinne hüpfend und blökend in der Frühlingszeit, und krausbebuschte Berge dahinter, aus denen ein Holzschlag in den Gesang der Waldvögel tönt, dies kann vorzüglich Abends, oder am frühsten Morgen so himmlische Eindrücke von Ruhe, Einsamkeit und lieblicher Befangenheit erregen, daß unser Gemüth in diesen Augenblicken sich nichts Höheres wünschen kann. Die Gärten der alten Burgen und Schlösser waren auf ihren Höhen gewiß nur beschränkt, sagte Ernst, der jagdliebende Ritter lebte im Walde, und auf Reisen und Turnieren, oder in Fehden und Kriegen. Als die neueren Palläste entstanden und die fürstliche Architektur, als mit dem milderen Leben Kunst, Witz und heitere Geselligkeit in die Schlösser der Großen und Reichen zogen, wandte sich die architektonische Regel ebenfalls in die Gärten; in ihnen sollte dieselbe Reinlichkeit und Ordnung herrschen, wie in den Säulengängen und Sälen der Palläste, sie sollten der Geselligkeit den heitersten Raum gewähren, und so entstanden die regelmäßigen, weiten und vielfachen Baumgänge, so wurde der unordentliche Wuchs zu grünen Wänden erzogen, Hügel ordneten sich in Terrassen und bequemen breiten Treppen, die Blumen standen in Reihen und Beeten, und alles Wildscheinende, so wie alles, was an das Bedürfniß erinnert, wurde sorgfältigst entfernt; auf großen runden oder viereckten Plätzen suchte man gern die Frühlingssonne, die dichten Baumschatten waren zu Bögen gegen die Hitze gewölbt, verflochtene Laubengänge waren künstlich selbst mit unsichtbaren Käfigen umgeben, in denen Vögel aller Art in scheinbarer Freiheit schwärmten, die Springbrunnen, die die Stille unterbrachen und wie Naturmusik dazwischen redeten, und deren geordnete Stralen und Ströme in vielfachen Linien aus Muscheln, Seepferden und Statuen von Wassergöttern sich ebenfalls nach Regeln erhoben, dienten als phantastischer Schmuck dem wohlberechneten Ganzen. Der bunte grünende Raum war Fortsetzung der Säle und Zimmer, für viele Gesellschaften geeignet, den mannichfaltigsten Sinnen zubereitet, dem Geräusch und Prunk anpassend, und auch in der Einsamkeit ein lieblicher Genuß; denn der Frohwandelnde, wie jener, der sich in stille Betrachtung senkt, fand nichts, was ihn störte und irrte, sondern die lebendige Natur umgab sie zauberisch in denselben Regeln, in denen der Mensch von Verstand und Vernunft, und der innern unsichtbaren Mathematik seines Wesens ewig umschlossen ist. Siehst du, liebe Mutter, sagte Clara, welche philosophische Miene unser oft getadelte Garten anzunehmen weiß, wenn er nur seinen Sachwalter findet? Alles, was ich sagen kann, fuhr Ernst fort, steht schon im Woldemar viel besser und gründlicher, als Zurechtweisung eines einseitigen und mißverstandenen Hanges zur Natur. Finden Sie denn aber wirklich alle Gärten dieser Art schön? fragte Auguste. So wenig, antwortete Ernst, daß ich im Gegentheil viele gesehen habe, die mir durch ihre vollendete Abgeschmacktheit eine Art von Grausen erregt haben. Es giebt vielleicht in der ganzen Natur keine traurigere Einsamkeit, als uns die erstorbene Formel dieser Gartenkunst in dem barocken übertriebenen holländischen Geschmack darbietet, wo es den Reiz ausmachen soll, die Bäume nicht als solche wieder zu erkennen, wo Muscheln, Porzellan und glänzende Glaskugeln um fürchterlich verzerrte Bildsäulen auf gefärbtem Sande leuchten, wo das springende Wasser selbst seine liebliche Natur eingebüßt hat, und zum Possenreißer geworden ist, und wo auch sogar der heiterste blaue Himmel nur wie ein ernstes mißbilligendes Auge über dem vollendeten Unfug steht: Mond und Sterne über diesen Fratzen leuchtend und schimmernd, sind furchtbar, wie die lichten Gedanken im Geschwätz eines Verrückten. Vom Wasser, fiel Theodor ein, wird überhaupt oft ein kindischer Mißbrauch gemacht; diese Vexirkünste, um uns plötzlich naß zu machen, sind den abgeschmackten neumodischen Gespenstergeschichten mit natürlichen Erklärungen zu vergleichen; der Verdruß ist viel größer als der Schreck. Da man nun so häufig, sprach Ernst weiter, diese Gespenster von Gärten sah, so erwachte zu derselben Zeit, als man in allen Künsten die Natürlichkeit forderte, auch in der Gartenkunst bei unsern Landsleuten ein gewisser Sinn für Natur. Wir hörten von den englischen Parks, von denen viele in der That in hoher Schönheit prangen, sehr viele aber auch die Wohnung trüber Melankolie sind, und so fing man denn in Deutschland ebenfalls an, mit Bäumen, Stauden und Felsen auf mannigfache Weise zu malen, lebendige Wasser und Wasserfälle mußten die springenden Brunnen verdrängen, so wie alle geraden Linien nebst allem Anschein von Kunst verschwanden, um der Natur und ihren Wirkungen auf unser Gemüth Raum zu gewähren. Weil man sich nun hier in einem unbeschränkten Felde bewegte, eigentlich keine Vorbilder zur Nachahmung hatte, und der Sinn, der auf diese Weise malen und zusammen setzen soll, vom feinsten Geschmack, vom zartesten Gefühl für das Romantische der Natur geleitet werden muß, ja, weil jede Lage, jede Umgebung einen eigenthümlichen Garten dieser Art erfordert, und jeder also nur einmal existiren kann, so konnte es nicht fehlen, daß man, von jenem ächten Natursinn verlassen, in Verwirrung gerieth, und bald Gärten entstanden, die nicht weniger widerlich, als jene holländischen waren. Bald genügten die Effekte der Natur und der sinnigen Bäume und Pflanzen nicht mehr, dem bizarren Streben waren diese Wirkungen zu gelinde, man baute Felsenmassen, Labyrinthe, hängende Brücken, chinesische Thürmchen auf steilen Abhängen, gothische Burgen, Ruinen aller Art, und so waren diese verworrenen Räume am Ende mehr auf ein unangenehmes Erschrecken, oder unbehagliche Aengstlichkeit, als für einen stillen Genuß eingerichtet. Und dabei doch alles kleinlich, fiel Manfred ein, nicht phantastisch, sondern nur arm sind diese Tempel der Nacht und der Sonne, mit ihren bunten affektirten Lichtern, und kommen nicht einmal unsern gewöhnlichsten Theater-Effekten gleich. Für das Erschrecken reizbarer oder träumerischer Menschen ist oft hinlänglich gesorgt, sagte Anton, wenn unvermuthet ein Bergmann aus einem Schacht neben dem Wege heraus zu steigen scheint, oder im einsamen Dickicht eine andre widrige Puppe als Eremit vor einem Crucifixe kniet. Selbst Schädel und Beingerippe müssen dem Wandelnden zum Ergötzen dienen. Ohne weiteren Schreck, sagte Wilibald, erregen schon die krummen, ewig sich verwickelnden Wege Angst genug. Man sieht Menschen in der Ferne und vermuthet einen Freund unter diesen; aber wie in aller Welt soll man es anstellen, sich ihnen zu nähern? Man nimmt die Richtung nach jenem Punkt, allein der Weg läßt sich nicht so gehn, wie du möchtest, bald bist du hinter deinem vorigen Standpunkte zurück, und so ist es auch wahrscheinlich jenem drüben ergangen; tagelang rennt man sich aus dem Wege, wenn man sich nicht in einer albernen Moschee, oder otahitischen Hütte, in die man gegen den Regen unterduckt, ganz unvermuthet findet. Eben so wenig, fuhr Theodor fort, kannst du aber dem ausweichen, dem du nicht begegnen willst, und das ist oft noch schlimmer. Nichts alberneres, als zwei Menschen, die sich nicht leiden mögen, und die sich plötzlich in gezwungener Einsamkeit in einer dunkeln Grotte eng neben einander befinden, da brummt man was von schöner Natur und rennt aus einander, als müßte man die nächste Schönheit noch eilig ertappen, die sich sonst vielleicht auf flüchtigen Füßen davon machen möchte; und, siehe da, indem du dich bald nachher eine enge Felsentreppe hinauf quälst, kommt dir wieder die fatale Personage von oben herunter entgegen gestiegen, man muß sich sogar beim Vorbeidrängen körperlich berühren, eine nothgedrungene Freundlichkeit anlegen, und der lieben Humanität wegen recht entzückt sein über das herrlich romantische Wesen, um nur der leidigen Versuchung auszuweichen, jenen in den zauber- aber nicht wasserreichen Wasserfall hinab zu stoßen. Die Entdeckung und Anpflanzung der lombardischen Pappel, die weder Gestalt noch Farbe hat, ist den Verfertigern der schönen Natur sehr zu statten gekommen, ihrem Wirrwarr recht eilig auf die Beine helfen zu können. Das Zeug wächst fast zusehends, und nun haben unsre guten alten einheimischen Bäume das Nachsehn. Diese Pappeln sind mir in geraden und krummen Gängen gleich widerwärtig. Wie schön sind unsre alten Linden, die vormals so manche Landstraße zierten, wie erfreulich die ehrwürdigen Nußbäume der Bergstraße, und wie melankolisch sind die Pappelgassen, die sich um Carlsruh nach allen Seiten in das Land so finster hinaus strecken. In gebirgigen Gegenden, sagte Friedrich, scheint mir ein Garten, wie dieser hier, nicht nur der angemessenste, sondern auch ohne Frage der schönste, denn nur in diesem kann man sich von den erhabenen Reizen und großen Eindrücken erholen, die die mächtigen Berge beim Durchwandeln in uns erregen. Jedes Bestreben, hier etwas Romantisches erschaffen, und Baum und Waldgegenden malen zu wollen, würde jenen Wäldern und Felsenschluften, den wundersamen Thälern, der majestätischen Einsamkeit gegenüber nur albern erscheinen. So aber liegt dieser Garten in stiller Demuth zu den Füßen jener Riesen, mit ihren Wäldern und Wasserbächen, und spielt mit seinen Blumen, Laubengängen und Brunnen wie ein Kind in einfältigen Phantasien. Dagegen ist mir in einer der traurigsten Gegenden Deutschlands ein Garten bekannt, der allen romantischen Zauber auf die sinnigste Weise in sich vereinigt, weil er, nicht um Effekt zu machen, sondern um die innerlichen Bildungen eines schönen Gemüthes in Pflanzen und Bäumen äußerlich zu erschaffen vollendet wurde; in jener Gegend, wo der edle Herausgeber der Arethusa nach alter Weise im Kreise seiner liebenswürdigen Familie lebt; dieser grüne, herrliche Raum schmückt wahrhaft die dortige Erde, von ihm umfangen, vergißt man das unfreundliche Land, und wähnt in lieblichen Thälern und göttergeweihten Hainen des Alterthums zu wandeln; in jedem Freunde der Natur, der diese lieblichen Schatten besucht, müssen sich dieselben heitern Gefühle erregen, mit denen der sinnvolle Pflanzer die anmuthigste Landschaft hier mit dem Schmuck der schönsten Bäume dichtete, die auf sanften Hügeln und in stillen Gründen mannichfaltig wechselt, und durch rührende Reize den Sinn des Gebildeten beruhigt und befriedigt. Denn ein wahres und vollkommenes Gedicht muß ein solcher Garten sein, ein schönes Individuum, das aus dem eigensten Gemüthe entsprungen ist, sonst wird ihm der Vorwurf jener oben gerügten Verwirrung und Unerfreulichkeit gewiß nicht entstehn können. Die Damen machten schon Miene sich zu erheben, als Manfred rief: nur noch diese Flasche, meine Freunde, des lieblichen Constanzerweins, jedem ein volles Glas, und mit ihm trinke jeder eine Gesundheit recht von Herzen! Ernst erhub das flüssige Gold, und sagte nicht ohne Feierlichkeit: Wohlauf, er lebe, der Vater und Befreier unsrer Kunst, der edle deutsche Mann, unser Göthe, auf den wir stolz sein dürfen, und um den uns andre Nationen beneiden werden! Alle stießen an, und als Theodor an ein neuliches Gespräch erinnern wollte, rief Manfred: nein, Freunde, keine Kritiken jezt, alle Freude unsrer Jugend, alles was wir ihm zu danken haben, vereinigen wir in unserer Erinnrung in diesem Augenblick! Wilibald sagte: du hast Recht, der Moment begeisterter Liebe kann nur Liebe sein, und darum laßt uns Schillers Andenken mit seinem Namen vereinigen, dessen ernster groß strebender Sinn wohl noch länger unter uns hätte verweilen sollen. Ich trinke dieses Glas, sprach Anton bewegt, dem edelsten und freundlichsten Gemüth, dem liebenswürdigsten Greise, dem es wohl gehn solle, dem Weisen, der nie Sektirer war, dem kindlichen Jacobi, den uns ein sanftes Schicksal noch viele Jahre gönnen möge! Wir endigen unser Mahl feierlich, sagte Emilie, man kann sich der Rührung nicht erwehren, auf diese Weise an geliebte Abwesende zu denken. Ergeben wir uns, rief Manfred lebhaft aus, dieser schönen Bewegung, und darum stoßt an, und feiert hoch das Andenken unsers phantasievollen, witzigen, ja wahrhaft begeisterten Jean Paul! Nicht sollst du ihn vergessen, du deutsche Jugend. Gedankt sei ihm für seine Irrgärten und wundervollen Ersinnungen: möchte er in diesem Augenblick freundlich an uns denken, wie wir uns mit Rührung der Zeit erinnern, als er gern und mit schöner Herzlichkeit an unserm Kreise Theil nahm! Nie sei vergessen, rief Theodor mit einem Ernst, der an ihm nicht gewöhnlich war, das brüderliche Gestirn deutscher Männer, unser Friedrich und Wilhelm Schlegel, die so viel Schönes befördert und geweckt haben: des einen Tiefsinn und Ernst, des andern Kunst und Liebe sei von dankbaren Deutschen durch alle Zeiten gefeiert! So sei es denn erlaubt, sprach Lothar, einen Genius zu nennen, der schon lange von uns geschieden ist, der aber uns wohl umschweben mag, wenn alle Herzen mit innerlichster Sehnsucht und Verehrung ihn zu sich rufen: der große Britte, der ächte Mensch, der Erhabene, der immer Kind blieb, der einzige Shakspear sei von uns und unsern Nachkommen durch alle Zeitalter gepriesen, geliebt und verehrt! Alle waren in stürmischer Bewegung und Friedrich stand auf und sagte: ja, meine Geliebten, wie wir hier nur beisammen sind in Freundschaft und Liebe und dadurch eins, so umgiebt uns auch aus der Ferne das Angedenken edler Freunde, und ihre Herzen sind vielleicht eben jezt hieher gewendet; aber auch den Abgeschiedenen zieht unser Glaube andächtig zu unsern Mahlen, Freuden und Scherzen, mit Sehnsucht, Liebe und Freudenthränen herbei, und so beschließt sich am würdigsten ein heitrer Genuß; der Tod ist keine Trennung, sein Antlitz ist nicht furchtbar: opfert diese letzten Tropfen dem vielgeliebten Novalis, dem Verkündiger der Religion, der Liebe und Unschuld, er ein ahndungsvolles Morgenroth besserer Zukunft. Rosalie stieß stillschweigend und gerührt mit an: ihm sollen die Frauen danken, sprach sie leise und bewegt. Alle erhuben sich, die Freunde umarmten sich stürmisch und jedem standen Thränen in den Augen. Man ging schweigend in den Garten. * * * * * Die Gesellschaft saß um den größten Springbrunnen, der in der Mitte des Gartens spielte, horchte auf das liebliche Getön und fühlte in dieser Pause kein Bedürfniß, das Gespräch fort zu setzen; endlich sagte Clara: von allen Naturerscheinungen kommt mir das Wasser als die wunderbarste vor, denn es ist nicht anders, wenn man recht darauf sieht und hört, als wohne in ihm ein uns befreundetes Wesen, das uns versteht und sich uns mittheilen möchte, so klar und lockend schaut es uns an; es lacht mit uns, wenn wir fröhlich sind, es klagt und schluchzt, wenn wir trauern, es schwatzt und plaudert kindisch und thöricht, wenn wir uns zum Schwatzen aufgelegt fühlen, kurz, es macht alles mit; auch tönt ein rauschender Bach in der Einsamkeit der Gebirge wohl wie ein Orakel, von dem wir die prophetischen, tiefsinnigen Worte gern verstehn lernen möchten. Warlich, kein Glaube ist dem Menschen so natürlich, als der an Nixen und Wassernymphen, und ich glaube auch, daß wir ihn nie ganz abgelegen. Anton, der neben ihr saß, sah sie mit einem freundlichen, fast begeisterten Blicke an, weil dieses Wort die theuerste Gegend seines heimlichen Aberglaubens liebkosend besuchte; er wollte ihr etwas erwiedern, als Ernst das Wort nahm und sich so vernehmen ließ: nicht so willkührlich, wie es auf den ersten Anblick scheinen möchte, haben die ältesten Philosophen, so wie neuere Mystiker, dem Wasser schaffende Kräfte und ein geheimnißvolles Wesen zuschreiben wollen, denn ich kenne nichts, was unsre Seele so ganz unmittelbar mit sich nimmt, als der Anblick eines großen Stromes, oder gar des Meeres; ich weiß nichts, was unsern Geist und unser Bewußtsein so in sich reißt und verschlingt, wie das Schauspiel vom Sturz des Wassers, wie des Teverone zu Tivoli, oder der Anblick des Rheinfalls. Darum ermüdet und sättigt dieser wundervolle Genuß auch nicht, denn wir sind uns, möchte ich sagen, selbst verloren gegangen, unsre Seele mit allen ihren Kräften braust mit den großen Wogen eben so unermüdlich den Abgrund hinunter: das ist es auch, daß wir vergeblich nach Worten suchen, mit Vorstellungen ringen, um aus unsrer Brust die erhabene Erscheinung wieder auszutönen, um in Ausdrücken der Sprache die gewaltige Leidenschaft, den furchtbaren Zorn, den Trieb zur Vernichtung, das heftige Toben im Schluchzen und Weinen, das harte gellende Lachen in der tiefsinnigen Klage, vermischt mit uralten Erinnerungen, verwirrt mit den Ahndungen seltsamer Zukunft zu bilden und auszumalen, und keiner Anstrengung kann dieses Bestreben auch jemals gelingen. Da die Sprache schon so unzulänglich ist, sagte Lothar, so sollten es sich die Künstler doch endlich abgewöhnen, Wasserfälle malen zu wollen, denn ohne ihr sinnvolles, in tausendfachen Melodien abwechselndes Rauschen sehn auch die bessern in ihrer Stummheit nur albern aus. Dergleichen Erscheinungen, die keinen Moment des Stillstandes haben und nur in ewigem Wechsel existiren, lassen sich niemals auf der Leinwand darstellen. Darum, fuhr Friedrich fort, sind Teiche, Bäche, Quellen, sanfte blaue Ströme, für den Landschafter so vortreffliche Gegenstände, und dienen ihm vorzüglich, jene sanfte Rührung und Sehnsucht hervor zu bringen, die wir so oft beim Anblick des ruhigen Wassers empfinden. Die Menge der lebendigen rauschenden Brunnen, sagte Ernst, gehört zu den Wundern Roms, und sie tragen mit dazu bei, den Aufenthalt in dieser Stadt so lieblich zu machen. Entzückt uns in freier Landschaft oder in den Gärten das Spiel des Wassers, so ergreift uns neben Pallästen und Kirchen, im Geräusch der Straßen und Märkte, dieses tönende Rauschen und Sprudeln noch seltsamer. Ich kann nicht sagen, wie in der stillen Nacht der Abreise mich diese Brunnen rührten, denn mir dünkte, daß sie alle Abschied von mir nähmen, mir ein Lebewohl nachriefen, und mich an alle Herrlichkeiten dieser Hauptstadt der Welt so wehmüthig erinnerten; ich begriff in dieser Stunde nicht, wie ich mich vorher oft so innig nach Deutschland hatte sehnen können, denn schon bevor ich aus dem Thor gefahren war, sehnte ich mich herzlich nach Rom zurück, wie viel mehr nicht seitdem! So ist der Mensch, fiel Theodor ein, nichts als Inkonsequenz und Widerspruch! So hat Lothar uns heut weitläuftig auseinandergesetzt, mit welcher Heiterkeit und mit welchem ausgelassenen Witze sich ein Mahl beschließen müsse, und wir endigten es höchst unbedacht mit Rührung, was ganz gegen die Abrede war. Doch nicht minder gut, sagte Ernst, denn wir waren auch in dieser Bewegung fröhlich. Ich verstehe überhaupt die Freude der meisten Menschen nicht. Scheint es doch, als müßten sie alle Erinnerungen des wahren Lebens von sich entfernt halten, um nur in blinder Zerstreutheit auf kümmerliche Weise sich das anzueignen, was sie Ergötzung und Fröhlichkeit nennen. Die Fülle des Lebens, ein gesundes kräftiges Gefühl des Daseins bedarf selbst einer gewissen Trauer, um die Lust desto inniger zu empfinden, so wie diese Gesundheit die Tragödie erfunden hat, und auch nur genießen kann. Je schwächer der Mensch, je lebensmüder er wird, um so mehr hat er nur noch Freude am Lachen, und an dem kleinlichen Lustspiel neuerer Zeit. Geh dem aus dem Wege, der nur noch lachen mag und kann, denn mit dem Ernst und der edlen Trauer ist auch aller Inhalt seines Lebens entschwunden; er ist bös, wenn er etwas mehr als Thor sein kann. Je höher wir unser Dasein in Lust und Liebe empfinden, je lauter wir in uns aufjauchzen in jenen seltenen Minuten, die uns nur sparsam ein geizendes Schicksal gönnt, um so freigebiger und reicher sollen wir uns auch in diesen Sekunden fühlen; warum also in diesen schönsten Lebensmomenten unsre ehemaligen Freunde und ihre Liebe von uns weisen? Hat der Tod sie denn zu unsern Feinden gemacht? Oder ist ihr Zustand nach unsrer Meinung so durchaus bejammernswerth, daß ihr Bild unsre Lust zerstören muß? In jenen seligen Stimmungen möchte ich ausrufen: laßt sie zu uns, in unsre Arme, in unsre Herzen kommen, daß unser Reichthum noch reicher werde! Könnt ihr euch aber mit dem Glauben vertragen, daß sie vielleicht hülflos, auf lange in Wüsten hinaus gestoßen sind, o so laßt ihnen einige Tropfen von der Ueberfülle eurer Lust zufließen! Aber nein, du theurer geliebter Abgeschiedener, in diesen Empfindungen fühl' ich mich zu dir in den Zustand deiner Ruhe und Freude hinüber, und du bist mehr der meine, als nur je in diesem irdischen Leben, denn neben meiner ganzen Liebe gehört dir nun auch mein höchster Schmerz um dich, jener namenlose, unbegreifliche, jenes angstvollste Ringen mit dem fürchterlichsten Zweifel, als ob ich dich auf ewig verloren hätte; da hat meine Liebe erst alle ihre Kräfte aufrufen und erkennen müssen, da hab' ich dich erst im Triumph dem Tode abgewonnen, um dich nie mehr zu verlieren, und seitdem bist du ohne Wandel, ohne Krankheit, ohne Mißverständniß mein, und lächelst jedes Lächeln mit, und schwimmst in jeder Thräne: wo kann ich dich besser herbergen, als in diesem Herzen, wenn es der Freude geöffnet ist? Mit diesem Gaste sprech' ich nicht mehr zu ihr: was willst du? oder: du bist toll! denn sie ist durch deine holde Gegenwart edler, milder und menschlicher. Clara weinte, und Anton überließ sich seiner Wehmuth. Höre auf, rief dieser, ich fühle diese Wahrheit trotz ihrer Freundlichkeit zu schmerzlich, eben weil sie so ganz das Wesen meines Lebens ist. Was ist es nur, fing Clara nach einiger Zeit wieder an, das uns in der Heiligkeit des Schmerzes oft wie im Triumph hoch, hoch hinauf hebt, und das uns, möcht' ich doch fast sagen, mit der Angst eines Jubilirens befällt, eines tiefen Mitleidens, einer so innigen Liebe, eines solchen Gefühls, das wir nicht nennen können, sondern daß wir nur gleich in Thränen untergehn und sterben möchten? So ist es mir oft gewesen, wenn ich im Plutarch von den großen Menschen las, wie sie unglücklich sind, und wie sie ihre Leiden und den Tod erdulden, oder wie Timoleon sein Glück und Schicksal trägt. Das Leben möchte brechen vor Lust und Schmerz, und wenn dann ein Fremder fragt: was fehlt dir? so möchte man antworten: »o ich habe eine Welt zu viel! Warum kann ich in Demuth als Seufzer nicht für den verwehen, den ich so innig verehren muß?« Wer nicht auf diese Weise, sagte Friedrich, das Evangelium lesen kann, der sollte es nie lesen wollen, denn was kann er anders dort finden, als die höchste Liebe und ihre heiligen Schmerzen? Diese Begier sich aufzuopfern, sich ganz, ganz hinzuwerfen dem geliebten Gegenstande unsrer Verehrung, ist das Höchste in uns; es ruft aus uns über Jahrtausende hinüber: fühlst du mich denn auch? Siehe, du hast nicht umsonst gelebt, ich weiß von dir, nur ein Herold der Menschheit bin ich, nur ein Laut aus der unzählbaren Schaar! -- Sollte ein solches Gefühl nicht unmittelbare Gemeinschaft mit dem geliebten Wesen erzeugen können? Und so ist die Welt unser, fuhr Lothar heftig fort, wenn wir dieser Welt nur würdig sind! Aber leider sind wir meist zu träge und todt, um die zu bewundern, deren Leben ein Wunder war; denn nicht was unser leeres Erstaunen erregt, was wir nicht begreifen, sollten wir so nennen, sondern die Kraft jener Weltüberwinder, die über Schicksal und Tod siegten, diese Helden sollten wir als Wunderthäter verehren; unser äußerer Mensch versteht und faßt sie auch nicht, aber der innere fühlt sie, und in Andacht und Liebe sind sie ihm vertraut und mehr als verständlich. Alles, was wir wachend von Schmerz und Rührung wissen, sagte Anton, ist doch nur kalt zu nennen gegen jene Thränen, die wir in Träumen vergießen, gegen jenes Herzklopfen, das wir im Schlaf empfinden. Dann ist die letzte Härte unsers Wesens zerschmolzen, und die ganze Seele fluthet in den Wogen des Schmerzes. Im wachenden Zustande bleiben immer noch einige Felsenklippen übrig, an denen die Fluth sich bricht. Gewiß, fuhr Friedrich fort, sollten wir die Zustände des Wachens und Schlafens mehr als Geschwister behandeln, wir würden dann klarer wachen und leichter träumen. Suchen wir doch am Tage mit der Phantasie auf diesem Fuße zu leben, und wie viel könnten wir von ihr als Nachtwandlerin lernen, wenn wir sie als solche mehr achteten und beachteten. So finden wir auch in der alten Welt die Träume nicht so vernachläßigt, sondern aus ihren Ahndungen ging oft durch den Glauben der Menschen eine glänzende Wirklichkeit hervor. Wir träumen ja auch nur die Natur, sagte Ernst, und möchten diesen Traum ausdeuten; auf dieselbe Weise entfernt und nahe ist uns die Schönheit, und so wahrsagen wir auch aus dem Heiligthum unsers Innern, wie aus einer Welt des Traumes heraus. So könnte man denn wohl, unterbrach Theodor, aus witziger Willkühr mit der Wirklichkeit wie mit Träumen spielen, und die Geburten der Dunkelheit als das Rechte und Wahre anerkennen wollen. Thun denn so viele Menschen etwas anders? fragte Wilibald. Und thun sie denn so gar unrecht? antwortete Ernst mit neuer Frage. Wir gerathen auf diesem Wege, sagte Emilie, in das Gebiet der Räthsel und Wunder. Doch führt uns vielleicht der Versuch, alles umkehren zu wollen, am Ende selbst wieder in das Gewöhnliche zurück. Damit ich euch scheinbar kreuze, fiel Manfred ein, so bleiben nach meinem Gefühl Witz und Scherz immer etwas sehr Nüchternes, wenn sie nicht unter ihrer Verhüllung eine Wahrheit aussprechen können, so wie ich auch glaube, daß es keine Wahrheit giebt, der Witz und Scherz nicht das Lächerliche abgewinnen mögen. Lachen wir doch auch nur recht herzlich und gemüthlich, und wahrhaft nur ganz unschuldig, über unsre Freunde, die wir lieben, und derjenige, der sich noch nicht seinem Freunde zum Scherze gern hingegeben hat, hat noch keinen Freund recht von ganzer Seele geliebt; ja aus Aufopferungssucht hilft der Liebende selbst dem Spotte nach, und enthüllt freiwillig das Lächerliche in sich, um sich gleichsam dem Freunde zu vernichten; denn, um es heraus zu sagen, das Lachen ist den Thränen wohl näher verwandt, als die meisten glauben, endigt es doch auch, wie die Rührung, mit diesen. Ernst fuhr fort: der Satz, den wir so oft haben wiederholen hören: daß die Menschen die Lächerlichkeit fürchten, und daß deshalb der komische Dichter, oder Satiriker, oder wie sie ihn nennen mögen, diese allgemeine höchste Reizbarkeit der Menschen benutzen müsse, um sie zu bessern; dieser Satz ist gewiß in der Anwendung falsch, und an sich selbst nur einseitig wahr. Das Lächerliche, welches sich mit dem Verächtlichen verbindet, und welches so manche Dichter zur Verfolgung, und wo möglich Vernichtung, dieser oder jener sogenannten Thorheit, oder einer Meinung, oder Verirrung haben brauchen wollen, ist allerdings so gehässig und bitter, daß wohl zu keiner Zeit ein edler Mensch sich diesem Lächerlichen hat bloß stellen mögen, denn ein feindliches Wesen, das irgend ein Leben zu vernichten strebte, kämpfte in diesem wilden, anmaßlichen Lachen; auch gestehe ich gern, daß ich diesen sogenannten Satirikern, besonders der neuern Zeiten, niemals Freude und Lust habe abgewinnen können, ich weiß auch nicht, ob ich eben bei ihren Darstellungen gelacht habe. Eben so wenig mögen wir uns an der Stelle des Narren befinden, der seine Menschheit wegwirft und sich unter den Affen erniedrigt, um seinem rohen Herrn ein Schauspiel des Ergötzens darzubieten, von welchem der Edlere sich mit Ekel hinweg wendet. Es gehört schon ein höherer, ein wahrhaft menschlicher Sinn dazu, um auf die rechte Art und bei den richtigen Veranlassungen zu lachen, und wenn die Thräne dich wohl hintergehn kann, so kann dich das Lachen eines Menschen schwerlich über das Niedrige oder Edle seiner Gesinnung täuschen. Wie unterschieden ist aber von jener hassenden Bitterkeit und traurigen Verächtlichkeit die Lust der Freude, das Entzücken unsrer ganzen Seele, (in der sich wohl, wie Manfred wähnt, alle Urkraft des Wahren in uns ahndungsvoll mit erregen mag) wenn alle unsere Anschauungen und Erinnerungen in jenem wundersamen Strudel der Wonne auf eine Zeit untergehn, welcher die Töne des Gelächters aus der Verborgenheit herauf erschallen läßt. Erregt ein wahrer Schauspieler diesen Zustand in uns, so ist er uns ein hoch verehrtes Wesen, und so wenig gesellt sich ein Gefühl der Verachtung zu unserer Freude, daß wir im Gegentheil ihn als unsern Freund und Geliebten in unser innerstes Herz schließen; der Dichter, der diesen Strom der Lust in der Wüste aus dem Felsen schlägt, erscheint uns wunderthätig. Ja, ich behaupte, daß unsre Liebe, wenn sie einen Gegenstand wahrhaft lieben soll, an diesem irgend einen Schein des Lächerlichen finden muß, weil sie ihn dadurch gleichsam erst besitzt; auch daß wir keinen Freund oder keine Geliebte haben möchten, über die wir in keinem Augenblick ihres Daseins lachen oder lächeln könnten; der Held eines Gedichts ist erst dann unsers Herzens gewiß, wenn er uns einigemal ein stilles Lächeln abgenöthigt hat, und dies ist ein Theil der Zauberkraft Homers und der Nibelungen Helden. Sogar (und ich sage wohl nichts Widersinniges, wenn ich diese Meinung ausspreche), sogar den heiligsten und erhabensten Gegenständen ist dieses Gefühl so wie das des Mitleidens nicht nachtheilig und feindlich, oder hebt unsere Liebe und hohe Rührung auf, sondern wir können den heiligen Wahnsinn der großen Religionshelden bewundernd beweinen, und doch kann ein geheimes Lächeln über der Verehrung schweben, denn diese seltsame Regung erhebt sich zugleich mit allen Kräften aus den Tiefen der Seele; wir fühlen, wie so vielen Gemüthern das, was wir anbeten, nur belachenswerth sein dürfte, und weil diese vor den Augen unsers äußern Verstandes nicht Unrecht haben, und sich für diesen Zweifel auch eine geheime Sympathie in unserm innersten Wesen regt, so eilen wir so dringender mit unserer Verehrung und unserem Mitleid hülfreich und rettend hinzu, um in angstvoller Liebe an dem Gegenstande unserer Bewunderung ein höheres Recht auszuüben. Der alte Ausdruck von den Helden der Religion: »sie haben sich zu Thoren gemacht vor der Welt,« ist vortrefflich. Gewiß, sagte Manfred, ist das Lächerliche in seiner Tiefe noch niemals angeschaut und die wunderbare Natur des Witzes auch nur einigermaßen erklärt; wer wird uns denn noch einmal etwas deutlicheres darüber sagen können, warum wir lachen? Das Lachen an sich selbst ist den meisten Menschen nur eine leichte Sache, aber woher es kommt und wohin es geht, ist noch schwerer als vom Winde zu sagen. Hier hatte ich meinen Jean Paul in seiner Vorhalle zur Aesthetik erwartet, und gerade hier habe ich nur so wenig von ihm gefunden. Dieses Gespräch, sagte Theodor, erinnert mich an jene Unschuld des Komischen, welches ich immer allen andern bedeutenderen Arten des Lächerlichen vorgezogen habe. Ich meine jenes leichte Berühren aller Gegenstände, jenes gemüthliche Spiel mit allen Wesen und ihren Gedanken und Empfindungen, welches neben seiner kraftvollen kecken Darstellung einer der herrlichsten Vorzüge Shakspears ist, den man nicht leicht demjenigen deutlich machen kann, der im Witz nur eine Charade oder ein sinnreiches Räthsel sucht, der aus der Anwendung und dem Treffenden nach Außen erst rückwärts das Komische verstehn kann, und dem es leere Albernheit ist, wenn es ohne eine solche prosaische Bedeutung auftreten will. Von hier aus, meinte Wilibald, müsse es eine vortreffliche Ausbeugung in das wahre Gebiet der Albernheit und in die Gründe ihrer Rechtfertigung geben, denn diese triebe die Unschuld sogar so weit, daß sie selbst ohne alles Leben und also vielleicht am meisten poetisch lebendig sei; doch Lothar, ohne auf diesen Angriff zu achten, oder ihn zu bemerken, bemeisterte sich des Gespräches und fuhr so fort: Da unser ganzes Leben aus dem doppelten Bestreben besteht, uns in uns zu vertiefen, und uns selbst zu vergessen und aus uns heraus zu gehn, und dieser Wechsel den Reiz unseres Daseins ausmacht, so hat es mir immer geschienen, daß die geistigste und witzigste Entwickelung unserer Kräfte und unsers Individuums diejenige sei, uns selbst ganz in ein anderes Wesen hinein verloren zu geben, indem wir es mit aller Anstrengung unsrer geistigen Stimmung darzustellen suchen: mit einem Wort, wenn wir in einem guten Schauspiel eine Rolle übernehmen und uns bestreben, die Erscheinung des Einzelnen wie des Ganzen mit der höchsten Wahrheit und in der vollkommensten Harmonie hervor zu bringen. Es giebt wohl auch nur wenige Menschen, die dem Reiz dieser Versuchung auf immer widerstehn können, und wenn das Talent des Schauspielers auch selten sein mag, so ist die Lust zur Mimik doch fast in allen Menschen thätig. Wir haben diesem Triebe, fuhr Ernst fort, gewiß unendlich viel zu danken, unser innerlicher Mensch ahmt oft lange einen Gedanken, oder die Vortrefflichkeit einer Gesinnung, ja selbst eine Empfindung nur mimisch nach, bis wir, gerade wie die Kinder lernen, uns die Sache selbst durch Wiederholung und Angewöhnung zu eigen machen können. Vergessen wir nur nicht, sagte Wilibald verdrüßlich, daß aus demselben Triebe auch alle Affektation, Ziererei, Unnatürlichkeit, kurz, alles äffische Wesen im Menschen entspringt, so daß diese Sucht wenigstens eben so schädlich ist, als sie, was ich nicht beurtheilen kann, wohlthätig sein mag. Wir wollen diese Untersuchung fallen lassen, fuhr Lothar ungestört fort, da wir sie jezt doch nicht erschöpfen können; ich wollte nur auf die Bemerkung einlenken, wie es zu verwundern sei, daß es noch keinem von uns eingefallen ist, mit dieser zahlreichen und ohne Zweifel talentvollen Gesellschaft irgend ein dramatisches Werk, am liebsten eins von Shakspear, darzustellen. Welchen Genuß würde jedem von uns dieser Dichter gewähren, wenn wir eins seiner Lustspiele, zum Beispiel »Was ihr wollt,« bis ins Innerste studirten, und neben dem Vergnügen, welches das Ganze gewährt, auf das vertrauteste mit jeder einzelnen Schönheit und ihrer Beziehung und Nothwendigkeit zum Ganzen bekannt würden, und so mit vereinigter Liebe eins seiner herrlichsten Gedichte auch äußerlich vor uns hinzustellen suchten. Du hast ja diesen Einfall und Verstand für uns alle gehabt, versetzte Wilibald, auch kannst du zur Noth, wie Zettel, drei oder vier Rollen übernehmen. Schade nur, daß kein romantisch brüllender Löwe in diesem Lustspiel auftritt, um dein ganzes Talent zu entwickeln. Die Eintheilung der Rollen, antwortete Lothar, habe ich schon ziemlich übersehn: den Malvolio würdest du selbst unvergleichlich darstellen, unser Manfred übernähme den Tobias und ich den Junker Christoph; den liebenswürdigen Narren Theodor, und Friedrich den Sebastian, Ernst den Antonio, Anton den Herzog; Auguste würde zierlich und witzig die Marie geben, Rosalia unvergleichlich die Viola und Clara höchst anmuthig die Olivia; alles übrige findet sich von selbst. Wie kommt es nur, sagte Theodor, daß eine geistreiche Gesellschaft, ohne Rollen auswendig zu lernen, niemals auf den Gedanken verfällt, aus sich selbst unter gewissen angenommenen Bedingungen und Masken ein poetisches Lustspiel ohne vorgezeichnete Ver- und Entwickelung auszuführen? Der eine wäre der mürrische, mit sich und aller Welt unzufriedene Liebhaber, der andere der Eifersüchtige, jener der leichtsinnig Flatterhafte, dieser der Melankolische; die Damen theilten sich in witzige und zärtliche Charaktere, und alle suchten ihrer angenommenen Rolle treu zu bleiben, um Heiterkeit und Geselligkeit zu erregen und zu befördern. Warum streben wir in unsern Gesellschaften immer das eine ermüdende Bild eines negativen wohlgezogenen Menschen darzustellen, oder uns in hergebrachter Liebenswürdigkeit abzuquälen? Die wahre gute Gesellschaft, sagte Ernst, thut schon unbewußt das, was du verlangst, und verwechselt auch mit Leichtigkeit die verschiedenen Rollen. Sonst erinnert deine Beschreibung an manche ehemaligen gelehrten Gesellschaften, und an die verschiedenen charakteristischen Beinamen ihrer Mitglieder. Eine, wie die andre Darstellung, sagte Emilie, möchte für uns Frauen beschwerlich, wo nicht unmöglich sein, aber ich war schon gestern auf dem Wege, Ihnen einen andern Vorschlag zu thun. Ich weiß, daß Sie alle Dichter sind, und höre von Manfred, daß Sie glücklicherweise manche Ihrer Arbeiten mitgebracht haben; wie wäre es also, wenn Sie uns diese nach Lust und Laune mittheilten, und so manche Stunde angenehm ausfüllten, die uns die Musik, oder die Besuche und Spaziergänge übrig lassen? O vortrefflich! rief Clara aus, und dann wollen wir Mädchen und Frauen nach der Lektüre die Rezensenten spielen, und uns über alles lustig machen, was wir nicht verstanden, oder was uns nicht gefallen hat. Rosalie fügte ihre Bitten zu denen ihrer Mutter, auch Auguste vereinigte sich mit beiden, und als Lothar die Freunde stillschweigend ein Weilchen angesehn hatte, schlug sich auch Manfred zu der Parthei der Damen und rief: o ich bitte euch so inbrünstig, als man nur bitten kann, schlagt uns diesen bittenden Vorschlag nicht ab, denn schon längst habe ich Lust gehabt, einige meiner Thorheiten euch und diesen guten wißbegierigen Frauen mitzutheilen, und keine Gelegenheit dazu gefunden; o ihr Edlen, wenn ihr eine Ahndung davon habt, wie sehr dem Dichter sein Manuskript in der Tasche brennen kann, wenn ihn Niemand darum befragt, so laut man es auch rascheln hört, wenn ihr selbst jemals gerne vorgelesen habt, o so seid nicht so grausam, mir diesen Genuß zu rauben, und mein poetisch beladenes Herz auszuschütten. Aber vielleicht sind einige von Euch in derselben Verfassung. Lothar lachte und sagte: der Dichter theilt sich gern mit, vorzüglich in einem Kreise, wie der gegenwärtige ist. Wir führen wirklich einige Jugendversuche mit uns, die wir zum Theil vor kurzem vollendet und übergearbeitet haben, und wenn unsre Rezensenten nicht zu strenge sein wollen, so überwinden wir vielleicht die Furcht, diese Bildungen nach so manchem Jahre wieder auftreten zu lassen. Als die Frauen eifrig darauf antrugen, sogleich mit irgend einer Erzählung den Anfang zu machen, rief Wilibald aus: halt! ich protestire mit aller Macht gegen diese Uebereilung und Anarchie! denn wie könnte ein wahrer Genuß entstehn, wenn wir es dem Zufall so ganz überließen, in welcher Folge unsre Versuche auftreten sollten? In allen Dingen ist die Ordnung zu loben, und so laßt uns nachdenken, auf welche Art und Weise wir dieser Unterhaltung durch eine gewisse Einrichtung etwas mehr Würze geben können. So möge denn auch hier, sagte Lothar, eine Art von dramatischer Einrichtung statt finden. Sei jeder von uns nach der Reihe Anführer und Herrscher, und bestimme und gebiete, welcherlei Poesien vorgetragen werden sollen, so steht zu hoffen, daß solche sich vereinigen werden, die durch eine gewisse Aehnlichkeit freundschaftlich zusammen gehören. Diese Einrichtung, wandte Manfred ein, ist vielleicht zu gefährlich, weil sie an den Boccaccio erinnern dürfte. Sie erinnert, sagte Ernst, fast an alle italiänischen Novellisten, die mit minder oder mehr Glück von dieser Erfindung Gebrauch gemacht haben. Doch werden Sie, sagte Emilie, uns in andrer Hinsicht nicht an diesen berühmten Autor erinnern wollen, denn gewiß verschonen Sie uns mit dergleichen ärgerlichen und anstößigen Geschichtchen, deren er nur zu viele erzählt. Wir können dergleichen wohl nicht so ganz unbedingt versprechen, antwortete Manfred, wenn wir uns nicht darüber erst etwas verständigt haben, was wir ärgerlich oder anstößig nennen wollen. Davor, daß wir keine Erzählungen, die ihm ähnlich oder nachgeahmt sind, vortragen werden, sind Sie hinlänglich gesichert, denn es erfordert das glänzende Talent seiner gediegenen, scharfen und bestimmten Darstellung, welche nie zu viel oder zu wenig sagt, die nichts verhüllt und doch immer von den Grazien gelenkt wird, um dergleichen allerliebste Seltsamkeiten vorzutragen: alle seine Nachahmer, selbst den Bandello nicht ausgenommen -- gar des ganz verunglückten französischen La Fontaine oder des neueren Casti zu geschweigen -- bleiben weit hinter ihm zurück, sei nun von Styl, Erfindung oder Schmuck des Gegenstandes die Rede. Doch abgesehn davon, muß ich bezweifeln, daß der Dekameron gebildeten und freundlichen Gemüthern wirklich anstößig sein könnte. Diesen Zweifel verstehe ich nicht, sagte Anton, da er das zartere Gemüth und die höhere Stimmung doch nur zu oft verletzt. Wie man es eben nimmt, antwortete Manfred. Wir stehn hier auf der Stelle, auf welcher sich der Dualismus unserer Natur und Empfindung am wunderbarsten, reichhaltigsten und grellsten offenbart. Sich den Witz und die Schalkheit der Natur im Heiligsten und Lieblichsten verschweigen wollen, ist vielleicht nur möglich, wenn man geradezu Karthäuser wird, und vom Schweigen und Verschweigen Profession macht. Wenn der Frühling sich mit allen seinen Schätzen aufthut, und die Blumen gedrängt um dich lachen, so kannst du dich in deiner rührenden Freude nicht erwehren, ihre Gestalten zu beobachten und manche Erinnerungen an diese zu knüpfen, ja selbst die holdselige Rose ruft dir erröthend die räthselhaften Reime alter Dichter entgegen, und sie wird dir darum nicht unlieber; so fallen dir wohl gar bei andern farbigen Kindern der Sonne die unbescheidenen Namen ein, welche die Königin im Hamlet verschweigt, -- ^-- crow -- flowers, nettles, daisies, and long purples,^ ^That liberal shepherds give a grosser name,^ ^But our cold maids do dead men's fingers call them.^ Welche Verse, sagte Lothar, Schlegel nicht hätte auslassen sollen. Doch dies nur im Vorbeigehn: fahre fort. So wunderbar und noch mehr, begann Manfred wieder, ist es mit der Liebe. Es giebt eine solche Heiligkeit dieses Gefühls, eine so wundersame paradisische Unschuld, daß im Unbewußtsein, in der Unkenntniß der gegenseitigen Liebe wohl oft die höchste Seligkeit ruht; der erste erwachende, sich begegnende Blick hat diesen Frühling entlaubt, und das erste Wort des Geständnisses kann der Tod dieser stillen Wonne sein. Nirgend fühlt der Mensch so sehr, wie er verlieren muß, um zu gewinnen, wie jedes Glück ein Geheimniß ist, welches angerührt und ausgesprochen seine Blüte abwirft. Friedrich stand schnell auf und schien von wunderbaren Gedanken ergriffen; man sah ihn im Buchengange auf und nieder wandeln, indem er sich öfter die Augen abtrocknete; Manfred aber fuhr so fort: wie es wohl Menschen mag gegeben haben, die schon mit diesem ersten Seufzer die Blume ihres Lebens verloren, so ist es doch natürlicher und wahrer, sich auch in dieser wundervollen Lebensgegend, so wie bei allen Dingen mit einem gewissen Heroismus zu waffnen, und früh zu erfahren, daß wir alles, was wir besitzen, nur durch den Glauben besitzen, und daß am wenigsten die Liebe eine bloße Begebenheit in uns sei, sondern daß sie, wie alles Gute, von unserm Willen abhängt; denn von ihm geht sie aus, nachher wird er zwar von ihr bezwungen und gebrochen, kann aber späterhin nur durch ihn allein als Liebe dauern und bestehn. Ein solcher Sinn und kräftiger aber frommer Wille verliert des Herzens Unschuld nie, der Scherz ist ihm nur Scherz, und er wird nicht anstehn, auch mit dem zu tändeln, was ihm das Heiligste und Liebste ist, denn wahrlich dem Reinen ist alles rein. Diese Beschreibung, sagte Ernst, charakterisirt die gesunde Zeit unsers deutschen Mittelalters, als neben den Nibelungen und dem Titurell der süße Tristan seinen Platz in aller Herzen fand, und auch neben diesen großen Liebesgedichten so viele muntre und schalkhafte Erzählungen. Die später auftretende übersinnliche, oder außersinnliche Liebe, war noch nicht von der sinnlichen getrennt, sondern sie waren wie Leib und Seele verbunden, in der höchsten Vergeistigung gesund, in dem freiesten Scherze unschuldig. Warum, fuhr Manfred fort, würde denn die Liebe allmächtig genannt? Sie wäre ja ohnmächtig, wenn sie nicht die scheinbar äußersten Enden freundlich verknüpfen könnte. Könnte sie den unendlich mannichfaltigen Zauber denn wohl ausüben, wenn sie nicht Alles besäße, und sich nicht, eben wie die Geliebte, mit allen Reizen dem sehnsüchtigen Herzen ergäbe? Der verdorbene Mensch kann deshalb auch nicht den Scherz der Liebe und ihren Dichter verstehn, er faßt nicht das holde Wesen, welches sich dem Höchsten und Geistigsten zum scheinbaren Kampfe gegenüber stellt, so sehr er auch einzig diesem Spiele nachjagt, welches begeisterte Dichter damit trieben, und der Liebende kennt freilich nichts Verhaßteres als diese Menschen und ihre Gesinnungen, die im Herzen seines Lebens mit ihm zusammen zu treffen scheinen. Daher, sagte Ernst, der mißverstandene Spott dieser niedrigen Menschen über die Hochgestimmten und ihre Liebe, daher die scheinbare Waffenlosigkeit dieser Unschuldigen, und bei ihrem Reichthum ihre unbeholfene Beschämung von jenen Bettlern. Diese Uneingeweihten lästern die Liebe und alles Göttliche, und sind von allem Scherz und Spiel, auch wenn sie witzig zu sein scheinen, weit entfernt, denn sie sind in Kampf und Krieg gegen die Sehnsucht nach dem Ueberirdischen. Um nun auf das Vorige einzulenken, so lebte Boccaz freilich schon an der Gränze jener heroischen Zeit, als die Menschheit, weniger gesund, sich aus der Tragödie und dem großen Epos mehr nach dem Lustspiel und der Parodie sehnte, als die Trennung des Gemüthes sich schon schärfer gegenüber stand, und eine kräftiger robuste Malerei den sanften Schmelz und die stille Harmonie der alten großsinnigen Gemälde verdunkelte. Sein Dekameron ward deshalb nach einiger Zeit das Lieblingsbuch aller Nationen, und die komische, lächerliche und niedrigere Natur der Liebe ward immer mehr gesungen, gepriesen und gefühlt, ihr holdes Wesen schien immer tiefer zu entarten, und immer mehr den Menschen dem Thiere näher zu führen, (indeß nun diesem Streben gegenüber schon die ganz reine, überirdische Idee der Liebe, oft bis zum Götzendienste entstellt, sich auszubilden suchte) bis wir in Peter Aretins und Brantome's Schriften endlich die kalte Frechheit ohne allen Reiz und Grazie auftreten sehn. Doch kann diese Beschuldigung nicht den Boccaz und seine freien Scherze treffen, denn in ihm regt sich und spricht der edle und vollständige Mensch, der zwar ohne ängstliche Züchtigkeit, aber nicht ohne Schaam ist, der wie Ariost immer die Schönheit fühlt und singt, und der nur jene frecheren Blumen nicht zu seinem Kranze verschmäht, sondern sie im Gegentheil gern so reicht und flicht, daß ihr symbolischer Sinn unverholen in die Augen fällt. Sein Buch kann uns also wohl nicht leicht verletzen; aber freilich müssen wir jezt, da verdorbene Generationen und Bücher voran gegangen sind, und edlere Menschen die Verwerflichkeit mancher schaamlosen Produkte eines Diderot, Voltaire und andrer einsahn, um nur den Ruhm der Züchtigkeit zu empfangen, auch den Schein einer gewissen Prüderie beibehalten, die das Zeitalter einmal zum Kennzeichen der Sitte gestempelt hat. So hat der Mensch nach überstandener Krankheit noch lange das Ansehn eines Kranken, und muß auf einige Zeit noch etwas von dessen Diät beibehalten. Eben so verbreitete sich in England nach einem Zeitalter der Zügellosigkeit, von der Sekte der Puritaner aus, eine Aengstlichkeit und steife Feierlichkeit der Sitte, die seitdem noch immer das Wort führt, so daß ein gesittetes Mädchen oder eine züchtige Frau von jezt oder aus Shakspears Zeit zwei im Aeußern sehr verschiedene Wesen sein mögen. Die Reformation hatte in Deutschland schon früher eine ähnliche Stimmung hervor gebracht, und auch die katholischen Provinzen bestrebten sich seitdem, eine strengere Sitte zur Schau zu tragen, um von dieser Seite die Vorwürfe ihrer Gegner zu entkräften. Fast allenthalben aber werden wir nur Heuchelei statt der Züchtigkeit gewahr, denn wenn die ehrbaren Herren unter sich sind, ergötzen sie sich um so lebhafter an der rohesten und unsittlichsten Frechheit, und weil der öffentliche Scherz und die Gegenwart der Grazien und Musen, so wie die liebenswürdigen Weiber von diesen Orgien völlig ausgeschlossen sind, so sind sie nun in ihrer Einsamkeit um so niedriger und verächtlicher geworden, am schlimmsten, wenn sie das Gewand der Moral umlegen, und wehe dem Zarteren, der das Unglück hat einem Ottern- und Krötenschmause beiwohnen zu müssen, den sich eine solche tugendhafte Gesellschaft giebt, die darauf ausgeht, recht vollständig ihren Haß gegen die Untugend an den Tag zu legen. Als in Spanien, sagte Lothar, ein etwas zu strenger Geist in der Poesie zu herrschen anfing, und Cervantes die frühere Celestina als zu frei tadelte, als man in Frankreich und Italien die schaamlosesten Werke las und schrieb, und in Deutschland sich kaum noch Spuren von Witz oder Unwitz antreffen ließen, erhob der edle Shakspear, das, was so viele hatten verächtlich machen wollen, wieder zum Scherz, geistreichen Witz und zur Menschenwürde, und dichtete seine schalkhaften Rosalinden und Beatricen, die freilich unser jetziges verwöhntes Zeitalter ebenfalls anstößig findet. Was ist es denn, was uns wahrhaft anstößig, ja als Menschen unerträglich sein soll? rief Friedrich, der wieder zur Gesellschaft getreten war, im edlen Unwillen aus. Nicht der freieste Scherz, noch der kühnste Witz, denn sie spielen nur in Unschuld; nicht die kräftige Zeichnung der thierischen Natur im Menschen und ihrer Verirrung, denn nur als solche gegeben, spricht sie niemals unserm edleren Wesen Hohn: sondern dann soll sich unser Unwille erheben und ohne alle Duldung aus uns sprechen, wenn ein Sophist uns sagen will, und in jeder Dichtung beweisen, daß gegen die Sinnenlust keine Tugend, Andacht oder Seelenerhebung bestehen könne. Ein solcher durchaus zu verwerfender ist der jüngere Crebillon, und nicht ist jener Deutsche, der ihn so vielfältig nachgeahmt und die edlere Natur des Menschen verkannt hat, von dem Vorwurf einer verdorbenen Phantasie und eines zu nüchternen Herzens frei zu sprechen: für schwache Wesen, (aber auch nur für solche) können diese beiden Schriftsteller allerdings gefährlich werden, so sehr sich auch der letzte gegen diese Beschuldigung zu verwahren gesucht hat, denn nicht darin besteht das Verderbliche, daß man das Thier im Menschen als Thier darstellt, sondern darin, daß man diese doppelte Natur gänzlich läugnet, und mit moralischer Gleißnerei und sophistischer Kunst das Edelste im Menschen zum Wahn macht, und Thierheit und Menschheit für gleichbedeutend ausgiebt. Seine Bücher, sagte Emilie, haben mich immer zurück geschreckt, und ich habe früher meinen Töchtern lieber manche andre erlaubt, die nicht in so gutem Rufe stehn, denn gerade ihre weichliche Zierlichkeit habe ich für schädlich gehalten. Ich hoffe, jezt können sie auch diese ohne allen Nachtheil lesen, da ihr Geist gestärkt ist, und ihr Sinn das Edlere erstrebt. Mit Recht, sagte Manfred, macht Jean Paul Thümmeln den Vorwurf, daß er zu unsauber sei (denn dessen Reisen gehören recht zu jenen eben gerügten Werken, und die Bekehrung des lockern Passagiers in den letzten Bänden ist noch die schlimmste Sünde des Autors); ich aber möchte unserm witzigen Jean Paul mit demselben Rechte einen andern Vorwurf machen, daß er zwar nicht zu keusch, wohl aber zu prüde sei. Ein Autor, der so das Gesammte der Menschennatur, das Seltsamste, Wildeste und Tollste in seinen humoristischen Ergießungen aussprechen will, darf in diesen Regionen des Witzes und der Laune kein Fremdling sein, oder aus mißverstandner Moral mit der Unzucht und Unsitte auch die Schalkheit verachten wollen. Noch seltsamer aber, daß er die medizinischen und wahrhaft ekelhaften Späße liebt, die kaum Witz zulassen und meist nur Widerwillen erregen, wenn man nicht die Feder des Rabelais besitzt, der freilich wohl sein Kapital von der ^Gaya Ciencia^ schreiben durfte. Aber, theure Emilie, und Gattin und Schwestern, um auf das zurück zu kommen, wovon wir ausgingen, so mag freilich wohl hie und da in unsern Dichtungen (vielleicht nur in meinen, der ich ein oder zweimal das Hausrecht brauchen und den Wirth spielen möchte) etwas vorkommen, was die übertriebene Delikatesse kränkelnder Menschen (ich meine dich, Anton, nicht hiemit) anstößig finden möchte, was aber, hoffe ich, nach dem in unserm Gespräch angegebenen Unterschied keinem gebildeten und heitern Menschen ärgerlich werden kann. Wir wollen aber weder zu viel versprechen noch drohen, sondern laßt uns vielmehr beginnen, und wählt also, ihr Frauen, denjenigen aus, welcher zuerst der Anführer und Gebieter im Felde unsrer poetischen Spiele und Wettkämpfe sein soll. Clara gab ihren Blumenstrauß dem neben ihr sitzenden Anton und sagte: Sie haben fast immer geschwiegen, sprechen Sie nun. Anton verbeugte sich und heftete die Blumen an seine Brust: so wollen wir denn, sagte er, mit Mährchen der einfachsten Composition beginnen, und jeder bringe morgen das seinige vor unsre Richter. Mit Mährchen, sagte Clara, fängt das Leben an; in ihnen entwickelt sich das Gefühl der Kinder zuerst, und ihre Spiele und Puppen, ihre Lehrstunden und Spaziergänge werden von ihrer Phantasie zu Mährchen, die ich noch immer ganz vorzüglich liebe, das heißt, wenn sie so sind, wie ich sie liebe. So gebe die Muse, daß Ihnen die unsrigen wohl gefallen, sagte Anton. Indem stand die Gesellschaft auf, um vom nächsten Hügel den schönen Untergang der Sonne zu genießen. Auch ein Mährchen, sagte Rosalie, indem sie die Hand vor die Augen hielt, und dem blendenden Scheine nachsah; so wie der Frühling und die Pracht der Blumen, es blüht auf in aller Fülle und Herrlichkeit, der Schatten faßt den Glanz und zieht ihn hinab, und wir schauen ihm sehnsuchtsvoll nach. So wie dem Mährchen-Gedicht der Schönheit, sagte Anton; und Friedrich fügte hinzu: doch bleibt unser Herz und seine Liebe die unwandelbare Sonne. -- * * * * * Ein glänzender Sternenhimmel stand über der Landschaft, das Rauschen der Wasserfälle und Wälder tönte in die ruhige Einsamkeit des Gartens herüber, in welchem Theodor auf und nieder ging und die Wirkungen bewunderte, welche das Licht der Sterne und die letzten goldnen Streifen des Horizontes in den springenden Quellen hervorbrachten. Jezt ertönte Manfreds Waldhorn aus dessen Zimmer und die melankolischen durchdringlichen Töne zitterten vom Gebirge zurück, als Ernst, der von den Hügeln herunter kam, durch das Thor des Gartens trat, und sich zu dem einsamen Theodor gesellte. Wie schön, fing er an, schließt diese heitre Nacht die Genüsse des Tages; die Sonne und unsre Geliebten sind zur Ruhe, Wälder und Wasser rauschen fort, die Erde träumt, und unser Freund gießt noch einen herzlichen Abschied über die entschlummerte Natur hin. Anton, sagte Theodor, schläft auch noch nicht, er sitzt im Gartensaale und schreibt ein Gedicht, welches unsern Vorlesungen als Einleitung oder Vorrede dienen soll. Seine Genesung wird sich hier ganz vollenden. Ich hoffe, sagte Ernst, auch Friedrich soll genesen; ich hege das schöne Vertrauen, daß unser aller Freundschaft sich hier noch fester knüpfen und für die Ewigkeit härten wird. Sieh, mein Geliebter, das Flimmern in lauer Luft dieser vergänglichen flüchtigen Leben, die wie Diamanten durch das dunkle Grün der Gebüsche zucken, und bald in zitternden Wolken, bald einzeln schimmernd, wie sanfte Töne, unsre Rührung wecken, -- und über uns den Glanz der ewigen Gestirne! Steht nicht der Himmel über der stillen dunkeln Erde wie ein Freund, aus dessen Augen Liebe und Zuversicht leuchten, dem man so recht mit ganzem Herzen in allen Lebensgefahren und allem Wandel vertrauen möchte? Diese heilige ernste Ruhe erweckt im Herzen alle entschlafenen Schmerzen, die zu stillen Freuden werden, und so schaut mich jezt groß und milde mit seinem menschlichen Blick der edle Novalis an, und erinnert mich jener Nacht, als ich nach einem fröhlichen Feste in schöner Gegend mit ihm durch Berge schweifte, und wir, keine so nahe Trennung ahndend, von der Natur und ihrer Schönheit und dem Göttlichen der Freundschaft sprachen. Vielleicht da ich so innig seiner gedenke, umfängt mich sein Herz so liebend, wie dieser glühende Sternenhimmel. Ruhe sanft, ich will mich auf mein Lager werfen, um ihm im Traum zu begegnen. Die Freunde trennten sich. Da erhub eine Nachtigall ihr klagendes Lied aus voller Brust, und zündete, wie eine Feuerflamme, rings in den Gebüschen die Töne andrer Sängerinnen an; aus einer Jasminlaube erklangen die Laute einer Guitarre, und der glückliche Friedrich wollte sein Leid, diese Phantasie singend, besänftigen: Wenn in Schmerzen Herzen sich verzehren, Und im Sehnen Thränen uns verklären, Geister: Hülfe! rufen tief im Innern, Und wie Morgenroth ein seliges Erinnern Aufsteigt aus der stillen dunkeln Nacht, Alle rothen Küsse mitgebracht, Alles Lächeln, das die Liebste je gelacht, O dann saugt mit ihrem Purpurmunde Himmels-Wollust unsre Wunde, Sie entsaugt das Gift, Das vom Bogen dunkler Schwermuth trifft. Wie die kleinen fleißgen Bienen Gehn, um Blumenlippen zu benagen, Wie sich Schmetterlinge jagen, Wie die Vögel in dem grünen Dunkeln Springen, und die Lieder tönen, Also gaukeln, flattern, funkeln Alle Worte, alle Blicke, süße Mienen Von der schönsten einzgen Schönen, Und in tiefer Winternacht Lacht und wacht um mich des Frühlings Pracht, Und die Schmerzen scherzen mit den Zähren, Und im Weinen scheinen mild sich zu verklären Leiden in den Freuden, Wonnen in dem Gram, Wie in der holden Braut die Liebe kämpft mit Schaam, Und Leid und Lust nun muß vereinigt ziehen Und schweben nach der Liebe süßen Harmonien. Erste Abtheilung. 1811. Die Gesellschaft stand vom Tische auf und ging in den Garten, um die Luft zu genießen, welche am Morgen ein Gewitter lieblich abgekühlt hatte. Nun, sagte Clara, sind Sie alle Ihres Versprechens eingedenk gewesen? Wo sind die Mährchen? Du bist sehr eilig, sagte Manfred, weißt du doch nicht, ob sie dir wirklich Freude machen werden. Sie müssen, antwortete sie lachend, wenn ich nicht auf die Autoren sehr ungehalten werden soll. Es ist schwer, sagte Anton, zu bestimmen, worin denn ein Mährchen eigentlich bestehen und welchen Ton es halten soll. Wir wissen nicht, was es ist, und können auch nur wenige Rechenschaft darüber geben, wie es entstanden sein mag. Wir finden es vor, jeder bearbeitet es auf eigne Weise und denkt sich etwas anderes dabei, und doch kommen fast alle in gewissen Dingen überein, selbst die witzigen nicht ausgenommen, die jenes Colorit nicht ganz entbehren können, jenen wundersamen Ton, der in uns anschlägt, wenn wir nur das Wort Mährchen nennen hören. Die witzigen, sagte Clara, sind mir von je verhaßt gewesen. So habe ich den Hamiltonschen nie viel Geschmack abgewinnen können, so berühmt sie auch sind; die dahlenden im Feen-Cabinet zogen mich vor Jahren an, um mich nachher desto gründlicher zu ermüden und zurück zu stoßen, und unserm Musäus bin ich oft recht böse gewesen, daß er mit seinem spaßhaften Ton, mit seiner Manier, den Leser zu necken, und ihm queer in seine Empfindung und Täuschung hineinzufallen, oft die schönsten Erfindungen und Sagen nur entstellt und fast verdorben hat. Dagegen finde ich die arabischen Mährchen, auch die lustigen, äußerst ergötzlich. Es scheint, sagte Anton, Sie verlangen einen still fortschreitenden Ton der Erzählung, eine gewisse Unschuld der Darstellung in diesen Gedichten, die wie sanft phantasirende Musik ohne Lärm und Geräusch die Seele fesselt, und ich glaube, daß ich mit Ihnen derselben Meinung bin. Darum ist das Göthische Mährchen ein Meisterstück zu nennen. Gewiß, sagte Rosalie, in so fern wir mit einem Gedicht zufrieden sein können, das keinen Inhalt hat. Ein Werk der Phantasie soll zwar keinen bittern Nachgeschmack zurück lassen, aber doch ein Nachgenießen und Nachtönen; dieses verfliegt und zersplittert aber noch mehr als ein Traum, und ich habe deshalb das herrliche Mährchen von Novalis, so weit ich es verstehn konnte, diesem weit vorgezogen, welches auch alle Erinnerungen anregt, aber uns zugleich rührt und begeistert und den lieblichsten Wohllaut in der Seele noch lange nachtönen läßt. Du hast hiemit zugleich, sagte Manfred, die große Mährchenwelt des Ariost getadelt, dem es auch an einem Mittelpunkte und wahrem Zusammenhange gebricht. Die Frage ist nur, ob ein Gedicht schon vollendet ist, dessen einzelne Theile es sind, und in wie fern die Seele dann bei einer so vielseitigen Composition jene Foderung eines innigeren Zusammenhanges vergessen kann. Diese Frage, fiel Ernst ein, kann gar nicht Statt finden, denn diese Theile sind ja nur durch das organische Ganze Theile zu nennen, können aber ohne dieses im strengeren Sinne nur Fragmente von und zu Gedichten heißen und als solche geliebt werden. Bei aller dieser scheinbaren Vortrefflichkeit fehlt die beherrschende ordnende Seele, die der flüchtigen Schönheit den ewigen Reiz geben muß. Der Dichter will Es soll sich sein Gedicht zum Ganzen ründen, Er will nicht Mährchen über Mährchen häufen, Die reizend unterhalten und zuletzt Wie lose Worte nur verklingend täuschen. Ich kenne dich und Friedrich schon, sagte Manfred, als Rigoristen und Ketzermacher, aber ich und Theodor werden euch zu gefallen den Ariost nicht anders wünschen, als er nun einmal ist, die Reise nach dem Monde und den Evangelisten Johannes ausgenommen, denn beide sind für diese so kühne Fiktion etwas zu matt ausgefallen. Ueber diesen Dichter, sagte Anton, dürfte sich ein langer Streit entspinnen, der sich nur schwer beilegen ließe; sein Werk besteht, strenge genommen, nur aus Novellen, von denen er die längsten an verschiedenen Stellen mit scheinbarer Kunst durchschnitten hat, dasjenige, was alle verbindet, ist ein gleichförmiger Ton lieblichen Wohllauts; ich möchte also ebenfalls behaupten, daß sein Gedicht eigentlich weder Anfang, Mitte noch Ende hat, so wie ich davon fest überzeugt bin, daß nur wenige Verehrer, selbst in Italien, ihn oftmals von Anfang zu Ende durchgelesen haben, so sehr auch alle mit den einzelnen berühmten und anlockenden Stellen vertraut sind. Es giebt, sagte Lothar, eine Gattung der Poesie, welche ich, ohne damit ihrer Vortrefflichkeit zu nahe treten zu wollen, die bequeme oder erfreuliche nennen möchte, und in dieser stelle ich den Ariost oben an. Sehn wir auf großer Ebene den hohen weit ausgespannten blauen Himmel über uns, so erschreckt und ermüdet in seiner Reinheit dieser Anblick; doch wenn Wölkchen mit verschiedenen Lichtern in diesem blauen Kristalle schwimmen, wenn die Sonne sich neigt, und unten am Horizont wie über uns die lebendigen Düfte in vielfachen Schimmer sich tauchen, dann erfüllt ein liebliches Ergötzen unsre Seele. So wollen wir die große Wiese mit Gebüschen und Bäumen unterbrochen sehn, und auf gleiche Weise fühlen wir in unsrer nächsten Umgebung, in unserm Hause, am dringendsten das Bedürfniß einer gewissen Kunst. Die weißen leeren Wände unsrer Zimmer und Säle sind uns unleidlich, Arabesken, Blumen, Thiere und Früchte umgeben uns in gefärbten und vielfach durchbrochenen Linien und Flächen mit mancherlei Gestalt, und selbst der Fußboden muß sich zum Schmuck und zur anständigen Zier zusammen fügen. Alles soll den äußern Sinn erregen und dadurch auch den innerlichen beschäftigen, und Rafaels Wandgemälde im Vatikan sind für Wohnzimmer vielleicht schon zu erhaben, und also als immerwährende Gesellschaft unbequem. Dieses durchaus edle Kunstbedürfniß des gebildeten Menschen erfüllt Ariost, er ist mehr Gefährte und Freund als Dichter, und wir thun wohl nicht Unrecht, wenn wir über die vollendete Schönheit des Einzelnen, über diese Fülle der Gestalten, über diesen zarten blumenartigen Witz, über diese ernste und milde Weisheit eines heitern Sinnes die Zusammensetzung vergessen. Es scheint mir sehr richtig, fuhr Anton fort, daß diese gesellige Kunst auch in der Poesie sich zeigen dürfe, und hier finde ich Gelegenheit, an unser gestriges Gespräch über die Gärten zu erinnern, welches nach meiner Meinung abbrach, ohne zu beschließen. Die hohe Empfindung, welche uns der Anblick der Natur gewährt, sei es das Gefühl des Waldes, des Meeres oder Gebirges, läßt sich in keinen Garten ziehn, denn diese Gefühle sind wechselnd, unbeschränkt, unaussprechlich. Diejenigen, welche in Parks das Seltsam-Schauerliche, oder das Erhaben-Majestätische erregen wollten, haben sich im größten Irrthume befunden, und es war natürlich, daß ihre Bestrebungen in Fratzen ausarten mußten. Das Schöne und Rührende ist es, welches Hügel, Baumgruppen, kleine Flüsse, Wasserfälle und Seen erregen können, ein schwärmendes musikalisches Gefühl, welches ziemlich deutlich den Künstler, welcher den Garten anlegen will, bewegen muß, und welches im Beschauen eben so wiedertönt. Dieser Gärtner wird also wohl die Natur, aber nicht das Natürliche ausschließen, und darum zieht mancher Künstler gern kleine Saatfelder in seinen Park, um eine ganz bestimmte Empfindung von der beschränkten Beschäftigung der Landwirthschaft zu erregen, ein kleiner Weinberg zeigt sich wohl auch, als ein reizendes Widerspiel der Haine und Baumgruppen. Wie mich nun zwar alles an die Natur erinnert, so kann ich sie doch hier so wenig, wie im Gedicht oder in der Malerei unmittelbar empfinden, sondern ich soll die Kunst in jedem Augenblicke genießen. Wenden wir uns nun zu der sogenannten französischen Gartenkunst, so finden wir hier eine dieser natürlichen völlig widersprechende. Wie sie alle Natur aus ihren Gränzen entfernt, eben so die Erinnerung an das Natürliche; denn so wenig Getreide und Obst ihren Platz hier finden, eben so wenig Baum-Parthien, die die Durchsicht decken, oder abwechselnd reizende Gebüsche, und jene süße Schwärmerei und musikalische Empfindung verschlungener Haine und malerischer Ansichten. Alles dient hier einer Empfindung, die ich am liebsten im Gegensatz jener musikalisch schwärmerischen Gefühle eine pathetische Entzückung nennen möchte; alles erhebt die Seele zur Begeisterung, alles ist klar und unverworren; gleich vom ersten Eintritt fühle und übersehe ich den Plan des Ganzen, und aus jedem Punkte finde ich mich unmittelbar in den Mittelpunkt der großartigen Composition zurück. Dazu dienen die großen freien Plätze, die geraden Baumgänge, die bedeckten und verflochtenen Lauben. Statuen und Wasserkünste verhalten sich zu diesem Garten so, wie gegenüber Saatfelder und Weinberge; sie wollen recht bestimmt das Gebildete aussprechen und darstellen, und wie man den Park mit Unrecht die Nachahmung einer gemalten Landschaft nennen würde, da der Gärtner und Maler vielmehr aus einer gemeinschaftlichen poetischen Quelle schöpfen, so thäte man auch diesem Kunstgarten Unrecht, ihn aus der Architektur abzuleiten, da auch der Architekt nur aus jener mathematischen Poesie des Gemüthes seine Erfindungen nimmt. Daher scheint es mir auch geradezu unmöglich, in Bergen einen Park anzulegen, weil die Natur, die unmittelbar hinein blickt, die Kunst-Effekte, die ihr hier verwandt sein sollen, vernichtet. Nach der Natur aber selbst sehnt sich gewiß jeder aus beiderlei Gärten vielmals hinaus und Niemand kann sie entbehren. Der regelmäßige Garten schließt vielleicht im Hintergrunde am angenehmsten mit einem parkähnlichen, so wie der englische am schicklichsten nahe am Hause freie Räume und eine gewisse Regelmäßigkeit ausspart. Es ergiebt sich auch von selbst, daß der regelmäßige Kunstgarten eine allgemeinere Form hat und leichter, vom Geschmack geleitet, zweckmäßig nachgeahmt werden kann, daß aber der Park sich nicht leicht wiederholen läßt, sondern in jeder neuen Gestalt ein anderes Individuum auftreten muß. Es ist aber wohl möglich, daß es demohngeachtet nur wenige Hauptformen giebt, unter welche alle Gärten dieser Art sich vereinigen lassen, und trotz der anscheinenden Einförmigkeit dürften dann die französischen Gärten wohl eben so viele Gattungen aufweisen können. Ist es erlaubt ein Ding durch ein vergleichendes Bild deutlich zu machen, so möchte ich am liebsten den Park mit einem Shakespearschen, und den regelmäßigen Garten mit einem Calderonschen Lustspiel vergleichen. Scheinbare Willkühr in jenem, von einem unsichtbaren Geist der Ordnung gelenkt, Künstlichkeit, in anscheinender Natürlichkeit, der Anklang aller Empfindungen auf phantasirende Weise, Ernst und Heiterkeit wechselnd, Erinnerung an das Leben und seine Bedürfnisse, und ein Sinn der Liebe und Freundschaft, welcher alle Theile verbindet. Im südlichen Garten und Gedicht Regel und Richtschnur, Ehre, Liebe, Eifersucht in großen Massen und scharfen Antithesen, eben so Freundschaft und Haß, aber ohne tiefe oder bizarre Individualität, oft mit den nehmlichen Bildern und Worten wiederholt, Künstlichkeit und Erhabenheit der Sprache, Entfernung alles dessen, was unmittelbar an Natur erinnert, das Ganze endlich verbunden durch einen begeisterten hohen Sinn, der wohl trunken, aber nicht berauscht erscheint. Ich lasse das Gegenbild des Gartens unausgemalt, aber man könnte selbst die Reden in Stanzen oder andern künstlichen Versmaßen (die sich gewiß ganz von dem, was die Naturalisten Natur nennen wollen, entfernen) mit den beschnittenen glänzenden Taxus- und Buxus-Wänden vergleichen, wenn man witzig im Bilde fortspielen wollte. Auch diese, sagte Manfred, dürfen in einem Kunstgarten nicht fehlen, auch vertragen diese Baumarten die Scheere am besten, da ihr festes glänzendes Laub nur langsam wieder nachwächst, und sie sich überhaupt weit mehr als empfindsame Linden und jugendlich kühne Buchen darein fügen. Doch glaub' ich, können geschnitzte Piramiden und ähnliche Figuren füglich aus jedem Garten ausgeschlossen werden. Unser Garten, liebe Mutter, rief Clara, ist nun hoffentlich auf alle Zeiten gerettet, denn es steht vielleicht zu erwarten, daß man in der Zukunft manche der natürlichen Parks wieder in dergleichen künstliche Anlagen umarbeiten möchte. -- -- Nicht wahr, mein Freund, (so wandte sie sich gegen Anton) es ist überhaupt wohl schwer zu sagen, was denn Natur oder natürlich sei? Vielen Mißbrauch, erwiederte dieser, hat man oft mit diesen Worten getrieben, am meisten in jener Zeit, als man sich von einem steifen Ceremoniel zu befreien strebte, welches man irrigerweise Kunst nannte, und nun gegenüber ein Wesen suchte, welches uns unter allen Bedingungen das Richtige und die Wahrheit geben sollte. Kunst und Natur sind aber beide, richtig verstanden, in der Poesie wie in den Künsten, nur ein und dasselbe. Am seltsamsten, sagte Theodor, ist mir das Geschlecht der Naturjäger vorgekommen, welches noch nicht ausgestorben ist, vor einigen Jahren aber noch mehr verbreitet war; diejenigen meine ich, welche auf Sonnen-Auf- und Untergänge von hohen Bergen, auf Wasserfälle und Naturphänomene wahrhaft Jagd machen, und sich und andern manchen Morgen verderben, um einen Genuß zu erwarten, der oft nicht kömmt, und den sie nachher erheucheln müssen. Diese Leute behandeln die Natur gerade so, wie sie mit den merkwürdigen Männern umgehn, sie laufen ihnen ins Haus und stellen sich ihnen gegenüber; da stehn sie nun an der bekannten und oftmals besprochenen Stelle, und wenn in ihrer Seele nun gar nichts vorgeht, so sind sie nachher wenigstens doch dort gewesen. Die Natur, fuhr Anton fort, nimmt nicht in jeder Stunde jedweden vorwitzigen Besuch an, oder vielmehr sind wir nicht immer gestimmt, ihre Heiligkeit zu fühlen. In uns selbst muß die Harmonie schon sein, um sie außer uns zu finden, sonst behelfen wir uns freilich nur mit leeren Phrasen, ohne die Schönheit zu genießen: oder es kann auch wohl ein unvermuthetes Entzücken vom Himmel herab in unser Herz fallen, und uns die höchste Begeisterung aufschließen: dazu aber können wir nichts thun, wir können dergleichen nicht erwarten, sondern eine solche Offenbarung begiebt sich in uns nur. So viel ist gewiß, daß jeder Mensch wohl nur zwei- oder dreimal in seinem Leben das Glück haben kann, wahrhaft einen Sonnen-Aufgang zu sehn: dergleichen geht auch dann nicht, wie Sommerwolken, unserm Gemüth vorüber, sondern es macht Epoche in unserm Leben, wir brauchen lange Zeit, um uns von solcher Entzückung wieder zu erholen, und viele Jahre zehren noch von diesen erhabenen Minuten. Aber nur Stille und Einsamkeit vergönnen diese Gaben; eine Gesellschaft, die sich zu dergleichen auf einem Berge versammelt, steht nur vor dem Theater, und bringt auch gewöhnlich dieselbe alberne Freude und leere Kritik wie dort mit herunter. Noch seltsamer, sagte Ernst, daß so wenige Menschen den wundervollen Schauer, die Beängstigung empfinden, oder sich gestehn, die in manchen Stunden die Natur unserm Herzen erregt. Nicht bloß auf den ausgestorbenen Höhen des Gotthard erregt sich unser Gemüth zum Grauen, nicht bloß -- wenn es hin zur Fluth euch lockt, -- -- zum grausen Wipfel jenes Felsen, Der in die See nickt über seinen Fuß, -- Der Ort an sich bringt Grillen der Verzweiflung Auch ohne weitern Grund in jedes Hirn, Der so viel Klafter niederschaut zur See, Und hört sie unten brüllen; sondern selbst die schönste Gegend hat Gespenster, die durch unser Herz schreiten, sie kann so seltsame Ahndungen, so verwirrte Schatten durch unsre Phantasie jagen, daß wir ihr entfliehen, und uns in das Getümmel der Welt hinein retten möchten. Auf diese Weise entstehn nun wohl auch in unserm Innern Gedichte und Mährchen, indem wir die ungeheure Leere, das furchtbare Chaos mit Gestalten bevölkern, und kunstmäßig den unerfreulichen Raum schmücken; diese Gebilde aber können dann freilich nicht den Charakter ihres Erzeugers verläugnen. In diesen Natur-Mährchen mischt sich das Liebliche mit dem Schrecklichen, das Seltsame mit dem Kindischen, und verwirrt unsre Phantasie bis zum poetischen Wahnsinn, um diesen selbst nur in unserm Innern zu lösen und frei zu machen. Sind die Mährchen, fragte Clara, die Sie uns mittheilen wollen, von dieser Art? Vielleicht, antwortete Ernst. Doch nicht allegorisch? Wie wir es nennen wollen, sagte jener. Es giebt vielleicht keine Erfindung, die nicht die Allegorie, auch unbewußt, zum Grund und Boden ihres Wesens hätte. Gut und böse ist die doppelte Erscheinung, die schon das Kind in jeder Dichtung am leichtesten versteht, die uns in jeder Darstellung von neuem ergreift, die uns aus jedem Räthsel in den mannichfaltigsten Formen anspricht, und sich selbst zum Verständniß ringend auflösen will. Es giebt eine Art, das gewöhnlichste Leben wie ein Mährchen anzusehn, eben so kann man sich mit dem Wundervollsten, als wäre es das Alltäglichste, vertraut machen. Man könnte sagen, alles, das Gewöhnlichste, wie das Wunderbarste, Leichteste und Lustigste habe nur Wahrheit und ergreife uns nur darum, weil diese Allegorie im letzten Hintergrunde als Halt dem Ganzen dient, und eben darum sind auch Dante's Allegorien so überzeugend, weil sie sich bis zur greiflichsten Wirklichkeit durchgearbeitet haben. Novalis sagt: nur _die_ Geschichte ist eine Geschichte, die auch Fabel sein kann. Doch giebt es auch viele kranke und schwache Dichtungen dieser Art, die uns nur in Begriffen herum schleppen, ohne unsre Phantasie mit zu nehmen, und diese sind die ermüdendste Unterhaltung. -- Allein Anton mag uns jezt sein einleitendes Gedicht vorlesen, welches er uns versprochen hat. Anton zog einige Blätter hervor und las: Phantasus. Betrübt saß ich in meiner Kammer, Dacht' an die Noth, an all den Jammer, Der rundum drückt die weite Erde, Daß man nur schaut Trauergeberde, Daß Lust und Sang und frohe Weisen Gezogen weit von uns auf Reisen, Daß Argwohn, Mißtraun unsre Gäste, So Furcht wie Angst bei jedem Feste, Daß jedermann nur frägt in Sorgen: Wie wird es mit dir heut und morgen? Dazu war ich noch schwach und krank, Mir war so Tag wie Nacht zu lang; Ich sorgte, was mein Arzt ermessen, Was ich nicht trinken durft' und essen, Wie meine Pein zu lindern wäre, Was mir den Schlaf, die Ruh nicht störe: So saß ich still in mich gebückt, Den Kopf in meine Hand gedrückt, Als ich, so sinnend, es vernahm Daß jemand an die Thüre kam, Es klopfte, und ich rief: herein! Da öffnet schnell ein Händelein So weiß wie Baumesblüth, herfür Trat dann ein Knäblein in die Thür, Das Haupt gekränzt mit jungen Rosen, Die eben aus den Knospen losen, Wie Rosengluth die Lippen hold, Das krause Haar ein funkelnd Gold, Die Augen dunkel, violbraun, Der Leib gar lieblich anzuschaun. Er trat vor mich und thät sich neigen, Und sprach alsdann nach kurzem Schweigen: Wie kömmts, mein lieber kranker Freund, Daß ihr hier sitzt, da Sonne scheint? Der Frühling geht umher mit Pracht, Hat Laub des Waldes angefacht, Es brennt das grüne Feuer wieder, Und drein ertönen tausend Lieder, Die Erde trägt ihr Sommerkleid, Der Plan erglänzt von Blumen weit, Es spielt der Fisch in blauem See, Vom Obstbaum hängt der Blüthenschnee, Die Lieb- und Segen-schwangre Luft Durchspielt in Wogen Kraft und Duft, Das Kindlein lacht die Blüthen an Aus rothem Mund mit weißem Zahn, Der Jüngling sieht sein Herz und Lieben In Blumenschrift mit Glanz geschrieben, Sich hebt der Jungfrau schöne Brust In ahndungsvoller Liebeslust, Der Greis erfrischt die alten Glieder Und dünkt sich in der Kindheit wieder, Und jedermann fühlt freudenschwanger Den dunkeln Wald, den lichten Anger. Du nur willst sitzen hier gekauert, In deinen Sorgen eingemauert, Von Schwermuths-Wolken rings umhängt, In Noth und Zweifeln eingeengt? Ich kenne dich nicht wieder schier; Hinaus mach' stracks dich vor die Thür, Und thu dein menschlich Angesicht Hinein in holdes Himmelslicht, Laß nicht die Stirn dir so verrunzeln, Der Lippen Frische ganz verschrunzeln, Das Auge, das sonst Strahlen scharf, Von seinem lichten Bogen warf, Ist tief hinein zum Haupt geschmolzen Und schießt nur schwer' und stumpfe Bolzen; Entzweit hat sich dein Mund mit Lachen, Scherz, Kuß sind ihm wildfremde Sachen, In deiner gelb verschrumpften Haut Der Kummer sich im Spiegel schaut; Nicht, Creatur, mach' Schand' und Spott, Der dich geschaffen, deinem Gott, Schau aus, als seist nach seinem Bilde Formiret edel, heiter, milde, Verbrümmelt nicht und ungelachsen, Als sein in dir zusamm gewachsen All Unkraut, Stacheln, Disteln, Dorn, Mit Schimmel, Pilzen fest verworrn; Frisch auf, laß dich von mir regieren, Ins Frühlings-Reich will ich dich führen. Er schwang in seiner Rechten zart Die Tulpenblum seltsamer Art, Wie er sie auf und nieder regte Ein farbig Feuer sich bewegte, Und lichte Sterne kreisten, welche Sich schüttelten aus goldnem Kelche, Sie flogen wie die Vöglein munter Mir um das Haupt, herauf, herunter, Und neckten mich mit Flammenleuchte, Wie ich auch bang sie von mir scheuchte. Ich sprach halb zornig: wer bist du, Der mich gestört in meiner Ruh, Du Knäblein laut, vorwitziglich, Der du also bespöttelst mich, Und willst, weil du ein Kindlein frei, Daß alle Welt auch kindisch sei? Ich habe mehr gelernt, erfahren, Bin auch jetzund was mehr bei Jahren, Daß Spiel, unnützer Zeitvertreib Nicht mehr gefallen meinem Leib, Auch ist umher die ganze Welt Auf Ernst, Nachdenklichkeit gestellt, Daß der nur Thor jedwedem scheint, Der sich nicht höherm Zweck vereint, Du aber, Knäblein, bist inmitten Der Bildung nicht mit fortgeschritten, Meinst noch, daß man nach Blum' und Kraut Und all den Kinderein ausschaut, Das hält man jezt für Rauch und Dunst, Mein Sohn, die Zeit ist nicht wie sunst. Der Knabe lacht', daß sich das Gold Der Locken in einander rollt Und sprach: sonst hast mich wohl gekannt, Ich bin der Phantasus genannt, Heimathlich war ich sonst bei dir, Dein Spielgefährte für und für, Als du mich noch am Herzen hegtest Und väterlich und freundlich pflegtest, Da war dein Sinn anders gestellt, Mit dir zufrieden und der Welt War dir die Arbeit Lust und Scherz, Frisch und gesund dein junges Herz. Mein Auge, sprach ich, ist wohl blind; Du also bist dasselbe Kind, Das täglich Blumen mir gebracht, Holdseeliglich mich angelacht, Das mir verscherzt die muntern Stunden, Vielfältig Spielzeug mir erfunden? Seitdem bist du von mir entwichen Und anderwärts umher gestrichen, Da kamen Ernst, Vernunft, Verstand, Und gaben mir in meine Hand Der Bücher viel und mancherlei Voll tiefen Sinns, Philosophei, Ich strebte, mich aus rohem Wilden Zum wahren Menschen umzubilden; Drauf ich auch zur Geschichte kam, Die Noth der Welt zu Herzen nahm, Die Chronikbücher unverdrossen Hab' ich in Nächten aufgeschlossen, Die Vorzeit stieg zu mir herüber Und immer ernster wards und trüber: Bald schien mich an ein flüchtig Blitzen, Dann glaubt' ich Wahrheit zu besitzen, Dann kam die Dämmrung, faßt' es wieder Und taucht' es in die Finstre nieder; Die Nacht ward wieder Lichtes schwanger, Das neue Licht macht' mich noch banger, Wohl ahndend, daß, wenns ausgegohren, Die Finstre neu draus wird geboren: So wies Histori mir nur Noth, Im Leben auch nur Grab und Tod, Das Schöne stirbt, der Glanz löscht aus, Das Irdisch-Schlechte baut sein Haus, Und spricht von seinem Felsenthron Den hohen Göttersöhnen Hohn: Natur hab' ich ergründen wollen, Da kam ich gar auf seltsam Schrollen, Verlor mich in ein steinern Reich, Ich glaubte all's, nichts doch zugleich, Wollt' Pflanz, Metall und Stein verstehn, Mußt' mir doch selbst verloren gehn, Hatt' viel Kunstworte bald erstanden, Ich selbst gekommen nur abhanden, Um endlich wieder zu gelangen Noch dummer wo ich ausgegangen: Vielleicht weil du, mein Sohn, gefehlt, Hab' ich in Angst mich abgequält, Verstehst du wohl die alten Schriften, Wandelst wohl auch auf Weisheits-Triften? Doch still, ich will dich jezt nicht plagen, Komm, laß uns in den schönen Tagen So spielen, wie wir sonst gepflogen, Wenn du mir etwas noch gewogen. Der Kleine schmeichelt' sich an mich, Drückt' an mein Knie mit Lächeln sich, Wandt' sich hieher und dorthin nun, Fast wie die jungen Kätzlein thun. Da gehn wir aus dem Haus, und warm Nimmt Sommer mich in seinen Arm, Die Lerch' in Lüften jubilirt, Hänfling und Drossel musizirt, Das Grün schmiegt sich um Plan und Hügel, Der Schmetterling wiegt Purpurflügel, Die Blumen roth, braun, gold und blau Stehn dicht gedrängt auf grüner Au, Die Bienen summen lustig, nippen Den Honigseim von Blumenlippen, Duft, röthlich Glanz kreucht aus dem Baum, Hängt von dem Zweig, ein süßer Traum. Wie ist, sprach ich, die Welt so bunt, Von neuem tönt und schwazt der Mund Der kindschen Quellen, Frühlings Hand Nahm von den Zungen ab das Band, Daß Winter jährlich um sie legt, Daß sich kein lautes Wörtchen regt, Die Sommergäst' auch sind mit Schalle Ins Land zurück gekommen alle. Indem wand sich der Buchenhain Vom Plane ab den Weg hinein, Der Glanz mit Grün schön war gemischt, Die stille Luft vom Wind erfrischt, Die wilden Tauben hört' ich girren, Zeisig und Fink in Nestern schwirren, Ein Duft süß aus den Bäumen floß, Ein Rieseln sänftlich sich ergoß Aus Tannenbäumen, die vom Winde Sanft angespielt erklangen linde, Das all war meinem kranken Leben Als Labsal und Arznei gegeben. Wo sind wir, Liebster? rief ich aus, Sei mir gegrüßt, du grünes Haus, Gegrüßt ihr frischen Bogengänge, Willkommen mir ihr Waldesklänge! Ich war noch nie in den Revieren, Sprich, wohin willst du mich denn führen? Er sagte nichts, nur freundlich winkt Sein Aug', das mir ins Auge blinkt. Einsamer ward der dichte Hain, Gespaltener des Lichtes Schein, Der sich in Gattern um uns legte Und mit des Luftes Zug bewegte; Da hört' ich Wild von ferne schrein, Da sangen fremde Vögel drein Mit wundersamen Ton, es klangen Viel Bächlein, die aus Felsen sprangen, Wie Schatten zog es her und hin, Ein Schauer flog durch meinen Sinn. Nun wars, als hört' ich Kinder plaudern, Hin lief ich ohne länger Zaudern, Und als ich nach dem Ort gekommen, Von wo ich erst den Ton vernommen, Da that sich auf des Waldes Dunkel, Und vor mir lag ein hell Gefunkel, Roth sah ich wilde Nelken blühn, Sammt lichten Sternen von Jasmin, Und duftend Kraut Je länger lieber, Das rankte eine Grott' hinüber, An die sich hoch der Epheu schlang, Und aus der Höhle kam Gesang. Da schaut ich in den Fels hinein, Dort saß ein Bild mit lichtem Schein, Güldnes Gewand den Leib umfloß, An den sich Spang' und Gürtel schloß, Das Antliz bleich, entfärbt die Wange, Sie schien in Furcht und Zittern bange Und schloß sich an ein Mannsgebild, Das schaute aus den Augen wild, Doch lächelt' er mit Freundlichkeit: Er war in schwarz Gewand gekleidt, Ein dunkles Haar hing um das Haupt, Er trug von wildem Wein umlaubt Den güldnen Stab in seiner Hand, Geflochten war um sein Gewand Epheu und Tannenzweig' in Kränzen, Wozwischen rothe Rosen glänzen; Er sprach und sang der Schönen vor, Und flüsterte ihr oft ins Ohr. Da fragt' ich: Kind, wer sind die beide? Der Knabe sprach: im schwarzen Kleide Der ist der Schreck, von Mährchen alten Beschreibt er gern die Schau'rgestalten; Das Mägdlein da im lichten Kleid Ist meine liebe Albernheit, Sie ängstet sich und um so gerner Hört sie den andern reden ferner, Sie fürchtet sich vor dem Erschrecken, Läßt sich doch spielend davon necken, Sie lächelt, und vor Schauder weint Ihr Lachen, das in Thränen scheint, Sie freut sich und wird voraus bleich, So spielt sie mit dem Geisterreich, Wenn Schreck ihr sagt: nun sprech' ich jezt, Was dich recht durch und durch entsetzt! Dann bittet sie: so schweige lieber, -- Nein, spricht sie dann, erzähl' es, Lieber; Nun rauscht der schwarze Tannenhain, Dann weinen Felsenbäche drein, Sie meint, sie stirbt vor Angst und Schmerz Und drückt dem Schreck sich fest ans Herz. Da sah ich einen Kleinen gaukeln Und sich in allen Blumen schaukeln, Ein herzigs Kind, das auf und nieder Im Tanze schwang die zarten Glieder, Bald klettert' es in Epheuranken Und ließ sich kühn vom Winde schwanken, Bald stand oben am Fels der Lose Und duckte sich in eine Rose. So eilig, daß der Stengel knickte Wie er sich in die Röthe bückte, Dann fiel er lachend auf die Au Und war benetzt vom Rosenthau: In Blättern, aus Jasmin gezogen, Beschifft' er dann des Baches Wogen, Und bracht' als Kriegsgefangne heim Die Bienen mit dem Honigseim; Dann sucht' er Muscheln sich im Sande Und Stein' und Kiesel vielerhande, Und putzte drin das Felsenhaus Mit vielen artgen Schnörkeln aus: Auf einmal ließ er alles liegen Und schien durch Lüfte schnell zu fliegen, Nun auf dem höchsten Tannenbaum Stand er und übersah den Raum, Mit Riesenstärke bog er dann Des Baumes Wipfel auf den Plan Und ließ ihn dann zurücke schießen; Des Baches Wogen mußten fließen In Wasserfällen laut und brausend, Der mächtge Wald dazwischen sausend, Ein furchtbar Echo, das von oben Hin durch den Thalgrund sprach mit Toben, Dazu des Donners Krachen viel, Schien alles ihm nur Harfenspiel. Er selbst, der erst ein kleiner Zwerg, War jezt großmächtig wie ein Berg, Und sprang so schnell wie Blitzes Lauf, Zur Höhe des Gebirgs hinauf, Riß aus der Wurzel mächtge Felsen, Die ließ er sich zum Thale wälzen Mit lautem Donnern, furchtbarm Krachen, Das machte ihn von Herzen lachen, Wie sie im Pürzen, Springen, Kollern, So ungeschlacht zur Ebne schollern, Wie sie die nackten Hauer fletschen Und Wald und Berg im Sturz zerquetschen. Da war ich bang und furchtsam fast, Ich sprach: wer ist der schlimme Gast, Der erst ein Kindlein thörigt spielte, An Bienen nur sein Müthlein kühlte, Ein Tandmann schien, doch nun erwachsen So ungeheuer, ungelachsen, Daß kaum noch so viel Kraft der Welt, Daß sie ihn sich vom Halse hält? Das ist der Scherz, so sprach mein Freund, Der Groß und Klein dasselbe scheint; Oft ist er zart und lieb unschuldig, Doch wird er wild und ungeduldig, So kühlt er seinen Muth, den frechen, Und all's muß biegen oder brechen. -- Kann man nicht, fragt' ich, Sitt' ihm lehren? -- Das hieß ihn nur, sprach er, verkehren, Er acht't kein noch so klug Gebot, Und schreit nur, das thut mir nicht noth! So lassen sie ihm seinen Willen. -- Da schlug urplötzlich aus dem Stillen Der Sang von tausend Nachtigallen, Die ließen ihre Klage schallen, Und aus dem grünen Waldesraum Erglänzt' ein leuchtend goldner Saum, Von Purpurkleidern, die erbeben In Gluth, wie sich die Glieder heben Vom schönsten weiblichen Gebilde, Sie schritt nun lächelnd zum Gefilde, Und kam aus dunkelm Wald hervor Wie Sonne durch des Morgens Thor, Das goldne Haar in Wellen fließend, Das lichte Aug' die Welt begrüßend, Das rothe Lächeln Wonne streuend, Des Leibes Glanz rings all erfreuend; So wie die Augen leuchtend gingen, Die Blumen an zu blühen fingen, Das Gras ward grüner, Wonnebeben Schien Stein und Felsen zu beleben, Die Wasser jauchzten, und im Innern Bewegt ein seliges Erinnern Der Erde allertiefstes Herz, Demant erwuchs und Goldes-Erz. Wer ist, fragt ich, die dort regiert, So zart und edel gliedmasirt, Die Klare, Holde, minniglich'? Nenn' ihren Namen, Knabe, sprich! Dir ist es also nicht bewußt, Sprach, Phantasus, in deiner Brust, Was Thier' und Pflanzen, Stein' empfinden, Ich muß dir ihren Namen künden? Die Liebe ist sie! Und alsbald Kannt' ich die göttliche Gestalt, Ich sprach im Flehn zu ihr: demüthig Komm' ich zu dir, o sei mir gütig, Wie du die ganze Welt beglückst, In jedes Herz die Wonne schickst, Gedenke mein, laß nicht mein Leben Als liebeleeren Traum verschweben. Gebietend hob sie auf die Hand, Da kamen aus dem grünen Land, Von Bergen, aus dem niedern Thal, Die Geister wimmelnd ohne Zahl, Aus Bächen huben sie sich schnell Und leuchteten von Schimmern hell, Die Bäume thaten all sich auf, Es sprangen vor mit munterm Lauf, Die zarten Elfen, und aus kleinen Blümlein wollten sie auch erscheinen, Gar klein gestalt, in Farben bunt: Da sang ein tausendfacher Mund Der hohen Göttin Lob und Dank, Gar wundersam war der Gesang, Sie sonnten sich in ihrem Lächeln Berauscht von ihres Othems Fächeln. Da wandt' sich Phantasus zu mir: Nun, Werther, wie gefällts dir hier? Ich wollte sprechen: seeliglich Dünkt mir dies Leben sicherlich, Doch nahm der allergrößte Schreck Mir plötzlich Stimm und Othem weg; Was ich für Grott' und Berg gehalten, Für Wald und Flur und Felsgestalten, Das war ein einzigs großes Haupt, Statt Haar und Bart mit Wald umlaubt, Still lächelt er, daß seine Kind' In Spielen glücklich vor ihm sind, Er winkt, und ahndungsvolles Brausen Wogt her in Waldes heil'gem Sausen, Da fiel ich auf die Knie nieder, Mir zitterten in Angst die Glieder, Ich sprach zum Kleinen nur das Wort: Sag an, was ist das Große dort? Der Kleine sprach: Dich faßt sein Graun, Weil du ihn darfst so plötzlich schaun, Das ist der Vater, unser Alter, Heißt Pan, von allem der Erhalter. -- Ein mächt'ger Schauder faßte mich, Mit Zittern schnell erwachte ich, Und so bewegt von dem Gesicht Verkünd' ichs euch, verschweig' es nicht. * * * * * Nach einer Pause sagte Clara: ich glaube Ihren Sinn zu verstehn, aber unartig, ja grausam finde ich es, daß Sie über Ihre Krankheit scherzen, und zur Strafe dafür sollen Sie uns ohne auszuruhen sogleich das erste Mährchen mittheilen, denn ich hörte gestern, daß Ihnen der Beginn dieser Erzählungen zugesprochen sei. Anton fing an zu lesen. Der blonde Eckbert. 1796. In einer Gegend des Harzes wohnte ein Ritter, den man gewöhnlich nur den blonden Eckbert nannte. Er war ohngefähr vierzig Jahr alt, kaum von mittler Größe, und kurze hellblonde Haare lagen schlicht und dicht an seinem blassen eingefallenen Gesichte. Er lebte sehr ruhig für sich und war niemals in den Fehden seiner Nachbarn verwickelt, auch sah man ihn nur selten außerhalb den Ringmauern seines kleinen Schlosses. Sein Weib liebte die Einsamkeit eben so sehr, und beide schienen sich von Herzen zu lieben, nur klagten sie gewöhnlich darüber, daß der Himmel ihre Ehe mit keinen Kindern segnen wolle. Nur selten wurde Eckbert von Gästen besucht, und wenn es auch geschah, so wurde ihretwegen fast nichts in dem gewöhnlichen Gange des Lebens geändert, die Mäßigkeit wohnte dort, und die Sparsamkeit selbst schien alles anzuordnen. Eckbert war alsdann heiter und aufgeräumt, nur wenn er allein war, bemerkte man an ihm eine gewisse Verschlossenheit, eine stille zurückhaltende Melankolie. Niemand kam so häufig auf die Burg als Philipp Walther, ein Mann, dem sich Eckbert angeschlossen hatte, weil er an diesem ohngefähr dieselbe Art zu denken fand, der auch er am meisten zugethan war. Dieser wohnte eigentlich in Franken, hielt sich aber oft über ein halbes Jahr in der Nähe von Eckberts Burg auf, sammelte Kräuter und Steine, und beschäftigte sich damit, sie in Ordnung zu bringen, er lebte von einem kleinen Vermögen und war von Niemand abhängig. Eckbert begleitete ihn oft auf seinen einsamen Spaziergängen, und mit jedem Jahre entspann sich zwischen ihnen eine innigere Freundschaft. Es giebt Stunden, in denen es den Menschen ängstigt, wenn er vor seinem Freunde ein Geheimniß haben soll, was er bis dahin oft mit vieler Sorgfalt verborgen hat, die Seele fühlt dann einen unwiderstehlichen Trieb, sich ganz mitzutheilen, dem Freunde auch das Innerste aufzuschließen, damit er um so mehr unser Freund werde. In diesen Augenblicken geben sich die zarten Seelen einander zu erkennen, und zuweilen geschieht es wohl auch, daß einer vor der Bekanntschaft des andern zurück schreckt. Es war schon im Herbst, als Eckbert an einem neblichten Abend mit seinem Freunde und seinem Weibe Bertha um das Feuer eines Kamines saß. Die Flamme warf einen hellen Schein durch das Gemach und spielte oben an der Decke, die Nacht sah schwarz zu den Fenstern herein, und die Bäume draußen schüttelten sich vor nasser Kälte. Walther klagte über den weiten Rückweg, den er habe, und Eckbert schlug ihm vor, bei ihm zu bleiben, die halbe Nacht unter traulichen Gesprächen hinzubringen, und dann in einem Gemache des Hauses bis am Morgen zu schlafen. Walther ging den Vorschlag ein, und nun ward Wein und die Abendmahlzeit hereingebracht, das Feuer durch Holz vermehrt, und das Gespräch der Freunde heitrer und vertraulicher. Als das Abendessen abgetragen war, und sich die Knechte wieder entfernt hatten, nahm Eckbert die Hand Walthers und sagte: Freund, ihr solltet euch einmal von meiner Frau die Geschichte ihrer Jugend erzählen lassen, die seltsam genug ist. -- Gern, sagte Walther, und man setzte sich wieder um den Kamin. Es war jezt gerade Mitternacht, der Mond sah abwechselnd durch die vorüber flatternden Wolken. Ihr müßt mich nicht für zudringlich halten, fing Bertha an, mein Mann sagt, daß ihr so edel denkt, daß es unrecht sei, euch etwas zu verhehlen. Nur haltet meine Erzählung für kein Mährchen, so sonderbar sie auch klingen mag. Ich bin in einem Dorfe geboren, mein Vater war ein armer Hirte. Die Haushaltung bei meinen Eltern war nicht zum Besten bestellt, sie wußten sehr oft nicht, wo sie das Brod hernehmen sollten. Was mich aber noch weit mehr jammerte, war, daß mein Vater und meine Mutter sich oft über ihre Armuth entzweiten, und einer dem andern dann bittere Vorwürfe machte. Sonst hört' ich beständig von mir, daß ich ein einfältiges dummes Kind sei, das nicht das unbedeutendste Geschäft auszurichten wisse, und wirklich war ich äußerst ungeschickt und unbeholfen, ich ließ alles aus den Händen fallen, ich lernte weder nähen noch spinnen, ich konnte nichts in der Wirthschaft helfen, nur die Noth meiner Eltern verstand ich sehr gut. Oft saß ich dann im Winkel und füllte meine Vorstellungen damit an, wie ich ihnen helfen wollte, wenn ich plötzlich reich würde, wie ich sie mit Gold und Silber überschütten und mich an ihrem Erstaunen laben möchte, dann sah ich Geister herauf schweben, die mir unterirdische Schätze entdeckten, oder mir kleine Kiesel gaben, die sich in Edelsteine verwandelten, kurz, die wunderbarsten Phantasien beschäftigten mich, und wenn ich nun aufstehn mußte, um irgend etwas zu helfen, oder zu tragen, so zeigte ich mich noch viel ungeschickter, weil mir der Kopf von allen den seltsamen Vorstellungen schwindelte. Mein Vater war immer sehr ergrimmt auf mich, daß ich eine so ganz unnütze Last des Hauswesens sei, er behandelte mich daher oft ziemlich grausam, und es war selten, daß ich ein freundliches Wort von ihm vernahm. So war ich ungefähr acht Jahr alt geworden, und es wurden nun ernstliche Anstalten gemacht, daß ich etwas thun, oder lernen sollte. Mein Vater glaubte, es wäre nur Eigensinn oder Trägheit von mir, um meine Tage in Müssiggang hinzubringen, genug, er setzte mir mit Drohungen unbeschreiblich zu, da diese aber doch nichts fruchteten, züchtigte er mich auf die grausamste Art, indem er sagte, daß diese Strafe mit jedem Tage wiederkehren sollte, weil ich doch nur ein unnützes Geschöpf sei. Die ganze Nacht hindurch weint' ich herzlich, ich fühlte mich so außerordentlich verlassen, ich hatte ein solches Mitleid mit mir selber, daß ich zu sterben wünschte. Ich fürchtete den Anbruch des Tages, ich wußte durchaus nicht, was ich anfangen sollte, ich wünschte mir alle mögliche Geschicklichkeit und konnte gar nicht begreifen, warum ich einfältiger sei, als die übrigen Kinder meiner Bekanntschaft. Ich war der Verzweiflung nahe. Als der Tag graute, stand ich auf und eröffnete, fast ohne daß ich es wußte, die Thür unsrer kleinen Hütte. Ich stand auf dem freien Felde, bald darauf war ich in einem Walde, in den der Tag kaum noch hinein blickte. Ich lief immerfort, ohne mich umzusehn, ich fühlte keine Müdigkeit, denn ich glaubte immer, mein Vater würde mich noch wieder einholen, und, durch meine Flucht gereizt, mich noch grausamer behandeln. Als ich aus dem Walde wieder heraus trat, stand die Sonne schon ziemlich hoch, ich sah jezt etwas Dunkles vor mir liegen, welches ein dichter Nebel bedeckte. Bald mußte ich über Hügel klettern, bald durch einen zwischen Felsen gewundenen Weg gehn, und ich errieth nun, daß ich mich wohl in dem benachbarten Gebirge befinden müsse, worüber ich anfing mich in der Einsamkeit zu fürchten. Denn ich hatte in der Ebene noch keine Berge gesehn, und das bloße Wort Gebirge, wenn ich davon hatte reden hören, war meinem kindischen Ohr ein fürchterlicher Ton gewesen. Ich hatte nicht das Herz zurück zu gehn, meine Angst trieb mich vorwärts; oft sah ich mich erschrocken um, wenn der Wind über mir weg durch die Bäume fuhr, oder ein ferner Holzschlag weit durch den stillen Morgen hintönte. Als mir Köhler und Bergleute endlich begegneten und ich eine fremde Aussprache hörte, wäre ich vor Entsetzen fast in Ohnmacht gesunken. Ich kam durch mehrere Dörfer und bettelte, weil ich jezt Hunger und Durst empfand, ich half mir so ziemlich mit meinen Antworten durch, wenn ich gefragt wurde. So war ich ohngefähr vier Tage fortgewandert, als ich auf einen kleinen Fußsteig gerieth, der mich von der großen Straße immer mehr entfernte. Die Felsen um mich her gewannen jezt eine andre, weit seltsamere Gestalt. Es waren Klippen, so auf einander gepackt, daß es das Ansehn hatte, als wenn sie der erste Windstoß durch einander werfen würde. Ich wußte nicht, ob ich weiter gehn sollte. Ich hatte des Nachts immer im Walde geschlafen, denn es war gerade zur schönsten Jahrszeit, oder in abgelegenen Schäferhütten; hier traf ich aber gar keine menschliche Wohnung, und konnte auch nicht vermuthen, in dieser Wildniß auf eine zu stoßen; die Felsen wurden immer furchtbarer, ich mußte oft dicht an schwindlichten Abgründen vorbeigehn, und endlich hörte sogar der Weg unter meinen Füßen auf. Ich war ganz trostlos, ich weinte und schrie, und in den Felsenthälern hallte meine Stimme auf eine schreckliche Art zurück. Nun brach die Nacht herein, und ich suchte mir eine Moosstelle aus, um dort zu ruhn. Ich konnte nicht schlafen; in der Nacht hörte ich die seltsamsten Töne, bald hielt ich es für wilde Thiere, bald für den Wind, der durch die Felsen klage, bald für fremde Vögel. Ich betete, und ich schlief nur spät gegen Morgen ein. Ich erwachte, als mir der Tag ins Gesicht schien. Vor mir war ein steiler Felsen, ich kletterte in der Hoffnung hinauf, von dort den Ausgang aus der Wildniß zu entdecken, und vielleicht Wohnungen oder Menschen gewahr zu werden. Als ich aber oben stand, war alles, so weit nur mein Auge reichte, eben so, wie um mich her, alles war mit einem neblichten Dufte überzogen, der Tag war grau und trübe, und keinen Baum, keine Wiese, selbst kein Gebüsch konnte mein Auge erspähn, einzelne Sträucher ausgenommen, die einsam und betrübt in engen Felsenritzen empor geschossen waren. Es ist unbeschreiblich, welche Sehnsucht ich empfand, nur eines Menschen ansichtig zu werden, wäre es auch, daß ich mich vor ihm hätte fürchten müssen. Zugleich fühlte ich einen peinigenden Hunger, ich setzte mich nieder und beschloß zu sterben. Aber nach einiger Zeit trug die Lust zu leben dennoch den Sieg davon, ich raffte mich auf und ging unter Thränen, unter abgebrochenen Seufzern den ganzen Tag hindurch; am Ende war ich mir meiner kaum noch bewußt, ich war müde und erschöpft, ich wünschte kaum noch zu leben, und fürchtete doch den Tod. Gegen Abend schien die Gegend umher etwas freundlicher zu werden, meine Gedanken, meine Wünsche lebten wieder auf, die Lust zum Leben erwachte in allen meinen Adern. Ich glaubte jezt das Gesause einer Mühle aus der Ferne zu hören, ich verdoppelte meine Schritte, und wie wohl, wie leicht ward mir, als ich endlich wirklich die Gränzen der öden Felsen erreichte; ich sah Wälder und Wiesen mit fernen angenehmen Bergen wieder vor mir liegen. Mir war, als wenn ich aus der Hölle in ein Paradies getreten wäre, die Einsamkeit und meine Hülflosigkeit schienen mir nun gar nicht fürchterlich. Statt der gehofften Mühle stieß ich auf einen Wasserfall, der meine Freude freilich um vieles minderte; ich schöpfte mit der Hand einen Trunk aus dem Bache, als mir plötzlich war, als höre ich in einiger Entfernung ein leises Husten. Nie bin ich so angenehm überrascht worden, als in diesem Augenblick, ich ging näher und ward an der Ecke des Waldes eine alte Frau gewahr, die auszuruhen schien. Sie war fast ganz schwarz gekleidet und eine schwarze Kappe bedeckte ihren Kopf und einen großen Theil des Gesichtes, in der Hand hielt sie einen Krückenstock. Ich näherte mich ihr und bat um ihre Hülfe; sie ließ mich neben sich niedersitzen und gab mir Brod und etwas Wein. Indem ich aß, sang sie mit kreischendem Ton ein geistliches Lied. Als sie geendet hatte, sagte sie mir, ich möchte ihr folgen. Ich war über diesen Antrag sehr erfreut, so wunderlich mir auch die Stimme und das Wesen der Alten vorkam. Mit ihrem Krückenstocke ging sie ziemlich behende, und bei jedem Schritte verzog sie ihr Gesicht so, daß ich im Anfange darüber lachen mußte. Die wilden Felsen traten immer weiter hinter uns zurück, wir gingen über eine angenehme Wiese, und dann durch einen ziemlich langen Wald. Als wir heraus traten, ging die Sonne gerade unter, und ich werde den Anblick und die Empfindung dieses Abends nie vergessen. In das sanfteste Roth und Gold war alles verschmolzen, die Bäume standen mit ihren Wipfeln in der Abendröthe, und über den Feldern lag der entzückende Schein, die Wälder und die Blätter der Bäume standen still, der reine Himmel sah aus wie ein aufgeschlossenes Paradies, und das Rieseln der Quellen und von Zeit zu Zeit das Flüstern der Bäume tönte durch die heitre Stille wie in wehmüthiger Freude. Meine junge Seele bekam jezt zuerst eine Ahndung von der Welt und ihren Begebenheiten. Ich vergaß mich und meine Führerin, mein Geist und meine Augen schwärmten nur zwischen den goldnen Wolken. Wir stiegen nun einen Hügel hinan, der mit Birken bepflanzt war, von oben sah man in ein grünes Thal voller Birken hinein, und unten mitten in den Bäumen lag eine kleine Hütte. Ein munteres Bellen kam uns entgegen, und bald sprang ein kleiner behender Hund die Alte an, und wedelte, dann kam er zu mir, besah mich von allen Seiten, und kehrte mit freundlichen Geberden zur Alten zurück. Als wir vom Hügel hinunter gingen, hörte ich einen wunderbaren Gesang, der aus der Hütte zu kommen schien, wie von einem Vogel, es sang also: Waldeinsamkeit, Die mich erfreut, So morgen wie heut In ewger Zeit, O wie mich freut Waldeinsamkeit. Diese wenigen Worte wurden beständig wiederholt; wenn ich es beschreiben soll, so war es fast, als wenn Waldhorn und Schallmeie ganz in der Ferne durch einander spielen. Meine Neugier war außerordentlich gespannt; ohne daß ich auf den Befehl der Alten wartete, trat ich mit in die Hütte. Die Dämmerung war schon eingebrochen, alles war ordentlich aufgeräumt, einige Becher standen auf einem Wandschranke, fremdartige Gefäße auf einem Tische, in einem glänzenden Käfig hing ein Vogel am Fenster, und er war es wirklich, der die Worte sang. Die Alte keichte und hustete, sie schien sich gar nicht wieder erholen zu können, bald streichelte sie den kleinen Hund, bald sprach sie mit dem Vogel, der ihr nur mit seinem gewöhnlichen Liede Antwort gab; übrigens that sie gar nicht, als wenn ich zugegen wäre. Indem ich sie so betrachtete, überlief mich mancher Schauer: denn ihr Gesicht war in einer ewigen Bewegung, indem sie dazu wie vor Alter mit dem Kopfe schüttelte, so daß ich durchaus nicht wissen konnte, wie ihr eigentliches Aussehn beschaffen war. Als sie sich erholt hatte, zündete sie Licht an, deckte einen ganz kleinen Tisch und trug das Abendessen auf. Jezt sah sie sich nach mir um, und hieß mir einen von den geflochtenen Rohrstühlen nehmen. So saß ich ihr nun dicht gegenüber und das Licht stand zwischen uns. Sie faltete ihre knöchernen Hände und betete laut, indem sie ihre Gesichtsverzerrungen machte, so daß es mich beinahe wieder zum Lachen gebracht hätte; aber ich nahm mich sehr in Acht, um sie nicht zu erboßen. Nach dem Abendessen betete sie wieder, und dann wies sie mir in einer niedrigen und engen Kammer ein Bett an; sie schlief in der Stube. Ich blieb nicht lange munter, ich war halb betäubt, aber in der Nacht wachte ich einigemal auf, und dann hörte ich die Alte husten und mit dem Hunde sprechen, und den Vogel dazwischen, der im Traum zu sein schien, und immer nur einzelne Worte von seinem Liede sang. Das machte mit den Birken, die vor dem Fenster rauschten, und mit dem Gesang einer entfernten Nachtigall ein so wunderbares Gemisch, daß es mir immer nicht war, als sei ich erwacht, sondern als fiele ich nur in einen andern noch seltsamern Traum. Am Morgen weckte mich die Alte, und wies mich bald nachher zur Arbeit an. Ich mußte spinnen, und ich begriff es auch bald, dabei hatte ich noch für den Hund und für den Vogel zu sorgen. Ich lernte mich schnell in die Wirthschaft finden, und alle Gegenstände umher wurden mir bekannt; nun war mir, als müßte alles so sein, ich dachte gar nicht mehr daran, daß die Alte etwas Seltsames an sich habe, daß die Wohnung abentheuerlich und von allen Menschen entfernt liege, und daß an dem Vogel etwas Außerordentliches sei. Seine Schönheit fiel mir zwar immer auf, denn seine Federn glänzten mit allen möglichen Farben, das schönste Hellblau und das brennendste Roth wechselten an seinem Halse und Leibe, und wenn er sang, blähte er sich stolz auf, so daß sich seine Federn noch prächtiger zeigten. Oft ging die Alte aus und kam erst am Abend zurück, ich ging ihr dann mit dem Hunde entgegen, und sie nannte mich Kind und Tochter. Ich ward ihr endlich von Herzen gut, wie sich unser Sinn denn an alles, besonders in der Kindheit, gewöhnt. In den Abendstunden lehrte sie mich lesen, ich fand mich leicht in die Kunst, und es ward nachher in meiner Einsamkeit eine Quelle von unendlichem Vergnügen, denn sie hatte einige alte geschriebene Bücher, die wunderbare Geschichten enthielten. Die Erinnerung an meine damalige Lebensart ist mir noch bis jezt immer seltsam: von keinem menschlichen Geschöpfe besucht, nur in einem so kleinen Familienzirkel einheimisch, denn der Hund und der Vogel machten denselben Eindruck auf mich, den sonst nur längst gekannte Freunde hervorbringen. Ich habe mich immer nicht wieder auf den seltsamen Namen des Hundes besinnen können, so oft ich ihn auch damals nannte. Vier Jahre hatte ich so mit der Alten gelebt, und ich mochte ohngefähr zwölf Jahr alt sein, als sie mir endlich mehr vertraute, und mir ein Geheimniß entdeckte. Der Vogel legte nehmlich an jedem Tage ein Ei, in dem sich eine Perl oder ein Edelstein befand. Ich hatte schon immer bemerkt, daß sie heimlich in dem Käfige wirthschafte, mich aber nie genauer darum bekümmert. Sie trug mir jezt das Geschäft auf, in ihrer Abwesenheit diese Eier zu nehmen und in den fremdartigen Gefäßen wohl zu verwahren. Sie ließ mir meine Nahrung zurück, und blieb nun länger aus, Wochen, Monate; mein Rädchen schnurrte, der Hund bellte, der wunderbare Vogel sang und dabei war alles so still in der Gegend umher, daß ich mich in der ganzen Zeit keines Sturmwindes, keines Gewitters erinnere. Kein Mensch verirrte sich dorthin, kein Wild kam unserer Behausung nahe, ich war zufrieden und arbeitete mich von einem Tage zum andern hinüber. -- Der Mensch wäre vielleicht recht glücklich, wenn er so ungestört sein Leben bis ans Ende fortführen könnte. Aus dem wenigen, was ich las, bildete ich mir ganz wunderliche Vorstellungen von der Welt und den Menschen, alles war von mir und meiner Gesellschaft hergenommen: wenn von lustigen Leuten die Rede war, konnte ich sie mir nicht anders vorstellen wie den kleinen Spitz, prächtige Damen sahen immer wie der Vogel aus, alle alte Frauen wie meine wunderliche Alte. Ich hatte auch von Liebe etwas gelesen, und spielte nun in meiner Phantasie seltsame Geschichten mit mir selber. Ich dachte mir den schönsten Ritter von der Welt, ich schmückte ihn mit allen Vortrefflichkeiten aus, ohne eigentlich zu wissen, wie er nun nach allen meinen Bemühungen aussah: aber ich konnte ein rechtes Mitleid mit mir selber haben, wenn er mich nicht wieder liebte; dann sagte ich lange rührende Reden in Gedanken her, zuweilen auch wohl laut, um ihn nur zu gewinnen. -- Ihr lächelt! wir sind jezt freilich alle über diese Zeit der Jugend hinüber. Es war mir jezt lieber, wenn ich allein war, denn alsdann war ich selbst die Gebieterin im Hause. Der Hund liebte mich sehr und that alles was ich wollte, der Vogel antwortete mir in seinem Liede auf alle meine Fragen, mein Rädchen drehte sich immer munter, und so fühlte ich im Grunde nie einen Wunsch nach Veränderung. Wenn die Alte von ihren langen Wanderungen zurück kam, lobte sie meine Aufmerksamkeit, sie sagte, daß ihre Haushaltung, seit ich dazu gehöre, weit ordentlicher geführt werde, sie freute sich über mein Wachsthum und mein gesundes Aussehn, kurz, sie ging ganz mit mir wie mit einer Tochter um. Du bist brav, mein Kind! sagte sie einst zu mir mit einem schnarrenden Tone; wenn du so fort fährst, wird es dir auch immer gut gehn: aber nie gedeiht es, wenn man von der rechten Bahn abweicht, die Strafe folgt nach, wenn auch noch so spät. -- Indem sie das sagte, achtete ich eben nicht sehr darauf, denn ich war in allen meinen Bewegungen und meinem ganzen Wesen sehr lebhaft; aber in der Nacht fiel es mir wieder ein, und ich konnte nicht begreifen, was sie damit hatte sagen wollen. Ich überlegte alle Worte genau, ich hatte wohl von Reichthümern gelesen, und am Ende fiel mir ein, daß ihre Perlen und Edelsteine wohl etwas Kostbares sein könnten. Dieser Gedanke wurde mir bald noch deutlicher. Aber was konnte sie mit der rechten Bahn meinen? Ganz konnte ich den Sinn ihrer Worte noch immer nicht fassen. Ich war jezt vierzehn Jahr alt, und es ist ein Unglück für den Menschen, daß er seinen Verstand nur darum bekömmt, um die Unschuld seiner Seele zu verlieren. Ich begriff nehmlich wohl, daß es nur auf mich ankomme, in der Abwesenheit der Alten den Vogel und die Kleinodien zu nehmen, und damit die Welt, von der ich gelesen hatte, aufzusuchen. Zugleich war es mir dann vielleicht möglich, den überaus schönen Ritter anzutreffen, der mir immer noch im Gedächtnisse lag. Im Anfange war dieser Gedanke nichts weiter als jeder andre Gedanke, aber wenn ich so an meinem Rade saß, so kam er mir immer wider Willen zurück, und ich verlor mich so in ihm, daß ich mich schon herrlich geschmückt sah, und Ritter und Prinzen um mich her. Wenn ich mich so vergessen hatte, konnte ich ordentlich betrübt werden, wenn ich wieder aufschaute, und mich in der kleinen Wohnung antraf. Uebrigens, wenn ich meine Geschäfte that, bekümmerte sich die Alte nicht weiter um mein Wesen. An einem Tage ging meine Wirthin wieder fort, und sagte mir, daß sie diesmal länger als gewöhnlich ausbleiben werde, ich solle ja auf alles ordentlich Acht geben und mir die Zeit nicht lang werden lassen. Ich nahm mit einer gewissen Bangigkeit von ihr Abschied, denn es war mir, als würde ich sie nicht wieder sehn. Ich sah ihr lange nach und wußte selbst nicht, warum ich so beängstigt war; es war fast, als wenn mein Vorhaben schon vor mir stände, ohne mich dessen deutlich bewußt zu sein. Nie hab' ich des Hundes und des Vogels mit einer solchen Aemsigkeit gepflegt, sie lagen mir näher am Herzen, als sonst. Die Alte war schon einige Tage abwesend, als ich mit dem festen Vorsatze aufstand, mit dem Vogel die Hütte zu verlassen, und die sogenannte Welt aufzusuchen. Es war mir enge und bedrängt zu Sinne, ich wünschte wieder da zu bleiben, und doch war mir der Gedanke widerwärtig; es war ein seltsamer Kampf in meiner Seele, wie ein Streiten von zwei widerspenstigen Geistern in mir. In einem Augenblicke kam mir die ruhige Einsamkeit so schön vor, dann entzückte mich wieder die Vorstellung einer neuen Welt, mit allen ihren wunderbaren Mannichfaltigkeiten. Ich wußte nicht, was ich aus mir selber machen sollte, der Hund sprang mich unaufhörlich an, der Sonnenschein breitete sich munter über die Felder aus, die grünen Birken funkelten: ich hatte die Empfindung, als wenn ich etwas sehr Eiliges zu thun hätte, ich griff also den kleinen Hund, band ihn in der Stube fest, und nahm dann den Käfig mit dem Vogel unter den Arm. Der Hund krümmte sich und winselte über diese ungewohnte Behandlung, er sah mich mit bittenden Augen an, aber ich fürchtete mich, ihn mit mir zu nehmen. Noch nahm ich eins von den Gefäßen, das mit Edelsteinen angefüllt war, und steckte es zu mir, die übrigen ließ ich stehn. Der Vogel drehte den Kopf auf eine wunderliche Weise, als ich mit ihm zur Thür hinaus trat, der Hund strengte sich sehr an, mir nachzukommen, aber er mußte zurück bleiben. Ich vermied den Weg nach den wilden Felsen und ging nach der entgegengesetzten Seite. Der Hund bellte und winselte immerfort, und es rührte mich recht inniglich, der Vogel wollte einigemal zu singen anfangen, aber da er getragen ward, mußte es ihm wohl unbequem fallen. So wie ich weiter ging, hörte ich das Bellen immer schwächer, und endlich hörte es ganz auf. Ich weinte und wäre beinahe wieder umgekehrt, aber die Sucht etwas Neues zu sehn, trieb mich vorwärts. Schon war ich über Berge und durch einige Wälder gekommen, als es Abend ward, und ich in einem Dorfe einkehren mußte. Ich war sehr blöde, als ich in die Schenke trat, man wies mir eine Stube und ein Bette an, ich schlief ziemlich ruhig, nur daß ich von der Alten träumte, die mir drohte. Meine Reise war ziemlich einförmig, aber je weiter ich ging, je mehr ängstigte mich die Vorstellung von der Alten und dem kleinen Hunde; ich dachte daran, daß er wahrscheinlich ohne meine Hülfe verhungern müsse, im Walde glaubt' ich oft die Alte würde mir plötzlich entgegen treten. So legte ich unter Thränen und Seufzern den Weg zurück; so oft ich ruhte, und den Käfig auf den Boden stellte, sang der Vogel sein wunderliches Lied, und ich erinnerte mich dabei recht lebhaft des schönen verlassenen Aufenthalts. Wie die menschliche Natur vergeßlich ist, so glaubt' ich jezt, meine vormalige Reise in der Kindheit sei nicht so trübselig gewesen als meine jetzige; ich wünschte wieder in derselben Lage zu sein. Ich hatte einige Edelsteine verkauft und kam nun nach einer Wanderschaft von vielen Tagen in einem Dorfe an. Schon beim Eintritt ward mir wundersam zu Muthe, ich erschrak und wußte nicht worüber; aber bald erkannt' ich mich, denn es war dasselbe Dorf, in welchem ich geboren war. Wie ward ich überrascht! Wie liefen mir vor Freuden, wegen tausend seltsamer Erinnerungen, die Thränen von den Wangen! Vieles war verändert, es waren neue Häuser entstanden, andre, die man damals erst errichtet hatte, waren jezt verfallen, ich traf auch Brandstellen; alles war weit kleiner, gedrängter als ich erwartet hatte. Unendlich freute ich mich darauf, meine Eltern nun nach so manchen Jahren wieder zu sehn; ich fand das kleine Haus, die wohlbekannte Schwelle, der Griff der Thür war noch ganz so wie damals, es war mir, als hätte ich sie nur gestern angelehnt; mein Herz klopfte ungestüm, ich öffnete sie hastig, -- aber ganz fremde Gesichter saßen in der Stube umher und stierten mich an. Ich fragte nach dem Schäfer Martin, und man sagte mir, er sei schon seit drei Jahren mit seiner Frau gestorben. -- Ich trat schnell zurück, und ging laut weinend aus dem Dorfe hinaus. Ich hatte es mir so schön gedacht, sie mit meinem Reichthume zu überraschen; durch den seltsamsten Zufall war das nun wirklich geworden, was ich in der Kindheit immer nur träumte, -- und jezt war alles umsonst, sie konnten sich nicht mit mir freuen, und das, worauf ich am meisten immer im Leben gehofft hatte, war für mich auf ewig verloren. In einer angenehmen Stadt miethete ich mir ein kleines Haus mit einem Garten, und nahm eine Aufwärterin zu mir. So wunderbar, als ich es vermuthet hatte, kam mir die Welt nicht vor, aber ich vergaß die Alte und meinen ehemaligen Aufenthalt etwas mehr, und so lebt' ich im Ganzen recht zufrieden. Der Vogel hatte schon seit lange nicht mehr gesungen; ich erschrak daher nicht wenig, als er in einer Nacht plötzlich wieder anfing, und zwar mit einem veränderten Liede. Er sang: Waldeinsamkeit Wie liegst du weit! O dich gereut Einst mit der Zeit. -- Ach einzge Freud Waldeinsamkeit! Ich konnte die Nacht hindurch nicht schlafen, alles fiel mir von neuem in die Gedanken, und mehr als jemals fühlt' ich, daß ich Unrecht gethan hatte. Als ich aufstand, war mir der Anblick des Vogels ordentlich zuwider, er sah immer nach mir hin, und seine Gegenwart ängstigte mich. Er hörte nun mit seinem Liede gar nicht wieder auf, und er sang es lauter und schallender, als er es sonst gewohnt gewesen war. Je mehr ich ihn betrachtete, je bänger machte er mich; ich öffnete endlich den Käfig, steckte die Hand hinein und faßte seinen Hals, herzhaft drückte ich die Finger zusammen, er sah mich bittend an, ich ließ los, aber er war schon gestorben. -- Ich begrub ihn im Garten. Jezt wandelte mich oft eine Furcht vor meiner Aufwärterin an, ich dachte an mich selbst zurück, und glaubte, daß sie mich auch einst berauben oder wohl gar ermorden könne. -- Schon lange kannt' ich einen jungen Ritter, der mir überaus gefiel, ich gab ihm meine Hand, -- und hiermit, Herr Walther, ist meine Geschichte geendigt. Ihr hättet sie damals sehn sollen, fiel Eckbert hastig ein, -- ihre Jugend, ihre Schönheit, und welch einen unbeschreiblichen Reiz ihr ihre einsame Erziehung gegeben hatte. Sie kam mir vor wie ein Wunder, und ich liebte sie ganz über alles Maaß. Ich hatte kein Vermögen, aber durch ihre Liebe kam ich in diesen Wohlstand, wir zogen hieher, und unsere Verbindung hat uns bis jezt noch keinen Augenblick gereut. -- Aber über unser Schwatzen, fing Bertha wieder an, ist es schon tief in die Nacht geworden, -- wir wollen uns schlafen legen. Sie stand auf und ging nach ihrer Kammer. Walther wünschte ihr mit einem Handkusse eine gute Nacht, und sagte: Edle Frau, ich danke Euch, ich kann mir Euch recht vorstellen, mit dem seltsamen Vogel, und wie Ihr den kleinen _Strohmian_ füttert. Auch Walther legte sich schlafen, nur Eckbert ging noch unruhig im Saale auf und ab. -- Ist der Mensch nicht ein Thor? fing er endlich an; ich bin erst die Veranlassung, daß meine Frau ihre Geschichte erzählt, und jezt gereut mich diese Vertraulichkeit! -- Wird er sie nicht mißbrauchen? Wird er sie nicht andern mittheilen? Wird er nicht vielleicht, denn das ist die Natur des Menschen, eine unselige Habsucht nach unsern Edelgesteinen empfinden, und deswegen Plane anlegen und sich verstellen? Es fiel ihm ein, daß Walther nicht so herzlich von ihm Abschied genommen hatte, als es nach einer solchen Vertraulichkeit wohl natürlich gewesen wäre. Wenn die Seele erst einmal zum Argwohn gespannt ist, so trifft sie auch in allen Kleinigkeiten Bestätigungen an. Dann warf sich Eckbert wieder sein unedles Mißtrauen gegen seinen wackern Freund vor, und konnte doch nicht davon zurück kehren. Er schlug sich die ganze Nacht mit diesen Vorstellungen herum, und schlief nur wenig. Bertha war krank und konnte nicht zum Frühstück erscheinen; Walther schien sich nicht viel darum zu kümmern, und verließ auch den Ritter ziemlich gleichgültig. Eckbert konnte sein Betragen nicht begreifen; er besuchte seine Gattin, sie lag in einer Fieberhitze und sagte, die Erzählung in der Nacht müsse sie auf diese Art gespannt haben. Seit diesem Abend besuchte Walther nur selten die Burg seines Freundes, und wenn er auch kam, ging er nach einigen unbedeutenden Worten wieder weg. Eckbert ward durch dieses Betragen im äußersten Grade gepeinigt; er ließ sich zwar gegen Bertha und Walther nichts davon merken, aber jeder mußte doch seine innerliche Unruhe an ihm gewahr werden. Mit Berthas Krankheit ward es immer bedenklicher; der Arzt ward ängstlich, die Röthe von ihren Wangen war verschwunden, und ihre Augen wurden immer glühender. -- An einem Morgen ließ sie ihren Mann an ihr Bette rufen, die Mägde mußten sich entfernen. Lieber Mann, fing sie an, ich muß dir etwas entdecken, das mich fast um meinen Verstand gebracht hat, das meine Gesundheit zerrüttet, so eine unbedeutende Kleinigkeit es auch an sich scheinen möchte. -- Du weißt, daß ich mich immer nicht, so oft ich von meiner Kindheit sprach, trotz aller angewandten Mühe auf den Namen des kleinen Hundes besinnen konnte, mit welchem ich so lange umging; an jenem Abend sagte Walther beim Abschiede plötzlich zu mir: ich kann mir euch recht vorstellen, wie ihr den kleinen _Strohmian_ füttert. Ist das Zufall? Hat er den Namen errathen, weiß er ihn und hat er ihn mit Vorsatz genannt? Und wie hängt dieser Mensch dann mit meinem Schicksale zusammen? Zuweilen kämpfe ich mit mir, als ob ich mir diese Seltsamkeit nur einbilde, aber es ist gewiß, nur zu gewiß. Ein gewaltiges Entsetzen befiel mich, als mir ein fremder Mensch so zu meinen Erinnerungen half. Was sagst du, Eckbert? Eckbert sah seine leidende Gattin mit einem tiefen Gefühle an; er schwieg und dachte bei sich nach, dann sagte er ihr einige tröstende Worte und verließ sie. In einem abgelegenen Gemache ging er in unbeschreiblicher Unruhe auf und ab. Walther war seit vielen Jahren sein einziger Umgang gewesen, und doch war dieser Mensch jezt der einzige in der Welt, dessen Dasein ihn drückte und peinigte. Es schien ihm, als würde ihm froh und leicht sein, wenn nur dieses einzige Wesen aus seinem Wege gerückt werden könnte. Er nahm seine Armbrust, um sich zu zerstreuen und auf die Jagd zu gehn. Es war ein rauher stürmischer Wintertag, tiefer Schnee lag auf den Bergen und bog die Zweige der Bäume nieder. Er streifte umher, der Schweiß stand ihm auf der Stirne, er traf auf kein Wild, und das vermehrte seinen Unmuth. Plötzlich sah er sich etwas in der Ferne bewegen, es war Walther, der Moos von den Bäumen sammelte; ohne zu wissen was er that legte er an, Walther sah sich um, und drohte mit einer stummen Geberde, aber indem flog der Bolzen ab, und Walther stürzte nieder. Eckbert fühlte sich leicht und beruhigt, und doch trieb ihn ein Schauder nach seiner Burg zurück; er hatte einen großen Weg zu machen, denn er war weit hinein in die Wälder verirrt. -- Als er ankam, war Bertha schon gestorben; sie hatte vor ihrem Tode noch viel von Walther und der Alten gesprochen. Eckbert lebte nun eine lange Zeit in der größten Einsamkeit; er war schon sonst immer schwermüthig gewesen, weil ihn die seltsame Geschichte seiner Gattin beunruhigte, und er irgend einen unglücklichen Vorfall, der sich ereignen könnte, befürchtete: aber jezt war er ganz mit sich zerfallen. Die Ermordung seines Freundes stand ihm unaufhörlich vor Augen, er lebte unter ewigen innern Vorwürfen. Um sich zu zerstreuen, begab er sich zuweilen nach der nächsten großen Stadt, wo er Gesellschaften und Feste besuchte. Er wünschte durch irgend einen Freund die Leere in seiner Seele auszufüllen, und wenn er dann wieder an Walther zurück dachte, so erschrak er vor dem Gedanken, einen Freund zu finden, denn er war überzeugt, daß er nur unglücklich mit jedwedem Freunde sein könne. Er hatte so lange mit Bertha in einer schönen Ruhe gelebt, die Freundschaft Walthers hatte ihn so manches Jahr hindurch beglückt, und jezt waren beide so plötzlich dahin gerafft, daß ihm sein Leben in manchen Augenblicken mehr wie ein seltsames Mährchen, als wie ein wirklicher Lebenslauf erschien. Ein junger Ritter, _Hugo_, schloß sich an den stillen betrübten Eckbert, und schien eine wahrhafte Zuneigung gegen ihn zu empfinden. Eckbert fand sich auf eine wunderbare Art überrascht, er kam der Freundschaft des Ritters um so schneller entgegen, je weniger er sie vermuthet hatte. Beide waren nun häufig beisammen, der Fremde erzeigte Eckbert alle möglichen Gefälligkeiten, einer ritt fast nicht mehr ohne den andern aus; in allen Gesellschaften trafen sie sich, kurz, sie schienen unzertrennlich. Eckbert war immer nur auf kurze Augenblicke froh, denn er fühlte es deutlich, daß ihn Hugo nur aus einem Irrthume liebe; jener kannte ihn nicht, wußte seine Geschichte nicht, und er fühlte wieder denselben Drang, sich ihm ganz mitzutheilen, damit er versichert sein könne, ob jener auch wahrhaft sein Freund sei. Dann hielten ihn wieder Bedenklichkeiten und die Furcht, verabscheut zu werden, zurück. In manchen Stunden war er so sehr von seiner Nichtswürdigkeit überzeugt, daß er glaubte, kein Mensch, für den er nicht ein völliger Fremdling sei, könne ihn seiner Achtung würdigen. Aber dennoch konnte er sich nicht widerstehn; auf einem einsamen Spazierritte entdeckte er seinem Freunde seine ganze Geschichte, und fragte ihn dann, ob er wohl einen Mörder lieben könne. Hugo war gerührt, und suchte ihn zu trösten; Eckbert folgte ihm mit leichterm Herzen zur Stadt. Es schien aber seine Verdammniß zu seyn, gerade in der Stunde des Vertrauens Argwohn zu schöpfen, denn kaum waren sie in den Saal getreten, als ihm beim Schein der vielen Lichter die Mienen seines Freundes nicht gefielen. Er glaubte ein hämisches Lächeln zu bemerken, es fiel ihm auf, daß er nur wenig mit ihm spreche, daß er mit den Anwesenden viel rede, und seiner gar nicht zu achten scheine. Ein alter Ritter war in der Gesellschaft, der sich immer als den Gegner Eckberts gezeigt, und sich oft nach seinem Reichthum und seiner Frau auf eine eigne Weise erkundigt hatte; zu diesem gesellte sich Hugo, und beide sprachen eine Zeitlang heimlich, indem sie nach Eckbert hindeuteten. Dieser sah jezt seinen Argwohn bestätigt, er glaubte sich verrathen, und eine schreckliche Wuth bemeisterte sich seiner. Indem er noch immer hinstarrte, sah er plötzlich Walthers Gesicht, alle seine Mienen, die ganze, ihm so wohl bekannte Gestalt, er sah noch immer hin und ward überzeugt, daß Niemand als _Walther_ mit dem Alten spreche. -- Sein Entsetzen war unbeschreiblich; außer sich stürzte er hinaus, verließ noch in der Nacht die Stadt, und kehrte nach vielen Irrwegen auf seine Burg zurück. Wie ein unruhiger Geist eilte er jezt von Gemach zu Gemach, kein Gedanke hielt ihm Stand, er verfiel von entsetzlichen Vorstellungen auf noch entsetzlichere, und kein Schlaf kam in seine Augen. Oft dachte er, daß er wahnsinnig sei, und sich nur selber durch seine Einbildung alles erschaffe; dann erinnerte er sich wieder der Züge Walthers, und alles ward ihm immer mehr ein Räthsel. Er beschloß eine Reise zu machen, um seine Vorstellungen wieder zu ordnen; den Gedanken an Freundschaft, den Wunsch nach Umgang hatte er nun auf ewig aufgegeben. Er zog fort, ohne sich einen bestimmten Weg vorzusetzen, ja er betrachtete die Gegenden nur wenig, die vor ihm lagen. Als er im stärksten Trabe seines Pferdes einige Tage so fort geeilt war, sah er sich plötzlich in einem Gewinde von Felsen verirrt, in denen sich nirgend ein Ausweg entdecken ließ. Endlich traf er auf einen alten Bauer, der ihm einen Pfad, einem Wasserfall vorüber, zeigte: er wollte ihm zur Danksagung einige Münzen geben, der Bauer aber schlug sie aus. -- Was gilts, sagte Eckbert zu sich selber, ich könnte mir wieder einbilden, daß dies Niemand anders als Walther sei? -- Und indem sah er sich noch einmal um, und es war Niemand anders als Walther. -- Eckbert spornte sein Roß so schnell es nur laufen konnte, durch Wiesen und Wälder, bis es erschöpft unter ihm zusammen stürzte. -- Unbekümmert darüber setzte er nun seine Reise zu Fuß fort. Er stieg träumend einen Hügel hinan; es war, als wenn er ein nahes munteres Bellen vernahm, Birken säuselten dazwischen, und er hörte mit wunderlichen Tönen ein Lied singen: Waldeinsamkeit Mich wieder freut, Mir geschieht kein Leid, Hier wohnt kein Neid, Von neuem mich freut Waldeinsamkeit. Jezt war es um das Bewußtsein, um die Sinne Eckberts geschehn; er konnte sich nicht aus dem Räthsel heraus finden, ob er jezt träume, oder ehemals von einem Weibe Bertha geträumt habe; das Wunderbarste vermischte sich mit dem Gewöhnlichsten, die Welt um ihn her war verzaubert, und er keines Gedankens, keiner Erinnerung mächtig. Eine krummgebückte Alte schlich hustend mit einer Krücke den Hügel heran. Bringst du mir meinen Vogel? Meine Perlen? Meinen Hund? schrie sie ihm entgegen. Siehe, das Unrecht bestraft sich selbst: Niemand als ich war dein Freund Walther, dein Hugo. -- Gott im Himmel! sagte Eckbert stille vor sich hin, -- in welcher entsetzlichen Einsamkeit hab' ich dann mein Leben hingebracht! -- Und Bertha war deine Schwester. Eckbert fiel zu Boden. Warum verließ sie mich tückisch? Sonst hätte sich alles gut und schön geendet, ihre Probezeit war ja schon vorüber. Sie war die Tochter eines Ritters, die er bei einem Hirten erziehn ließ, die Tochter deines Vaters. Warum hab' ich diesen schrecklichen Gedanken immer geahndet? rief Eckbert aus. Weil du in früher Jugend deinen Vater einst davon erzählen hörtest; er durfte seiner Frau wegen diese Tochter nicht bei sich erziehn lassen, denn sie war von einem andern Weibe. -- Eckbert lag wahnsinnig und verscheidend auf dem Boden; dumpf und verworren hörte er die Alte sprechen, den Hund bellen, und den Vogel sein Lied wiederholen. * * * * * Nach einer Pause sagte Clara: Sie sehn, lieber Anton, daß uns allen jene Thränen eines heimlichen Grauens in den Augen stehen, und ich denke, Sie haben großentheils das Versprechen Ihres Phantasus erfüllt. Aber erlauben Sie mir zu fragen: ist diese Erzählung Ihre eigene Erfindung, oder eine nachgeahmte? Ich darf sie, antwortete Anton, wohl für meine Erfindung ausgeben, da ich mich nicht erinnere, eine ähnliche Geschichte anderswo gelesen zu haben; auch denke ich, ist es in der Aufgabe begriffen gewesen, daß nur selbst ersonnene Mährchen vorgetragen werden sollen; wenigstens habe ich es so verstanden, und ich hoffe, daß auch alle meine Freunde meinem Beispiele heute folgen werden. Versprich dies nicht so im Allgemeinen, wandte Friedrich ein. Wollte man freilich, fuhr Anton fort, genau erzählen, aus welchen Erinnerungen der Kindheit, aus welchen Bildern, die man im Lesen, oder oft aus ganz unbedeutenden mündlichen Erzählungen aufgreift, dergleichen sogenannte Erfindungen zusammengesetzt werden, so könnte man daraus wieder eine Art von seltsamer, mährchenartiger Geschichte bilden. Es ist ängstlich, sagte Ernst, dergleichen Kleinigkeiten zu gründlich zu nehmen. Ich erinnere mich mancher Gesellschaft, in der spitz- und salzlose Anekdoten schlecht vorgetragen wurden, die man nachher eben so unwitzig kritisirte, mit Schrecken, und wenn auch etwas ähnliches hier nicht zu besorgen steht, so wünschte ich doch wohl, daß unsre schönen Richterinnen sich nicht zu eifrig um den Grund und Boden bekümmern möchten, auf welchem unsre Poesien gewachsen sind; ein wesenloser Traum büßt, auch durch geringe Störung, zu leicht seine ganze Wirkung ein. Daß ich fragte, antwortete Clara, geschah nicht aus kritischem Interesse, sondern weil ich, was vielleicht Schwäche sein mag, auf die ursprüngliche Erfindung einer Dichtung sehr viel halte, denn die Kraft des Erfindens scheint mir, mit aller Ehrfurcht von der übrigen Kunst gesprochen, etwas so Eigenthümliches, daß ich mich für denjenigen Dichter besonders interessire, welcher nicht nachahmt, sondern zum erstenmal ein Ding vorträgt, welches unsre Imagination ergreift. Beim dramatischen Dichter, wenn er es wahrhaft ist, tritt wohl eine andere Erfindungskunst ein, als beim erzählenden, denn freilich möchte ich lieber eine Scene in »Wie es Euch gefällt« geschrieben haben, als die Novelle erfunden, aus welcher dies Lustspiel entsprungen ist. Der Erzähler kann seinen Gegenstand, wenn dieser interessant ist, schmücken und erheben, seinen Geschmack und seine Kunst in der Umbildung beweisen; ich frage aber immer gern: wer hat diese Sache zuerst ersonnen, falls sie sich nicht wirklich zugetragen hat? Ich gebe Ihnen gern Recht, sagte Ernst, und um so lieber, weil ich Ihnen mit meinem Gedichte dann etwas dreister nahen darf, da ich es wenigstens für eigene Erfindung ausgeben kann. In sofern freilich nicht, als die Vorstellung vom verzauberten Berge der Venus im Mittelalter allgemein verbreitet war, aber das Gedicht vom Tannenhäuser hatte ich, damals so wie jezt, noch nicht gelesen, eben so wenig kannte ich damals die Niebelungen, sondern nur das Heldenbuch, in dessen Vorrede ein getreuer Eckart erwähnt wird, der die jungen Harlungen beschützt, und der nachher beim Hans Sachs und andern Dichtern oftmals sprichwörtlich vorkömmt, und immer vor dem Berge der Venus Wache hält. Aus diesen allgemeinen, unbestimmten Vorstellungen, in welche ich noch die Sage von dem berüchtigten Rattenfänger von Hameln aufgenommen und verkleidet habe, ist folgendes Gedicht entstanden. Der getreue Eckart und der Tannenhäuser. In zwei Abschnitten. 1799. Erster Abschnitt. Der edle Herzog groß Von dem Burgunder Lande Litt manchen Feindesstoß Wohl auf dem ebnen Sande. Er sprach: mich schlägt der Feind, Mein Muth ist mir entwichen, Die Freunde sind erblichen, Die Knecht' geflohen seind! Ich kann mich nicht mehr regen, Nicht Waffen führen kann: Wo bleibt der edle Degen, Eckart der treue Mann? Er war mir sonst zur Seite In jedem harten Strauß, Doch leider blieb er heute Daheim bei sich zu Haus. Es mehren sich die Haufen, Ich muß gefangen sein, Mag nicht wie Knecht entlaufen, Drum will ich sterben fein! -- So klagt der von Burgund, Will sein Schwert in sich stechen: Da kommt zur selben Stund Eckart, den Feind zu brechen. Geharnischt reit't der Degen Keck in den Feind hinein, Ihm folgt die Schaar verwegen Und auch der Sohne sein. Burgund erkennt die Zeichen, Und ruft: Gott sei gelobt! Die Feinde mußten weichen Die wüthend erst getobt. Da schlug mit treuem Muthe Eckart ins Volk hinein, Doch schwamm im rothen Blute Sein zartes Söhnelein. Als nun der Feind bezwungen, Da sprach der Herzog laut: Es ist dir wohl gelungen, Doch so, daß es mir graut; Du hast viel Mann geworben Zu retten Reich und Leben, Dein Söhnlein liegt erstorben, Kann's dir nicht wieder geben. -- Der Eckart weinet fast, Bückt sich der starke Held, Und nimmt die theure Last, Den Sohn in Armen hält. Wie starbst du, Heinz, so frühe, Und warst noch kaum ein Mann? Mich reut nicht meine Mühe, Ich seh' dich gerne an, Weil wir dich, Fürst, erlösten, Aus deiner Feinde Hohn, Und drum will ich mich trösten, Ich schenke dir den Sohn. Da ward dem Burgund trübe Vor seiner Augen Licht, Weil diese große Liebe Sein edles Herze bricht. Er weint die hellen Zähren Und fällt ihm an die Brust: Dich, Held, muß ich verehren, Spricht er in Leid und Lust, So treu bist du geblieben, Da alles von mir wich, So will ich nun auch lieben Wie meinen Bruder dich, Und sollst in ganz Burgunde So gelten wie der Herr, Wenn ich mehr lohnen kunnte, Ich gäbe gern noch mehr. Als dies das Land erfahren, So freut sich jedermann, Man nennt den Held seit Jahren Eckart den treuen Mann. Die Stimme eines alten Landmanns klang über die Felsen herüber, der dieses Lied sang, und der getreue Eckart saß in seinem Unmuthe auf dem Berghang und weinte laut. Sein jüngstes Söhnlein stand neben ihm und fragte: Warum weinst du also laut, mein Vater Eckart? Wie bist du doch so groß und stark, höher und kräftiger, als alle übrige Männer, vor wem darfst du dich denn fürchten? Indem zog die Jagd des Herzogs heim nach Hause. Burgund saß auf einem stattlichen, schön geschmückten Rosse, und Gold und Geschmeide des fürstlichen Herzogs flimmerte und blinkte in der Abendsonne, so daß der junge Conrad den herrlichen Aufzug nicht genug sehn, nicht genug preisen konnte. Der getreue Eckart erhob sich und schaute finster hinüber, und der junge Conrad sang, nachdem er die Jagd aus dem Gesichte verloren hatte: Wann du willt Schwerdt und Schild, Gutes Roß, Speer und Geschoß Führen: Muß dein Mark In Beinen stark, Dir im Blut Mannesmuth Gar kräftiglich regieren! Der Alte nahm den Sohn und herzte ihn, wobei er gerührt seine großen hellblauen Augen anschaute. Hast du das Lied jenes guten Mannes gehört? fragte er ihn dann. Wie nicht? sprach der Sohn, hat er es doch laut genug gesungen, und bist du ja doch der getreue Eckart, so daß ich gern zuhörte. Derselbe Herzog ist jezt mein Feind, sprach der alte Vater; er hält mir meinen zweiten Sohn gefangen, ja hat ihn schon hingerichtet, wenn ich dem trauen darf, was die Leute im Lande sagen. Nimm dein großes Schwerdt und duld' es nicht, sagte der Sohn; sie müssen ja alle vor dir zittern, und alle Leute im ganzen Lande werden dir beistehn, denn du bist ihr größter Held im Lande. Nicht also, mein Sohn, sprach jener, dann wäre ich der, für den mich meine Feinde ausgeben, ich darf nicht an meinem Landesherren ungetreu werden, nein, ich darf nicht den Frieden brechen, den ich ihm angelobt und in seine Hände versprochen. Aber was will er von uns? fragte Conrad ungeduldig. Der Eckart setzte sich wieder nieder und sagte: mein Sohn, die ganze Erzählung davon würde zu umständlich lauten, und du würdest es dennoch kaum verstehn. Der Mächtige hat immer seinen größten Feind in seinem eigenen Herzen, den er so Tag wie Nacht fürchtet: so meint der Burgund nunmehr, er habe mir zu viel getraut, und in mir eine Schlange an seinem Busen auferzogen. Sie nennen mich im Land den kühnsten Degen, sie sagen laut, daß er mir Reich und Leben zu danken, ich heiße der getreue Eckart, und so wenden sich Bedrängte und Nothleidende zu mir, daß ich ihnen Hülfe schaffe; das kann er nicht leiden. So hat er Groll auf mich geworfen, und jeder, der bei ihm gelten möchte, vermehrt sein Mißtrauen zu mir: so hat sich endlich sein Herz von mir abgewendet. Hierauf erzählte ihm der Held Eckart mit schlichten Worten, daß ihn der Herzog von seinem Angesichte verbannt habe, und daß sie sich ganz fremd geworden seien, weil jener geargwohnt, er wolle ihm gar sein Herzogthum entreißen. In Betrübniß fuhr er fort, wie der Herzog ihm seinen Sohn gefangen genommen, und ihm selber, als einem Verräther, nach dem Leben stehe. Conrad sprach zu seinem Vater: so laß mich nun hingehn, mein alter Vater, und mit dem Herzoge reden, damit er verständig und dir gewogen werde; hat er meinen Bruder erwürgt, so ist er ein böser Mann, und du sollst ihn strafen, doch kann es nicht sein, weil er nicht so schnöde deiner großen Dienste vergessen kann. Weißt du nicht den alten Spruch, sagte Eckart: Wenn der Mächtge dein begehrt, Bist du ihm als Freund was werth, Wie die Noth von ihm gewichen, Ist die Freundschaft auch erblichen. Ja, mein ganzes Leben ist unnütz verschwendet: warum machte er mich groß, um mich dann desto tiefer hinab zu werfen? Die Freundschaft der Fürsten ist wie ein tödtendes Gift, das man nur gegen Feinde nützen kann, und womit sich der Eigner aus Unbedacht endlich selbst erwürgt. Ich will zum Herzoge hin, rief Conrad aus, ich will ihm alles, was du gethan, was du für ihn gelitten, in die Seele zurück rufen, und er wird wieder seyn, wie ehemals. Du hast vergessen, sagte Eckart, daß man uns für Verräther ausgerufen hat, darum laß uns mit einander flüchten, in ein fremdes Land, wo wir wohl ein besseres Glück antreffen mögen. In deinem Alter, sagte Conrad, willst du deiner lieben Heimath noch den Rücken wenden? Nein, laß uns lieber alles andere versuchen. Ich will zum Burgunder, ihn versöhnen und zufrieden stellen; denn was kann er mir thun wollen, wenn er dich auch haßt und fürchtet? Ich lasse dich sehr ungern, sagte Eckart, meine Seele weissagt mir nichts Gutes, und doch möcht' ich gern mit ihm versöhnt sein, denn er ist mein alter Freund, auch deinen Bruder erretten, der in gefänglicher Haft bei ihm schmachtet. Die Sonne warf ihre letzten milden Strahlen auf die grüne Erde, und Eckart setzte sich nachdenkend nieder, an einem Baumstamm gelehnt, er beschaute den Conrad lange Zeit und sagte dann: wenn du gehen willst, mein Sohn, so gehe jezt, bevor die Nacht vollends herein bricht; die Fenster in der herzoglichen Burg glänzen schon von Lichtern, ich vernehme aus der Ferne Trompetentöne vom Feste, vielleicht ist die Gemalin seines Sohnes schon angelangt und sein Gemüth freundlicher gegen uns. Ungern ließ er den Sohn von sich, weil er seinem Glücke nicht mehr traute; der junge Conrad aber war um so muthiger, weil es ihm ein leichtes dünkte, das Gemüth des Herzoges umzuwenden, der noch vor weniger Zeit so freundlich mit ihm gespielt hatte. Kommst du mir gewiß zurück, mein liebstes Kind? klagte der Alte, wenn du mir verloren gehst, ist keiner mehr von meinem Stamme übrig. Der Knabe tröstete ihn, und schmeichelte mit Liebkosungen dem Greise; sie trennten sich endlich. Conrad klopfte an die Pforte der Burg und ward eingelassen, der alte Eckart blieb draußen in der Nacht allein. Auch diesen habe ich verloren, klagte er in der Einsamkeit, ich werde sein Angesicht nicht wieder sehn. Indem er so jammerte, wankte an einem Stabe ein Greis daher, der die Felsen hinab steigen wollte, und bei jedem Schritte zu fürchten schien, daß er in den Abgrund stürzen möchte. Wie Eckart die Gebrechlichkeit des Alten wahrnahm, reichte er ihm die Hand, daß er sicher herunter steigen möchte. Woher des Weges? fragte ihn Eckart. Der Alte setzte sich nieder und fing an zu weinen, daß ihm die hellen Thränen die Wangen hinunter liefen. Eckart wollte ihn mit gelinden und vernünftigen Worten trösten, aber der sehr bekümmerte Greis schien auf seine wohlgemeinten Reden nicht zu achten, sondern sich seinen Schmerzen noch ungemäßigter zu ergeben. Welcher Gram kann euch denn so gar sehr niederbeugen, fragte er endlich, daß ihr gänzlich davon überwältigt seid? Ach meine Kinder! klagte der Alte. Da dachte Eckart an Conrad, Heinz und Dietrich, und war selbst alles Trostes verlustig; ja, wenn eure Kinder gestorben sind, sprach er, dann ist euer Elend warlich sehr groß. Schlimmer als gestorben, versetzte hierauf der Alte mit seiner jammernden Stimme, denn sie sind nicht todt, aber ewig für mich verloren. O wollte der Himmel, daß sie nur gestorben wären! Der Held erschrak über diese seltsamen Worte, und bat den Greis, ihm dieses Räthsel aufzulösen, worauf jener sagte: Wir leben warlich in einer wunderbarlichen Zeit, die wohl die letzten Tage bald herbei führen wird, denn die erschrecklichsten Zeichen fallen dräuend in die Welt herein. Alles Unheil macht sich von den alten Ketten los, und streift nun frank und frei herum; die Furcht Gottes versiegt und verrinnt, und findet kein Strombett, in das sie sich sammeln möchte, und die bösen Kräfte stehn kecklich in ihren Winkeln auf, und feiern ihren Triumph. O mein lieber Herr, wir sind alt geworden, aber für dergleichen Wundergeschichten noch nicht alt genug. Ihr werdet ohne Zweifel den Cometen gesehen haben, dieses wunderbare Himmelslicht, das so prophetisch hernieder scheint; alle Welt weissagt Uebles, und keiner denkt daran, mit sich selbst die Besserung anzufahn und so die Ruthe abzuwenden. Dies ist nicht genug, sondern aus der Erde thun sich Wunderwerke hervor und brechen geheimnißvoll von unten herauf, wie das Licht schrecklich von oben herniederscheint. Habt ihr niemals von dem Berge gehört, den die Leute nur den Berg der Venus nennen? Niemalen, sagte Eckart, so weit ich auch herum gekommen bin. Darüber muß ich mich verwundern, sagte der Alte, denn die Sache ist jezt eben so bekannt, als sie wahrhaftig ist. In diesen Berg haben sich die Teufel hinein geflüchtet, und sich in den wüsten Mittelpunkt der Erde gerettet, als das aufwachsende heilige Christenthum den heidnischen Götzendienst stürzte. Hier, sagt man nun, solle vor allen Frau Venus Hof halten, und alle ihre höllischen Heerschaaren der weltlichen Lüste und verbotenen Wünsche um sich versammeln, so daß das Gebirge auch verflucht seit undenklichen Zeiten gelegen hat. Doch nach welcher Gegend liegt der Berg? fragte Eckart. Das ist das Geheimniß, sprach der Alte, daß dieses Niemand zu sagen weiß, als der sich schon dem Satan zu eigen gegeben, es fällt auch keinem Unschuldigen ein, ihn aufsuchen zu wollen. Ein Spielmann von wunderseltner Art ist plötzlich von unten hervor gekommen, den die Höllischen als ihren Abgesandten ausgeschickt haben; dieser durchzieht die Welt, und spielt und musizirt auf einer Pfeifen, daß die Töne weit in den Gegenden wieder klingen. Wer nun diese Klänge vernimmt, der wird von ihnen mit offenbarer, doch unerklärlicher Gewalt erfaßt, und fort, fort in die Wildniß getrieben, er sieht den Weg nicht, den er geht, er wandert und wandert und wird nicht müde, seine Kräfte nehmen zu wie seine Eile, keine Macht kann ihn aufhalten, so rennt er rasend in den Berg hinein, und findet ewig niemals den Rückweg wieder. Diese Macht ist der Hölle jezt zurück gegeben, und von entgegengesetzten Richtungen wandeln nun die unglückseligen verkehrten Pilgrimme hin, wo keine Rettung zu erwarten steht. Ich hatte an meinen beiden Söhnen schon seit lange keine Freude mehr erlebt, sie waren wüst und ohne Sitten, sie verachteten so Eltern wie Religion; nun hat sie der Klang ergriffen und angefaßt, sie sind davon und in die Weite, die Welt ist ihnen zu enge, und sie suchen in der Hölle Raum. Und was denkt ihr bei diesen Dingen zu thun? fragte Eckart. Mit dieser Krücke habe ich mich aufgemacht, antwortete der Alte, um die Welt zu durchstreifen, sie wieder zu finden, oder vor Müdigkeit und Gram zu sterben. Mit diesen Worten riß er sich mit großer Anstrengung aus seiner Ruhe auf, und eilte fort so schnell er nur konnte, als wenn er sein Liebstes auf der Welt versäumen möchte, und Eckart sah mit Bedauern seiner unnützen Bemühung nach, und achtete ihn in seinen Gedanken für wahnwitzig. -- Es war Nacht geworden und wurde Tag, und Conrad kam nicht zurück; da irrte Eckart durch das Gebirge und wandte seine sehnenden Augen nach dem Schlosse, aber er ersah ihn nicht. Ein Getümmel zog aus der Burg daher, da trachtete er nicht mehr, sich zu verbergen, sondern er bestieg sein Roß, das frei weidete, und ritt in die Schaar hinein, die fröhlich und guter Dinge über das Blachfeld zog. Als er unter ihnen war, erkannten sie ihn, aber keiner wagte Hand an ihn zu legen, oder ihm ein hartes Wort zu sagen, sondern sie wurden aus Ehrerbietung stumm, umgaben ihn in Verwunderung, und gingen dann ihres Weges. Einen von den Knechten rief er zurück, und fragte ihn: Wo ist mein Sohn Conrad? O fragt mich nicht, sagte der Knecht, denn es würde euch doch nur Jammer und Wehklagen erregen. Und Dietrich? rief der Vater. Nennt ihre Namen nicht mehr, sprach der alte Knecht, denn sie sind dahin, der Zorn des Herrn war gegen sie entbrannt, er gedachte euch in ihnen zu strafen. Ein heißer Zorn stieg in Eckarts Gemüth auf, und er war vor Schmerz und Wuth sein selber nicht mehr mächtig. Er spornte sein Roß mit aller Gewalt und ritt in das Burgthor hinein. Alle traten ihm mit scheuer Ehrfurcht aus dem Wege, und so ritt er vor den Pallast. Er schwang sich vom Rosse und ging mit wankenden Schritten die großen Stiegen hinan. Bin ich hier in der Wohnung des Mannes, sagte er zu sich selber, der sonst mein Freund war? Er wollte seine Gedanken sammeln, aber immer wildere Gestalten bewegten sich vor seinen Augen, und so trat er in das Gemach des Fürsten. Der Herzog von Burgund war sich seiner nicht gewärtig, und erschrak heftig, als er den Eckart vor sich sah. Bist du der Herzog von Burgund? redete dieser ihn an. Worauf der Herzog mit Ja antwortete. Und du hast meinen Sohn Dietrichen hinrichten lassen? Der Herzog sagte Ja. Und auch mein jüngstes Söhnlein Conrad, rief Eckart im Schmerz, ist dir nicht zu gut gewesen, und du hast ihn auch umbringen lassen? Worauf der Herzog wieder mit Ja antwortete. Hier ward Eckart übermannt und sprach in Thränen: O antworte mir nicht so, Burgund, denn diese Reden kann ich nicht aushalten, sprich nur, daß es dich gereut, daß du es jezt ungeschehen wünschest, und ich will mich zu trösten suchen; aber so bist du meinem Herzen überall zuwider. Der Herzog sagte: entferne dich von meinem Angesichte, ungetreuer Verräther, denn du bist mir der ärgste Feind, den ich nur auf Erden haben kann. Eckart sagte: du hast mich wohl ehedem deinen Freund genannt, aber diese Gedanken sind dir nunmehr fremd; nie hab' ich dir zuwider gehandelt, stets hab' ich dich als meinen Fürsten geehrt und geliebt, und behüte mich Gott, daß ich nun, wie ich wohl könnte, die Hand an mein Schwerdt legen sollte, um mir Rache zu schaffen. Nein, ich will mich selbst von deinem Angesichte verbannen, und in der Einsamkeit sterben. Mit diesen Worten ging er fort, und der Burgund war in seinem Gemüthe bewegt, doch erschienen auf seinen Ruf die Leibwächter mit den Lanzen, die ihn von allen Seiten umgaben, und den Eckart mit ihren Spießen aus dem Gemache treiben wollten. Es schwang sich auf sein Pferd Eckart der edle Held, Und sprach: in aller Welt Ist mir nun nichts mehr werth. Die Söhn' hab' ich verloren, So find' ich nirgend Trost, Der Fürst ist mir erbost, Hat meinen Tod geschworen. Da reitet er zu Wald Und klagt aus vollem Herzen Die übergroßen Schmerzen, Daß weit die Stimme schallt: Die Menschen sind mir todt, Ich muß mir Freunde suchen In Eichen, wilden Buchen, Ihn'n klagen meine Noth. Kein Kind, das mich ergötzt, Erwürgt von schlimmen Leuen Blieb keiner von den dreien, Der Liebste starb zuletzt. Wie Eckart also klagte, Verlor er Sinn und Muth, Er reit't in Zorneswuth, Als schon der Morgen tagte. Das Roß, das treu geblieben, Stürzt hin im wilden Lauf, Er achtet nicht darauf Und will nun nichts mehr lieben. Er thut die Rüstung abe, Wirft sich zu Boden hin, Auf Sterben steht sein Sinn, Sein Wunsch nur nach dem Grabe. Niemand in der Gegend wußte, wohin sich der Eckart gewendet, denn er hatte sich in die wüsten Waldungen hinein verirrt, und vor keinem Menschen ließ er sich sehen. Der Herzog fürchtete seinen Sinn, und es gereute ihn nun, daß er ihn von sich gelassen, ohne ihn zu fangen. Darum machte er sich an einem Morgen auf, mit einem großen Zuge von Jägern und anderm Gefolge, um die Wälder zu durchstreifen und den Eckart aufzusuchen, denn er meinte, daß dessen Tod nur ihn völlig sicher stellte. Alle waren unermüdet, und ließen sich den Eifer nicht verdrießen, aber die Sonne war schon untergegangen, ohne daß sie von Eckart eine Spur angetroffen hätten. Ein Sturm brach herein, und große Wolken flogen sausend über dem Walde hin, der Donner rollte, und Blitze fuhren in die hohen Eichen; von einem ungestümen Schrecken wurden alle angefaßt, und einzeln in den Gebüschen und auf den Fluren zerstreut. Das Roß des Herzogs rannte in das Dickicht hinein, sein Knappe vermochte nicht, ihm zu folgen; das edle Roß stürzte nieder, und der Burgund rief im Gewitter vergeblich nach seinen Dienern, denn es war keiner, der ihn hören mochte. Wie ein wildes Thier war Eckart umher geirrt, ohne von sich, von seinem Unglücke etwas zu wissen, er hatte sich selber verloren und in dumpfer Betäubung seinen Hunger mit Kräutern und Wurzeln gesättigt; unkenntlich wäre der Held jezt jedem seiner Freunde gewesen, so hatten ihn die Tage seiner Verzweiflung entstellt. Wie der Sturm aufbrach, erwachte er aus seiner Betäubung, er fand sich in seinen Schmerzen wieder und erkannte sein Unglück. Da erhub er ein lautes Jammergeschrei um seine Kinder, er raufte seine weißen Haare und klagte im Brausen des Sturmes: Wohin, wohin seid ihr gekommen, ihr Theile meines Herzens? Und wie ist mir denn so alle Macht genommen, daß ich euren Tod nicht mindestens rächen darf? Warum hielt ich denn meinen Arm zurück, und gab nicht dem den Tod, der meinem Herzen den tödtlichsten Stich zutheilte? Ha, du verdienst es, Wahnsinniger, daß der Tyrann dich verhöhnt, weil dein unmächtiger Arm, dein blödes Herz nicht dem Mörder widerstrebt! Jezt, jezt sollte er so vor mir stehn! Vergeblich wünsch' ich jezt die Rache, da der Augenblick vorüber ist. So kam die Nacht herauf, und Eckart irrte in seinem Jammer umher. Da hörte er aus der Ferne wie eine Stimme, die um Hülfe rief. Er richtete seine Schritte nach dem Schalle, und traf endlich in der Dunkelheit auf einen Mann, der an einen Baumstamm gelehnt, ihn wehmüthig bat, ihm wieder auf die rechte Straße zu helfen. Eckart erschrak vor der Stimme, denn sie schien ihm bekannt, und bald ermannte er sich und erkannte, daß der Verirrte der Herzog von Burgunden sei. Da erhub er seine Hand und wollte sein Schwerdt fassen, um den Mann nieder zu hauen, der der Mörder seiner Kinder war; es überfiel ihn die Wuth mit neuen Kräften, und er war des festen Willens, jenem den Garaus zu machen, als er plötzlich inne hielt, und seines Schwures und des gegebenen Wortes gedachte. Er faßte die Hand seines Feindes, und führte ihn nach der Gegend, wo er die Straße vermuthete. Der Herzog sank darnieder Im wilden dunkeln Hain, Da nahm der Helde bieder Ihn auf die Schultern sein. Er sprach: gar viel Beschwerden Mach' ich dir, guter Mann; Der sagte: auf der Erden Muß man gar viel bestahn. Doch sollst du, sprach Burgund, Dich freun, bei meinem Worte, Komm ich nur erst gesund Zu Haus und sicherm Orte. Der Held fühlt Thränen heiß Auf seinen alten Wangen, Er sprach: auf keine Weis' Trag ich nach Lohn Verlangen. Es mehren sich die Plagen, Sprach der Burgund in Noth; Wohin willst du mich tragen? Du bist wohl gar der Tod? -- Tod bin ich nicht genannt, Sprach Eckart noch im Weinen, Du stehst in Gottes Hand, Sein Licht mag dich bescheinen. Ach, wohl ist mir bewußt, Sprach jener drauf in Reue, Daß sündvoll meine Brust, Drum zittr' ich, daß er dräue. Ich hab' dem treusten Freunde Die Kinder umgebracht, Drum steht er mir zum Feinde In dieser finstern Nacht. Er war mir recht ergeben, Als wie der treuste Knecht, Und war im ganzen Leben Mir niemals ungerecht. Die Kindlein ließ ich tödten, Das kann er nie verzeihn, Ich fürcht', in diesen Nöthen Treff' ich ihn hier im Hain: Das sagt mir mein Gewissen, Mein Herze innerlich, Die Kind hab ich zerrissen, Dafür zerreißt er mich. Der Eckart sprach: empfinden Muß ich so schwere Last, Weil du nicht rein von Sünden Und schwer gefrevelt hast. Daß du den Mann wirst schauen, Ist auch gewißlich wahr, Doch magst du mir vertrauen, So krümmt er dir kein Haar. So gingen sie in Gesprächen fort, als ihnen im Walde eine andre Mannsgestalt begegnete, es war Wolfram, der Knappe des Herzogs, der seinen Herrn schon seit lange gesucht hatte. Die dunkle Nacht lag noch über ihnen, und kein Sternlein blickte zwischen den schwarzen Wolken hervor. Der Herzog fühlte sich schwächer, und wünschte eine Herberge zu erreichen, in der er die Nacht schlafen möchte; dabei zitterte er, auf den Eckart zu treffen, der wie ein Gespenst vor seiner Seele stand. Er glaubte nicht den Morgen zu erleben, und schauderte von neuem zusammen, wenn sich der Wind wieder in den hohen Bäumen regte, wenn der Sturm von unten herauf aus den Bergschluften kam und über ihren Häuptern hinweg ging. Besteige, Wolfram, rief der Herzog in seiner Angst, diese hohe Tanne, und schaue umher, ob du kein Lichtlein, kein Haus, oder keine Hütte erspähst, zu der wir uns wenden mögen. Der Knappe kletterte mit Gefahr seines Lebens zum hohen Tannenbaum hinauf, den der Sturm von einer Seite zur andern warf, und je zuweilen fast bis zur Erde den Wipfel beugte, so daß der Knappe wie ein Eichkätzlein oben schwankte. Endlich hatte er den Gipfel erklommen und rief: Im Thal da unten seh' ich den Schein eines Lichtes, dorthin müssen wir uns wenden! Sogleich stieg er ab und zeigte den beiden den Weg, und nach einiger Zeit sahen alle den erfreulichen Schein, worüber der Herzog anfing, sich wieder wohl zu gehaben. Eckart blieb immer stumm und in sich gekehrt, er sprach kein Wort und schaute seinen innern Gedanken zu. Als sie vor der Hütte standen, klopften sie an, und ein altes Mütterlein öffnete ihnen die Thür; so wie sie hinein traten, ließ der starke Eckart den Herzog von seinen Schultern nieder, der sich alsbald auf seine Knie warf und Gott in einem brünstigen Gebete für seine Rettung dankte. Eckart setzte sich in einen finstern Winkel nieder und traf dort den Greis schlafend, der ihm unlängst sein großes Unglück mit seinen Söhnen erzählt hatte, welche er aufzusuchen ging. Als der Herzog sein Gebet vollendet, sprach er: Wunderbar ist mir in dieser Nacht zu Sinne geworden, und die Güte Gottes wie seine Allmacht haben sich meinem verstockten Herzen noch niemals so nahe gezeigt; auch daß ich bald sterbe, sagt mir mein Gemüth, und ich wünsche nichts so sehr, als daß Gott mir vorher meine vielen und schweren Sünden vergeben möge. Euch beide aber, die ihr mich hieher geführt habt, will ich vor meinem Ende noch belohnen, so viel ich kann. Dir, meinem Knappen, schenk' ich die beiden Schlösser, die hier auf den nächsten Bergen liegen; doch sollst du dich künftig, zum Gedächtniß dieser grauenvollen Nacht, den Tannenhäuser nennen. Und wer bist du, Mann, fuhr er fort, der sich dorten im Winkel gelagert hat? Komm hervor, damit ich auch dir für deine Mühe und Liebe lohnen möge. Da stand der Eckart von der Erden Und trat herfür ans helle Licht, Er zeigt mit traurigen Geberden Sein hochbekümmert Angesicht. Da fehlt dem Burgund Kraft und Muth, Den Blick des Mannes auszuhalten, Den Adern sein entweicht das Blut, In Ohnmacht ist er festgehalten. Es stürzen ihm die matten Glieder Von neuem auf den Boden nieder. Allmächt'ger Gott! so schreit er laut, Du bist es, den mein Auge schaut? Wohin soll ich vor dir entfliehn? Mußt du mich aus dem Walde ziehn? Dem ich die Kinder hab' erschlagen, Der muß mich in den Armen tragen? So klagt Burgund und weint im Sprechen, Und fühlt das Herz im Busen brechen, Er sinkt dem Eckart an die Brust, Ist sich sein selber nicht bewußt. -- Der Eckart leise zu ihm spricht: Der Schmach gedenk' ich fürder nicht, Damit die Welt es sehe frei, Der Eckart war dir stets getreu. So verging die Nacht. Am andern Morgen kamen andre Diener, die den kranken Herzog fanden. Sie legten ihn auf Maulthiere und führten ihn in sein Schloß zurück. Eckart durfte nicht von seiner Seite kommen, oft aber nahm er seine Hand und drückte sie sich gegen seine Brust, und sah ihn mit einem flehenden Blicke an. Eckart umarmte ihn dann, und sprach einige liebevolle Worte, mit denen sich der Fürst beruhigte. Er versammelte alle seine Räthe um sich her, und sagte ihnen, daß er den Eckart, den getreuen Mann, zum Vormunde über seine Söhne setze, weil dieser sich als den edelsten erwiesen. So starb er. Seitdem nahm sich Eckart der Regierung mit allem Fleiße an, und jedermann im Lande mußte seinen hohen männlichen Muth bewundern. Es währte nicht lange, so verbreitete sich in allen Gegenden das wunderbare Gerücht von dem Spielmanne, der aus dem Venusberge gekommen, das ganze Land durchziehe und mit seinen Tönen die Menschen entführe, welche verschwänden, ohne daß man eine Spur von ihnen wieder finden könne. Viele glaubten dem Gerüchte, andre nicht, und Eckart gedachte des unglücklichen Greises wieder. Ich habe euch zu meinen Söhnen angenommen, sprach er zu den unmündigen Jünglingen, als er sich einst mit ihnen auf dem Berge vor dem Schlosse befand; euer Glück ist jezt meine Nachkommenschaft, ich will in eurer Freude nach meinem Tode fortleben. Sie lagerten sich auf dem Abhange, von wo sie weit in das schöne Land hinein sehn konnten, und Eckart unterdrückte das Andenken an seine Kinder, denn sie schienen ihm von den Bergen herüber zu schreiten, indem er aus der Ferne einen lieblichen Klang vernahm. Kommt es nicht wie Träumen Aus den grünen Räumen Zu uns wallend nieder, Wie Verstorbner Lieder? Spricht er zu den jungen Herrn, Vernimmt den Zauberklang von fern. Wie sich die Tön' herüberschwungen Erwachet in den frommen Jungen Ein seltsam böser Geist, Der sich nach unbekannter Ferne reißt. Wir wollen in die Berge, in die Felder, Uns rufen die Quellen, es locken die Wälder, Gar heimliche Stimmen entgegen singen, Ins irdische Paradies uns zu bringen! Der Spielmann kommt in fremder Tracht Den Söhnen Burgunds ins Gesicht, Und höher schwillt der Töne Macht, Und heller glänzt der Sonne Licht, Die Blumen scheinen trunken, Ein Abendroth nieder gesunken, Und zwischen Korn und Gräsern schweifen Sanft irrend blau und goldne Streifen. Wie ein Schatten ist hinweg gehoben Was sonst den Sinn zur Erden zieht, Gestillt ist alles ird'sche Toben, Die Welt zu Einer Blum' erblüht, Die Felsen schwanken lichterloh, Die Triften jauchzen und sind froh, Es wirrt und irrt alles in die Klänge hinein Und will in der Freude heimisch sein, Des Menschen Seele reißen die Funken, Sie ist im holden Wahnsinn ganz versunken. Es wurde Eckart rege Und wundert sich dabei, Er hört der Töne Schläge Und fragt sich, was es sei. Ihm dünkt die Welt erneuet, In andern Farben blühn, Er weiß nicht, was ihn freuet, Fühlt sich in Wonne glühn. Ha! bringen nicht die Töne, So fragt er sich entzückt, Mir Weib und liebe Söhne, Und was mich sonst beglückt? Doch faßt ein heimlich Grauen Den Helden plötzlich an, Er darf nur um sich schauen Und fühlt sich bald ein Mann. Da sieht er schon das Wüthen Der ihm vertrauten Kind, Die sich der Hölle bieten Und unbezwinglich sind. Sie werden fortgezogen Und kennen ihn nicht mehr, Sie toben wie die Wogen Im wildempörten Meer. Was soll er da beginnen? Ihn ruft sein Wort und Pflicht, Ihm wanken selbst die Sinnen, Er kennt sich selber nicht. Da kömmt die Todesstunde Von seinem Freund zurück, Er höret den Burgunde Und sieht den letzten Blick. So schirmt er sein Gemüthe Und steht gewappnet da, Indem kommt im Gemüthe Der Spielmann selbst ihm nah. Er will den Degen schwingen Und schlagen jenes Haupt: Er hört die Pfeife klingen, Die Kraft ist ihm geraubt. Es stürzen aus den Bergen Gestalten wunderlich, Ein wüstes Heer von Zwergen, Sie nahen grauerlich. Die Söhne sind gefangen Und toben in dem Schwarm, Umsonst ist sein Verlangen, Gelähmt sein tapfrer Arm. Es stürmt der Zug an Vesten, An Schlössern wild vorbei, Sie ziehn von Ost nach Westen Mit jauchzendem Geschrei. Eckart ist unter ihnen, Es reißt die Macht ihn hin, Er muß der Hölle dienen, Bezwungen ist sein Sinn. Da nahen sie dem Berge, Aus dem Musik erschallt, Und also gleich die Zwerge Stillstehn und machen Halt. Der Fels springt von einander, Ein bunt Gewimmel drein, Man sieht Gestalten wandern Im wunderlichen Schein. Da faßt er seinen Degen Und sprach: ich bleibe treu! Und haut mit Kraft verwegen In alle Schaaren frei. Die Kinder sind errungen, Sie fliehen durch das Thal, Der Feind noch unbezwungen Mehrt sich zu Eckarts Quaal. Die Zwerge sinken nieder, Sie fassen neuen Muth, Es kommen andre wieder, Und jeder kämpft mit Wuth. Da sieht der Held schon ferne Die Kind in Sicherheit, Sprach: nun verlier' ich gerne Mein Leben hier im Streit. Sein tapfres Schwerdt thut blinken Im hellen Sonnenstrahl, Die Zwerge niedersinken Zu Haufen dort im Thal. Die Kinder sind entschwunden Im allerfernsten Feld, Da fühlt er seine Wunden, Da stirbt der tapfre Held. So fand er seine Stunde Wild kämpfend wie der Leu, Und blieb noch dem Burgunde Im Tode selber treu. Als nun der Held erschlagen Regiert der ältste Sohn, Dankbar hört man ihn sagen: Eckart hat meinen Thron Erkämpft mit vielen Wunden Und seinem besten Blut, Und alle Lebensstunden Verdank' ich seinem Muth. Bald hört man Wundersagen Im ganzen Land umgehn, Daß, wer es wolle wagen Der Venus Berg zu sehn, Der werde dorten schauen Des treuen Eckart Geist, Der jeden mit Vertrauen Zurück vom Felsen weist. Wo er nach seinem Sterben Noch Schutz und Wache hält. Es preisen alle Erben Eckart den treuen Held. Zweiter Abschnitt. Es waren mehr als vier Jahrhunderte seit dem Tode des getreuen Eckart verflossen, als am Hofe ein edler Tannenhäuser als kaiserlicher Rath im großen Ansehen stand. Der Sohn dieses Ritters übertraf an Schönheit alle übrigen Edlen des Landes, weswegen er auch von jedermann geliebt und hochgeschätzt wurde. Plötzlich aber verschwand er, nachdem sich einige wunderbare Dinge mit ihm zugetragen hatten, und kein Mensch wußte zu sagen, wohin er gekommen sei. Seit der Zeit des getreuen Eckart gab es vom Venusberge eine Sage im Lande, und manche sprachen, daß er dorthin gewandert und also auf ewig verloren sei. Einer von seinen Freunden, Friedrich von Wolfsburg, härmte sich von allen am meisten um den jungen Tannenhäuser. Sie waren mit einander erwachsen und ihre gegenseitige Freundschaft schien jedem ein Bedürfniß seines Lebens geworden zu sein. Tannenhäusers alter Vater war gestorben, Friedrich vermälte sich nach einigen Jahren; schon umgab ihn ein Kreis von fröhlichen Kindern, und immer noch hatte er keine Nachricht von seinem Jugendfreunde vernommen, so daß er ihn auch für gestorben halten mußte. Er stand eines Abends unter dem Thor seiner Burg, als er aus der Ferne einen Pilgrim daher kommen sah, der sich seinem Schlosse näherte. Der fremde Mann war in seltsame Tracht gekleidet, und sein Gang wie seine Geberden erschienen dem Ritter wunderlich. Als jener näher gekommen, glaubte er ihn zu kennen, und endlich war er mit sich einig, daß der Fremde kein anderer als sein ehemaliger Freund der Tannenhäuser sein könne. Er erstaunte und ein heimlicher Schauer bemächtigte sich seiner, als er die durchaus veränderten Züge deutlich gewahr wurde. Die beiden Freunde umarmten sich, und erschraken dann einer vor dem andern, sie staunten sich an, wie fremde Wesen. Der Fragen, der verworrenen Antworten gab es viele; Friedrich erbebte oft vor dem wilden Blicke seines Freundes, in dem ein unverständliches Feuer brannte. Nachdem sich der Tannenhäuser einige Tage erholt hatte, erfuhr Friedrich, daß er auf einer Wallfahrt nach Rom begriffen sei. Die beiden Freunde erneuerten bald ihre ehemaligen Gespräche und erzählten sich die Geschichte ihrer Jugend, doch verschwieg der Tannenhäuser noch immer sorgfältig, wo er seitdem gewesen. Friedrich aber drang in ihn, nachdem sie sich in ihre sonstige Vertraulichkeit wieder hinein gefunden hatten, jener suchte sich lange den freundschaftlichen Bitten zu entziehen, doch endlich rief er aus: Nun, so mag dein Wille erfüllt werden, du sollst alles erfahren, mache mir aber nachher keine Vorwürfe, wenn dich die Geschichte mit Bekümmerniß und Grauen erfüllt. Sie gingen ins Freie und wandelten durch einen grünen Lustwald, wo sie sich niedersetzten, worauf der Tannenhäuser sein Haupt im grünen Grase verbarg und unter lautem Schluchzen seinem Freunde abgewandt die rechte Hand reichte, die dieser zärtlich drückte. Der trübselige Pilgrim richtete sich wieder auf, und begann seine Erzählung auf folgende Weise: Glaube mir, mein Theurer, daß manchem von uns ein böser Geist von seiner Geburt an mitgegeben wird, der ihn durch das Leben dahin ängstigt und ihn nicht ruhen läßt, bis er an das Ziel seiner schwarzen Bestimmung gelangt ist. So geschahe mir, und mein ganzer Lebenslauf ist nur ein dauerndes Geburtswehe, und mein Erwachen wird in der Hölle sein. Darum habe ich nun schon so viele mühselige Schritte gethan, und so manche stehn mir noch auf meiner Pilgerschaft bevor, ob ich vielleicht beim heiligen Vater zu Rom Vergebung erlangen möchte: vor ihm will ich die schwere Ladung meiner Sünden ablegen, oder im Druck erliegen und verzweifelnd sterben. Friedrich wollte ihn trösten, doch schien der Tannenhäuser auf seine Reden nicht sonderlich Acht zu geben, sondern fuhr nach einer kleinen Weile mit folgenden Worten fort: Man hat ein altes Mährchen, daß vor vielen Jahrhunderten ein Ritter mit dem Namen des getreuen Eckart gelebt habe; man erzählt, wie damals aus einem seltsamen Berge ein Spielmann gekommen sei, dessen wunderbarliche Töne so tiefe Sehnsucht, so wilde Wünsche in den Herzen aller Hörenden auferweckt haben, daß sie unwiderstreblich den Klängen nachgerissen worden, um sich in jenem Gebirge zu verlieren. Die Hölle hat damals ihre Pforten den armen Menschen weit aufgethan, und sie mit lieblicher Musik zu sich herein gespielt. Ich hörte als Knabe diese Erzählung oft und wurde nicht sonderlich davon gerührt, doch währte es nicht lange, so erinnerte mich die ganze Natur, jedweder Klang, jedwede Blume an die Sage von diesen herzergreifenden Tönen. Ich kann dir nicht ausdrücken, welche Wehmuth, welche unaussprechliche Sehnsucht mich plötzlich ergriff, und wie in Banden hielt und fortführen wollte, wenn ich dem Zug der Wolken nachsahe, die lichte herrliche Bläue erblickte, die zwischen ihnen hervordrang, welche Erinnerungen Wies' und Wald in meinem tiefsten Herzen erwecken wollten. Oft ergriff mich die Lieblichkeit und Fülle der herrlichen Natur, daß ich die Arme ausstreckte und wie mit Flügeln hineinstreben wollte, um mich, wie der Geist der Natur, über Berg und Thal auszugießen, und mich in Gras und Büschen allseitig zu regen und die Fülle des Segens einzuathmen. Hatte mich am Tage die freie Landschaft entzückt, so ängstigten mich in der Nacht dunkle Traumbilder und stellten sich grauenhaft vor mich hin, als wenn sie mir den Weg zu allem Leben versperren wollten. Vor allen ließ ein Traum einen unauslöschlichen Eindruck in meinem Gemüthe zurück, ob ich gleich nicht die Bilder deutlich wieder in meine Phantasie zurückrufen konnte. Mir dünkte, als wäre ein großes Gewühl in den Gassen, ich vernahm undeutliche Gespräche durcheinander, darauf ging ich, es war dunkle Nacht, in das Haus meiner Eltern, und nur mein Vater war zugegen und krank. Am nächsten Morgen fiel ich meinen Eltern um den Hals, umarmte sie inbrünstig und drückte sie an meine Brust, als wenn uns eine feindliche Gewalt von einander reißen wollte. Sollt' ich dich verlieren? sprach ich zum theuren Vater, o wie unglücklich und einsam wäre ich ohne dich in dieser Welt! Sie trösteten mich, aber es gelang ihnen nicht, das dunkle Bild aus meinem Gedächtnisse zu entfernen. Ich ward älter, indem ich mich stets von andern Knaben meines Alters entfernt hielt. Oft streifte ich einsam durch die Felder, und so geschah es an einem Morgen, daß ich meinen Weg verlor, und in einem dunkeln Walde, um Hülfe rufend, herum irrte. Nachdem ich so lange Zeit vergeblich nach einem Wege gesucht hatte, stand ich endlich plötzlich vor einem eisernen Gatterwerk, welches einen Garten umschloß. Durch dasselbe sah ich schöne dunkle Gänge vor mir, Fruchtbäume und Blumen, voran standen Rosengebüsche, die im Schein der Sonne glänzten. Ein unnennbares Sehnen zu den Rosen ergriff mich, ich konnte mich nicht zurückhalten, ich drängte mich mit Gewalt durch die eisernen Stäbe, und war nun im Garten. Alsbald fiel ich nieder, umfaßte mit meinen Armen die Gebüsche, küßte die Rosen auf ihren rothen Mund, und ergoß mich in Thränen. Als ich mich eine Zeit in dieser Entzückung verloren hatte, kamen zwei Mädchen durch die Baumgänge, die eine älter, die andre von meinen Jahren. Ich erwachte aus meiner Betäubung, um mich einer höheren Trunkenheit hinzugeben. Mein Auge fiel auf die jüngere, und mir war in diesem Augenblicke, als würde ich von allen meinen unbekannten Schmerzen geheilt. Man nahm mich im Hause auf, die Eltern der beiden Kinder erkundigten sich nach meinem Namen, und schickten meinem Vater Botschaft, der mich gegen Abend selber wieder abholte. Von diesem Tage hatte der ungewisse Lauf meines Lebens eine bestimmte Richtung gewonnen, meine Gedanken eilten immer wieder nach dem Schlosse und dem Mädchen zurück, denn hier schien mir die Heimath aller meiner Wünsche. Ich vergaß meiner gewohnten Freuden, ich vernachlässigte meine Gespielen, und besuchte oft den Garten, das Schloß und das Mädchen. Bald war ich dort wie ein Kind vom Hause, so daß man sich nicht mehr verwunderte, wenn ich zugegen war, und Emma ward mir mit jedem Tage lieber. So vergingen mir die Stunden, und eine Zärtlichkeit hatte mein Herz gefangen genommen, ohne daß ich es selber wußte. Meine ganze Bestimmung schien mir nun erfüllt, ich hatte keine andere Wünsche, als immer wieder zu kommen, und wenn ich fortging, dieselbe Aussicht auf den künftigen Tag zu haben. Um die Zeit ward ein junger Ritter in der Familie bekannt, der auch zugleich ein Freund meiner Eltern war, und sich bald eben so, wie ich, an Emma schloß. Ich haßte ihn von diesem Augenblicke wie meinen Todfeind. Unbeschreiblich aber waren meine Gefühle, als ich wahrzunehmen glaubte, daß Emma seine Gesellschaft der meinigen vorziehe. Von dieser Stunde an war es, als wenn die Musik, die mich bis dahin begleitet hatte, in meinem Busen unterginge. Ich dachte nur Tod und Haß, wilde Gedanken erwachten in meiner Brust, wenn Emma nun auf der Laute die bekannten Gesänge sang. Auch verbarg ich meinen Widerwillen nicht, und bezeigte mich gegen meine Eltern, die mir Vorwürfe machten, wild und widerspenstig. Nun irrte ich in den Wäldern und zwischen Felsen umher, gegen mich selber wüthend: den Tod meines Gegners hatte ich beschlossen. Der junge Ritter hielt nach einigen Monden bei den Eltern um meine Geliebte an, sie wurde ihm zugesagt. Was mich sonst wunderbar in der ganzen vollen Natur angezogen und gereizt hatte, hatte sich mir in Emmas Bilde vereiniget; ich wußte, kannte und wollte kein anderes Glück als sie, ja ich hatte mir willkührlich vorgesetzt, daß ihren Verlust und mein Verderben ein und derselbe Tag herbei führen solle. Meine Eltern grämten sich über meine Verwilderung, meine Mutter war krank geworden, aber es rührte mich nicht, ich kümmerte mich wenig um ihren Zustand, und sah sie nur selten. Der Hochzeitstag meines Feindes rückte heran, und mit ihm wuchs meine Angst, die mich durch die Wälder und über die Berge trieb. Ich verwünschte Emma und mich mit den gräßlichsten Flüchen. Um die Zeit hatte ich keinen Freund, kein Mensch wollte sich meiner annehmen, weil mich alle verloren gaben. Die schreckliche Nacht vor dem Vermählungstage brach heran. Ich hatte mich unter Klippen verirrt und hörte unter mir die Waldströme brausen, oft erschrak ich vor mir selber. Als es Morgen war, sah ich meinen Feind von den Bergen hernieder steigen, ich fiel ihn mit beschimpfenden Reden an, er vertheidigte sich, wir griffen zu den Schwerdtern, und bald sank er unter meinen wüthenden Hieben nieder. Ich eilte fort, ich sah mich nicht nach ihm um, aber seine Begleiter trugen den Leichnam fort. Nachts schwärmte ich um die Wohnung, die meine Emma einschloß, und nach wenigen Tagen vernahm ich im benachbarten Kloster Todtengeläute und den Grabgesang der Nonnen. Ich fragte: man sagte mir, daß Fräulein Emma aus Gram über den Tod ihres Bräutigams gestorben sei. Ich wußte nicht zu bleiben, ich zweifelte, ob ich lebe, ob alles Wahrheit sei. Ich eilte zurück zu meinen Eltern, und kam in der folgenden Nacht spät in die Stadt, in der sie wohnten. Alles war in Unruhe, Pferde und Rüstwagen erfüllten die Straßen, Lanzenknechte tummelten sich durch einander und sprachen in verwirrten Reden: es war gerade an dem, daß der Kaiser einen Feldzug gegen seine Feinde unternehmen wollte. Ein einsames Licht brannte in der väterlichen Wohnung als ich herein trat; eine drückende Beklemmung lag auf meiner Brust. Auf mein Anklopfen kommt mir mein Vater selbst mit leisem bedächtigen Schritte entgegen; sogleich erinnere ich mich des alten Traumes aus meinen Kinderjahren, und fühle mit innigster Bewegung, daß es dasselbe sei, was ich nun erlebe. Ich bin bestürzt, ich frage: Warum, Vater, seid ihr so spät noch auf? Er führt mich hinein und spricht: ich muß wohl wachen, denn deine Mutter ist ja nun auch todt. Die Worte fielen wie Blitze in meine Seele. Er setzte sich bedächtig nieder, ich mich an seine Seite, die Leiche lag auf einem Bette und war mit Tüchern seltsam zugehängt. Mein Herz wollte zerspringen. Ich halte Wache, sprach der Alte, denn meine Gattin sitzt noch immer neben mir. Meine Sinne vergingen, ich heftete meine Augen in einen Winkel, und nach kurzer Weile regte es sich wie ein Dunst, es wallte und wogte, und die bekannte Bildung meiner Mutter zog sich sichtbarlich zusammen, die nach mir mit ernsten Mienen schaute. Ich wollte fort, ich konnte nicht, denn die mütterliche Gestalt winkte und mein Vater hielt mich fest in den Armen, welcher mir leise zuflüsterte: sie ist aus Gram um dich gestorben. Ich umfaßte ihn mit aller kindlichen Brünstigkeit, ich vergoß brennende Thränen an seiner Brust. Er küßte mich, und mir schauderte, als seine Lippen kalt wie die Lippen eines Todten mich berührten. Wie ist dir, Vater? rief ich mit Entsetzen aus. Er zuckte schmerzhaft in sich zusammen und antwortete nicht. In wenigen Augenblicken fühlte ich ihn kälter werden, ich suchte nach seinem Herzen, es stand still, und im wehmüthigen Wahnsinn hielt ich die Leiche in meiner Umarmung fest eingeklammert. Wie ein Schein, gleich der ersten Morgenröthe, flog es durch das dunkle Gemach; da saß der Geist meines Vaters neben dem Bilde meiner Mutter, und beide sahen nach mir mitleidig hin, wie ich die theure Leiche festhielt. Seitdem war es um mein Bewußtsein geschehn, wahnsinnig und kraftlos fanden mich die Diener am Morgen in der Todtenkammer. -- Bis hieher war der Tannenhäuser mit seiner Erzählung gekommen, indem ihm sein Freund Friedrich mit dem größten Erstaunen zuhörte, als er plötzlich abbrach und mit dem Ausdruck des größten Schmerzes inne hielt. Friedrich war verlegen und nachdenkend, die beiden Freunde gingen in die Burg zurück, doch blieben sie in einem Zimmer allein. Nachdem der Tannenhäuser eine Weile geschwiegen hatte, fing er wieder an: Immer noch erschüttert mich das Andenken dieser Stunden tief, und ich begreife nicht, wie ich sie habe überleben können. Nunmehr schien mir die Erde und das Leben völlig ausgestorben und verwüstet, ich schleppte mich ohne Gedanken und Wunsch von einem Tage zum andern hinüber. Dann gerieth ich in eine Gesellschaft von wilden jungen Leuten, und in Trunk und Wollust suchte ich den pochenden bösen Geist in mir zu besänftigen. Die alte brennende Ungeduld erwachte in meiner Brust von neuem, und ich konnte mich und meine Wünsche selber nicht verstehn. Ein Wüstling, Rudolf genannt, war mein Vertrauter geworden, der aber immer meine Klagen wie meine Sehnsucht verlachte. So mochte ein Jahr verflossen sein, als meine Angst bis zur Verzweiflung stieg; es drängte mich weiter, weiter hinein in eine unbekannte Ferne, ich hätte mich von den hohen Bergen hinab in den Glanz der Wiesenfarben, in das kühle Gebrause der Ströme stürzen mögen, um den glühenden Durst der Seele, die Unersättlichkeit zu löschen; ich sehnte mich nach der Vernichtung und wieder wie goldne Morgenwolken schwebten Hoffnung und Lebenslust vor mir hin und lockten mich nach. Da kam ich auf den Gedanken, daß die Hölle nach mir lüstern sei, und mir so Schmerzen wie Freuden entgegen sende, um mich zu verderben, daß ein tückischer Geist alle meine Seelenkräfte nach der dunkeln Behausung richte und mich hinunter zügle. Da gab ich mich gefangen, um der Quaalen, der wechselnden Entzückungen los zu werden. In der dunkelsten Nacht bestieg ich einen hohen Berg und rief mit allen Herzenskräften den Feind Gottes und der Menschen zu mir, so daß ich fühlte, er würde mir gehorchen müssen. Meine Worte zogen ihn herbei, er stand plötzlich neben mir und ich empfand kein Grauen. Da ging im Gespräch mit ihm der Glaube an jenen wunderbaren Berg von neuem in mir auf, und er lehrte mich ein Lied, das mich von selbst auf die rechte Straße dahin führen würde. Er verschwand, und ich war zum erstenmal, seit ich lebte, mit mir allein, denn nun verstand ich meine abirrenden Gedanken, die aus dem Mittelpunkte heraus strebten, um eine neue Welt zu finden. Ich machte mich auf den Weg, und das Lied, das ich mit lauter Stimme sang, führte mich über wunderbare Einöden fort, und alles übrige in mir und außer mir hatte ich vergessen; es trug mich wie auf großen Flügeln der Sehnsucht nach meiner Heimath, ich wollte dem Schatten entfliehen, der uns auch aus dem Glanze noch dräut, den wilden Tönen, die noch in der zartesten Musik auf uns schelten. So kam ich in einer Nacht, als der Mond hinter dunkeln Wolken matt hervor schien, vor dem Berge an. Ich setzte mein Lied fort, und eine Riesengestalt stand da und winkte mich mit ihrem Stabe zurück. Ich ging näher. Ich bin der getreue Eckart, rief die übermenschliche Bildung, ich bin von Gottes Güte hieher zum Wächter gesetzt, um des Menschen bösen Fürwitz zurück zu halten. -- Ich drang hindurch. Wie in einem unterirdischen Bergwerke war nun mein Weg. Der Steg war so schmal, daß ich mich hindurch drängen mußte, ich vernahm den Klang der verborgenen wandernden Gewässer, ich hörte die Geister, die die Erze und Gold und Silber bildeten, um den Menschengeist zu locken, ich fand die tiefen Klänge und Töne hier einzeln und verborgen, aus denen die irdische Musik entsteht; je tiefer ich ging, je mehr fiel es wie ein Schleier vor meinem Angesichte hinweg. Ich ruhte aus und sah andre Menschengestalten heran wanken, mein Freund Rudolf war unter ihnen; ich begriff gar nicht, wie sie mir vorbei kommen würden, da der Weg so sehr enge war, aber sie gingen mitten durch die Steine hindurch, ohne daß sie mich gewahr wurden. Alsbald vernahm ich Musik, aber eine ganz andre, als bis dahin zu meinem Gehör gedrungen war, meine Geister in mir arbeiteten den Tönen entgegen; ich kam ins Freie, und wunderhelle Farben glänzten mich von allen Seiten an. Das war es, was ich immer gewünscht hatte. Dicht am Herzen fühlte ich die Gegenwart der gesuchten, endlich gefundenen Herrlichkeit, und in mich spielten die Entzückungen mit allen ihren Kräften hinein. So kam mir das Gewimmel der frohen heidnischen Götter entgegen, Frau Venus an ihrer Spitze, alle begrüßten mich; sie sind dorthin gebannt von der Gewalt des Allmächtigen, und ihr Dienst ist von der Erde vertilgt; nun wirken sie von dort in ihrer Heimlichkeit. Alle Freuden, die die Erde beut, genoß und schmeckte ich hier in ihrer vollsten Blüthe, unersättlich war mein Busen und unendlich der Genuß. Die berühmten Schönheiten der alten Welt waren zugegen, was mein Gedanke wünschte, war in meinem Besitz, eine Trunkenheit folgte der andern, mit jedem Tage schien um mich her die Welt in bunteren Farben zu brennen. Ströme des köstlichsten Weines löschten den grimmen Durst, und die holdseligsten Gestalten gaukelten dann in der Luft, ein Gewimmel von nackten Mädchen umgab mich einladend, Düfte schwangen sich bezaubernd um mein Haupt, wie aus dem innersten Herzen der seligsten Natur erklang eine Musik, und kühlte mit ihren frischen Wogen der Begierde wilde Lüsternheit; ein Grauen, das so heimlich über die Blumenfelder schlich, erhöhte den entzückenden Rausch. Wie viele Jahre so verschwunden sind, weiß ich nicht zu sagen, denn hier gab es keine Zeit und keine Unterschiede, in den Blumen brannte der Mädchen und der Lüste Reiz, in den Körpern der Weiber blühte der Zauber der Blumen, die Farben führten hier eine andre Sprache, die Töne sagten neue Worte, die ganze Sinnenwelt war hier in einer Blüthe fest gebunden, und die Geister drinnen feierten ewig einen brünstigen Triumph. Doch wie es geschah, kann ich so wenig sagen wie fassen, daß mich nun in aller Sünderherrlichkeit der Trieb nach der Ruhe, der Wunsch zur alten unschuldigen Erde mit ihren dürftigen Freuden eben so ergriff, wie mich vormals die Sehnsucht hieher gedrängt hatte. Es zog mich an, wieder jenes Leben zu leben, das die Menschen in aller Bewußtlosigkeit führen, mit Leiden und abwechselnden Freuden; ich war von dem Glanz gesättigt und suchte gern die vorige Heimath wieder. Eine unbegreifliche Gnade des Allmächtigen verschaffte mir die Rückkehr, ich befand mich plötzlich wieder in der Welt, und denke nun meinen sündigen Busen vor den Stuhl unsers allerheiligsten Vaters in Rom auszuschütten, daß er mir vergebe und ich den übrigen Menschen wieder zugezählt werde. -- Der Tannenhäuser schwieg still, und Friedrich betrachtete ihn lange mit einem prüfenden Blicke; dann nahm er die Hand seines Freundes und sagte: immer noch kann ich nicht von meinem Erstaunen zurück kommen, auch kann ich deine Erzählung nicht begreifen, denn es ist nicht anders möglich, als daß alles, was du mir vorgetragen hast, nur eine Einbildung von dir sein muß. Denn noch lebt Emma, sie ist meine Gattin, und nie haben wir gekämpft oder uns gehaßt, wie du glaubst; doch verschwandest du noch vor unsrer Hochzeit aus der Gegend, auch hast du mir damals nie mit einem einzigen Worte gesagt, daß Emma dir lieb sei. Er nahm hierauf den verwirrten Tannenhäuser bei der Hand und führte ihn in ein anderes Zimmer zu seiner Gattin, die eben von einem Besuch ihrer Schwester, bei der sie einige Tage verweilt, auf das Schloß zurück gekommen war. Der Tannenhäuser war stumm und nachdenkend, er beschaute still die Bildung und das Antlitz der Frau, dann schüttelte er mit dem Kopfe und sagte: bei Gott, das ist noch die seltsamste von allen meinen Begebenheiten! Friedrich erzählte ihm im Zusammenhange alles, was ihm seitdem zugestoßen war, und suchte seinem Freunde deutlich zu machen, daß ihn ein seltsamer Wahnsinn nur seit manchem Jahre beängstiget habe. Ich weiß recht gut wie es ist, rief der Tannenhäuser aus, jezt bin ich getäuscht und wahnsinnig, die Hölle will mir dies Blendwerk vorgaukeln, damit ich nicht nach Rom gehn und meiner Sünden ledig werden soll. Emma suchte ihn an seine Kindheit zu erinnern, aber der Tannenhäuser ließ sich nicht überreden. So reiste er schnell ab, um in kurzer Zeit in Rom vom Pabste Absolution zu erhalten. Friedrich und Emma sprachen noch oft über den seltsamen Pilgrim. Einige Monden waren verflossen, als der Tannenhäuser bleich und abgezehrt, in zerrissenen Wallfahrtskleidern und barfuß in Friedrichs Gemach trat, indem dieser noch schlief. Er küßte ihn auf den Mund und sagte dann schnell die Worte: der heilige Vater will und kann mir nicht vergeben, ich muß in meinen alten Wohnsitz zurück. Hierauf entfernte er sich eilig. Friedrich ermunterte sich, der unglückliche Pilger war schon verschwunden. Er ging nach dem Zimmer seiner Gattin, und die Weiber stürzten ihm mit Geheul entgegen; der Tannenhäuser war hier früh am Tage herein gedrungen und hatte die Worte gesagt: diese soll mich nicht in meinem Laufe stören! Man fand Emma ermordet. Noch konnte sich Friedrich nicht besinnen, als es ihn wie Entsetzen befiel; er konnte nicht ruhn, er rannte ins Freie. Man wollte ihn zurück halten, aber er erzählte, wie ihm der Pilgrim einen Kuß auf die Lippen gegeben habe, und wie dieser Kuß ihn brenne, bis er jenen wieder gefunden. So rannte er in unbegreiflicher Eile fort, den wunderlichen Berg und den Tannenhäuser zu suchen, und man sah ihn seitdem nicht mehr. Die Leute sagten, wer einen Kuß von einem aus dem Berge bekommen, der könne der Lockung nicht widerstehn, die ihn auch mit Zaubergewalt in die unterirdischen Klüfte reiße. -- * * * * * Alle waren nach geendigter Erzählung still und in sich gekehrt, worauf Manfred sagte: ohne alle Vorbereitung und einleitende Vorrede will ich sogleich die Vorlesung meines Werkes beginnen, das, wie ich wohl nicht erst zu versichern brauche, Original und eigne Erfindung ist. Da unsre schöne Clara auf die Originalität so viel giebt, so hoffe ich, daß sie auch diesem Mährchen ihren Beifall nicht wird versagen können. Er las hierauf folgende Erzählung. Der Runenberg. 1802. Ein junger Jäger saß im innersten Gebirge nachdenkend bei einem Vogelheerde, indem das Rauschen der Gewässer und des Waldes in der Einsamkeit tönte. Er bedachte sein Schicksal, wie er so jung sei, und Vater und Mutter, die wohlbekannte Heimath, und alle Befreundeten seines Dorfes verlassen hatte, um eine fremde Umgebung zu suchen, um sich aus dem Kreise der wiederkehrenden Gewöhnlichkeit zu entfernen, und er blickte mit einer Art von Verwunderung auf, daß er sich nun in diesem Thale, in dieser Beschäftigung wieder fand. Große Wolken zogen durch den Himmel und verloren sich hinter den Bergen, Vögel sangen aus den Gebüschen und ein Wiederschall antwortete ihnen. Er stieg langsam den Berg hinunter, und setzte sich an den Rand eines Baches nieder, der über vorragendes Gestein schäumend murmelte. Er hörte auf die wechselnde Melodie des Wassers, und es schien, als wenn ihm die Wogen in unverständlichen Worten tausend Dinge sagten, die ihm so wichtig waren, und er mußte sich innig betrüben, daß er ihre Reden nicht verstehen konnte. Wieder sah er dann umher und ihm dünkte, er sei froh und glücklich; so faßte er wieder neuen Muth und sang mit lauter Stimme einen Jägergesang. Froh und lustig zwischen Steinen Geht der Jüngling auf die Jagd, Seine Beute muß erscheinen In den grünlebendgen Hainen, Sucht' er auch bis in die Nacht. Seine treuen Hunde bellen Durch die schöne Einsamkeit, Durch den Wald die Hörner gellen, Daß die Herzen muthig schwellen: O du schöne Jägerzeit! Seine Heimath sind die Klüfte, Alle Bäume grüßen ihn, Rauschen strenge Herbsteslüfte Find't er Hirsch und Reh, die Schlüfte Muß er jauchzend dann durchziehn. Laß dem Landmann seine Mühen Und dem Schiffer nur sein Meer, Keiner sieht in Morgens Frühen So Aurora's Augen glühen, Hängt der Thau am Grase schwer, Als wer Jagd, Wild, Wälder kennet Und Diana lacht ihn an, Einst das schönste Bild entbrennet Die er seine Liebste nennet: O beglückter Jägersmann! Während dieses Gesanges war die Sonne tiefer gesunken und breite Schatten fielen durch das enge Thal. Eine kühlende Dämmerung schlich über den Boden weg, und nur noch die Wipfel der Bäume, wie die runden Bergspitzen waren vom Schein des Abends vergoldet. Christians Gemüth ward immer trübseliger, er mochte nicht nach seinem Vogelheerde zurück kehren, und dennoch mochte er nicht bleiben; es dünkte ihm so einsam und er sehnte sich nach Menschen. Jezt wünschte er sich die alten Bücher, die er sonst bei seinem Vater gesehn, und die er niemals lesen mögen, so oft ihn auch der Vater dazu angetrieben hatte; es fielen ihm die Scenen seiner Kindheit ein, die Spiele mit der Jugend des Dorfes, seine Bekanntschaften unter den Kindern, die Schule, die ihm so drückend gewesen war, und er sehnte sich in alle diese Umgebungen zurück, die er freiwillig verlassen hatte, um sein Glück in unbekannten Gegenden, in Bergen, unter fremden Menschen, in einer neuen Beschäftigung zu finden. Indem es finstrer wurde, und der Bach lauter rauschte, und das Geflügel der Nacht seine irre Wanderung mit umschweifendem Fluge begann, saß er noch immer mißvergnügt und in sich versunken; er hätte weinen mögen, und er war durchaus unentschlossen, was er thun und vornehmen solle. Gedankenlos zog er eine hervorragende Wurzel aus der Erde, und plötzlich hörte er erschreckend ein dumpfes Winseln im Boden, das sich unterirdisch in klagenden Tönen fortzog, und erst in der Ferne wehmüthig verscholl. Der Ton durchdrang sein innerstes Herz, er ergriff ihn, als wenn er unvermuthet die Wunde berührt habe, an der der sterbende Leichnam der Natur in Schmerzen verscheiden wolle. Er sprang auf und wollte entfliehen, denn er hatte wohl ehemals von der seltsamen Alrunenwurzel gehört, die beim Ausreißen so herzdurchschneidende Klagetöne von sich gebe, daß der Mensch von ihrem Gewinsel wahnsinnig werden müsse. Indem er fortgehen wollte, stand ein fremder Mann hinter ihm, welcher ihn freundlich ansah und fragte, wohin er wolle. Christian hatte sich Gesellschaft gewünscht, und doch erschrak er von neuem vor dieser freundlichen Gegenwart. Wohin so eilig? fragte der Fremde noch einmal. Der junge Jäger suchte sich zu sammeln und erzählte, wie ihm plötzlich die Einsamkeit so schrecklich vorgekommen sei, daß er sich habe retten wollen, der Abend sei so dunkel, die grünen Schatten des Waldes so traurig, der Bach spreche in lauter Klagen, die Wolken des Himmels zögen seine Sehnsucht jenseit den Bergen hinüber. Ihr seid noch jung, sagte der Fremde, und könnt wohl die Strenge der Einsamkeit noch nicht ertragen, ich will euch begleiten, denn ihr findet doch kein Haus oder Dorf im Umkreis einer Meile, wir mögen unterwegs etwas sprechen und uns erzählen, so verliert ihr die trüben Gedanken; in einer Stunde kommt der Mond hinter den Bergen hervor, sein Licht wird dann wohl auch eure Seele lichter machen. Sie gingen fort, und der Fremde dünkte dem Jünglinge bald ein alter Bekannter zu sein. Wie seid ihr in dieses Gebürge gekommen, fragte jener, ihr seid hier, eurer Sprache nach, nicht einheimisch. -- Ach darüber, sagte der Jüngling, ließe sich viel sagen, und doch ist es wieder keiner Rede, keiner Erzählung werth; es hat mich wie mit fremder Gewalt aus dem Kreise meiner Eltern und Verwandten hinweg genommen, mein Geist war seiner selbst nicht mächtig; wie ein Vogel, der in einem Netz gefangen ist und sich vergeblich sträubt, so verstrickt war meine Seele in seltsamen Vorstellungen und Wünschen. Wir wohnten weit von hier in einer Ebene, in der man rund umher keinen Berg, kaum eine Anhöhe erblickte; wenige Bäume schmückten den grünen Plan, aber Wiesen, fruchtbare Kornfelder und Gärten zogen sich hin, so weit das Auge reichen konnte, ein großer Fluß glänzte wie ein mächtiger Geist an den Wiesen und Feldern vorbei. Mein Vater war Gärtner im Schloß und hatte vor, mich ebenfalls zu seiner Beschäftigung zu erziehen; er liebte die Pflanzen und Blumen über alles und konnte sich tagelang unermüdet mit ihrer Wartung und Pflege abgeben. Ja er ging so weit, daß er behauptete, er könne fast mit ihnen sprechen; er lerne von ihrem Wachsthum und Gedeihen, so wie von der verschiedenen Gestalt und Farbe ihrer Blätter. Mir war die Gartenarbeit zuwider, um so mehr, als mein Vater mir zuredete, oder gar mit Drohungen mich zu zwingen versuchte. Ich wollte Fischer werden, und machte den Versuch, allein das Leben auf dem Wasser stand mir auch nicht an; ich wurde dann zu einem Handelsmann in die Stadt gegeben, und kam auch von ihm bald in das väterliche Haus zurück. Auf einmal hörte ich meinen Vater von Gebirgen erzählen, die er in seiner Jugend bereiset hatte, von den unterirdischen Bergwerken und ihren Arbeitern, von Jägern und ihrer Beschäftigung, und plötzlich erwachte in mir der bestimmteste Trieb, das Gefühl, daß ich nun die für mich bestimmte Lebensweise gefunden habe. Tag und Nacht sann ich und stellte mir hohe Berge, Klüfte und Tannenwälder vor; meine Einbildung erschuf sich ungeheure Felsen, ich hörte in Gedanken das Getöse der Jagd, die Hörner, und das Geschrei der Hunde und des Wildes; alle meine Träume waren damit angefüllt und darüber hatte ich nun weder Rast noch Ruhe mehr. Die Ebene, das Schloß, der kleine beschränkte Garten meines Vaters mit den geordneten Blumenbeeten, die enge Wohnung, der weite Himmel, der sich ringsum so traurig ausdehnte, und keine Höhe, keinen erhabenen Berg umarmte, alles ward mir noch betrübter und verhaßter. Es schien mir, als wenn alle Menschen um mich her in der bejammernswürdigsten Unwissenheit lebten, und daß alle eben so denken und empfinden würden, wie ich, wenn ihnen dieses Gefühl ihres Elendes nur ein einziges mal in ihrer Seele aufginge. So trieb ich mich um, bis ich an einem Morgen den Entschluß faßte, das Haus meiner Eltern auf immer zu verlassen. Ich hatte in einem Buche Nachrichten vom nächsten großen Gebirge gefunden, Abbildungen einiger Gegenden, und darnach richtete ich meinen Weg ein. Es war im ersten Frühlinge und ich fühlte mich durchaus froh und leicht. Ich eilte, um nur recht bald das Ebene zu verlassen, und an einem Abende sah ich in der Ferne die dunkeln Umrisse des Gebirges vor mir liegen. Ich konnte in der Herberge kaum schlafen, so ungeduldig war ich, die Gegend zu betreten, die ich für meine Heimath ansah; mit dem Frühesten war ich munter und wieder auf der Reise. Nachmittags befand ich mich schon unter den vielgeliebten Bergen, und wie ein Trunkner ging ich, stand dann eine Weile, schaute rückwärts, und berauschte mich in allen mir fremden und doch so wohlbekannten Gegenständen. Bald verlor ich die Ebene hinter mir aus dem Gesichte, die Waldströme rauschten mir entgegen, Buchen und Eichen brausten mit bewegtem Laube von steilen Abhängen herunter; mein Weg führte mich schwindlichten Abgründen vorüber, blaue Berge standen groß und ehrwürdig im Hintergrunde. Eine neue Welt war mir aufgeschlossen, ich wurde nicht müde. So kam ich nach einigen Tagen, indem ich einen großen Theil des Gebürges durchstreift hatte, zu einem alten Förster, der mich auf mein inständiges Bitten zu sich nahm, um mich in der Kunst der Jägerei zu unterrichten. Jezt bin ich seit drei Monaten in seinen Diensten. Ich nahm von der Gegend, in der ich meinen Aufenthalt hatte, wie von einem Königreiche Besitz; ich lernte jede Klippe, jede Schluft des Gebürges kennen, ich war in meiner Beschäftigung, wenn wir am frühen Morgen nach dem Walde zogen, wenn wir Bäume im Forste fällten, wenn ich mein Auge und meine Büchse übte, und die treuen Gefährten, die Hunde zu ihren Geschicklichkeiten abrichtete, überaus glücklich. Jezt sitze ich seit acht Tagen hier oben auf dem Vogelheerde, im einsamsten Gebürge, und am Abend wurde mir heut so traurig zu Sinne, wie noch niemals in meinem Leben; ich kam mir so verloren, so ganz unglückselig vor, und noch kann ich mich nicht von dieser trüben Stimmung erhohlen. Der fremde Mann hatte aufmerksam zugehört, indem beide durch einen dunkeln Gang des Waldes gewandert waren. Jezt traten sie ins Freie, und das Licht des Mondes, der oben mit seinen Hörnern über der Bergspitze stand, begrüßte sie freundlich: in unkenntlichen Formen und vielen gesonderten Massen, die der bleiche Schimmer wieder räthselhaft vereinigte, lag das gespaltene Gebürge vor ihnen, im Hintergrunde ein steiler Berg, auf welchem uralte verwitterte Ruinen schauerlich im weißen Lichte sich zeigten. Unser Weg trennt sich hier, sagte der Fremde, ich gehe in diese Tiefe hinunter, dort bei jenem alten Schacht ist meine Wohnung: die Erze sind meine Nachbarn, die Berggewässer erzählen mir Wunderdinge in der Nacht, dahin kannst du mir doch nicht folgen. Aber siehe dort den Runenberg mit seinem schroffen Mauerwerke, wie schön und anlockend das alte Gestein zu uns herblickt! Bist du niemals dorten gewesen? Niemals, sagte der junge Christian, ich hörte einmal meinen alten Förster wundersame Dinge von diesem Berge erzählen, die ich thöricht genug wieder vergessen habe; aber ich erinnere mich, daß mir an jenem Abend grauenhaft zu Muthe war. Ich möchte wohl einmal die Höhe besteigen, denn die Lichter sind dort am schönsten, das Gras muß dorten recht grün sein, die Welt umher recht seltsam, auch mag sichs wohl treffen, daß man noch manch Wunder aus der alten Zeit da oben fände. Es kann fast nicht fehlen, sagte jener, wer nur zu suchen versteht, wessen Herz recht innerlich hingezogen wird, der findet uralte Freunde dort und Herrlichkeiten, alles, was er am eifrigsten wünscht. -- Mit diesen Worten stieg der Fremde schnell hinunter, ohne seinem Gefährten Lebewohl zu sagen, bald war er im Dickicht des Gebüsches verschwunden, und kurz nachher verhallte auch der Tritt seiner Füße. Der junge Jäger war nicht verwundert, er verdoppelte nur seine Schritte nach dem Runenberge zu, alles winkte ihm dorthin, die Sterne schienen dorthin zu leuchten, der Mond wies mit einer hellen Straße nach den Trümmern, lichte Wolken zogen hinauf, und aus der Tiefe redeten ihm Gewässer und rauschende Wälder zu und sprachen ihm Muth ein. Seine Schritte waren wie beflügelt, sein Herz klopfte, er fühlte eine so große Freudigkeit in seinem Innern, daß sie zu einer Angst empor wuchs. -- Er kam in Gegenden, in denen er nie gewesen war, die Felsen wurden steiler, das Grün verlor sich, die kahlen Wände riefen ihn wie mit zürnenden Stimmen an, und ein einsam klagender Wind jagte ihn vor sich her. So eilte er ohne Stillstand fort, und kam spät nach Mitternacht auf einen schmalen Fußsteig, der hart an einem Abgrunde hinlief. Er achtete nicht auf die Tiefe, die unter ihm gähnte und ihn zu verschlingen drohte, so sehr spornten ihn irre Vorstellungen und unverständliche Wünsche. Jezt zog ihn der gefährliche Weg neben eine hohe Mauer hin, die sich in den Wolken zu verlieren schien; der Steig ward mit jedem Schritte schmaler, und der Jüngling mußte sich an vorragenden Steinen fest halten, um nicht hinunter zu stürzen. Endlich konnte er nicht weiter, der Pfad endigte unter einem Fenster, er mußte still stehen und wußte jezt nicht, ob er umkehren, ob er bleiben solle. Plötzlich sah er ein Licht, das sich hinter dem alten Gemäuer zu bewegen schien. Er sah dem Scheine nach, und entdeckte, daß er in einen alten geräumigen Saal blicken konnte, der wunderlich verziert von mancherlei Gesteinen und Kristallen in vielfältigen Schimmern funkelte, die sich geheimnißvoll von dem wandelnden Lichte durcheinander bewegten, welches eine große weibliche Gestalt trug, die sinnend im Gemache auf und nieder ging. Sie schien nicht den Sterblichen anzugehören, so groß, so mächtig waren ihre Glieder, so streng ihr Gesicht, aber doch dünkte dem entzückten Jünglinge, daß er noch niemals solche Schönheit gesehn oder geahnet habe. Er zitterte und wünschte doch heimlich, daß sie zum Fenster treten und ihn wahrnehmen möchte. Endlich stand sie still, setzte das Licht auf einen kristallenen Tisch nieder, schaute in die Höhe und sang mit durchdringlicher Stimme: Wo die Alten weilen, Daß sie nicht erscheinen? Die Kristallen weinen, Von demantnen Säulen Fließen Thränenquellen, Töne klingen drein; In den klaren hellen Schön durchsichtgen Wellen Bildet sich der Schein, Der die Seelen ziehet, Dem das Herz erglühet. Kommt ihr Geister alle Zu der goldnen Halle, Hebt aus tiefen Dunkeln Häupter, welche funkeln! Macht der Herzen und der Geister, Die so durstig sind im Sehnen, Mit den leuchtend schönen Thränen Allgewaltig euch zum Meister! Als sie geendigt hatte, fing sie an sich zu entkleiden, und ihre Gewänder in einen kostbaren Wandschrank zu legen. Erst nahm sie einen goldenen Schleier vom Haupte, und ein langes schwarzes Haar floß in geringelter Fülle bis über die Hüften hinab; dann löste sie das Gewand des Busens, und der Jüngling vergaß sich und die Welt im Anschauen der überirdischen Schönheit. Er wagte kaum zu athmen, als sie nach und nach alle Hüllen löste; nackt schritt sie endlich im Saale auf und nieder, und ihre schweren schwebenden Locken bildeten um sie her ein dunkel wogendes Meer, aus dem wie Marmor die glänzenden Formen des reinen Leibes abwechselnd hervor strahlten. Nach geraumer Zeit näherte sie sich einem andern goldenen Schranke, nahm eine Tafel heraus, die von vielen eingelegten Steinen, Rubinen, Diamanten und allen Juwelen glänzte, und betrachtete sie lange prüfend. Die Tafel schien eine wunderliche unverständliche Figur mit ihren unterschiedlichen Farben und Linien zu bilden; zuweilen war, nachdem der Schimmer ihm entgegen spiegelte, der Jüngling schmerzhaft geblendet, dann wieder besänftigten grüne und blau spielende Scheine sein Auge: er aber stand, die Gegenstände mit seinen Blicken verschlingend, und zugleich tief in sich selbst versunken. In seinem Innern hatte sich ein Abgrund von Gestalten und Wohllaut, von Sehnsucht und Wollust aufgethan, Schaaren von beflügelten Tönen und wehmüthigen und freudigen Melodien zogen durch sein Gemüth, das bis auf den Grund bewegt war: er sah eine Welt von Schmerz und Hoffnung in sich aufgehen, mächtige Wunderfelsen von Vertrauen und trotzender Zuversicht, große Wasserströme, wie voll Wehmuth fließend. Er kannte sich nicht wieder, und erschrak, als die Schöne das Fenster öffnete, ihm die magische steinerne Tafel reichte und die wenigen Worte sprach: Nimm dieses zu meinem Angedenken! Er faßte die Tafel und fühlte die Figur, die unsichtbar sogleich in sein Inneres überging, und das Licht und die mächtige Schönheit und der seltsame Saal waren verschwunden. Wie eine dunkele Nacht mit Wolkenvorhängen fiel es in sein Inneres hinein, er suchte nach seinen vorigen Gefühlen, nach jener Begeisterung und unbegreiflichen Liebe, er beschaute die kostbare Tafel, in welcher sich der untersinkende Mond schwach und bläulich spiegelte. Noch hielt er die Tafel fest in seinen Händen gepreßt, als der Morgen graute und er erschöpft, schwindelnd und halb schlafend die steile Höhe hinunter stürzte. -- Die Sonne schien dem betäubten Schläfer auf sein Gesicht, der sich erwachend auf einem anmuthigen Hügel wieder fand. Er sah umher, und erblickte weit hinter sich und kaum noch kennbar am äußersten Horizont die Trümmer des Runenberges: er suchte nach jener Tafel, und fand sie nirgend. Erstaunt und verwirrt wollte er sich sammeln und seine Erinnerungen anknüpfen, aber sein Gedächtniß war wie mit einem wüsten Nebel angefüllt, in welchem sich formlose Gestalten wild und unkenntlich durch einander bewegten. Sein ganzes voriges Leben lag wie in einer tiefen Ferne hinter ihm; das Seltsamste und das Gewöhnliche war so in einander vermischt, daß er es unmöglich sondern konnte. Nach langem Streite mit sich selbst glaubte er endlich, ein Traum oder ein plötzlicher Wahnsinn habe ihn in dieser Nacht befallen, nur begriff er immer nicht, wie er sich so weit in eine fremde entlegene Gegend habe verirren können. Noch fast schlaftrunken stieg er den Hügel hinab, und gerieth auf einen gebahnten Weg, der ihn vom Gebirge hinunter in das flache Land führte. Alles war ihm fremd, er glaubte anfangs, er würde in seine Heimath gelangen, aber er sah eine ganz verschiedene Gegend, und vermuthete endlich, daß er sich jenseit der südlichen Gränze des Gebirges befinden müsse, welches er im Frühling von Norden her betreten hatte. Gegen Mittag stand er über einem Dorfe, aus dessen Hütten ein friedlicher Rauch in die Höhe stieg, Kinder spielten auf einem grünen Platze festtäglich geputzt, und aus der kleinen Kirche erscholl der Orgelklang und das Singen der Gemeine. Alles ergriff ihn mit unbeschreiblich süßer Wehmuth, alles rührte ihn so herzlich, daß er weinen mußte. Die engen Gärten, die kleinen Hütten mit ihren rauchenden Schornsteinen, die gerade abgetheilten Kornfelder erinnerten ihn an die Bedürftigkeit des armen Menschengeschlechts, an seine Abhängigkeit vom freundlichen Erdboden, dessen Milde es sich vertrauen muß; dabei erfüllte der Gesang und der Ton der Orgel sein Herz mit einer nie gefühlten Frömmigkeit. Seine Empfindungen und Wünsche der Nacht erschienen ihm ruchlos und frevelhaft, er wollte sich wieder kindlich, bedürftig und demüthig an die Menschen wie an seine Brüder schließen, und sich von den gottlosen Gefühlen und Vorsätzen entfernen. Reizend und anlockend dünkte ihm die Ebene mit dem kleinen Fluß, der sich in mannichfaltigen Krümmungen um Wiesen und Gärten schmiegte; mit Furcht gedachte er an seinen Aufenthalt in dem einsamen Gebirge und zwischen den wüsten Steinen, er sehnte sich, in diesem friedlichen Dorfe wohnen zu dürfen, und trat mit diesen Empfindungen in die menschenerfüllte Kirche. Der Gesang war eben beendigt und der Priester hatte seine Predigt begonnen, von den Wohlthaten Gottes in der Erndte: wie seine Güte alles speiset und sättiget was lebt, wie wunderbar im Getraide für die Erhaltung des Menschengeschlechtes gesorgt sei, wie die Liebe Gottes sich unaufhörlich im Brodte mittheile und der andächtige Christ so ein unvergängliches Abendmahl gerührt feiern könne. Die Gemeine war erbaut, des Jägers Blicke ruhten auf dem frommen Redner, und bemerkten dicht neben der Kanzel ein junges Mädchen, das vor allen andern der Andacht und Aufmerksamkeit hingegeben schien. Sie war schlank und blond, ihr blaues Auge glänzte von der durchdringendsten Sanftheit, ihr Antliz war wie durchsichtig und in den zartesten Farben blühend. Der fremde Jüngling hatte sich und sein Herz noch niemals so empfunden, so voll Liebe und so beruhigt, so den stillsten und erquickendsten Gefühlen hingegeben. Er beugte sich weinend, als der Priester endlich den Segen sprach, er fühlte sich bei den heiligen Worten wie von einer unsichtbaren Gewalt durchdrungen, und das Schattenbild der Nacht in die tiefste Entfernung wie ein Gespenst hinab gerückt. Er verließ die Kirche, verweilte unter einer großen Linde, und dankte Gott in einem inbrünstigen Gebete, daß er ihn ohne sein Verdienst wieder aus den Netzen des bösen Geistes befreit habe. Das Dorf feierte an diesem Tage das Erndtefest und alle Menschen waren fröhlich gestimmt; die geputzten Kinder freuten sich auf die Tänze und Kuchen, die jungen Burschen richteten auf dem Platze im Dorfe, der von jungen Bäumen umgeben war, alles zu ihrer herbstlichen Festlichkeit ein, die Musikanten saßen und probirten ihre Instrumente. Christian ging noch einmal in das Feld hinaus, um sein Gemüth zu sammeln und seinen Betrachtungen nachzuhängen, dann kam er in das Dorf zurück, als sich schon alles zur Fröhlichkeit und zur Begehung des Festes vereiniget hatte. Auch die blonde Elisabeth war mit ihren Eltern zugegen, und der Fremde mischte sich in den frohen Haufen. Elisabeth tanzte, und er hatte unterdeß bald mit dem Vater ein Gespräch angesponnen, der ein Pachter war und einer der reichsten Leute im Dorfe. Ihm schien die Jugend und das Gespräch des fremden Gastes zu gefallen, und so wurden sie in kurzer Zeit dahin einig, daß Christian als Gärtner bei ihm einziehen solle. Dieser konnte es unternehmen, denn er hoffte, daß ihm nun die Kenntnisse und Beschäftigungen zu statten kommen würden, die er in seiner Heimath so sehr verachtet hatte. Jezt begann ein neues Leben für ihn. Er zog bei dem Pachter ein und ward zu dessen Familie gerechnet; mit seinem Stande veränderte er auch seine Tracht. Er war so gut, so dienstfertig und immer freundlich, er stand seiner Arbeit so fleißig vor, daß ihm bald alle im Hause, vorzüglich aber die Tochter, gewogen wurden. So oft er sie am Sonntage zur Kirche gehn sah, hielt er ihr einen schönen Blumenstrauß in Bereitschaft, für den sie ihm mit erröthender Freundlichkeit dankte; er vermißte sie, wenn er sie an einem Tage nicht sah, dann erzählte sie ihm am Abend Mährchen und lustige Geschichten. Sie wurden sich immer nothwendiger, und die Alten, welche es bemerkten, schienen nichts dagegen zu haben, denn Christian war der fleißigste und schönste Bursche im Dorfe; sie selbst hatten vom ersten Augenblick einen Zug der Liebe und Freundschaft zu ihm gefühlt. Nach einem halben Jahre war Elisabeth seine Gattin. Es war wieder Frühling, die Schwalben und die Vögel des Gesanges kamen in das Land, der Garten stand in seinem schönsten Schmuck, die Hochzeit wurde mit aller Fröhlichkeit gefeiert, Braut und Bräutigam schienen trunken von ihrem Glücke. Am Abend spät, als sie in die Kammer gingen, sagte der junge Gatte zu seiner Geliebten: Nein, nicht jenes Bild bist du, welches mich einst im Traum entzückte und das ich niemals ganz vergessen kann, aber doch bin ich glücklich in deiner Nähe und seelig in deinen Armen. Wie vergnügt war die Familie, als sie nach einem Jahre durch eine kleine Tochter vermehrt wurde, welche man Leonora nannte. Christian wurde zwar zuweilen etwas ernster, indem er das Kind betrachtete, aber doch kam seine jugendliche Heiterkeit immer wieder zurück. Er gedachte kaum noch seiner vorigen Lebensweise, denn er fühlte sich ganz einheimisch und befriedigt. Nach einigen Monaten fielen ihm aber seine Eltern in die Gedanken, und wie sehr sich besonders sein Vater über sein ruhiges Glück, über seinen Stand als Gärtner und Landmann freuen würde; es ängstigte ihn, daß er Vater und Mutter seit so langer Zeit ganz hatte vergessen können, sein eigenes Kind erinnerte ihn, welche Freude die Kinder den Eltern sind, und so beschloß er dann endlich, sich auf die Reise zu machen und seine Heimath wieder zu besuchen. Ungern verließ er seine Gattin; alle wünschten ihm Glück, und er machte sich in der schönen Jahreszeit zu Fuß auf den Weg. Er fühlte schon nach wenigen Stunden, wie ihn das Scheiden peinige, zum erstenmal empfand er in seinem Leben die Schmerzen der Trennung; die fremden Gegenstände erschienen ihm fast wild, ihm war, als sei er in einer feindseligen Einsamkeit verloren. Da kam ihm der Gedanke, daß seine Jugend vorüber sei, daß er eine Heimath gefunden, der er angehöre, in die sein Herz Wurzel geschlagen habe; er wollte fast den verlornen Leichtsinn der vorigen Jahre beklagen, und es war ihm äußerst trübselig zu Muthe, als er für die Nacht auf einem Dorfe in dem Wirthshause einkehren mußte. Er begriff nicht, warum er sich von seiner freundlichen Gattin und den erworbenen Eltern entfernt habe, und verdrießlich und murrend machte er sich am Morgen auf den Weg, um seine Reise fortzusetzen. Seine Angst nahm zu, indem er sich dem Gebirge näherte, die fernen Ruinen wurden schon sichtbar und traten nach und nach kenntlicher hervor, viele Bergspitzen hoben sich abgeründet aus dem blauen Nebel. Sein Schritt wurde zaghaft, er blieb oft stehen und verwunderte sich über seine Furcht, über die Schauer, die ihm mit jedem Schritte gedrängter nahe kamen. Ich kenne dich Wahnsinn wohl, rief er aus, und dein gefährliches Locken, aber ich will dir männlich widerstehn! Elisabeth ist kein schnöder Traum, ich weiß, daß sie jezt an mich denkt, daß sie auf mich wartet und liebevoll die Stunden meiner Abwesenheit zählt. Sehe ich nicht schon Wälder wie schwarze Haare vor mir? Schauen nicht aus dem Bache die blitzenden Augen nach mir her? Schreiten die großen Glieder nicht aus den Bergen auf mich zu? -- Mit diesen Worten wollte er sich um auszuruhen unter einen Baum nieder werfen, als er im Schatten desselben einen alten Mann sitzen sah, der mit der größten Aufmerksamkeit eine Blume betrachtete, sie bald gegen die Sonne hielt, bald wieder mit seiner Hand beschattete, ihre Blätter zählte, und überhaupt sich bemühte, sie seinem Gedächtnisse genau einzuprägen. Als er näher ging, erschien ihm die Gestalt bekannt, und bald blieb ihm kein Zweifel übrig, daß der Alte mit der Blume sein Vater sei. Er stürzte ihm mit dem Ausdruck der heftigsten Freude in die Arme; jener war vergnügt, aber nicht überrascht, ihn so plötzlich wieder zu sehen. Kömmst du mir schon entgegen, mein Sohn? sagte der Alte, ich wußte, daß ich dich bald finden würde, aber ich glaubte nicht, daß mir schon am heutigen Tage die Freude widerfahren sollte. -- Woher wußtet ihr, Vater, daß ihr mich antreffen würdet? -- An dieser Blume, sprach der alte Gärtner; seit ich lebe, habe ich mir gewünscht, sie einmal sehen zu können, aber niemals ist es mir so gut geworden, weil sie sehr selten ist, und nur in Gebirgen wächst: ich machte mich auf dich zu suchen, weil deine Mutter gestorben ist und mir zu Hause die Einsamkeit zu drückend und trübselig war. Ich wußte nicht, wohin ich meinen Weg richten sollte, endlich wanderte ich durch das Gebirge, so traurig mir auch die Reise vorkam; ich suchte beiher nach der Blume, konnte sie aber nirgends entdecken, und nun finde ich sie ganz unvermuthet hier, wo schon die schöne Ebene sich ausstreckt; daraus wußte ich, daß ich dich bald finden mußte, und sieh, wie die liebe Blume mir geweissagt hat! Sie umarmten sich wieder, und Christian beweinte seine Mutter; der Alte aber faßte seine Hand und sagte: laß uns gehen, daß wir die Schatten des Gebirges bald aus den Augen verlieren, mir ist immer noch weh ums Herz von den steilen wilden Gestalten, von dem gräßlichen Geklüft, von den schluchzenden Wasserbächen; laß uns das gute, fromme, ebene Land besuchen. Sie wanderten zurück, und Christian ward wieder froher. Er erzählte seinem Vater von seinem neuen Glücke, von seinem Kinde und seiner Heimath; sein Gespräch machte ihn selbst wie trunken, und er fühlte im Reden erst recht, wie nichts mehr zu seiner Zufriedenheit ermangle. So kamen sie unter Erzählungen, traurigen und fröhlichen, in dem Dorfe an. Alle waren über die frühe Beendigung der Reise vergnügt, am meisten Elisabeth. Der alte Vater zog zu ihnen, und gab sein kleines Vermögen in ihre Wirthschaft; sie bildeten den zufriedensten und einträchtigsten Kreis von Menschen. Der Acker gedieh, der Viehstand mehrte sich, Christians Haus wurde in wenigen Jahren eins der ansehnlichsten im Orte; auch sah er sich bald als den Vater von mehreren Kindern. Fünf Jahre waren auf diese Weise verflossen, als ein Fremder auf seiner Reise in ihrem Dorfe einkehrte, und in Christians Hause, weil es die ansehnlichste Wohnung war, seinen Aufenthalt nahm. Er war ein freundlicher, gesprächiger Mann, der vieles von seinen Reisen erzählte, der mit den Kindern spielte und ihnen Geschenke machte, und dem in kurzem alle gewogen waren. Es gefiel ihm so wohl in der Gegend, daß er sich einige Tage hier aufhalten wollte; aber aus den Tagen wurden Wochen, und endlich Monate. Keiner wunderte sich über die Verzögerung, denn alle hatten sich schon daran gewöhnt, ihn mit zur Familie zu zählen. Christian saß nur oft nachdenklich, denn es kam ihm vor, als kenne er den Reisenden schon von ehemals, und doch konnte er sich keiner Gelegenheit erinnern, bei welcher er ihn gesehen haben möchte. Nach dreien Monaten nahm der Fremde endlich Abschied und sagte: Lieben Freunde, ein wunderbares Schicksal und seltsame Erwartungen treiben mich in das nächste Gebirge hinein, ein zaubervolles Bild, dem ich nicht widerstehen kann, lockt mich; ich verlasse euch jezt, und ich weiß nicht, ob ich wieder zu euch zurück kommen werde; ich habe eine Summe Geldes bei mir, die in euren Händen sicherer ist als in den meinigen, und deshalb bitte ich euch, sie zu verwahren; komme ich in Jahresfrist nicht zurück, so behaltet sie, und nehmet sie als einen Dank für eure mir bewiesene Freundschaft an. So reiste der Fremde ab, und Christian nahm das Geld in Verwahrung. Er verschloß es sorgfältig und sah aus übertriebener Aengstlichkeit zuweilen wieder nach, zählte es über, ob nichts daran fehle, und machte sich viel damit zu thun. Diese Summe könnte uns recht glücklich machen, sagte er einmal zu seinem Vater, wenn der Fremde nicht zurück kommen sollte, für uns und unsre Kinder wäre auf immer gesorgt. Laß das Gold, sagte der Alte, darinne liegt das Glück nicht, uns hat bisher noch gottlob nichts gemangelt, und entschlage dich überhaupt dieser Gedanken. Oft stand Christian in der Nacht auf, um die Knechte zur Arbeit zu wecken und selbst nach allem zu sehn; der Vater war besorgt, daß er durch übertriebenen Fleiß seiner Jugend und Gesundheit schaden möchte: daher machte er sich in einer Nacht auf, um ihn zu ermahnen, seine übertriebene Thätigkeit einzuschränken, als er ihn zu seinem Erstaunen bei einer kleinen Lampe am Tische sitzend fand, indem er wieder mit der größten Aemsigkeit die Goldstücke zählte. Mein Sohn, sagte der Alte mit Schmerzen, soll es dahin mit dir kommen, ist dieses verfluchte Metall nur zu unserm Unglück unter dieses Dach gebracht? Besinne dich, mein Lieber, so muß dir der böse Feind Blut und Leben verzehren. -- Ja, sagte Christian, ich verstehe mich selber nicht mehr, weder bei Tage noch in der Nacht läßt es mir Ruhe; seht, wie es mich jezt wieder anblickt, daß mir der rothe Glanz tief in mein Herz hinein geht! Horcht, wie es klingt, dies güldene Blut! das ruft mich, wenn ich schlafe, ich höre es, wenn Musik tönt, wenn der Wind bläst, wenn Leute auf der Gasse sprechen; scheint die Sonne, so sehe ich nur diese gelben Augen, wie es mir zublinzelt, und mir heimlich ein Liebeswort ins Ohr sagen will: so muß ich mich wohl nächtlicher Weise aufmachen, um nur seinem Liebesdrang genug zu thun, und dann fühle ich es innerlich jauchzen und frohlocken, wenn ich es mit meinen Fingern berühre, es wird vor Freuden immer röther und herrlicher; schaut nur selbst die Glut der Entzückung an! -- Der Greis nahm schaudernd und weinend den Sohn in seine Arme, betete und sprach dann: Christel, du mußt dich wieder zum Worte Gottes wenden, du mußt fleißiger und andächtiger in die Kirche gehen, sonst wirst du verschmachten und im traurigsten Elende dich verzehren. Das Geld wurde wieder weggeschlossen, Christian versprach sich zu ändern und in sich zu gehn, und der Alte ward beruhigt. Schon war ein Jahr und mehr vergangen, und man hatte von dem Fremden noch nichts wieder in Erfahrung bringen können; der Alte gab nun endlich den Bitten seines Sohnes nach, und das zurückgelassene Geld wurde in Ländereien und auf andere Weise angelegt. Im Dorfe wurde bald von dem Reichthum des jungen Pachters gesprochen, und Christian schien außerordentlich zufrieden und vergnügt, so daß der Vater sich glücklich pries, ihn so wohl und heiter zu sehn: alle Furcht war jezt in seiner Seele verschwunden. Wie sehr mußte er daher erstaunen, als ihn an einem Abend Elisabeth beiseit nahm und unter Thränen erzählte, wie sie ihren Mann nicht mehr verstehe, er spreche so irre, vorzüglich des Nachts, er träume schwer, gehe oft im Schlafe lange in der Stube herum, ohne es zu wissen, und erzähle wunderbare Dinge, vor denen sie oft schaudern müsse. Am schrecklichsten sei ihr seine Lustigkeit am Tage, denn sein Lachen sei so wild und frech, sein Blick irre und fremd. Der Vater erschrak und die betrübte Gattin fuhr fort: Immer spricht er von dem Fremden, und behauptet, daß er ihn schon sonst gekannt habe, denn dieser fremde Mann sei eigentlich ein wunderschönes Weib; auch will er gar nicht mehr auf das Feld hinaus gehn oder im Garten arbeiten, denn er sagt, er höre ein unterirdisches fürchterliches Aechzen, so wie er nur eine Wurzel ausziehe; er fährt zusammen und scheint sich vor allen Pflanzen und Kräutern wie vor Gespenstern zu entsetzen. -- Allgütiger Gott! rief der Vater aus, ist der fürchterliche Hunger in ihn schon so fest hinein gewachsen, daß es dahin hat kommen können? So ist sein verzaubertes Herz nicht menschlich mehr, sondern von kaltem Metall; wer keine Blume mehr liebt, dem ist alle Liebe und Gottesfurcht verloren. Am folgenden Tage ging der Vater mit dem Sohne spazieren, und sagte ihm manches wieder, was er von Elisabeth gehört hatte; er ermahnte ihn zur Frömmigkeit, und daß er seinen Geist heiligen Betrachtungen widmen solle. Christian sagte: gern, Vater, auch ist mir oft ganz wohl, und es gelingt mir alles gut; ich kann auf lange Zeit, auf Jahre, die wahre Gestalt meines Innern vergessen, und gleichsam ein fremdes Leben mit Leichtigkeit führen: dann geht aber plötzlich wie ein neuer Mond das regierende Gestirn, welches ich selber bin, in meinem Herzen auf, und besiegt die fremde Macht. Ich könnte ganz froh seyn, aber einmal, in einer seltsamen Nacht, ist mir durch die Hand ein geheimnißvolles Zeichen tief in mein Gemüth hinein geprägt; oft schläft und ruht die magische Figur, ich meine sie ist vergangen, aber dann quillt sie wie ein Gift plötzlich wieder hervor, und wegt sich in allen Linien. Dann kann ich sie nur denken und fühlen, und alles umher ist verwandelt, oder vielmehr von dieser Gestaltung verschlungen worden. Wie der Wahnsinnige beim Anblick des Wassers sich entsetzt, und das empfangene Gift noch giftiger in ihm wird, so geschieht es mir bei allen eckigen Figuren, bei jeder Linie, bei jedem Strahl, alles will dann die inwohnende Gestalt entbinden und zur Geburt befördern, und mein Geist und Körper fühlt die Angst; wie sie das Gemüth durch ein Gefühl von außen empfing, so will es sie dann wieder quälend und ringend zum äußern Gefühl hinaus arbeiten, um ihrer los und ruhig zu werden. Ein unglückliches Gestirn war es, sprach der Alte, das dich von uns hinweg zog; du warst für ein stilles Leben geboren, dein Sinn neigte sich zur Ruhe und zu den Pflanzen, da führte dich deine Ungeduld hinweg, in die Gesellschaft der verwilderten Steine: die Felsen, die zerrissenen Klippen mit ihren schroffen Gestalten haben dein Gemüth zerrüttet, und den verwüstenden Hunger nach dem Metall in dich gepflanzt. Immer hättest du dich vor dem Anblick des Gebirges hüten und bewahren müssen, und so dachte ich dich auch zu erziehen, aber es hat nicht seyn sollen. Deine Demuth, deine Ruhe, dein kindlicher Sinn ist von Trotz, Wildheit und Uebermuth verschüttet. Nein, sagte der Sohn, ich erinnere mich ganz deutlich, daß mir eine Pflanze zuerst das Unglück der ganzen Erde bekannt gemacht hat, seitdem verstehe ich erst die Seufzer und Klagen, die allenthalben in der ganzen Natur vernehmbar sind, wenn man nur darauf hören will; in den Pflanzen, Kräutern, Blumen und Bäumen regt und bewegt sich schmerzhaft nur eine große Wunde, sie sind der Leichnam vormaliger herrlicher Steinwelten, sie bieten unserm Auge die schrecklichste Verwesung dar. Jezt verstehe ich es wohl, daß es dies war, was mir jene Wurzel mit ihrem tiefgeholten Aechzen sagen wollte, sie vergaß sich in ihrem Schmerze und verrieth mir alles. Darum sind alle grünen Gewächse so erzürnt auf mich, und stehn mir nach dem Leben; sie wollen jene geliebte Figur in meinem Herzen auslöschen, und in jedem Frühling mit ihrer verzerrten Leichenmiene meine Seele gewinnen. Unerlaubt und tückisch ist es, wie sie dich, alter Mann, hintergangen haben, denn von deiner Seele haben sie gänzlich Besitz genommen. Frage nur die Steine, du wirst erstaunen, wenn du sie reden hörst. Der Vater sah ihn lange an, und konnte ihm nichts mehr antworten. Sie gingen schweigend zurück nach Hause, und der Alte mußte sich jezt ebenfalls vor der Lustigkeit seines Sohnes entsetzen, denn sie dünkte ihm ganz fremdartig, und als wenn ein andres Wesen aus ihm, wie aus einer Maschine, unbeholfen und ungeschickt heraus spiele. -- Das Erndtefest sollte wieder gefeiert werden, die Gemeine ging in die Kirche, und auch Elisabeth zog sich mit den Kindern an, um dem Gottesdienste beizuwohnen; ihr Mann machte auch Anstalten, sie zu begleiten, aber noch vor der Kirchenthür kehrte er um, und ging tiefsinnend vor das Dorf hinaus. Er setzte sich auf die Anhöhe, und sahe wieder die rauchenden Dächer unter sich, er hörte den Gesang und Orgelton von der Kirche her, geputzte Kinder tanzten und spielten auf dem grünen Rasen. Wie habe ich mein Leben in einem Traume verloren! sagte er zu sich selbst; Jahre sind verflossen, daß ich von hier hinunter stieg, unter die Kinder hinein; die damals hier spielten, sind heute dort ernsthaft in der Kirche; ich trat auch in das Gebäude, aber heut ist Elisabeth nicht mehr ein blühendes kindliches Mädchen, ihre Jugend ist vorüber, ich kann nicht mit der Sehnsucht wie damals den Blick ihrer Augen aufsuchen: so habe ich muthwillig ein hohes ewiges Glück aus der Acht gelassen, um ein vergängliches und zeitliches zu gewinnen. Er ging sehnsuchtsvoll nach dem benachbarten Walde, und vertiefte sich in seine dichtesten Schatten. Eine schauerliche Stille umgab ihn, keine Luft rührte sich in den Blättern. Indem sah er einen Mann von ferne auf sich zukommen, den er für den Fremden erkannte; er erschrak, und sein erster Gedanke war, jener würde sein Geld von ihm zurück fordern. Als die Gestalt etwas näher kam, sah er, wie sehr er sich geirrt hatte, denn die Umrisse, welche er wahrzunehmen gewähnt, zerbrachen wie in sich selber; ein altes Weib von der äußersten Häßlichkeit kam auf ihn zu, sie war in schmuzige Lumpen gekleidet, ein zerrissenes Tuch hielt einige greise Haare zusammen, sie hinkte an einer Krücke. Mit fürchterlicher Stimme redete sie Christian an, und fragte nach seinem Namen und Stande; er antwortete ihr umständlich und sagte darauf: aber wer bist du? Man nennt mich das Waldweib, sagte jene, und jedes Kind weiß von mir zu erzählen; hast du mich niemals gekannt? Mit den letzten Worten wandte sie sich um, und Christian glaubte zwischen den Bäumen den goldenen Schleier, den hohen Gang, den mächtigen Bau der Glieder wieder zu erkennen. Er wollte ihr nacheilen, aber seine Augen fanden sie nicht mehr. Indem zog etwas Glänzendes seine Blicke in das grüne Gras nieder. Er hob es auf und sahe die magische Tafel mit den farbigen Edelgesteinen, mit der seltsamen Figur wieder, die er vor so manchem Jahr verloren hatte. Die Gestalt und die bunten Lichter drückten mit der plötzlichsten Gewalt auf alle seine Sinne. Er faßte sie recht fest an, um sich zu überzeugen, daß er sie wieder in seinen Händen halte, und eilte dann damit nach dem Dorfe zurück. Der Vater begegnete ihm. Seht, rief er ihm zu, das, wovon ich euch so oft erzählt habe, was ich nur im Traum zu sehn glaubte, ist jezt gewiß und wahrhaftig mein. Der Alte betrachtete die Tafel lange und sagte: mein Sohn, mir schaudert recht im Herzen, wenn ich die Lineamente dieser Steine betrachte und ahnend den Sinn dieser Wortfügung errathe; sieh her, wie kalt sie funkeln, welche grausame Blicke sie von sich geben, blutdürstig, wie das rothe Auge des Tiegers. Wirf diese Schrift weg, die dich kalt und grausam macht, die dein Herz versteinern muß: Sieh die zarten Blüthen keimen, Wie sie aus sich selbst erwachen, Und wie Kinder aus den Träumen Dir entgegen lieblich lachen. Ihre Farbe ist im Spielen Zugekehrt der goldnen Sonne, Deren heißen Kuß zu fühlen, Das ist ihre höchste Wonne: An den Küssen zu verschmachten, Zu vergehn in Lieb' und Wehmuth; Also stehn, die eben lachten, Bald verwelkt in stiller Demuth. Das ist ihre höchste Freude, Im Geliebten sich verzehren, Sich im Tode zu verklären, Zu vergehn in süßem Leide. Dann ergießen sie die Düfte, Ihre Geister, mit Entzücken, Es berauschen sich die Lüfte Im balsamischen Erquicken. Liebe kommt zum Menschenherzen, Regt die goldnen Saitenspiele, Und die Seele spricht: ich fühle Was das Schönste sei, wonach ich ziele, Wehmuth, Sehnsucht und der Liebe Schmerzen. Wunderbare, unermeßliche Schätze, antwortete der Sohn, muß es noch in den Tiefen der Erde geben. Wer diese ergründen, heben und an sich reißen könnte! Wer die Erde so wie eine geliebte Braut an sich zu drücken vermöchte, daß sie ihm in Angst und Liebe gern ihr Kostbarstes gönnte! Das Waldweib hat mich gerufen, ich gehe sie zu suchen. Hier neben an ist ein alter verfallener Schacht, schon vor Jahrhunderten von einem Bergmanne ausgegraben; vielleicht, daß ich sie dort finde! Er eilte fort. Vergeblich strebte der Alte, ihn zurück zu halten, jener war seinen Blicken bald entschwunden. Nach einigen Stunden, nach vieler Anstrengung gelangte der Vater an den alten Schacht; er sah die Fußstapfen im Sande am Eingange eingedrückt, und kehrte weinend um, in der Ueberzeugung, daß sein Sohn im Wahnsinn hinein gegangen, und in alte gesammelte Wässer und Untiefen versunken sei. Seitdem war er unaufhörlich betrübt und in Thränen. Das ganze Dorf trauerte um den jungen Pachter, Elisabeth war untröstlich, die Kinder jammerten laut. Nach einem halben Jahre war der alte Vater gestorben, Elisabeths Eltern folgten ihm bald nach, und sie mußte die große Wirthschaft allein verwalten. Die angehäuften Geschäfte entfernten sie etwas von ihrem Kummer, die Erziehung der Kinder, die Bewirthschaftung des Gutes ließen ihr für Sorge und Gram keine Zeit übrig. So entschloß sie sich nach zwei Jahren zu einer neuen Heirath, sie gab ihre Hand einem jungen heitern Manne, der sie von Jugend auf geliebt hatte. Aber bald gewann alles im Hause eine andre Gestalt. Das Vieh starb, Knechte und Mägde waren untreu, Scheuren mit Früchten wurden vom Feuer verzehrt, Leute in der Stadt, bei welchen Summen standen, entwichen mit dem Gelde. Bald sah sich der Wirth genöthigt, einige Aecker und Wiesen zu verkaufen; aber ein Mißwachs und theures Jahr brachten ihn nur in neue Verlegenheit. Es schien nicht anders, als wenn das so wunderbar erworbene Geld auf allen Wegen eine schleunige Flucht suchte; indessen mehrten sich die Kinder, und Elisabeth sowohl als ihr Mann wurden in der Verzweiflung unachtsam und saumselig; er suchte sich zu zerstreuen, und trank häufigen und starken Wein, der ihn verdrießlich und jähzornig machte, so daß oft Elisabeth mit heißen Zähren ihr Elend beweinte. So wie ihr Glück wich, zogen sich auch die Freunde im Dorfe von ihnen zurück, so daß sie sich nach einigen Jahren ganz verlassen sahn, und sich nur mit Mühe von einer Woche zur andern hinüber fristeten. Es waren ihnen nur wenige Schaafe und eine Kuh übrig geblieben, welche Elisabeth oft selber mit den Kindern hütete. So saß sie einst mit ihrer Arbeit auf dem Anger, Leonore zu ihrer Seite und ein säugendes Kind an der Brust, als sie von ferne herauf eine wunderbare Gestalt kommen sahen. Es war ein Mann in einem ganz zerrissenen Rocke, barfüßig, sein Gesicht schwarzbraun von der Sonne verbrannt, von einem langen struppigen Bart noch mehr entstellt; er trug keine Bedeckung auf dem Kopf, hatte aber von grünem Laube einen Kranz durch sein Haar geflochten, welcher sein wildes Ansehn noch seltsamer und unbegreiflicher machte. Auf dem Rücken trug er in einem festgeschnürten Sack eine schwere Ladung, im Gehen stützte er sich auf eine junge Fichte. Als er näher kam, setzte er seine Last nieder, und holte schwer Athem. Er bot der Frau guten Tag, die sich vor seinem Anblicke entsetzte, das Mädchen schmiegte sich an ihre Mutter. Als er ein wenig geruht hatte, sagte er: nun komme ich von einer sehr beschwerlichen Wanderschaft aus dem rauhesten Gebirge auf Erden, aber ich habe dafür auch endlich die kostbarsten Schätze mitgebracht, die die Einbildung nur denken oder das Herz sich wünschen kann. Seht hier, und erstaunt! -- Er öffnete hierauf seinen Sack und schüttete ihn aus; dieser war voller Kiesel, unter denen große Stücke Quarz, nebst andern Steinen lagen. Es ist nur, fuhr er fort, daß diese Juwelen noch nicht polirt und geschliffen sind, darum fehlt es ihnen noch an Auge und Blick; das äußerliche Feuer mit seinem Glanze ist noch zu sehr in ihren inwendigen Herzen begraben, aber man muß es nur herausschlagen, daß sie sich fürchten, daß keine Verstellung ihnen mehr nützt, so sieht man wohl, wes Geistes Kind sie sind. -- Er nahm mit diesen Worten einen harten Stein und schlug ihn heftig gegen einen andern, so daß die rothen Funken heraussprangen. Habt ihr den Glanz gesehen? rief er aus; so sind sie ganz Feuer und Licht, sie erhellen das Dunkel mit ihrem Lachen, aber noch thun sie es nicht freiwillig. -- Er packte hierauf alles wieder sorgfältig in seinen Sack, welchen er fest zusammen schnürte. Ich kenne dich recht gut, sagte er dann wehmüthig, du bist Elisabeth. -- Die Frau erschrak. Wie ist dir doch mein Name bekannt, fragte sie mit ahnendem Zittern. -- Ach, lieber Gott! sagte der Unglückselige, ich bin ja der Christian, der einst als Jäger zu euch kam, kennst du mich denn nicht mehr? Sie wußte nicht, was sie im Erschrecken und tiefsten Mitleiden sagen sollte. Er fiel ihr um den Hals, und küßte sie. Elisabeth rief aus: O Gott! mein Mann kommt! Sei ruhig, sagte er, ich bin dir so gut wie gestorben; dort im Walde wartet schon meine Schöne, die Gewaltige, auf mich, die mit dem goldenen Schleier geschmückt ist. Dieses ist mein liebstes Kind, Leonore. Komm her, mein theures, liebes Herz, und gieb mir auch einen Kuß, nur einen einzigen, daß ich einmal wieder deinen Mund auf meinen Lippen fühle, dann will ich euch verlassen. Leonore weinte; sie schmiegte sich an ihre Mutter, die in Schluchzen und Thränen sie halb zum Wandrer lenkte, halb zog sie dieser zu sich, nahm sie in die Arme, und drückte sie an seine Brust. -- Dann ging er still fort, und im Walde sahen sie ihn mit dem entsetzlichen Waldweibe sprechen. Was ist euch? fragte der Mann, als er Mutter und Tochter blaß und in Thränen aufgelöst fand. Keiner wollte ihm Antwort geben. Der Unglückliche ward aber seitdem nicht wieder gesehen. * * * * * Manfred endigte und sah auf: ich merke, sagte er, meine Zuhörer, noch auffallender aber meine Zuhörerinnen, sind blaß geworden. Gewiß, sagte Emilie, denn der Schluß ist zu schrecklich; es ist aber dem Vorleser nicht besser ergangen, denn er hat während seinem Vortrage mehr als einmal die Farbe gewechselt. Vielleicht, sagte Lothar, kann die Erzählung, die ich ihnen nun vorzutragen habe, durch ihr grelles Colorit jene zu trübe Empfindung unterbrechen, wenn auch nicht erheitern. Ich erbitte mir also einige Aufmerksamkeit für den Inhalt dieser Blätter. Liebeszauber. 1811. Tief denkend saß Emil an seinem Tische und erwartete seinen Freund Roderich. Das Licht brannte vor ihm, der Winterabend war kalt, und er wünschte heut seinen Reisegefährten herbei, so gern er wohl sonst dessen Gesellschaft vermied; denn an diesem Abend wollte er ihm ein Geheimniß entdecken und sich Rath von ihm erbitten. Der menschenscheue Emil fand bei allen Geschäften und Vorfällen des Lebens so viele Schwierigkeiten, so unübersteigliche Hindernisse, daß ihm das Schicksal fast in einer ironischen Laune diesen Roderich zugeführt zu haben schien, der in allen Dingen das Gegentheil seines Freundes zu nennen war. Unstät, flatterhaft, von jedem ersten Eindruck bestimmt und begeistert, unternahm er alles, wußte für alles Rath, war ihm keine Unternehmung zu schwierig, konnte ihn kein Hinderniß abschrecken: aber im Verlaufe eines Geschäftes ermüdete und erlahmte er eben so schnell, als er anfangs elastisch und begeistert gewesen war, alles was ihn dann hinderte, war für ihn kein Sporn, seinen Eifer zu vermehren, sondern es veranlaßte ihn nur, das zu verachten, was er so hitzig unternommen hatte, so daß Roderich alle seine Plane eben so ohne Ursach liegen ließ und saumselig vergaß, als er sie unbesonnen unternommen hatte. Daher verging kein Tag, daß beide Freunde nicht in Krieg geriethen, der ihrer Freundschaft den Tod zu drohen schien, doch war vielleicht dasjenige, was sie dem Anscheine nach trennte, nur das, was sie am innigsten verband; beide liebten sich herzlich, aber beide fanden eine große Genugthuung darin, daß einer über den andern die gegründetsten Klagen führen konnte. Emil, ein reicher junger Mann von reizbarem und melankolischem Temperament, war nach dem Tode seiner Eltern Herr seines Vermögens; er hatte eine Reise angetreten, um sich auszubilden, befand sich aber nun schon seit einigen Monaten in einer ansehnlichen Stadt, die Freuden des Carnevals zu genießen, um welche er sich niemals bemühte, um bedeutende Verabredungen über sein Vermögen mit Verwandten zu treffen, die er kaum noch besucht hatte. Unterwegs war er auf den unsteten allzubeweglichen Roderich gestoßen, der mit seinen Vormündern in Unfrieden lebte, und um sich ganz von diesen und ihren lästigen Vermahnungen los zu machen, begierig die Gelegenheit ergriff, welche ihm sein neuer Freund anbot, ihn als Gefährten auf seiner Reise mitzunehmen. Auf dem Wege hatten sie sich schon oft wieder trennen wollen, aber beide hatten in jeder Streitigkeit nur um so deutlicher gefühlt, wie unentbehrlich sie sich wären. Kaum waren sie in einer Stadt aus dem Wagen gestiegen, so hatte Roderich schon alle Merkwürdigkeiten des Orts gesehen, um sie am folgenden Tage zu vergessen, während Emil sich eine Woche aus Büchern gründlich vorbereitete, um nichts aus der Acht zu lassen, wovon er doch nachher aus Trägheit vieles seiner Aufmerksamkeit nicht würdigte; Roderich hatte gleich tausend Bekanntschaften gemacht und alle öffentlichen Oerter besucht, führte auch nicht selten seine neu erworbenen Freunde auf Emils einsames Zimmer, wo er diesen dann mit ihnen allein ließ, wenn sie anfingen ihm Langeweile zu machen. Eben so oft brachte er den bescheidenen Emil in Verlegenheit, wenn er dessen Verdienste und Kenntnisse gegen Gelehrte und einsichtsvolle Männer über die Gebühr erhob, und diesen zu verstehn gab, wie vieles sie in Sprachen, Alterthümern, oder Kunstkenntnissen von seinem Freunde lernen könnten, ob er gleich selbst niemals die Zeit finden konnte, über diese Gegenstände seinen Gefährten anzuhören, wenn sich das Gespräch dahin lenkte. War nun Emil einmal zur Thätigkeit aufgelegt, so konnte er fast darauf rechnen, daß sein schwärmender Freund sich in der Nacht auf einem Balle, oder einer Schlittenfarth erkältet habe, und das Bett hüten müsse, so daß Emil in Gesellschaft des lebendigsten, unruhigsten und mittheilsamsten aller Menschen in der größten Einsamkeit lebte. Heute erwartete ihn Emil gewiß, weil er ihm das feierliche Versprechen hatte geben müssen, den Abend mit ihm zuzubringen, um zu erfahren, was schon seit Wochen seinen tiefsinnigen Freund gedrückt und beängstigt habe. Emil schrieb indeß folgende Verse nieder. Wie lieb und hold ist Frühlingsleben, Wenn alle Nachtigallen singen, Und wie die Tön' in Bäumen klingen, In Wonne Laub und Blüthen beben. Wie schön im goldnen Mondenscheine Das Spiel der lauen Abendlüfte, Die, auf den Flügeln Lindendüfte, Sich jagen durch die stillen Haine. Wie herrlich glänzt die Rosenpracht, Wenn Liebreiz rings die Felder schmücket, Die Lieb' aus tausend Rosen blicket, Aus Sternen ihrer Wonne-Nacht. Doch schöner dünkt mir, holder, lieber, Des kleinen Lichtleins blaß Geflimmer, Wenn sie sich zeigt im engen Zimmer, Späh' ich in Nacht zu ihr hinüber. Wie sie die Flechten löst und bindet, Wie sie im Schwung der weißen Hand Anschmiegt dem Leibe hell Gewand, Und Kränz' in braune Locken windet. Wie sie die Laute läßt erklingen, Und Töne, aufgejagt, erwachen, Berührt von zarten Fingern lachen, Und scherzend durch die Saiten springen; Sie einzufangen schickt sie Klänge Gesanges fort, da flieht mit Scherzen Der Ton, sucht Schirm in meinem Herzen, Dahin verfolgen die Gesänge. O laßt mich doch, ihr Bösen, frei! Sie riegeln sich dort ein und sprechen: Nicht weichen wir, bis dies wird brechen, Damit du weißt, was Lieben sei. Emil stand ungeduldig auf. Es ward finsterer und Roderich kam nicht, dem er seine Liebe zu einer Unbekannten, die ihm gegen über wohnte und ihn tagelang zu Hause, und Nächte hindurch wachend erhielt, bekennen wollte. Jezt schallten Fußtritte die Treppe herauf, die Thür, ohne daß man anklopfte, eröffnete sich, und herein traten zwei bunte Masken mit widrigen Angesichtern, der eine ein Türke, in rother und blauer Seide gekleidet, der andere ein Spanier, blaßgelb und röthlich, mit vielen schwankenden Federn auf dem Hute. Als Emil ungeduldig werden wollte, nahm Roderich die Maske ab, zeigte sein wohl bekanntes lachendes Gesicht und sagte: ei, mein Liebster, welche grämliche Miene! Sieht man so aus zur Carnevalszeit? Ich und unser lieber junger Offizier kommen dich abzuholen, heut ist großer Ball auf dem Maskensaale, und da ich weiß, daß du es verschworen hast, anders, als in deinen schwarzen Kleidern zu gehn, die du täglich trägst, so komm nur so mit, wie du da bist, denn es ist schon ziemlich spät. Emil war erzürnt und sagte: du hast, wie es scheint, deiner Gewohnheit nach ganz unsre Abrede vergessen: sehr leid thut es mir, (indem er sich zum Fremden wandte) daß ich Sie unmöglich begleiten kann, mein Freund ist zu voreilig gewesen, es in meinem Namen zu versprechen; ich kann überhaupt nicht ausgehn, da ich etwas Wichtiges mit ihm abzureden habe. Der Fremde, welcher bescheiden war und Emils Absicht verstand, entfernte sich: Roderich aber nahm höchst gleichgültig die Maske wieder vor, stellte sich vor den Spiegel und sagte: nicht wahr, man sieht eigentlich ganz scheußlich aus? Es ist im Grunde eine geschmacklose widerwärtige Erfindung. Das ist gar keine Frage, erwiederte Emil im höchsten Unwillen. Dich zur Carikatur machen, und dich betäuben, gehört eben zu den Vergnügungen, denen du am liebsten nachjagst. Weil du nicht tanzen magst, sagte jener, und den Tanz für eine verderbliche Erfindung hältst, so soll auch Niemand anders lustig seyn. Wie verdrüßlich, wenn ein Mensch aus lauter Eigenheiten zusammen gesetzt ist. Gewiß, erwiederte der erzürnte Freund, und ich habe Gelegenheit genug, dies an dir zu beobachten; ich glaubte, daß du mir nach unsrer Abrede diesen Abend schenken würdest, aber -- Aber es ist ja Carneval, fuhr jener fort, und alle meine Bekannten und einige Damen erwarten mich auf dem heutigen großen Balle. Bedenke nur, mein Lieber, daß es wahre Krankheit in dir ist, daß dir dergleichen Anstalten so unbillig zuwider sind. Emil sagte: wer von uns beiden krank zu nennen ist, will ich nicht untersuchen; dein unbegreiflicher Leichtsinn, deine Sucht, dich zu zerstreuen, dein Jagen nach Vergnügungen, die dein Herz leer lassen, scheint mir wenigstens keine Seelengesundheit; auch in gewissen Dingen könntest du wohl meiner Schwachheit, wenn es denn einmal dergleichen sein soll, nachgeben, und es giebt nichts auf der Welt, was mich so durch und durch verstimmt, als ein Ball mit seiner fürchterlichen Musik. Man hat sonst wohl gesagt, die Tanzenden müßten einem Tauben, welcher die Musik nicht vernimmt, als Rasende erscheinen; ich aber meine, daß diese schreckliche Musik selbst, dies Umherwirbeln weniger Töne in widerlicher Schnelligkeit, in jenen vermaledeiten Melodien, die sich unserm Gedächtnisse, ja ich möchte sagen unserm Blut unmittelbar mittheilen, und die man nachher auf lange nicht wieder los werden kann, daß dies die Tollheit und Raserei selbst sei; denn wenn mir das Tanzen noch irgend erträglich sein sollte, so müßte es ohne Musik geschehn. Nun sieh, wie paradox! antwortete der Maskirte; du kömmst so weit, daß du das Natürlichste, Unschuldigste und Heiterste von der Welt unnatürlich, ja gräßlich finden willst. Ich kann nicht für mein Gefühl, sagte der Ernste, daß mich diese Töne von Kindheit auf unglücklich gemacht, und oft bis zur Verzweiflung getrieben haben: in der Tonwelt sind sie für mich die Gespenster, Larven und Furien, und so flattern sie mir auch ums Haupt, und grinsen mich mit entsetzlichem Lachen an. Nervenschwäche, sagte jener, so wie dein übertriebener Abscheu gegen Spinnen und manch anderes unschuldiges Gewürm. Unschuldig nennst du sie, sagte der Verstimmte, weil sie dir nicht zuwider sind. Für denjenigen aber, dem die Empfindung des Ekels und des Abscheus, dasselbe unnennbare Grauen, wie mir, bei ihrem Anblick in der Seele aufgeht und durch sein ganzes Wesen zuckt, sind diese gräßlichen Unthiere, wie Kröten und Spinnen, oder gar die widerwärtigste aller Creaturen, die Fledermaus, nicht gleichgültig und unbedeutend, sondern ihr Dasein ist dem seinigen auf das feindlichste entgegengesetzt. Wahrlich, man möchte über die Ungläubigen lächeln, mit deren Imagination sich Gespenster und grauenhafte Larven, sammt jenen Geburten der Nacht nicht vereinigen lassen, die wir in Krankheiten sehn, oder die uns Dantes Gemälde zeigen, da die gewöhnlichste Wirklichkeit um uns her die fürchterlichen verzerrten Musterbilder dieser Schrecken uns vorhält. Sollten wir in der That das Schöne lieben können, ohne uns vor diesen Fratzen zu entsetzen? Warum entsetzen? fragte Roderich, warum soll uns das große Reich der Gewässer und der Meere gerade diese Furchtbarkeit vorhalten, an die sich deine Vorstellung gewöhnt hat, und nicht vielmehr seltsame, unterhaltende und possirliche Verkleidungen, so daß das ganze Gebiet nicht anders, als etwa wie ein komischer Ballsaal anzusehn wäre? Deine Eigenheiten aber gehn noch weiter, denn so wie du die Rose mit einer gewissen Abgötterei liebst, so sind dir andre Blumen eben so lebhaft verhaßt; was hat dir nur die gute liebe Feuerlilie gethan, wie so manch andres Kind des Sommers? So sind dir manche Farben zuwider, manche Düfte und viele Gedanken, und du thust nichts dazu, dich gegen diese Stimmungen zu verhärten, sondern du giebst ihnen weichlich nach, und am Ende wird eine Sammlung von dergleichen Seltsamkeiten die Stelle einnehmen, die dein Ich besitzen sollte. Emil war im tiefsten Herzen erzürnt und antwortete nicht. Er hatte es nun schon aufgegeben, sich jenem mitzutheilen, auch schien der leichtsinnige Freund gar keine Begier zu haben, das Geheimniß zu erfahren, welches ihm sein melankolischer Gefährte mit so wichtiger Miene angekündigt hatte; er saß gleichgültig im Lehnsessel, mit seiner Maske spielend, als er plötzlich ausrief: sei doch so gut, Emil, und leih mir deinen großen Mantel. Wozu? fragte jener. Ich höre drüben in der Kirche Musik, antwortete Roderich, und habe schon alle Abend diese Stunde versäumt; heut kömmt sie mir recht gelegen, unter deinem Mantel kann ich diese Kleidung verbergen, auch Maske und Turban darunter verstecken, und wenn sie geendigt ist, mich sogleich nach dem Balle begeben. Murrend suchte Emil den Mantel aus dem Schranke, gab ihn dem Aufgestandenen, und zwang sich zu einem ironischen Lächeln. Da hast du meinen türkischen Dolch, den ich gestern gekauft habe, sagte Roderich, indem er sich einhüllte, heb' ihn auf; es taugt nicht, dergleichen ernsthaftes Zeug als Spielerei bei sich zu haben; man kann denn doch nicht wissen, wozu es gemißbraucht würde, wenn Zank oder anderer Unfug die Gelegenheit herbei führte; morgen sehn wir uns wieder, lebe wohl und bleibe vergnügt. Er wartete auf keine Erwiederung, sondern eilte die Treppe hinunter. Als Emil allein war, suchte er seinen Zorn zu vergessen und das Betragen seines Freundes von der lächerlichen Seite zu nehmen. Er betrachtete den blanken schön gearbeiteten Dolch, und sagte, wie muß es doch dem Menschen sein, der solch scharfes Eisen in die Brust des Gegners stößt, oder gar einen geliebten Gegenstand damit verletzt? er schloß ihn ein, lehnte dann behutsam die Läden seines Fensters zurück und sah über die enge Gasse. Aber kein Licht regte sich, es war finster im Hause gegenüber; die theure Gestalt, die dort wohnte, und sich um diese Zeit bei häuslicher Beschäftigung zu zeigen pflegte, schien entfernt. Vielleicht gar auf dem Balle, dachte Emil, so wenig es auch ihrer eingezogenen Lebensart ziemte. Plötzlich aber zeigte sich ein Licht, und die Kleine, welche seine unbekannte Geliebte um sich hatte, und mit der sie sich am Tage wie am Abend vielfältig abgab, trug ein Licht durch das Zimmer und lehnte die Fensterläden an. Eine Spalte blieb hell, groß genug, um von Emils Standpunkt einen Theil des kleinen Zimmers zu überschauen, und dort stand oft der Glückliche bis nach Mitternacht wie bezaubert, und beobachtete jede Bewegung der Hand, jede Miene seiner Geliebten: er freute sich, wenn sie dem kleinen Kinde lesen lehrte, oder es im Nähen und Stricken unterrichtete. Auf seine Erkundigung hatte er erfahren, daß die Kleine eine arme Waise sei, die das schöne Mädchen mitleidig zu sich genommen hatte, um sie zu erziehn. Emils Freunde begriffen nicht, warum er in dieser engen Gasse wohne in einem unbequemen Hause, weshalb man ihn so wenig in Gesellschaften sehe, und womit er sich beschäftige. Unbeschäftigt, in der Einsamkeit, war er glücklich, nur unzufrieden mit sich und seinem menschenscheuen Charakter, daß er es nicht wage die nähere Bekanntschaft dieses schönen Wesens zu suchen, so freundlich sie auch einigemal am Tage gegrüßt und gedankt hatte. Er wußte nicht, daß sie eben so trunken zu ihm hinüber spähte, und ahnete nicht, welche Wünsche sich in ihrem Herzen bildeten, welcher Anstrengung, welcher Opfer sie sich fähig fühlte, um nur zum Besitz seiner Liebe zu gelangen. Nachdem er einigemal auf und nieder gegangen war, und das Licht sich mit dem Kinde wieder entfernt hatte, faßte er plötzlich den Entschluß, seiner Neigung und Natur zuwider auf den Ball zu gehen, weil es ihm einfiel, daß seine Unbekannte eine Ausnahme von ihrer eingezogenen Lebensweise könne gemacht haben, um auch einmal die Welt und ihre Zerstreuungen zu genießen. Die Gassen waren hell erleuchtet, der Schnee knisterte unter seinen Füßen, Wagen rollten ihm vorüber und Masken in den verschiedensten Trachten pfiffen und zwitscherten an ihm vorbei. Aus vielen Häusern ertönte ihm die so verhaßte Tanzmusik, und er konnte es nicht über sich gewinnen, auf dem kürzesten Wege nach dem Saale zu gehn, zu welchem aus allen Richtungen die Menschen strömten und drängten. Er ging um die alte Kirche, beschaute den hohen Thurm, der sich ernst in den nächtlichen Himmel erhub, und freute sich der Stille und Einsamkeit des abgelegenen Platzes. In der Vertiefung einer großen Kirchenthür, deren mannichfaltiges Bildwerk er immer mit Lust beschaut, und sich dabei der alten Kunst und vergangener Zeiten erinnert hatte, nahm er auch jezo Platz, um sich auf wenige Augenblicke seinen Betrachtungen zu überlassen. Er stand nicht lange, als eine Figur seine Aufmerksamkeit an sich zog, die unruhig auf und nieder ging, und jemand zu erwarten schien. Beim Schein einer Laterne, die vor einem Marienbilde brannte, unterschied er genau das Gesicht, so wie die wunderliche Kleidung. Es war ein altes Weib von der äußersten Häßlichkeit, die um so mehr in die Augen fiel, weil sie gegen ein scharlachrothes Leibchen, das mit Gold besetzt war, höchst abentheuerlich abstach; der Rock, den sie trug, war dunkel, und die Haube ihres Kopfes glänzte ebenfalls von Gold. Emil glaubte anfangs eine geschmacklose Maske zu sehn, die sich hieher verirrt habe, aber bald war er beim hellen Scheine überzeugt, daß das alte braune und runzlichte Gesicht ein wirkliches und kein nachgeahmtes sei. Es währte nicht lange, so erschienen zwei Männer in Mänteln gehüllt, die sich dem Orte mit behutsamen Schritten zu nähern schienen, indem sie öfter von den Seiten schauten, ob ihnen Niemand folge. Die Alte ging auf sie zu. Habt ihr die Lichter? fragte sie hastig und mit einer rauhen Stimme. Hier sind sie, sagte der Eine, der Preis ist euch bekannt, macht die Sache gleich richtig. Die Alte schien Geld zu geben, welches der Mann unter seinem Mantel nachzählte. Ich verlasse mich darauf, fing die Alte wieder an, daß sie ganz nach der Vorschrift und Kunst gegossen sind, damit die Wirkung nicht ausbleibt. Seid ohne Sorgen, sagte jener, und entfernte sich schnell. Der andre, welcher zurück geblieben, war ein junger Mann; er nahm die Alte bei der Hand und sagte: ist es möglich, Alexia, daß dergleichen Ceremonien und Formeln, diese seltsamen alten Sagen, an welche ich nie habe glauben können, den freien Willen des Menschen fesseln, und Liebe und Haß erregen könnten? So ist es, sprach das rothe Weib, aber eins muß zum andern kommen, nicht bloß diese Lichter, in der Mitternacht des Neumonden gegossen, mit Menschenblut getränkt, nicht die Zauberformeln und Anrufungen allein können es ausrichten, sondern noch manches andre gehört dazu, das der Kunstverständige wohl kennt. So verlaß ich mich auf dich, sagte der Fremde. Morgen nach Mitternacht bin ich euch zu Diensten, antwortete die Alte; ihr werdet ja nicht der erste sein, der mit meiner Kundschaft unzufrieden ist; heute, wie ihr gehört habt, bin ich für jemand anders bestellt, auf dessen Sinn und Verstand unsere Kunst gewiß nachdrücklich wirken soll. Die letzten Worte sagte sie mit halbem Lachen, und beide gingen aus einander und entfernten sich nach verschiedenen Richtungen. Emil trat schaudernd aus der dunkeln Nische hervor und erhob seine Blicke zum Bilde der Jungfrau mit dem Kinde; vor deinen Augen, du Holdselige, sagte er halb laut, erfrechen sich die Greuel ihre Abrede zu treffen, um ihren abscheulichen Betrug zu verhandeln, doch so, wie du dein Kind in Liebe umfängst, so hält uns alle die unsichtbare Liebe in fühlbaren Armen, und unser armes Herz klopft in Freude wie in Angst einem größeren entgegen, das uns niemals verlassen wird. Wolken zogen über die Spitze des Thurms und das schroffe Dach der Kirche hinweg, die ewigen Sterne schauten funkelnd und mit freundlichem Ernst hernieder, und Emil wandte sich entschlossen von diesen nächtlichen Schauern und gedachte der Schönheit seiner Unbekannten. Er betrat wieder die belebten Gassen, und lenkte nach dem hellerleuchteten Ballhause ein, von welchem ihm Stimmen, Wagengerassel, und in einzelnen Pausen die lärmende Musik entgegen schallten. Im Saale verlor er sich sogleich im fluthenden Getümmel, Tänzer umsprangen ihn, Masken schossen an ihm hin und her, Pauken und Trompeten betäubten sein Ohr, und ihm war, als sei das menschliche Leben selber nur ein Traum. Er ging durch die Reihen, und nur sein Auge blieb wach, um jene geliebten Augen und jenes schöne Haupt mit den braunen Locken aufzusuchen, nach dessen Anblick er sich heut inniger sehnte als sonst, und dem angebeteten Wesen doch innerlich Vorwürfe machte, daß es sich in diesem stürmenden Meer der Verwirrung und Thorheit untertauchen und verlieren könne. Nein, sprach er zu sich selbst, kein Herz, welches liebt, wird sich diesem wüsten Brausen öffnen wollen, in welchem Sehnsucht und Thränen verhöhnt und mit dem schmetternden Gelächter wilder Trompeten verspottet werden. Das Säuseln der Bäume, das Rieseln der Quellen, Lautenschlag und edler Gesang, welcher voll aus dem bewegten Busen strömt, sind die Töne, in welchen Liebe wohnt. So aber donnert und jubelt die Hölle in der Raserei ihrer Verzweiflung. Er fand nicht, was er suchte, denn zu dem Glauben, daß sein geliebtes Angesicht sich vielleicht unter eine widrige Maske verborgen habe, konnte er sich unmöglich bequemen. Schon war er dreimal den Saal auf- und abgewandert und hatte alle sitzenden und unmaskirten Damen vergeblich gemustert, als sich der Spanier zu ihm gesellte und sagte: schön, daß sie doch noch gekommen sind; sie suchen vielleicht ihren Freund? Emil hatte ihn ganz vergessen; er sagte aber beschämt: in der That, ich wundre mich, ihn hier nicht zu treffen, denn seine Maske ist kenntlich genug. Wissen sie, was der wunderliche Mensch treibt? antwortete der junge Offizier; er hat weder getanzt, noch sich lange im Saale aufgehalten, denn er fand sogleich seinen Freund Anderson, der vom Lande herein gekommen ist; ihr Gespräch fiel auf die Literatur, und da dieser das neulich herausgekommene Gedicht noch nicht kannte, so hat Roderich nicht eher geruht, bis man ihm eins der hintern Zimmer aufgeschlossen hat, dort sitzt er mit seinem Gefährten bei einer einsamen Kerze und liest ihm das ganze Werk vor. Das sieht ihm ähnlich, sagte Emil, denn er besteht ganz aus Laune. Ich habe alles angewandt, und selbst freundschaftliche Zwistigkeiten nicht gescheut, um es ihm abzugewöhnen, immer ^ex tempore^ zu leben und sein ganzes Dasein in Impromptüs auszuspielen: allein diese Thorheiten sind ihm so ans Herz gewachsen, daß er sich eher vom liebsten Freunde, als von ihnen trennen würde. Das nämliche Werk, welches er so liebt, daß er es immer bei sich trägt, hat er mir neulich vorlesen wollen, und ich hatte ihn sogar dringend darum gebeten; wir waren aber kaum über den Anfang, indeß ich ganz den Schönheiten hingegeben war, als er plötzlich aufsprang, mit der Küchenschürze umgethan zurückkehrte, mit vielen Umständen Feuer anschüren ließ, um mir Beefsteaks zu rösten, zu welchen ich kein Verlangen trug, und die er sich am besten in Europa zu machen einbildet, ob sie ihm gleich die meisten Male verunglücken. Der Spanier lachte. Ist er nie verliebt gewesen? fragte er. Auf seine Weise, erwiederte Emil sehr ernst; so, als wollte er über sich und die Liebe spotten, in viele zugleich, und nach seinen Worten bis zur Verzweiflung, die er aber insgesamt in acht Tagen wieder vergessen hatte. Sie trennten sich im Getümmel, und Emil begab sich nach dem abgelegenen Zimmer, aus welchem er seinen Freund schon von fern laut deklamiren hörte. Ah, da bist du ja auch, rief ihm dieser entgegen; das trifft sich gut, ich bin nur eben über die Stelle hinüber, bei der wir neulich unterbrochen wurden; setze dich, so kannst du mit zuhören. Ich bin jezt nicht in der Stimmung, sagte Emil, auch scheint mir diese Stunde und dieser Ort wenig geschickt zu einer solchen Unterhaltung. Warum nicht? antwortete Roderich; es muß sich alles nach unserm Willen bequemen, jede Zeit ist gut dazu, sich auf eine edle Weise zu beschäftigen. Oder willst du lieber tanzen? Es fehlt an Tänzern, und du kannst dich heut mit einigen Stunden Herumspringens und einem Paar ermüdender Beine bei vielen dankbaren Damen ziemlich beliebt machen. Lebe wohl, rief jener schon in der Thür, ich gehe nach Hause. Noch ein Wort! rief ihm Roderich nach: ich verreise morgen in aller Frühe mit diesem Herrn auf einige Tage über Land; ich spreche aber noch bei dir vor, um Abschied zu nehmen. Schläfst du, wie es wahrscheinlich ist, so bemühe dich nur nicht, aufzuwachen, denn in drei Tagen bin ich wieder bei dir. -- Der wunderlichste aller Menschen, fuhr er fort, gegen seinen neuen Freund gewandt, so schwerfällig, mißlaunig, ernsthaft, daß er sich jede Freude verdirbt, oder vielmehr, daß es für ihn keine Freude giebt. Alles soll edel, groß, erhaben sein, sein Herz soll an allem Antheil nehmen, und wenn er selbst vor einem Puppenspiele stände; wenn sich dergleichen nun nicht zu seinen Prätensionen verstehen will, die warlich ganz unsinnig sind, so wird er tragisch gestimmt, und findet die ganze Welt roh und barbarisch; da draußen verlangt er ohne Zweifel, daß unter den Masken einem Pantalon und Policinell das Herz voll Sehnsucht und überirdischer Triebe glühe, und daß der Arlechin über die Nichtigkeit der Welt tiefsinnig philosophiren soll, und wenn diese Erwartungen nicht eintreffen, so treten ihm gewiß die Thränen in die Augen, und er wendet dem bunten Schauspiel zerknirscht und verachtend den Rücken. Er ist also melankolisch? fragte der Zuhörer. Das eigentlich nicht, antwortete Roderich, sondern nur von zu zärtlichen Eltern und sich selbst verzogen. Er hatte sich angewöhnt, regelmäßig wie Ebbe und Fluth sein Herz bewegen zu lassen, und bleibt diese Rührung einmal aus, so schreit er Mirakel und möchte Prämien aussetzen, um Physiker aufzumuntern, diese Naturerscheinung genügend zu erklären. Er ist der beste Mensch unter der Sonne, aber alle meine Mühe, ihm diese Verkehrtheit abzugewöhnen, ist ganz umsonst und verloren, und wenn ich nicht für meine gute Meinung Undank davon tragen will, muß ich ihn gewähren lassen. Er sollte vielleicht den Arzt gebrauchen, bemerkte jener. Es gehört mit zu seinen Eigenheiten, antwortete Roderich, die Medizin durch und durch zu verachten, denn er meint, jede Krankheit sei in jeglichem Menschen ein Individuum, und könne nicht nach ältern Wahrnehmungen, oder gar nach sogenannten Theorien geheilt werden; er würde eher alte Weiber und sympathetische Kuren gebrauchen. Eben so verachtet er auch in andrer Hinsicht alle Vorsicht und alles was man Ordnung und Mäßigkeit nennt. Von Kindheit auf ist ein edler Mann sein Ideal gewesen, und sein höchstes Bestreben, das aus sich zu bilden, was er so nennt, das heißt hauptsächlich eine Person, die die Verachtung der Dinge mit der des Geldes anfängt; denn um nur nicht in den Verdacht zu gerathen, daß er haushälterisch sei, ungern ausgebe, oder irgend Rücksicht auf Geld nehme, so wirft er es höchst thöricht weg, ist bei seiner reichlichen Einnahme immer arm und in Verlegenheit, und wird der Thor von jedwedem, der nicht ganz in dem Sinne edel ist, in welchem er es sich zu sein vorgesetzt hat. Sein Freund zu sein, ist aber die Aufgabe aller Aufgaben, denn er ist so reizbar, daß man nur husten, nicht edel genug essen, oder gar die Zähne stochern darf, um ihn tödtlich zu beleidigen. War er nie verliebt? fragte der Freund vom Lande. Wen sollte er lieben? antwortete Roderich, er verachtete alle Töchter der Erde, und er dürfte nur bemerken, daß sein Ideal sich gern putzte, oder gar tanzte, so würde sein Herz brechen; noch schrecklicher, wenn sie das Unglück hätte, den Schnupfen zu bekommen. Emil stand indessen wieder im Getümmel; aber plötzlich überfiel ihn jene Angst, der Schreck, der so oft schon in solcher erregten Menschenmenge sein Herz ergriffen hatte, und jagte ihn aus dem Saale und Hause, über die öden Gassen hinweg, und erst auf seinem einsamen Zimmer fand er sich und seine ruhige Besinnung wieder. Das Nachtlicht war schon angezündet, er hieß dem Bedienten sich nieder legen; drüben war alles still und finster, und er setzte sich, um in einem Gedichte seine Empfindungen über den Ball auszuströmen. -- Im Herzen war es stille, Der Wahnsinn lag an Ketten; Da regt sich böser Wille, Vom Kerker ihn zu retten, Den Tollen los zu machen: Da hört man Pauken klingen, Da bricht hervor mit Lachen Trommeten-Klang und Krachen, Dazwischen Flöten singen, Und Pfeifentöne springen Mit gellendem Geschrei Zwischen dröhnenden tönenden Geigen In rasender Wuth herbei, Das wilde Gemüth zu zeigen, Und grimmig zu morden das stille kindliche Schweigen. -- Wohin dreht sich der Reigen? Was sucht die springende Menge Im windenden Gedränge? -- Vorüber! Es glänzen die Lichter, Wir tummeln uns näher und dichter, Es jauchzt in uns das blöde Herz; Lauter tönet, Grimmer dröhnet Ihr Cymbeln, ihr Pfeifen! betäubet den Schmerz, Er werde zum Scherz! -- Du winkst mir, holdes Angesicht? Es lacht der Mund, der Augen Licht; Herbei, daß ich dich fasse, Im Schweben wieder lasse; Ich weiß, die Schönheit bald zerbricht, Der Mund verstummt, der lieblich spricht, Dich faßt des Todes Arm. Was winkst du, Schädel, freundlich mir? Kein Kummer mir, nicht Angst und Harm, Daß du so bald erbleichest hier, Wohl heut, wohl morgen. Was sollen die Sorgen? Ich lebe und schwebe im Reigen vorüber vor dir. -- Heut lieb ich dich, Jezt meinst du mich; Ach, Noth und Angst sie lauern Schon hinter diesen Mauern, Und Seufzer schwer und thränend Leid Stehn schon bereit, Dich zu umstricken; Froh laß uns blicken Vernichtung an und grausen Tod; Was will die Angst, was will uns Noth? Wir drücken Im Taumel die Hand; Mich rührt dein Gewand, Du schwebest dahin, ich taumle zurück -- Auch Verzweiflung ist Glück. Aus diesem Entzücken, Und was wir heut lachten, Entsprießt wohl Verachten Und giftiger Neid; O herrliche Zeit! Wenn ich dich verhöhne, Winkt dort mir die Schöne, Und wird meine Braut; Die andere schaut Noch kühner darein; Soll dies' es denn sein? -- So taumeln wir alle Im Schwindel die Halle Des Lebens hinab, Kein Lieben, kein Leben, Kein Sein uns gegeben, Nur Träumen und Grab: Da unten bedecken Wohl Blumen und Klee Noch grimmere Schrecken, Noch wilderes Weh; Drum lauter ihr Cymbeln, du Paukenklang, Noch schreiender gellender Hörnergesang! Ermuthiget schwingt, dringt, springt ohne Ruh, Weil Lieb uns nicht Leben Kein Herz hat gegeben, Mit Jauchzen dem greulichen Abgrunde zu! -- Er hatte geendigt und stand am Fenster. Da kam sie gegen über herein, so schön, wie er sie noch nie gesehn hatte, das braune Haar aufgelöst wogte und spielte in muthwilligen Locken um den weißesten Nacken; sie war nur leicht bekleidet und schien noch vor Schlafengehn zu später Nachtzeit einige häusliche Arbeiten verrichten zu wollen, denn sie stellte zwei Lichter in zwei Ecken des Zimmers, ordnete den Teppich auf dem Tische, und entfernte sich wieder. Noch war Emil in seinen süßen Träumereien versunken, und wiederholte sich in seiner Phantasie das Bild seiner Geliebten, als zu seinem Entsetzen die fürchterliche, die rothe Alte durch das Zimmer schritt; gräßlich leuchtete von ihrem Haupt und Busen das Gold im Widerschein der Lichter. Sie war wieder verschwunden. Sollte er seinen Augen trauen? War es kein Blendwerk der Nacht, welches ihm seine eigne Einbildung gespenstisch vorüber geführt hatte? Aber nein, sie kehrte zurück, noch gräßlicher als zuvor, denn ein langes greises und schwarzes Haar flog wild und ungeordnet um Brust und Rücken; das schöne Mädchen folgte ihr, blaß, entstellt, die schönsten Brüste ohne Hülle, aber das ganze Bild einer Statue von Marmor ähnlich. Sie hatten zwischen sich das kleine liebliche Kind, welches weinte und sich an die Schöne bittend schmiegte, die nicht zu ihm hernieder sah. Das Kindlein hielt flehend die Händchen empor, streichelte Hals und Wange der blassen Schönen. Sie aber hielt es fest am Haar und mit der andern Hand ein silbernes Becken; die Alte zuckte murmelnd das Messer und durchschnitt den weißen Hals der Kleinen. Da wand sich hinter ihnen etwas hervor, das beide nicht zu sehen schienen, sonst hätten sie sich wohl eben so inniglich wie Emil entsetzt. Ein scheußlicher Drachenhals wälzte sich schuppig länger und länger aus der Dunkelheit, neigte sich über das Kind hin, das mit aufgelösten Gliedern der Alten in den Armen hing, die schwarze Zunge leckte vom sprudelnden rothen Blut, und ein grün funkelndes Auge traf durch die Spalte hinüber in Emils Blick und Gehirn und Herz, daß er im selben Augenblick zu Boden stürzte. Leblos traf ihn Roderich nach einigen Stunden. * * * * * Am heitersten Sommermorgen saß in grüner Laube eine Gesellschaft von Freunden um ein schmackhaftes Frühstück versammelt. Man lachte und scherzte, alle stießen freudig oft mit den Gläsern auf die Gesundheit des jungen Brautpaares an, und wünschten ihm Heil und Glück. Bräutigam und Braut waren nicht zugegen, denn die Schöne war noch mit ihrem Schmucke beschäftiget, und der junge Ehemann lustwandelte, seinem Glücke nachsinnend, einsam in einem entfernten Baumgange. Schade, sagte Anderson, daß wir keine Musik haben sollen; alle unsere Damen sind unzufrieden und haben noch nie so sehr zu tanzen gewünscht, als gerade heut, da es nicht geschehn kann; aber es ist ihm zu sehr zuwider. Ich kann es euch wohl verrathen, sagte ein junger Officier, daß wir dennoch einen Ball haben werden, und zwar einen recht tollen und geräuschigen; alles ist schon eingerichtet und die Musikanten sind schon heimlich angekommen und unsichtbar einquartiert. Roderich hat alle diese Einrichtungen getroffen, denn er sagt, man müsse ihm nicht zu viel nachgeben, und am wenigsten heut seine wunderlichen Launen anerkennen. Er ist auch schon viel menschlicher und umgänglicher als ehemals, sagte ein anderer junger Mann, und darum glaube ich, wird ihm diese Abänderung nicht einmal unangenehm auffallen. Ist doch diese ganze Heirath so plötzlich gegen unser aller Erwarten eingetreten. Sein ganzes Leben, fuhr Anderson fort, ist so sonderbar, wie sein Charakter. Ihr wißt ja alle, wie er im vorigen Herbst auf einer Reise, die er machen wollte, in unsrer Stadt ankam, sich den Winter hier aufhielt, wie ein Melankolischer fast nur in seinem Zimmer lebte, und sich weder um unser Theater noch andre Vergnügungen kümmerte. Er war beinah mit Roderich, seinem vertrautesten Freunde, zerfallen, weil dieser ihn zu zerstreuen suchte, und nicht jeder seiner finstern Launen nachgeben wollte. Im Grunde war seine übertriebene Reizbarkeit und Verstimmung wohl Krankheit, die sich in seinem Körper zubereitete; denn, wie euch nicht unbekannt ist, wurde er vor vier Monaten vom heftigsten Nervenfieber befallen, so, daß wir ihn alle schon aufgeben mußten. Nachdem seine Phantasien ausgeraset hatten, und er wieder zu sich kam, hatte er sein Gedächtniß fast ganz eingebüßt, nur seine früheren Kinder- und Jugendjahre waren ihm gegenwärtig, und er konnte sich durchaus nicht erinnern, was während seiner Reise oder vor seiner Krankheit sich mit ihm zugetragen habe. Er mußte alle seine Freunde, selbst den Roderich, von neuem kennen lernen; nur nach und nach ward es lichter in seinem Innern, und die Vergangenheit und was ihm widerfahren, trat wieder, jedoch immer nur schwach beleuchtet, in sein Gedächtniß zurück. Sein Oheim hatte ihn zu sich in das Haus genommen, um ihn besser zu verpflegen, und er war wie ein Kind, und ließ alles mit sich machen. Als er zum erstenmal ausfuhr, und bei der Frühlingswärme den Park besuchte, sah er abseits vom Wege ein Mädchen in tiefen Gedanken sitzen. Sie sah auf, ihr Blick traf den seinigen, und wie von einer unbegreiflichen Begeisterung ergriffen, ließ er anhalten, stieg aus, setzte sich zu ihr, faßte ihre Hände, und ergoß sich in einen Strom von Thränen. Man war von neuem für seinen Verstand besorgt; aber er wurde ruhig, heiter und gesprächig, ließ sich bei den Eltern des Mädchens vorstellen, und hielt sogleich beim ersten Besuch um ihre Hand an, die sie ihm auch zusagte, da die Eltern ihre Einwilligung nicht verweigerten. Er war glücklich und ein neues Leben ging in ihm auf; mit jedem Tage ward er gesunder und zufriedener. So besuchte er mich vor acht Tagen auf meinem Landgute hier; es gefiel ihm über die Maßen, und zwar so, daß er nicht ruhte, bis ich es ihm verkaufen mußte. Es lag nur an mir, seine Leidenschaftlichkeit zu meinem Vortheil und seinem Schaden zu benutzen, denn was er will, will er heftig und plötzlich vollendet. Sogleich machte er seine Einrichtungen, ließ Geräthe herschaffen, um hier noch die Sommermonate zu wohnen, und so sind wir denn alle heut zu seiner Hochzeit in meinem ehemaligen Wohnsitze versammelt. Das Haus war groß und lag in der schönsten Gegend. Die eine Seite sah nach einem Flusse und angenehmen Hügeln hinüber, rund um von mannichfaltigen Gebüschen und Bäumen umgeben, unmittelbar davor lag ein Garten mit duftenden Blumen. Hier waren die Orangen und Citronen-Bäume in einem großen offenen Saale aufgestellt, und kleine Thüren führten zu Vorrathskammern, Kellern und Speisegewölben. Von der andern Seite breitete sich ein grünender Wiesenplan aus, an welchen ohne andre Verbindung ein Park gränzte; hier bildeten die beiden langen Flügel des Hauses einen geräumigen Hof, und auf dreien über einander stehenden Säulenreihen verbanden breite offene Gänge alle Zimmer und Säle des Gebäudes, wodurch der Wohnsitz von dieser Seite einen reizenden, ja wunderbaren Charakter erhielt, indem sich beständig Figuren in mannichfaltigen Geschäften in diesen geräumigeren Hallen bewegten; zwischen den Säulen und aus jedem Zimmer traten neue Gestalten hervor, und erschienen oben oder unten wieder, um sich in andern Thüren zu verlieren; auch versammelte sich Gesellschaft dort zum Thee oder Spiel, und dadurch gewann von unten das Ganze das Ansehn eines Theaters, vor welchem jedermann mit Lust verweilte, und in Gedanken die seltsamsten und anziehendsten Begebenheiten oben erwartete. Die Gesellschaft der jungen Leute wollte eben aufstehn, als die geschmückte Braut durch den Garten ging und zu ihnen trat. Sie war in violettem Sammet gekleidet, ein funkelnder Halsschmuck wiegte sich auf dem glänzenden Nacken, kostbare Spitzen ließen den weißen schwellenden Busen durchschimmern, das braune Haar ward durch den Myrthen- und Blumenkranz reizender gefärbt. Sie grüßte alle freundlich, und die Jünglinge waren von der hohen Schönheit überrascht. Sie hatte Blumen im Garten gepflückt, und wandte sich jezt nach dem innern Hause, um nach der Ordnung des Mahles zu sehen. Man hatte in dem untern offnen Gange die Tafeln hingestellt: blendend schimmerten die Tische mit den weißen Gedecken und Kristallen, eine Fülle mannichfarbiger Blumen glänzte aus zierlichen Gefäßen herunter, duftende grüne und bunte Kränze schlangen sich um die Säulen, und reizend war der Anblick, als die Braut sich jezt mit holdseliger Bewegung zwischen dem Schimmer der Blumen neben den Tischen und Säulen wandelnd bewegte, das Ganze prüfend überschaute, und dann verschwand, und höher hinauf noch einmal wieder erschien, um ihr Zimmer zu öffnen. Sie ist das reizendste und schönste Mädchen, das ich je gekannt habe! rief Anderson aus: unser Freund ist glücklich! Selbst ihre Blässe, nahm der Offizier das Wort, erhöht ihre Schönheit: die braunen Augen blitzen über den bleichen Wangen und unter den dunkeln Haaren so mächtiger hervor; und diese wunderbare fast brennende Röthe der Lippen macht ihr Angesicht zu einem wahrhaft zauberischen Bilde. Der Schein stiller Melankolie, sagte Anderson, welcher sie umgiebt, umfließt sie wie mit hoher Majestät. Der Bräutigam trat zu ihnen, und fragte nach Roderich; sie hatten ihn alle schon längst vermißt und konnten nicht begreifen, wo er sich aufhalten möchte. Alle gingen, um ihn zu suchen. Er ist unten im Saal, sagte endlich ein junger Mensch, den sie ebenfalls fragten, zwischen allen Bedienten und Kutschern, denen er Kartenkünste macht, die sie nicht genug bewundern können. Sie traten hinein und unterbrachen die schallende Verwunderung der Dienerschaft, indeß sich Roderich nicht stören ließ, sondern frei in seinen magischen Kunststücken fortfuhr. Als er geendigt hatte, ging er mit den übrigen in den Garten und sagte: ich thue es nur, um diese Menschen im Glauben zu stärken, denn diese Künste bringen ihrer Kutscher-Freigeisterei auf lange einen Stoß bei, und helfen zu ihrer Bekehrung. Ich sehe, sagte der Bräutigam, daß mein Freund unter seinen übrigen Talenten auch das eines Charlatans nicht zu geringe achtet, um es auszubilden. Wir leben in einer wunderlichen Zeit, antwortete jener: man soll heut zu Tage nichts verachten, denn man weiß nicht, wozu es zu gebrauchen ist. Als die beiden Freunde sich allein befanden, wandte sich Emil wieder in den dunkeln Baumgang und sagte: Warum bin ich an diesem Tage, welcher der glücklichste meines Lebens ist, so trübe gestimmt? Aber ich versichere dich, so wenig du es auch glauben willst, es paßt nicht für mich, mich in dieser Menge von Menschen zu bewegen, für jeden Aufmerksamkeit zu haben, keinen dieser Verwandten von ihrer und meiner Seite zu vernachlässigen, den Eltern Ehrfurcht zu beweisen, die Damen bekomplimentiren, die Ankommenden empfangen, und die Dienstboten und Pferde gehörig zu versorgen. Das macht sich ja alles von selbst, sagte Roderich; sieh, dein Haus ist recht auf dergleichen eingerichtet, und dein Haushofmeister, der alle Hände voll zu thun und alle Beine voll zu laufen hat, ist recht wie dazu geschaffen, alles ordentlich zu betreiben, um die allergrößte Gesellschaft aus Verwirrung zu erretten und mit Anstand zu bewirthen. Ueberlaß das ihm und deiner schönen Braut. Heute Morgen, noch vor Sonnenaufgang, sagte Emil, wandelte ich durch das Gehölz; mir war feierlich zu Muthe, ich fühlte recht im Innern, wie mein Leben nun bestimmt sei und ernst werde, wie diese Liebe mir Heimath und Beruf erschaffen hat. Ich kam dort der Laube vorüber; ich hörte Stimmen: es war meine Geliebte in einem traulichen Gespräch. Ist es nun, sagte eine fremde Stimme, nicht so gekommen, wie ich gesagt hatte? Gerade so, wie ich wußte, daß es geschehen würde? Ihr habt euren Wunsch, darum seid nun auch froh. Ich mochte nicht zu ihnen treten; nachher ging ich der Laube näher, doch hatten sich beide schon entfernt. Aber ich sinne und sinne: was wollen diese Worte bedeuten? Roderich sagte: sie mag dich vielleicht schon längst geliebt haben, ohne daß du es wußtest; du bist desto glücklicher. Eine späte Nachtigall erhub jezt ihren Gesang und schien dem Liebenden Heil und Wonne zuzurufen. Emil wurde tiefsinniger. Komm mit mir, um dich aufzuheitern, sagte Roderich, in das Dorf hinunter, da sollst du ein zweites Brautpaar sehn, denn du mußt dir nicht einbilden, daß du heut allein Hochzeit feierst. Ein junger Knecht ist in Langeweile und Einsamkeit mit einer ältern garstigen Magd zu vertraut geworden, und der Pinsel hält sich nun für verpflichtet, sie zu seiner Frau zu machen. Jezt müssen sie beide schon geputzt sein; diesen Anblick wollen wir nicht versäumen, denn er ist ohne Zweifel interessant. Der Trauernde lies sich von dem schwatzenden heitern Freunde fortziehn, und sie kamen bald zu der Hütte. Eben trat der Zug heraus, um sich nach der Kirche zu begeben. Der junge Knecht war in seinem gewöhnlichen leinenen Kittel, und prangte nur mit einem Paar ledernen Beinkleidern, die er so hell als möglich angestrichen hatte; er war von einfältiger Miene und schien verlegen. Die Braut war von der Sonne verbrannt, nur wenige letzte Spuren der Jugend waren an ihr sichtbar; sie war grob und arm aber reinlich gekleidet, einige rothe und blaue seidne Bänder, schon etwas entfärbt, flatterten von ihrem Mieder, am meisten aber war sie dadurch entstellt, daß man ihr die Haare steif mit Fett, Mehl und Nadeln aus der Stirn gestrichen und oben zusammen geheftet hatte, auf dieser Spitze des aufgethürmten Haars stand der Kranz. Sie lächelte und schien fröhlich, doch war sie verschämt und blöde. Die alten Eltern folgten; der Vater war auch nur Knecht auf dem Hofe, und die Hütte, der Hausrath so wie die Kleidung, alles verrieth die äußerste Armuth. Ein schielender schmuziger Musikant folgte dem Zuge, der greinend auf einer Geige strich und dazu schrie, diese war halb aus Pappe und Holz zusammen geleimt, und statt der Saiten mit drei Bindfäden bezogen. Der Zug machte Halt, als der neue gnädige Herr zu den Leuten trat. Einige muthwillige Dienstboten, junge Bursche und Mägde schäkerten und lachten, und verspotteten das Brautpaar, vorzüglich die Kammerjungfern, die sich schöner dünkten und sich unendlich besser gekleidet sahen. Ein Schauer erfaßte Emil, er blickte nach Roderich um, dieser war aber schon wieder entlaufen. Ein naseweiser Bursche mit einem Tituskopf, der Bedienter eines Fremden, drängte sich, um witzig zu erscheinen, an Emil und rief: Nun gnädiger Herr, was sagen Sie zu dem glänzenden Brautpaar? Beide wissen noch nicht, wo sie morgen Brod hernehmen sollen, und heut Nachmittag werden sie doch einen Ball geben, der Virtuos dort ist schon bestellt. -- Kein Brod; sagte Emil! giebt es so etwas? -- Ihr ganzes Elend ist dem Volke bekannt, fuhr jener schwatzend fort, aber der Kerl sagt, er bleibe dem Wesen dennoch gut, wenn sie auch nichts zubrächte! O ja freilich, die Liebe ist allgewaltig! das Lumpenpack hat nicht einmal Betten, sie müssen sogar diese Nacht auf der Streu schlafen; das Dünnbier haben sie sich zusammen gebettelt, worin sie sich besaufen wollen. Alle umher lachten laut, und die beiden verspotteten Unglücklichen schlugen die Augen nieder. Emil stieß zornig den Schwätzer von sich; nehmt! rief er aus, und warf in die Hand des erstarrten Bräutigams hundert Dukaten, welche er am Morgen eingenommen hatte. Die Alten und die Brautleute weinten laut, warfen sich ungeschickt auf die Kniee und küßten ihm Hände und Kleider, er wollte sich losmachen. Haltet euch damit das Elend vom Leibe, so lange ihr könnt! rief er betäubt. O auf zeitlebens, mein gnädigster Herr, sind wir glücklich! schrieen alle. Er wußte nicht, wie er fort gekommen war; er fand sich allein, und eilte mit wankenden Schritten in den Wald. Die dichteste einsamste Stelle suchte er auf, und warf sich auf einen Rasenhügel nieder, indem er den ausbrechenden Strom seiner Thränen nicht mehr zurückhielt. Mir ekelt das Leben! schluchzte er in tiefer Bewegung; ich kann nicht froh und glücklich sein, ich will es nicht! Empfange mich bald, du freundlicher Boden, verbirg mich in deinen kühlen Armen vor den wilden Thieren, die sich Menschen nennen! O Gott im Himmel, wie verdien' ich es, daß ich auf Daunen ruhe und Seide trage, daß mir die Traube ihr kostbarstes Blut spendet, und alles mir Ehre und Liebe dringend anbietet und darbringt? Dieser Arme ist besser und edler als ich, und das Elend ist seine Amme, und Hohn und giftiger Spott sein Glückwunsch. Sündlich dünkt mir jeder Leckerbissen, den ich genieße, jeder Trunk aus geschliffenem Glase, mein Ruhen auf weichen Betten, das Tragen von Gold und Geschmeide, da die Welt viel tausend mal tausend Unglückliche umher jagt, die nach dem weggeworfenen vertrockneten Brode hungern, die nicht wissen, was Labsal ist. O jezt versteh' ich euch, ihr frommen Heiligen, ihr Verschmähten, ihr Verhöhnten, die ihr Alles, bis auf euer Gewand, der Armuth ausstreutet, einen Sack um eure Lenden gürtetet, und selbst als Bettler die Schmähungen und Fußstöße erdulden wolltet, mit denen roher Uebermuth und reiche Schwelgerei das Elend von ihren Tafeln weisen, selbst elend wurdet ihr, um nur diese Sünde des Ueberflusses von euch zu werfen. Alle Gebilde der Welt schwankten wie ein Nebel vor seinen Augen! er nahm sich vor, die Verstoßenen als seine Brüder anzusehn, und sich von den Glücklichen zu entfernen. Lange hatte man schon im Saale seiner zur Trauung gewartet, die Braut war in Sorge, die Eltern suchten ihn im Garten und Park: endlich kam er ausgeweint und leichter zurück, und die feierliche Handlung ward vollzogen. Man begab sich aus dem untern Saal nach der offnen Halle, um sich zu Tische zu setzen. Braut und Bräutigam gingen voran, und die übrigen folgten im Zuge; Roderich bot seinen Arm einem jungen Mädchen, die munter und geschwätzig war. Warum nur die Bräute immer weinen und bei der Trauung so ernsthaft aussehn, sagte diese, indem sie zur Gallerie hinauf stiegen. Weil sie in diesem Augenblick am lebhaftesten von der Wichtigkeit und dem Geheimnißvollen des Lebens durchdrungen werden, antwortete Roderich. Aber unsre Braut, fuhr jene fort, übertrifft noch an Feierlichkeit alle, die ich jemals gesehn habe; sie ist überhaupt immer schwermüthig, man sieht sie nie recht heiter lachen. Dies macht ihrem Herzen um so mehr Ehre, antwortete Roderich, gegen seine Gewohnheit verstimmt. Sie wissen vielleicht nicht, mein Fräulein, daß die Braut vor einigen Jahren ein allerliebstes verwaistes Kind, ein Mädchen, zu sich genommen hatte, um es zu erziehn. Dieser Kleinen widmete sie alle ihre Zeit, und die Liebe des zarten Geschöpfes war ihr süßester Lohn. Dieses Mädchen war sieben Jahr alt geworden, als sie sich auf einem Spaziergange in der Stadt verlor, und aller angewandten Mühe ungeachtet, noch nicht wieder hat aufgefunden werden können. Diesen Unfall hat sich das edle Wesen so zu Gemüth gezogen, daß sie seitdem an einer stillen Melankolie leidet, und durch nichts von dieser Sehnsucht nach ihrer kleinen Gespielin kann abgezogen werden. Wahrhaftig, recht interessant! sagte das Fräulein; das kann sich in der Zukunft recht romantisch entwickeln, und zum angenehmsten Gedichte Gelegenheit geben. Man ordnete sich an der Tafel; Braut und Bräutigam nahmen die Mitte ein, und sahen in die heitere Landschaft hinaus. Man schwatzte und trank Gesundheiten, die munterste Laune herrschte; die Eltern der Braut waren ganz glücklich, nur der Bräutigam war still und in sich gekehrt, genoß nur wenig, und nahm an den Gesprächen keinen Antheil. Er erschrak, als sich musikalische Töne durch die Luft von oben hernieder warfen; doch beruhigte er sich wieder, da es sanfte Hörnertöne blieben, die angenehm über die Gebüsche hinweg rauschten, sich durch den Park zogen, und am fernen Berge verhallten. Roderich hatte sie auf die Gallerie über die Speisenden gestellt, und Emil war mit dieser Einrichtung zufrieden. Gegen das Ende der Mahlzeit ließ er seinen Haushofmeister kommen, und sagte zur Braut gewendet: liebe Freundin, laß auch die Armuth an unserm Ueberflusse Theil nehmen. Er befahl hierauf, eine Anzahl Flaschen Wein, Gebackenes, und verschiedene Gerichte in reichlichen Portionen dem armen Brautpaar hinüber zu senden, damit ihnen dieser Tag auch ein Freudentag sein könne, dessen sie sich nachher gern erinnern möchten. Sieh, Freund, rief Roderich aus, wie schön alles in der Welt zusammen hängt! Mein unnützes Umtreiben und Schwatzen, das du so oft an mir tadelst, hat doch nun diese gute Handlung veranlaßt. Viele wollten dem Wirthe über sein Mitleid und gutes Herz etwas Artiges sagen, und das Fräulein sprach von schöner Gesinnung und Edelmuth. O schweigen wir! rief Emil zornig: es ist keine gute Handlung, ja überhaupt keine Handlung, es ist nichts! Wenn Schwalben und Hänflinge sich von den weggeworfenen Brosamen dieses Ueberflusses nähren, und sie zu ihren Jungen in die Nester tragen, sollte ich nicht eines armen Mitbruders gedenken, der mein bedarf? Wenn ich meinem Herzen folgen dürfte, so würdet ihr mich eben so gut wie manchen andern verlachen und verspotten, der in die Wüste zog, um nichts mehr von der Welt und ihrem Edelmuth zu erfahren. Man schwieg, und Roderich erkannte in den glühenden Augen seines Freundes den heftigsten Unwillen; er besorgte, daß er sich in seiner Verstimmung noch mehr vergessen möchte, und suchte schnell das Gespräch auf andere Gegenstände zu lenken. Doch Emil war unruhig und zerstreut geworden; hauptsächlich wendeten sich seine Blicke oft nach der obersten Gallerie, auf welcher die Bedienten, die das letzte Stockwerk bewohnten, vielerlei zu schaffen hatten. Wer ist die widerliche Alte, die dort so geschäftig ist, und so oft in ihrem grauen Mantel wieder kommt? fragte er endlich. Sie gehört zu meiner Bedienung, sagte die Braut; sie soll die Aufsicht über die Kammerjungfern und jüngern Mägde führen. Wie kannst du solche Häßlichkeit in deiner Nähe dulden? erwiederte Emil. Laß sie, antwortete die junge Frau, wollen die Häßlichen doch auch leben, und da sie gut und redlich ist, kann sie uns von großem Nutzen sein. Man erhob sich von der Tafel, und alles umgab den neuen Gatten, wünschte nochmals Glück, und drängte dann mit Bitten um die Erlaubniß zum Ball. Die Braut umarmte ihn äußerst freundlich und sagte: meine erste Bitte, Geliebter, wirst du mir nicht abschlagen, denn wir haben uns alle darauf gefreut: Ich habe so lange nicht getanzt, und du selbst hast mich noch niemals tanzen sehn. Bist du denn gar nicht neugierig darauf, wie ich mich in dieser Bewegung ausnehme? So heiter, sagte Emil, habe ich dich noch niemals gesehn. Ich will kein Störer eurer Freude sein, macht, was ihr wollt; nur verlange keiner von mir, daß ich mich selbst mit linkischen Sprüngen lächerlich machen soll. Wenn du ein schlechter Tänzer bist, sagte sie lachend, so kannst du sicher sein, daß dich jedermann gern in Ruhe lassen wird. Die Braut entfernte sich hierauf, um sich umzuziehn und ihr Ballkleid anzulegen. Sie weiß es nicht, sagte Emil zu Roderich, mit dem er sich entfernte, daß ich aus einem andern Zimmer in das ihrige durch eine verborgene Thür kommen kann, ich werde sie beim Umkleiden überraschen. Als Emil fortgegangen war, und viele der Damen sich auch entfernt hatten, um die zum Tanz nöthigen Veränderungen des Putzes zu treffen, nahm Roderich die jüngeren Leute beiseit und führte sie auf sein Zimmer. Es wird schon Abend, sagte er hier, bald ist es finster; jezt geschwind jeder in seine Verkleidung, um diese Nacht recht bunt und toll zu verschwärmen. Was ihr nur ersinnen könnt; genirt euch nicht, je ärger, je besser! Je scheußlicher die Fratzen sind, die ihr aus euch hervor bringt, je mehr will ich euch loben. Da muß es keinen so widerlichen Höcker, keinen so ungestalten Bauch, keine so widersinnige Kleidung geben, die nicht heute paradirt. Eine Hochzeit ist eine so wundersame Begebenheit, ein ganz neuer ungewohnter Zustand wird den Verheiratheten so plötzlich wie ein Mährchen über den Hals geworfen, daß man dieses Fest nicht verwirrt und unklug genug anfangen kann, um nur irgend für die Eheleute die plötzliche Veränderung zu motiviren, so daß sie wie in einem phantastischen Traum in die neue Lage hinüber schwimmen, und darum laßt uns nur recht in diese Nacht hinein wüthen, und nehmt keine Einrede von denen an, die sich verständig stellen möchten. Sei ohne Sorge, sagte Anderson, wir haben einen großen Koffer voll Masken und toller bunter Kleidungsstücke aus der Stadt mitgebracht, du wirst dich selbst darüber verwundern. Aber seht her, sagte Roderich, was ich von meinem Schneider eingekauft habe, der diesen kostbaren Schatz schon in Läppchen verschneiden wollte! Er hat diese Tracht von einer alten Gevatterin erhandelt, die damit gewiß bei Lucifer auf dem Blocksberge Galla gemacht hat. Seht dieses scharlachrothe Mieder, mit diesen goldenen Tressen und Franzen, und diese goldglänzende Haube, die mir unendlich ehrwürdig stehen muß, dazu nehm' ich diesen grünseidnen Rock mit safrangelbem Besatz und diese scheußliche Maske, und führe nachher als altes Weib den ganzen Chor der Carrikaturen in das Schlafzimmer. Macht, daß ihr fertig werdet! wir wollen dann feierlich die junge Frau abholen. Die Hörner musizirten noch, die Gesellschaft wandelte im Garten, oder saß vor dem Hause. Die Sonne war hinter trüben Wolken untergegangen, und die Gegend lag im grauen Dämmer, als plötzlich unter der Wolkendecke der scheidende Stral noch einmal hervor brach, und rings die Gegend, vorzüglich aber das Gebäude mit seinen Gängen, Säulen und Blumengewinden, wie mit rothem Blute besprengte. Da sahen die Eltern der Braut, und die übrigen Zuschauer den abentheuerlichsten Zug nach dem obern Corredor schweben: Roderich als die rothe Alte voran, und ihr nachfolgend Bucklichte, dickbauchige Fratzen, ungeheure Perucken, Tartaglias, Policinells und gespenstische Pierrots, weibliche Figuren in ausgespannten Reifröcken und ellenhohen Frisuren, die widerwärtigsten Gestalten, alle wie aus einem ängstlichen Traum. Sie zogen gaukelnd und sich drehend und wackelnd, trippelnd und sich brüstend über den Gang, und verschwanden dann in eine der Thüren. Nur wenige der Zuschauer waren zum Lachen gekommen, so hatte sie der seltsamste Anblick überrascht. Plötzlich brach ein gellender Schrei aus den innern Zimmern, und hervor stürzte in das blutige Abendroth die bleiche Braut, im weißen kurzen Kleide, um welches Blumenranken flatterten; der schöne Busen ganz frei, die Fülle der Locken in Lüften schwebend. Wie wahnsinnig, die Augen rollend, das Gesicht entstellt, stürzte sie über die Gallerie, und fand in ihrer Angst verblindet keine Thür und Treppe, und gleich darauf, ihr nachrennend, Emil, den blanken türkischen Dolch in hoch erhobener Faust. Jezt war sie am Ende des Ganges, sie konnte nicht weiter, er erreichte sie. Die maskirten Freunde und die graue Alte waren ihm nach gestürzt. Aber schon hatte er wüthend ihre Brust durchbohrt, und den weißen Hals durchschnitten, ihr Blut strömte im Glanz des Abends. Die Alte hatte sich mit ihm umfaßt, ihn zurück zu reißen; kämpfend schleuderte er sich mit ihr über das Geländer, und beide fielen zerschmettert zu den Füßen der Verwandten nieder, die mit stummem Entsetzen der blutigen Scene zugeschaut hatten. Oben und im Hofe, oder von den Gallerien und Treppen herunter eilend, standen und rannten die scheußlichen Larven in mannichfaltigen Gruppen, höllischen Dämonen ähnlich. Roderich nahm den Sterbenden in seine Arme. Mit dem Dolche spielend hatte er ihn im Zimmer seiner Gattin gefunden. Sie war fast angekleidet bei seinem Eintreten; beim Anblick des rothen widrigen Kleides hatte sich seine Erinnerung belebt, das Schreckbild jener Nacht war vor seine Sinne getreten; knirschend war er auf die zitternde, fliehende Braut zugesprungen, um den Mord und ihr teuflisches Kunststück zu bestrafen. Die Alte bestätigte sterbend den verübten Frevel, und das ganze Haus war plötzlich in Leid, Trauer und Entsetzen verwandelt worden. * * * * * Alle Zuhörer waren bewegt, am meisten aber Clara, die schon früher Zeichen von Ungeduld gegeben hatte. Nein! rief sie aus und erhob sich: es ist nicht auszuhalten! Diese Geschichten gehn zu schneidend durch Mark und Bein, und ich weiß mich vor Schauder in keinen meiner Gedanken mehr zu retten. Es ist geradezu abscheulich, dergleichen zu erfinden. Ich zittre und ängste mich, und vermuthe, daß aus jedem Busche, aus jeder Laube ein Ungeheuer auf mich zutreten möchte, daß die theuersten bekanntesten Gestalten sich plötzlich in fremd gespenstische Wesen verwandeln dürften, und man ist und bleibt thöricht, und hört zu, läßt sich von den Worten immer weiter und weiter verlocken, bis das ungeheuerste Grauen uns plötzlich erfaßt, und alle vorigen Empfindungen wie in einen Strudel gewaltthätig verschlingt. Es fängt an Abend zu werden, laßt uns hinein gehn und aufhören. Das ist aber ganz gegen die Abrede, sagte Manfred; wollt ihr Weiber einer Akademie vorstehn und die Talente aufmuntern, so müßt ihr auch mehr Muth und Ausdauer haben. Kannst du den guten Lothar mit dieser unbilligen Kritik so kränken? Habt ihr es denn nicht vorher gewußt, daß man euch würde zu fürchten machen? Worüber beklagt ihr euch also? Mir hat seine Erzählung so wohl gefallen, daß ich, in Nachahmung Alexanders, ausrufen könnte: ich möchte diesen Liebeszauber geschrieben haben, wenn ich nicht meinen Runenberg gedichtet hätte! Darum, ihr Besten, laßt die Narrheit fahren und bleibt hübsch thöricht und in der Ordnung. Diese Geschichte und die deinige, Bruder Manfred, sagte Auguste, haben uns eben alle Lust genommen, noch etwas anzuhören, denn sie sind zu gräßlich. ^Et tu, Brute?^ rief Manfred aus; Schwester, du bist ja meine Schwester, wir sind ja hoffentlich Ein Blut! nicht gegen die eigne Familie und das verwandte Fleisch richte dein Rezensenten-Wüthen. Und du, Clara, warum nicht deinen Zorn gegen unsern Anton wenden, der mit seinem Mährchen zuerst diesen Ton angegeben hat? Aber ich sehe wohl, wir Autoren stehen so wenig hier, wie irgend wo, vor einem unpartheiischen Richterstuhl; die Leidenschaften, Vorliebe und Haß regen sich bei jeder Rezensir-Anstalt. O wohin entfliehen aus dieser verderbten Welt? Ich werde von nun an gar kein Publikum mehr anerkennen! Wir sollen also, sagte Rosalie sanft und erröthend, auch nicht einmal die kleine Genugthuung haben, zu schelten, wenn man uns durch die Mittel der Dichtkunst fast aus unsern Sinnen geängstigt hat? Laßt es euch doch für diesmal so gefallen, sagte Manfred, wir wollen euch ein andermal einschläfern und Langeweile genug machen. Habt ihr aber was zu klagen, so klagt über Anton, den ihr selbst zum Könige dieses Tages erwählt habt, und der uns befohlen hat, dergleichen Zeug an den Tag zu fördern. Es wäre unbillig, sagte Emilie, ihn zu schelten, der uns so anmuthig unterhalten hat, und der nur mit leisem Schreck, wie aus der Ferne, die Schilderung der stillen Einsamkeit wunderbarer und anziehender machte. Wie ihr nun seid, fuhr Manfred fort, das eine ist vielleicht gut, und das andre darum noch nicht schlimm. Die Phantasie, die Dichtung also wollt ihr verklagen? Aber eure Wirklichkeit! Thut doch nur die Augen auf, angenehme Gegner und Widersacher, und seht, daß es dort, vor euren Augen, hinter eurem Rücken, wenn ihr euch nur erkundigt, weit schlimmer hergeht. Schlimmer und herber, und also auch viel gräßlicher, weil das Schrecken hier durch nichts Poetisches gemildert wird. Soll ich euch dergleichen Dinge aus dem alltäglichsten Leben, oder aus der Geschichte erzählen? Ich bin nicht von den schwächsten Nerven, aber ich weiß noch wohl, daß ich einige Nächte nicht schlafen konnte, weil mich das Bild des armen gefolterten Grandier die Tage hindurch bei allen meinen Geschäften verfolgte, so daß ich selbst das Buch, worin ich sein Schicksal gelesen, mit Grauen betrachtete. Dieser Mann, ein Geistlicher, ward durch den gemeinsten abgeschmacktesten Neid der Zauberei beschuldigt, unkluge Nonnen stellten sich besessen und klagten ihn als den Urheber ihres Zustandes an; Richelieu, der sich irrigerweise von dem gebildeten und nicht unwitzigen Manne beleidigt glaubte, ging in die verächtliche Kabale ein. Grandier lachte anfangs, aber er ward vor Gericht gezogen, unmenschlich, bis zum Sterben fast, zermartert, und dann auf die grausamste Weise verbrannt. Alle seine Richter waren von seiner Unschuld überzeugt, sein hoher Verfolger am innigsten; eine aufgeklärte witzige Nation spottete über den Prozeß, man besuchte von Paris die besessenen Nonnen als eine unterhaltende Abentheuerlichkeit: und doch wurde diese Abscheulichkeit verübt, unsern Tagen ziemlich nahe, in den Tagen der Philosophie (nicht etwa im sogenannten barbarischen Mittel-Alter), die ehrwürdige Form der Gerechtigkeit wurde gemißbraucht und geschändet, die Religion verhöhnt, und alles dies, worüber unser Eingeweide entbrennt und Rache schreit, hatte weiter keine Folgen, als daß die Pariser den Zermarterten gutmüthig bedauerten. Soll ich euch aus den ^causes celèbres^ diese ungeheure Begebenheit vorlesen? Oder jene Trauergeschichte, welche erzählt, wie ein Familien-Vater unschuldig auf die Galeeren gesandt wird und dort stirbt, sein Weib und seine unmündige Tochter aber lange im Kerker schmachten müssen, weil ein Prozeß über einen bedeutenden Diebstahl schlecht eingeleitet ward, und die Richter sich vom Stande des Klägers verleiten ließen, übereilt zu verfahren; der unschuldig Beklagte aber Vermögen, Ehre und Leben auf das schmählichste einbüßte? Die Kollekte, die das junge Mädchen nachher für ihre Mutter und sich erhielt und erbettelte, konnte ihnen den Vater nicht wieder geben, noch den ungeheuren Jammer von ihrer Seele nehmen. Nicht wahr, diese sind die ächten Gespenstergeschichten? Und wer lebt denn wohl, der nicht dergleichen zu erzählen wüßte, von der Grausamkeit der Menschen, der Bestechlichkeit der Aemter, der Unterdrückung des Armen? Von dem Elend, welches große und kleine Tyrannen erschaffen? Hier könnt ihr euch nirgend trösten und euch sagen: es ist nur ersonnen! die Kunstform beruhigt euer Gemüth nicht mit der Nothwendigkeit, ja ihr könnt oft in diesem Jammer nicht einmal ein Schicksal sehn, sondern nur das Blinde, Schreckliche, das was sagt: so ist es nun einmal! In dergleichen mährchenhaften Erfindungen aber kann ja dieses Elend der Welt nur wie von vielen muntern Farben gebrochen hineinspielen, und ich dächte, auch ein nicht starkes Auge müßte es auf diese Weise ertragen können. Und wenn du auch Recht hättest, sagte Clara, so bleibe ich doch unerbittlich! Nun gut, sagte Manfred, Sei ganz ein Weib und gieb Dich hin dem Triebe, der dich zügellos Ergreift und dahin oder dorthin reißt. Wie macht ihr Zarten, Weichen, Sanftgestimmten, es aber nur in unsern Theatern? Ich habe mich oft verwundern müssen, daß eure Nerven die Abscheulichkeiten aushalten können, die wir doch fast täglich dorten sehen und hören müssen. Ich rede nicht von jenen verfehlten Tragödien, die, um erhaben zu sein, das Oberste im Menschen zu unterst kehren, denn über diese kann man lächeln und sich an ihnen unterhalten, immer wird doch irgend eine That, Begebenheit oder Schicksal dargestellt, welches mich beruhigt, auch ist hie und da wohl ein Zug oder eine Scene gelungen, die für das Ganze dann gut stehn müssen; sondern von jenem kleinlichen Zwitterschauspiele spreche ich, von jenen Familiengemälden und Hofrathsstücken, von den Hunger- und Elends-Festen von der Noth und Angst, die bis in den fünften Akt die Seelen zerdrückt, und ein edles Mädchen fast dahin bringt, einen Lump zu heirathen und das brillanteste Herz sitzen zu lassen; oder wo ein hochstrebender Sohn den Vater bestiehlt und zur Verzweiflung bringt, oder Brüder mißhellig sind, Frauen den Schweiß des Gatten verschwenden, und so weiter: denn wer vermöchte die unendliche Variation des großen Einerlei auszusprechen? Bei diesen Jammer-Lustspielen, kann ich nicht läugnen, bin ich ein zu nervenschwacher Zuschauer, um nicht auf das Aeußerste verstimmt und im Innern unglücklich zu werden. Denn diese Dichter haben nicht daran genug, dergleichen Elend nach der Wahrheit zu schildern, wodurch ihre Kompositionen bloß unkünstlich würden, sondern sie ziehn mit einem Handgriff, den sie sich alle zu eigen gemacht haben, das Edelste und Höchste der Menschheit, Kindes- und Elternliebe, Freundschaft, die theuersten Verhältnisse, die menschlichsten, natürlichsten und herzlichsten Rührungen in ihre Karrikaturen hinein, und schlagen die Töne an, die immer anklingen müssen, wenn ein gutmüthiges Publikum kein heitres Kunstwerk, sondern nur eine prekaire Wahrheit verlangt, und erregen dadurch die Thränenschauer, auf welche sie in ihren Vorreden so stolz sind. Dieser Thränen (ich muß sie selbst vergießen, gesteh ich) sollten wir uns aber schämen, sie sollten uns gerade am meisten in Zorn gegen den Dichter entzünden, der das Höchste und Theuerste zum Niedrigsten macht, und auf dem Trödelmarkt ausbietet. Nicht wahr, es würde uns alle empören, ein Erbstück eines geliebten Vaters, das wir nur unserm kostbarsten Schranke anvertrauen, plötzlich in der schmuzigen Judengasse öffentlich ausstehn zu sehn? Gerade so empören mich jene Dinge, von denen sich unser Publikum so oft erhoben und gebessert fühlt, denn eben die unwürdigste Taschenspielerei jener Autoren ist es, an ihr Machwerk die Empfindungen zu knüpfen, die uns als Menschen ewig heilig und unverletzlich sein sollen. Ich verstehe jezt, sagte Emilie, ihren Zorn etwas mehr, der mir oft genug paradox erschien, indem ich sah, daß sie sich einer gewissen Rührung nicht erwehren konnten. Wie könnt ihr Weiber, fuhr Manfred in seinem Eifer fort, es nur dulden, daß man eure Mütterlichkeit, eure Liebe, euer zartes Hingeben, eure ehelichen Tugenden, eure Keuschheit, dort als verzerrte Bilder so öffentlich an den Pranger stellt? denn das ist es eigentlich, wie sehr sich alle diese Herren auch die Miene geben wollen, euch und euren Beruf zu verherrlichen. Und eben so mit den Romanen. In mein Haus soll mir gewiß kein Buch für Mütter, oder Gattinnen, oder Weiber wie sie sein sollen, und dergleichen Unkraut kommen, aus der Verkehrtheit unsers Treibens erwachsen und von der Eitelkeit des Zeitalters genährt. Und dieselben Herren, die dergleichen wahrhaft unmoralisches Zeug schreiben und preisen, wollen dem Bauer seinen Siegfried, Oktavian und Eulenspiegel nehmen, um die Moralität der niedern Stände nicht verderben zu lassen! Kann es etwas Tolleres und Verkehrteres geben? Sollte denn aber, sagte Anton, meine Regierung gleich so verstümmelt beginnen, zum gefährlichen Beispiel aller meiner Thronfolger, und diese Abtheilung, die mir zugefallen ist, gar nicht vollendet werden? Was werden dazu unsre Freunde Friedrich, Wilibald und Theodor sagen? Warlich, wenn ich meine Pflicht nur irgend nachleben will, darf ich es nicht zugeben. Die liebenswürdige Clara wird also hiemit für eine Rebellin erklärt, und ihr eine Minute Frist gestattet, sich zu besinnen, widrigenfalls sie sich der Strafe aussetzen wird, daß man ihr ganz allein in der Einsamkeit die Oktavia, oder Armuth und Edelsinn, oder irgend etwas dem Aehnliches, Großartiges vorlesen soll. Ich ergebe mich, sagte Clara; der furchtbare Herrscher, sehe ich, hat zu schreckliche Strafen in seiner Hand, er will uns zwar nicht mit Skorpionen, aber doch mit bösem Gewürm geißeln, und darum ziehe ich es vor, mich dem Lesen dieser Mährchen zu ergeben, wenn denn doch einmal gelesen werden soll. Nur lebe ich der Hoffnung, daß die drei Erzählungen, welche noch zurückbleiben, nicht ^crescendo^ dieses Grauen erhöhen, sondern uns ^decrescendo^ wieder in den ersten Ton zurück führen werden. Vor allem laßt uns in den Saal treten, sagte Emilie; es ist ungewöhnlich kühl geworden, und unser genesender Beherrscher dürfte von der Abendluft mehr, wie wir von der Poesie zu befürchten haben. Als man den Garten verlassen und sich im offnen Saale wieder geordnet hatte, sagte Theodor: ich kann wenigstens versichern, daß dasjenige, was ich mitzutheilen habe, schwerlich Schrecken erregen kann. Von meiner Erfindung kann ich das nämliche zusagen, fügte Wilibald hinzu. Wenn Friedrich uns dasselbe verspricht, sagte Clara, so möge denn also diese Mährchenwelt wieder erscheinen. Nur mit Beschämung, sagte Friedrich, kann ich Ihnen diese Blätter mittheilen, da ich der einzige bin, der seine Erzählung nicht erfunden hat, sondern mich gezwungen sehe, Ihnen einen Jugendversuch vorzulegen, welcher nur eine alte Geschichte nacherzählt. Auch ist die Darstellung so gefaßt, daß ich fürchten muß, dem Gedicht das größte Unrecht gethan zu haben. Doch erlauben Sie mir ohne weitere Entschuldigung anzufangen. Friedrich las: -- Liebesgeschichte der schönen Magelone und des Grafen Peter von Provence. 1796 1. Vorbericht. Ist es dir wohl schon je, vielgeliebter Leser, so recht traurig in die Seele gefallen, wie betrübt es sei, daß das rauschende Rad der Zeit sich immer weiter dreht, und daß bald das zu unterst gekehrt wird, was ehemals hoch oben war? So fährt Ruhm, Glanz, Pracht und weltberühmte Schönheit hin, wie goldene Abendwolken, die hinter fernen Bergen nieder sinken, und nur auf kurze Zeit noch schwachen gelblichen Schimmer hinter sich lassen: die Nacht tritt ernst und feierlich herauf, die schwarzen Heere von Wolken ziehn unter Sternenglanz auf und ab, und der letzte Schein erlöscht furchtsam; Wind fährt durch den Eichenforst und kein Hüttenbewohner denkt an die Röthe des Abends zurück. Im Winkel sitzt wohl ein Knabe in sich versunken und sieht im dämmernden Wiederschein der Lampe ein Bild der fröhlichen Morgenröthe; ihm dünkt, er höre schon die muntern Hähne krähen, und wie ein kühler Wind durch die Blätter rauscht und alle Blumen der Wiese aus ihrem stillen Schlafe weckt; er vergißt sich selbst und nickt nach und nach ein, indem das Feuer ausbrennt. Dann kommen Träume über ihn, dann sieht er alles im Glanze der Sonne vor sich: die wohlbekannte Heimath, über die wunderbare fremde Gestalten schreiten, Bäume wachsen hervor, die er nie gesehn, sie scheinen zu reden und menschlichen Sinn, Liebe und Vertrauen zu ihm ausdrücken zu wollen. Wie fühlt er sich der Welt befreundet, wie schaut ihn alles mit zärtlichem Wohlgefallen an! die Büsche flüstern ihm liebe Worte ins Ohr, indem er vorübergeht, fromme Lämmer drängen sich um ihn, die Quelle scheint mit lockendem Murmeln ihn mit sich nehmen zu wollen, das Gras unter seinen Füßen quillt frischer und grüner hervor. Unter diesem Bilde mag dir, geliebter Leser, der Dichter erscheinen, und er bittet, daß du ihm vergönnen mögest, dir seinen Traum vorzuführen. Jene alte Geschichte, die manchen sonst ergötzte, die vergessen ward, und die er gern mit neuem Lichte bekleiden möchte. Der Dichter sieht bemooste Leichensteine, Die keiner seiner Freunde kennt, Dann fühlt er, daß beim Mondenscheine Im Busen fromme Ahndung brennt: Er steht und sinnt, es rauschen alle Haine, Es flieht, was ihn von den Gestorbnen trennt, Freudigen Schrecks er sie als alte Freunde nennt. Gern wandl' ich in der stillen Ferne, In unsrer Väter frommen Zeit, Ich seh, wie jeder sich so gerne Der alten guten Mährchen freut, Oft wiederholt ergötzen sie noch immer, Sie kehren wieder wie dasselbe Mal, Der Hörer fühlt des Lebens Lust und Quaal, Der Liebe holden Frühlingsschimmer. Ob ihr die alten Töne gerne hört? Das Lied aus längst verfloßnen Tagen? Verzeiht dem Sänger, den es so bethört, Daß er beginnt das Mährchen anzusagen. 2. Wie ein fremder Sänger an den Hof des Grafen von Provence kam. In der Provence herrschte vor langer Zeit ein Graf, der einen überaus schönen und herrlichen Sohn hatte, welcher als die Freude des Vaters und der Mutter erwuchs. Er war groß und stark, und glänzende blonde Haare flossen um seinen Nacken und beschatteten sein zartes jugendliches Gesicht; dabei war er in aller Waffenübung wohl erfahren, keiner führte im Lande und auch außerhalb die Lanze und das Schwerdt so wie er, so daß ihn Jung und Alt, Groß und Klein, Adel und Unadel bewunderte. Er war oft gern in sich gekehrt, als wenn er irgend einem geheimen Wunsche nachginge, und viele erfahrene Leute glaubten und schlossen daher, er sei in Liebe; es wollte ihn darum keiner aus seinen Träumen aufwecken, weil sie wohl wußten, daß die Liebe ein süßer Ton ist, der im Ohre schläft und wie aus einem Traume seine phantasiereiche Melodie fortredet, so daß ihn der Beherberger selbst nur wie ein dunkles Räthsel versteht, geschweige denn ein Fremder, und daß er oft nur allzuschnell entflieht, und seine Wohnung in dem Aether und goldenen Morgenwolken wieder sucht. Aber der junge Graf Peter kannte seine eigenen Wünsche nicht; es war ihm, als wenn ferne Stimmen unvernehmlich durch einen Wald riefen, er wollte folgen, und Furcht hielt ihn zurück, doch Ahndung drängte ihn vor. Sein Vater gab ein großes Turnier, zu welchem viele Ritter geladen wurden. Es war ein Wunder anzusehn, wie der zarte Jüngling die Erfahrensten aus dem Sattel hob, so daß es auch allen Zuschauern unbegreiflich schien. Er ward von allen gerühmt und für den besten und stärksten geachtet; aber kein Lob machte ihn stolz, sondern er schämte sich manchmal selber, daß er so alte und würdige Rittersmänner sollte überwunden haben. Unter andern war auch ein Sänger mit herbei gekommen, der viele fremde Länder gesehen hatte; er war kein Ritter, aber an Einsicht und Erfahrung übertraf er manchen Edlen. Dieser gesellte sich zu Graf Peter und lobte ihn ungemein, schloß aber seine Rede mit diesen Worten: Ritter, wenn ich euch rathen sollte, so müßt ihr nicht hier bleiben, sondern fremde Gegenden und Menschen sehn und wohl betrachten, auf daß sich eure Einsichten, die in der Heimath nur immer einheimisch bleiben, verbessern, und ihr am Ende das Fremde mit dem Bekannten verbinden könnt. Er nahm seine Laute und sang: Keinem hat es noch gereut, Der das Roß bestiegen, Und in frischer Jugendzeit Durch die Welt zu fliegen. Berge und Auen, Einsamer Wald, Mädchen und Frauen Prächtig im Kleide, Golden Geschmeide, Alles erfreut ihn mit schöner Gestalt. Wunderlich fliehen Gestalten dahin, Schwärmerisch glühen Wünsche in jugendlich trunkenem Sinn. Ruhm streut ihm Rosen, Schnell in die Bahn, Lieben und Kosen, Lorbeer und Rosen Führen ihn höher und höher hinan. Rund um ihn Freuden, Feinde beneiden, Erliegend, den Held, -- Dann wählt er bescheiden Das Fräulein, das ihm nur vor allen gefällt. Und Berge und Felder Und einsame Wälder Mißt er zurück. Die Eltern in Thränen, Ach alle ihr Sehnen, -- Sie alle vereinigt das lieblichste Glück. Sind Jahre verschwunden, Erzählt er dem Sohn In traulichen Stunden, Und zeigt seine Wunden, Der Tapferkeit Lohn. So bleibt das Alter selbst noch jung, Ein Lichtstrahl in der Dämmerung. Der Jüngling hörte still dem Gesange zu; als er geendigt war, blieb er eine Weile in sich gekehrt, dann sagte er: ja, nunmehr weiß ich, was mir fehlt, ich kenne nun alle meine Wünsche, in der Ferne wohnt mein Sinn, und mancherlei wechselnde buntfarbige Bilder ziehn durch mein Gemüth. Keine größere Wollust für den jungen Rittersmann, als durch Thal und über Feld dahin ziehn: hier liegt eine hoch erhabene Burg im Glanz der Morgensonne, dort tönt über die Wiese durch den dichten Wald des Schäfers Schallmei, ein edles Fräulein fliegt auf einem weißen Zelter vorüber, Ritter und Knappen begegnen mir in blanker Rüstung und Abentheuer drängen sich; ungekannt zieh ich durch die berühmten Städte, der wunderbarste Wechsel, ein ewig neues Leben umgiebt mich, und ich begreife mich selber kaum, wenn ich an die Heimath und den stets wiederkehrenden Kreis der hiesigen Begebenheiten zurück denke. O ich möchte schon auf meinem guten Rosse sitzen, ich möchte sogleich dem väterlichen Hause Lebewohl sagen. Er war von diesen neuen Vorstellungen erhitzt, und ging sogleich in das Gemach seiner Mutter, wo er auch den Grafen, seinen Vater, traf. Peter ließ sich alsbald demüthig auf ein Knie nieder und trug seine Bitte vor, daß seine Eltern ihm erlauben möchten zu reisen und Abentheuer aufzusuchen; denn, so schloß er seine Rede: wer immer nur in der Heimath bleibt, behält auch für seine Lebenszeit nur einen einheimischen Sinn, aber in der Fremde lernt man das Niegesehene mit dem Wohlbekannten verbinden, darum versagt mir eure Erlaubniß nicht. Der alte Graf erschrak über den Antrag seines Sohnes, noch mehr aber die Mutter, denn sie hatten sich dessen am wenigsten versehn. Der Graf sagte: mein Sohn, deine Bitte kömmt mir ungelegen, denn du bist mein einziger Erbe; wenn ich nun während deiner Abwesenheit mit Tode abginge, was sollte da aus meinem Lande werden? Aber Peter blieb bei seinem Gesuch, worüber die Mutter anfing zu weinen und zu ihm sagte: Lieber, einziger Sohn, du hast noch kein Ungemach des Lebens gekostet und siehst nur deine schönen Hoffnungen vor dir; allein bedenke, daß es gar wohl sein kann, daß, wenn du abreisest, tausend Mühseligkeiten schon bereit stehn, um dir in den Weg zu treten; du hast dann vielleicht mit Elend zu kämpfen, und wünschest dich zu uns zurück. Peter lag noch immer demüthig auf den Knien und antwortete: Vielgeliebte Eltern, ich kann nicht dafür, aber es ist jezt mein einziger Wunsch, in die weite fremde Welt zu reisen, um Freud und Mühseligkeit zu erleben, und dann als ein bekannter und geehrter Mann in die Heimath zurück zu kehren. Dazu seid ihr ja auch, mein Vater, in eurer Jugend in der Fremde gewesen, und habt euch weit und breit einen Namen gemacht; aus einem fremden Lande habt ihr euch meine Mutter zum Gemal geholt, die damals für die größte Schönheit geachtet wurde; laßt mich ein gleiches Glück versuchen, seht, mit Thränen bitte ich euch darum. Er nahm eine Laute, die er sehr schön zu spielen verstand, und sang das Lied, das er vom Harfenspieler gelernt hatte, und am Schlusse weinte er heftig. Die Eltern waren auch gerührt, besonders aber die Mutter; sie sagte: nun, so will ich dir meinerseits meinen Segen geben, geliebter Sohn, denn es ist freilich alles wahr, was du da gesagt hast. Der Vater stand gleichfalls auf und segnete ihn, und Peter war im Herzen vergnügt, daß er so die Einwilligung seiner Eltern erhalten hatte. Es ward nun Befehl gegeben, alles zu seinem Zuge zu rüsten, und die Mutter ließ Petern heimlich zu sich kommen. Sie gab ihm drei kostbare Ringe und sagte: Siehe, mein Sohn, diese drei kostbaren Ringe habe ich von meiner Jugend an sorgfältig bewahrt; nimm sie mit dir und halte sie in Ehren, und so du ein Fräulein findest, das du liebst und das dir wieder gewogen ist, so darfst du sie ihr schenken. Er küßte dankbar ihre Hand, und es kam der Morgen, an welchem er von dannen schied. 3. Wie der Ritter Peter von seinen Eltern zog. Als Peter sein Pferd besteigen wollte, segnete ihn sein Vater noch einmal, und sagte zu ihm: mein Sohn, immer möge dich das Glück begleiten, so daß wir dich gesund und wohlbehalten wieder sehn; denke stets meiner Lehren, die ich deiner zarten Jugend einprägte: suche die gute und meide die böse Gesellschaft; halte immer die Gesetze des Ritterstandes in Ehren, und vergiß sie in keinem Augenblicke, denn sie sind das edelste, was die edelsten Männer in ihren besten Stunden erdacht haben; sei immer redlich, wenn du auch betrogen wirst, denn das ist der Probierstein des Wackern, daß er selten auf rechtliche Menschen trifft, und doch sich selber gleich bleibt. -- Lebe wohl! -- Peter ritt fort, allein und ohne Knappen, denn er wollte allenthalben, wie es oft die jungen Ritter zu thun pflegten, unbekannt bleiben. Die Sonne war herrlich aufgegangen, und der frische Thau glänzte auf den Wiesen. Peter war frohen Muthes und spornte sein gutes Roß, daß es oft muthig aufsprang. Es lag ihm ein altes Lied im Sinne und er sang es laut: Traun! Bogen und Pfeil Sind gut für den Feind, Hülflos alleweil Der Elende weint; Dem Edlen blüht Heil Wo Sonne nur scheint, Die Felsen sind steil, Doch Glück ist sein Freund. Er kam nach vielen Tagereisen in die edle und vornehme Stadt Neapolis. Schon unterwegs hatte er viel vom Könige und seiner überaus schönen Tochter Magelone reden hören, so daß er sehr begierig war, sie von Angesicht zu Angesicht zu sehn. Er stieg in einer Herberge ab, und erkundigte sich nach Neuigkeiten; da hörte er vom Wirthe, daß ein vornehmer Ritter, Herr Heinrich von Carpone, angekommen sei, und daß ihm zu Ehren ein schönes Turnier gehalten werden solle. Er erfuhr zugleich, daß auch den Fremden der Zutritt erlaubt sei, wenn sie nach den Turniergesetzen geharnischt erschienen. Da nahm sich Peter sogleich vor, auch dabei zu sein, und seine Geschicklichkeit und Stärke zu versuchen. 4. Peter sieht die schöne Magelone. Als der Tag des Turniers erschienen war, legte Peter seine Waffenrüstung an, und begab sich in die Schranken. Er hatte sich auf seinen Helm zwei schöne silberne Schlüssel setzen lassen, von ungemein feiner Arbeit, so war auch sein Schild mit Schlüsseln geziert, auch die Decke seines Pferdes. Dies hatte er seinem Namen zu Gefallen gethan und zu Ehren des Apostels Petrus, den er sehr liebte. Von Jugend auf hatte er sich ihm zum Schirm und Schutz empfohlen, und deswegen wählte er sich auch jezt dieses Wahrzeichen, da er unbekannt bleiben wollte. Unter Trompetenschall trat ein Herold auf, der das Turnier ausrief, das zu Ehren der schönen Magelone eröffnet wurde. Sie selbst saß auf einem erhabenen Söller und sah auf die Versammlung der Ritter hinab. Peter schaute hinauf, er konnte sie aber nicht genau betrachten, weil sie zu entfernt war. Herr Heinrich von Carpone trat zuerst in die Schranken und gegen ihn stellte sich ein Ritter des Königes. Sie trafen auf einander und der Königsche wurde bügellos, aber er traf zufälligerweise mit seiner Lanze das Pferd des Herrn Heinrich vorn an den Schienbeinen, so daß das Roß mit seinem Reiter zu Boden stürzte. Darüber wurde dem Diener des Königes der Sieg zugesprochen, als einem, der den Herrn Heinrich umgerennt hätte. Das verdroß Petern gar sehr, denn Herr Heinrich war ein namhafter Renner; dazu so berühmte sich der Diener laut und öffentlich seines Sieges, den er doch nur dem Zufall zu danken hatte. Peter stellte sich also gegen ihn in die Schranken und rannte ihn vom Pferde hinunter, daß sich alle über seine Kraft verwundern mußten; er that aber zu aller Erstaunen noch mehr, denn er machte auch bald die übrigen Sättel ledig, so daß sich in kurzer Zeit kein Gegner vor ihm mehr finden ließ. Darüber waren alle begierig, den Namen des fremden Ritters zu wissen, und der König von Neapel schickte selbst seinen Herold an ihn ab, um ihn zu erfahren; aber Peter bat in Demuth um die Erlaubniß, daß man ihm noch ferner erlauben möchte, unbekannt zu bleiben, denn sein Name sei dunkel und von keinen Thaten verherrlicht; dazu so sei er ein armer geringer Edelmann aus Frankreich, er wolle seinen Namen daher so lange verschweigen, bis er es durch Thaten werth geworden sei, sich nennen zu dürfen. Dem König freute diese Antwort, weil sie ein Beweis von der Bescheidenheit des Ritters war. Es währte nicht lange, so wurde ein zweites Turnier gehalten, und die schöne Magelone wünschte heimlich im Herzen, daß sie des Ritters mit den silbernen Schlüsseln wieder ansichtig werden möchte; denn sie war ihm zugethan, hatte es aber noch Niemand anvertraut, ja sich selber kaum, denn die erste Liebe ist zaghaft, und hält sich selbst für einen Verräther. Sie ward roth, als Peter wieder mit seiner kenntlichen Waffenrüstung in die Schranken trat, und nun die Trommeten schmetterten, und bald darauf die Spieße an den Schilden krachten. Unverwandt blickte sie auf Peter, und er blieb in jedem Kampfe Sieger; sie verwunderte sich endlich darüber nicht mehr, weil ihr war, als könne es nicht anders sein. Die Feierlichkeit war geendigt, und Peter hatte von neuem großes Lob und große Ehre eingesammelt. Der König ließ ihn an seine Tafel laden, wo Peter der Prinzessin gegenüber saß und über ihre Schönheit erstaunte, denn er sah sie jezt zum erstenmal in der Nähe. Sie blickte immer freundlich auf ihn hin, und dadurch kam er in große Verwirrung; sein Sprechen belustigte den König, und sein edler und kräftiger Anstand setzte das Hofgesinde in Erstaunen. Im Saale kam er nachher mit der Prinzessin allein zu sprechen, und sie lud ihn ein, öfter wieder zu kommen, worauf er Abschied nahm, und sie ihn noch zuletzt mit einem sehr freundlichen Blicke entließ. Peter ging wie berauscht durch die Straßen; er eilte in einen schönen Garten, und wandelte mit verschränkten Armen auf und nieder, bald langsam, bald schnell, und die Zeit verfloß, ohne daß er begreifen konnte, wie die Stunden vorüber waren. Er hörte nichts um sich her, denn eine innerliche Musik übertönte das Flüstern der Bäume und das rieselnde Plätschern der Wasserkünste. Tausendmal sagte er sich in Gedanken den Namen Magelone vor, und erschrak dann plötzlich, weil er glaubte, er habe ihn laut durch den Garten ausgerufen. Gegen Abend erscholl in der Gegend eine süße Musik, und nun setzte er sich in das frische Gras hinter einem Busche und weinte und schluchzte; es war ihm, als wenn sich der Himmel umgewendet und nun seine Schönheit und paradisische Seite zum erstenmal herausgekehrt hätte; und doch machte ihn diese Empfindung so unglücklich, unter allen Freuden fühlte er sich so gänzlich verlassen. Die Musik floß wie ein murmelnder Bach durch den stillen Garten, und er sah die Anmuth der Fürstin auf den silbernen Wellen hoch einher schwimmen, wie die Wogen der Musik den Saum ihres Gewandes küßten, und wetteiferten, ihr nachzufolgen; gleich einer Morgenröthe schien sie in die dämmernde Nacht hinein, und die Sterne standen in ihrem Laufe still, die Bäume hielten sich ruhig und die Winde schwiegen; die Musik war jezt die einzige Bewegung, das einzige Leben in der Natur, und alle Töne schlüpften so süß über die Grasspitzen und durch die Baumgipfel hin, als wenn sie die schlafende Liebe suchten und sie nicht wecken wollten, als wenn sie, so wie der weinende Jüngling, zitterten, bemerkt zu werden. Jezt erklangen die letzten Accente, und wie ein blauer Lichtstrom versank der Ton, und die Bäume rauschten wieder, und Peter erwachte aus sich selber und fühlte, daß seine Wange von Thränen naß sei. Die Springbrunnen plätscherten stärker und führten von den entferntesten Gegenden des Gartens her laute Gespräche. Peter sang leise folgendes Lied: Sind es Schmerzen, sind es Freuden, Die durch meinen Busen ziehn? Alle alten Wünsche scheiden, Tausend neue Blumen blühn. Durch die Dämmerung der Thränen Seh' ich ferne Sonnen stehn, -- Welches Schmachten! welches Sehnen! Wag' ich's? soll ich näher gehn? Ach, und fällt die Thräne nieder, Ist es dunkel um mich her; Dennoch kömmt kein Wunsch mir wieder, Zukunft ist von Hoffnung leer. So schlage denn, strebendes Herz, So fließet denn, Thränen, herab, Ach Lust ist nur tieferer Schmerz, Leben ist dunkeles Grab. -- Ohne Verschulden Soll ich erdulden? Wie ists, daß mir im Traum Alle Gedanken Auf und nieder schwanken! Ich kenne mich noch kaum. O hört mich, ihr gütigen Sterne, O höre mich, grünende Flur, Du, Liebe, den heiligen Schwur: Bleib' ich ihr ferne, Sterb' ich gerne. Ach! nur im Licht von ihrem Blick Wohnt Leben und Hoffnung und Glück! Er hatte sich selber etwas getröstet, und schwur sich, Magelonens Liebe zu erwerben, oder unterzugehn. Spät in der Nacht ging er nach Hause und setzte sich in seinem Zimmer nieder, und sprach sich jedes Wort wieder vor, das sie ihm gesagt hatte; bald glaubte er Ursach zu finden, sich zu freuen, dann wurde er wieder betrübt, und war von neuem in Zweifel. Er wollte seinem Vater schreiben und richtete in Gedanken die Worte an Magelonen, und trauerte dann über seine Zerstreuung, daß er es wage, ihr zu schreiben, die er nicht kenne. Nun erschrak er vor dem Gedanken, daß ihm das Wesen fremd sei, welches er vor allen übrigen in der Welt so unaussprechlich theuer liebe. Ein süßer Schlummer überraschte ihn endlich und durchstrich seine Zweifel und Schmerzen, und wunderbare Träume von Liebe und Entführungen, einsamen Wäldern und Stürmen auf dem Meere tanzten in seinem Gemach auf und nieder, und bedeckten wie schöne bunte Tapeten die leeren Wände. 5. Wie der Ritter der schönen Magelone Botschaft sandte. In derselben Nacht war Magelone eben so bewegt als ihr Ritter. Es däuchte ihr, als könne sie sich auf ihrem einsamen Zimmer nicht lassen; sie ging oft an das Fenster und sah nachdenklich in den Garten hinab, und alles war ihr trübe und schwermüthig; sie behorchte die Bäume, die gegen einander rauschten, dann sah sie nach den Sternen, die sich im Meere spiegelten; sie warf es dem Unbekannten vor, daß er nicht im Garten unter ihrem Fenster stehe, dann weinte sie, weil sie gedachte, daß es ihm unmöglich sei. Sie warf sich auf ihr Bett, aber sie konnte nur wenig schlafen, und wenn sie die Augen schloß, sah sie das Turnier und den geliebten Unbekannten, welcher Sieger ward und mit sehnsüchtiger Hoffnung zu ihrem Altan hinauf blickte. Bald weidete sie sich an diesen Phantasieen, bald schalt sie auf sich selber; erst gegen Morgen fiel sie in einen leichten Schlummer. Sie beschloß, ihre Zuneigung ihrer geliebten Amme zu entdecken, vor der sie kein Geheimniß hatte. In einer traulichen Abendstunde sagte sie daher zu ihr: Liebe Amme, ich habe schon seit lange etwas auf dem Herzen, welches mir fast das Herz zerdrückt; ich muß es dir nur endlich sagen und du mußt mir mit deinem mütterlichen Rathe beistehn, denn ich weiß mir selber nicht mehr zu rathen. Die Amme antwortete: vertraue dich mir, geliebtes Kind, denn eben darum bin ich älter und liebe dich wie eine Mutter, daß ich dir guten Anschlag geben möge, denn freilich weiß sich die Jugend nie selber zu helfen. Da die Prinzessin diese freundlichen Worte von ihrer Amme hörte, ward sie noch dreister und zutraulicher, und fuhr daher also fort: o Gertraud, hast du wohl den unbekannten Ritter mit den silbernen Schlüsseln bemerkt? Gewiß hast du ihn gesehn, denn er ist der einzige, der bemerkenswerth war, alle übrigen dienten nur, ihn zu verherrlichen, allen Sonnenschein des Ruhms auf ihn zu häufen, und selbst in dunkler einsamer Nacht zu wohnen. Er ist der einzige Mann, der schönste Jüngling, der tapferste Held. Seit ich ihn gesehn habe, sind meine Augen unnütz, denn ich sehe nur meine Gedanken, in denen er wohnt, wie er in aller seiner Herrlichkeit vor mir steht. Wüßte ich nur noch, daß er aus einem hohen Geschlechte sei, so wollte ich alle meine Hoffnung auf ihn setzen. Aber er kann aus keinem unedlen Hause stammen, denn wer wäre alsdann edel zu nennen? O antworte mir, tröste mich, liebe Amme, und gieb mir nun Rath. Die Amme erschrak sehr, als sie diese Rede verstanden hatte; sie antwortete: liebes Kind, schon seit lange waren meine Erwartungen so wie meine Neugier darauf gerichtet, daß du mir gestehn solltest, welchen von den Edlen des Königreichs, oder welchen Auswärtigen du liebtest, denn selbst die Höchsten und sogar Könige begehren dein. Aber warum hast du nun deine Neigung auf einen Unbekannten geworfen, von dem Niemand weiß, woher er gekommen? Ich zittre, wenn der König, dein Vater, deine Liebe bemerkt. Nun und warum zitterst du? fiel ihr Magelone mit heftigem Weinen in die Rede. Wenn er sie bemerkt, so wird er zürnen, der fremde Ritter wird den Hof und das Land verlassen, und ich werde in treuer hoffnungsloser Liebe sterben; und sterben muß ich, wenn der Unbekannte mich nicht wieder liebt, wenn ich auf ihn nicht die Hoffnung der ganzen Zukunft setzen darf. Alsdann bin ich zur Ruhe, und weder mein Vater noch du, keiner wird mich je mehr verfolgen. Da die Amme diese Worte hörte, ward sie sehr betrübt und weinte ebenfalls. Höre auf mit deinen Thränen, liebes Kind, so rief sie schluchzend aus: alles will ich ertragen, nur kann ich dich unmöglich weinen sehn; es ist mir, als müßte ich das größte Elend der Erden erdulden, wenn dein liebes Gesicht nicht freundlich ist. Nicht wahr, man muß ihn lieben? sagte Magelone, und umarmte ihre Amme. Ich hätte nie einen Mann geliebt, wenn mein Auge ihn nicht gesehn hätte; wär es also nicht Sünde, ihn nicht zu lieben, da ich so glücklich gewesen bin, ihn zu finden? Gieb nur Acht auf ihn, wie alle Vortrefflichkeiten, die sonst schon einzeln andre Ritter edel machen, in ihm vereinigt glänzen; wie einnehmend sein fremder Anstand ist, daß er die hiesige italiänische Sitte nicht in seiner Gewalt hat, wie seine stille Bescheidenheit weit mehr wahre Höflichkeit ist, als die studirte und gewandte Galanterie der hiesigen Ritter. Er ist immer in Verlegenheit, daß er Niemand besseres ist, als er, und doch sollte er stolz darauf sein, daß er niemand anders ist, denn so wie er ist, ist er das Schönste, was die Natur nur je hervor gebracht hat. O such' ihn auf, Gertraud, und frage ihn nach seinem Stand und Namen, damit ich weiß, ob ich leben oder sterben muß; wenn ich ihn fragen lasse, wird er kein Geheimniß daraus machen, denn ich möchte vor ihm kein Geheimniß haben. Als der Morgen kam, ging die Amme in die Kirche und betete; sie sah den Ritter, der auch in einem andächtigen Gebete auf den Knien lag. Als er geendet hatte, näherte er sich der Amme und grüßte sie höflich, denn er kannte sie und hatte sie am Hofe gesehn. Die Amme richtete den Auftrag des Fräuleins aus, daß sie ihn um seinen Stand und Namen ersuche, weil es einem so edlen Manne nicht gezieme, sich verborgen zu halten. Peter bekam eine große Freude und das Herz schlug ihm, denn er sah aus diesen Worten, daß ihn Magelone liebe; worauf er sagte: man erlaube mir, meinen Namen noch zu verschweigen, aber das könnt ihr der Prinzessin sagen, daß ich aus einem hohen adelichen Geschlechte bin, und daß der Name meiner Ahnherrn in den Geschichtsbüchern rühmlich bekannt ist. Nehmt indeß dies zum Angedenken meiner, und laßt es einen kleinen Lohn sein für die fröhliche Botschaft, so ihr mir wider alles Verhoffen gebracht habt. Er gab hierauf der Amme einen von den dreien köstlichen Ringen, und Gertraud eilte sogleich zur Prinzessin, ihr die erhaltene Kundschaft anzusagen, auch zeigte sie ihr den köstlichen Ring, der allein schon bewies, daß der Ritter aus einem vornehmen Hause stammen müsse. Er hatte der Amme zugleich ein Pergamentblatt mitgegeben, in Hoffnung, daß Magelone die Worte lesen würde, die er im Gefühl seiner Liebe niedergeschrieben hatte. Liebe kam aus fernen Landen Und kein Wesen folgte ihr, Und die Göttin winkte mir, Schlang mich ein mit süßen Banden. Da begonn ich Schmerz zu fühlen, Thränen dämmerten den Blick: Ach! was ist der Liebe Glück, Klagt' ich, wozu dieses Spielen? Keinen hab' ich weit gefunden, Sagte lieblich die Gestalt, Fühle du nun die Gewalt, Die die Herzen sonst gebunden. Alle meine Wünsche flogen In der Lüfte blauen Raum, Ruhm schien mir ein Morgentraum, Nur ein Klang der Meereswogen. Ach! wer löst nun meine Ketten? Denn gefesselt ist der Arm, Mich umfleugt der Sorgen Schwarm; Keiner, keiner will mich retten? Darf ich in den Spiegel schauen, Den die Hoffnung vor mir hält? Ach, wie trügend ist die Welt! Nein, ich kann ihr nicht vertrauen. O und dennoch laß nicht wanken Was dir nur noch Stärke giebt, Wenn die Einzge dich nicht liebt, Bleibt nur bittrer Tod dem Kranken. Dieses Lied rührte Magelonen; sie las es und las es von neuem, es war ganz ihre eigene Empfindung, wie von einem Echo nachgesprochen. Sie betrachtete den köstlichen Ring, und bat die Amme flehentlich, ihr denselben gegen ein andres Kleinod auszutauschen; die Amme wurde betrübt, da sie sahe, daß das Herz der Prinzessin so ganz von Liebe eingenommen sei, sie sagte daher: mein Kind, es schmerzt mich innig, daß du dich einem Fremden gleich so willig und ganz hingeben willst. Magelone wurde sehr zornig, als sie diese Worte hörte. Fremd? rief sie aus; o wer ist dann meinem Herzen nahe, wenn er mir fremd ist? Wehe müsse dir deine Zunge auf lange thun, für diese Rede, denn sie hat mein Herz gespalten. Wie kann er mir denn fremd sein, wenn ich selbst mein eigen bin, da er nichts ist, als was ich bin, da ich nur das sein kann, was er mir zu sein vergönnt? Die Luft, den Athem, das Leben, alles, alles darf ich ihm nur danken, mein Herz gehört mir selbst nicht mehr, seit ich ihn kenne; o, liebe Gertraud, was wär ich in der Welt, und was wäre die ganze unermeßliche Welt mir, wenn er mir fremd sein müßte? Gertraud tröstete sie, und die Prinzessin legte sich schlafen, vorher aber hing sie an einer feinen Perlenschnur den Ring um den Nacken, daß er ihr auf der Brust zu liegen kam. Im Schlafe sah sie sich in einem schönen und lustigen Garten, der hellste Sonnenschein flimmerte auf allen grünen Blättern, und wie von Harfensaiten tönte das Lied ihres Geliebten aus dem blauen Himmel herunter, und goldbeschwingte Vögel staunten zum Himmel hinauf und merkten auf die Noten; lichte Wolken zogen unter der Melodie hinweg und wurden rosenroth gefärbt und tönten wieder. Dann kam der Unbekannte in aller Lieblichkeit aus einem dunkeln Gange, er umarmte Magelonen und steckte ihr einen noch köstlichern Ring an den Finger, und die Töne vom Himmel herunter schlangen sich um beide wie ein goldenes Netz, und die Lichtwolken umkleideten sie, und sie waren von der Welt getrennt nur bei sich selber und in ihrer Liebe wohnend, und wie ein fernes Klaggetön hörten sie Nachtigallen singen und Büsche flüstern, daß sie von der Wonne des Himmels ausgeschlossen waren. Als Magelone von ihrem schönen Traume erwachte, erzählte sie alles der Amme, und diese sah jezt ein, daß sie ihren ganzen Sinn auf den Unbekannten gesetzt hätte, und daß er ihr Glück oder Unglück sein müsse, worüber sie sehr nachdenklich wurde. 6. Wie der Ritter Magelonen einen Ring übersandte. Die Amme wandte vielen Fleiß an, den Ritter wieder anzutreffen, und es geschah, daß sie sich in derselben Kirche wieder fanden. Peter war froh, als er die Amme ansichtig wurde, und ging sogleich auf sie zu und erkundigte sich nach dem Fräulein. Sie erzählte ihm alles, wie sie für großer Liebe den Ring für sich behalten, und die geschriebenen Worte gelesen, und wie sie in der Nacht von ihm geträumt. Peter ward roth vor Freuden, als er diese Umstände erzählen hörte und sagte: Ach, liebe Amme, sagt ihr doch die Empfindungen meines Herzens, und daß ich vor Sehnsucht verschmachten muß, wenn ich sie nicht bald sprechen kann; spreche ich sie aber mündlich, so will ich ihr, wie ich sonst Niemand thue, meinen Stand und Namen entdecken; aber ich liebe sie mit einer Liebe, wie kein andres Herz es fähig ist, und alle meine Gebete zum Himmel sind nur der Wunsch, daß ich sie zum ehelichen Gemal überkommen möchte, und daß ihre Gedanken nur etlichermaßen so nach mir gerichtet wären, wie die meinigen zu ihr. Gebt ihr auch diesen Ring, und bittet sie, ihn als ein geringes Andenken von mir zu tragen. Die Amme eilte schnell zu Magelonen zurück, die vor übergroßer Liebe krank war und auf ihrem Ruhebette lag. Sie sprang auf, als sie ihre Kundschafterin erblickte, umarmte sie und fragte nach Neuigkeiten. Die Amme erzählte ihr alles und gab ihr auch den kostbaren Ring. Sieh! rief die Prinzessin aus, das ist eben der Ring, von dem ich geträumt habe; o! so muß auch das übrige in Erfüllung gehn. Ein Blatt enthielt dieses Lied: Willst du des Armen Dich gnädig erbarmen? So ist es kein Traum? Wie rieseln die Quellen, Wie tönen die Wellen, Wie rauschet der Baum! Tief lag ich in bangen Gemäuern gefangen, Nun grüßt mich das Licht; Wie spielen die Strahlen! Sie blenden und malen Mein schüchtern Gesicht. Und soll ich es glauben? Wird keiner mir rauben Den köstlichen Wahn? Doch Träume entschweben, Nur lieben heißt leben: Willkommene Bahn! Wie frei und wie heiter! Nicht eile nun weiter, Den Pilgerstab fort! Du hast überwunden, Du hast ihn gefunden, Den seligsten Ort! Magelone sang das Lied, dann küßte sie den Ring, und dann auch den ersten, um ihn nicht zu kränken; dann las sie die Worte von neuem, und sprach sie laut, und so trieb sie es in der Einsamkeit bis spät in die Nacht. 7. Wie der edle Ritter wieder eine Botschaft empfing von der schönen Magelone. Der Ritter befand sich am folgenden Morgen wieder in der Kirche, weil er hoffte, von der Geliebten seiner Seele dort eine Nachricht zu überkommen. Die Amme fand ihn, und es traf sich, daß sie beide in der Kirche allein waren. Er erkundigte sich nach Magelonen und die Amme Gertraud erzählte ihm alles, worauf sie sagte: Wenn ihr mir versichert, Herr Ritter, daß ihr mein Fräulein in aller Zucht und Tugend lieben wollt, so will ich euch auch nunmehr sagen, wo ihr sie sprechen könnt. Peter ließ sich auf ein Knie nieder und hob seine Finger in die Höhe. Ich schwöre, sagte er, daß meine reinsten Gedanken stets um Magelone sind; ich liebe sie in aller Zucht und Anständigkeit, wie es dem ehrbaren Ritter ziemt, und so dies nicht wahr ist, so verlasse mich Gott in meiner allergrößten Noth. Amen! Die Amme war mit diesem Schwure wohl zufrieden, sie vertraute ihm nun gänzlich und sagte: ich sehe, daß ihr nicht nur der tapferste, sondern auch der edelste Ritter seid auf Gottes weiter Erde; ihr sollt euch daher auch alles Beistandes von mir gewärtiget sein. Ihr seid glücklich in Magelonen und sie ist glücklich in euch; macht euch daher morgen Nachmittag fertig, durch die heimliche Pforte des Gartens zu gehn, und sie dann auf meiner Kammer zu sprechen. Ich will euch allein lassen, damit ihr ganz unverholen eure Herzensmeinungen ausreden könnt. Sie nannte ihm die Stunde, und verließ ihn. Der Ritter stand noch lange und sah ihr im trunkenen Staunen nach, denn er vertraute dem nicht, was er gehört hatte. Das Glück, das er so sehnlichst erharrt, rückte ihm nun so unerwartet näher, daß er es im frohen Entsetzen nicht zu genießen wagte. Der Mensch erschrickt über den Zufall, selbst wenn er ihn glücklich macht; wenn unser Schicksal sich plötzlich zur Wonne umändert, so zweifeln wir in diesem Augenblicke gar zu leicht an der Wirklichkeit des Lebens. Dies dachte auch Peter bei sich, als er alle seine Sinne in trüber Verwirrung bemerkte. Wie bin ich so vom Glücke überschüttet, rief er aus, daß ich gar nicht zu mir selber kommen kann! Wie wohl würde mir jezt ein Besinnen auf meinen Zustand thun, aber es ist unmöglich! Wenn wir unsre kühnen Hoffnungen in der Ferne sehn, so freuen wir uns an ihrem edlen Gange, an ihren goldnen Schwingen, aber jezt flattern sie mir plötzlich so nahe ums Haupt, daß ich weder sie noch die übrige Welt wahrzunehmen vermag. Er ging nach Hause, und glaubte in manchen Augenblicken, die Zeit stehe seit der Stunde still, in der er die treue Amme gesprochen hatte, denn es wollte nicht Abend werden; als es Abend war, saß er ohne Licht in seiner Kammer und betrachtete die Wolken und Sterne, und sein Herz schlug ihm ungestüm, wenn er dann plötzlich an sich und Magelonen dachte. Er glaubte nicht, daß es wieder Tag werden könne, und daß es die bezeichnete Stunde wagen werde, herauf zu kommen. Eingedämmert von Erwartungen, banger Sehnsucht und ängstlicher Hoffnung, schlief er auf seinem Ruhebette ein, und erwachte, als muntre Sonnenstrahlen in seine Kammer herein spielten, und hell und fröhlich an den Wänden zuckten. Er raffte sich auf, und dachte, was er ihr sagen wolle; er erschrak jezt vor dem Gedanken, daß er sie sprechen müsse; dennoch war es sein herzinniglichster Wunsch, er konnte sich nicht besänftigen, darum nahm er die Laute und sang: Wie soll ich die Freude, Die Wonne denn tragen? Daß unter dem Schlagen Des Herzens die Seele nicht scheide? Und wenn nun die Stunden Der Liebe verschwunden, Wozu das Gelüste, In trauriger Wüste Noch weiter ein lustleeres Leben zu ziehn, Wenn nirgend dem Ufer mehr Blumen entblühn? Wie geht mit bleibehangnen Füßen Die Zeit bedächtig Schritt vor Schritt! Und wenn ich werde scheiden müssen, Wie federleicht fliegt dann ihr Tritt! Schlage, sehnsüchtige Gewalt, In tiefer treuer Brust! Wie Lautenton vorüber hallt, Entflieht des Lebens schönste Lust. Ach, wie bald Bin ich der Wonne mir kaum noch bewußt. Rausche, rausche weiter fort, Tiefer Strom der Zeit, Wandelst bald aus Morgen Heut, Gehst von Ort zu Ort; Hast du mich bisher getragen, Lustig bald, dann still, Will es nun auch weiter wagen, Wie es werden will. Darf mich doch nicht elend achten Da die Einzge winkt, Liebe läßt mich nicht verschmachten, Bis dies Leben sinkt; Nein, der Strom wird immer breiter, Himmel bleibt mir immer heiter, Fröhlichen Ruderschlags fahr ich hinab, Bring Liebe und Leben zugleich an das Grab. 8. Wie Peter die schöne Magelone besuchte. Jezt war die Zeit da, und die Stunde gekommen, in welcher der Ritter seine geliebte Magelone besuchen sollte. Er ging heimlicherweise durch die Pforte des Gartens und auf die Kammer der Amme, wo er die Prinzessin fand. Magelone saß auf einem Ruhebett und wollte aufstehn, als sie den Ritter eintreten sah, und ihm um den Hals fallen, und ihn mit Thränen und Küssen in die Wette bedecken. Doch mäßigte sie sich und blieb sitzen, aber eine scharlachene Röthe überzog ihr ganzes Gesicht, so daß sie aussah wie eine Rose, die sich noch nicht entfaltet hat, und die jezt der warme Sonnenschein badet, und ihre Blätter aus einander lockt. Eben so war auch der Ritter, der mit verschämtem Gesicht vor ihr stand, auf welchem holdselige Freude und Verwirrung sich wechselsweise ablösten. Die Amme verließ das Gemach, und Peter warf sich ohne zu sprechen auf ein Knie nieder; Magelone reichte ihm die schöne Hand, hieß ihn aufstehn und sich neben sie nieder setzen. Peter that es, und zitterte an ihrer Seite; seine Augen waren wie zwei glänzende Sterne, so trunken war er vor Entzückung, daß er nun die Geliebteste seiner Seele so dicht vor seinen Augen sah. Lange wollte kein Gespräch in den Gang kommen; ihre zärtlichen Blicke, die sich verstohlen begegneten, störten die Worte; aber endlich entdeckte sich ihr der Jüngling, und sagte, daß er sich ihr ganz zu eigen ergeben habe, seit er sie zuerst gesehn, daß ihr sein ganzes Leben gewidmet sei, und daß er sich durch ihre Liebe wie von Engelshänden berührt, aus einem tiefen Schlafe erwacht fühle. Er schenkte ihr den dritten Ring, welcher der kostbarste von allen war, wobei er ihre lilienweiße Hand küßte. Sie war über seine Treue innig bewegt, stand auf und holte eine köstliche güldene Kette, die sie ihm um den Hals legte und sagte: hiemit erkenne ich euch für mein und mich für die eurige, nehmt dieses Andenken, und tragt es immer, so lieb ihr mich habt. Dann nahm sie den erschrockenen Ritter in die Arme und küßte ihn herzlich auf den Mund, und er erwiederte den Kuß und drückte sie gegen sein Herz. Sie mußten scheiden, und Peter eilte sogleich nach seinem Zimmer, als wenn er seinen Waffenstücken und seiner Laute sein Glück erzählen müsse; er war so froh, als er noch nie gewesen war. Er ging mit großen Schritten auf und ab und griff in die Saiten, küßte das Instrument und weinte heftig. Dann sang er mit großer Inbrunst: War es dir, dem diese Lippen bebten, Dir der dargebotne süße Kuß? Giebt ein irdisch Leben so Genuß? Ha! wie Licht und Glanz vor meinen Augen schwebten, Alle Sinne nach den Lippen strebten! In den klaren Augen blinkte Sehnsucht, die mir zärtlich winkte, Alles klang im Herzen wieder, Meine Blicke sanken nieder, Und die Lüfte tönten Liebeslieder! Wie ein Sternenpaar Glänzten die Augen, die Wangen Wiegten das goldene Haar, Blick und Lächeln schwangen Flügel, und die süßen Worte gar Weckten das tiefste Verlangen: O Kuß! wie war dein Mund so brennend roth! Da starb ich, fand ein Leben erst im schönsten Tod. 9. Turnier zu Ehren der schönen Magelone. Der König Magelon von Neapel wünschte jezt, daß seine schöne Tochter in kurzer Zeit mit Herrn Heinrich von Carpone vermält würde, der sich in dieser Absicht schon seit lange am Hofe aufhielt. Es ward daher wieder ein glänzendes Turnier ausgeschrieben, welches alle vorhergehenden an Pracht übertreffen sollte, und viele berühmte Ritter aus Italien und Frankreich versammelten sich. Ein Oheim Peters kam auch aus der Provence, um dem Turniere beizuwohnen: es war derselbe, der den jungen Grafen zum Ritter geschlagen hatte. Das Kampfspiel nahm seinen Anfang, und alle die großen Ritter zogen auf den Plan, und hielten sich männlich. Peter war ungeduldig und einer der ersten, welche aufzogen. Er hielt sich so wacker, daß er viele Ritter von ihren Rossen stach, unter andern auch den Herrn Heinrich. Magelone stand oben auf dem Altane, und wurde vor Furcht und herzinnigen Wünschen bald roth und bald blaß. Gegen Peter stellte sich endlich sein Oheim, der ihn nicht kannte; aber Peter kannte ihn gar wohl, er rief deshalb den Herold zu sich, und schickte ihn mit diesen Worten an seinen Vetter: er habe ihm einst in der Ritterschaft einen großen Dienst erwiesen, deshalb möchte er nicht gegen ihn rennen, sondern er erkenne ihn ohnedies für den besseren Ritter. Aber der alte Rittersmann ward über den Antrag zornig, und sagte: habe ich ihm je einen Dienst erwiesen, so sollte er um so lieber eine Lanze mit mir brechen, um auch mir zu Gefallen zu leben; meint er denn, daß ich seiner nicht werth sei. Denn er wird hier für einen überaus tapfern Ritter geachtet, wie auch seine Thaten genugsam an den Tag legen, daß dem wirklich so sei. Blieb also mit seinem Rosse auf der Bahn stehn, und dem jungen Ritter ward vom Herolde die zornige Antwort überbracht. Sie rannten gegen einander, aber Peter trug seine Lanze in der Quere, um seinen Verwandten nicht zu verletzen. Jener, Herr Jakob genannt, rannte den Peter so an, daß die Lanze zersplitterte, und er selber fast bügellos wurde. Alle verwunderten sich und die beiden Gegner maßen noch einmal die Bahn zurück, dann ritten sie wieder gegen einander, und Peter trug seine Lanze wie das erstemal; alle waren in Erstaunen, nur Magelone sah die Ursach ein, und wußte wohl warum es geschah. Herr Jakob rannte wieder mit heftiger Gewalt auf seinen Gegner, seine Lanze traf auf Peters Brustharnisch, aber der junge Ritter blieb unbeweglich im Sattel sitzen, und der Stoß war so gewaltig, daß Herr Jakob dadurch von sich selber vom Pferde abfiel. Da das Jakob merkte, zog er sich zurück, und hatte keine Lust mehr mit dem jungen Ritter zu stechen. Peter besiegte auch die übrigen Ritter, so daß ihm der Preis mußte zuerkannt werden; der König und alle vom Hofe waren in Erstaunen, und die übrigen Herren zogen ergrimmt nach ihrer Heimath zurück, da sie den Namen des unbekannten Siegers durchaus nicht erfahren konnten. -- Peter hatte seine Geliebte indessen schon zum öftern heimlich besucht, und so nahm er sich einmal vor, ihre Liebe auf die Probe zu stellen. Als er sie daher wieder sah, that er sehr betrübt, und sagte mit kläglicher Stimme, daß er bald scheiden müsse, denn seine Eltern würden seinetwegen in der größten Betrübniß leben, da sie ihn so lange nicht gesehn, auch keine Nachricht von ihm bekommen hätten. Als Magelone diese Worte hörte, ward sie blaß, dann fing sie heftig an zu weinen, und sank in den Sessel zurück. Ja, reiset nur ab, sagte sie, und alle meine traurigen Ahndungen sind dann in Erfüllung gegangen, ich sehe euch nicht wieder und mein Tod ist gewiß. Was kümmert er euch? Nun also, was kümmert er mich? -- O verzeiht, mein Geliebter, nein, es ist wahr, ihr müßt eure Eltern wieder sehn, ihr habt euch meinetwegen schon zu lange hier aufgehalten; wie werden sie um euch trauern, wie sehr nach eurer Anwesenheit seufzen. Ja, lebt dann wohl, auf ewig wohl! Peter sagte: nein, meine theuerste Magelone, ich bleibe; wie könnte ich fortziehn, und dich nicht mehr sehn, nicht mehr diese theuren Augen erblicken und Hoffnung und Stärke in ihnen finden, diese liebe Stimme nicht mehr hören, die wie ein Gesang aus dem Paradiese in mein Ohr dringt? Nein, ich bleibe; kein Gedanke nach meiner Heimath und meinen Eltern, denn alle meine Gedanken wohnen hier. Magelone wurde wieder fröhlicher, dann besann sie sich eine Weile. Wenn ihr mich liebt, fing sie wieder an, so sollt ihr dennoch reisen. Eure Worte haben einen Gedanken in mir erweckt, der schon seit lange in meiner Seele schlummert, denn ich muß euch sagen, es ist jezt an dem, daß mich mein Vater mit dem Herrn Heinrich von Carpone vermälen will. Darum flieht von hier, und nehmt mich mit euch, denn ich traue eurem Edelmuthe; haltet morgen in der Nacht mit zwei starken Pferden vor der Gartenpforte, aber laßt es Pferde sein, die eine weite und schnelle Reise wohl vertragen können, denn so man uns einholte, wären wir alle elend. Der Jüngling hörte mit frohem Erstaunen diese Worte. Ja, rief er aus, wir fliehen schnell zu meinem Vater, und das schönste Band soll uns dann auf ewig verbinden. Er eilte sogleich fort, um die nöthigen Anstalten schnell und heimlich zu treffen. Magelone besorgte ihrerseits auch das Nöthige, sagte aber ihrer Amme kein Wort von ihrem Entschlusse, aus Furcht, daß sie alles verrathen möchte. Peter nahm Abschied von seiner Kammer, von den Gegenden der Stadt, durch die er so oft in seliger Trunkenheit gewandelt war, und die er alle als Zeugen seiner Liebe betrachtete. Es war ihm rührend, als er die getreue Laute auf seinem Tische liegen sah, die so oft von seinen Fingern gerührt die Gefühle seines Herzens ausgesprochen hatte, die eine Mitwisserin des süßen Geheimnisses war. Er nahm sie noch einmal und sang: Wir müssen uns trennen, Geliebtes Saitenspiel, Zeit ist es, zu rennen Nach dem fernen erwünschten Ziel. Ich ziehe zum Streite, Zum Raube hinaus, Und hab' ich die Beute, Dann flieg ich nach Haus. Im röthlichen Glanze Entflieh ich mit ihr, Es schützt uns die Lanze, Der Stahlharnisch hier. Kommt, liebe Waffenstücke, Zum Scherz oft angethan, Beschirmet jezt mein Glücke Auf dieser neuen Bahn. Ich werfe mich rasch in die Wogen, Ich grüße den herrlichen Lauf, Schon mancher ward nieder gezogen, Der tapfere Schwimmer bleibt oben auf. Ha! Lust zu vergeuden Das edele Blut! Zu schützen die Freuden, Mein köstliches Gut! Nicht Hohn zu erleiden, Wem fehlt es an Muth? Senke die Zügel, Glückliche Nacht! Spanne die Flügel, Daß über ferne Hügel Uns schon der Morgen lacht! 10. Wie Magelone mit ihrem Ritter entfloh. Die Nacht war gekommen. Magelone schlich mit einigen Kostbarkeiten durch den Garten; der Himmel war mit Wolken bedeckt, und ein sparsames Mondlicht drang durch die Finsterniß. Sie ging mit wehmüthigen Empfindungen ihren lieben Blumen vorüber, die sie nun auf immer verlassen wollte. Ein feuchter Wind wehte durch den Garten und ihr war, als wenn die Gesträuche winselten und klagten, und ihr ein zärtliches Lebewohl nachriefen. Vor der Pforte hielt Peter mit drei Pferden, darunter war ein Zelter von einem leichten und bequemen Gange für das Fräulein; auf einem andern Pferde waren Lebensmittel, damit sie auf der Flucht nicht nöthig hätten in Herbergen einzukehren. Peter hob das Fräulein auf den Zelter, und so flohen sie heimlicherweise und unter dem Schutze der Nacht davon. Die Amme vermißte am Morgen die Prinzessin, und so fand sich auch bald, daß der Ritter in der Nacht abgereiset sei; der König merkte daraus, daß er seine Tochter entführt habe. Er schickte daher viele Leute aus, um sie aufzusuchen; diese forschten fleißig nach, aber alle kamen nach verschiedenen Tagen unverrichteter Sache zurück. Peter hatte die Vorsicht gebraucht, daß er nach den Wäldern zugeritten war, die in der Nähe des Meeres lagen; dort waren die Wege am einsamsten und fast gar nicht besucht, hier floh er mit seiner Geliebten sicher unter dem dichten Schutze der Nacht hinweg. Der Tritt von den Pferden hallte im Forste weit hinab, die Wipfel der Bäume rauschten furchtbar in der Dunkelheit, aber Magelonens Herz war frei und fröhlich, denn sie hatte immer ihren Geliebten neben sich. Sie weidete sich an seinem Antlitze, wenn sie über einen freien Platz trabten; sie fragte ihn mancherlei von seinen Eltern und seiner Heimath, und so verging ihnen unter banger Erwartung, Gespräch und schönen Hoffnungen die langwierige Nacht. Beim Anbruch des Morgens zogen dichte weiße Nebel durch den Wald, wie Gottes Segen, der seine Reise antrat und durch unwegsame Büsche den Saatfeldern zueilte, wo er als Thau niederregnete. Sie zogen durch den Flug des Nebels weiter, und durch den Morgenwind, der die ganze Natur aus ihrem tiefen Schlafe wach schüttelte. Magelone klagte über keine Beschwer, denn sie empfand keine. Jezt brach die liebliche Sonne hervor, und äugelte mit glühendem Funkeln durch den dichten Wald; das grüne Gras schien am Boden zu brennen, und der wankende Thau erbebte mit tausend blendenden Strahlen. Die Rosse wieherten, die Vögel erwachten und sprangen mit ihren Liedern von Zweig zu Zweig, gelbbeschwingte badeten sich im Thau der Wiesen und flatterten im Glanz des jungen Lichtes dicht über dem Boden hinweg; durch den blauen Himmel zogen goldene Streifen herauf und bahnten der aufgegangenen Sonne den Weg; Gesänge ertönten aus allen Büschen, die muntern Lerchen flogen empor und sangen von oben in die rothdämmernde Welt hinein. Auch Peter stimmte ein fröhliches Lied an, und der schönen Magelone ging darüber das Herz vor Freuden auf. Seine Stimme zitterte durch alle Bäume hinab, und ein ferner Wiederhall sang ihm nach. Die beiden Reisenden sahen in der Gluth des Himmels, im Glanz des frischen Waldes nur einen Wiederschein ihrer Liebe; jeder Ton rief ihr Herz an, und erfüllte es mit wehmüthiger Freude. Die Sonne stieg höher hinauf, und gegen Mittag fühlte Magelone eine große Müdigkeit; beide stiegen daher an einer schönen kühlen Stelle des Waldes von ihren Pferden. Weiches Gras und Moos war auf einer kleinen Anhöhe zart empor geschossen; hier setzte sich Peter nieder und breitete seinen Mantel aus, auf diesen lagerte sich Magelone und ihr Haupt ruhte in dem Schooße des Ritters. Sie blickten sich beide mit zärtlichen Augen an, und Magelone sagte: Wie wohl ist mir hier, mein Geliebter, wie sicher ruht sichs hier unter dem Schirmdach dieses grünen Baums, der mit allen seinen Blättern, wie mit eben so vielen Zungen, ein liebliches Geschwätze macht, dem ich gerne zuhöre; aus dem dichten Walde schallt Vogelgesang herauf, und vermischt sich mit den rieselnden Quellen; es ist hier so einsam und tönt so wunderbar aus den Thälern unter uns, als wenn sich mancherlei Geister durch die Einsamkeit zuriefen und Antwort gäben; wenn ich dir ins Auge sehe, ergreift mich ein freudiges Erschrecken, daß wir nun hier sind; von den Menschen fern und einer dem andern ganz eigen. Laß noch deine süße Stimme durch dieses harmonische Gewirr ertönen, damit die schöne Musik vollständig sei, ich will versuchen ein wenig zu schlafen; aber wecke mich ja zur rechten Zeit, damit wir bald bei deinen lieben Eltern anlangen können. Peter lächelte, er sah wie ihr die schönen Augen zufielen, und die langen schwarzen Wimpern einen lieblichen Schatten auf dem holden Angesichte bildeten; er sang: Ruhe, Süßliebchen im Schatten Der grünen dämmernden Nacht, Es säuselt das Gras auf den Matten, Es fächelt und kühlt dich der Schatten, Und treue Liebe wacht. Schlafe, schlaf' ein, Leiser rauschet der Hain, -- Ewig bin ich dein. Schweigt, ihr versteckten Gesänge, Und stört nicht die süßeste Ruh! Es lauscht der Vögel Gedränge, Es ruhen die lauten Gesänge, Schließ, Liebchen, dein Auge zu. Schlafe, schlaf' ein, Im dämmernden Schein, -- Ich will dein Wächter sein. Murmelt fort ihr Melodieen, Rausche nur, du stiller Bach, Schöne Liebesphantasieen Sprechen in den Melodieen, Zarte Träume schwimmen nach, Durch den flüsternden Hain Schwärmen goldene Bienelein, Und summen zum Schlummer dich ein. 11. Wie Peter die schöne Magelone verließ. Peter war durch seinen Gesang beinahe auch eingeschläfert, aber er ermunterte sich wieder, und betrachtete das holdselige Angesicht der schönen Magelone, die im Schlafe süß lächelte. Dann sah er über sich und bemerkte, wie eine Menge schöner und zarter Vögel oben in den Zweigen sich versammelten, die nicht scheu thaten, sondern hin und her hüpften, auch jezuweilen auf den kleinen Grasplatz zu ihm herunter kamen. Es ergötzte ihn, daß diese unvernünftigen Kreaturen an der schönen Magelone ein Wohlgefallen zu bezeigen schienen. Da sah er aber in dem Baume einen schwarzen Raben sitzen, und dachte bei sich: wie kommt doch dieser häßliche Vogel in die Gesellschaft dieser bunten Thierchen, es dünkt mir nicht anders, als wenn sich ein grober ungeschliffener Knecht unter edle Ritter eindrängen wollte. Ihm däuchte, als wenn Magelone mit Bangigkeit Athem holte, er schnürte sie daher etwas auf, und ihr weißer schöner Busen trat aus den verhüllenden Gewändern hervor. Peter war über die unaussprechliche Schönheit entzückt, er glaubte im Himmel zu sein, und alle seine Sinne wandten sich um; er konnte nicht aufhören seine Augen zu weiden und sich an dem Glanze zu berauschen. Mit jedem Athemzuge hob sich die zarte Brust und sank wieder. Der Ritter fühlte, daß er Magelonen noch nie so geliebt habe, daß er noch niemals so glücklich gewesen sei. Zwischen den Brüsten versteckt, bemerkte er einen rothen Zindel; er war neugierig zu erfahren, was es sein möchte; er nahm ihn und wickelte ihn aus einander. Da fand er die drei kostbaren Ringe, die er seiner Geliebten geschenkt hatte, und er war innig gerührt, daß sie sie so liebevoll und sorgfältig bewahrte. Er wickelte sie wieder ein, und legte sie neben sich in das Gras; aber plötzlich flog der Rabe vom Baume hernieder und führte den Zindel hinweg, den er für ein Stück Fleisch ansehn mochte. Peter erschrak sehr und besorgte, daß Magelone unwillig werden möchte, wenn ihr beim Erwachen die Ringe fehlten. Er legte ihr also sorgfältig seinen Mantel unter das Haupt zusammen, und stand leise auf, um zu sehn, wo der Vogel mit den Ringen bleiben würde. Der Rabe flog vor ihm her, und Peter warf nach ihm mit Steinen, in der Meinung, ihn zu tödten, oder ihn wenigstens zu zwingen, seinen Raub wieder fallen zu lassen. Aber der Vogel flog immer weiter und Peter verfolgte ihn unermüdet, doch keiner von den Steinwürfen wollte den Raben treffen. So war ihm Peter schon eine ziemliche Weile gefolgt, und kam jezt an das Meerufer. Nicht weit vom Ufer stand im Meere eine spitzige Klippe, auf diese setzte sich der Rabe, und Peter warf von neuem nach ihm mit Steinen; der Vogel ließ endlich den Zindel fallen, und flog mit großem Geschrei davon. Peter sah im Meere nicht weit vom Ufer roth den Zindel schwimmen; er ging am Lande hin und her, um etwas zu finden, worauf er die wenigen Schritte in das Wasser hinein fahren könne. Er fand auch endlich einen kleinen, alten, verwitterten Kahn, den die Fischer hier hatten stehen lassen, weil er ihnen nichts mehr nützte. Peter stieg rasch hinein, nahm einen Zweig, und ruderte damit, so gut er nur konnte, nach dem Zindel hin. Aber plötzlich erhob sich vom Lande her ein starker Wind, die Wellen jagten sich über einander und ergriffen den kleinen Kahn, in welchem Peter stand. Peter setzte sich mit allen Kräften dagegen, aber das Schiff ward dennoch der Klippe vorüber, ins Meer hinein getrieben, und weiter und immer weiter. Peter sah zurück, und kaum bemerkte er noch den rothen Flecken, den der Zindel im Meere machte, und jezt verschwand er völlig, auch das Land lag schon ziemlich entfernt. Nun gedachte Peter an seine Magelone zurück, die er im wüsten Holze schlafend verlassen hatte; das Schiff trug ihn wider Willen immer weiter in die See hinein, und er kam in Angst und Verzweiflung. Er war im Begriff, sich in das Meer zu stürzen, er schrie und klagte, und alle seine Töne gab ein Echo zurück, und die Wellen plätscherten laut dazwischen. Das Land lag nun schon weit zurück in einer unkenntlichen Ferne, die Dämmerung des Abends brach herein. Ach theuerste Magelone! rief Peter in der höchsten Betrübniß seiner Seelen heftig aus: wie wunderlich werden wir von einander geschieden! Eine schwarze Hand treibt mich von deiner Seite in das wüste Meer hinaus, und du bist allein und ohne Hülfe. Was willst du Unglückselige im wüsten Walde beginnen? Ach! ich bin Schuld an deinem Tode! Mußte ich dich darum, dich Königstochter von deinen Eltern entführen, um dich der härtesten Noth Preis zu geben? Bist du darum so zart und edel erzogen, daß du nun vielleicht eine Beute der wilden Thiere werden mußt? Was wird sie nun machen, wenn sie erwacht, und den vermißt, den sie für den Getreuesten auf der ganzen Erde hielt? Warum mußte mein Vorwitz nur die Ringe hervor suchen, konnte ich sie nicht an ihrem schönsten Platze lassen, wo sie so sicher waren? O weh mir, nun ist alles verloren und ich muß mich in mein Verderben finden! Solche Klagen trieb er, und geberdete sich auf dem wüsten Meere äußerst trübselig. Er verlor alle Hoffnung, und gab sein Leben auf. Der Mond schien vom Himmel herab und erfüllte die Welt mit goldener Dämmerung; alles war still, nur die Wellen seufzten und plätscherten, und Vögel flatterten zu Zeiten mit seltsamen Tönen über ihn dahin. Die Sterne standen ernst am Himmel und die Wölbung spiegelte sich in der wogenden Fluth. Peter warf sich nieder, und sang mit lauter Stimme: So tönet dann, schäumende Wellen, Und windet euch rund um mich her! Mag Unglück doch laut um mich bellen, Erbost sein das grausame Meer! Ich lache den stürmenden Wettern, Verachte den Zorngrimm der Fluth; O mögen mich Felsen zerschmettern! Denn nimmer wird es gut. Nicht klag' ich, und mag ich nun scheitern, In wäßrigen Tiefen vergehn! Mein Blick wird sich nie mehr erheitern, Den Stern meiner Liebe zu sehn. So wälzt euch bergab mit Gewittern, Und raset, ihr Stürme, mich an, Daß Felsen an Felsen zersplittern! Ich bin ein verlorener Mann. Er lag im Kahne ausgestreckt, und eine dumpfe Betäubung ergriff ihn; er wußte vor Uebermaß des Schmerzes nicht mehr, wo er war, und ließ sich gleichgültig von Wind und Wellen weiter treiben; endlich verfiel er in einen Zustand, der fast einem Schlafe glich. 12. Die Klagen der schönen Magelone. Magelone erwachte, nachdem sie sich durch einen süßen Schlaf erquickt hatte, und meinte, daß ihr Geliebter noch bei ihr säße. Sie erschrak, als sie sich aufrichtete und ihn nicht mehr fand; sie wartete erst eine Weile, ob er nicht wieder kommen möchte, dann ging sie hin und her, und rief seinen Namen mit lauter Stimme aus. Da sie keine Antwort vernahm, fing sie an zu weinen und zu schluchzen, wandte sich dann im Holze nach allen Orten hin, und rief so lange, bis sie heiser war, aber sie erhielt keine Antwort. Da wurde sie so betrübt, daß sie einen heftigen Schmerz im Haupte empfand, sie sank auf den Boden nieder, und lag eine Weile in einer schmerzlichen Ohnmacht. Als sie wieder zu sich erwachte, däuchte ihr, daß es ein Leichtes sein müsse, jezt gar zu sterben; nun sah sie nicht mehr auf die Vögel, die scherzend um sie hüpften, denn wenn sie die Augen aufschlug, war es ihr zu Sinne, daß jede Kreatur, die sich regte und bewegte, glücklicher sei, als sie. Mit vieler Mühe stieg sie auf einen Baum, um sich in der Gegend umzusehn, ob sie nichts entdecken könne, aber sie sah nichts als Wälder auf der einen Seite, keine Wohnung, kein Dorf, so weit ihr Auge reichte, auf der andern Seite das wüste unabsehliche Meer. Trostlos stieg sie wieder herab, und weinte und klagte von neuem: O ungetreuer Ritter, rief sie aus, warum hast du deine unschuldige Geliebte verlassen? Hast du mich darum meinen Eltern geraubt, damit ich hier in der Wüstenei verschmachten soll? Was hab' ich dir gethan? Hab' ich dich zu sehr geliebt? Bist du mein überdrüßig, weil ich dir mein schwaches Herz zu früh zu erkennen gab? O, so bist du der Elendeste unter den Menschen! Sie ging wie wahnsinnig im Walde hin und her; da traf sie die Rosse, die noch so angebunden standen, wie Peter sie fest gemacht hatte. O vergieb mir, mein Geliebter! rief sie aus, jezt werde ich wohl gewahr, daß du unschuldig bist und daß du mich nicht vorsätzlicherweise verlassen hast. Welches Abentheuer hat uns denn von einander getrennt? Die Finsterniß brach mit der Nacht herein, und der Mond warf gebrochne Strahlen durch den Wald; seltsame fremde Stimmen ließen sich in der Ferne hören, und Magelone fürchtete, daß es das Geschrei wilder Thiere sei. Mühsam stieg sie wieder auf einen Baum. Die Wolken wechselten am Himmel wunderlich vom Monde beglänzt, und jagten sich durch einander; bald sah sie in diesen Lufterscheinungen ihren Ritter, der mit Ungeheuern kämpfte und sie besiegte; dann verwandelte sich im Zuge das Wolkengebilde in ein andres; ihr dämmerndes Auge glaubte dann am Himmel Städte mit hohen Thürmen zu erblicken, oder Berge, auf denen feurige Castelle brannten, Reiter, die in Geschwadern auszogen, und dem Feinde im Thale begegneten. Wie Blitze flatterte es dann durch die Landschaft, und die hellgrüne Himmelsebene lag prächtig zwischen den getrennten Wolkenbildern; dann fühlte sie, daß sie nur geschwärmt habe, und mit bangem Grauen warf sie den Blick auf die Wälder unter sich, die schwarz in ernsten unbeweglichen Gestalten ruhten; sie sah nach der See hinab, die in unermeßlicher Fläche vor ihren Augen bebte und dämmerte. In der stillen Nacht kam das Plätschern der Wellen zu ihrem Ohre, das bald wie Gewinsel, bald wie zürnende Scheltworte klang; dann glaubte sie die Stimme ihres Vaters und ihrer Mutter zu hören, und so trieb sich ihr Gemüth unter Phantasieen auf und ab, bis der Morgen empor kam. Wie verschieden war diese Morgenröthe von der gestrigen! Wie weit stand jezt die Hoffnung weg, die gestern noch mit leichten Flügeln wie ein blauer Schmetterling vor ihr hintanzte, die ihr den Weg nach einer lieben Heimath wies, und alle Blumen am Wege aufsuchte und auf sie hindeutete. Das Waldgeflügel ließ seine Gesänge wieder klingen, das frühe Roth arbeitete sich durch den dichten Wald, schlich gebückt und wundersam durch die niedrigen Gesträuche, und weckte Gras und Blumen auf; der Wald brannte in dunkelrothen Flammen und der Nebel wand sich in goldenen Säulen um die Baumstämme. Magelone hatte in der Nacht beschlossen, nicht zu ihrem Vater zurückzukehren, denn sie fürchtete seinen Zorn, sie wollte irgend eine stille Wohnung aufsuchen, von den Menschen abgesondert, dort immer an ihren Geliebten denken und so in Frömmigkeit und Treue hinsterben. Sie stieg daher vom Baum herunter und ging wieder zu den treuen Pferden, die noch angebunden standen, und den Kopf betrübt zur Erde senkten. Sie löste ihre Zügel, so daß sie gehn konnten, wohin sie wollten, indem sie sagte: so wandert nun auch hin durch die weite traurige Welt, und suchet euren Herrn wieder, so wie ich ihn suchen will. Die Rosse gingen betrübt fort, jedes einen andern Weg. Magelone wanderte durch die dichten Wälder, sie hatte einige Nahrung mit sich genommen. Um sich unkenntlich zu machen, verbarg sie ihre langen goldenen Haare und zog einen Schleier über ihr Gesicht; sie suchte auch ihre Kleidung zu verändern. So kam sie durch manche Dörfer und Städte und blieb immer betrübt. Nach einer Wanderung von vielen Tagen stand sie gegen Abend auf einer freundlichen stillen Wiese, gegenüber lag eine kleine Hütte, und Vieh weidete auf den nahen Hügeln, das mit seinen Glocken ein angenehmes Getöne durch die Ruhe des Abends machte: auf der andern Seite lag ein Wald, und Magelonens Seele wurde hier zum erstenmale nach langer Zeit ruhig und heiter. Sie faßte daher den Wunsch, in dieser friedlichen Gegend zu wohnen. Sie ging auf die Hütte zu, aus der ihr ein alter Schäfer entgegen trat, der hier mit seiner Frau sich angesiedelt hatte, und fern von der Welt und den Menschen fromme Lämmer groß zog, und einen kleinen Acker baute. Sie redete ihn an, und flehte als eine Unglückliche um Schutz und Hülfe. Er nahm sie gerne auf, und sie unterzog sich den Diensten willig, die sie leisten konnte, dabei aber verschwieg sie ihrem Wirthe ihre Geschichte. Es geschah manchmal, daß sie einem Unglücklichen beistehn konnten, wenn ihn der Schiffbruch an die nahgelegene Küste trieb, und dann zeigte sich besonders Magelone hülfreich und thätig. Wenn die Alten ausgingen, bewachte sie das Haus, und sang dann manchmal in der Einsamkeit mit der Spindel vor der Thüre sitzend: Wie schnell verschwindet So Licht als Glanz, Der Morgen findet Verwelkt den Kranz, Der gestern glühte In aller Pracht, Denn er verblühte In dunkler Nacht. Es schwimmt die Welle Des Lebens hin, Und färbt sich helle, Hats nicht Gewinn; Die Sonne neiget, Die Röthe flieht, Der Schatten steiget Und Dunkel zieht: So schwimmt die Liebe Zu Wüsten ab, Ach! daß sie bliebe Bis an das Grab! Doch wir erwachen Zu tiefer Quaal: Es bricht der Nachen, Es löscht der Strahl, Vom schönen Lande Weit weggebracht Zum öden Strande, Wo um uns Nacht. 13. Peter unter den Heiden. Peter erholte sich aus seiner Betäubung, als die Sonne eben in aller Majestät über die große Meeresfluth herauf stieg. Ein furchtbarer Glanz schwang sich durch den Himmel und löschte Mond und Sterne mit glühenden Strahlen aus; die Wasser erklangen und verwandelten sich in Purpur, Wolkenzüge trieben vor der Sonne her und segelten, wie von der Majestät geschreckt, über das Meer hinweg, und ein sprühender Regen von Funken verbreitete sich weit umher, und ergoß sich in Bogen über die Fluth. Peter fühlte wieder männlichen Muth in seiner Brust, die Quaalen des Lebens so wie seine Freuden zu erdulden. Ein großes Schiff segelte auf ihn zu, das von Mohren und Heiden besetzt war; sie nahmen ihn ein und freuten sich über diese Beute, denn Peter war gar schön und herrlich von Gestalt, dazu gab ihm seine Jugend ein zartes und einnehmendes Wesen, so daß niemand sein Feind sein konnte. Der Anführer des Schiffes beschloß, ihn dem Sultan als ein Geschenk mitzubringen. Man landete, und Peter ward sogleich dem Sultan vorgestellt, der einen großen Gefallen an ihm fand, und ihn bei der Tafel aufwarten ließ, ihm auch die Aufsicht über einen schönen Garten anvertraute. Peter war allgemein beliebt, weil er vom Sultan so gnädig angesehen wurde. Oft ging er einsam zwischen den Blumen des Gartens, und dachte an seine geliebte Magelone, oft nahm er auch in der Abendstunde eine Zither und sang: Muß es eine Trennung geben, Die das treue Herz zerbricht? Nein dies nenne ich nicht leben, Sterben ist so bitter nicht. Hör' ich eines Schäfers Flöte, Härme ich mich inniglich, Seh ich in die Abendröthe, Denk ich brünstiglich an dich. Giebt es denn kein wahres Lieben? Muß denn Schmerz und Trauer sein? Wär' ich ungeliebt geblieben, Hätt' ich doch noch Hoffnungsschein. Aber so muß ich nun klagen: Wo ist Hoffnung, als das Grab? Fern muß ich mein Elend tragen, Heimlich stirbt das Herz mir ab. 14. Die Heidin Sulima liebt den Ritter. Peter mochte hier vergnügt leben, wenn die Liebe nicht seine Jugend verzehrt hätte. Er war nun schon seit lange am Hofe des Sultans und von ihm und den übrigen geschätzt; er hatte viele Freiheit und ward von manchem Hofdiener beneidet; aber er verdiente diesen Neid nicht, denn er ward von seiner Unruhe hin und her getrieben, er seufzte und klagte laut, wenn er sich im Garten allein befand. So verstrich eine Woche nach der andern und er war nun beinahe zwei Jahr unter den Heiden, ohne daß er Hoffnung hatte, jemals in sein geliebtes Vaterland zurück zu kehren, denn der Sultan liebte ihn so sehr, daß er ihn durchaus nicht von sich entfernen wollte. Dies zog sich Peter auch zu Sinne und ward darüber mit jedem Tage betrübter, denn er dachte unaufhörlich an seine Eltern und seine Geliebte. Nichts machte ihm Freude, und da der Frühling wieder kam, weinte er bei seiner Ankunft, und trauerte tief, indem die ganze Natur ihr holdseligstes Fest beging. Der Sultan hatte eine Tochter, die im ganzen Lande ihrer Schönheit wegen berühmt war, mit Namen Sulima. Sie fand oft Gelegenheit, den Fremden zu sehn, und ohne daß sie es anfangs wußte, hatte sich eine heftige Liebe zu ihm in ihr Herz geschlichen. Die Traurigkeit des Ritters zog sie vorzüglich an, sie wünschte ihn trösten zu können, ihm näher zu kommen, und mit ihm zu reden. Die Gelegenheit dazu fand sich bald. Eine vertraute Sklavin führte den Jüngling heimlich in einen Saal des Gartens zu ihr. Peter war erstaunt und in Verlegenheit; er verwunderte sich über die Schönheit der Sulima, aber sein Herz hing an Magelonen fest. Doch der süße Trieb, sein Vaterland wieder zu sehn, bemeisterte sich bald aller seiner Sinnen so sehr, daß er einem kühnen Anschlage nachdachte. Er sah das Heidenmädchen öfter, und sie sagte ihm, daß sie aus Liebe zu ihm mit ihm entfliehen wolle, erst zu einem Verwandten, der ein Schiff segelfertig liegen habe, das auf ihren Wink sogleich die Anker lichten würde; sie wolle ihm in der bestimmten Nacht durch eine Laute und ein kleines Lied ein Zeichen geben, wann er kommen und sie abholen solle. Peter überlegte diesen Vorschlag und willigte endlich ein, denn er überzeugte sich, daß Magelone gewiß gestorben sei, und er komme doch so in die Christenheit und zu seinen Eltern zurück. Der Garten des Sultans lag am Ufer des Meeres, und die bestimmte Nacht war jezt herbei gekommen. Gegen Abend hatte Peter ein wenig unter den kühlen Bäumen geschlummert, und Magelone war ihm in aller Herrlichkeit, aber mit einer drohenden Geberde, im Traum erschienen. Die ganze Vergangenheit zog mit den lebhaftesten Bildern durch seinen Busen, jede Stunde seiner glücklichen Liebe kam mit allen seligen Empfindungen zurück, und als er nun erwachte, erschrak er vor sich selber und seinem Vorsatze. Er hätte sich selber entfliehen mögen, und das Andenken an sich und sein Bewußtsein aus seinem Busen vertilgen. Die Nacht brach indeß herein, und alle Sterne glänzten schon am Himmel; der Mond ging auf und warf sein goldenes Netz über das Meer hin, als Peter nachdenklich am Ufer auf und nieder ging. Ein frischer Wind blies vom Lande her durch den Garten, und die Bäume rauschten munter und fröhlich, aber Peter ward dadurch nur desto betrübter. O ich Treuloser! ich Undankbarer! rief er aus, will ich so ihre Liebe belohnen, will ich als ein Meineidiger in mein Vaterland zurück kehren? Das wäre mir ein schlechter Ruhm unter meinen Verwandten und der ganzen Ritterschaft; und wie sollte ich gegen Magelonen die Augen aufschlagen dürfen, wenn sie noch lebt? Und warum sollte sie nicht leben, da ich so wunderbar erhalten bin? O ich bin ein feiger Sklave, daß ich für mich selber noch nichts gewagt habe! Warum überlaß ich mich nicht dem gütigen Schicksal, und fahre in einem dieser Nachen in das Meer hinein? Ueberließ ich mich nicht auf einem zerbrochenen Brete der empörten Fluth, und kam an dies Gestade? Soll ich nicht auf Gott vertraun, wenn von Vaterland, wenn von meiner Liebe die Rede ist? Er stieg beherzt in ein kleines Boot, das er vom Lande ablöste, dann nahm er ein Ruder und arbeitete sich in die See hinein. Es war die schönste Sommernacht; alle Gestirne sahen freundlich in die mondbeglänzte Welt hinein, das Meer war eine stille ebene Fläche, und warme Lüfte spielten über dem ruhigen Spiegel hin. Peters Herz ward groß von Sehnsucht, er überließ sich dem Zufall und den Sternen, und ruderte muthig weiter; da hörte er das verabredete Zeichen, eine Zither erklang aus dem Garten her, und eine liebliche Stimme sang dazu: Geliebter, wo zaudert Dein irrender Fuß? Die Nachtigall plaudert Von Sehnsucht und Kuß. Es flüstern die Bäume Im goldenen Schein, Es schlüpfen mir Träume Zum Fenster herein. Ach! kennst du das Schmachten Der klopfenden Brust? Dies Sinnen und Trachten Voll Quaal und voll Lust? Beflügle die Eile Und rette mich dir, Bei nächtlicher Weile Entfliehn wir von hier. Die Segel sie schwellen, Die Furcht ist nur Tand: Dort, jenseit den Wellen, Ist väterlich Land. Die Heimath entfliehet; So fahre sie hin! Die Liebe sie ziehet Gewaltig den Sinn. Horch! wollüstig klingen Die Wellen im Meer, Sie hüpfen und springen Muthwillig einher, Und sollten sie klagen? Sie rufen nach dir! Sie wissen, sie tragen Die Liebe von hier. Peter erschrak im Herzen, als er diesen Gesang vernahm; das Lied rief ihm seine Untreue und seinen Wankelmuth nach. Er ruderte stärker, um sich vom Lande zu entfernen und dem Kreise zu entfliehen, den die lieblich lockenden Töne in der stillen Abendluft bildeten. Der Geist der Liebe schwang sich durch den goldenen Himmel; Liebe wollte ihn rückwärts ziehn, Liebe trieb ihn vorwärts, die Wellen murmelten melodisch dazwischen, und klangen wie ein Lied in fremder Sprache, dessen Sinn man aber dennoch erräth. Der Gesang vom Ufer her ward immer schwächer. Schon sah Peter die Bäume am Gestade nicht mehr; es war, als wenn sich ihm die Musik über das Meer nacharbeitete, und endlich matt und kraftlos nicht weiter zu schwimmen wagte, sondern zum einheimischen Ufer zurück schlich; denn jezt hörte er den Gesang nur noch wie ein leises Wehen des Windes, und jezt erlosch auch die letzte Spur, und die Wellen rieselten nur, und der Ruderschlag ertönte durch die einsame Stille. 15. Wie Peter wieder zu Christen kam. Wie der Gesang verschollen war, faßte Peter wieder frischen Muth; er ließ das Schifflein vom Winde hintreiben, setzte sich nieder und sang: Wie froh und frisch mein Sinn sich hebt, Zurückbleibt alles Bangen, Die Brust mit neuem Muthe strebt, Erwacht ein neu Verlangen. Die Sterne spiegeln sich im Meer, Und golden glänzt die Fluth. -- Ich rannte taumelnd hin und her, Und war nicht schlimm, nicht gut. Doch niedergezogen Sind Zweifel und wankender Sinn, O tragt mich, ihr schaukelnden Wogen, Zur längst ersehnten Heimath hin. In lieber dämmernder Ferne, Dort rufen einheimische Lieder, Aus jeglichem Sterne Blickt sie mit sanftem Auge nieder. Ebne dich, du treue Welle, Führe mich auf fernen Wegen Zu der vielgeliebten Schwelle, Endlich meinem Glück entgegen! Als das Morgenroth aufging, sah er das Land nur noch wie eine unkenntliche blaue Wolke weit hinunter liegen, und er erschrak beinah, als ihn das allmächtige Meer und der gewölbte Himmel so unermeßlich umgab. In der Ferne segelte ein Schiff auf ihn zu, und er hätte beinah geglaubt, daß er sein ehemaliges Unglück nur von neuem träume; aber als es näher gekommen, sah er, daß die Schiffer Christen waren, die ihn sogleich willig aufnahmen. Er freute sich, als er hörte, daß sie nach Frankreich segelten. 16. Der Ritter auf der Reise. Um die Zeit war der Graf von der Provence nebst seiner Gemalin sehr betrübt, weil sie noch gar keine Nachrichten von ihrem geliebten Sohne bekommen hatten. Besonders aber war die Mutter in Angst, denn sie hatte eine große Sehnsucht, ihren einzigen Sohn nach so langer Zeit wieder zu sehn. Sie sprach oft mit dem Grafen von ihrem Kummer, und daß ihr schöner Sohn wahrscheinlich umgekommen sei. Da sollte ein Fest gegeben werden, und ein Fischer brachte einen großen Fisch in die gräfliche Küche; als ihn der Koch aufschnitt, fand er drei Ringe in dessen Bauche, die er der Gräfin überbrachte. Die Gräfin verwunderte sich über die Maßen, denn sie erkannte sie für eben diejenigen, die sie ihrem Sohne gegeben hatte. Sie sagte daher zu ihrem Gemal: jezt bin ich getröstet, denn da ich so unvermuthet und auf so wunderbare Weise Kundschaft von meinem Sohn bekommen habe, so bin ich auch überzeugt, daß Gott ihn nicht verlassen hat, sondern daß er ihn nach vielen überstandenen Mühseligkeiten in unsre Arme zurück führen wird. -- Peter stand im Schiffe und sah immer nach der Gegend hin, wo die erwünschte Heimath lag. Die Fahrt war glücklich, und man landete an einer kleinen unbewohnten Insel, um süßes Wasser einzunehmen. Alles Schiffsvolk stieg an das Land, und auch Peter. Er ging durch ein anmuthiges Thal und verlor sich hinter einigen Hügeln in das Land hinein; da setzte er sich nieder und sah viele schöne Blumen um sich stehn. Alle blickten ihn wie mit freundlichen, lieblichen Augen an, und er dachte innig an Magelonen, und wie sie ihn geliebt hatte. Wie kann der Liebende, rief er aus, sich nur jemals einsam fühlen? Erinnern mich nicht diese blauen Kelche an ihre holdseligen Augen, dieses goldene Blatt an ihr Haar, die Pracht dieser Lilie und Rose neben einander, an ihre zarten Wangen? Ist es doch, als wenn der Wind in den Blumen sich bewegt, und es, wie auf Saiten versuchen will, ihren süßen Namen auszusprechen; Quellen und Bäume nennen ihn, für die übrigen Menschen unverständlich, aber mir laut und vernehmlich. Er erinnerte sich eines Gesanges, den er vor langer Zeit gedichtet hatte, und wiederholte ihn jezt: Süß ists, mit Gedanken gehn, Die uns zur Geliebten leiten, Wo von blumbewachsnen Höhn Sonnenstrahlen sich verbreiten. Lilien sagen: unser Licht Ist es, was die Wange schmücket; Unsern Schein die Liebste blicket: So das blaue Veilchen spricht. Und mit sanfter Röthe lächeln Rosen ob dem Uebermuth, Kühle Abendwinde fächeln Durch die liebevolle Gluth. All ihr süßen Blümelein, Sei es Farbe, sei's Gestalt, Malt mit liebender Gewalt Meiner Liebsten hellen Schein, Zankt nicht, zarte Blümelein. Rosen, duftende Narzissen, Alle Blumen schöner prangen, Wenn sie ihren Busen küssen Oder in den Locken hangen, Blaue Veilchen, bunte Nelken, Wenn sie sie zur Zierde pflückt, Müssen gern als Putz verwelken, Durch den süßen Tod beglückt. Lehrer sind mir diese Blüthen, Und ich thue wie sie thun, Folge ihnen, wie sie riethen, Ach! ich will gern alles bieten, Kann ich ihr am Busen ruhn. Nicht auf Jahre sie erwerben, Nein, nur kurze, kleine Zeit, Dann in ihren Armen sterben, Sterben ohne Wunsch und Neid. Ach! wie manche Blume klaget Einsam hier im stillen Thal, Sie verwelket eh es taget, Stirbt beim ersten Sonnenstrahl: Ach, so bitter herzlich naget Auch an mir die scharfe Quaal, Daß ich sie und all mein Glücke, Nimmer, nimmermehr erblicke. Er weinte heftig, indem er die letzten Worte sang, denn er glaubte sein Herz zu verstehn, das ihm ein Unglück vorhersagte. Er betrachtete mit thränenden Blicken das Blumenlabirinth um sich her, und es war ihm ein Ergötzen, die Blumen in seiner Einbildung so zu ordnen, daß sie den Namenszug Magelonens ausdrückten. Dann horchte er auf das lispelnde Gras, das ihm etwas zu sagen schien, auf die Blüten, die sich oft zärtlich zu einander neigten, als wenn sie ein herzliches Gespräch von Liebe führen wollten. In der ganzen Natur sah er liebevolle Eintracht, und jedes Geräusch klang seinem Ohre wie ein melodischer Gesang. Darüber verlor er sich immer mehr in Träumen; von den Thränen ermüdet schlief er endlich unter den Blumen ein, und es war ihm im Traum, als wenn er laut den Namen Magelone ausrufen hörte; darüber ging ihm sein Herz wie eine zugeschlossene Knospe auf, und er fühlte eine übergroße Freude. 17. Peter wird von Fischern aufgefunden. Aber der Wind blies indeß lustig in die Segel, und das Schiffsvolk eilte wieder in das Schiff, um abzufahren, nur Peter blieb aus; man rief ihn, aber da er nicht kam, fuhren die übrigen fort. Als sie schon weit vom Ufer entfernt waren, erwachte Peter aus seinem erquickenden Schlafe; er erschrak, als er gewahr ward, daß er geschlafen hatte. Er eilte an das Ufer, aber Niemand war da, und das Schiff nirgend zu sehn. Da senkte sich eine große Traurigkeit in sein Herz, alle seine Hoffnungen waren wieder verschwunden: er stürzte nieder und lag am Ufer des Meeres ohne Besinnung und in tiefer Ohnmacht, so daß es finstre Nacht wurde und er es nicht bemerkte. Als es nach Mitternacht kam, ging der Mond auf, und einige Fischer fuhren mit einem Kahne an die Insel, um ihre Arbeit hier vorzunehmen; sie fanden den Jüngling, der für todt auf der Erde ausgestreckt lag. Das feste Land war nicht weit von dieser Insel, sie luden ihn daher in ihr kleines Schiff, und fuhren wieder ab, um ihn ins Leben zurück zu bringen. Schon unterwegs erwachte Peter; es dünkte ihm seltsam, als ihm der Mond ins Angesicht schien und er die Ruder seufzen hörte, und wie er vernahm, daß zwei fremde Männer mit einander verabredeten, wie sie ihn zu einem alten Schäfer bringen wollten, der sein pflegen würde. Oft kam es ihm vor wie ein Traum, oft wieder wie Wahrheit, und er zweifelte so lange, bis sie endlich mit dem Aufgang der Sonne landeten. Als Peter eine Weile in den erquickenden Sonnenstrahlen gelegen hatte, ward er wieder munter und richtete sich auf; er dankte in einem Gebete Gott, daß er ihm wieder von der menschenleeren Insel geholfen habe, dann gab er den guten Fischern eine Menge Goldes, und ließ sich den Weg nach der Hütte des Schäfers beschreiben. Er ging durch einen dichten, angenehmen Wald, durch dessen dunkle Schatten der Morgen noch dämmerte. Er folgte einem geschlängelten Fußpfade, und überdachte schwermüthig sein Schicksal; alles Ungemach, das er erlitten, kam frisch in seine Seele, und er ward darüber so unmuthig, daß er von Herzen wünschte, endlich zu sterben. Mit diesen Gedanken trat er aus dem Walde und stand vor einer schönen grünen Wiese, die im Morgenlicht glänzte; gegenüber lag eine kleine einsame Hütte, und Schaafe wurden von einem alten Manne einen Hügel hinan getrieben. Alles schimmerte roth und freundlich, und die stille Ruhe umher brachte auch in Peters Seele Ruhe zurück. Er merkte, daß dies die Hütte sei, die ihm die Fischer bezeichnet hatten, und er wünschte, hier einige Tage zu rasten und sich zu erquicken. Er ging daher über die Wiese, auf der viele wilde Blumen roth und gelb und himmelblau blühten, der kleinen Hütte näher. Vor der Thüre saß ein schlankes schönes Mägdlein, zu deren Füßen ein Lamm im Grase spielte; diese sang, indem er über die Wiese schritt: Beglückt, wer vom Getümmel Der Welt sein Leben schließt, Das dorten im Gewimmel Verworren abwärts fließt. Hier sind wir all befreundet, Mensch, Thier und Blumenreich, Von keinem angefeindet Macht uns die Liebe gleich. Die zarten Lämmer springen Vergnügt um meinen Fuß, Die Turteltauben singen Und girren Morgengruß. Der Rosenstrauch mit Grüßen Beut seine Kinder dar, Im Thale dort der süßen Violen blaue Schaar. Und wenn ich Kränze winde, Ertönt und rauscht der Hain, Es duftet mir die Linde Im goldnen Mondenschein. Die Zwietracht bleibt dahinten, Und Stolz, Verfolgung, Neid, Kann nicht die Wege finden Hieher zur goldnen Zeit. Vor mir stehn holde Scherze Und trübe Sorge weicht; Allein mein innres Herze Wird darum doch nicht leicht. Weil ich die Liebe kannte Und Blick und Kuß verstand, So bin ich nun Verbannte Weit ab im fernen Land. Die Freude macht mich trübe, Dunkelt den stillen Sinn, Denn meine zarte Liebe Ist nun auf ewig hin. -- Erinnre und erquicke Dich an vergangner Lust, Am schwermuthsvollen Glücke, Denn sonst zerspringt die Brust. Die Morgenröthe lächelt Mir zwar noch ofte zu, Und matte Hoffnung fächelt Mich dann in schönre Ruh: Daß ich ihn wieder finde, Den ich wohl sonst gekannt, Und daß sich um uns winde Ein glückgewirktes Band. Wer weiß, durch welche Schatten Sein Fuß schon heute geht, Dann kömmt er über Matten Und alles ist verweht, Die Seufzer und die Thränen, Sie löscht das neue Glück, Und Hoffen, Fürchten, Sehnen Verschmilzt in Einen Blick. 18. Beschluß. Peter fühlte sich von dem Gesange wie von einer lieblichen Gewalt nach der Hütte hingezogen. Die Schäferin, welche vor der Thür saß, nahm ihn freundlich auf, und ließ ihn in der Hütte ausruhn und sich erquicken. Die beiden Alten kamen auch bald zurück, und hießen ihren edlen Gast von Herzen willkommen. Magelone ging indessen im Felde nachdenklich auf und ab, denn sie hatte auf den ersten Blick den Ritter erkannt; alle ihre Sorgen waren nun wie Schnee vor der Frühlingssonne hinweg geschmolzen, und ihr Lebenslauf lag grün und erfrischt vor ihr, so weit nur ihr Auge reichte. Sie ging in die Hütte zurück, und gab sich noch nicht zu erkennen. Nach zweien Tagen war Peter wieder ganz zu Kräften gekommen. Er saß mit Magelonen, ohne daß er sie kannte, vor der Thür der Hütte. Bienen und Schmetterlinge schwärmten um sie, und Peter faßte ein Zutrauen zu seiner Verpflegerin, so daß er ihr seine Geschichte und sein ganzes Unglück erzählte. Magelone stand plötzlich auf und ging in ihre Kammer, da löste sie ihre goldenen Locken auf, und machte sie von den Banden frei, die sie bisher gehalten hatten, dann zog sie ihre köstliche Kleidung an, die sie eingeschlossen hielt, und so kam sie plötzlich wieder vor die Augen Peters. Er war vor Erstaunen außer sich, er umarmte die wiedergefundene Geliebte, dann erzählten sie sich ihre Geschichte wieder, und weinten und küßten sich, so daß man hätte ungewiß sein sollen, ob sie vor Jammer oder übergroßer Freude so herzbrechend schluchzten. So verging ihnen der Tag. Dann reiste Peter mit Magelonen zu seinen Eltern, sie wurden vermält, und alles war in der größten Freude; auch der König von Neapel versöhnte sich mit seinem neuen Sohne, und war mit der Heirath wohl zufrieden. Auf dem Orte, wo Peter seine Magelone wieder gefunden hatte, ließ er einen prächtigen Sommerpallast bauen, und setzte den Schäfer zum Aufseher hinein, den er mit vielem Lohne überhäufte. Vor dem Pallast pflanzte er mit seiner jungen Gattin einen Baum; dann sangen sie folgendes Lied, welches sie nachher auf derselben Stelle in jedem Frühjahre wiederholten: Treue Liebe dauert lange, Ueberlebet manche Stund, Und kein Zweifel macht sie bange, Immer bleibt ihr Muth gesund. Dräuen gleich in dichten Schaaren, Fodern gleich zum Wankelmuth Sturm und Tod, setzt den Gefahren Lieb entgegen treues Blut. Und wie Nebel stürzt zurücke Was den Sinn gefangen hält, Und dem heitern Frühlingsblicke Oeffnet sich die weite Welt. Errungen Bezwungen Von Lieb ist das Glück, Verschwunden Die Stunden Sie fliehen zurück; Und selige Lust Sie stillet Erfüllet Die trunkene wonneklopfende Brust, Sie scheide Von Leide Auf immer, Und nimmer Entschwinde die liebliche, selige, himmlische Lust! * * * * * Es war indessen finster geworden. Rosalie klingelte, um Lichter bringen zu lassen, worauf sie sich gegen Friedrich wandte und sagte: Mir ist seit meiner frühen Jugend schon diese Geschichte bekannt, aber ich danke Ihnen dafür, daß Sie das Spital und die Verpflegung der Kranken auf diese Weise unnöthig gemacht haben; das ländliche Gemälde der heitern Wiese und stillen Einsamkeit sind der Imagination weit angenehmer. Ich dachte vor Jahren eben so, antwortete Friedrich, und habe mir deshalb diese Umänderung erlaubt, mit der ich jezt aber um so unzufriedener bin; auch hoffe ich, daß ich Sie wohl noch einmal zu meiner Meinung, und zur alten Erzählung zurück führen werde. Wenn es aber gar nicht erlaubt sein sollte, wandte Auguste ein, alte bekannte Geschichten nach Gutdünken und Laune abzuändern, und sie unserm Geschmack zuzubereiten, so würden wir ohne Zweifel viel verlieren, denn manches ginge ganz unter, das uns so erhalten bleibt. Sind dergleichen Erfindungen schon ehemals umgeschrieben und neu erzählt worden, so begreife ich nicht, warum diese Freiheit nicht jedem neuern Dichter ebenfalls vergönnt sein sollte. In Arabien, wo sie so viele Mährchen erzählen, bleibt man gewiß nicht immer der Sache treu, denn in jedem Erzähler regt sich die Lust, die Umstände anders zu wenden, sie wunderbarer oder anmuthiger zu machen, und sich dadurch die fremde Erfindung anzueignen. Sie mögen nicht Unrecht haben, antwortete Friedrich; wenn aber eine alte Erzählung einen so herzlichen Mittelpunkt hat, der der Geschichte einen großen und rührenden Charakter giebt, so ist es doch wohl nur die Verwöhnung einer neuern Zeit und ihre Beschränktheit, diese Schönheit ganz zu verkennen, und sie mit einer willkührlichen Abänderung verbessern zu wollen, durch welche das Ganze eben so wohl Mittelpunkt als Zweck verliert. Ich bin Ihrer Meinung, sagte Clara. Giebt es etwas Rührenderes (und zwar nicht von der Art des Rührenden, welches man gewöhnlich so nennt), als daß sie sich in treuer Liebe und Hoffnungslosigkeit dem Dienst der Kranken fromm und andächtig widmet? Lange hat sie dem selbstgewählten Berufe mit edler Treue vorgestanden, da kommt er selbst, von Liebe und Sehnsucht ermattet, an der Trennung sterbend, in ihre Pflege (nicht, wie hier erzählt wird, halb ungetreu); sie kennt ihn nicht, sie nimmt ihn auf wie jeden Kranken; da fängt er an zu genesen, er faßt ein Zutrauen zu der guten, alt scheinenden Wärterin und erzählt ihr seine Geschichte; sie, vor Schrecken und Wonne wie vernichtet, geht in die Kammer, löst die rollenden goldgelben Locken auf, wirft das Gewand der Büßenden ab, und tritt so im Jugendglanz dem wieder vor Augen, der mit dem Frühling der Gesundheit den Lenz der Liebe von neuem aufblühen sieht. Das alte Gedicht ist eine Verherrlichung der Liebe und frommen Demuth, die neuere Erzählung ist süß freigeisterisch und ungläubig. Lope de Vega hat unter den Namen der drei Diamanten die Geschichte für das Theater bearbeitet, bemerkte Lothar, und sie in seiner etwas lockern Manier ausgeführt; auf dasjenige, was nach unserer Meinung der Hauptpunkt sein sollte, hat er auch nur wenig Gewicht gelegt. Die Sage selbst scheint mir aber auch völlig undramatisch. Mir nicht, erwiederte Friedrich. Wissen wir doch überhaupt noch nicht recht, was wir dramatisch oder undramatisch nennen sollen. Nach unsern gewöhnlichen Ansichten gehn die Novelle und Erzählung oft von selbst in das Drama über, und viele Novellen sind Komödien nach dieser Meinung, so wie wir auch nicht wenige Komödien besitzen, selbst berühmte, die durchaus nur dialogisirte Novellen sind. Diese können sehr geistreich und witzig sein, wie die des Machiavell zum Beispiel, sind aber darum doch noch keine Schauspiele. Damit Erzählung oder Sage Schauspiel werde, muß ein neues Element hinzu treten, welches das Ganze allseitig durchdringt, und im Mittelpunkte des Gedichtes seine Beglaubigung findet: dazu Individualität und scheinbare Willkühr, zugleich eine Aufopferung alles dessen, was die Novelle reizend macht, so daß es dem ungeübten Auge sogar scheint, als sei eine gute Novelle im Drama nur verdorben worden. Nicht selten hat man Shakspears Lustspiele so angesehn und beurtheilt. Häufig aber, wenn wir vom Dramatischen sprechen, verwechseln wir dieses mit dem Theatralischen, und wiederum ein mögliches besseres Theater mit unserm gegenwärtigen und seiner ungeschickten Form; und in dieser Verwirrung verwerfen wir viele Gegenstände und Gedichte als unschicklich, weil sie sich freilich auf unsrer Bühne nicht ausnehmen würden. Sehn wir also ein, daß ein neues Element erst das dramatische Werk als ein solches beurkundet, so ist wohl ohne Zweifel eine Art der Poesie erlaubt, welche auch das beste Theater nicht brauchen kann, sondern in der Phantasie eine Bühne für die Phantasie erbaut, und Kompositionen versucht, die vielleicht zugleich lyrisch, episch und dramatisch sind, die einen Umfang gewinnen, welcher gewissermaßen dem Roman untersagt ist, und sich Kühnheiten aneignen, die keinem andern dramatischen Gedichte ziemen. Diese Bühne der Phantasie eröffnet der romantischen Dichtkunst ein großes Feld, und auf ihr dürfte diese Magelone und manche alte anmuthige Tradition sich wohl zu zeigen wagen. Ernst sagte hierauf: unter einigen gelehrten Italiänern ist es eine alte hergebrachte Meinung, daß diese Geschichte, so wie wir sie jezt als Volksbuch besitzen, die früheste Uebung des Petrarka gewesen sei, der sie so nach einem Manuskript aus dem zwölften Jahrhundert umgearbeitet habe. Die Erzählung ist so schön und einfach, daß die Sache an sich selbst nicht unwahrscheinlich ist. Manfred schlug ein lautes Gelächter auf, und sagte nach einiger Zeit: O vortrefflich! Die Autoren, die uns den Oktavian und die Heymonskinder in ihrer alten treuherzigen Gestalt gaben, waren gewiß auch keine Stümper, und wer weiß, ob nicht einst entdeckt wird, daß unser Eulenspiegel nichts als eine Umwandlung des berühmten verlorenen Margites ist. Wie recht hat Wilhelm Schlegel, wenn er einmal sagt: die gebildeten Stände in Deutschland haben noch keine Literatur, aber der Bauer hat sie. Denn wohl sind in diesen unscheinbaren schlecht gedruckten Schriften fast alle Elemente der Poesie, vom Heroischen bis zum Zärtlichen und hinab zum kräftig Komischen, ausgesprochen. Ich muß hier auf meine Verwunderung zurück kommen: was meinen nemlich nur die Herren, die mit fanatischer Vernünftigkeit und Mangel alles poetischen Sinnes diese Bücher verfolgen, sie dem Bauer nehmen und Strafen auf ihre Verbreitung setzen? Wenn ich nicht irre, war vor einigen dreißig Jahren der gute alte Büsching der erste, welcher auf diesen Krieg antrug; seine Stimme wurde damals nicht gehört; jezt aber dringt seine gut gemeinte Thorheit durch, zu einer Zeit, wo man sich doch zugleich bemüht, Patriotismus und die alten verstorbenen Tugenden, die dem Aufgeklärteren ja auch nur Aberglaube waren, wieder aufzupflanzen. Ich möchte mir doch nur das Böse nennen und aufzeigen lassen, welches diese unschuldigen Poesien schon hervorgebracht haben. Oder hätten diese Herren diese Bücher vielleicht gar nicht gelesen? Der Druck ist nicht der beste, die Vignetten sind nicht in punktirter Manier, auch hat sich weder Petrarka noch ein andrer berühmter Name bei ihrer Herausgabe genannt, und das ist freilich verdächtig genug. Sollten denn wirklich etwa die paar freien Späße im Eulenspiegel und den Schildbürgern die Nation verderben können? Wird man denn die Schenken verschließen, oder einen Polizeiwächter hinein setzen, der jeden nicht sittlichen Spaß eines lustigen Bruders aufzeichnet und der Behörde einreicht? Oder hofft man wirklich durch das alberne moralische Gewäsch, welches sie jezt als Volksbücher drucken lassen, von gutgearteten Gatten und saubern Kindern, Birnenmost, Giftkräutern und Wohlthätigkeit, die niederen Stände so tief in die edle Gesinnung hinein und unterzutauchen, daß keiner mehr eine Zwei- oder Eindeutigkeit spricht und denkt? O der glorreichen Aussicht in das künftige Jahrhundert! Suchte man nur etwa, sagte Wilibald, die astrologischen und Zauberbücher, deren es noch hie und da, aber auch nur selten giebt, zu verbannen, so hätte die Sache Sinn, aber so ist sie freilich eine Erscheinung, die im grellsten Widerspruche mit der Zeit steht, die dieselben verfolgten Bücher zu achten und zu studiren anfängt. Im Gegentheil, fuhr Ernst fort, sollten wir dem gemeinen Manne nicht nur diese Poesien lassen, sondern ihm auch eine ihm verständliche Bearbeitung der Niebelungen und der Heldenbücher in die Hände zu spielen suchen, damit er sich vor der weichlichen leeren Leserei bewahre, die auch ihn zu ergreifen und auszuhöhlen droht. Der Spanier hat, zu unsrer Beschämung, eine höchst wohlfeile Ausgabe seines vortrefflichen Don Quixote, mit schlechten Holzschnitten und auf grobem Papier. Aber bei uns ist es keinem, auch in der ersten Begeisterung eingefallen, dem deutschen Bauer etwa den Götz von Berlichingen so anzubieten. Ließe man doch überhaupt das Bewachen des Volks, und lernte es erst kennen, wäre dann selber erzogen, um andre zu erziehn, und suchte nicht eine falsche, schwächliche Bildung Nationen aufzuprägen. Mit Verlaub, sagte Theodor, daß ich diesen Diskurs unterbreche, es wird sonst Mitternacht, ehe wir unsre Vorlesungen geendigt haben. Er fing an. Die Elfen. 1811. Wo ist denn die Marie, unser Kind? fragte der Vater. Sie spielt draußen auf dem grünen Platze, antwortete die Mutter, mit dem Sohne unsers Nachbars. Daß sie sich nicht verlaufen, sagte der Vater besorgt; sie sind unbesonnen. Die Mutter sah nach den Kleinen und brachte ihnen ihr Vesperbrod. Es ist heiß! sagte der Bursche, und das kleine Mädchen langte begierig nach den rothen Kirschen. Seid nur vorsichtig, Kinder, sprach die Mutter, lauft nicht zu weit vom Hause, oder in den Wald hinein, ich und der Vater gehn aufs Feld hinaus. Der junge Andres antwortete: o sei ohne Sorge, denn vor dem Walde fürchten wir uns, wir bleiben hier beim Hause sitzen, wo Menschen in der Nähe sind. Die Mutter ging und kam bald mit dem Vater wieder heraus. Sie verschlossen ihre Wohnung und wandten sich nach dem Felde, um nach den Knechten und zugleich auf der Wiese nach der Heuernte zu sehn. Ihr Haus lag auf einer kleinen grünen Anhöhe, von einem zierlichen Stakete umgeben, welches auch ihren Frucht- und Blumengarten umschloß; das Dorf zog sich etwas tiefer hinunter, und jenseit erhob sich das gräfliche Schloß. Martin hatte von der Herrschaft das große Gut gepachtet, und lebte mit seiner Frau und seinem einzigen Kinde vergnügt, denn er legte jährlich zurück, und hatte die Aussicht, durch Thätigkeit ein vermögender Mann zu werden, da der Boden ergiebig war und der Graf ihn nicht drückte. Indem er mit seiner Frau nach seinen Feldern ging, schaute er fröhlich um sich, und sagte: wie ist doch die Gegend hier so ganz anders, Brigitte, als diejenige, in der wir sonst wohnten. Hier ist es so grün, das ganze Dorf prangt von dichtgedrängten Obstbäumen, der Boden ist voll schöner Kräuter und Blumen, alle Häuser sind munter und reinlich, die Einwohner wohlhabend, ja mir dünkt, die Wälder hier sind schöner und der Himmel blauer, und so weit nur das Auge reicht, sieht man seine Lust und Freude an der freigebigen Natur. So wie man nur, sagte Brigitte, dort jenseit des Flusses ist, so befindet man sich wie auf einer andern Erde, alles so traurig und dürr; jeder Reisende behauptet aber auch, daß unser Dorf weit und breit in der Runde das schönste sei. Bis auf jenen Tannengrund, erwiederte der Mann; schau einmal dorthin zurück, wie schwarz und traurig der abgelegene Fleck in der ganzen heitern Umgebung liegt; hinter den dunkeln Tannenbäumen die rauchige Hütte, die verfallenen Ställe, der schwermüthig vorüberfließende Bach. Es ist wahr, sagte die Frau, indem beide still standen, so oft man sich jenem Platze nur nähert, wird man traurig und beängstigt, man weiß selbst nicht warum. Wer nur die Menschen eigentlich sein mögen, die dort wohnen, und warum sie sich doch nur so von allen in der Gemeinde entfernt halten, als wenn sie kein gutes Gewissen hätten. Armes Gesindel, erwiederte der junge Pachter, dem Anschein nach Zigeunervolk, die in der Ferne rauben und betrügen, und hier vielleicht ihren Schlupfwinkel haben. Mich wundert nur, daß die gnädige Herrschaft sie duldet. Es können auch wohl, sagte die Frau weichmüthig, arme Leute sein, die sich ihrer Armuth schämen, denn man kann ihnen doch eben nichts Böses nachsagen; nur ist es bedenklich, daß sie sich nicht zur Kirche halten, und man auch eigentlich nicht weiß, wovon sie leben, denn der kleine Garten, der noch dazu ganz wüst zu liegen scheint, kann sie unmöglich ernähren, und Felder haben sie nicht. Weiß der liebe Gott, fuhr Martin fort, indem sie weiter gingen, was sie treiben mögen; kommt doch auch kein Mensch zu ihnen, denn der Ort, wo sie wohnen, ist ja wie verbannt und verhext, so daß sich auch die vorwitzigsten Bursche nicht hingetrauen. Dieses Gespräch setzten sie fort, indem sie sich in das Feld wandten. Jene finstre Gegend, von welcher sie sprachen, lag abseits vom Dorfe. In einer Vertiefung, welche Tannen umgaben, zeigte sich eine Hütte und verschiedene fast zertrümmerte Wirthschaftsgebäude, nur selten sah man Rauch dort aufsteigen, noch seltner wurde man Menschen gewahr; jezuweilen hatten Neugierige, die sich etwas näher gewagt, auf der Bank vor der Hütte einige abscheuliche Weiber in zerlumptem Anzuge wahrgenommen, auf deren Schooß eben so häßliche und schmuzige Kinder sich wälzten; schwarze Hunde liefen vor dem Reviere, in Abendstunden ging wohl ein ungeheurer Mann, den Niemand kannte, über den Steg des Baches und verlor sich in die Hütte hinein; dann sah man in der Finsterniß sich verschiedene Gestalten, wie Schatten um ein ländliches Feuer bewegen. Dieser Grund, die Tannen und die verfallene Hütte machten wirklich in der heitern grünen Landschaft, gegen die weißen Häuser des Dorfes und gegen das prächtige neue Schloß, den sonderbarsten Abstich. Die beiden Kinder hatten jezt die Früchte verzehrt; sie verfielen darauf, in die Wette zu laufen, und die kleine behende Marie gewann dem langsameren Andres immer den Vorsprung ab. So ist es keine Kunst! rief endlich dieser aus, aber laß es uns einmal in die Weite versuchen, dann wollen wir sehen, wer gewinnt! Wie du willst, sagte die Kleine, nur nach dem Strome dürfen wir nicht laufen. Nein, erwiederte Andres, aber dort auf jenem Hügel steht der große Birnbaum, eine Viertelstunde von hier, ich laufe hier links um den Tannengrund vorbei, du kannst rechts in das Feld hinein rennen, daß wir nicht eher als oben wieder zusammen kommen, so sehen wir dann, wer der beste ist. Gut, sagte Marie, und fing schon an zu laufen, so hindern wir uns auch nicht auf demselben Wege, und der Vater sagt ja, es sei zum Hügel hinauf gleich weit, ob man diesseits, ob man jenseits der Zigeunerwohnung geht. Andres war schon vorangesprungen und Marie, die sich rechts wandte, sah ihn nicht mehr. Er ist eigentlich dumm, sagte sie zu sich selbst, denn ich dürfte nur den Muth fassen, über den Steg, bei der Hütte vorbei, und drüben wieder über den Hof hinaus zu laufen, so käme ich gewiß viel früher an. Schon stand sie vor dem Bache und dem Tannenhügel. Soll ich? Nein, es ist doch zu schrecklich, sagte sie. Ein kleines weißes Hündchen stand jenseit und bellte aus Leibeskräften. Im Erschrecken kam das Thier ihr wie ein Ungeheuer vor, und sie sprang zurück. O weh! sagte sie, nun ist der Bengel weit voraus, weil ich hier steh und überlege. Das Hündchen bellte immer fort, und da sie es genauer betrachtete, kam es ihr nicht mehr fürchterlich, sondern im Gegentheil ganz allerliebst vor: es hatte ein rothes Halsband um, mit einer glänzenden Schelle, und so wie es den Kopf hob und sich im Bellen schüttelte, erklang die Schelle äußerst lieblich. Ei! es will nur gewagt sein! rief die kleine Marie, ich renne was ich kann, und bin schnell, schnell jenseit wieder hinaus, sie können mich doch eben nicht gleich von der Erde weg auffressen! Somit sprang das muntere muthige Kind auf den Steg, rasch an den kleinen Hund vorüber, der still ward und sich an ihr schmeichelte, und nun stand sie im Grunde, und rund umher verdeckten die schwarzen Tannen die Aussicht nach ihrem elterlichen Hause und der übrigen Landschaft. Aber wie war sie verwundert. Der bunteste, fröhlichste Blumengarten umgab sie, in welchem Tulpen, Rosen und Lilien mit den herrlichsten Farben leuchteten, blaue und goldrothe Schmetterlinge wiegten sich in den Blüten, in Käfigen aus glänzendem Drath hingen an den Spalieren vielfarbige Vögel, die herrliche Lieder sangen, und Kinder in weißen kurzen Röckchen, mit gelockten gelben Haaren und hellen Augen, sprangen umher, einige spielten mit kleinen Lämmern, andere fütterten die Vögel, oder sammelten Blumen und schenkten sie einander, andere wieder aßen Kirschen, Weintrauben und röthliche Aprikosen. Keine Hütte war zu sehn, aber wohl stand ein großes schönes Haus mit eherner Thür und erhabenem Bildwerk leuchtend in der Mitte des Raumes. Marie war vor Erstaunen außer sich und wußte sich nicht zu finden; da sie aber nicht blöde war, ging sie gleich zum ersten Kinde, reichte ihm die Hand und bot ihm guten Tag. Kommst du uns auch einmal zu besuchen? sagte das glänzende Kind; ich habe dich draußen rennen und springen sehn, aber vor unserm Hündchen hast du dich gefürchtet. -- So seid ihr wohl keine Zigeuner und Spitzbuben, sagte Marie, wie Andres immer spricht? O freilich ist der nur dumm, und redet viel in den Tag hinein. -- Bleib nur bei uns, sagte die wunderbare Kleine, es soll dir schon gefallen. -- Aber wir laufen ja in die Wette. -- Zu ihm kommst du noch früh genug zurück. Da nimm, und iß! -- Marie aß, und fand die Früchte so süß, wie sie noch keine geschmeckt hatte, und Andres, der Wettlauf, und das Verbot ihrer Eltern waren gänzlich vergessen. Eine große Frau in glänzendem Kleide trat herzu, und fragte nach dem fremden Kinde. Schönste Dame, sagte Marie, von ohngefähr bin ich herein gelaufen, und da wollen sie mich hier behalten. Du weißt, Zerina, sagte die Schöne, daß es ihr nur kurze Zeit erlaubt ist, auch hättest du mich erst fragen sollen. Ich dachte, sagte das glänzende Kind, weil sie doch schon über die Brücke gelassen war, könnt' ich es thun; auch haben wir sie ja oft im Felde laufen sehn, und du hast dich selber über ihr muntres Wesen gefreut; wird sie uns doch früh genug verlassen müssen. Nein, ich will hier bleiben, sagte die Fremde, denn hier ist es schön, auch finde ich hier das beste Spielzeug und dazu Erdbeeren und Kirschen, draußen ist es nicht so herrlich. Die goldbekleidete Frau entfernte sich lächelnd, und viele von den Kindern sprangen jezt um die fröhliche Marie mit Lachen her, neckten sie und ermunterten sie zu Tänzen, andre brachten ihr Lämmer oder wunderbares Spielgeräth, andre machten auf Instrumenten Musik und sangen dazu. Am liebsten aber hielt sie sich zu der Gespielin, die ihr zuerst entgegen gegangen war, denn sie war die freundlichste und holdseligste von allen. Die kleine Marie rief einmal über das andre: ich will immer bei euch bleiben und ihr sollt meine Schwestern sein, worüber alle Kinder lachten und sie umarmten. Jezt wollen wir ein schönes Spiel machen, sagte Zerina. Sie lief eilig in den Pallast und kam mit einem goldenen Schächtelchen zurück, in welchem sich glänzender Saamenstaub befand. Sie faßte mit den kleinen Fingern, und streute einige Körner auf den grünen Boden. Alsbald sah man das Gras wie in Wogen rauschen, und nach wenigen Augenblicken schlugen glänzende Rosengebüsche aus der Erde, wuchsen schnell empor und entfalteten sich plötzlich, indem der süßeste Wohlgeruch den Raum erfüllte. Auch Maria faßte von dem Staube, und als sie ihn ausgestreut hatte, tauchten weiße Lilien und die buntesten Nelken hervor. Auf einen Wink Zerinas verschwanden die Blumen wieder und andre erschienen an ihrer Stelle. Jezt, sagte Zerina, mache dich auf etwas Größeres gefaßt. Sie legte zwei Pinienkörner in den Boden und stampfte sie heftig mit dem Fuße ein. Zwei grüne Sträucher standen vor ihnen. Fasse dich fest mit mir, sagte sie, und Maria schlang die Arme um den zarten Leib. Da fühlte sie sich empor gehoben, denn die Bäume wuchsen unter ihnen mit der größten Schnelligkeit; die hohen Pinien bewegten sich und die beiden Kinder hielten sich hin und wieder schwebend in den rothen Abendwolken umarmt und küßten sich; die andern Kleinen kletterten mit behender Geschicklichkeit an den Stämmen der Bäume auf und nieder, und stießen und neckten sich, wenn sie sich begegneten, unter lautem Gelächter. Stürzte eins der Kinder im Gedränge hinunter, so flog es durch die Luft und senkte sich langsam und sicher zur Erde hinab. Endlich fürchtete sich Marie; die andre Kleine sang einige laute Töne, und die Bäume versenkten sich wieder eben so allgemach in den Boden, und setzten sie nieder, als sie sich erst in die Wolken gehoben hatten. Sie gingen durch die erzene Thür des Pallastes. Da saßen viele schöne Frauen umher, ältere und junge, im runden Saal, sie genossen die lieblichsten Früchte, und eine herrliche unsichtbare Musik erklang. In der Wölbung der Decke waren Palmen, Blumen und Laubwerk gemalt, zwischen denen Kinderfiguren in den anmuthigsten Stellungen kletterten und schaukelten; nach den Tönen der Musik verwandelten sich die Bildnisse und glühten in den brennendsten Farben; bald war das Grüne und Blaue wie helles Licht funkelnd, dann sank die Farbe erblassend zurück, der Purpur flammte auf und das Gold entzündete sich; dann schienen die nackten Kinder in den Blumengewinden zu leben, und mit den rubinrothen Lippen den Athem einzuziehn und auszuhauchen, so daß man wechselnd den Glanz der weißen Zähnchen wahrnahm, so wie das Aufleuchten der himmelblauen Augen. Aus dem Saale führten eherne Stufen in ein großes unterirdisches Gemach. Hier lag viel Gold und Silber, und Edelsteine von allen Farben funkelten dazwischen. Wundersame Gefäße standen an den Wänden umher, alle schienen mit Kostbarkeiten angefüllt. Das Gold war in mannichfaltigen Gestalten gearbeitet und schimmerte mit der freundlichsten Röthe. Viele kleine Zwerge waren beschäftigt, die Stücke auseinander zu suchen und sie in die Gefäße zu legen; andre, höckricht und krummbeinicht, mit langen rothen Nasen, trugen schwer und vorn über gebückt Säcke herein, so wie die Müller Getraide, und schütteten die Goldkörner keuchend auf dem Boden aus. Dann sprangen sie ungeschickt rechts und links, und griffen die rollenden Kugeln, die sich verlaufen wollten, und es geschah nicht selten, daß einer den andern im Eifer umstieß, so daß sie schwer und tölpisch zur Erde fielen. Sie machten verdrüßliche Gesichter und sahen scheel, als Marie über ihre Geberden und Häßlichkeit lachte. Hinten saß ein alter eingeschrumpfter kleiner Mann, welchen Zerina ehrerbietig grüßte, und der nur mit ernstem Kopfnicken dankte. Er hielt ein Zepter in der Hand und trug eine Krone auf dem Haupte, alle übrigen Zwerge schienen ihn für ihren Herren anzuerkennen und seinen Winken zu gehorchen. Was giebts wieder? fragte er mürrisch, als die Kinder ihm etwas näher kamen. Marie schwieg furchtsam, aber ihre Gespielin antwortete, daß sie nur gekommen seien, sich in den Kammern umzuschauen. Immer die alten Kindereien! sagte der Alte; wird der Müßiggang nie aufhören? Darauf wandte er sich wieder an sein Geschäft und ließ die Goldstücke wägen und aussuchen; andre Zwerge schickte er fort, manchen schalt er zornig. Wer ist der Herr? fragte Marie; unser Metallfürst, sagte die Kleine, indem sie weiter gingen. Sie schienen sich wieder im Freien zu befinden, denn sie standen an einem großen Teiche, aber doch schien keine Sonne, und sie sahen keinen Himmel über sich. Ein kleiner Nachen empfing sie, und Zerina ruderte sehr ämsig. Die Fahrt ging schnell. Als sie in die Mitte des Teiches gekommen waren, sah Marie, daß tausend Röhren, Kanäle und Bäche sich aus dem kleinen See nach allen Richtungen verbreiteten. Diese Wasser rechts, sagte das glänzende Kind, fließen unter euren Garten hinab, davon blüht dort alles so frisch; von hier kömmt man in den großen Strom hinunter. Plötzlich kamen aus allen Kanälen und aus dem See unendlich viele Kinder auftauchend angeschwommen, viele trugen Kränze von Schilf und Wasserlilien, andre hielten rothe Korallenzacken, und wieder andre bliesen auf krummen Muscheln; ein verworrenes Getöse schallte lustig von den dunkeln Ufern wieder; zwischen den Kleinen bewegten sich schwimmend die schönsten Frauen, und oft sprangen viele Kinder zu der einen oder der andern, und hingen ihnen mit Küssen um Hals und Nacken. Alle begrüßten die Fremde; zwischen diesem Getümmel hindurch fuhren sie aus dem See in einen kleinen Fluß hinein, der immer enger und enger ward. Endlich stand der Nachen. Man nahm Abschied und Zerina klopfte an den Felsen. Wie eine Thür that sich dieser von einander, und eine ganz rothe weibliche Gestalt half ihnen aussteigen. Geht es recht lustig zu? fragte Zerina. Sie sind eben in Thätigkeit, antwortete jene, und so freudig, wie man sie nur sehn kann, aber die Wärme ist auch äußerst angenehm. Sie stiegen eine Wendeltreppe hinauf, und plötzlich sah sich Marie in dem glänzendsten Saal, so daß beim Eintreten ihre Augen vom hellen Lichte geblendet waren. Feuerrothe Tapeten bedeckten mit Purpurgluth die Wände, und als sich das Auge etwas gewöhnt hatte, sah sie zu ihrem Erstaunen, wie im Teppich sich Figuren tanzend auf und nieder in der größten Freude bewegten, die so lieblich gebaut und von so schönen Verhältnissen waren, daß man nichts Anmuthigeres sehn konnte; ihr Körper war wie von röthlichem Kristall, so daß es schien, als flösse und spielte in ihnen sichtbar das bewegte Blut. Sie lachten das fremde Kind an, und begrüßten es mit verschiedenen Beugungen; aber als Marie näher gehen wollte, hielt sie Zerina plötzlich mit Gewalt zurück, und rief: du verbrennst dich, Mariechen, denn alles ist Feuer! Marie fühlte die Hitze. Warum kommen nur, sagte sie, die allerliebsten Kreaturen nicht zu uns heraus, und spielen mit uns? Wie du in der Luft lebst, sagte jene, so müssen sie immer im Feuer bleiben, und würden hier draußen verschmachten. Sieh nur, wie ihnen wohl ist, wie sie lachen und kreischen; jene dort unten verbreiten die Feuerflüsse von allen Seiten unter der Erde hin, davon wachsen nun die Blumen, die Früchte und der Wein; die rothen Ströme gehn neben den Wasserbächen, und so sind die flammigen Wesen immer thätig und freudig. Aber dir ist es hier zu heiß, wir wollen wieder hinaus in den Garten gehn. Hier hatte sich die Scene verwandelt. Der Mondschein lag auf allen Blumen, die Vögel waren still und die Kinder schliefen in mannichfaltigen Gruppen in den grünen Lauben. Marie und ihre Freundin fühlten aber keine Müdigkeit, sondern lustwandelten in der warmen Sommernacht unter vielerlei Gesprächen bis zum Morgen. Als der Tag anbrach, erquickten sie sich an Früchten und Milch, und Marie sagte: laß uns doch zur Abwechselung einmal nach den Tannen hinaus gehn, wie es dort aussehen mag. Gern, sagte Zerina, so kannst du auch zugleich dorten unsre Schildwachen besuchen, die dir gewiß gefallen werden, sie stehn oben auf dem Walle zwischen den Bäumen. Sie gingen durch die Blumengärten, durch anmuthige Haine voller Nachtigallen, dann stiegen sie über Rebenhügel, und kamen endlich, nachdem sie lange den Windungen eines klaren Baches nachgefolgt waren, zu den Tannen und der Erhöhung, welche das Gebiet begränzte. Wie kommt es nur, fragte Marie, daß wir hier innerhalb so weit zu gehn haben, da doch draußen der Umkreis nur so klein ist? Ich weiß nicht, antwortete die Freundin, wie es zugeht, aber es ist so. Sie stiegen zu den finstern Tannen hinauf, und ein kalter Wind wehte ihnen von draußen entgegen; ein Nebel schien weit umher auf der Landschaft zu liegen. Oben standen wunderliche Gestalten, mit mehligen bestäubten Angesichtern, den widerlichen Häuptern der weißen Eulen nicht unähnlich; sie waren in faltigen Mänteln von zottiger Wolle gekleidet, und hielten Regenschirme von seltsamen Häuten ausgespannt über sich; mit Fledermausflügeln, die abentheuerlich neben dem Rockelor hervor starrten, wehten und fächelten sie unablässig. Ich möchte lachen und mir graut, sagte Marie. Diese sind unsre guten fleißigen Wächter, sagte die kleine Gespielin, sie stehen hier und wehen, damit jeden kalte Angst und wundersames Fürchten befällt, der sich uns nähern will; sie sind aber so bedeckt, weil es jezt draußen regnet und friert, was sie nicht vertragen können. Hier unten kommt niemals Schnee und Wind, noch kalte Luft her, hier ist ein ewiger Sommer und Frühling, doch wenn die da oben nicht oft abgelöst würden, so vergingen sie gar. Aber wer seid ihr denn, fragte Marie, indem sie wieder in die Blumendüfte hinunter stiegen, oder habt ihr keinen Namen, woran man euch erkennt? Wir heißen Elfen, sagte das freundliche Kind, man spricht auch wohl in der Welt von uns, wie ich gehört habe. Sie hörten auf der Wiese ein großes Getümmel. Der schöne Vogel ist angekommen! riefen ihnen die Kinder entgegen; alles eilte in den Saal. Sie sahen indem schon, wie Jung und Alt sich über die Schwelle drängte, alle jauchzten und von innen scholl eine jubilirende Musik heraus. Als sie hinein getreten waren, sahen sie die große Rundung von den mannichfaltigsten Gestalten angefüllt, und alle schauten nach einem großen Vogel hinauf, der in der Kuppel mit glänzendem Gefieder langsam fliegend vielfache Kreise beschrieb. Die Musik klang fröhlicher als sonst, die Farben und Lichter wechselten schneller. Endlich schwieg die Musik, und der Vogel schwang sich rauschend auf eine glänzende Krone, die unter dem hohen Fenster schwebte, welches von oben die Wölbung erleuchtete. Sein Gefieder war purpurn und grün, durch welches sich die glänzendsten goldenen Streifen zogen, auf seinem Haupte bewegte sich ein Diadem von so hellleuchtenden kleinen Federn, daß sie wie Edelgesteine blitzten. Der Schnabel war roth und die Beine glänzend blau. Wie er sich regte, schimmerten alle Farben durcheinander, und das Auge war entzückt. Seine Größe war die eines Adlers. Aber jezt eröffnete er den leuchtenden Schnabel, und so süße Melodie quoll aus seiner bewegten Brust, in schönern Tönen, als die der liebesbrünstigen Nachtigall; mächtiger zog der Gesang und goß sich wie Lichtstrahlen aus, so daß alle, bis auf die kleinsten Kinder selbst, vor Freuden und Entzückungen weinen mußten. Als er geendigt hatte, neigten sich alle vor ihm, er umflog wieder in Kreisen die Wölbung, schoß dann durch die Thür und schwang sich in den lichten Himmel, wo er oben bald nur noch wie ein rother Punkt erglänzte und sich den Augen dann schnell verlor. Warum seid ihr alle so in Freude? fragte Marie und neigte sich zum schönen Kinde, das ihr kleiner als gestern vorkam. Der König kommt! sagte die Kleine, den haben viele von uns noch gar nicht gesehn, und wo er sich hinwendet ist Glück und Fröhlichkeit; wir haben schon lange auf ihn gehofft, sehnlicher, als ihr nach langem Winter auf den Frühling wartet, und nun hat er durch diesen schönen Botschafter seine Ankunft melden lassen. Dieser herrliche und verständige Vogel, der im Dienst des Königes gesandt wird, heißt Phönix, er wohnt fern in Arabien auf einem Baum, der nur einmal in der Welt ist, so wie es auch keinen zweiten Phönix giebt. Wenn er sich alt fühlt, trägt er aus Balsam und Weihrauch ein Nest zusammen, zündet es an und verbrennt sich selbst, so stirbt er singend, und aus der duftenden Asche schwingt sich dann der verjüngte Phönix mit neuer Schönheit wieder auf. Selten nur nimmt er seinen Flug so, daß ihn die Menschen sehn, und geschieht es einmal in Jahrhunderten, so zeichnen sie es in ihre Denkbücher auf, und erwarten wundervolle Begebenheiten. Aber nun, meine Freundin, wirst du auch scheiden müssen, denn der Anblick des Königes ist dir nicht vergönnt. Da wandelte die goldbekleidete schöne Frau durch das Gedränge, winkte Marien zu sich und ging mit ihr unter einen einsamen Laubengang; du mußt uns verlassen, mein geliebtes Kind, sagte sie; der König will auf zwanzig Jahr, und vielleicht auf länger, sein Hoflager hier halten, nun wird sich Fruchtbarkeit und Segen weit in die Landschaft verbreiten, am meisten hier in der Nähe; alle Brunnen und Bäche werden ergiebiger, alle Aecker und Gärten reicher, der Wein edler, die Wiese fetter und der Wald frischer und grüner; mildere Luft weht, kein Hagel schadet, keine Ueberschwemmung droht. Nimm diesen Ring und gedenke unser, doch hüte dich, irgend wem von uns zu erzählen, sonst müssen wir diese Gegend fliehen, und alle umher, so wie du selbst, entbehren dann das Glück und die Segnung unsrer Nähe: noch einmal küsse deine Gespielin und lebe wohl. Sie traten heraus, Zerina weinte, Marie bückte sich, sie zu umarmen, sie trennten sich. Schon stand sie auf der schmalen Brücke, die kalte Luft wehte hinter ihr aus den Tannen, das Hündchen bellte auf das herzhafteste und ließ sein Glöckchen ertönen; sie sah zurück und eilte in das Freie, weil die Dunkelheit der Tannen, die Schwärze der verfallenen Hütten, die dämmernden Schatten sie mit ängstlicher Furcht befielen. Wie werden sich meine Eltern meinethalb in dieser Nacht geängstigt haben! sagte sie zu sich selbst, als sie auf dem Felde stand, und ich darf ihnen doch nicht erzählen, wo ich gewesen bin und was ich gesehn habe, auch würden sie mir nimmermehr glauben. Zwei Männer gingen an ihr vorüber, die sie grüßten, und sie hörte hinter sich sagen: das ist ein schönes Mädchen! Wo mag sie nur her sein? Mit eiligeren Schritten näherte sie sich dem elterlichen Hause, aber die Bäume, die gestern voller Früchte hingen, standen heute dürr und ohne Laub, das Haus war anders angestrichen, und eine neue Scheune daneben erbaut. Marie war in Verwunderung, und dachte, sie sei im Traum; in dieser Verwirrung öffnete sie die Thür des Hauses, und hinter dem Tische saß ihr Vater zwischen einer unbekannten Frau und einem fremden Jüngling. Mein Gott, Vater! rief sie aus, wo ist denn die Mutter? -- die Mutter? sprach die Frau ahndend, und stürzte hervor; ei, du bist doch wohl nicht, -- ja freilich, freilich bist du die verlorene, die todt geglaubte, die liebe einzige Marie! Sie hatte sie gleich an einem kleinen braunen Male unter dem Kinn, an den Augen und der Gestalt erkannt. Alle umarmten sie, alle waren freudig bewegt, und die Eltern vergossen Thränen. Marie verwunderte sich, daß sie fast zum Vater hinauf reichte, sie begriff nicht, wie die Mutter so verändert und geältert sein konnte, sie fragte nach dem Namen des jungen Menschen. Es ist ja unsers Nachbars Andres, sagte Martin, wie kommst du nur nach sieben langen Jahren so unvermuthet wieder? wo bist du gewesen? Warum hast du denn gar nichts von dir hören lassen? -- Sieben Jahr? sagte Marie, und konnte sich in ihren Vorstellungen und Erinnerungen nicht wieder zurecht finden; sieben ganzer Jahre? Ja, ja, sagte Andres lachend, und schüttelte ihr treuherzig die Hand; ich habe gewonnen, Mariechen, ich bin schon vor sieben Jahren an dem Birnbaum und wieder hieher zurück gewesen, und du Langsame, kommst nun heut erst an! Man fragte von neuem, man drang in sie, doch sie, des Verbotes eingedenk, konnte keine Antwort geben. Man legte ihr fast die Erzählung in den Mund, daß sie sich verirrt habe, auf einen vorbeifahrenden Wagen genommen, und an einen fremden Ort geführt sei, wo sie den Leuten den Wohnsitz ihrer Eltern nicht habe bezeichnen können; wie man sie nachher nach einer weit entlegenen Stadt gebracht habe, wo gute Menschen sie erzogen und geliebt; wie diese nun gestorben, und sie sich endlich wieder auf ihre Geburtsgegend besonnen, eine Gelegenheit zur Reise ergriffen habe und so zurück gekehrt sei. Laßt alles gut sein, rief die Mutter; genug, daß wir dich nur wieder haben, mein Töchterchen, du meine Einzige, mein Alles! Andres blieb zum Abendbrod, und Marie konnte sich noch in nichts finden. Das Haus dünkte ihr klein und finster, sie verwunderte sich über ihre Tracht, die reinlich und einfach, aber ganz fremd erschien; sie betrachtete den Ring am Finger, dessen Gold wundersam glänzte und einen roth brennenden Stein künstlich einfaßte. Auf die Frage des Vaters antwortete sie, daß der Ring ebenfalls ein Geschenk ihrer Wohlthäter sei. Sie freute sich auf die Schlafenszeit, und eilte zur Ruhe. Am andern Morgen fühlte sie sich besonnener, sie hatte ihre Vorstellungen mehr geordnet, und konnte den Leuten aus dem Dorfe, die alle sie zu begrüßen kamen, besser Red' und Antwort geben. Andres war schon mit dem Frühesten wieder da, und zeigte sich äußerst geschäftig, erfreut und dienstfertig. Das funfzehnjährige aufgeblühte Mädchen hatte ihm einen tiefen Eindruck gemacht, und die Nacht war ihm ohne Schlaf vergangen. Die Herrschaft ließ Marien auf das Schloß fordern, sie mußte hier wieder ihre Geschichte erzählen, die ihr nun schon geläufig geworden war; der alte Herr und die gnädige Frau bewunderten ihre gute Erziehung, denn sie war bescheiden, ohne verlegen zu sein, sie antwortete höflich und in guten Redensarten auf alle vorgelegten Fragen; die Furcht vor den vornehmen Menschen und ihrer Umgebung hatte sich bei ihr verloren, denn wenn sie diese Säle und Gestalten mit den Wundern und der hohen Schönheit maß, die sie bei den Elfen im heimlichen Aufenthalt gesehen hatte, so erschien ihr dieser irdische Glanz nur dunkel, die Gegenwart der Menschen fast geringe. Die jungen Herren waren vorzüglich über ihre Schönheit entzückt. Es war im Februar. Die Bäume belaubten sich früher als je, so zeitig hatte sich die Nachtigall noch niemals eingestellt, der Frühling kam schöner in das Land, als ihn sich die ältesten Greise erinnern konnten. Aller Orten thaten sich Bächlein hervor und tränkten die Wiesen und Auen; die Hügel schienen zu wachsen, die Rebengeländer erhuben sich höher, die Obstbäume blühten wie niemals, und ein schwellender duftender Segen hing schwer in Blütenwolken über der Landschaft. Alles gedieh über Erwarten, kein rauher Tag, kein Sturm beschädigte die Frucht; der Wein quoll erröthend in ungeheuern Trauben, und die Einwohner des Ortes staunten sich an, und waren wie in einem süßen Traum befangen. Das folgende Jahr war eben so, aber man war schon an das Wundersame mehr gewöhnt. Im Herbst gab Marie den dringenden Bitten des Andres und ihrer Eltern nach: sie ward seine Braut und im Winter mit ihm verheirathet. Oft dachte sie mit inniger Sehnsucht an ihren Aufenthalt hinter den Tannenbäumen zurück; sie blieb still und ernst. So schön auch alles war, was sie umgab, so kannte sie doch etwas noch Schöneres, wodurch eine leise Trauer ihr Wesen zu einer sanften Schwermuth stimmte. Schmerzhaft traf es sie, wenn der Vater oder ihr Mann von den Zigeunern und Schelmen sprachen, die im finstern Grunde wohnten; oft wollte sie sie vertheidigen, die sie als Wohlthäter der Gegend kannte, vorzüglich gegen Andres, der eine Lust im eifrigen Schelten zu finden schien, aber sie zwang das Wort jedesmal in ihre Brust zurück. So verlebte sie das Jahr, und im folgenden ward sie durch eine junge Tochter erfreut, welche sie Elfriede nannte, indem sie dabei an den Namen der Elfen dachte. Die jungen Leute wohnten mit Martin und Brigitte in demselben Hause, welches geräumig genug war, und halfen den Eltern die ausgebreitete Wirthschaft führen. Die kleine Elfriede zeigte bald besondere Fähigkeiten und Anlagen, denn sie lief sehr früh, und konnte alles sprechen, als sie noch kein Jahr alt war; nach einigen Jahren aber war sie so klug und sinnig, und von so wunderbarer Schönheit, daß alle Menschen sie mit Erstaunen betrachteten, und ihre Mutter sich nicht der Meinung erwehren konnte, sie sehe jenen glänzenden Kindern im Tannengrunde ähnlich. Elfriede hielt sich nicht gern zu andern Kindern, sondern vermied bis zur Aengstlichkeit ihre geräuschvollen Spiele, und war am liebsten allein. Dann zog sie sich in eine Ecke des Gartens zurück, und las oder arbeitete eifrig am kleinen Nähzeuge; oft sah man sie auch wie tief in sich versunken sitzen, oder daß sie in Gängen heftig auf und nieder ging und mit sich selber sprach. Die beiden Eltern ließen sie gern gewähren, weil sie gesund war und gedieh, nur machten sie die seltsamen verständigen Antworten und Bemerkungen oft besorgt. So kluge Kinder, sagte die Großmutter Brigitte vielmals, werden nicht alt, sie sind zu gut für diese Welt, auch ist das Kind über die Natur schön, und wird sich auf Erden nicht zurecht finden können. Die Kleine hatte die Eigenheit, daß sie sich höchst ungern bedienen ließ, alles wollte sie selber machen. Sie war fast die früheste auf im Hause, und wusch sich sorgfältig und kleidete sich selber an; eben so sorgsam war sie am Abend, sie achtete sehr darauf, Kleider und Wäsche selbst einzupacken, und durchaus Niemand, auch die Mutter nicht, über ihre Sachen kommen zu lassen. Die Mutter sah ihr in diesem Eigensinne nach, weil sie sich nichts weiter dabei dachte, aber wie erstaunte sie, als sie sie an einem Feiertage, zu einem Besuch auf dem Schlosse, mit Gewalt umkleidete, so sehr sich auch die Kleine mit Geschrei und Thränen dagegen wehrte, und auf ihrer Brust an einem Faden hängend, ein Goldstück von seltsamer Form antraf, welches sie sogleich für eines von jenen erkannte, deren sie so viele in dem unterirdischen Gewölbe gesehn hatte. Die Kleine war sehr erschrocken, und gestand endlich, sie habe es im Garten gefunden, und da es ihr sehr wohlgefallen, habe sie es so ämsig aufbewahrt; sie bat auch so dringend und herzlich, es ihr zu lassen, daß Marie es wieder auf derselben Stelle befestigte und voller Gedanken mit ihr stillschweigend zum Schlosse hinauf ging. Seitwärts vom Hause der Pachterfamilie lagen einige Wirthschaftsgebäude zur Aufbewahrung der Früchte und des Feldgeräthes, und hinter diesen befand sich ein Grasplatz mit einer alten Laube, die aber kein Mensch jezt besuchte, weil sie nach der neuen Einrichtung der Gebäude zu entfernt vom Garten war. In dieser Einsamkeit hielt sich Elfriede am liebsten auf, und es fiel Niemanden ein, sie hier zu stören, so daß die Eltern oft in halben Tagen ihrer nicht ansichtig wurden. An einem Nachmittage befand sich die Mutter in den Gebäuden, um aufzuräumen und eine verlorene Sache wieder zu finden, als sie wahrnahm, daß durch eine Ritze der Mauer ein Lichtstrahl in das Gemach falle. Es kam ihr der Gedanke, hindurch zu sehn, um ihr Kind zu beobachten, und es fand sich, daß ein locker gewordener Stein sich von der Seite schieben ließ, wodurch sie den Blick gerade hinein in die Laube gewann. Elfriede saß drinnen auf einem Bänkchen, und neben ihr die wohlbekannte Zerina, und beide Kinder spielten und ergötzten sich in holdseliger Eintracht. Die Elfe umarmte das schöne Kind und sagte traurig: Ach, du liebes Wesen, so wie mit dir habe ich schon mit deiner Mutter gespielt, als sie klein war und uns besuchte, aber ihr Menschen wachst zu bald auf und werdet so schnell groß und vernünftig; das ist recht betrübt: bliebest du doch so lange ein Kind, wie ich! Gern thät ich dir den Gefallen, sagte Elfriede, aber sie meinen ja alle, ich würde bald zu Verstande kommen, und gar nicht mehr spielen, denn ich hätte rechte Anlagen, altklug zu werden. Ach! und dann seh' ich dich auch nicht wieder, du liebes Zerinchen! Ja, es geht wie mit den Baumblüten: wie herrlich der blühende Apfelbaum mit seinen röthlichen aufgequollenen Knospen! der Baum thut so groß und breit, und jedermann, der drunter weg geht, meint auch, es müsse recht was Besonderes werden; dann kommt die Sonne, die Blüte geht so leutselig auf, und da steckt schon der böse Kern drunter, der nachher den bunten Putz verdrängt und hinunter wirft; nun kann er sich geängstigt und aufwachsend nicht mehr helfen, er muß im Herbst zur Frucht werden. Wohl ist ein Apfel auch lieb und erfreulich, aber doch nichts gegen die Frühlingsblüte: so geht es mit uns Menschen auch; ich kann mich nicht darauf freuen, ein großes Mädchen zu werden. Ach, könnt' ich euch doch nur einmal besuchen! Seit der König bei uns wohnt, sagte Zerina, ist es ganz unmöglich, aber ich komme ja so oft zu dir, Liebchen, und keiner sieht mich, keiner weiß es, weder hier noch dort; ungesehn geh ich durch die Luft, oder fliege als Vogel herüber; o wir wollen noch recht viel beisammen sein, so lange du klein bist. Was kann ich dir nur zu Gefallen thun? Recht lieb sollst du mich haben, sagte Elfriede, so lieb, wie ich dich in meinem Herzen trage; doch laß uns auch einmal wieder eine Rose machen. Zerina nahm das bekannte Schächtelchen aus dem Busen, warf zwei Körner hin, und plötzlich stand ein grünender Busch mit zweien hochrothen Rosen vor ihnen, welche sich zu einander neigten, und sich zu küssen schienen. Die Kinder brachen die Rosen lächelnd ab, und das Gebüsch war wieder verschwunden. O müßte es nur nicht wieder so schnell sterben, sagte Elfriede, das rothe Kind, das Wunder der Erde. Gieb! sagte die kleine Elfe, hauchte dreimal die aufknospende Rose an, und küßte sie dreimal; nun, sprach sie, indem sie die Blume zurück gab, bleibt sie frisch und blühend bis zum Winter. Ich will sie wie ein Bild von dir aufheben, sagte Elfriede, sie in meinem Kämmerchen wohl bewahren, und sie Morgens und Abends küssen, als wenn du es wärst. Die Sonne geht schon unter, sagte jene, ich muß jezt nach Hause. Sie umarmten sich noch einmal, dann war Zerina verschwunden. Am Abend nahm Marie ihr Kind mit einem Gefühl von Beängstigung und Ehrfurcht in die Arme; sie ließ dem holden Mädchen nun noch mehr Freiheit als sonst, und beruhigte oft ihren Gatten, wenn er, um das Kind aufzusuchen, kam, was er seit einiger Zeit wohl that, weil ihm ihre Zurückgezogenheit nicht gefiel, und er fürchtete, sie könne darüber einfältig, oder gar unklug werden. Die Mutter schlich öfter nach der Spalte der Mauer, und fast immer fand sie die kleine glänzende Elfe neben ihrem Kinde sitzen, mit Spielen beschäftigt, oder in ernsthaften Gesprächen. Möchtest du fliegen können? fragte Zerina einmal ihre Freundin. Wie gerne! rief Elfriede aus. Sogleich umfaßte die Fee die Sterbliche, und schwebte mit ihr vom Boden empor, so daß sie zur Höhe der Laube stiegen. Die besorgte Mutter vergaß ihre Vorsicht, und lehnte sich erschreckend mit dem Kopfe hinaus, um ihnen nachzusehn; da erhob aus der Luft Zerina den Finger und drohte lächelnd, ließ sich mit dem Kinde wieder nieder, herzte sie, und war verschwunden. Es geschah nachher noch öfter, daß Marie von dem wunderbaren Kinde gesehen wurde, welches jedesmal mit dem Kopfe schüttelte oder drohte, aber mit freundlicher Geberde. Oftmals schon hatte bei vorgefallenem Streite Marie im Eifer zu ihrem Manne gesagt: du thust den armen Leuten in der Hütte Unrecht! Wenn Andres dann in sie drang, ihm zu erklären, warum sie der Meinung aller Leute im Dorfe, ja der Herrschaft selber entgegen sei und es besser wissen wolle, brach sie ab, und schwieg verlegen. Heftiger als je ward Andres eines Tages nach Tische und behauptete, das Gesindel müsse als landesverderblich durchaus fortgeschafft werden; da rief sie im Unwillen aus: schweig, denn sie sind deine und unser aller Wohlthäter! Wohlthäter? fragte Andres erstaunt; die Landstreicher? In ihrem Zorne ließ sie sich verleiten, ihm unter dem Versprechen der tiefsten Verschwiegenheit die Geschichte ihrer Jugend zu erzählen, und da er bei jedem ihrer Worte ungläubiger wurde und verhöhnend den Kopf schüttelte, nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn in das Gemach, von wo er zu seinem Erstaunen die leuchtende Elfe mit seinem Kinde in der Laube spielen, und es liebkosen sah. Er wußte kein Wort zu sagen; ein Ausruf der Verwunderung entfuhr ihm, und Zerina erhob den Blick. Sie wurde plötzlich bleich und zitterte heftig, nicht freundlich, sondern mit zorniger Miene machte sie die drohende Geberde, und sagte dann zu Elfrieden: du kannst nichts dafür, geliebtes Herz, aber sie werden niemals klug, so verständig sie sich auch dünken. Sie umarmte die Kleine mit stürmender Eil, und flog dann als Rabe mit heiserem Geschrei über den Garten hinweg, den Tannenbäumen zu. Am Abend war die Kleine sehr still und küßte weinend die Rose, Marien war ängstlich zu Sinne, Andres sprach wenig. Es wurde Nacht. Plötzlich rauschten die Bäume, Vögel flogen mit ängstlichem Geschrei umher, man hörte den Donner rollen, die Erde zitterte und Klagetöne winselten in der Luft. Marie und Andres hatten nicht den Muth aufzustehn; sie hüllten sich in die Decken und erwarteten mit Furcht und Zittern den Tag. Gegen Morgen ward es ruhiger, und alles war still, als die Sonne mit ihrem Lichte über den Wald hervor drang. Andres kleidete sich an, und Marie bemerkte, daß der Stein des Ringes an ihrem Finger verblaßt war. Als sie die Thür öffneten, schien ihnen die Sonne klar entgegen, aber die Landschaft umher kannten sie kaum wieder. Die Frische des Waldes war verschwunden, die Hügel hatten sich gesenkt, die Bäche flossen matt mit wenigem Wasser, der Himmel schien grau, und als man den Blick nach den Tannen hinüber wandte, standen sie nicht finstrer oder trauriger da, als die übrigen Bäume; die Hütten hinter ihnen hatten nichts Abschreckendes, und mehrere Einwohner des Dorfes kamen und erzählten von der seltsamen Nacht, und daß sie über den Hof gegangen seien, wo die Zigeuner gewohnt, die wohl fort gegangen sein müßten, weil die Hütten leer ständen, und im Innern ganz gewöhnlich wie die Wohnungen andrer armen Leute aussähen; einiges vom Hausrath wäre zurück geblieben. Elfriede sagte zu ihrer Mutter heimlich: als ich in der Nacht nicht schlafen konnte, und in der Angst bei dem Getümmel vom Herzen betete, da öffnete sich plötzlich meine Thür, und herein trat meine Gespielin, um Abschied von mir zu nehmen. Sie hatte eine Reisetasche um, einen Hut auf ihrem Kopf, und einen großen Wanderstab in der Hand. Sie war sehr böse auf dich, weil sie deinetwegen nun die größten und schmerzhaftesten Strafen aushalten müsse, da sie dich doch immer so geliebt habe; denn alle, so wie sie sagte, verließen nur sehr ungern diese Gegend. Marie verbot ihr, davon zu sprechen, und indem kam auch der Fährmann vom Strome herüber, welcher Wunderdinge erzählte. Mit einbrechender Nacht war ein großer fremder Mann zu ihm gekommen, welcher ihm bis zu Sonnen-Aufgang die Fähre abgemiethet habe, doch mit der Bedingniß, daß er sich still zu Hause halten und schlafen, wenigstens nicht aus der Thür treten solle. Ich fürchtete mich, fuhr der Alte fort, aber der seltsame Handel ließ mich nicht schlafen. Sacht schlich ich mich ans Fenster und schaute nach dem Strome. Große Wolken trieben unruhig durch den Himmel und die fernen Wälder rauschten bange; es war, als wenn meine Hütte bebte und Klagen und Winseln um das Haus schlich. Da sah ich plötzlich ein weißströmendes Licht, das breiter und immer breiter wurde, wie viele tausend niedergefallene Sterne funkelnd und wogend bewegte es sich von dem finstern Tannengrunde her, zog über das Feld, und verbreitete sich nach dem Flusse hin. Da hörte ich ein Trappeln, ein Klirren, ein Flüstern und Säuseln näher und näher; es ging nach meiner Fähre hin, hinein stiegen alle, große und kleine leuchtende Gestalten, Männer und Frauen, wie es schien, und Kinder, und der große fremde Mann fuhr sie alle hinüber; im Strome schwammen neben dem Fahrzeuge viel tausend helle Gebilde, in der Luft flatterten Lichter und weiße Nebel, und alles klagte und jammerte, daß sie so weit, weit reisen müßten, aus der geliebten angewöhnten Gegend fort. Der Ruderschlag und das Wasser rauschten dazwischen, und dann war wieder plötzlich eine Stille. Oft stieß die Fähre an, und kam zurück und ward von neuem beladen, auch viele schwere Gefäße nahmen sie mit, die gräßliche kleine Gesellen trugen und rollten; waren es Teufel, waren es Kobolde, ich weiß es nicht. Dann kam im wogenden Glanz ein stattlicher Zug. Ein Greis schien es, auf einem weißen kleinen Rosse, um den sich alles drängte; ich sah aber nur den Kopf des Pferdes, denn es war über und über mit kostbaren glänzenden Decken verhangen; auf dem Haupt trug der Alte eine Krone, so daß ich dachte, als er hinüber gefahren, die Sonne wolle von dorten aufgehn, und das Morgenroth funkle mir entgegen. So währte es die ganze Nacht; ich schlief endlich in dem Gewirre ein, zum Theil in Freude, zum Theil in Schauder. Am Morgen war alles ruhig, aber der Fluß ist wie weg gelaufen, so daß ich Noth haben werde mein Fahrzeug zu regieren. Noch in demselben Jahre war ein Mißwachs, die Wälder starben ab, die Quellen vertrockneten, und dieselbe Gegend, die sonst die Freude jedes Durchreisenden gewesen war, stand im Herbst verödet, nackt und kahl, und zeigte kaum hie und da noch im Meere von Sand ein Plätzchen, wo Gras mit fahlem Grün empor wuchs. Die Obstbäume gingen alle aus, die Weinberge verdarben, und der Anblick der Landschaft war so traurig, daß der Graf im folgenden Jahre mit seiner Familie das Schloß verließ, welches nachher verfiel und zur Ruine wurde. Elfriede betrachtete Tag und Nacht mit der größten Sehnsucht ihre Rose und gedachte ihrer Gespielin, und so wie die Blume sich neigte und welkte, so senkte sie auch das Köpfchen, und war schon vor dem Frühlinge verschmachtet. Marie stand oft auf dem Platze vor der Hütte und beweinte das entschwundene Glück. Sie verzehrte sich, wie ihr Kind, und folgte ihm in einigen Jahren. Der alte Martin zog mit seinem Schwiegersohne nach der Gegend, in der er vormals gelebt hatte. * * * * * Die Damen waren mit dieser Erzählung zufrieden. _Wilibald_ war noch übrig, um sein Mährchen vorzutragen, und er fing sogleich ohne Einleitung an. Der Pokal. 1811. Vom großen Dom erscholl das vormittägige Geläute. Ueber den weiten Platz wandelten in verschiedenen Richtungen Männer und Weiber, Wagen fuhren vorüber und Priester gingen nach ihren Kirchen. Ferdinand stand auf der breiten Treppe, den Wandelnden nachsehend und diejenigen betrachtend, welche herauf stiegen, um dem Hochamte beizuwohnen. Der Sonnenschein glänzte auf den weißen Steinen, alles suchte den Schatten gegen die Hitze; nur er stand schon seit lange sinnend an einen Pfeiler gelehnt, in den brennenden Strahlen, ohne sie zu fühlen, denn er verlor sich in den Erinnerungen, die in seinem Gedächtnisse aufstiegen. Er dachte seinem Leben nach, und begeisterte sich an dem Gefühl, welches sein Leben durchdrungen und alle andern Wünsche in ihm ausgelöscht hatte. In derselben Stunde stand er hier im vorigen Jahre, um Frauen und Mädchen zur Messe kommen zu sehn; mit gleichgültigem Herzen und lächelndem Auge hatte er die mannichfaltigen Gestalten betrachtet, mancher holde Blick war ihm schalkhaft begegnet und manche jungfräuliche Wange war erröthet; sein spähendes Auge sah den niedlichen Füßchen nach, wie sie die Stufen herauf schritten, und wie sich das schwebende Gewand mehr oder weniger verschob, um die feinen Knöchel zu enthüllen. Da kam über den Markt eine jugendliche Gestalt, in Schwarz, schlank und edel, die Augen sittsam vor sich hingeheftet, unbefangen schwebte sie die Erhöhung hinauf mit lieblicher Anmuth, das seidene Gewand legte sich um den schönsten Körper und wiegte sich wie in Musik um die bewegten Glieder; jezt wollte sie den letzten Schritt thun, und von ohngefähr erhob sie das Auge und traf mit dem blauesten Strahle in seinen Blick. Er ward wie von einem Blitz durchdrungen. Sie strauchelte, und so schnell er auch hinzu sprang, konnte er doch nicht verhindern, daß sie nicht kurze Zeit in der reizendsten Stellung knieend vor seinen Füßen lag. Er hob sie auf, sie sah ihn nicht an, sondern war ganz Röthe, antwortete auch nicht auf seine Frage, ob sie sich beschädiget habe. Er folgte ihr in die Kirche und sah nur das Bildniß, wie sie vor ihm gekniet, und der schönste Busen ihm entgegen gewogt. Am folgenden Tage besuchte er die Schwelle des Tempels wieder; die Stätte war ihm geweiht. Er hatte abreisen wollen, seine Freunde erwarteten ihn ungeduldig in seiner Heimath; aber von nun an war hier sein Vaterland, sein Herz war umgewendet. Er sah sie öfter, sie vermied ihn nicht, doch waren es nur einzelne und gestohlene Augenblicke; denn ihre reiche Familie bewachte sie genau, noch mehr ein angesehener eifersüchtiger Bräutigam. Sie gestanden sich ihre Liebe, wußten aber keinen Rath in ihrer Lage; denn er war fremd und konnte seiner Geliebten kein so großes Glück anbieten, als sie zu erwarten berechtiget war. Da fühlte er seine Armuth; doch wenn er an seine vorige Lebensweise dachte, dünkte er sich überschwänglich reich, denn sein Dasein war geheiligt, sein Herz schwebte immerdar in der schönsten Rührung; jezt war ihm die Natur befreundet und ihre Schönheit seinen Sinnen offenbar, er fühlte sich der Andacht und Religion nicht mehr fremd, und betrat dieselbe Schwelle, das geheimnißvolle Dunkel des Tempels jezt mit ganz andern Gefühlen, als in jenen Tagen des Leichtsinns. Er zog sich von seinen Bekanntschaften zurück und lebte nur der Liebe. Wenn er durch ihre Straße ging und sie nur am Fenster sah, war er für diesen Tag glücklich; er hatte sie in der Dämmerung des Abends oftmals gesprochen, ihr Garten stieß an den eines Freundes, der aber sein Geheimniß nicht wußte. So war ein Jahr vorüber gegangen. Alle diese Scenen seines neuen Lebens zogen wieder durch sein Gedächtniß. Er erhob seinen Blick, da schwebte die edle Gestalt schon über den Platz, sie leuchtete ihm wie eine Sonne aus der verworrenen Menge hervor. Ein lieblicher Gesang ertönte in seinem sehnsüchtigen Herzen, und er trat, wie sie sich annäherte, in die Kirche zurück. Er hielt ihr das geweihte Wasser entgegen, ihre weißen Finger zitterten, als sie die seinigen berührte, sie neigte sich holdselig. Er folgte ihr nach, und kniete in ihrer Nähe. Sein ganzes Herz zerschmolz in Wehmuth und Liebe, es dünkte ihm, als wenn aus den Wunden der Sehnsucht sein Wesen in andächtigen Gebeten dahin blutete; jedes Wort des Priesters durchschauerte ihn, jeder Ton der Musik goß Andacht in seinen Busen; seine Lippen bebten, als die Schöne das Crucifix ihres Rosenkranzes an den brünstigen rothen Mund drückte. Wie hatte er ehemals diesen Glauben und diese Liebe so gar nicht begreifen können. Da erhob der Priester die Hostie und die Glocke schallte, sie neigte sich demüthiger und bekreuzte ihre Brust; und wie ein Blitz schlug es durch alle seine Kräfte und Gefühle, und das Altarbild dünkte ihm lebendig und die farbige Dämmerung der Fenster wie ein Licht des Paradieses; Thränen strömten reichlich aus seinen Augen und linderten die verzehrende Inbrunst seines Herzens. Der Gottesdienst war geendigt. Er bot ihr wieder den Weihbrunnen, sie sprachen einige Worte und sie entfernte sich. Er blieb zurück, um keine Aufmerksamkeit zu erregen; er sah ihr nach, bis der Saum ihres Kleides um die Ecke verschwand. Da war ihm wie dem müden verirrten Wanderer, dem im dichten Walde der letzte Schein der untergehenden Sonne erlischt. Er erwachte aus seiner Träumerei, als ihm eine alte dürre Hand auf die Schulter schlug, und ihn jemand bei Namen nannte. Er fuhr zurück, und erkannte seinen Freund, den mürrischen Albert, der von allen Menschen sich zurück zog, und dessen einsames Haus nur dem jungen Ferdinand geöffnet war. Seid ihr unsrer Abrede noch eingedenk? fragte die heisere Stimme. O ja, antwortete Ferdinand, und werdet ihr euer Versprechen heut noch halten? Noch in dieser Stunde, antwortete jener, wenn ihr mir folgen wollt. Sie gingen durch die Stadt und in einer abgelegenen Straße in ein großes Gebäude. Heute, sagte der Alte, müßt ihr euch schon mit mir in das Hinterhaus bemühn, in mein einsamstes Zimmer, damit wir nicht etwa gestört werden. Sie gingen durch viele Gemächer, dann über einige Treppen; Gänge empfingen sie, und Ferdinand, der das Haus zu kennen glaubte, mußte sich über die Menge der Zimmer, so wie über die seltsame Einrichtung des weitläufigen Gebäudes verwundern, noch mehr aber darüber, daß der Alte, welcher unverheirathet war, der auch keine Familie hatte, es allein mit einem einzigen Bedienten bewohne, und niemals an Fremde von dem überflüssigen Raume hatte vermiethen wollen. Albert schloß endlich auf und sagte: nun sind wir zur Stelle. Ein großes hohes Zimmer empfing sie, das mit rothem Damast ausgeschlagen war, den goldene Leisten einfaßten, die Sessel waren von dem nehmlichen Zeuge, und durch rothe schwerseidne Vorhänge, welche nieder gelassen waren, schimmerte ein purpurnes Licht. Verweilt einen Augenblick, sagte der Alte, indem er in ein anderes Gemach ging. Ferdinand betrachtete indeß einige Bücher, in welchen er fremde unverständliche Charaktere, Kreise und Linien, nebst vielen wunderlichen Zeichnungen fand, und nach dem wenigen, was er lesen konnte, schienen es alchemistische Schriften; er wußte auch, daß der Alte im Rufe eines Goldmachers stand. Eine Laute lag auf dem Tische, welche seltsam mit Perlmutter und farbigen Hölzern ausgelegt war und in glänzenden Gestalten Vögel und Blumen darstellte, der Stern in der Mitte war ein großes Stück Perlmutter, auf das kunstreichste in vielen durchbrochenen Zirkelfiguren, fast wie die Fensterrose einer gothischen Kirche, ausgearbeitet. Ihr betrachtet da mein Instrument, sagte Albert, welcher zurück kehrte, es ist schon zweihundert Jahr alt, und ich habe es als Andenken meiner Reise aus Spanien mitgebracht. Doch laßt das alles, und setzt euch jezt. Sie setzten sich an den Tisch, der ebenfalls mit einem rothen Teppiche bedeckt war, und der Alte stellte etwas Verhülltes auf die Tafel. Aus Mitleid gegen eure Jugend, fing er an, habe ich euch neulich versprochen, euch zu wahrsagen, ob ihr glücklich werden könnt oder nicht, und dieses Versprechen will ich in gegenwärtiger Stunde lösen, ob ihr gleich die Sache neulich nur für einen Scherz halten wolltet. Ihr dürft euch nicht entsetzen, denn, was ich vorhabe, kann ohne Gefahr geschehn, und weder furchtbare Citationen sollen von mir vorgenommen werden, noch soll euch eine gräßliche Erscheinung erschrecken. Die Sache, die ich versuchen will, kann in zweien Fällen mißlingen: wenn ihr nämlich nicht so wahrhaft liebt, als ihr mich habt wollen glauben machen, denn alsdann ist meine Bemühung umsonst und es zeigt sich gar nichts; oder daß ihr das Orakel stört und durch eine unnütze Frage oder ein hastiges Auffahren vernichtet, indem ihr euren Sitz verlaßt und das Bild zertrümmert; ihr müßt mir also versprechen, euch ganz ruhig zu verhalten. Ferdinand gab das Wort, und der Alte wickelte aus den Tüchern das, was er mitgebracht hatte. Es war ein goldener Pokal von sehr künstlicher und schöner Arbeit. Um den breiten Fuß lief ein Blumenkranz mit Myrthen und verschiedenem Laube und Früchten gemischt, erhaben ausgeführt mit mattem oder klarem Golde. Ein ähnliches Band, aber reicher, mit kleinen Figuren und fliehenden wilden Thierchen, die sich vor den Kindern fürchteten oder mit ihnen spielten, zog sich um die Mitte des Bechers. Der Kelch war schön gewunden, er bog sich oben zurück, den Lippen entgegen, und inwendig funkelte das Gold mit rother Gluth. Der Alte stellte den Becher zwischen sich und den Jüngling, und winkte ihn näher. Fühlt ihr nicht etwas, sprach er, wenn euer Auge sich in diesem Glanz verliert? Ja, sagte Ferdinand, dieser Schein spiegelt in mein Innres hinein, ich möchte sagen, ich fühle ihn wie einen Kuß in meinem sehnsüchtigen Busen. So ist es recht! sagte der Alte; nun laßt eure Augen nicht mehr herum schweifen, sondern haltet sie fest auf den Glanz dieses Goldes, und denkt so lebhaft wie möglich an eure Geliebte. Beide saßen eine Weile ruhig, und schauten vertieft den leuchtenden Becher an. Bald aber fuhr der Alte mit stummer Geberde, erst langsam, dann schneller, endlich in eilender Bewegung mit streichendem Finger um die Glut des Pokals in ebenmäßigen Kreisen hin. Dann hielt er wieder inne und legte die Kreise von der andern Seite. Als er eine Weile dies Beginnen fortgesetzt hatte, glaubte Ferdinand Musik zu hören, aber es klang wie draußen, in einer fernen Gasse; doch bald kamen die Töne näher, sie schlugen lauter und lauter an, sie zitterten bestimmter durch die Luft, und es blieb ihm endlich kein Zweifel, daß sie aus dem Innern des Bechers hervor quollen. Immer stärker ward die Musik, und von so durchdringender Kraft, daß des Jünglings Herz erzitterte und ihm die Thränen in die Augen stiegen. Eifrig fuhr die Hand des Alten in verschiedenen Richtungen über die Mündung des Bechers, und es schien, als wenn Funken aus seinen Fingern fuhren und zuckend gegen das Gold leuchtend und klingend zersprangen. Bald mehrten sich die glänzenden Punkte und folgten, wie auf einen Faden gereiht, der Bewegung seines Fingers hin und wieder; sie glänzten von verschiedenen Farben, und drängten sich allgemach dichter und dichter an einander, bis sie in Linien zusammen schossen. Nun schien es, als wenn der Alte in der rothen Dämmerung ein wundersames Netz über das leuchtende Gold legte, denn er zog nach Willkühr die Strahlen hin und wieder, und verwebte mit ihnen die Oeffnung des Pokales; sie gehorchten ihm und blieben, einer Bedeckung ähnlich, liegen, indem sie hin und wieder webten und in sich selber schwankten. Als sie so gefesselt waren, beschrieb er wieder die Kreise um den Rand, die Musik sank wieder zurück und wurde leiser und leiser, bis sie nicht mehr zu vernehmen war, das leuchtende Netz zitterte wie beängstiget. Es brach im zunehmenden Schwanken, und die Strahlen regneten tropfend in den Kelch, doch aus den niedertropfenden erhob sich wie eine röthliche Wolke, die sich in sich selbst in vielfachen Kreisen bewegte, und wie Schaum über der Mündung schwebte. Ein hellerer Punkt schwang sich mit der größten Schnelligkeit durch die wolkigen Kreise. Da stand das Gebild, und wie ein Auge schaute es plötzlich aus dem Duft, wie goldene Locken floß und ringelte es oben, und alsbald ging ein sanftes Erröthen in dem wankenden Schatten auf und ab, und Ferdinand erkannte das lächelnde Angesicht seiner Geliebten, die blauen Augen, die zarten Wangen, den lieblich rothen Mund. Das Haupt schwankte hin und her, hob sich deutlicher und sichtbarer auf dem schlanken weißen Halse hervor und neigte sich zu dem entzückten Jünglinge hin. Der Alte beschrieb immer noch die Kreise um den Becher, und heraus traten die glänzenden Schultern, und so wie sich die liebliche Bildung aus dem goldenen Bett mehr hervor drängte und holdselig hin und wieder wiegte, so erschienen nun die beiden zarten, gewölbten und getrennten Brüste, auf deren Spitze die feinste Rosenknospe mit süß verhüllter Röthe schimmerte. Ferdinand glaubte den Athem zu fühlen, indem das geliebte Bild wogend zu ihm neigte, und ihn fast mit den brennenden Lippen berührte; er konnte sich im Taumel nicht mehr bewältigen, sondern drängte sich mit einem Kusse an den Mund, und wähnte, die schönen Arme zu fassen, um die nackte Gestalt ganz aus dem goldenen Gefängniß zu heben. Alsbald durchfuhr ein starkes Zittern das liebliche Bild, wie in tausend Linien brach das Haupt und der Leib zusammen, und eine Rose lag am Fuß des Pokales, aus deren Röthe noch das süße Lächeln schien. Sehnsüchtig ergriff sie Ferdinand, drückte sie an seinen Mund, und an seinem brennenden Verlangen verwelkte sie, und war in Luft zerflossen. Du hast schlecht dein Wort gehalten, sagte der Alte verdrüßlich, du kannst dir nur selber die Schuld beimessen. Er verhüllte seinen Pokal wieder, zog die Vorhänge auf und eröffnete ein Fenster; das helle Tageslicht brach herein, und Ferdinand verließ wehmüthig und mit vielen Entschuldigungen den murrenden Alten. Er eilte bewegt durch die Straßen der Stadt. Vor dem Thore setzte er sich unter den Bäumen nieder. Sie hatte ihm am Morgen gesagt, daß sie mit einigen Verwandten Abends über Land fahren müsse. Bald saß, bald wanderte er liebetrunken im Walde; immer sah er das holdselige Bild, wie es mehr und mehr aus dem glühenden Golde quoll; jezt erwartete er, sie heraus schreiten zu sehn im Glanze ihrer Schönheit, und dann zerbrach die schönste Form vor seinen Augen, und er zürnte mit sich, daß er durch seine rastlose Liebe und die Verwirrung seiner Sinne das Bildniß und vielleicht sein Glück zerstört habe. Als nach der Mittagsstunde der Spaziergang sich allgemach mit Menschen füllte, zog er sich tiefer in das Gebüsch zurück; spähend behielt er aber die ferne Landstraße im Auge, und jeder Wagen, der durch das Thor kam, wurde aufmerksam von ihm geprüft. Es näherte sich dem Abende. Rothe Schimmer warf die untergehende Sonne, da flog aus dem Thor der reiche vergoldete Wagen, der feurig im Abendglanze leuchtete. Er eilte hinzu. Ihr Auge hatte das seinige schon gesucht. Freundlich und lächelnd lehnte sie den glänzenden Busen aus dem Schlage, er fing ihren liebevollen Gruß und Wink auf; jezt stand er neben dem Wagen, ihr voller Blick fiel auf ihn, und indem sie sich weiter fahrend wieder zurück zog, flog die Rose, welche ihren Busen zierte, heraus, und lag zu seinen Füßen. Er hob sie auf und küßte sie, und ihm war, als weissage sie ihm, daß er seine Geliebte nicht wieder sehn würde, daß nun sein Glück auf immer zerbrochen sei. * * * * * Auf und ab lief man die Treppen, das ganze Haus war in Bewegung, alles machte Geschrei und Lärmen zum morgenden großen Feste. Die Mutter war am thätigsten so wie am freudigsten; die Braut ließ alles geschehn, und zog sich, ihrem Schicksal nachsinnend, in ihr Zimmer zurück. Man erwartete noch den Sohn, den Hauptmann mit seiner Frau und zwei ältere Töchter mit ihren Männern; Leopold, ein jüngerer Sohn, war muthwillig beschäftigt, die Unordnung zu vermehren, den Lärmen zu vergrößern, und alles zu verwirren, indem er alles zu betreiben schien. Agathe, seine noch unverheirathete Schwester, wollte ihn zur Vernunft bringen und dahin bewegen, daß er sich um nichts kümmere, und nur die andern in Ruhe lasse; aber die Mutter sagte: störe ihn nicht in seiner Thorheit, denn heute kommt es auf etwas mehr oder weniger nicht an; nur darum bitte ich euch alle, da ich schon auf so viel zu denken habe, daß ihr mich nicht mit irgend etwas behelligt, was ich nicht höchst nöthig erfahren muß; ob sie Porzellan zerbrechen, ob einige silberne Löffel fehlen, ob das Gesinde der Fremden Scheiben entzwei schlägt, mit solchen Possen ärgert mich nicht, daß ihr sie mir wieder erzählt. Sind diese Tage der Unruhe vorüber, dann wollen wir Rechnung halten. Recht so, Mutter! sagte Leopold, das sind Gesinnungen eines Regenten würdig! Wenn auch einige Mägde den Hals brechen, der Koch sich betrinkt und den Schornstein anzündet, der Kellermeister vor Freude den Malvasier auslaufen oder aussaufen läßt, Sie sollen von dergleichen Kindereien nichts erfahren. Es müßte denn sein, daß ein Erdbeben das Haus umwürfe; Liebste, das ließe sich unmöglich verhehlen. Wann wird er doch einmal klüger werden! sagte die Mutter; was werden nur deine Geschwister denken, wenn sie dich eben so unklug wieder finden, als sie dich vor zwei Jahren verlassen haben. Sie müssen meinem Charakter Gerechtigkeit widerfahren lassen, antwortete der lebhafte Jüngling, daß ich nicht so wandelbar bin wie sie oder ihre Männer, die sich in wenigen Jahren so sehr, und zwar nicht zu ihrem Vortheile verändert haben. Jezt trat der Bräutigam zu ihnen, und fragte nach der Braut. Die Kammerjungfer ward geschickt, sie zu rufen. Hat Leopold Ihnen, liebe Mutter, meine Bitte vorgetragen? fragte der Verlobte. Daß ich nicht wüßte, sagte diese; in der Unordnung hier im Hause kann man keinen vernünftigen Gedanken fassen. Die Braut trat herzu, und die jungen Leute begrüßten sich mit Freuden. Die Bitte, deren ich erwähnte, fuhr dann der Bräutigam fort, ist, daß Sie es nicht übel deuten mögen, wenn ich Ihnen noch einen Gast in Ihr Haus führe, das für diese Tage nur schon zu sehr besetzt ist. Sie wissen es selbst, sagte die Mutter, daß, so geräumig es auch ist, sich schwerlich noch Zimmer einrichten lassen. Doch, rief Leopold, ich habe schon zum Theil dafür gesorgt, ich habe die große Stube im Hinterhause aufräumen lassen. Ei, die ist nicht anständig genug, sagte die Mutter, seit Jahren ist sie ja fast nur zur Polterkammer gebraucht. Prächtig ist sie hergestellt, sagte Leopold, und der Freund, für den sie bestimmt ist, sieht auch auf dergleichen nicht, dem ist es nur um unsre Liebe zu thun; auch hat er keine Frau und befindet sich gern in der Einsamkeit, so daß sie ihm gerade recht sein wird. Wir haben Mühe genug gehabt, ihm zuzureden und ihn wieder unter Menschen zu bringen. Doch wohl nicht euer trauriger Goldmacher und Geisterbanner? fragte Agathe. Kein andrer als der, erwiederte der Bräutigam, wenn Sie ihn einmal so nennen wollen. Dann erlauben Sie es nur nicht, liebe Mutter, fuhr die Schwester fort; was soll ein solcher Mann in unserm Hause? Ich habe ihn einigemal mit Leopold über die Straße gehen sehn, und mir ist vor seinem Gesicht bange geworden; auch besucht der alte Sünder fast niemals die Kirche, er liebt weder Gott noch Menschen, und es bringt keinen Segen, dergleichen Ungläubige bei so feierlicher Gelegenheit unter das Dach einzuführen. Wer weiß, was daraus entstehn kann! Wie du nun sprichst! sagte Leopold erzürnt, weil du ihn nicht kennst, so verurtheilst du ihn, und weil dir seine Nase nicht gefällt, und er auch nicht mehr jung und reizend ist, so muß er, deinem Sinne nach, ein Geisterbanner und verruchter Mensch sein. Gewähren Sie, theure Mutter, sagte der Bräutigam, unserm alten Freunde ein Plätzchen in ihrem Hause, und lassen Sie ihn an unserer allgemeinen Freude Theil nehmen. Er scheint, liebe Schwester Agathe, viel Unglück erlebt zu haben, welches ihn mißtrauisch und menschenfeindlich gemacht hat, er vermeidet alle Gesellschaft, und macht nur eine Ausnahme mit mir und Leopold; ich habe ihm viel zu danken, er hat zuerst meinem Geiste eine bessere Richtung gegeben, ja ich kann sagen, er allein hat mich vielleicht der Liebe meiner Julie würdig gemacht. Mir borgt er alle Bücher, fuhr Leopold fort, und, was mehr sagen will, alte Manuskripte, und, was noch mehr sagen will, Geld, auf mein bloßes Wort; er hat die christlichste Gesinnung, Schwesterchen, und wer weiß, wenn du ihn näher kennen lernst, ob du nicht deine Sprödigkeit fahren lässest, und dich in ihn verliebst, so häßlich er dir auch jezt vorkommt. Nun so bringen Sie ihn uns, sagte die Mutter, ich habe schon sonst so viel aus Leopolds Munde von ihm hören müssen, daß ich neugierig bin, seine Bekanntschaft zu machen. Nur müssen Sie es verantworten, daß wir ihm keine bessere Wohnung geben können. Indem kamen Reisende an. Es waren die Mitglieder der Familie; die verheiratheten Töchter, so wie der Offizier, brachten ihre Kinder mit. Die gute Alte freute sich, ihre Enkel zu sehn; alles war Bewillkommnung und frohes Gespräch, und als der Bräutigam und Leopold auch ihre Grüße empfangen und abgelegt hatten, entfernten sie sich, um ihren alten mürrischen Freund aufzusuchen. Dieser wohnte die meiste Zeit des Jahres auf dem Lande, eine Meile von der Stadt, aber eine kleine Wohnung behielt er sich auch in einem Garten vor dem Thore. Hier hatten ihn zufälligerweise die beiden jungen Leute kennen gelernt. Sie trafen ihn jezt auf einem Kaffeehause, wohin sie sich bestellt hatten. Da es schon Abend geworden war, begaben sie sich nach einigen Gesprächen in das Haus zurück. Die Mutter nahm den Fremden sehr freundschaftlich auf; die Töchter hielten sich etwas entfernt, besonders war Agathe schüchtern und vermied seine Blicke sorgfältig. Nach den ersten allgemeinen Gesprächen war das Auge des Alten aber unverwandt auf die Braut gerichtet, welche später zur Gesellschaft getreten war; er schien entzückt und man bemerkte, daß er eine Thräne heimlich abzutrocknen suchte. Der Bräutigam freute sich an seiner Freude, und als sie nach einiger Zeit abseits am Fenster standen, nahm er die Hand des Alten und fragte ihn: Was sagen Sie von meiner geliebten Julie? Ist sie nicht ein Engel? -- O mein Freund, erwiederte der Alte gerührt, eine solche Schönheit und Anmuth habe ich noch niemals gesehn; oder ich sollte vielmehr sagen, (denn dieser Ausdruck ist unrichtig) sie ist so schön, so bezaubernd, so himmlisch, daß mir ist, als hätte ich sie längst gekannt, als wäre sie, so fremd sie mir ist, das vertrauteste Bild meiner Imagination, das meinem Herzen stets einheimisch gewesen. Ich verstehe Sie, sagte der Jüngling; ja das wahrhaft Schöne, Große und Erhabene, so wie es uns in Erstaunen und Verwunderung setzt, überrascht uns doch nicht als etwas Fremdes, Unerhörtes und Niegesehenes, sondern unser eigenstes Wesen wird uns in solchen Augenblicken klar, unsre tiefsten Erinnerungen werden erweckt, und unsre nächsten Empfindungen lebendig gemacht. Beim Abendessen nahm der Fremde an den Gesprächen nur wenigen Antheil; sein Blick war unverwandt auf die Braut geheftet, so daß diese endlich verlegen und ängstlich wurde. Der Offizier erzählte von einem Feldzuge, dem er beigewohnt hatte, der reiche Kaufmann sprach von seinen Geschäften und der schlechten Zeit, und der Gutsbesitzer von den Verbesserungen, welche er in seiner Landwirthschaft angefangen hatte. Nach Tische empfahl sich der Bräutigam, um zum letztenmal in seine einsame Wohnung zurück zu kehren; denn künftig sollte er mit seiner jungen Frau im Hause der Mutter wohnen, ihre Zimmer waren schon eingerichtet. Die Gesellschaft zerstreute sich, und Leopold führte den Fremden nach seinem Gemach. Ihr entschuldigt es wohl, fing er auf dem Gange an, daß ihr etwas entfernt hausen müßt, und nicht so bequem, als die Mutter wünscht; aber ihr seht selbst, wie zahlreich unsre Familie ist, und morgen kommen noch andre Verwandte. Wenigstens werdet ihr uns nicht entlaufen können, denn ihr findet euch gewiß nicht aus dem weitläufigen Gebäude heraus. Sie gingen noch durch einige Gänge; endlich entfernte sich Leopold und wünschte gute Nacht. Der Bediente stellte zwei Wachskerzen hin, fragte, ob er den Fremden entkleiden solle, und da dieser jede Bedienung verbat, zog sich jener zurück, und er befand sich allein. Wie muß es mir denn begegnen, sagte er, indem er auf und nieder ging, daß jenes Bildniß so lebhaft heut aus meinem Herzen quillt? Ich vergaß die ganze Vergangenheit und glaubte sie selbst zu sehn. Ich war wieder jung und ihr Ton erklang wie damals; mir dünkte, ich sei aus einem schweren Traum erwacht; aber nein, jezt bin ich erwacht, und die holde Täuschung war nur ein süßer Traum. Er war zu unruhig, um zu schlafen, er betrachtete einige Zeichnungen an den Wänden und dann das Zimmer. Heute ist mir alles so bekannt, rief er aus, könnt' ich mich doch fast so täuschen, daß ich mir einbildete, dieses Haus und dieses Gemach seien mir nicht fremd. Er suchte seine Erinnerungen anzuknüpfen, und hob einige große Bücher auf, welche in der Ecke standen. Als er sie durchblättert hatte, schüttelte er mit dem Kopfe. Ein Lautenfutteral lehnte an der Mauer; er eröffnete es und nahm ein altes seltsames Instrument heraus, das beschädigt war und dem die Saiten fehlten. Nein, ich irre mich nicht, rief er bestürzt: diese Laute ist zu kenntlich, es ist die Spanische meines längst verstorbenen Freundes Albert; dort stehn seine magischen Bücher, dies ist das Zimmer, in welchem er mir jenes holdselige Orakel erwecken wollte; verblichen ist die Röthe des Teppichs, die goldene Einfassung ermattet, aber wundersam lebhaft ist alles, alles aus jenen Stunden in meinem Gemüth; darum schauerte mir, als ich hieher ging, auf jenen langen verwickelten Gängen, welche mich Leopold führte; o Himmel, hier auf diesem Tische stieg das Bildniß quellend hervor, und wuchs auf wie von der Röthe des Goldes getränkt und erfrischt; dasselbe Bild lachte hier mich an, welches mich heut Abend dorten im Saale fast wahnsinnig gemacht hat, in jenem Saale, in welchem ich so oft mit Albert in vertrauten Gesprächen auf und nieder wandelte. Er entkleidete sich, schlief aber nur wenig. Am Morgen stand er früh wieder auf, und betrachtete das Zimmer von neuem; er eröffnete das Fenster, und sah dieselben Gärten und Gebäude vor sich, wie damals, nur waren indeß viele neue Häuser hinzu gebaut worden. Vierzig Jahre sind seitdem verschwunden, seufzte er, und jeder Tag von damals enthielt längeres Leben als der ganze übrige Zeitraum. Er ward wieder zur Gesellschaft gerufen. Der Morgen verging unter mannichfaltigen Gesprächen, endlich trat die Braut in ihrem Schmucke herein. So wie der Alte ihrer ansichtig ward, gerieth er wie außer sich, so daß keinem in der Gesellschaft seine Bewegung entging. Man begab sich zur Kirche und die Trauung ward vollzogen. Als sich alle wieder im Hause befanden, fragte Leopold seine Mutter: nun, wie gefällt Ihnen unser Freund, der gute mürrische Alte? Ich habe ihn mir, antwortete diese, nach euren Beschreibungen viel abschreckender gedacht, er ist ja mild und theilnehmend, man könnte ein rechtes Zutrauen zu ihm gewinnen. Zutrauen? rief Agathe aus, zu diesen fürchterlich brennenden Augen, diesen tausendfachen Runzeln, dem blassen eingekniffenen Mund, und diesem seltsamen Lachen, das so höhnisch klingt und aussieht? Nein, Gott bewahr mich vor solchem Freunde! Wenn böse Geister sich in Menschen verkleiden wollen, müssen sie eine solche Gestalt annehmen. Wahrscheinlich doch eine jüngere und reizendere, antwortete die Mutter; aber ich kenne auch diesen guten Alten in deiner Beschreibung nicht wieder. Man sieht, daß er von heftigem Temperament ist, und sich gewöhnt hat alle seine Empfindungen in sich zu verschließen; er mag, wie Leopold sagt, viel Unglück erlebt haben, daher ist er mißtrauisch geworden, und hat jene einfache Offenheit verloren, die hauptsächlich nur den Glücklichen eigen ist. Ihr Gespräch wurde unterbrochen, weil die übrige Gesellschaft hinzu trat. Man ging zur Tafel, und der Fremde saß neben Agathe und dem reichen Kaufmanne. Als man anfing die Gesundheiten zu trinken, rief Leopold: haltet noch inne, meine werthen Freunde, dazu müssen wir unsern Festpokal hier haben, der dann rundum gehn soll! Er wollte aufstehen, aber die Mutter winkte ihm, sitzen zu bleiben; du findest ihn doch nicht, sagte sie, denn ich habe alles Silberzeug anders gepackt. Sie ging schnell hinaus, um ihn selber zu suchen. Was unsre Alte heut geschäftig und munter ist, sagte der Kaufmann, so dick und breit sie ist, so behende kann sie sich doch noch bewegen, obgleich sie schon sechzig zählt; ihr Gesicht sieht immer heiter und freudig aus, und heut ist sie besonders glücklich, weil sie sich in der Schönheit ihrer Tochter wieder verjüngt. Der Fremde gab ihm Beifall, und die Mutter kam mit dem Pokal zurück. Man schenkte ihn voll Weins, und oben vom Tisch fing er an herum zu gehn, indem jeder die Gesundheit dessen ausbrachte, was ihm das liebste und erwünschteste war. Die Braut trank das Wohlsein ihres Gatten, dieser die Liebe seiner schönen Julie, und so that jeder nach der Reihe. Die Mutter zögerte, als der Becher zu ihr kam. Nur dreist! sagte der Offizier etwas rauh und voreilig, wir wissen ja doch, daß sie alle Männer für ungetreu und keinen einzigen der Liebe einer Frau würdig halten; was ist Ihnen also das Liebste? Die Mutter sah ihn an, indem sich über die Milde ihres Antlitzes plötzlich ein zürnender Ernst verbreitete. Da mein Sohn, sagte sie, mich so genau kennt, und so strenge meine Gemüthsart tadelt, so sei es mir auch erlaubt, nicht auszusprechen, was ich jetzt eben dachte, und suche er nur dasjenige, was er als meine Ueberzeugung kennen will, durch seine ungefälschte Liebe unwahr zu machen. Sie gab den Becher, ohne zu trinken, weiter, und die Gesellschaft war auf einige Zeit verstimmt. Man erzählt sich, sagte der Kaufmann leise, indem er sich zum Fremden neigte, daß sie ihren Mann nicht geliebt habe, sondern einen andern, der ihr aber ungetreu geworden ist; damals soll sie das schönste Mädchen in der Stadt gewesen sein. Als der Becher zu Ferdinand kam, betrachtete ihn dieser mit Erstaunen, denn es war derselbe, aus welchem ihm Albert ehemals das schöne Bildniß hervor gerufen hatte. Er schaute in das Gold hinein und in die Welle des Weines, seine Hand zitterte; es würde ihn nicht verwundert haben, wenn aus dem leuchtenden Zaubergefäße jezt wieder jene Gestalt hervor geblüht wäre und mit ihr seine entschwundene Jugend. Nein, sagte er nach einiger Zeit halblaut, es ist Wein, was hier glüht! Was soll es anders sein? sagte der Kaufmann lachend, trinken Sie getrost! Ein Zucken des Schrecks durchfuhr den Alten, er sprach den Namen Franziska heftig aus, und setzte den Pokal an die brünstigen Lippen. Die Mutter warf einen fragenden und verwundernden Blick hinüber. Woher dieser schöne Becher? sagte Ferdinand, der sich seiner Zerstreuung schämte. Vor vielen Jahren schon, antwortete Leopold, noch ehe ich geboren war, hat ihn mein Vater zugleich mit diesem Hause und allen Mobilien von einem alten einsamen Hagestolz gekauft, einem stillen Menschen, den die Nachbarschaft umher für einen Zauberer hielt. Ferdinand mochte nicht sagen, daß er jenen gekannt hatte, denn sein Dasein war ihm zu sehr zum seltsamen Traum verwirrt, um auch nur aus der Ferne die übrigen in sein Gemüth schauen zu lassen. Nach aufgehobener Tafel war er mit der Mutter allein, weil die jungen Leute sich zurück gezogen hatten, um Anstalten zum Balle zu treffen. Setzen Sie sich neben mich, sagte die Mutter, wir wollen ausruhen, denn wir sind über die Jahre des Tanzes hinweg, und wenn es nicht unbescheiden ist zu fragen, so sagen Sie mir doch, ob Sie unsern Pokal schon sonst wo gesehn haben, oder was es war, was Sie so innerlichst bewegte. O gnädige Frau, sagte der Alte, verzeihen Sie meiner thörichten Heftigkeit und Rührung; aber seit ich in Ihrem Hause bin, ist es, als gehöre ich mir nicht mehr an, denn in jedem Augenblicke vergesse ich es, daß mein Haar grau ist, daß meine Geliebten gestorben sind. Ihre schöne Tochter, die heute den frohesten Tag ihres Lebens feiert, ist einem Mädchen, das ich in meiner Jugend kannte und anbetete, so ähnlich, daß ich es für ein Wunder halten muß; nicht ähnlich, nein, der Ausdruck sagt zu wenig, sie ist es selbst! Auch hier im Hause bin ich viel gewesen, und einmal mit diesem Pokal auf die seltsamste Weise bekannt geworden. Er erzählte ihr hierauf sein Abentheuer. An dem Abend dieses Tages, so beschloß er, sah ich draußen im Park meine Geliebte zum letzten mal, indem sie über Land fuhr. Eine Rose entfiel ihr, diese habe ich aufbewahrt; sie selbst ging mir verloren, denn sie ward mir ungetreu und bald darauf vermält. Gott im Himmel! rief die Alte und sprang heftig bewegt auf, du bist doch nicht Ferdinand? So ist mein Name, sagte jener. Ich bin Franziska, antwortete die Mutter. Sie wollten sich umarmen, und fuhren schnell zurück. Beide betrachteten sich mit prüfenden Blicken, beide suchten aus dem Ruin der Zeit jene Lineamente wieder zu entwickeln, die sie ehemals an einander gekannt und geliebt hatten, und wie in dunkeln Gewitternächten unter dem Fluge schwarzer Wolken einzeln in flüchtigen Momenten die Sterne räthselhaft schimmern, um schnell wieder zu erlöschen, so schien ihnen aus den Augen, von Stirn und Mund jezuweilen der wohlbekannte Zug vorüberblitzend, und es war, als wenn ihre Jugend in der Ferne lächelnd weinte. Er bog sich nieder und küßte ihre Hand, indem zwei große Thränen herabstürzten, dann umarmten sie sich herzlich. Ist deine Frau gestorben? fragte die Mutter. Ich war nie verheirathet, schluchzte Ferdinand. Himmel! sagte die Alte, die Hände ringend, so bin ich die Ungetreue gewesen! Doch nein, nicht ungetreu. Als ich vom Lande zurück kam, wo ich zwei Monden gewesen war, hörte ich von allen Menschen, auch von deinen Freunden, nicht blos den meinigen, du seist längst abgereist und in deinem Vaterlande verheirathet, man zeigte mir die glaubwürdigsten Briefe, man drang heftig in mich, man benutzte meine Trostlosigkeit, meinen Zorn, und so geschah es, daß ich meine Hand dem verdienstvollen Manne gab; mein Herz, meine Gedanken blieben dir immer gewidmet. Ich habe mich nicht von hier entfernt, sagte Ferdinand, aber nach einiger Zeit vernahm ich deine Vermälung. Man wollte uns trennen, und es ist ihnen gelungen. Du bist glückliche Mutter, ich lebe in der Vergangenheit, und alle deine Kinder will ich wie die meinigen lieben. Aber wie wunderbar, daß wir uns seitdem nie wieder gesehen haben. Ich ging wenig aus, sagte die Mutter, und mein Mann, der bald darauf einer Erbschaft wegen einen andern Namen annahm, hat dir auch jeden Verdacht dadurch entfernt, daß wir in derselben Stadt wohnen könnten. Ich vermied die Menschen, sagte Ferdinand, und lebte nur der Einsamkeit; Leopold ist beinah der einzige, der mich wieder anzog und unter Menschen führte. O geliebte Freundin, es ist wie eine schauerliche Geistergeschichte, wie wir uns verloren und wieder gefunden haben. Die jungen Leute fanden die Alten in Thränen aufgelöst und in tiefster Bewegung. Keines sagte, was vorgefallen war, das Geheimniß schien ihnen zu heilig. Aber seitdem war der Greis der Freund des Hauses, und der Tod nur schied die beiden Wesen, die sich so sonderbar wieder gefunden hatten, um sie kurze Zeit nachher wieder zu vereinigen. * * * * * Es war über dem Vorlesen dieser Mährchen viele Zeit verflossen, und man setzte sich sehr spät zu Tische. Der Abend war wieder so warm, daß man die Flügel des Saales eröffnen konnte, um die anmuthige Luft zu genießen. Man sprach noch vielerlei über die vorgetragenen Erzählungen, und es schien, daß die übrigen Frauen der Meinung Claras beitraten, welche die Geschichte vom blonden Eckbert allen übrigen vorzog. Emilie wollte im getreuen Eckart eine Disharmonie bemerken, Rosalie nahm die Magelone in Schutz und Wilibalds Erzählung, Auguste lobte die Elfen; nur in Ansehung des Runenberges und Liebeszaubers blieben alle bei ihrer vorgefaßten Meinung; und verwarfen sie gänzlich. Mein theurer Freund, sagte Manfred, zu Lothar gewandt, trösten wir uns darüber, daß die gegenwärtige Zeit uns nicht versteht, ich appellire an eine bessere Nachwelt, die mich dankbar anerkennen wird. Wo ist die? fragte Lothar lachend. Dorten schläft sie schon, sagte Manfred, nach der Kinderstube hinauf deutend; meine beiden Jungen meine ich; so wie sie nur ein weniges bei Kräften sind, lese ich ihnen meine Werke vor, und belohne ihren Beifall mit Zuckerwerk, und ich will sehn, ob sie mich nicht auf lange für den ersten aller Dichter halten sollen. Wir sind aber unserm Freunde Lothar eine Vergütigung schuldig, sagte Clara, und da er heute als Autor so wenig Glück gemacht hat, so versuche er es einmal mit der Königswürde, er übernehme die nächste Abtheilung und bestimme sie nach seiner Willkühr. Lothar verneigte sich, und nahm aus dem Blumenkorbe eine Lilie, um sie als Scepter zu gebrauchen. So befehle ich denn, sprach er, daß wir diese Mährchenwelt noch nicht verlassen, nur wollen wir den Dichtern die Mühe der Erfindung schenken; mögen sie allgemein bekannte Geschichten nehmen, wo möglich ganz kindische und alberne, und damit den Versuch machen, diesen durch ihre Darstellung ein neues Interesse zu geben; jedes dieser Mährchen soll aber ein Drama sein. Wilibald hustete und Auguste sagte: nur bitten wir Mädchen, daß es auch hie und da etwas lustig darin zugehn möge, und nicht allzu poetisch. Mir erlaube man auch eine Bitte, fügte Emilie hinzu, und zwar diejenige, daß wir mit der Zeit etwas ökonomischer umgehn und berechnen mögen, was sich vortragen und von den Zuhörern erdulden läßt, denn heute haben wir uns offenbar übersättigt, und der Genuß ist fast zur Pein geworden; Sie müssen bedenken, daß wir Frauen nicht so an das Verschlingen der Bücher gewöhnt sind, wie die Männer. Auch dieses ist gewährt, sagte Lothar, ich werde mit meinen Räthen eine billige und zweckmäßige Einrichtung treffen, besonders bei diesen Dramen, von denen einige länger ausfallen dürften, als die meisten der heutigen Erzählungen. Gute Nacht, sagte Manfred, ich bin so müde, und durch Beifall so wenig aufgemuntert, daß ich am besten thun werde, mich in die Dunkelheit meines Bettes zurück zu ziehn. Als er sich entfernt hatte, sprach man noch über die seltsame Erscheinung, daß im Schrecklichen eine gewisse Lieblichkeit wohnen könne, die dem Reiz des Grauenhaften eine Art von Rührung und Wehmuth beigeselle. Die letzte der heutigen Erzählungen, sagte Emilie, hat zwar nichts Furchtbares, kommt man aber darin überein, wie doch die meisten Menschen zu glauben scheinen, daß die Liebe die Blüte des Lebens sei, so ist sie vielleicht die traurigste und rührendste von allen, weil die erzählte Begebenheit fast durchaus möglich ist und sich an das Alltägliche knüpft. Anton bemerkte, daß die stille Lieblichkeit an sich leicht ermüde und einschläfre, wie die meisten neueren Idyllen, und daß man ihnen wohl einen Zusatz wünschen müsse, entweder von Schreck, oder Bosheit, oder irgend einem andern Ingredienz, um durch diese Würze den Geschmack des Lieblichen selber hervor zu heben, wie durch den Firniß die Farben der Gemälde. Darum, sagte Lothar, hat man in Frankreich mit Recht etwas Wolf in manche Schäfereien hinein gewünscht. Die reine Unschuld, als solche, verträgt keine Darstellung, denn sie liegt außer der Natur, oder falls sie natürlich ist, ist sie höchst unpoetisch; ich meine nämlich jene hohe, sentimentale, die uns die Dichter so oft haben malen wollen. Ich sah einmal eine französische Operette, zwar nur von einem, aber desto längeren Akte, in welcher ein junger Mensch von Anfang bis zu Ende nichts weiter in der Welt wollte, als seinen Papa lieben, den er bekränzte, als er schlief, und ihm Früchte vorsetzte, als er erwachte, worauf beide sich umarmten und gerührt waren. Ich will nicht sagen, daß dergleichen nicht löblich sein könnte; aber was in aller Welt ging es denn die Zuschauer an, die unten standen, und höchst überflüßige Zeugen dieser Zärtlichkeit waren? Die Idyllen der Neueren, sagte Ernst, sind früh sentimental geworden, oder allegorisch, in der letzten Zeit bei Franzosen und Deutschen meist fade und süßlich. Zwei Gedichte eines Deutschen aber sind mir bekannt, die ich vielen der schönsten Poesien an die Seite setzen möchte, den Satyr Mopsus nämlich und Bacchidon und Milon vom Maler Müller; die frische sinnliche Natur, der lyrische Schwung der Gesänge, die schön gewählten und kräftig ausgeführten Bilder haben mich jedesmal bis zur Entzückung hingerissen. Trefflich, wenn gleich nicht von dieser Vollendung, ist seine Schaafschur, reicher als dieses Gemälde aus unserer Zeit, sein Nußkernen. In dem Gedicht »Adams erstes Erwachen« befindet er sich freilich auch zuweilen in jener Leere, die sich nicht poetisch bevölkern läßt, aber einzelne Stellen sind von großer Schönheit, und in der Darstellung der Thiere scheint er mir einzig; ich weiß wenigstens keinen Dichter, der sie uns mit dieser geistigen Lebendigkeit vor die Augen führte. Wie Schade, daß dieses wahre Genie, welches sich so glänzend ankündigte, nicht nachher das Studium der Poesie fortgesetzt hat! Sein Geist scheint mir mit dem des Julio Romano innig verwandt; dieselbe Fülle und Lieblichkeit, das Scharfe und Bizarre der Gedanken, und dieselbe Sucht zur Uebertreibung. Nach einigen Wendungen des Gespräches kam man auf die Seltsamkeit der Träume, und wie wunderbar sich das Ahndungsvermögen des Menschen oftmals in ihnen offenbare, und nachdem einige Beispiele erzählt waren, sagte Anton: mir ist eine Geschichte dieser Art bekannt, die mir glaubwürdige Freunde als eine unbezweifelt wahre mitgetheilt haben, und die ich Ihnen noch vortragen will, da sie uns nicht lange aufhalten wird. Ein Landedelmann ruhte neben seiner Frau in einem Zimmer des Schlosses. Mitternacht war schon vorüber, als er plötzlich aus dem Schlafe auffuhr, und seine Gattin weckte. Was ist dir, mein Lieber? fragte diese verwundert. Mich hat ein seltsamer Traum auf eine eigne Art bewegt, antwortete der Mann. Mir war, als ginge ich auf den Saal hinaus, und wie ich mich umsah, stand dein Kammermädchen vor mir, aber so geputzt und aufgeschmückt, wie ich sie niemals gesehn habe, auch trug sie einen grünen Kranz in den Haaren; sie warf sich vor mir nieder, umfaßte meine Knie, und beschwor mich, ich solle ihr beistehn, denn ihr Leben schwebe in der größten Gefahr. Ich habe sie so deutlich vor mir gesehn, und bin von ihren Thränen und Bitten so gerührt, daß ich nicht weiß, was ich davon denken soll. Wer wird, sagte die Frau, über einen zufälligen Traum grübeln! Schlafe wohl und störe mich nicht wieder. Beide schliefen ein. Nach einer halben Stunde erwachte der Mann in noch größerer Beängstigung; er rief seiner Gattin und sagte ihr, daß der nämliche Traum mit denselben Umständen ihm wieder vorgekommen sei, und das Mädchen habe noch dringender gefleht, noch schmerzlicher geweint. Die Frau schalt dieses Wichtignehmen eines leeren Traumes, Grille, fand die Wiederholung der nämlichen Scene sehr natürlich und begreiflich; nach einem kurzen Gespräche war auch der Mann derselben Meinung, und beide hatten sich wieder dem Schlafe überlassen. Sie erstaunte, als sie nach einiger Zeit von dem Geräusch erwachte, welches der Mann erregte, den sie angekleidet, und mit einem Lichte, welches er angezündet hatte, vor dem Bette stehen sah. Was ist dir nur heut? fragte sie halb unwillig. Sei es wie es sei, antwortete ihr Gatte, ich will diesesmal einem Traume glauben, wenn auch sonst nie wieder, denn das Mädchen ist mir jezt zum dritten male eben so erschienen, hat ihre Bitte wiederholt und mit ängstlichem Schreien hinzu gefügt: nun ist es die höchste Zeit, in einigen Minuten ist es zu spät! Ich will jezt hinauf gehn, und sehn was sie macht. Ohne eine Antwort zu erwarten, verließ er das Schlafzimmer. Wie erstaunte er, indem er sich die Treppe hinauf begeben wollte, daß die breiten Stiegen herunter das Mädchen ihm gerade so entgegen schritt, wie er sie im Traume gesehen hatte, im seidenen Kleide, welches ihr nur vor wenigen Tagen die gnädige Frau geschenkt hatte: mit Myrthen und Blumen in den Haaren, eine kleine Laterne in der Hand; das Licht, welches er trug, warf einen vollen Schein über die erschrockene Gestalt, die auf die Anrede, wohin sie gehe, und was sie vorhabe, anfangs in ihrer Verwirrung nichts zu antworten wußte. Endlich sammelte sie sich etwas und fiel ihrem Gebieter zu Fuß, dessen Knie sie mit Thränen umfaßte. O Vergebung, mein gnädiger Herr! rief sie aus, vergeben Sie, und machen Sie, daß die gnädige Frau mir verzeiht: in dieser Stunde wollte ich draußen im Garten hinter der Lindenallee den Gärtner treffen, der mir schon seit lange die Ehe versprochen hat, und mit dem ich verlobt bin; heute Nacht wollten wir uns heimlich in der Kapelle hier neben an trauen lassen, denn ich Unglückliche bin seit fünf Monden von ihm guter Hoffnung. Gehe ruhig in dein Zimmer zurück, sagte der Herr; ich will den Gärtner selber aufsuchen, ich habe gegen eure Verbindung nichts, nur diese Heimlichkeit ist mir anstößig. Er hat es durchaus so gewollt, antwortete sie, weil er der Ueberzeugung war, daß Sie uns beide nicht in Ihren Diensten behalten würden, wenn Sie die Sache erführen. Gieb dich für heut zufrieden, sagte der Herr; morgen wollen wir vernünftig darüber sprechen. O Gott, schluchzte sie, so habe ich doch heute mein Brautkleid umsonst angelegt! Mit diesen Worten ging sie die Treppe wieder hinauf. Der Baron ließ im Saale die Kerze stehn, und begab sich in den Garten. Die Nacht war finster und ohne Sterne, ein feuchter Herbstwind schlug ihm entgegen, die Bäume sausten winterlich. Er schritt durch die bekannten Gänge, und hinter den Linden, an der einsamsten und entferntesten Stelle des Gartens, sah er aus dem Boden ein Lichtlein schimmern. Als er näher ging, sah er, daß sein Gärtner in einer ausgehöhlten Grube stand, und beim Schein einer kleinen Blendlaterne eifrig die Höhle wie zu einem Grabe erweiterte. Ein Beil lag neben ihm. Ein Schauder ergriff den Herrn. Was macht ihr da? rief er ihn plötzlich an. Der Gärtner erschrak und ließ den Spaten fallen, indem er die Gestalt seines Gebieters gerade über sich erblickte. Ich will hier Früchte für den Winter einlegen, stotterte er verwirrt. Kommt mit mir in mein Zimmer, sagte der Baron, ich habe mit euch zu sprechen. Sogleich, gnädiger Herr, erwiederte der Gärtner. Er hob die Laterne auf, und stieg aus der Grube; aber statt sich nach dem Schlosse zu wenden, blies er plötzlich das Licht aus, sprang über die Gartenhecke, und lief in den nahen Wald hinein. Seitdem hatte ihn Niemand in der dortigen Gegend wieder gesehn. -- O weh! rief Clara, die schrecklichen Geschichten fangen von neuem an, und nun ist es gar Nacht und finster! Sie faßte ein Licht, und dasselbe thaten die übrigen Frauen, um sich auf ihre Zimmer zu begeben, als ein ungeheurer Schlag plötzlich gegen die Thüre erklang. Alle sahen sich schweigend an, und herein trat mit zentnerschwerem Schritt die Gestalt des steinernen Gastes. Er begab sich bis in die Mitte des Saales, indem noch keiner ein Wort auszusprechen wagte. Ich bin es ja, ihr Narren, rief plötzlich Manfreds bekannte Stimme, indem er mit seinem natürlichen Gange näher kam. O er ist unerträglich, sagte Rosalie; glaubst du denn, daß ich nicht eben so stark schaudre, wenn ich gleich erkenne, daß das Gespenst nur eine weiße Maske ist, gerade deshalb, weil du, der Bekannte, der Befreundete, mir so grauenvoll erscheinst? Diese Vermischung dessen, was uns lieb und entsetzlich ist, ist gerade das Widerwärtigste. So will er auch immer nicht begreifen, daß ich mich vor ihm fürchte, wenn er, wandelt ihn einmal die Laune an, den Betrunkenen so natürlich spielt, und daß ich eben so gern einen wirklich Berauschten oder Wahnsinnigen vor mir sehen möchte. Geh, du Ungezogener, und wische dir den Puder aus dem Gesichte. Nicht eher, sagte Manfred, bis du, und Auguste, und Clara, mir jede einen Kuß gegeben haben. Er ging auf sie zu, die drei Frauen aber flohen mit den Lichtern, die sie in den Händen hielten, durch den offenen Saal in den Garten, und die weiße behelmte Figur rannte ihnen nach. Man hörte sie kreischen, und sah die drei Lichter und schlanken Gestalten durch den Buchengang schweben, dann um die Laube biegen, und dem Springbrunnen vorüber sich in den großen Baumgang verlieren. Plötzlich vernahm man ein lautes Aufrauschen im größten Brunnen, wie wenn eine große Wucht hinein stürzte, und das Wasser klatschend darüber zusammen schlüge. Die Geängstigten stürzten mit ihren Lichtern herzu, und Manfred, welcher hinein gesprungen war, gab der zunächst stehenden Clara einen flüchtigen Kuß, dann seiner Gattin, und auch Auguste durfte sich nicht weigern, weil er schwur, widrigenfalls die ganze Nacht im Bassin zu verharren. Nun habe ich meinen Willen gehabt, sagte Manfred ruhig, und nun wird es wohl an der Zeit sein, mich umzukleiden oder vielmehr zu entkleiden, und mich im Bette zu erwärmen. Man schalt und lachte, und Emilie war besonders unzufrieden. Die Frauen und Manfred gingen hinauf. Die übrigen Freunde blieben noch im Garten, wo sie nach einiger Zeit von dem obern Zimmer Gesang ertönen hörten, der lieblich durch den Garten scholl. Es war ein Singestück von Palestrina, welches die drei Frauen ohne Begleitung eines Instruments ausführten. Friedrich sagte: alle Empfindungen, schöne wie unangenehme, verschütten sie jezt in diese Wogen des Wohllauts. So wird der Tag am schönsten beschlossen, und die Nacht am würdigsten gefeiert. Ich halte es für ein Glück meines Lebens, sagte Ernst, daß ich zeitig genug nach Rom kam, um noch oftmals den Gesang der päpstlichen Kapelle hören zu können. Die Musik, die man Weihnachten in Maria Maggiore und in der Charwoche im Vatikan hörte, vielmals auch im päpstlichen Pallast auf Monte Cavallo, war eben so einzig, als es das jüngste Gericht von Michael Angelo oder die Stanzen Rafaels sind; man konnte diesen Genuß auch nur in dem einzigen Rom haben, und wie diese Hauptstadt der Welt der Mittelpunkt der Malerei und Skulptur war, so war sie auch die wahre hohe Schule der Musik. Diese Herrlichkeit ist nun auch zertrümmert, und man kann davon nur wie von einer alten wunderbaren Sage erzählen. Schon früher war es für mich eine Epoche meines Lebens gewesen, diesen alten wahren Gesang kennen zu lernen: ich hatte immer nach Musik, nach der höchsten, gedürstet, und geglaubt, keinen Sinn für diese Kunst zu besitzen, als mit der Kenntniß des Palestrina, Leo, Allegri, und jener Alten, die man jezt von den Liebhabern selten oder nie nennen hört; mein Gehör und mein Geist erwachte. Seitdem weiß ich wohl, was ich vorher suchte, und warum ehemals mich nichts befriedigen wollte. Seitdem glaube ich eingesehen zu haben, daß nur dieses die wahre Musik sei, und daß der Strom, den man in den weltlichen Luxus unserer Oper hinein geleitet hat, um ihn mit Zorn, Rache und allen Leidenschaften zu versetzen, trübe und unlauter geworden ist; denn unter den Künsten ist die Musik die religiöseste, sie ist ganz Andacht, Sehnsucht, Demuth, Liebe; sie kann nicht pathetisch sein, und auf ihre Stärke und Kraft pochen, oder sich in Verzweiflung austoben wollen, hier verliert sie ihren Geist, und wird nur eine schwache Nachahmerin der Rede und Poesie. Du scheinst mir jezt zu einseitig, sagte Lothar; erinnere ich mich doch der Zeit recht gut, wo du den Mozart hoch verehrtest. Ich müßte ohne Gefühl sein, antwortete Ernst, wenn ich den wundersamen, reichen und tiefen Geist dieses Künstlers nicht ehren und lieben sollte, wenn ich mich nicht von seinen Werken hingerissen fühlte. Nur muß man mich kein Requiem von ihm wollen hören lassen, oder mich zu überzeugen suchen, daß er, so wie die meisten Neueren, wirklich eine geistliche Musik habe setzen können. Aber er ist einzig in seiner Kunst. Als die Musik ihre himmlische Unschuld verloren, und sich schon längst zu den kleinlichen Leidenschaften der Menschen erniedrigt hatte, fand er sie in ihrer Entartung, und lehrte ihr aus bewegtem Herzen das Wundersamste, Fremdeste, ihr Unnatürlichste austönen; zugleich jene tiefe Leidenschaft der Seele, jenes Ringen aller Kräfte in unaussprechlicher Sehnsucht, nicht fremd sogar blieb ihr das gespenstische Grauen und Entsetzen. Ich sehe hierin die Geschichte des Orpheus und der Euridice. Sie ist gestorben; bei den Schatten, in der dunkeln Unterwelt weilt die Geliebte; er fühlt Kraft und Muth genug das Licht der Sonne zu verlassen, sich der schwarzen Fluth und Dämmerung anzuvertrauen; sein Zauberspiel rührt den ernsten, sonst unerbittlichen Gott, die Larven und Verdammten genießen in seinen Tönen einer schnell vorüber fliehenden Seeligkeit; Euridice folgt seinem Saitenspiel, aber nicht rückwärts soll er blicken, ihr nicht ins Angesicht schauen, sie nur im Glauben besitzen; sie lockt, sie ruft, sie weint, da wendet sich sein Auge, und blasser und blasser zittert die geliebte Gestalt in den gähnenden Orkus zurück. Der Sänger tritt mit der Kraft seiner Töne wieder in die Oberwelt, sein Lied singt und klagt die Verlorne, alle Melodieen suchen sie, aber er hat aus dem tiefen Abgrund, den kein Sänger vor ihm besucht, das schwermüthige Rollen der unterirdischen Wässer, das Aechzen der Gemarterten, das Stöhnen der Geängstigten und das Hohnlachen der Furien, samt allen Gräueln der dunkeln Reiche mit herauf gebracht, und alles klingt in vielfach verschlungener Kunst in der Lieblichkeit seiner Lieder. Himmel und Hölle, die durch unermeßliche Klüfte getrennt waren, sind zauberhaft und zum Erschrecken in der Kunst vereinigt, die ursprünglich reines Licht, stille Liebe und lobpreisende Andacht war. So erscheint mir Mozarts Musik. Es war den neuesten Zeiten vorbehalten, fuhr Lothar fort, den wundervollen Reichthum des menschlichen Sinnes in dieser Kunst, vorzüglich in der Instrumental-Musik auszusprechen. In diesen vielstimmigen Compositionen und in den Symphonieen vernehmen wir aus dem tiefsten Grunde heraus das unersättliche, aus sich verirrende und in sich zurück kehrende Sehnen, jenes unaussprechliche Verlangen, das nirgend Erfüllung findet und in verzehrender Leidenschaft sich in den Strom des Wahnsinns wirft, nun mit allen Tönen kämpft, bald überwältigt, bald siegend aus den Wogen ruft, und Rettung suchend tiefer und tiefer versinkt. Und wie es dem Menschen allenthalben geschieht, wenn er alle Schranken überfliegen und das Letzte und Höchste erringen will, daß die Leidenschaft in sich selbst zerbricht und zersplittert, das Gegentheil ihrer ursprünglichen Größe, so geschieht es auch wohl in dieser Kunst großen Talenten. Wenn wir Mozart wahnsinnig nennen dürfen, so ist der genialische Beethoven oft nicht vom Rasenden zu unterscheiden, der selten einen musikalischen Gedanken verfolgt und sich in ihm beruhigt, sondern durch die gewaltthätigsten Uebergänge springt und der Phantasie gleichsam selbst im rastlosen Kampfe zu entfliehen sucht. Alle diese neuen tiefsinnigen Bestrebungen, sagte Anton, sind meinem Gemüthe nicht fremd, sie tönen wie das Rauschen des Lebensstromes zwischen Felsenufern, der über Klippen und hemmendem Gestein in romantischer Wildniß musikalisch braust; nur das ist mir unbegreiflich geblieben, wie die Schöpfung und die Tageszeiten unsers Haydn fast allenthalben haben Glück machen können, deren kindische Malerei gegen allen höheren Sinn streitet. Seine Symphonieen und Instrumental-Compositionen sind meist so vortrefflich, daß man ihm diese Verirrung niemals hätte zutrauen sollen. Friedrich wandte sich zu Ernst und sagte: Lieber, ehe wir jezt scheiden, sage uns noch die drei Sonette vor, welche du dichtetest, als dir jene alte große Singe-Musik zuerst bekannt wurde. Diese Verse sind mir immer vorzüglich lieb gewesen, weil sie mir nicht so wohl gedichtet als eingegeben scheinen. Ich kann wenigstens sagen, erwiederte Ernst, daß ich sie damals niederschreiben mußte, und daß ich von den oft besprochenen Schwierigkeiten des Sonetts nichts erlitt. Von dreierlei Art kann die geistliche Musik hauptsächlich sein. Entweder ist es der Ton selbst, der durch seine Reinheit und Heiligkeit die Andacht erweckt, durch jene einfache edle Sympathie, welche harmonisch die befreundeten Klänge verbindet und mit einander ausstrahlen läßt, wodurch jene hohe Musik entsteht, welche sinnige Alte dem Umschwung der Gestirne ebenfalls zuschreiben wollten. Dieser Gesang, ausgehalten, ohne rasche Bewegung, sich selbst genügend, ruft in unsre Seele das Bild der Ewigkeit, so wie der Schöpfung und der entstehenden Zeit: Palestrina ist der würdigste Repräsentant dieser Periode. Oder die Musik ist mit dem Menschen und der Schöpfung schon von dieser heiligen reinen Bahn gewichen: alles verstummt; da ergreift die Sehnsucht aus dem Innersten hervor den Ton, und will in jene alte Unschuld zurück stürmen und das Paradies wieder erobern. Leo, und vielleicht Marcello, so wie viele andre, charakterisiren diese Epoche. An diese schon mehr leidenschaftliche Kunst schlossen sich nachher die weltlichen Musiker. Drittens kann die geistliche Musik ganz wie ein unschuldiges Kind spielen und tändeln, arglos in der Süßigkeit der Töne wühlen und plätschern, und auf gelinde Weise Schmerz und Freude vermischt in den lieblichsten Melodieen ausgießen. Der oft von den Gelehrteren verkannte Pergolese scheint mir hierin das Höchste erreicht zu haben, den seine Nachahmer wohl eben so wenig verstanden, als Correggio von denen gefaßt wurde, die sich nach ihm bilden wollten. Das ähnliche sagen folgende Sonette, welche die Musik selber spricht. Im Anfang war das Wort. Die ewgen Tiefen Entzündeten sich brünstig im Verlangen, Die Liebe nahm das Wort in Lust gefangen, Aufschlugen hell die Augen, welche schliefen, Sehnsüchtge Angst, das Freudezittern, riefen Die selgen Thränen auf die heilgen Wangen, Daß alle Kräfte wollustreich erklangen, Begierig, in sich selbst sich zu vertiefen. Da brachen sich die Leiden an den Freuden, Die Wonne suchte sich im stillen Innern, Das Wort empfand die Engel, welche schufen; Sie gingen aus, entzückend war ihr Scheiden. Auf, Gottes Bildniß, deß dich zu erinnern Vernimm, wie meine heilgen Töne rufen. * * * * * Nacht, Furcht, Tod, Stummheit, Quaal war eingebrochen, Ihr Banner wehte auf besiegten Reichen, Erschrocken flohen vor dem giftgen Zeichen Mit stummer Zunge, welche erst gesprochen. So ist denn ganz das Liebeswort zerbrochen? Es sucht im Wasserfall, will sich erreichen, Aus Bäumen strebt es, Quellen, grünen Sträuchen, In Wogen klagt es: was hab ich verbrochen? Die Wasser gehn und finden keine Zungen, Dem Wald, dem Fels ist wohl der Laut gebunden, Die Angst entzündet sich im Thiere schreiend. In Menschenstimme ist es ihm gelungen, Nun hat das ewge Wort sich wieder funden, Klagt, betet, weint, jauchzt laut sich selbst befreiend. * * * * * Ich bin ein Engel, Menschenkind, das wisse, Mein Flügelpaar klingt in dem Morgenlichte, Den grünen Wald erfreut mein Angesichte, Das Nachtigallen-Chor giebt seine Grüße. Wem ich der Sterblichen die Lippen küsse, Dem tönt die Welt ein göttliches Gedichte, Wald, Wasser, Feld und Luft spricht ihm Geschichte, Im Herzen rinnen Paradieses-Flüsse. Die ewge Liebe, welche nie vergangen, Erscheint ihm im Triumph auf allen Wogen, Er nimmt den Tönen ihre dunkle Hülle, Da regt sich, schlägt im Jubel auf die Stille, Zur spielenden Glorie wird der Himmelsbogen, Der Trunkne hört, was alle Engel sangen. Anmerkungen zur Transkription Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Hervorhebungen, die im Original g e s p e r r t sind, wurden mit Unterstrichen wie _hier_ gekennzeichnet. Textstellen, die im Original in Antiqua gesetzt sind, wurden ^so^ markiert. Die variierende Schreibweise des Originales wurde weitgehend beibehalten. Lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert, teilweise unter Verwendung der Erstausgabe, wie hier aufgeführt (vorher/nachher): [S. 20]: ... nothwendigen Gegenwicht eines gehaltvollen, oft fast ... ... nothwendigen Gegengewicht eines gehaltvollen, oft fast ... [S. 67]: ... Drama haben, und dunkel dir Ahnung in ihnen ... ... Drama haben, und dunkel die Ahnung in ihnen ... [S. 69]: ... Jezt, sagte Theodor, bingt man um die Zeit die ... ... Jezt, sagte Theodor, bringt man um die Zeit die ... [S. 136]: ... Das Winter jährlich um sie legt, ... ... Daß Winter jährlich um sie legt, ... [S. 137]: ... Ein Schauer flog durch meinem Sinn. ... ... Ein Schauer flog durch meinen Sinn. ... [S. 151]: ... den Anbick und die Empfindung dieses Abends nie ... ... den Anblick und die Empfindung dieses Abends nie ... [S. 165]: ... hatte ihn so maches Jahr hindurch beglückt, ... ... hatte ihn so manches Jahr hindurch beglückt, ... [S. 169]: ... Ein krummgebückte Alte schlich hustend mit einer ... ... Eine krummgebückte Alte schlich hustend mit einer ... [S. 191]: ... traf dort den Greis schlafend, der ihn unlängst sein ... ... traf dort den Greis schlafend, der ihm unlängst sein ... [S. 207]: ... abbrach und mit dem Ausruck des größten Schmerzes ... ... abbrach und mit dem Ausdruck des größten Schmerzes ... [S. 213]: ... wird versagen können. Es las hierauf folgende Erzählung. ... ... wird versagen können. Er las hierauf folgende Erzählung. ... [S. 226]: ... Hütte eine friedlicher Rauch in die Höhe stieg, Kinder ... ... Hütten ein friedlicher Rauch in die Höhe stieg, Kinder ... [S. 241]: ... Er sah die Fußstapfen im Sande am Eingange eingedrückt, ... ... er sah die Fußstapfen im Sande am Eingange eingedrückt, ... [S. 243]: ... sorgfaltig in seinen Sack, welchen er fest zusammen ... ... sorgfältig in seinen Sack, welchen er fest zusammen ... [S. 245]: ... seinem Freund Roderich. Das Licht brannte vor ihm, ... ... seinen Freund Roderich. Das Licht brannte vor ihm, ... [S. 260]: ... seinen neuen Frennd gewandt, so schwerfällig, mißlaunig, ... ... seinen neuen Freund gewandt, so schwerfällig, mißlaunig, ... [S. 264]: ... Du schwestest dahin, ich taumle zurück -- ... ... Du schwebest dahin, ich taumle zurück -- ... [S. 273]: ... es geschehen würde? Ihr habt euren Wnnsch, darum ... ... es geschehen würde? Ihr habt euren Wunsch, darum ... [S. 280]: ... uns nur Recht in diese Nacht hinein wüthen, und ... ... uns nur recht in diese Nacht hinein wüthen, und ... [S. 280]: ... nehmt kein Einrede von denen an, die sich verständig ... ... nehmt keine Einrede von denen an, die sich verständig ... [S. 316]: ... wohl zufrieden, sie vertraute ihn nun gänzlich und ... ... wohl zufrieden, sie vertraute ihm nun gänzlich und ... [S. 327]: ... Meeres lagen; dort waren die Wege an einsamsten und ... ... Meeres lagen; dort waren die Wege am einsamsten und ... [S. 329]: ... Stimme durch dieses harmonische Gewirr ertönen, dadamit ... ... Stimme durch dieses harmonische Gewirr ertönen, damit ... [S. 330]: ... und die langen schwarzen Wimper einen lieblichen ... ... und die langen schwarzen Wimpern einen lieblichen ... [S. 349]: ... Namen auszusprechen; Quellen und Bäumen nennen ... ... Namen auszusprechen; Quellen und Bäume nennen ... [S. 357]: ... Dann reiste Peter mir Magelonen zu seinen Eltern, ... ... Dann reiste Peter mit Magelonen zu seinen Eltern, ... [S. 381]: ... Mund, daß sie sich verirrt habe, auf einem vorbeifahrenden ... ... Mund, daß sie sich verirrt habe, auf einen vorbeifahrenden ... [S. 389]: ... Andres keidete sich an, und Marie bemerkte, daß ... ... Andres kleidete sich an, und Marie bemerkte, daß ... [S. 390]: ... ihn bis zu Sonnen-Aufgang die Fähre abgemiethet ... ... ihm bis zu Sonnen-Aufgang die Fähre abgemiethet ... [S. 400]: ... Netz zitterte wie beängstiget. Er brach im zunehmenden ... ... Netz zitterte wie beängstiget. Es brach im zunehmenden ... [S. 407]: ... schlechten Zeit, und der Gutssitzer von den Verbesserungen, ... ... schlechten Zeit, und der Gutsbesitzer von den Verbesserungen, ... [S. 408]: ... auf nieder ging, daß jenes Bildniß so lebhaft heut ... ... auf und nieder ging, daß jenes Bildniß so lebhaft heut ... [S. 413]: ... das ich es für ein Wunder halten muß; nicht ähnlich, ... ... daß ich es für ein Wunder halten muß; nicht ähnlich, ... [S. 415]: ... Aber seitdem war der Greis der Freund der Hauses, ... ... Aber seitdem war der Greis der Freund des Hauses, ... [S. 416]: ... Lothar verneigte ich, und nahm aus dem Blumenkorbe ... ... Lothar verneigte sich, und nahm aus dem Blumenkorbe ... [S. 428]: ... der über Klippen und hemmenden Gestein in ... ... der über Klippen und hemmendem Gestein in ... End of Project Gutenberg's Schriften 4: Phantasus 1, by Ludwig Tieck *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SCHRIFTEN 4: PHANTASUS 1 *** ***** This file should be named 50480-8.txt or 50480-8.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/5/0/4/8/50480/ Produced by Delphine Lettau, Jens Sadowski, and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. They may be modified and printed and given away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution. START: FULL LICENSE THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase "Project Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg-tm License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. 1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be used on or associated in any way with an electronic work by people who agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works even without complying with the full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic works. See paragraph 1.E below. 1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the collection are in the public domain in the United States. If an individual work is unprotected by copyright law in the United States and you are located in the United States, we do not claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, displaying or creating derivative works based on the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in the same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when you share it without charge with others. 1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in a constant state of change. If you are outside the United States, check the laws of your country in addition to the terms of this agreement before downloading, copying, displaying, performing, distributing or creating derivative works based on this work or any other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no representations concerning the copyright status of any work in any country outside the United States. 1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: 1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, copied or distributed: This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have to check the laws of the country where you are located before using this ebook. 1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not contain a notice indicating that it is posted with permission of the copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in the United States without paying any fees or charges. If you are redistributing or providing access to a work with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted with the permission of the copyright holder, your use and distribution must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the permission of the copyright holder found at the beginning of this work. 1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm License terms from this work, or any files containing a part of this work or any other work associated with Project Gutenberg-tm. 1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this electronic work, or any part of this electronic work, without prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with active links or immediate access to the full terms of the Project Gutenberg-tm License. 1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any word processing or hypertext form. However, if you provide access to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1. 1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided that * You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has agreed to donate royalties under this paragraph to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid within 60 days following each date on which you prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty payments should be clearly marked as such and sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation." * You provide a full refund of any money paid by a user who notifies you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm License. You must require such a user to return or destroy all copies of the works possessed in a physical medium and discontinue all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm works. * You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the electronic work is discovered and reported to you within 90 days of receipt of the work. * You comply with all other terms of this agreement for free distribution of Project Gutenberg-tm works. 1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. 1.F. 1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread works not protected by U.S. copyright law in creating the Project Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic works, and the medium on which they may be stored, may contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by your equipment. 1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all liability to you for damages, costs and expenses, including legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGE. 1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a written explanation to the person you received the work from. If you received the work on a physical medium, you must return the medium with your written explanation. The person or entity that provided you with the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a refund. If you received the work electronically, the person or entity providing it to you may choose to give you a second opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy is also defective, you may demand a refund in writing without further opportunities to fix the problem. 1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions. 1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance with this agreement, and any volunteers associated with the production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause. Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of electronic works in formats readable by the widest variety of computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.org Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: www.gutenberg.org This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.