The Project Gutenberg EBook of Das Nest der Zaunkönige, by Gustav Freytag This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have to check the laws of the country where you are located before using this ebook. Title: Das Nest der Zaunkönige Erzählung aus dem Anfang des 11. Jahrhunderts Author: Gustav Freytag Release Date: February 8, 2016 [EBook #51151] Language: German Character set encoding: UTF-8 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS NEST DER ZAUNKÖNIGE *** Produced by Peter Becker and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Anmerkungen zur Transkription Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so ausgezeichnet~. Im Original gesperrter Text ist +so ausgezeichnet+. Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches. Gustav Freytag Das Nest der Zaunkönige Erzählung aus dem Anfang des 11. Jahrhunderts 114.--123. Tausend [Illustration] S. Hirzel Verlag Leipzig/1917 [Illustration] 1. Im Jahr 1003. Wo die Geisa das Wasser ihrer Quellen in die Fulda gießt, lag zwischen Wiesen und fruchtbaren Feldern das Kloster Herolfsfeld. Hohe Fürsten des Himmels waren seine Beschützer, denn die Klosterkirche umschloß die Reliquien zweier Apostel; doch den größten Eifer für das Gedeihen des Klosters hatten zwei Gefährten des heiligen Bonifacius bewiesen: Erzbischof Lullus, der die ersten Mönche auf das leere Feld führte, und der Heidenbekehrer Wigbert, dessen Gebeine erst viele Jahre nach seinem Tode im Kloster niedergesetzt wurden, der aber seitdem durch zahllose Wunder den Ruhm der Stätte erhöhte. Als das stärkste von seinen Wundern rühmten die Leute, daß in der einsamen Landschaft ein mächtiges Menschenwerk entstanden war, Türme und hohe Kirchgiebel, um diese herum eine große Zahl von Gebäuden aus Stein und Lehm, deren wettergraue Holzdächer wie Silber in der Mittagsonne glänzten. Was man Kloster nannte, war in Wahrheit eine feste Stadt geworden, durch Mauern, Pfahlwerk und Graben von der Ebene geschieden. Länger als zweihundert Jahre hatten die Mönche gebetet, um den Gläubigen Heil und guten Empfang in jenem Leben zu bereiten, dafür waren sie selbst reich geworden an irdischem Grundbesitz, den ihnen fromme Christen in der bittern Sorge um das Jenseits gespendet hatten. Die Burgen, Dörfer und Weiler, welche ihnen gehörten, lagen über viele Gaue verteilt, nicht nur im Lande der Hessen, auch unter Sachsen und Bayern, vor allem in Thüringen. Ein guter Teil des Kirchengutes, das Bonifacius erworben hatte, darunter die ersten Schenkungen, welche die Waldleute in Thüringen zur Heidenzeit gemacht, gehörte jetzt dem Kloster, und wenn der Abt seine Lehnsleute und Hintersassen zu einer Kriegsfahrt aufrief, so zogen sie dem Lager der Sachsenkaiser zu als ein Heer von Reitern und Fußvolk, in ihrer Mitte der Abt als großer Herr des Reiches mit einem Gefolge von edlen Vasallen. Länger als zweihundert Jahre hatten die Brüder auch mit Axt und Pflug gegen den wilden Wald und das wilde Kraut gekämpft, hatten unermüdlich die Halmfrucht gesäet, Obstbäume gepflanzt und Weingärten eingehegt. So waren sie allmählich große Landbauer geworden, nach Tausenden zählten sie ihre Hufen, ihre zinspflichtigen Höfe und die Familien der unfreien Arbeiter. Jetzt saßen sie in der Fülle guter Dinge als eine Genossenschaft von hundert und fünfzig Brüdern zwischen gefüllten Scheuern und springenden Herden, sahen vergnügt über die reiche Habe und ordneten selbst als umsichtige Landwirte das Tagewerk der zahlreichen Gehilfen, deren Häuser im Zaun ihres Herrenhofes standen oder seitwärts an der Fulda zu einem großen Dorfe vereinigt waren. Doch nicht allein über Landarbeit, sondern über alles, was Handwerk und Kunstfertigkeit zu schaffen vermochte, walteten als Meister die Genossen, welche sich dem Christengott gelobt hatten. Neben dem Palast des Abtes und den Gasthäusern für Fremde, zwischen den Viehhöfen und Scheuern, dem Brauhause und den weiten Kellergewölben erklang der schwere Hammer des Waffenschmieds auf dem Ambos, und daneben der kleine Hammer des Künstlers, welcher edle Steine in Gold und Silber zu fassen wußte für Kirchengerät, für kostbare Bücherdeckel und für Trinkgefäße des Abtes und vornehmer Gäste. Ein Bruder bewahrte den Schlüssel zu dem Rüsthaus, in welchem die Helme, Schwerter und Schilde für ein ganzes Heer bereit lagen, ein anderer zählte den Gerbern die Häute zu, prüfte kunstverständig ihre Arbeit, mischte die Farbe und kochte die Beize für buntes Leder und Gewand. Und wieder ein anderer maß die Räume für neue Bauten, verfertigte den Riß und wies die Maurer an, wie sie den Gewölbbogen schwingen und dauerhaften Mörtel mischen sollten. Von weiter Ferne her zogen die Leute zum Kloster, nicht nur um bei den Gebeinen der Heiligen zu beten und durch Gaben das Gebet der Mönche zu kaufen; auch wer klugen Rat und irdischen Vorteil begehrte, suchte dort Beistand. Der Kaufmann fand Waren, die er gegen andere vertauschte, der große Grundherr holte sich den Bauplan für ein Steinhaus, das er auf luftiger Höhe errichten wollte oder bat um einen meßkundigen Bruder, der ihm fernes Wasser in seinen Hof zu leiten und einen Fluß mit steinerner Brücke zu überspannen wußte. Wer vollends krank war, der neigte sich flehend vor dem Arzte des Klosters und erhielt aus der Apotheke die Holzbüchse mit kräftiger Salbe und den ruhmvollen Trank des heiligen Wigbert. Jeder Dürftige und Bettler im Lande kannte das Haus, denn er war sicher, dort Hilfe gegen den Hunger zu finden und gutherzige Spende an den nötigsten Kleidern. Was die einen in ihrer Sündenangst vor den Altären der Heiligen opferten, um den Himmel zu gewinnen, das vermehrte vielen anderen die Freude des irdischen Lebens. Aber die Mönche selbst, die sich dem Herrn zu demütiger Entsagung und Buße geweiht hatten, wurden allmählich stolze Lehrer und Gebieter in weltlichen Dingen und vermochten nicht mehr mit der alten Klosterzucht Haus zu halten. * * * * * An einem heißen Nachmittag des Sommers lag auf den Stufen des Hochaltars ein fremder Mönch in stillem Gebet. Stab und Reisehut hinter ihm ließen erkennen, daß er neu angekommen war; bei dem Reisegerät kniete ein junger Bruder des Klosters, der ihn begleitet hatte. In dem Chorstuhl zunächst dem Sitz des Abtes saß der Dekan Tutilo, welcher Präpositus des Klosters war, ein hoher breitschultriger Mann mit jähzornigen Augen und buschigen Augenbrauen, er hielt die Hände nachlässig gefaltet und sah ungeduldig auf den Fremden, dessen Andacht kein Ende nehmen wollte. Klein war die Zahl der Väter, welche das Gebet abwarteten, nur wenige der Ehrwürdigsten saßen in den Stühlen, unter ihnen Heriger, der Kellermeister, ein fröhlicher Mann und Liebling der Brüder, dem alle gern dienten und der jeden mit freundlicher Rede gefügig machte, dann der Pförtner Walto, welcher Sprecher des Klosters war, als kluger Herr wohlbekannt im ganzen Lande; auch die beiden Alten, Bertram und Sintram, zwei Sachsen, welche mit ihren runden Köpfen und weißen Haarkronen einander ähnlich sahen wie Zwillinge und deshalb von den Mönchen im Scherz die Stiefel genannt wurden; sie waren an einem Tage ins Kloster gekommen, wohnten in derselben Zelle und arbeiteten beide in den Gärten; was einer wollte, gefiel auch dem andern und sie wandelten stets zusammen, obgleich sie schweigsam waren und auch miteinander nicht viel redeten. Als der Beter sich endlich erhob und mit gesenktem Haupt vor den Dekan trat, ergriff dieser seine Hand, führte ihn in die Mitte des Chors und neigte ihm das Ohr zu, in welches der Fremde die geheimen Worte sprach, an denen die Priester und Würdenträger von der Regel Benedikts einander erkannten. »Gesegnet sei dein Eingang, mein Bruder Reinhard,« antwortete der Dekan mit rauher Stimme, welche von der Decke zurückhallte, und gab den Bruderkuß, worauf der Fremde den andern Brüdern dasselbe tat. »Nicht mühelos wird das Lehramt sein, zu dem du aus der Schulstube des Klosters Altaha gerufen bist, denn du wirst harte Köpfe finden und eine zuchtlose Herde; doch dem heiligen Wigbert fehlt es nicht an Bäumen, um Ruten daraus zu schneiden. Komm, daß ich dir unsere Häuser zeige und die Walstatt, auf welcher du den Krieg gegen die Unwissenheit führen sollst.« Er ging voraus, die Brüder folgten, zuletzt der junge Mönch mit dem Reisegerät des Fremden. Tutilo führte in die Klausur, die große Burg des Klosters, welche zweistöckig inmitten aller Höfe und Gebäude ragte. Sie enthielt die Wohnungen der Mönche und der geweihten Schüler, die von ihren Eltern in den Zipfel der Altardecke gewickelt waren, damit sie einst Mönche würden. Das Haus stand im Viereck um einen freien Platz, von allen Seiten nach außen geschlossen, nur durch die Kirche war der Eingang und gegenüber ein Ausgang zu den Küchen und Nebengebäuden. In der Mitte des Hofes umgaben alte Lindenbäume einen Brunnen, und nach dem Hofe öffnete sich der ganze Bau, denn ein weiter Säulengang zog sich am Unterstock den vier Seiten entlang und die Mauer des Oberstocks erhob sich auf den schön gemeißelten Steinsäulen. Zwischen die Säulen waren bequeme Holzbänke gestellt, damit die Brüder bei schlechtem Wetter lustwandeln oder ausruhen konnten, wie es ihnen gefiel. Ganz verlassen stand das Haus, der Fremde vermochte kein geschorenes Haupt zu entdecken, obgleich in dieser Stunde die Regel den Brüdern erlaubte, sich von Arbeit und Gebet zu erholen. Tutilo merkte die suchenden Blicke des Bruders und auf den Säulengang weisend, erklärte er: »An anderen Tagen würdest du die Hände oft rühren müssen, wenn du die Menge der Brüder und Schüler an den Fingern abzählen wolltest, heut aber sind sie ausgezogen. Die letzten Tage waren schwül, ein Wetter droht und das ganze Gesinde des heiligen Wigbert arbeitet im Heu. Dies ist alter Brauch des Klosters, er stammt, wie sie sagen, aus der Zeit der ersten Väter, jetzt freilich ist die Fahrt mehr ein Fest als eine Arbeit. Bald wirst du ihr Gewimmel merken, wenn sie zurückkehren.« Als sie die innern Räume betraten, sah der zugewanderte Bruder in dem großen Refektorium einen Kredenztisch mit schönen Bechern und Trinkkannen, darunter nicht wenige von edlem Metall, und als er in einen Gang kam, an welchem Zellen der Brüder lagen, erblickte er durch die offenen Türen große Stühle mit seidenen Kissen belegt, auf den Lagerstätten weiche Kopfkissen und lodige Decken von buntgefärbter Wolle, die mit gestickten Borten eingefaßt waren, daneben große Truhen und metallene Leuchter mit Wachslichtern oder schwere vergoldete Lampen, auf einem Tische sogar ein Brettspiel mit geschnitzten Männlein und Tieren, so daß er merkte, wie die Mönche unter Gerätschaften, die sie sich selbst erworben hatten, ganz gemächlich hausten. Und Reinhard, obwohl er als Mönch gewöhnt war, seine Zunge zu hüten, konnte den Ausruf nicht unterdrücken: »Gleich weltlichen Fürsten wohnen die Knechte des Heiligen.« Tutilo merkte das Mißfallen, aber er erwiderte stolz: »Auch ich meine, daß unsere Brüder ihr Haupt hoch tragen dürfen, wenn sie sich mit den Weltleuten vergleichen. Doch was du hier von eigenem Gut der Brüder etwa gesehen hast, gehört nur den Dekanen und den Alten, denn diese allein haben die Lizenz.« Der Fremde senkte schweigend das Haupt. Tutilo winkte dem jungen Mönch zurückzubleiben, zog einen großen Schlüssel aus der Tasche und öffnete in dem Kreuzgang eine niedrige Pforte, die er hinter seinen Begleitern wieder verschloß. Sie standen in dem Hofe der Abtei zwischen Ställen und Vorratshäusern vor einem stattlichen Holzbau, um den ein Laubengang führte. Doch auch hier war alles leer, die Lichtöffnungen des Hauses waren mit Fensterglas und Blei verschlossen, aber die Scheiben waren erblindet und manche Raute war zerschlagen. »Du weißt ja wohl,« fuhr Tutilo mit düsterer Miene fort, »daß Herr Bernheri, unser Abt, es verschmäht, unter den Brüdern zu wohnen. Dort oben auf dem Berge St. Peter hat er sich eine eigene Zelle stattlich hergerichtet, dort haust er mit denen, die ihm am liebsten sind, und selten betritt sein Fuß diesen Herrenhof. Oben hört man's deutlicher, wenn der Auerhahn balzt und der Hirsch schreit. Wir aber in der Tiefe harren der Gebote, welche er aus der Höhe zu uns sendet. Hier beginnt wieder dein Reich,« fuhr er fort und geleitete in einen andern umhegten Hof. »Hier ist die äußere Schule, worin die Schüler zu übermütigen Weltgeistlichen erzogen werden; dreißig Scholastiker zählte das Kloster, erst seit dem Tode deines Vorgängers hat sich die Zahl vermindert. An der ersten Bank sitzen nur Söhne von Edlen, meist Thüringe und Hessen, trotzige Knaben sind darunter, ungern fügen sich die stolzen darein, im Kloster zu dienen.« »Schwingen auch sie heut das gedörrte Gras?« frug der Fremde. »Einen wenigstens magst du sehen,« versetzte der Kellermeister Heriger leise und wies nach der Höhe. In dem Schalloch des Glockenturmes saß ein Jüngling und starrte hinaus auf die Höhen im Osten, ohne die Mönche im Hofe zu beachten. »Es ist Immo, der Thüring, er hängt oft dort oben und immer sieht er nach derselben Himmelsseite, weil dort seine Heimat liegt!« Reinhard maß den Jüngling mit einem schnellen Blick: »Erkenne ich ihn recht auf seinem luftigen Sitze, so sieht er mehr einem jungen Kriegsmann ähnlich, als einem Schüler, der auf das heilige Öl und die Stola hofft.« »Du wirst ihn wild und tückisch finden,« versetzte Tutilo. »In den ersten Jahren hat ihn unser Herr Bernheri verzogen, jetzt tun ihm Hunger und Geißel not, und du würdest ihn vielleicht im Keller auf dem Stroh erblicken, statt dort in hoher Luft, wenn die Brüder nicht allzuoft an das Verdienst seines Ahnherrn dächten.« »Denn wisse, mein Bruder,« fuhr Heriger fort, »er ist aus dem Geschlechte eines seligen Helden, der, wie sie sagen, zugleich mit dem heiligen Bonifacius von den Heiden erschlagen wurde. Sein Ahnherr war es, zu dem der Heilige in der Todesnot seine letzten Worte sprach, welche in den Büchern geschrieben stehen: Wirf dein Schwert von dir! Und darum haben auch von je die Männer und Frauen seines Geschlechtes unser Kloster mit Hufen und Gaben ausgestattet.« Gegenüber dem Schülerhause lag der Kirche angebaut die Bibliothek und die Stube der Schreiber. Der Fremde betrat ein kahles Gemach; die beiden Fenster waren durch Glas und Blei verschlossen, aber große Spinnengewebe hingen an Wand und Rahmen, und durch die Scheiben drang nur ein trübes Zwielicht, so daß eine brennende Lampe das Beste tun mußte, um den Raum zu erhellen. Vor der Lampe saß am Pult ein schreibender Mönch. Langsam erhob er sich, als die Brüder eintraten, und noch während er den Ankömmling begrüßte, waren die kleinen Augen in seinem runzligen Gesicht auf die Pergamentblätter gerichtet. »Willst du deinen Augen Pönitenz antun, Vater Gozbert,« begann Tutilo verwundert, »daß du das Sonnenlicht aussperrst?« »Es muß ein dunkler Nebel in der Welt sein,« versetzte der Mönch, »denn es will nicht hell werden.« »Nicht der Nebel ist es, der dir das Licht raubt, sondern die Bosheit anderer,« rief Tutilo, das Fenster öffnend, »sieh her, die Scheiben sind von außen durch trübe Farbe verdunkelt und merke, jemand hat dir einen üblen Streich gespielt.« »In Wahrheit, draußen scheint die Sonne,« sagte der Mönch, »ich erkenne Lehm und Kienruß an den Scheiben.« »Ich aber weiß, wer die Ungebühr gegen dich geübt hat, entweder selbst oder durch die Jungen,« sagte Tutilo, »denn der Scholastikus Immo leitet die Knaben zu vielem Frevel an. Doch sein Maß ist voll.« Und auf Reinhard blickend fuhr er fort: »Vater Gozbert ist ein Künstler in der Schrift, wenige verstehen sich besser auf jede Art von Duktus.« Gozbert ging zu einem Bücherbrett, schlug einen Kodex auf und zeigte mit Selbstgefühl die Blätter, auf welche Buchstaben mit bunten Farben gemalt waren. »Ich sah selten so leuchtendes Gold so wohl geglättet,« lobte der Fremde. »Durch den Stein Achates,« erklärte Gozbert und blätterte zum Anfange zurück, dort war als großes Bild ein Kaiser auf seinem Stuhl und zur Seite vier Frauen, tief gebeugt mit seltsamen Kronen auf dem Haupt, jede eine Mulde in den Armen, worin etwas Undeutliches lag, darüber standen die Namen von vier Ländern, welche zum Reich gehörten. »Ich selbst habe den Weibern die Verneigung erdacht,« sagte Gozbert stolz, »denn in der alten Handschrift, die wohl noch aus der Urzeit der Römer stammt, standen sie gerade.« »Niemand merkt, daß es das Gesäß des Vaters Sintram ist, welches Gozbert viermal gebildet hat,« erklärte Heriger mit lustigem Augenzwinkern, »denn Sintram mußte oft gekrümmt stehen mit den Händen am Türpfosten, während Gozbert zeichnete.« Der Schreiber warf einen mißbilligenden Blick auf den Sprecher und zeigte mit dem Finger auf das rötliche Gesicht des Kaisers. »Herr Otto der Rote seligen Andenkens.« »Ich aber will unsern Vater rühmen,« fuhr Heriger fort, »denn schwerlich wird man einen Schreiber unter den Lebenden finden, welcher mehr geschrieben hat; vierzig Jahre lang schreibt er bei uns jeden Tag im Sommer und Winter; fünfzig Bücher bewahrt das Kloster von seiner Hand und nicht wenige sind zum Tausch gegeben gegen andere.« Gozbert neigte bescheiden den Kopf während des Lobes, aber seine kleinen Augen glänzten. »Wenn es mir nur nicht an Pergament gefehlt hätte,« sagte er, »und an Büchern zum Abschreiben.« »Vielleicht wird es möglich, daß du von dem Kloster, aus dem ich komme, ein gutes Buch geliehen erhältst,« tröstete Reinhard. »Was es auch sei,« versetzte Gozbert erfreut, »ich schreibe es gern, wenn du oder ein anderer Gelehrter mir sagt, daß keine Sünde darin steht. Denn die heiligen Namen zeichne ich mit Rot aus und die Übles bedeutenden Namen in den profanen Büchern habe ich immer weggelassen, so oft ich ihre Tücke merkte. Manche Nacht habe ich in Ängsten gewacht und oft hat mir beim Schreiben geschaudert, ob ich nicht vielleicht etwas schreibe, was dem Heil meiner Seele schaden könnte. Endlich bin ich gewarnt worden, daß ich die sündigen Bücher meide.« Er schlug das Kreuz und wandte sich geheimnisvoll zu dem neuen Mönche, während die andern, welche die Lieblingsgeschichte des Alten wohl kannten, einander bedeutsam ansahen. »Merke auf jenen Holzkrug, mein Bruder,« fuhr Gozbert fort, »in welchem ich mein Trinkwasser bewahre. Ein Deckelkrug, diesem gleich, stand an derselben Stelle, als ich gerade einiges von dem Heiden Ovidius schrieb. Da hörte ich hinter mir den Deckel klappen, ich wandte mich um und mein Haar sträubte sich, der Krug stand still, aber zuweilen hob sich der Deckel und schlug wieder abwärts, wie von innerer Gewalt getrieben. Ich rief die Heiligen zu Hilfe, plötzlich sah ich zwei Hörner aus dem Krug ragen und wieder verschwinden. Im Entsetzen stieß ich den Krug um und sogleich sprang der teuflische Geist, einem kleinen Tier mit Hörnern ähnlich, aus dem Holz, fuhr in dem Zimmer umher und endlich durch den Türritz hinaus, indem er bösen Nebel und Gestank zurückließ. Ich aber erkannte die Warnung.« »Hätte der böse Geist nicht den Dampf zurückgelassen,« bemerkte Heriger, »so würden manche vermuten, daß es ein junger Hase gewesen sei, den der Thüring Immo heimlich in den Krug unseres Vaters gesetzt hatte.« »Es war der Teufel,« versetzte Gozbert unwillig. »Seitdem schreibe ich nur heilige Bücher.« »Du hast sicher das beste Teil erwählt, mein Vater,« tröstete Reinhard grüßend, und sie schieden aus der Zelle. Der Schreiber aber setzte sich wieder zu seinem Pult; oben webte die Spinne und unter ihr schrieb der Mönch. Tutilo wurde gesprächiger, als sie die Höfe betraten, in denen die Arbeiter des Klosters unter Aufsicht der Mönche für Handwerk und Landbau tätig waren. »Du siehst, Bruder,« begann er das Haupt erhebend, »nicht gering ist das Haus des heiligen Wigbert, sein Segen hat die Keller und Scheuern gefüllt, wie gierig auch die Grafen und Dienstmannen ihre Fäuste nach Äckern und Herden ausstrecken. Und jetzt, da ich dir die Türen geöffnet habe und deinen Herdsitz gewiesen, jetzt berichte auch du, wenn dir gefällt, was du außerhalb des Klosters erfahren hast, denn wildes Gerücht geht durch die Lande, daß die Kinder der Welt in neuem Zwist gegeneinander toben.« »Zürne nicht, mein Vater, wenn ich deinem Willen nicht auf der Stelle genüge,« versetzte Reinhard demütig, »du selbst weißt ja am besten, daß der Mund des Bruders, der aus der Ferne kommt, verschlossen sein muß, bis die Erlaubnis des Herrn Abtes ihn öffnet.« Der helle Zorn flammte aus Tutilos Augen. »Statt des Abtes stehe ich hier und mein ist das Recht, dir die Zunge zu lösen.« Reinhard warf sich schnell vor ihm auf den Boden und flehte die Hände erhebend: »Verzeih, mein Vater, daß ich dir Unmut erregte, da ich dir Gehorsam schuldig bin im Staube; nur was die heilige Regel mir gebietet, meinte ich zu tun. Selbst wünsche ich, daß du alles wissest, denn schwere Kunde bringe ich aus dem Lande, aber auch dir würde es gefallen, wenn du der Abt wärest, daß ich eher dir als andern die Botschaft verkündete.« Tutilo blickte finster auf seine Begleiter, aber er sah an den verlegenen Mienen, daß sie das Recht des Flehenden erkannten, darum schwieg er und ließ den Mönch zu seinen Füßen liegen, bis Heriger, der Kellermeister, begann: »Da der Bruder sich nach Gebühr demütigt, so rate ich, daß du selbst ihn nach St. Peter zu unserm Herrn Abt begleitest, damit auch wir erfahren, was dem Kloster zum Heil oder Unheil werden mag; vor allem aber, daß du es wissest, da du jeden Tag um unser Wohl zu sorgen hast.« Tutilo wandte sich unfreundlich nach dem Sprecher, aber er bezwang sich und antwortete dem Liegenden mit einer Stimme, der man den Ärger wohl anmerkte. »Ungern wandle ich aus der Pforte nach jener Höhe, doch will ich dein Gewissen, mein Bruder, nicht beschweren. Erhebe dich und harre mein an dem Tore. Du aber, Walto, gebiete, mein Roß zu satteln, damit ich die Befehle unseres Herrn auf der Höhe erbitte.« Er wandte sich ab und hörte nicht darauf, wie der Kniende sich dem Gebet der Brüder empfahl. Reinhard erhob sich hinter dem Rücken des Präpositus und schritt mit gesenktem Haupt neben dem Pförtner dem Ausgange des Klosters zu. Tutilo aber entließ die Brüder, welche ihn begleitet hatten und sprach zu seinem Vertrauten Hunico: »Übles weissagt die fremde Biene in unserm Stock. Der Narr ist von der neuen Zucht, welche die Füße küßt und Faustschläge in den Nacken gibt, er wird die Becher der Brüder zählen und um einen gekochten Kalbskopf die Geißel schwingen. Wer so willig ist, sich in den Staub zu werfen, der wird auch dem König und den Grafen nicht widerstehen, wenn sie uns die Zehnten und Hufen nehmen und das Heiligtum kahl machen, wie es zur Zeit des Lullus war, wo die Brüder sich selbst an den Pflug spannten und ihr gutes Glück priesen, wenn ihnen ihr tägliches Pfund Brot ohne Abzug gereicht wurde. Ich aber meine nicht umsonst die Speicher gefüllt zu haben, kommt es zum Kriege, so suchen auch wir einen neuen Abt, welcher das Kloster erhöht und nicht erniedrigt; denn es leben wenige Fürsten im Reiche, die so stark sind als wir sein könnten, wenn ein Mann auf dem Abtstuhl säße und nicht ein Schwächling.« Er schritt gewaltig in die Klausur, sich zu der unwillkommenen Fahrt zu rüsten. Während die ansehnlichen Führer der Brüderschaft durch die Höfe wanderten, schlich der junge Mönch, welcher den fremden Bruder geleitet hatte, unbeachtet in die Kirche zurück, neigte sich vor den Altären, glitt die Säulen entlang, und öffnete im Vorhofe den Eingang einer hölzernen Galerie, welche aus der Kirche zu dem Glockenturm des Erzengels Michael führte. Er stieg die Wendeltreppe hinauf bis zu dem Bodenraum unter den Glocken. Dort stand der Altar des hohen Engels, der im Federhemd in den Lüften waltete und den Wetterschlag vom Glockenturm abhielt. Indem der Mönch sein Gebet murmelte, rief von oben eine helle Stimme: »Rigbert, sei willkommen.« Der Mönch hob warnend den Finger, kletterte die steile Stiege hinauf, welche zu dem Glockenstuhl führte und stand wenige Schritte von dem Jüngling Immo. Dieser saß in dem Schalloch auf schmalem Brett, das für eine Dohle bequemer war als für einen hochgewachsenen Mann und beobachtete ungeduldig das Nahen des Mönches. »Du kommst aus Thüringen, seit Mittag erwarte ich dich; der Dienstmann Hugbald ritt an euch vorüber und brachte die Kunde in das Wächterhaus. Du sahest die Quellen der Waldbäche springen, du hörtest wie der Bergwind weht, und wie das junge Volk der Thüringe unsere Reigen auf dem Anger singt. Was weißt du mir zu sagen aus den Waldlauben?« »Noch rinnen die Quellen vom Rennstieg zu Tale, und die Waldaxt klingt an den Baumstämmen. Aus Erfurt, dem großen Markte, ritt mein Reiseherr Reinhard nach der Zelle unserer Brüder in Ordorf, auf dem Wege rasteten wir in einem Edelhofe.« Eine heiße Röte fuhr dem Schüler über das Gesicht und mit heller Stimme rief er, die Hand gen Osten hebend: »Ich meine, das war der Hof meiner Väter.« »Wir wurden wohl empfangen von der edlen Hausfrau.« »Das war meine Mutter,« schrie der wilde Knabe und wandte sein Antlitz von dem Mönche ab, weil ihm Tränen über die Wangen liefen. »Sprich mir von ihr,« fuhr er nach einer Weile fort und kehrte sich wieder dem Mönch zu. »Sie erschien mir als eine heilige Frau und einer Fürstin sah sie gleich, obgleich sie schmucklos in Witwentracht vor uns stand.« »Mein Vater starb an seiner Wunde in fernem Land und der Sohn vermochte nicht ihn zu rächen. In den Kerker bin ich gesteckt. Unselig ist die Hand, die das Rauchfaß schwingt statt des Eisens.« »Mehr hilft deiner Seligkeit der Rauch am Altar als die wilden Worte,« mahnte der Mönch. »Du freilich trägst geduldig die braune Schafwolle, die sie dir gesponnen haben.« »Mich hat meine Mutter, da ich ein Kindlein war, dem Heiligen auf den Altar gelegt, weil sie das Liebste dem Himmel weihen wollte, und meine Heimat ist seitdem im Gotteshause.« »Auch mich haben sie, da ich noch ein Knabe war, zum Dienst des Altars bestimmt, obgleich ich das erstgeborene Kind war und ein Recht hatte, das Banner meines Vaters zu führen. Aber dem Vater wurde der Vorsatz leid, denn du weißt ja wohl, meine Fäuste sind nicht gemacht, Feder und Gebetbuch zu halten, sondern Schildrand und Rosseszügel. Zu einem Kriegsmann wurde ich erzogen, obgleich der Mutter Böses ahnte, bis mein Vater mit dem jungen Kaiser Otto nach Italien zog und in die Gefangenschaft der treulosen Griechen geriet. Da kam die Angst in unsern Hof, schöne Hufen mußte die Mutter dem Kloster verkaufen, um das Lösegeld für den Vater zu finden, und nicht die Hufen allein, auch den Sohn rieten die frommen Väter zu spenden, damit die erzürnten Heiligen sich des Vaters wieder erbarmten. Ich trug damals mein erstes Panzerhemd, jetzt trage ich dies mißfarbige Kleid eines dienenden Schülers und fahre in dieser großen Mausefalle wie eine gefangene Ratte längs den Brettern dahin. Den Vater haben die Heiligen doch nicht heimgeleitet, ich aber bin gefesselt.« »Wie mochten sie ein Opfer gnädig empfangen,« antwortete der Mönch traurig, »das so unwillig sich gegen den Altar sträubte.« »Zu Rosse wäre ich für sie geritten bis an das Ende der Welt, aber auf den Knien gleiten über den glatten Stein, das kann ich nicht. Denn meine Ahnen dachten hoch und ich stamme aus einem Geschlecht von Kriegern.« »Und doch sollte deine Dienstbarkeit mild sein, du Begehrlicher, der immer an die Freuden der Welt denkt. Nicht Mönch solltest du werden, sondern ein üppiger Kanonikus, der seidenes Gewand trägt, hoch zu Rosse sitzt und mit den Frauen kost wie ein anderer.« »Warum trage ich nicht das weiße Gewand?« frug Immo zornig. »Andere, die noch jünger sind in der Klosterschule, werden dadurch doch ein wenig getröstet. Doch ich weiß wohl, teuer ist solche Gunst und niemand von den Meinen zahlt einem Bischof den Preis für die weiße Leinwand. Aber hätte ich auch, was du für mich ersehnst, du weißt, die Fledermaus ist ein unholdes Tier, sie ist nicht Maus, nicht Vogel; und ich bin von dem Geschlecht, welches bei Sonnenschein sich über die Flur schwingt. Was sahst du noch, Rigbert, in unserer Halle?« »Von dem Söller wies Frau Edith meinem Reiseherrn die Kapellen der Umgegend; und als die Glocken hier und da läuteten, weil die Sonne im Mittag stand, brach aus dem Gehölz eine Schar Reiter, alle auf hellen Rossen.« »Das waren meine Brüder,« rief Immo, »das ist unsere Zucht.« Der Mönch nickte bestätigend: »Frau Edith sprach freudig zu dem Priester: Sieh, Reinhard, das sind meine sechs Nestlinge. Sie kommen, das Futter zu picken. Ist's nicht ein kräftiger Flug?« »Und die Dohle sitzt hier im Turmloch,« rief Immo dazwischen. »Sie rauschten heran wie durch die Luft getragen, sechs feurige Reiter, wild flog ihr Haar durch die Luft, waren sie mit Vögeln zu vergleichen, so waren sie doch nicht als Waldsänger zu erkennen, denn scharf stachen ihre Augen.« Immo lachte erfreut. »Mich verdrießt's nicht, wenn du die Männer meines Geschlechtes mit Habichten vergleichst; ich hoffe, die Knaben werden ihre Fänge erweisen. Sahest du das Roß, auf dem mein jüngster Bruder ritt, der kleine Gottfried, den wir Friedel nennen? Ein Knabe war Friedel, da ich vor sechs Jahren von Hause scheiden mußte, er schlang die kleinen Arme um meinen Hals und weinte bitterlich, und als ich von der Schwelle wich, rannte er mir schluchzend nach und zog an meinem Gewand, mich festzuhalten. Ich hob ihn auf das Roß, das mir gehörte, gab den Zügel in seine Hand und raunte dem Hengste zu, daß er dem Kleinen zugetan sei. Niemand hat mir gesagt, wie das Roß ihm dient. Du mußt es gesehen haben, Rigbert, wenn du auch ein Mönch bist. Es ist ein sächsisches Pferd aus der Zucht des Königshofes, die Farbe ist ganz weiß und Mähne und Schweif glänzen wie Silber. Sahst du das Roß, Rigbert, so sprich.« »Wohl sah ich das seltene Tier.« »Zwölfjährig ist es jetzt,« fuhr Immo eifrig fort, »und es mag meinen Friedel noch tragen, wenn er das erste Mal in die Schlacht reitet; denn ein altes Roß und ein junger Held, sagt das Sprichwort, gehören zusammen. Wie saß das Kind auf meinem Rosse?« »Sah ich recht, so trug das Roß den ältesten deiner Brüder, den sie Odo nennen.« Immo sprang wie ein wildes Tier aus der Luke hinab auf die Stiege und packte den Mönch. »Odo, sagtest du, der jetzt Erbe ist an meiner Statt. Mir nahm er die Hufen und die Herrschaft im Lande, jetzt entwendet er auch dem Bruder mein letztes Geschenk. Vergessen bin ich und verachtet ist mein Gedächtnis und im Knechtdienst lebe ich wie einer, den sie im Kriege gefangen haben.« Er warf seinen Leib dröhnend gegen die Holzwand, ein krampfhaftes Schluchzen erschütterte ihm die Glieder. »Ganz töricht gebärdest du dich, Immo. Wie darfst du den Bruder schelten? nicht er hat dich zu uns gebracht und ein Zufall kann gewesen sein, daß er das Pferd tauschte.« Immo aber antwortete nicht und der Mönch harrte schweigend, bis der heftige Anfall vorüber war. Endlich richtete sich Immo auf und frug ruhiger: »Bringst du mir Botschaft von der Mutter?« »Den Segen deiner Mutter trägt dir Vater Reinhard zu, wenn der Herr Abt es gestattet. Achte darauf, Immo, daß du dem Fremden gefällst, denn wisse, als Meister der Schule ist er in dies Kloster gesendet und von morgen ist er dein Herr.« »Er wird widerwillige Diener finden in der äußern Schule. Ist er ein Geselle wie der arge Tutilo?« Der Mönch sah unruhig um sich. »Du sprichst lauter als in Klosterwänden geziemt,« und bittend fuhr er fort: »Immo, du hast mir Güte erwiesen, seit du unter den Dächern des heiligen Wigbert umherfährst, und du hast mir erlaubt, dein Geselle zu sein, soweit ich aus der Klausur dir die Hand durch den Zaun zureichen durfte; laß dich jetzt mahnen an unsere Treue in der Schule. Liebst du dein Leben und dein Glück und wünschest du Gutes für die Tage deiner Zukunft, so füge dich dem neuen Lehrer; denn soweit ich ihn erkenne, ist er von mildem Herzen, aber von der strengen Zucht, und ich meine, es kommt eine andere Zeit auch für die Höfe des heiligen Wigbert. Vieles hörte ich raunen in den Zellen der Brüder, als wenn wir alle hier zu wenig nach der Regel lebten.« Immo lachte. »Sage das den Vätern. Ich sah vorhin durch das Schalloch, wie sie um die Heuhaufen im Reigen sprangen, und sie hielten die Mägde des Dorfes an der Hand.« »Schweig,« raunte der Mönch, »war das Tun nicht gut, darüber im Kloster zu sprechen ist Frevel, nicht uns allein steht Fasten und Rutenschlag bevor; mit den Scholastikern werden sie anfangen.« »Unsere Fleischkost ist mager,« spottete Immo, »wollen sie uns gebieten zu fasten, so müssen wir den alten Katerweg über die Dächer wandeln, du kennst ihn ja wohl?« Der Mönch bekreuzigte sich. »Dann laufen wir zur Nacht in den Wald und beschleichen das Wild. Manchen Bock haben wir im Holze gebraten und du kennst ein Loch im Zaune, durch welches gute Bissen auch in die Klausur gereicht wurden.« Flehend sah der Mönch den Spottenden an: »Ich habe es gebeichtet und gebüßt.« »Ich hoffe, die Pönitenz war nicht hart, Bruder Rigbert,« lachte Immo, doch herzlicher fuhr er fort: »Ich weiß, daß du mir in guter Meinung rätst und will mich wahren, so sehr ich kann. Doch jetzt erzähle, Landsmann, von deinem eigenen Vaterhause im freien Moor, das sie Friemar nennen. Wie lebt Baldhard der alte, dein Vater, und Sunihild, deine Mutter? Manchen Trunk Milch bot sie mir, so oft ich durch das Dorf ritt und an ihrem Zaune hielt und manch warnendes Wort sprach dein Vater, das ich ungern vernahm, obwohl er recht hatte. Aber ich mußte ihn mit Ehrfurcht hören, wegen seines weißen Haars und weil er meinem Vater wert war. Wenn er in unsern Hof kam, erhielt er immer den besten Herdsitz; denn es ist, wie du weißt, von alter Zeit gutes Vertrauen zwischen dem Edelhof und dem Freihof.« »Ich sah das Dach meiner Eltern ragen, Vater und Mutter sah ich nicht,« klagte Rigbert leise; Immo starrte ihn erstaunt an. »Für mich war geschrieben, du sollst Vater und Mutter verlassen; ich wandte das Gesicht ab, als ich das Haus zwischen den Linden erkannte, damit den Heiligen meine Entsagung gefalle und mein Gebet für die Eltern Erhörung finde.« Immo fuhr wieder mit einem Satze von dem Gefährten weg auf den Balken der Turmluke und starrte schweigend ins Freie. Als er sich nach einer Weile umwandte, bemerkte er mißfällig das gesenkte Haupt und die gefalteten Hände des Mönches, und begann ungeduldig: »Merke wohl, Rigbert, dürftig ist die Kunde, die du mir aus der Heimat zuträgst.« »Vater Reinhard bringt üble Neuigkeit von den Gütern in Thüringen,« versetzte Rigbert vorsichtig. »Hat der Hof meiner Mutter Frieden mit den Nachbarn?« »Sorglos weidete man in deiner Heimat die Herden und ohne Wächter arbeiteten die Leute auf dem Felde. Nur deine Mutter sprach bekümmert mit Vater Reinhard.« »Du spendest dürftigen Trank wie ein karger Wirt, ich muß dich unfreundlich schelten.« »Viel mehr habe ich dir gesagt als mir zu sagen recht ist. Nur weil ich noch meine Reisekutte trage, getraute ich mich so mit dir zu sprechen. Wenn die Väter heute abend zur Hora rufen, dann flehe ich die Brüder fußfällig an, daß sie alle für mich wegen meiner Reisesünden beten, dann hoffe ich, wird ihr Flehen auch meiner Schwatzhaftigkeit die Vergebung gewinnen. Sonst spräche ich nicht mit dir, wie ich jetzt getan. Daran denke, Immo, und zürne mir nicht.« »Gutwilliger als du will ich dir verkünden, was wir hier im Kloster vernahmen,« begann Immo versöhnt. »Ein Heereszug steht bevor und gewaltiges Getöse von Speer und Schild. Die Herrschaft des neuen Königs Heinrich, dem die Völker im vorigen Jahre den Herrenstuhl erhöht haben, zerreißt in Stücke, sein ganzes Reich gleicht unserer Eisbahn auf der Fulda, als sie beim Tauwind brach. Überall schlagen die Eisschollen gegeneinander. Täglich erzählen in unsern Herbergen die Gäste und die armen Wanderer, daß alles schwankt, was fest war. Der streitbare Held Hezilo, der Babenberger, hat sich machtvoll gegen den König erhoben, mit ihm verbunden ist der eigene Bruder des Königs, dann der tapfere Graf Ernst, von dem alle Spielleute singen, auch die Slawenherzöge und viele Fürsten des Reiches. Die Mönche behaupten, daß der König geringe Hoffnung hat, seinen Feinden zu widerstehen. Die Grafen hier in der Nähe rufen ihre Dienstmannen, werben Reisige und treiben Rosse und Rinder in ihre Burgen, keiner traut dem andern und alle schreien, daß der große Streit um das Reich ausgefochten werden soll, sobald die Ernte von den Feldern herein ist. Ich aber hoffe, wenn erst die Waffen um Wigberts Haus dröhnen, wird auch mir gelingen hinauszufahren.« »Sinnst du so Arges,« sprach Rigbert unwillig, »dann ist dir jedes Wort schädlich, das ich aus der Fremde berichtete und mich reut's, daß ich dir den Frieden der Seele verstörte.« »Hoffst du hier im Kloster Frieden zu finden?« frug Immo lachend, »bald wirst du merken, daß die Väter in der Klausur grade so zwieträchtig gegeneinander stehen wie die Kriegsleute draußen. Denn unser Abt, Herr Bernheri, will dem König dienen, Tutilo aber ist ein Oheim des Babenbergers Hezilo. Oft hören wir durch den Zaun Geschrei der Mönche und heftige Worte, bald für König Heinrich, bald für den Hezilo.« Rigbert wandte sich schweigend der Treppe zu. »Nur eins sage mir noch, bevor sie dich einsperren,« rief Immo, indem er mit großem Satz zu dem Mönche sprang und seine Hand faßte, »denn lange habe ich nach dir ausgesehen und diese Stunde erwartet. Vernahmst du daheim Gutes oder Böses von dem Manne, der den Söhnen Irmfrieds feindselig denkt, obgleich er der Bruder ihres toten Vaters ist. Hast du vernommen, für welchen König mein Oheim Gundomar in das Feld reitet?« »Er weilt, wie die Landsleute sagen, beim König Heinrich, dem er seit lange vertraut ist, und man rühmt ihn als gewaltigen Kriegsmann.« »Wir aber haben wenig Treue von ihm erfahren. Nur einmal sah ich ihn, als ich noch ein Kind war, da schleuderte er mich aus seinem Wege, daß ich mit blutendem Haupt auf dem Boden lag. Mir wäre willkommener, gegen ihn im Felde zu stehen als an seiner Schwertseite. Doch wir von der äußeren Schule sind alle für König Heinrich.« Während Immo mehr zu sich selbst als zu dem Mönche sprach, glitt dieser lautlos die Treppe hinab. Immo stand allein und seufzte schwer. Was er aus der Heimat gehört hatte, machte ihm das Herz nicht leichter und der neue Lehrer war ihm vollends nicht zur Freude. Noch einen Blick warf er vom Turme hinab, um dem Tutilo oder andern Dekanen nicht über den Weg zu laufen, dann eilte er abwärts und wand sich zwischen Gebäuden und Hecken den Gärten zu. Da er hinter sich Tritte von Männern und Pferden hörte, fuhr er durch eine Lücke des Zauns, die ihm wohlbekannt war, auf die andere Seite der grünen Wand und pries sein gutes Glück, als er aus dem Versteck den gefürchteten Tutilo erkannte, welcher, zur Reise gerüstet, neben einem fremden Kriegsmann dem Ausgange zuschritt. Immo wußte, daß der Fremde seit dem Morgen im Gasthaus des Klosters lag und wunderte sich über die Vertraulichkeit, mit welcher der Reisige den stolzen Mönch behandelte, denn er ging, sein Roß am Zügel führend, sorglos auf der Ehrenseite und trug den schlechten Eisenrock mit der Haltung eines Fürsten. Während Immo vom Wege wich, wechselten die beiden den Scheidegruß. »Lebe wohl, Vetter,« sprach der Fremde, »unlustig war diesmal mein Sitz an deiner Gastbank, denn die neugierigen Augen deines Volkes und die gewundenen Fragen machten mir Sorge.« Tutilo lächelte. »Viele der Wigbertleute kennen den Grafen Ernst von Angesicht und wohl alle haben von deinem Heldenwerk vernommen, welches die Wanderer rühmen. Grade deinetwegen schwärmt heut mein ganzes Volk in der Ferne auf grünem Rasen, der Pförtner aber ist mir treu. Dennoch rate ich, daß du ohne Säumen aufbrichst. Vertraue mir, ich hindere die Reise zum Könige, welche unser Abt den Dienstmannen des Klosters bereitet.« »Denke auch daran,« unterbrach ihn der Fremde eifrig, »uns das Land offen zu halten für den Zug unserer Heerhaufen, welche wir aus Sachsen und Thüringen erwarten. Denn ich kenne den falschen König, er ist behend wie ein Wiesel und seine Augen sind bei Tag und Nacht geöffnet, ich sorge, er reitet eher ins Feld als wir. Lebe wohl, Vetter, sehe ich dich wieder, so rüstest du mir ein Festmahl in der Abtei.« Der Mönch sprach den Segen und der Fremde schwang sich auf das Roß. Als der Hufschlag in der Ferne verklang, schritt auch Tutilo der Pforte zu, an welcher ihn Reinhard erwartete. Immo harrte, bis alles um ihn still war, dann spähte er durch die Tür des Arzneigartens, und als er den alten Sintram darin sah, trat er vorsichtig ein und näherte sich dem Mönch, welcher mit dem Grabscheit vor einem kleinen Gesträuch stand und unverwandt eine Blume betrachtete. Der Jüngling sprach seinen Gruß, der Alte nickte ihm freundlich zu, gab ihm das Grabscheit in die Hand und wies auf das Beet, an dem er gegraben hatte. Geduldig begann Immo die unwillkommene Arbeit, der er sich nach Klostersitte nicht entziehen durfte. Unterdes beharrte Sintram vor dem Strauch, bis er endlich in seiner Freude das Schweigen brach: »Sieh diese Rose, die ein Bruder dem Wigbert aus Gallien gebracht hat; wie eine Kugel war sie geschlossen, aber die liebe Sonne hat ihr den Mund geöffnet; blicke hinein, schöne Farben hat sie und zahllose Blätter. Halte deine Nase näher heran, denn die Würze ihres Geruchs ist heilkräftig und die bösen Geister, welche in den Leib fahren und Siechtum bereiten, fürchten den Duft und meiden ihre Nähe. Die Weisen sagen, sie ist von dem Herrn in den Erdgarten gesetzt, damit sie dem Menschen ein Anzeichen sei. Denn auch ihm ist das Herz geschlossen bis das Licht des Glaubens darauf fällt, dann öffnet sich seine Seele der himmlischen Liebe.« Immo verließ gern das Beet und sah achtungsvoll auf die Rose, aber anderes lag ihm mehr im Sinn. »Zeige sie auch dem neuen Magister, welcher, wie man sagt, aus der Fremde gekommen ist, um die Schüler Dialektik zu lehren.« »Du hast die Wahrheit gehört,« versetzte der Alte vorsichtig. »Dann, Vater, sage ihm, wenn du vermagst, Gutes von mir, denn ich fürchte, andere werden ihm allerlei Nachteiliges in das Ohr raunen. Leidvoll wäre es mir, wenn er feindselig gegen mich handelte, denn er kennt meine Mutter und mein Geschlecht, er hat die Macht mir zu schaden und seine Fürsprache mag mir helfen, daß ich von der Schülerbank gehoben werde. Allzulange, mein Vater, trage ich, wie du weißt, dies Gewand.« »Sorge du nur ihm zu gefallen,« mahnte der Alte, »er hat wohl selbst Augen und wird schwerlich der Meinung anderer folgen. Mir scheint, er hat dich bereits gesehen, da du unter den Dohlen saßest.« »Die Pusillen in der Schule, welche noch nicht fünfzehn Jahr sind, fürchten sehr seine Rute, es wäre gut für ihn und uns, wenn er Nachsicht übte. Die erste Bank ist harter Streiche nicht gewohnt und er wird es schwer finden, das edle Blut über die Bank zu legen.« »Dennoch rate ich dir nicht, ihm das zu sagen,« versetzte der Gärtner, »du selbst möchtest dafür büßen. Jetzt aber wende dich abwärts, Immo, dort naht Bruder Bertram aus dem Friedhofe. Unrecht war es, hier ohne Erlaubnis einzudringen.« »Grade seinetwegen kam ich zu dir, mein Vater, und ich flehe, daß du bei ihm mein Fürsprecher werdest. Denn ganz unsicher sind die Tage meiner Zukunft, und wenn ich das Kloster verlasse, so weiß ich niemanden, der meiner Jugend mit gutem Rat zuhilfe kommen wird. Dein Geselle aber hat im letzten Winter freiwillig verheißen, daß er mir, bevor ich aus dem Kloster scheide, als Gabe die Weisheit übergeben will, welcher die Männer seines Geschlechts in der Stille vertraut haben. Wenn er mich noch der geheimen Lehre für würdig erachtet, so ersehne ich, daß er sie mir jetzt oder doch bald einmal spende. Du aber zürne mir nicht, daß ich darum zu dir komme. Ich weiß ja, Vater, daß du mir nichts Übles sinnst, denn ich fand gestern in der Ecke bei dem Nest der Rotkehlchen einen Binsenkorb voll Kirschen, und ich weiß auch, wer ihn hingestellt hat.« Der Alte lächelte vergnügt. »Die Rotkehlchen sind listige Vögel, sie tragen mancherlei hin und her. Auch ich fand in diesem Frühjahr, als mir meiner Sünden wegen die Gicht in die Hand gefahren war, ein Paar Fausthandschuhe von Otterfell bei meinem Gerät, ich habe nicht gefragt, woher sie kamen.« Er sprach das letzte zu seinem Gesellen Bertram, der langsam herangewandelt war und ebenfalls sein Grabscheit in der Hand hielt. Die beiden Alten blickten einander bedeutsam an und Bertram, welcher der ernsthaftere war, setzte das Gespräch fort, als wenn er die früheren Reden gehört hätte und begann feierlich: »Darum nahest du auch jetzt zu günstiger Stunde, denn heut ist der Tag, wo ich dir schenken will, was ich dir einst versprach und was ich bis jetzt als mein Geheimnis bewahrte, wie ich es von einem Oheim erhielt, der es als Kriegsmann in der größten Not seines Lebens erprobt hat. Mir selbst vermag es nicht zu dienen, denn es ist ein Gut für Weltleute und nicht für Mönche, dir aber kann es wohl frommen, denn ich merke, dein wilder Mut wird dich bald einmal über den Zaun des Klosters hinaustreiben. Tritt abwärts aus der Sonne in den Schatten eines Fruchtbaumes, denn nur im Dunkeln darf ich dir's geben.« Der Alte wandte sich einer Ecke des Gartens zu, wo ein großer Apfelbaum seine Zweige tief zur Erde breitete, ehrfürchtig folgte ihm der Jüngling, Sintram machte den Beschluß. So schritt Immo zwischen den beiden Spatenträgern in den Baumschatten, dort blieb Sintram im Sonnenlichte zurück, Bertram aber trat an den Stamm und winkte den Jüngling nahe zu sich. Er stützte den Spaten an den Baum, faltete die Hände und murmelte sein Kredo, dann begann er feierlich: »Vielerlei Lehren gibt es, welche den Mann fest machen, wenn seine Gedanken sich unsicher wälzen; und die heilsamsten von allen sind die heiligen Befehle, welche verkündet sind. An diese gedenke vor andern. Die Lehren aber, welche ich für dich bereit halte, vermögen dir nicht zu helfen in der Freude und nicht beim Gelage und nicht bei Kauf und Verkauf, aber sie sind gute Helfer in der Not. Neige dein Ohr zu mir, damit das Geheimnis meiner Gabe bewahrt bleibe und gelobe mir, daß du sie nicht auf die Zunge nehmen und von dir geben willst außer an einen ehrlichen Mann in guter Meinung.« Das gelobte Immo. Da pflückte Bertram vier Grashalme von der Erde, reichte dem Jüngling einen in seine Hand und sprach feierlich: »Drei Lehren sind es und eine, mit denen ich dich begabe, öffne dein Ohr und halte sie fest. Die erste bedeutet, daß dem Manne nicht geziemt zu dienen, wo er gebieten darf; und sie lautet: Birg niemals in die Hand eines Herrn, was du allein behaupten kannst.« Und als Immo die Worte wiederholt hatte, reichte Bertram den zweiten Halm: »Dieser Spruch soll dich mahnen, wenn du einem Freunde unwillkommene Kunde ins Haus trägst, daß du sie ihm vertraust, bevor der Staub auf deinen Schuhen verweht ist; und der Spruch lautet: Üble Botschaft auf der langen Bank, macht dem Boten und dem Wirt das Herz krank.« Zum dritten Halm sprach er: »Mißachte den Eid, der in Todesnot geschworen wird. Wer dir Liebes gelobt, sich vom Strange zu lösen, der sinnt dir Leid, so oft er des Strickes sich schämt.« Und beim vierten gebot er: »Deines Rosses letzter Sprung, deines Atems letzter Hauch sei für den Helfer, der um deinetwillen das Schwert hob.« Als Immo jeden Spruch nach Gebühr wiederholt hatte, beschloß Bertram die Begabung, indem er gerührt sagte: »Es ist Brauch, daß der Spender heilsamer Lehren ein Entgelt dafür erhalte. Da du wenig hast und ich wenig nehmen darf, so hoffe ich, die guten Engel werden dir jene Pelzhandschuhe als Gegengabe anrechnen. Wegen des Otterfells aber hat dich der Gerber verraten, und wir wissen auch, daß dir's Herr Bernheri geschenkt hat, als du ihm die Otter lebendig brachtest. Und jetzt neige dein Haupt, mein Sohn Immo, damit ich dich segne; denn du hast die Weisheit meiner Vorfahren empfangen und ich will flehen, daß sie deinem Leben nütze, wie sie denen genützt hat, die sie vor dir besaßen. Wenn du sie aber mißachtest und ihr zuwider handelst, so siehe zu, daß die Verachtung sich nicht an dir räche.« Immo beugte das Haupt in die Hand des Alten und empfing den Segen. Dann traten sie wieder aus dem Schatten in die Sonne, die beiden Greise blickten einander zufrieden an und führten ihren Günstling zur Gartentür, dort begann Sintram: »Merke auch noch dies von meinetwegen. In all deiner Zukunft sorge dafür, daß du immer jemanden hast, der für dich zu den Himmelsherrn betet. Jetzt tut mein Bruder Bertram dies täglich für dich und auch ich gedenke des Abends deiner. Denn wir haben dein Gemüt längst erkannt, obgleich du unbändig dahinfährst. Aber wir beide sind alt. Oft hören die Himmlischen nicht gern die Worte eines Bedrängten, weil er ihnen durch seine Missetat verleidet ist, wenn aber ein anderer für ihn bittet, so fühlen sie leichter Erbarmen. Unselig ist auf Erden nur der, welcher in der Not allein die Hände faltet ohne einen Helfer. Darum gehe in Frieden, Immo, und denke auch darauf, daß du dem Präpositus nicht mißfällig wirst.« Immo sah bewegt den beiden Alten in die freundlichen Gesichter, welche einander ähnlich waren wie zwei Äpfel desselben Baumes, er neigte sich tief vor ihnen und entwich. Langsam schritt er die Hecke entlang, setzte sich endlich in den Schatten einer Mauer und wiederholte und bedachte in der Stille die Lehren des Bertram. Dann sprang er auf und schritt dem Hofe der Reisigen zu, der vor der großen Klosterpforte neben dem Haus des Pförtners stand. Dort lagen im Wachthause zu jeder Zeit einige kleine Dienstmannen des Klosters und dort weilte Immo am liebsten; er hatte daselbst auch seine besten Genossen, obgleich die Dekane das nicht zu wissen brauchten. Als er in den Hof trat, fand er eine Reihe Heuwagen, welche von den Knechten entladen wurden, während ein bejahrter Dienstmann im Schuppenhemd, die Blechkappe in der Hand neben seinem Rosse stand und geduldig den Arbeitenden zusah. »Gib mir ein Pferd, Hugbald,« begann Immo leise zu dem Kriegsmann, »daß ich mit dir reite.« Hugbald blickte bedeutsam nach dem Stall und wies auf einen handfesten Mönch zwischen den Heuwagen -- es war der Bruder, welcher dem Pförtner in seinem schweren Amt als Trost beigegeben war. Immo verschwand in dem Stalle. Als die entlasteten Wagen zum geöffneten Tor hinausfuhren, bestieg auch der Reisige sein Roß, hielt unter dem Tore an und sprach mit dem Mönch, der auf den Verschluß achten sollte. Da stob Immo auf flüchtigem Pferde an den Redenden vorüber und war außer Rufes Weite, bevor der Mönch sich von seinem Erstaunen erholt hatte. »Der Vater Pförtner hat mir befohlen,« rief der unzufriedene Mönch, »diesen nicht ins Freie zu lassen, weil er sich vermessen hat, ohne Erlaubnis auf St. Michael zu reiten, aber er wischt dahin wie ein Feuermann in der Nacht.« »Laß ihn immerhin,« begütete der Dienstmann, »mir ist es recht, wenn ich heut einen schnellen Knaben an der Seite habe. Denn um dir meine Meinung zu sagen, ich werde froh sein, wenn du am Abend Wigberts Knechte und Gespanne vollzählig zurück erhältst.« »Du verkündest, was üble Ahnung macht,« rief der Mönch erschrocken. »Wie mag uns Gefahr drohen, leben wir doch in Frieden mit den Nachbarn.« »Ich sah schwarze Vögel flattern über der Grenze unserer Waldwiesen, und ich kenne den Schwarm. Die Dohlen sind es aus den Buchen des Grafen Gerhard, sie fliegen gern dorthin, wo sein gewappneter Haufe reitet; um unsere Marksteine schwebten sie und lachten untereinander.« »Anderen mögen die Schwarzen Böses bedeuten, doch nicht uns,« tröstete der Mönch, »denn wir im Kloster beten jedes Jahr für den Grafen Gerhard und für die Seele seines Vaters.« »Es ist wohl möglich, daß die Vögel sich darum nicht kümmern,« versetzte Hugbald. »Auch sah ich etwas im Holze des Grafen blinken, ich meine, es war eine Helmkappe. Du selbst magst erwägen, ob die Mannen des Gerhard an diesem heißen Tage den Eisenhut tragen, weil sie das Heufest des Klosters feiern.« »Harre, daß ich dem Vater Tutilo die Kunde zutrage,« rief der Mönch. »Unnütz wäre die Mühe,« versetzte der Dienstmann, die Achseln zuckend, »ich ritt hierher, weil ich der Meinung war, die Reisigen unseres Herrn Abts von St. Peter als Helfer zu erbitten. Aber Herr Tutilo wollte vor einem Sonnenblink auf fremdem Eisen nicht erschrecken und verbot mir, wegen der Heuernte an das Tor des Abtes zu reiten. Auch hat in Wahrheit das Kloster Fäuste genug auf die Wiesen gesandt, vielleicht, daß sie mit den Heugabeln ihre Tapferkeit erweisen. Doch sollte mir das Pferd straucheln, so wird der Jüngling dort zurückreiten und euch mahnen, daß ihr das Glockenseil zieht.« Der Reiter nickte und trabte den Wagen nach, der Mönch verschloß kopfschüttelnd das Hoftor. Als Hugbald den Jüngling erreicht hatte, welcher hinter einem Gebüsch seiner harrte, begann er: »Dein Pferd hast du gut gewählt, wenn du dich heut im Felde gegen einen Feind tummeln willst, aber den Stecken in der Hand vermag ich nicht zu loben; er ist nur gut, um einen Hund zu treffen, nicht aber eine Eisenhaube. Auch dein Strohhut wird dir schwerlich das krause Haar schirmen, wenn dich ein Schwertschlag erreicht.« »Denkst du an Hiebe?« frug der Jüngling und richtete sich hoch auf. »Wer über das Feld reitet, darf immer daran denken,« versetzte Hugbald vorsichtig, »darum nimm noch eine Warnung. Wenn du merken solltest, daß Bewaffnete gegen mich sprengen, so treibe die Weiber mit den Rechen hinter einen Strauch und sieh selbst aus der Ferne zu, damit du berichten kannst, daß ich mich ehrlich gehalten habe.« »Ich meine, Vater, besser werde ich das erkennen, wenn ich an deiner Seite reite,« sagte Immo stolz und trieb sein Pferd zum Sprunge. Hugbald lächelte ein wenig, dann wies er ernsthaft nach dem nahen Berge, wo der Abt sein Haus hatte. »Dennoch ist es schwer, zwei Gebietern zu dienen. Dort oben liegen wackere Gesellen müßig, welche bei einer Schlägerei im Heu wohl den Rücken decken könnten. Aber was einem Herrn gefällt, will der andere nicht leiden.« »Sage mir, ob du um Gefahr sorgst, so will ich hinaufreiten, sie zu rufen.« »Damit Herr Tutilo mir später Feindseliges sinne,« versetzte Hugbald kopfschüttelnd. »Lieber vertraue ich auf die Hilfe des heiligen Wigbert, denn ich habe ihm, solange ich lebe, nie etwas genommen und manchen Schlag zu seiner Ehre getan, warum sollte er mich also mißachten.« So ritten sie ohne anzuhalten an St. Peter vorüber dem Laubwald zu, welcher in weitem Kreise die Niederung umschloß. 2. Die Gesellen. Die beiden Mönche zogen nebeneinander durch das Flußtal, Tutilo hoch zu Roß, Reinhard demütig zu Fuß; in heißem Sonnenlicht stiegen sie den Hügel hinauf, auf welchem Herr Bernheri, der Abt, sich ein kleines Kloster erbaut hatte, ganz nach seinem Herzen, seinen Mönchen zum Trotz. Es sah einer Burg ähnlicher als einer heiligen Zelle, hinter dem Graben ragte eine hohe Mauer und an dem offenen Tor saß auf seinen Spieß gestützt ein Kriegsmann. Gemächlich erhob er sich, empfing mit geringer Kopfneigung den Segen, welchen Tutilo spendete, und führte ihn in den Hofraum. Dort stand neben einer Kapelle das neugebaute Haus des Abtes, eine zweistöckige Kemenate mit einem Vorhaus, dessen Dach auf schön geschnitzten Holzsäulen ruhte, daneben erhoben sich Ställe und ein umhegter Raum, aus welchem unablässig das Gebell vieler Hunde klang. Gegenüber dem Haus des Abtes ragte eine hölzerne Halle für das Kriegsvolk, auf den schattigen Stufen dehnten sich mehrere Bewaffnete, ihnen gesellt zwei Mönche. Die großen Trinkkannen, welche dazwischen standen und das laute Gelächter der Trinker bewies, daß diese Klosterleute nicht unter strenger Zucht lebten. Tutilo begann bitter, während er einritt: »Du weißt, mein Bruder, St. Petrus war ein Kriegsknecht, er trug ein Schwert in der Nacht, da der Herr verraten ward; darum gefiel es auch dem Abte, diese Behausung von Jägern und Schwertträgern als eine Burg St. Petrus zu gründen.« Die eintretenden Mönche störten die lustige Gesellschaft, die Klosterbrüder eilten herzu und während sie um den Segen baten, blickten sie spähend und mißtrauisch nach dem Präpositus. Als ein Mönch von St. Peter die Glocke der Abtei gezogen hatte, trat Eggo, der vertraute Kämmerer des Abtes, in die Tür und führte die Gäste eine Wendeltreppe hinauf in das Gemach, wo Herr Bernheri am liebsten zu weilen pflegte. Dort sah man zwischen den Säulen und Rundbogen der kleinen Fenster in ein Waldtal hinab, und im Vorgrund auf grüne Weiden und wogende Ährenfelder, das große Kloster Wigberts aber sah man nicht. Über dem Tisch in der Mitte des Raumes lag eine Decke, welche zierlich mit der Nadel gestickt war, auf dem hohen Lehnstuhl weiche Kissen. Geweihe, die an der Wand befestigt waren, dienten als Haken, woran Waffen zur Jagd und zum Kriege hingen: Hornbogen und Köcher, Eberspieße und große Halsbänder mit eisernen Stacheln für die Jagdhunde. Herr Bernheri war ein wohlbeleibter Herr mit großem Haupte; dem geröteten Gesicht und den dicken Augenlidern merkte man an, daß er sorgfältig den Wein seines Kellers prüfte; er trug einen langen Hausrock von feinem dunklen Tuch, am Halse ein goldenes Kreuz. Die Mönche knieten nieder, Tutilo zögernd und mit steifem Nacken, so daß man den Zwang erkannte. Der Abt blickte unzufrieden auf den Präpositus und begann, während er mit flüchtiger Handbewegung den Segen erteilte: »Ungern sehe ich heut dein Gesicht, Tutilo, da du doch die Brüder, wie ich höre, in das Heufest gesandt hast. Es wäre besser, wenn du deine gefurchte Stirn den Heimkehrenden entgegenhieltest, damit ihnen die weltliche Fröhlichkeit aus dem Herzen schwände. Aber auch die krächzende Krähe flieht gern dorthin, wo sich die Habichte niederlassen.« »Du selbst, Herr und Abt von Wigbert, vergleichst dich mit dem Habicht, der sich in dem Klostergut niedergelassen hat,« versetzte Tutilo schnell aufstehend, »ich aber und mancher von den Brüdern meinte, daß in der Notzeit des Klosters den Brüdern gezieme, ihren Groll zu vergessen und einträchtig auf Nützliches zu denken, was die Gefahr abwenden kann.« »Du sprichst gut,« versetzte der Abt ungnädig, »sorge dafür, daß deine Taten der Rede nicht widersprechen. Kommst du auch ungeladen, sitze dennoch nieder, ob du dem Kloster deine Treue erweisen kannst.« Er winkte dem Mönch Eggo, dieser verschwand und trug drei große silberne Becher und eine Weinkanne herzu, die er auf den Tisch stellte, er selbst aber trat hinter den Lehnstuhl des Abtes. Dieser setzte sich gewichtig, winkte den Gästen zu beiden Seiten Platz zu nehmen und sagte auf die Becher weisend: »Es sei erlaubt. Ich freue mich deiner Ankunft, Reinhard. Deine Klugheit ist rühmlich bekannt, du hast dich den Heiligen unserer Kirche in meine Hand zugeschworen und als vertrauten Boten habe ich dich nach Thüringen gesandt, damit du gleich einem Fremden ohne Gunst und Haß die Höfe des Klosters bereisest und mit eigenen Augen alles erkundest, denn üble Nachrichten erhalten wir aus jedem Gaue. Jetzt berichte von unsern Höfen und von den Zellen, in denen unsre Brüder hausen, damit wir alles erfahren, wenn es auch unwillkommen ist.« Reinhard holte einen Pergamentstreifen heraus, auf dem die Hufen und Höfe des Klosters verzeichnet waren und begann den Reisebericht. Es war eine lange Reihe von Klagen der Verwalter über Gewalttat der Grafen und Widerspenstigkeit der Verpflichteten. Als er innehielt, tat Herr Bernheri einen tiefen Trunk und sprach darauf seufzend: »Solange ich lebe, habe ich erfahren, daß die Frommen spenden und die Gottlosen nehmen. Sonst waren der Frommen mehr und der Gottlosen weniger. Wie ein Weiher ist das Klostergut, in den die kleinen Quellen rieseln; wenn er aber gefüllt ist, kommen die Müller des Teufels, öffnen ihre Gräben und leiten die Flut wieder ab über ihre Mühlräder. Ich sorge, der Weiher wird einmal leer und meine Mönche werden wie Karpfen in mißfarbigem Schlamme zappeln.« »Wer kommendes Unglück meldet, dem danken wir, wenn er auch sagt, wie zu helfen ist. Unerhört ist es, daß ein neuer Bruder die Geheimnisse des Klosters erfährt, welche sonst nicht einmal den Dekanen bekannt sind,« fiel Tutilo mit rauher Stimme ein. »Leichter ist es Klagen vorzutragen, als die Hilfe zu finden.« »Du selbst weißt ja, mein Vater,« antwortete Reinhard, »wo die beste Hilfe zu finden ist. Die Heiligen fragen vor allem, ob unsere Brüder nach der heiligen Regel ihren Dienst tun. Den Säumigen aber entziehen sie ihre Gnade. Manches sah ich in St. Wigberts Kloster, was nicht nach der Regel war.« »Sage das doch den Mönchen in Fulda, in Corvey und sonstwo, überall ist der Mutwille größer als bei uns,« rief Tutilo zornig, »und lebt ihr in Altaha, die ihr euch als starker Beter rühmt, deshalb in größerer Sicherheit?« »Gern verkünde ich dir, o Herr, auch Günstiges,« fuhr Reinhard ruhig fort, »nämlich, daß unter den Waldleuten, welche bei unserer Zelle Ordorf wohnen, ein neuer Eifer erwacht ist. Die Brüder, welche du dorthin gesandt hast, leben in froher Hoffnung, denn sie meinen, großes Unheil sei ihnen widerfahren. In mehr als einer Nacht sahen die Brüder Licht in der Kirche und als Hunibald der Magister einst aufstand und hineinging, erkannte er einen Schein über der Platte, unter welcher, wie die Sage geht, der selige Vater Meginhard, der Genosse des heiligen Bonifacius, bestattet ist. Viel erzählen sie dort von den christlichen Heldentaten, die Meginhard zu seiner Zeit unter den Heiden gewirkt hat. Die Laien drängen sich in die Kirche und beten auf seinem Grabe und große Heilungen von schweren Leiden werden berichtet, die an dieser Stätte ganz plötzlich gelungen sind. Das läßt Hunibald dir durch mich mit Freuden verkünden.« Der Abt schüttelte unzufrieden das Haupt. »Ich kenne den Sinn unserer Brüder in Ordorf, sie sind gutwillig, aber unbesonnen und ihrem Glauben fehlt die Prüfung. Ich kenne auch alte Vetteln, welche von einer Stätte zur andern laufen und ihre Gebresten heilen lassen, damit man sie rühme, auf den Schultern trage und mit guter Kost füttere. Die in Ordorf mögen sich wahren, daß die Kinder der Welt uns nicht verspotten und daß nicht zuletzt ein großes Skandalum aus dem Wunder werde.« »Es ist nicht begehrliches Volk allein, welches zuströmt, auch ehrbare Leute rühmen die Wunderkraft des seligen Bekenners.« »Und vermagst auch du sie zu rühmen nach dem, was du gesehen hast?« frug der Abt prüfend. »Ich hatte, wie du weißt, nicht die Zeit und nicht das Amt, nach der Wahrheit zu forschen,« versetzte Reinhard. »Ich aber meine,« rief Tutilo, die Faust auf den Tisch setzend, »daß den Heiligen zu Herolfsfeld ein übler Dienst geschieht, wenn der selige Memmo zu Ordorf einen Zulauf als Wundertäter erhält und am Ende gar zu Rom als Heiliger aufgenommen wird. Denn die Leute in den Waldlauben werden froh sein, wenn sie einen besonderen Fürbitter gewinnen, und die Edlen werden bei König und Papst bald darauf antragen, daß wir Ordorf aus unserer Klosterzucht entlassen und daß dort oder in der Nähe eine eigene Abtei gegründet wird, und Meginhard würde sich schnell als ein großer Räuber am Wigbert erweisen. Deshalb rate ich, daß wir unsern Heiligen getreu bleiben und uns nach Kräften bemühen, die Wunder zu stillen und nicht landkundig zu machen.« Der Abt nickte. »Er spricht das Richtige. Wenn ein Lichtschein dem Kloster helfen könnte, so vertraue ich, würden unsere Fürbitter es auch bei uns nicht daran fehlen lassen. Weißt du eine andere Hilfe, mein Bruder, wenn auch durch weltliche Mittel?« Reinhard antwortete demütig: »Wenn ich das Schicksal deiner Herrschaft, Herr, erwäge, so finde ich, daß dieser zu sehr fehlt, was ihr Schutz und Sicherheit gewähren könnte. Durch ganz Thüringen liegen die Hufen und Höfe zerstreut in den Dorffluren und zwischen den Lehnsgütern der Grafen; aber klein ist die Zahl der Vögte und der Bewaffneten, welche für das Kloster Helm und Schwert tragen. Mächtiger ist der Abt von Fulda, um vieles reicher an Vasallen; am mächtigsten der Erzbischof von Mainz, denn seine Kriegsleute lagern sicher in der großen Stadt Erfurt. Die Mönche von Fulda und die Kanoniker in Erfurt aber sinnen Ungünstiges für dein Kloster und breiten sich aus dir zum Schaden, auch in den Waldlauben an dem Rand der Berge, wo sonst deine Herrschaft fest gegründet war. Darum meine ich, dir tun vor allem Burgen not mit treuer Besatzung. Als ich von Erfurt nach Ordorf zog, sah ich in der Ebene, wo das Gebirge beginnt, einen Ring von Hügeln, auf denen Warten und Burgen stehen, sie schließen einen Weiher und Wiesen ein, schwer ist der Zugang, denn viele Teiche liegen am Saum der Hügel. Dort ragt im Hintergrunde die Wassenburg, welche dem Kloster gehört, doch sie ist halb verfallen. Der ganze übrige Bergwald aber und das Land darum gehört dem Geschlecht des Jünglings Immo, der in der Schule des Klosters gehalten wird. Dies Geschlecht beherrscht von den Bergen wie von einem großen Wall die Landstraße und die Umgegend. Und ich höre, es bringt gern seine Spenden zum Kloster.« »Gut hast du gesehen, mein Bruder,« rief der Abt, »ich kenne die roten Hügel und ich weiß, daß sie gewaltig sind, aber sie sind freies Erbe eines Geschlechts, welches seit der Urzeit im Lande haust, und ich meine nicht, daß sie ihr Erbe dem Kloster gutwillig in die Hand geben werden.« »Vielleicht würden sie selbst als Vögte ihre Burgen bewahren, wenn sie zum Heil ihrer Seele dieselben vorher den Heiligen in die Hand gegeben hätten,« versetzte Reinhard. »Wahrlich, Bruder,« sprach Tutilo, »als ich zuerst von deiner Sendung hörte, war sie mir widerwärtig; was du aber hier kündest, ist dasselbe, was auch ich für eine gute Hilfe des Klosters halte und ich muß deine Klugheit preisen.« »Ich aber kenne unsern Schüler Immo und seine Sippe,« warf der Abt ein, »hochfahrend ist ihr Sinn.« »Was die Kinder der Welt ungern tun, dazu zwingt sie oft die Angst vor der Hölle des üblen Teufels,« sprach Reinhard. »Dennoch würde ich nicht an diese Hilfe gemahnt haben, wenn mir nicht Frau Edith, die Mutter des Immo, vertrauliche Botschaft an dich, meinen Herrn, aufgetragen hätte und zwar gerade wegen dieser Burgen. Denn sie fleht dich an, daß mir erlaubt sei, dem Sohn ihren Segen zu bringen und ihn mit einer guten Nachricht zu erfreuen. Das Geschlecht hat beschlossen, die Mühlburg als Angebinde an das Stift zu Erfurt zu geben, damit der Schüler Immo dort Kanonikus werde und durch den Erzbischof Willigis unserm Kloster enthoben. Seht selbst zu, meine Väter, ob unser Kloster dadurch Vorteil gewinnt. Sehr bereitwillig werden die Erzbischöflichen zu Erfurt sein, die Burg zu empfangen, für uns aber scheint mir diese Wandlung verderblich.« »Lieber wollte ich den Wolf in meiner Lämmerherde schauen,« rief Herr Bernheri. »Nimmer darf der Knabe und sein festes Haus dem Wigbert entschlüpfen,« drohte Tutilo. »Ich weiß einen, der das Seine getan hat, durch Stirnrunzeln dem Jüngling Immo das Kloster zu verleiden,« versetzte Herr Bernheri strafend. »Wäre der Knabe besser in die Klosterzucht gewöhnt worden, er würde nicht zurück in die Welt begehren,« entgegnete Tutilo, »auch die Weide biegt sich nur, wenn eine feste Hand sie zusammendreht. Und ehe ich leide, daß die Burg den prahlerischen Schwelgern zu Erfurt geöffnet wird, zwinge ich den Schüler mit eigner Hand in die Klausur.« »Du wirst es schwer finden, ihn in der Büßerzelle zum Mönche zu schlagen, mein Bruder,« versetzte der Abt. »In vielem hast du meine Herde verleitet, aber schwerlich wird sie dir folgen, wenn du das Kind aus dem Geschlecht unserer Guttäter durch Zwang zurückhalten willst. Ich rate dir, daß du lieber dem Bruder Reinhard vertrauest, denn nicht allein wegen seiner Grammatik und Dialektik gefiel es mir, ihn hierher zu laden, sondern weil er die Kunst versteht, die Herzen der Jugend zu gewinnen und, damit ich metaphorice spreche, auch junge Stoßvögel an die Hand zu gewöhnen. Versuch du, mein Bruder, ob du die Neigung des Knaben für den Wigbert gewinnen kannst. Er ist ein Falk aus den thüringischen Bergen, diese ertragen schwer die Kappe, sind sie aber gebändigt, dann stoßen sie freudig. Und jetzt gefällt mir, daß wir uns erheben. Manches andere will ich mit Bruder Reinhard allein verhandeln. Du aber, Tutilo, ziehe zurück und zähle die Heuwagen, bis es mir passend erscheint, dich zu rufen oder bis ich selbst hinuntersteige und den Konvent der Brüder versammle, welchen du Übles gegen mich in das Ohr raunst.« Das Gesicht Tutilos flammte in Zornesröte als er sich erhob. »Du aber, Abt Bernheri, gedenke nicht, das Wichtigste den Brüdern zu verbergen und im Rücken des Klosters die Wahl zu treffen über den König, dem wir in Zukunft dienen sollen. Kein Wort hat dein Bote berichtet von dem Kampf, der sich um die Krone erhebt, und doch ist dies die nächste Sorge und eine größere als um Hufen und Burgen. Meine nicht, Bernheri, mich zu hintergehen. Wenn du auch Abt bist, du selbst würdest es schwer entgelten, denn mein ist die Sorge, daß das Heiligtum nicht durch dich mit Unehren beladen wird.« »Sorgst du so eifrig um den Vorteil der Brüderschaft,« rief Herr Bernheri ebenfalls zornig, »so sorge auch, daß der Reiter, welcher dir die Botschaft des Markgrafen zugetragen hat und der verborgen im Gasthause liegt, spurlos verschwinde, bevor ihn meine Reisigen ergreifen. Dich selbst könnte ich Verräter nennen; ein Wink von mir, und du kehrst nur zum Gericht in das Kloster zurück. Aber seit vielen Jahren habe ich die Bosheit deines Wesens ertragen und auch jetzt gedenke ich, weil ich älter und klüger bin als du, dich zu behandeln wie einen Trunkenen, von dem geschrieben steht, er weiß nicht was er tut.« Tutilo verließ das Zimmer ohne Gruß, der Abt ging heftig auf und ab, endlich ergriff er die Kanne, setzte sie aber mit einem Seufzer wieder hin. »Selbst der Wein schadet zornigem Gemüt und ich begehre nicht, unwilliger auf ihn zu werden, als ich bereits bin.« »Ich aber bringe dir,« begann Reinhard, ein Pergament aus der Kutte ziehend, »den Gruß des Königs und seine Mahnung, daß du die Reisigen des Klosters ohne Verzug sammelst und durch die Wälder von Fulda zu seinem Heere sendest. Damit auch du seine Gnade erkennst, o Herr, sendet er dir, was du lange ersehnt und erbeten hast, die Schenkung des Bannwaldes um St. Peter, der bisher Königsgut war. Du mögest sorgen, mahnt der König, daß die Treue des Klosters sich ebenso bewähre wie des Königs Gnade.« Schnell griff Herr Bernheri nach der Urkunde: »Die besten Hirsche zwischen Fulda und Main halte ich in diesem Pergament,« aber bald verdüsterte sich sein Blick. »Du hast gesehen, mein Bruder, wie jener unholde Mann gesinnt ist; nach allen Seiten murrt er den Leuten Arges in die Ohren und hat die Knechte Wigberts ganz vom König abgewandt, nicht weiß ich, ob ich noch Herr bin im Kloster und über meine Schildträger. Dennoch will ich tun, was ich vermag, indem ich den Konvent zusammenrufe. Du aber eile dem Tutilo nach und rühme unterdes im Kloster die Schenkung, damit die Unzufriedenen mein Herrenwort williger anhören.« Während der Abt dem Mönche die letzten Befehle gab, erscholl auf den Feldwegen, die zum Kloster hinführten, Jauchzen und Gesang; die Brüder und Mannen auf dem Petersberg drängten zum Tore hinaus und sahen neugierig in das Tal hinab. Hochbeladen in langer Reihe kamen die Heuwagen heran, auf den Wiesenbäumen darüber saßen und ritten die Buben des Dorfes schreiend und die Arme schwenkend. Hinter den Wagen schritten zwei Spielleute mit Sackpfeife und Fiedel, sie führten eine lustige Weise spielend die Schar der Arbeiter. Denn Männer und Frauen, mit Laub und Wiesenblumen bekränzt, hielten einander an den Händen und sprangen trotz der Arbeit des heißen Tages lustig den Reigen; vom Pfade ab zogen sie die Kette bald seitwärts über die Flur, bald zwischen den Wagen hindurch. Ihnen folgten die Herren des Klosters, voran die beiden Schulen; auch die Schüler sprangen und tanzten durcheinander, manche saßen zu Pferde und trieben die Gäule zu lustigen Sätzen. Sogar die Väter gedachten nicht sehr ihrer Würde, mehr als einem war das Haupt schwer, so daß er von den andern geleitet werden mußte, und man merkte auch, weshalb er so unsicher schwankte, denn ganz am Ende fuhr ein Wagen mit leeren Fässern, welche zwischen den Brettern kollerten, und mit Trinkgefäßen, deren Henkel an die Leiterbäume gehängt waren. Endlich hob ein Bruder sein lateinisches Trinklied an und viele stimmten ein und sangen die Schlußverse mit kühnen Bewegungen der Arme, und eilte eine Magd, die sich verspätet hatte, bei dem langen Zuge der Väter vorbei, dann geschah es wohl, daß einer der Begeisterten sie in den Arm kniff oder auch in die Backen. So wälzte sich der Schwarm schreiend und singend dem Kloster zu. Die untergehende Sonne warf ihr goldenes Licht auf heiße Gesichter und glänzende Augen, die Treiber knallten mit ihren Peitschen um die Wette, sogar die Tiere schritten lustiger vorwärts. Plötzlich stockte der Zug an dem Kreuzwege, wo ein Pfad von Osten heranlief, die Buben auf den Heuwagen sprangen empor und wiesen in die Ferne, die Wagen hielten an, die vordersten Knechte schrien nach rückwärts, Spiel und Gesang endete in einem Mißton. Denn von dem Seitenweg her tönte wilder Klageruf widerwärtig in die Festfreude. Langsam bewegte sich eine andere Abteilung der Klosterleute vom Holze her dem Flußtale zu, mit gesenkten Häuptern und Wehgeschrei trugen sie einen undeutlichen Gegenstand heran. Die Leute im Zuge verstanden wohl, was der Ruf bedeutete, dort war einer erschlagen, und die Rüstigen liefen über das Feld dem trauernden Haufen entgegen. Zu einem wirren Knäuel vereinigten sich die beiden Haufen. Die Knechte peitschten ängstlich ihre Gespanne zu schnellerem Schritt, um sie in den Klosterhöfen zu bergen, die andern umstanden entsetzt eine Bahre, auf der ein todwunder Mann lag. Schnelle Fragen und Antworten folgten einander, Heugabeln und Messer wurden geschwenkt und an Stelle des lateinischen Schelmenliedes klang wilder Racheruf über das weite Tal. Tutilo spornte sein Roß zu schnellen Sätzen. Als der gefürchtete Mönch in das Gedränge stob, fuhren die Leute auseinander, im nächsten Augenblick aber begann wieder Wehgeschrei und Totenklage. Der Mönch sprang ab, beugte sich über den Mann und sah nach der schweren Kopfwunde. Dann gebot er, ihn in das Krankenhaus des Klosters zu tragen, und forderte Bericht über die Missetat. »Wo sind die Gespanne?« frug er unruhig um sich blickend, »wo ist Hugbald?« »Die Gespanne geraubt, die Knechte geschlagen und fortgeführt, Hugbald gefangen und mit ihm der Scholastikus Immo,« riefen ihm die Leute entgegen, bis auf seinen Wink der alte Bruder Bardo vortrat und stöhnend das ganze Unheil verkündete. Die Waldwiesen, auf denen Bardo die Heumahd zu ordnen hatte, lagen weitab von den übrigen Gründen, welche auf den Höfen des Klosters bewirtschaftet wurden. Sie waren neuerer Erwerb, doch niemand hatte beim Auszuge geahnt, daß dort ein Feind lauere. Ungestört hatten die Arbeiter in den Tagen zuvor gemäht und das Heu gewendet, nur von einem Bewaffneten begleitet, wie bei fernen Feldarbeiten auch im Frieden Brauch war. Aus Vorsicht hatte heute Hugbald geboten, daß die Knechte ihre Rosse abspannen und während die Heuhaufen gesetzt wurden, unter Aufsicht eines Reisigen auf freier Höhe, von der weite Umschau war, zusammenhalten sollten, bis er selbst das Einbringen gebiete. Als er endlich gekommen war, begleitet von dem Schüler Immo, hatten die Knechte ihre Gespanne zu den Wagen zurückgeführt. »Schon vorher war uns unheimlich geworden,« kündete Bardo, »denn wir hatten in der Ferne hinter den Büschen einzelne Bewaffnete erkannt, welche hin und her ritten. Grade als sich der Zug der beladenen Wagen in Bewegung setzte, brach ein Schwarm Reiter aus dem Holz und ritt über die Felder auf die Gespanne zu. Unsere Reisigen hoben die Wurfspeere und warfen sich ihnen entgegen, auch die Knechte ergriffen die Heugabeln und sprangen gegen die fremden Reiter, aber klein war die Zahl der unsern, im Nu waren sie umringt. Der Mann, welcher auf der Bahre liegt, fiel sogleich vom Rosse in sein Blut, nur Hugbald schoß den Wurfspeer und schlug mit dem Schwerte, drei waren gegen ihn, doch der Jüngling Immo fuhr wie ein Wirbelwind zwischen sie, ich sah zwei vom Pferde stürzen und die ledigen Tiere laufen. Ganz tapfer hielt sich unser Scholastikus und er hatte den Hugbald frei gemacht, aber dieser rief: »wie mag ich zurückkehren ohne die Wagen« und warf sich aufs neue einem andringenden Haufen entgegen, bis er entwaffnet und mit Weiden gebunden war, und gleich ihm der Jüngling Immo; darauf wurden auch die Knechte übel geschlagen und gefesselt. Mit großem Gefolge stob Graf Gerhard, den wir alle kennen, heran und rief mit zornrotem Gesicht: »Verderben über euch, ihr Wigbertleute, mein ist das Heu, mein die ganze Markung. Nichtig ist die Schenkung, deren ihr euch von meinem Vater her mit Unrecht rühmt; die Gespanne und eure Dienstleute treibe ich fort, eine geringe Entschädigung sind sie für den Verlust, den ich durch viele Jahre von euch erlitten. Läßt sich noch einer von euch Geschorenen auf dieser Flur blicken, so sollen ihm meine Gewappneten die Haut über die Ohren ziehen. Ihr Mönche aber wandelt stracks zurück, nur die heulenden Mägde lasse ich euch. Und saget eurem Abt: will er seine Dienstleute lebend wiedersehen, so soll er sich eilen das Lösegeld zu senden, denn ich gedenke sie nicht lange im Kerker zu füttern. Hinweg mit euch, denn euer Anblick ist mir verhaßt.« So ritt er mit einem Fluche aufwärts dem Buchenwald zu und hinter ihm zogen die Heuwagen und die Gefangenen. Wir aber standen weinend um den gefällten Mann, mühsam trugen wir mit den Weibern seinen Leib auf den Baumästen hierher.« Als der Alte geendet hatte, begannen die knienden Weiber wieder ihr Wehegeschrei und der Racheruf der Wigbertleute klang durch das Tal. Tutilo sah auf die zornige Schar wie ein Häuptling, der die Zahl seiner Getreuen mustert. »Sie sagen, Graf Gerhard will für König Heinrich ins Feld reiten, hier merket die Treue der Königsmannen. Als ein Walddieb ohne Aufkündigung des Friedens hat er das Kloster ruchlos gekränkt. Ihr aber, fromme Knechte des Wigbert, gedenkt der Vergeltung, schreit zu den heiligen Nothelfern um Rache, daß sie ein gehäuftes Maß Unheil über den Verfluchten senden, bereitet eure Wehren, schlagt an der Glocke des Erzengels den Notschlag zur Warnung für alle, die noch im Felde sind, daß sie sich sammeln, und entzündet die Feuerzeichen auf den Höhen, damit auch die Entfernten wissen, daß unser Kloster von Feinden bedrängt ist. Folgt mir zu den Höfen, damit wir um Tor und Mauer sorgen, denn aus dem Frieden sind wir gesetzt in Unfrieden und auf Abwehr denken wir und Vergeltung. Du aber, Bardo, bändige deinen Schreck und ziehe jene Straße nach St. Peter, damit du einen andern Bericht gebest; ich sehe dort den Abt Bernheri herabsteigen, geringe Freude wäre mir, ihm jetzt zu begegnen.« Er schwang sich auf sein Roß und sprengte voraus dem Kloster zu, einem Kriegsmann ähnlicher als einem Mönch. Den andern aber hob sich der Mut, als sie seinen wilden Zorn erkannten, und hinter ihm eilte der Schwarm von Männern und Weibern auf der Landstraße dahin, während Bardo mit den Brüdern, die das Unglück geschaut hatten, traurig dem Abte entgegenging. * * * * * In der Halle des Grafen Gerhard beleuchtete der rote Schein vieler Kienfackeln die Holzwände und die rußigen Balken der Decke. Gegenüber der Tür führten einige Stufen zu dem erhöhten Raum, auf welchem der Herrentisch stand, dort brannten große Wachslichter, ein weißes Tischtuch war aufgedeckt und neben den Tontellern blinkten silberne Kannen und Becher. In der Halle waren zwei lange Tafeln gerichtet mit Sitzen darum, und unten an der Tür eine dritte kleine, alle mit Holzgerät und irdenen Krügen bestellt. Der Kämmerer des Grafen trat an die Tür der Halle und blies auf einem Horn, das er am Halse trug, den Ruf zum Mahle in den Hof. Klirrend drangen die Schwertmannen in die Halle und reihten sich hinter den Holzstühlen, auf der rechten Seite die freien Vasallen und unterhalb, wo das Tischtuch aufhörte, ihre Knechte, auf der linken Seite die unfreien Hofleute mit den Knechten. Die Freien waren meist bäuerische Genossen, welche lungernd in den Dörfern des Grafen saßen, bis sie zum Schwertdienst entboten wurden, die Unfreien aber, obgleich sie die schlechtere Bank besetzten, achteten sich für heldenhafter, weil viele von ihnen im Herrenhof hausten, täglich hinter dem Grafen ritten und schönes Gewand und gute Rosse von ihm empfingen. Die Freien wiederum waren stolz auf ihre Herkunft und verachteten die Knechtschaft der Geschmückten, so daß die beiden Bänke in Eifersucht lebten. Ganz unten an der Tür aber, getrennt von den andern, harrten an besonderm Tisch die beiden Fechter, Ringrank und der Sachse Sladenkop, unehrliche Leute, welche ihr Blut dem Grafen verkauft hatten und öffentlich mit scharfem Eisen gegen ihresgleichen kämpften, oder auch heimlich jedermann niederschlugen, so oft es ihr Lohnherr gebot. Der Kämmerer stieg auf die Stufen des Ehrensitzes und gab ein zweites Hornzeichen. Da öffnete sich eine schmale Tür der Hinterwand und Graf Gerhard trat selbst herein, hinter ihm seine Tochter Hildegard, welche den kleinen Bruder an der Hand führte. Der Graf hatte seinen eisernen Kettenrock mit einem hellen Hauskleide vertauscht, das bis über die Knie herabging und von breiter gestickter Borte umsäumt war, darüber trug er am weißen Ledergurt sein Schwert, an den Beinen hohe rote Strümpfe und schön gestickte Schuhe. Er war wohl älter als fünfzig Jahr, in seinen schrägen Augen glitzerte das Weiße, so daß den Leuten sein Blick nicht gefiel, und da die niedrige Stirn stark zurücktrat und seine Nase sich lang über den fränkischen Schnauzbart gegen das spitze Kinn dehnte, so hatte er wegen seines wölfischen Aussehens den Beinamen Isegrim erhalten. Gern wendeten die Mannen den Blick von ihm auf die Jungfrau, sie schauten bewundernd auf die schlanke Gestalt, welche ihr weißes Ärmelgewand mit buntem Gürtel und Saume so stolz trug, auf langes, blondes Haar, das durch ein blaues Band über der Stirn zusammengehalten wurde, und auf ein rundliches Kinderantlitz, über dem der unwiderstehliche Zauber der Unschuld lag. Der Graf winkte, und als das Horn zum drittenmal rief, stiegen aus dem Hofe der Truchseß mit den Küchenknaben und der Mundschenk mit dem Küfer in die Halle und sie setzten die Speisen und große Trinkkrüge auf die Tafel. Der Herr trat zu seinem Lehnstuhl, nahm die Mütze ab und hielt einen Augenblick das Gesicht hinein, alle neigten die Häupter und mancher Fromme schlug das Kreuz, dann rückten die Burgleute kräftig die Stühle, zogen ihre Messer aus der Scheide und begannen schweigend die Arbeit des Mahles. »Wohl gelang uns die Fahrt in das Heu,« begann der Graf, einen Becher hebend, »und mit Stolpern und Ausgleiten endete der Reigentanz der lustigen Mönche. Trinkt, Bankgenossen, und sorgt, daß der Ausgang so rühmlich sei als der Anfang.« Heller Beifallsruf erhob sich und die Trinkkannen wurden in der Luft geschwenkt. »Führt den alten Hugbald mit seinem Knaben aus dem Turme herbei. Sie waren die einzigen, welche wacker die Reiterwaffe gebrauchten, sie sollen nicht Schwarzbrot kauen, während wir uns des Mahles freuen.« Zwei Knechte eilten hinaus; nach einer Weile wurden Hugbald und Immo eingeführt, beide waffenlos. Als sie auf der Schwelle standen, rief der Graf durch den Saal hinab: »Tritt näher, Alter, lagere dich dort unter meinen eisernen Knaben.« Er wies auf den Tisch zur rechten Seite, wo zwischen den Rittern und Knechten eine Bewegung entstand, und mahnte wohlwollend: »Laßt ihn das Tischtuch haben, denn er trug manches Jahr seine Sporen als ein ehrlicher Gesell und soll ungekränkt von meinen Tellern essen.« Hugbald ging schweigend auf den Platz, welcher ihm geräumt wurde, und antwortete gleichmütig auf die Grüße und Spottreden seiner Nachbarn. »Hüpfe auch du auf die Bank, junger Klosterkauz,« gebot der Graf und winkte Immo, welcher an der Tür stehen geblieben war. »Ladet Herr Gerhard mich ein, in seiner Halle niederzusitzen?« frug Immo errötend, aber mit einer Stimme, die hell durch den Raum klang. »Öffnet ihm eine Ecke,« befahl der Hofherr zu den Knechten gewandt. Aber Immo eilte mit gehobenem Haupt durch die Halle dem Tisch des Grafen zu, er stieg die Stufen zum Herrensitz hinauf und drängte mit der Hand den Kämmerer, der ihn aufhalten wollte, beiseite. »Dir würde geziemen, mir den Stuhl zu rücken,« rief er. So trat er auf die Erhöhung, trug einen Sessel neben die Tochter des Grafen, sprach freundlich nach allen Seiten grüßend: ~pax domini vobiscum~ und setzte sich. Graf Gerhard sah sprachlos vor Erstaunen auf den kecken Eindringling. »Übel gedeihe dir deine Frechheit; seit wann klettern die Schüler in den Abtstuhl. Doch Wunderliches hören wir über die Unordnung in Wigberts Hofe.« »Im Hofe des Heiligen sitze ich demütig an der Schülerbank, bei euch, Herr, ziemt mir der Stuhl in eurer Nähe.« »Werft den Schamlosen von seinem Sitz,« befahl der Graf zornig. »Dann führt mich zurück in den Turm,« rief Immo, »denn bei allen Heiligen des Himmels, an keiner Bank lagere ich, keinen Bissen und keinen Trunk nehme ich in diesem Saal, wenn mir nicht ein Ehrensitz bereitet wird, wie ihn mein Vater erhielt, wenn er diese Burg betrat.« »Wer bist du, Knabe, daß du mir unter meinem eigenen Dache zu trotzen wagst?« »Es ist Immo, Herr, Sohn des Helden Irmfried, welcher das Banner der Thüringe im Lande Italien trug,« bedeutete ein alter Dienstmann in der Nähe des Grafen, »und darin hat er recht, die Männer seines Geschlechts haben von je einen Herrenstuhl begehrt.« »Jetzt erkenne ich dich, Immo,« versetzte der Graf ruhiger, »bei meinem Schwert, früh krümmt sich der Haken. Dennoch sollen meine Knaben dich abwärts führen, da du kein Krieger bist, sondern nur ein halber Mönch.« Immo errötete vor Zorn. »Ich aber meine, daß eure Reisigen meinen Arm gefühlt haben, fragt nach, wenn es euch gefällt, ob die Stöße nur halb waren und in Mönchsweise gegeben, oder nach Art eines ehrlichen Kriegers. Und wenn ich wüßte, daß die Starken, gegen welche ich geritten bin, in diesem Saale wären, so würde ich sie gern friedlich begrüßen und sie bitten, daß sie ihren Groll gegen mich schwinden lassen. Denn ich habe nur getan, wozu ich als Geselle des Hugbald verpflichtet war, und ich hoffe, auch sie ehren den Spruch: auf der Heide schlagen, beim Trunke sich vertragen.« Da rief ihm ein junger Dienstmann von der Bank entgegen: »Hast du auch meinem Genossen das Haupt zerschlagen, lustiger Immo, so will ich dir doch Bescheid tun, wenn der Graf dir einen Trunk verstattet. Denn laut dröhnte dein Holz an meiner Eisenhaube, und ich schulde dir noch einen Dank vom letzten Kirchfest, wo ich allein gegen eine Anzahl Klosterleute rang und du mir zu Hilfe sprangst, damit der Kampf ehrlicher sei. Treffe ich dich mit einem Schwert aber später auf grünem Grunde, dann zahle ich dir die Streiche zurück, und du magst sie tragen.« Ein beifälliges Gebrumm ging um die Bänke. »Wohlan,« entschied der Graf, »da du dich vor meinen Mannen nach Gebühr zu entschuldigen weißt, so will auch ich heut an die Ehren deines Vaters gedenken. Siehe zu, ob du meine Tochter Hildegard erbitten kannst, daß sie deinen Stuhl in ihrer Nähe leidet, denn sie ist gleich dir vor kurzem aus der Klosterschule geschlüpft, und sie soll dir wie ein Abt in Latein dein Urteil sprechen. Wir andern aber wollen ruhig zuschauen, wenn sie über dem Scholastikus zu Gericht sitzt.« Das Mädchen saß unbeweglich und sah errötend vor sich hin. »Sei mir hold,« bat Immo, »da du doch aus der Schule bist.« Ein freundlicher Blick des Einverständnisses fiel auf ihn, dann sah sie wieder vor sich hin. »Hast du das Sprechen verlernt, Hildegard?« frug der Graf unwillig. »Sechs teure Rosse haben die frommen Frauen genommen, um dich in ihrer Zucht zu unterweisen, obgleich ich das Gewieher der Rosse lieber höre als das unverständliche Murmeln in fremden Zungen. Mich reut meine Spende, wenn du dem dreisten Schüler nicht zu antworten vermagst.« »~Cave ne iram augeas~,« sprach das Mädchen leise, ohne den Schüler anzusehen. »Nur dürftig rinnen die Worte wie aus versiegendem Quell, was hast du ihm gesagt, Mädchen?« frug der Graf. »Sie hat mich gemahnt,« antwortete Immo sich erhebend, »daß ich mit ehrerbietiger Bitte euch nahen soll. Darum flehe ich, Graf Gerhard, daß ihr mir, wenn ich auch euer Gefangener bin, den Sitz gestattet und mich nicht von eurem Tische sendet. Denn um euch alles zu sagen, gar nicht reichlich war heut die Mittagskost im Kloster und der Ritt zwischen den Rossen eurer Reisigen war auch einem fröhlichen Imbiß sehr ungleich, und gern würde ich Heil für euch und die Jungfrau trinken, wenn ich es vermöchte.« Da der Graf an dem beifälligen Murmeln seiner Dienstmannen erkannte, daß diesen die Art des Jünglings wohlgefiel, so lachte er und rief über die Bänke: »Wahrlich, dieser Schüler versteht nicht nur sich selbst, auch andern Ehre zu geben. Darum gefällt mir, daß heut die beiden Lateiner zusammensitzen. Fülle deinen Becher, Hildegard, und biete ihm den Trunk, rücke ihm auch deinen Teller hin, denn als dein Geselle soll er heut von deinem Teller essen und aus deinem Becher trinken.« Das Mädchen schob den Teller zögernd nach dem Fremden hin. »Ich merke,« sagte Immo ärgerlich, »daß dir dein Geselle unwillkommen ist.« »Wundere dich nicht, Immo,« spottete der Graf, »du bist wie ein Frosch aus dem Klosterweiher herangehüpft. Ihr aber geht es wie der Königstochter, welcher auch ein Frosch zum Gesellen gesetzt war, stolz sah sie auf den Quaker, kalt erschien ihr sein Fell und nur mit zwei Fingern griff sie ihn an.« »Ja, so tat sie, Herr,« versetzte Immo dreist, »aber zuletzt wurde der Quaker doch ihr Gemahl.« Der Graf und seine Bankgenossen lachten laut. »Mißfällt dir auch seine ungefüge Stimme,« gebot der Graf ergötzt der Jungfrau, »so fülle ihm doch den Becher.« »Trinke mir zu«, mahnte Immo, »dies ist mein Recht, da ich dein Geselle bin.« Hildegard berührte den Becher mit ihren Lippen, schob ihm den Becher hin und sagte leise: »Stille ein wenig den lauten Gesang, denn der Reiher schwebt über dir.« »Sieh zu, Frau Reiherin, ob meine Hand kalt ist wie eine Froschhand,« versetzte Immo, ihre Hand fassend. »Du wirst dreist, Herr Frosch,« antwortete das Mädchen, die Hand zurückziehend, »tauche zurück in deinen Quell.« Sie hob die Kanne und goß ihm den Becher voll. »Sei bedankt, Geselle,« sprach Immo. »Komme ich einmal aus dem Kloster, so sende ich auch dir etwas, das dir Freude macht.« »Du weilst ungern im Kloster, mir aber wurde das Scheiden bitter,« begann Hildegard zutraulicher, »denn selig waren die Tage meiner Jugend unter den frommen Frauen, und wilde Reden höre ich hier unter den Männern.« »Manches Vöglein, das aus dem Bauer kam, duckt sich furchtsam auf dem Aste, zuletzt lernt es doch unter dem blauen Himmel fliegen,« tröstete Immo. »Als mir die Mutter starb, fand ich unter den frommen Frauen getreue Pflege.« »Waren sie streng in der Schule?« frug Immo teilnehmend. »Am Vormittag durften wir nur lateinisch reden,« erklärte Hildegard, »und wir lasen im St. Augustinus und die Verse im Virgilius: ~Conticuere omnes~.« »~Infandum regina jubes renovare dolorem~,« rief Immo, »manchmal hat mir der Heide den Kopf heiß gemacht,« und beide lachten vergnügt einander an. »Auch andere Kunst lernten wir,« fuhr Hildegard mutig fort, »denn im Schreiben war Mutter Mechthild sehr geschickt und sie vergönnte mir, daß ich die Hymnen für mich schrieb. Ich habe auch das Buch genäht, ich habe es auch selbst in Holz gebunden und der Schmied hat acht Edelsteine in die Ecken gesetzt.« »Diese Kunst vermag ich nicht zu üben,« versetzte Immo. »Auch mit der Nadel lernten wir Bilder sticken aus Purpur und bunten Seidenfäden. Sogar Goldfäden für die Kunstreichen fehlten selten im Kloster. Sieh her, das habe ich mir selbst gestickt,« und sie wies ihm die Verzierungen am Ärmel ihres Gewandes. Immo sah bewundernd darauf. »Dir ist es besser gelungen als mir. Aber beide sind wir Waisen, ich kam in das Kloster, weil mir der Vater starb, jetzt fürchte ich, daß bald einmal die Schere knipst, um mir das Haar zu scheren.« »Du meinst wohl, es sei schade um deine Locken,« spottete Hildegard, aber sie sah doch teilnehmend auf sein Haar, welches im Lichte glänzte und länger herabhing, als strenge Klosterzucht sonst den Schülern gestattete. »Wenn der Mutter Mechthild einmal die Goldfäden fehlen, so kann sie deinen Haarschopf dazu verspinnen.« »Lieber wäre mir, wenn dir gefiele, für mich einen Goldfaden aus deinem Gewande zu ziehen. Hier ist mein Finger, binde ihn mit deinem zusammen, da du doch heut mein Geselle bist. Denn wisse, das ist Brauch in der Welt.« »Das ist übler Brauch,« versetzte das Mädchen errötend, »ich vermöchte dich doch nicht bei mir festzuhalten. Auch habe ich vernommen, daß treue Gesellen solche Gewohnheit haben, sie sitzen beieinander auf demselben Zweige und singen dieselben Lieder. Deine Weise aber ist, wie ich merke, sehr ungleich der meinen.« Sie neigte das Haupt ein wenig auf die Seite und lud ihn durch einen lustigen Blick zum Wortkampf ein. »Mir gefällt's, wenn das Glöcklein im Kloster klingt, dann singen wir fromme Hymnen.« »Mir aber gefällt's, wenn das Waldhorn tönt,« antwortete Immo ebenso, »dann bellen die Hunde, dann springen die Hirsche und lustig reitet der Jäger im wilden Wald. Was sagst du dazu, mein Geselle?« »In deinem grünen Wald heult der Wolf und haust der wilde Bär, im Kloster aber ziehen wir mit Kreuz und Fahne und danken dem Himmelsherrn.« »Mühselig ist es, immer den Kopf zu neigen und mit langsamem Fuße zu schleichen. Ich lobe mir den grünen Anger und bunten Klee, dort werfen die Knaben und Mädchen den Ball und springen den Reigen. Wie gefällt dir das, mein Geselle?« »Beim wilden Reigen sah ich die Knaben das Messer ziehen und blutige Streiche störten den Tanz; ich lobe mir, wenn das junge Geschlecht im Kreise sitzt und die Vorleserin Gutes aus den Büchern verkündet.« »Leicht kommt der Schlaf, wenn man tatlos kauert. Viel lieber schwinge ich selbst den Speer und das Schwert und reite im Eisenhemd über die Heide. Was sagst du dazu, mein Geselle?« »Ein Kriegsmann willst du werden,« rief das Mädchen erschrocken, »sie werden dich töten,« und sie vergaß das Redespiel. »Wenn sie das vermögen; ich aber will sorgen, daß es ihnen nicht gelinge.« Die Jungfrau sah scheu aus ihren großen Augen auf den Nachbar. Daß er nicht geistlich werden wollte, störte ihr die Sicherheit, sie schob ihr Gewand zusammen und schwieg. Immo achtete in seinem Übermut nicht auf ihre Bewegung und rief: »Mir ist heut manches schlecht gelungen, die Schwertleute haben sich an mich gehängt und mich hart geschnürt, und ich weiß nicht, was mir dein Vater ersinnen wird. Dennoch bin ich froher als je in meinem Leben und ich könnte auf meinem Stuhl hüpfen. Ich fühle auch gegen niemanden Groll und es ist mir ganz lieb, daß sie mich gefangen haben. Ich weiß nicht, woher das kommt, wenn mir nicht darum so wohl ist, weil ich neben dir sitze und mit dir aus einem Becher trinke. Wonnig ist mir zumute und ich möchte wohl einmal aus Herzensgrund aufjauchzen oder auch singen. Aber mein Gesang würde nicht jedermann freuen, denn meine Stimme ist rauh. Noch anderes Recht habe ich als dein Geselle, und auch das sollst du wissen. Denn küssen darf ich dich, wenn ich will.« Hildegard erschrak und wandte sich ab. »Hüte dich, daß der Vater das nicht hört, schnell würde dein Ehrensitz dir genommen werden.« »Um den Vater sorge ich nicht, nur um deinen Zorn,« versetzte Immo übermütig, »und daß ich dich vor den Kriegsleuten nicht beschäme. Aber wenn ich dich einmal allein wiedersehe, dann bestehe ich auf meinem Recht. Mögen die guten Engel fügen, daß dies bald geschehe.« Und er sang halblaut die Worte des Hymnus: »~Audi, benigne, Conditor, nostras preces cum fletibus~.« Das Mädchen nahm die Weise auf und sang halblaut andere Zeilen des Liedes entgegen; »~dona, per abstinentiam jejunet ut mens sobria~[1]. Flehe zu den Heiligen, daß du nüchtern wirst, denn wie ich höre, redest du gleich einem Berauschten.« »Wie du geschickt zu entgegnen weißt,« rief Immo begeistert, »du bist ein sinnvolles Weib, wenn du mich auch verhöhnst.« Der Graf hatte unterdes mit seinen Mannen emsig dem Wildbret und starkem Bier zugesprochen und nur einzelne Reden mit den Vertrauten, welche ihm zunächst saßen, gewechselt, jetzt lehnte er sich zufrieden auf dem Stuhle zurück und hörte die lateinischen Worte des Hymnus, welche seine Tochter sprach. »Merkt auf unsere Klosterleute,« rief er, »sie summen nach Art der Mönche mit geneigten Köpfen,« und da er im geheimen stolz auf das Wissen seiner Tochter war, fuhr er fort: »Fremde Worte sprechen mag jeder, aber das Gesprochene verstehen ist schwerer. Vermagst du einzusehen, Immo, was das Mädchen zu dir gesungen hat?« »Ja, Herr,« versetzte Immo, »sie mahnt mich mäßig zu sein, damit euer Trank mir nicht das Hirn betäube.« »Allzu streng ist Hildegard,« lachte der Graf, »dir soll auch einmal etwas Gutes gegönnt sein. Obwohl ich erkenne, daß es dir an Dreistigkeit nicht fehlt, du junger Zaunkönig. Denn Zaunkönige nennt ja wohl das Volk die Männer deines Geschlechtes.« Immo bezwang mit Mühe den aufsteigenden Zorn. »Weil meine Vorväter als alte Landherren auf freiem Erbe saßen, deshalb haben die Mönche ihnen im Scherz den Namen Reguli, kleine Könige, gegeben.« Da rührte sich auch Egbert, ein unfreier Dienstmann des Grafen, welcher stattlich in rotem Gewande dasaß, weil er der Sprecher war und ein Liebling seines Herrn, und rief spottend in den Saal: »Eine Sage weiß ich. Als die Vögel den Genossen zum König wählen wollten, der sich am höchsten schwingen würde, barg sich ein Zwerg von Vogel in den Federn des Adlers und ließ sich hinauftragen bis dahin, wo er den Weltenherrn auf seinem Stuhle sah, dort flatterte er über das Haupt des Adlers und piepte: König bin ich. Da lachte oben der alte Gott in seiner Halle und unten schrien die Vögel im Zorn, bis der Herr des Erdgartens gebot, daß der Betrüger seine Krone nur heimlich in den Waldhecken tragen dürfe, wo ihm niemand zusieht. Darum heißt auch ihr Zaunkönige, weil eure Herrlichkeit im Busch versteckt ist.« Immo erhob sich im hellen Zorn und rief: »Nicht dem Diener antworte ich, sondern dem Herrn. Ihr selbst habt es ja wohl erfahren, Graf Gerhard, daß die Helden meines Geschlechtes ihr Haupt nicht in der Waldhecke bergen. Nie hat einer von meinen Ahnen sein Land vom König oder von der Kirche zu Lehen genommen, wie die erbelosen Franken und Sachsen, welche von der Dienerbank in das Land kamen, um bei uns Grafen zu werden. Manchen weiß ich, der sich jetzt rühmt, ein Edler zu sein, weil er als Diener eines Königs mit großem Gefolge reitet, obgleich seine Vorfahren aus der Küche und aus dem Stall geschlüpft sind.« Mißtönender Lärm erhob sich an den Bänken und die Hand des Grafen Gerhard griff nach dem Messer, das er an seiner Seite trug, der Jüngling aber sah mit blitzenden Augen über die Versammlung, stattlich stand er da trotz seinem Schülerkleide und rief laut in das Getöse: »Zürnt mir nicht, starke Helden, daß ich als ein unberühmter Jüngling vor euch meine Stimme erhebe. Aber keiner unter euch würde schweigend zuhören, wenn man seinem Geschlecht durch stechende Worte die Ehre mindert. Auch zu euch, Graf Gerhard, flehe ich, daß ihr ohne Kränkung vernehmt, was ich nur zur Abwehr sprach. Heil trinke ich euch und euren Kindern und Dank sage ich euch, wie dem Gaste gebührt.« Er leerte den Becher und setzte sich. Der Graf barg seinen Groll hinter gezwungenem Lachen. »Ich höre, du hast unter den Mönchen gelernt, mit zwei Zungen zu reden.« »Überall rühmen die Leute,« versetzte Immo, »daß die Zunge eine gute Waffe ist und wir Schüler haben, wie ihr wißt, vor andern darin Ruf.« »Oft haben auch wir erfahren, wie scharf die Zunge der Mönche schneidet,« entgegnete der Graf, »vor andern aber bei den Mönchen des Wigbert, und wir alle wissen, daß ihr dort sehr ungeistlich lebet und der Gebete für arme Seelen wenig gedenkt. Auch von dir selbst, Immo, erinnere ich mich gehört zu haben, daß du wild in dem Kloster hausest und sogar den Mönchen üble Streiche spielst. Soll deine Rede mir besser gefallen als seither, so berichte ein wenig von deinem Streit mit den Geschorenen.« »Verzeiht, Herr,« versetzte Immo ernsthaft, »die Rinder kämpfen oft mit ihren Hörnern gegeneinander, wenn aber der Bär naht, dann schließen sie sich einmütig zusammen und weisen ihm die bewehrte Stirn; so wäre auch mir Unrecht, an fremdem Tisch von den Vätern Übles zu berichten, denn als ein Kind des heiligen Wigbert hast du mich ergriffen.« »Du sorgst schlecht für dein Wohl,« rief der Graf zornig, »wenn du dein Kloster in dieser Halle rühmst. Denn undankbar und treulos haben Wigberts Mönche an mir und meinem Geschlecht gehandelt. Oft habe ich mich enthalten, ihnen Übles zu tun, wo ich es doch vermocht hätte, und mühsam habe ich den Zorn meiner Mannen gebändigt, wenn sie die Rinder des Klosters begehrten und den Übermut eurer Dorfleute ansahen. Auch wegen der Wiesen und Fluren, von denen ich heut den geschorenen Schwarm vertrieben habe, ertrug ich schon lange das Unrecht. Denn meinem Vater gehörte der ganze Grund und er hat ihn, wie die Mönche behaupten, dem Kloster zugeschrieben, da ich noch jung war, unter der Bedingung nämlich, daß sie seine arme Seele von dem Höllenfeuer frei beten sollten. Dies aber haben sie uns zum Unheil und zur Schmach versäumt. Und ihr alle sollt es wissen, was mir begegnet ist, damit ihr mein Recht gegen die Wigbertleute erkennt. Jämmerlich war das Gesicht, welches ich neulich hatte, da ich auf meinem Bette lag.« Er bekreuzte sich heftig und fuhr fort: »Ich sah im Traum eine unselige Gestalt von Flammen umgeben und mit glühenden Ketten an den Beinen gefesselt und ich erkannte, daß sie so gestaltet war wie mein Vater, da er lebte. Der traurige Geist wies auf den Grenzhügel, welchen die Mönche nach der Schenkung neu geschüttet haben, und seufzte: mein war es und dein soll es wieder sein. Mir fuhr das Entsetzen durch den Leib, bis die Gestalt verschwand. Daraus erkannte ich deutlich, daß die Geschorenen als Lügner an meinem Vater gehandelt haben oder auch, daß ihr Gebet ganz unwirksam geworden ist, weil sie in Weltsünden leben; und darum beschloß ich, mein Eigentum wieder zurückzufordern. Vermag Wiese und Feld nicht meinem Ahn einen guten Sitz in der Himmelsburg zu erwerben, so soll dasselbe Land doch solchen, die mir treu sind, einen warmen Sitz auf Erden bereiten; denn es wird dazu helfen, zwei bis drei Kriegsleute mit ihren Rossen zu erhalten, wenn ich es ihnen als Lehn zuteile.« Ein freudiges Geschrei ging um die Tische und laute Heilrufe erklangen dem Sprecher. Der Graf tat einen herzhaften Trank und sah zufrieden über seine Bewaffneten. »Dies sage ich in deiner Gegenwart, Immo. Denn obgleich du dich heut trotzig an meinem Tische gebärdest, so will ich dich doch morgen zu deinem Abt entsenden, damit du ihm meine Beschwerde verkündest. Ich wähle aber dich, weil ich merke, daß du recht gut verstehst, deine Worte zu setzen und weil ich dich als nutzlosen Schüler nicht im Kerker bewahren mag. Die Geschorenen, welche mein Gesinde fing, habe ich entlassen, damit sie nicht als Gefangene in meinen Mauern Unheil herabbeten, die Klosterknechte aber halte ich in Banden, bis dein Abt sie auslöst oder sich mit mir wegen der Wiesen verträgt. Und ich fordere, daß er sich mit der Lösung beeile, wenn er sie lebend wiedersehen will, da ich sie nicht lange zu füttern gedenke. Den Hugbald aber bewahre ich zu anderm Tausch. Denn zwei meiner Knechte, sattelfeste Knaben, liegen auf der Burg des Abtes verstrickt, weil sie neulich auf meinen Stuten beim Roßgehege des Abtes vorbeiritten. Da brachen die jungen Hengste des Herrn Bernheri aus und jagten eigenwillig hinter den Stuten her, und als meine Knaben den Füllen die Leine umwarfen, nur damit sich diese nicht in den Wald unter die Wölfe versprengten, da kamen Dienstmannen des Klosters herzu, schrien meine Leute trotz ihrer guten Meinung als Roßdiebe an, rissen sie von den Pferden und führten sie samt den Stuten nach dem Berg des Abtes. Mich aber kränkt dies Unrecht sehr und ich fordere meine Knaben und Pferde gegen den Hugbald und sein Pferd; das magst du deinem Herrn verkünden.« Immo hörte erstaunt die Rede des Wirtes, ihm fiel schwer aufs Herz, daß auch sein Geschlecht dem Kloster wertvolle Hufen verkauft hatte und er fühlte nicht den Drang, die Mönche zu verteidigen. Er sah nach Hugbald, welcher mürrisch hinter seinem Becher saß, und begnügte sich, trotz der Freude über seine nahe Befreiung ruhig zu sagen: »Alles, was ihr mir auftragt, werde ich dem Herrn Abt berichten, auch euer Traumgesicht, wenn ihr das begehrt.« Als er aber seitwärts nach Hildegard blickte, war ihr Antlitz gerötet und große Tränen rannen aus ihren gesenkten Augenlidern herab. Da erkannte er, daß die Jungfrau bitteres Leid über die Reden ihres Vaters empfand und sie wurde ihm dadurch noch lieber. Sie aber vermied ihn anzusehen, stand schweigend auf, hob den Bruder von seinem Sitz und erbat leise vom Grafen die Entlassung, der ihr gleichgültig durch eine Handbewegung gestattete aus der Halle zu scheiden. Und zu der Bank seiner Mannen gewandt, rief er: »Führt auch die Verstrickten in ihre Zelle zurück, wenn sie nüchtern abwärts steigen, so ist es ihre Schuld.« »Lebe wohl, Hildegard,« sprach Immo leise und faßte heftig ihre Hand. »Denke mein, lieber als alles auf der Welt wird mir sein, wenn ich dich wiedersehe.« »Sei auch du gesegnet,« antwortete Hildegard und neigte sich vor dem Vater. Immo freute sich, daß sie die Mannen stolz als Herrin grüßte; die kleine Tür öffnete sich und sie verschwand. Jetzt brannten die Fackeln dem Jüngling trübe, die wilden Mienen der Männer erschienen ihm unheimlich, und er folgte mit stummem Gruß dem Kämmerer. »Sorge dafür, daß die beiden Klosterkrähen einen besonderen Käfig erhalten und Stroh zu warmem Sitze,« rief der Graf unter dem Gelächter der Reisigen dem Kämmerer nach. Während Hugbald schweigend auf der Streu lag, bis er im Schlafe seines Kummers ledig wurde, saß Immo neben ihm in seligen Gedanken, er überlegte jedes Wort und jede Miene der Jungfrau, spät sank er in Schlummer. Am nächsten Morgen wurde er in den Hof geführt und vernahm noch wie im Traume ungnädige Entlassung und harte Worte aus dem Munde des Grafen. Als er aber auf das Pferd steigen wollte, das ihm ein Reisiger zuführte, ging eine junge Magd aus dem Frauengemach bei ihm vorüber, legte ihm verstohlen etwas in die Hand und sagte leise: »Nimm zurück, was dir gehört.« In ein großes Lindenblatt war ein Blättchen Pergament gewickelt, auf dem Pergament stand mit schöner Schrift der Reisegruß: »Die lieben Engelein sollen dich hüten und segnen auf allen deinen Wegen;« rings um die Schrift war mit der Nadel ein Goldfaden durch das Pergament gezogen. Er drückte das Blatt an seine Brust und barg es in seinem Gewande. Immo ritt aus den Buchen, von einem Reisigen des Grafen bis an die Grenze begleitet. Er fand das Tor St. Peters geschlossen, die Brücke gehoben, wurde von Bewaffneten angerufen und mußte längere Zeit harren, bevor ihm der Eingang gestattet wurde. Herr Bernheri, welcher im Klosterhofe vor seinen Dienstmannen saß, vernahm unwirsch die Botschaft des Grafen und entsandte den Boten mit dem Mönch Eggo sogleich zur Fulda hinab in das Kloster. Auch das Kloster war in ein Kriegslager verwandelt, am Eingang des Dorfes standen die Weiber in Haufen, sie schrien dem Kommenden entgegen, umringten sein Roß und forderten Kunde von den Gefangenen. In dem Hofe der Reisigen drängten sich Kriegsleute und Knechte, das Rüsthaus war geöffnet und die Knechte trugen Eisenhemden und Waffen zu langen Reihen. In den Arbeitshöfen schwärmten die Brüder, aus der Klausur entlassen, aufgeregt durcheinander; bei der Mauer und dem Pfahlwerk zimmerten Arbeiter an den Treppen und Bänken für die Bogenschützen, und im Vorhof der Kirche stand Tutilo, ein Schwert über der Kutte, als Hauptmann der großen Burg, welche zur Verteidigung gerüstet wurde. Unfreundlich sah er auf Immo: »Hugbald liegt gefangen. Leichter hätte das Kloster dich entbehrt als seinen Dienstmann.« »Nicht mein ist die Schuld,« versetzte Immo, »daß Hugbald gegen die Feinde keine andere Hilfe fand als meinen Stab.« Finster wies ihn Tutilo mit einer Handbewegung zur Seite, Immo aber eilte zu seinen Genossen, welche vor allem froh waren, daß sie heut nicht durch den neuen Lehrer in die Schule gerufen wurden. Von ihnen umdrängt, berichtete Immo seine Fahrt und führte die Willigen vor das Rüsthaus, wo die Älteren gewappnet wurden, um mit den Knechten die Mauer und die Umgegend des Klosters zu bewachen. Eggo aber verkündete den Mönchen, daß Herr Bernheri am nächsten Morgen herabkommen werde, um die Brüder im großen Konvent zu versammeln. Mit düsteren Mienen vernahmen die meisten die Botschaft. Der ganze Tag verging im Getümmel; trotz der Nachricht, welche Immo gebracht hatte, sorgten die Mönche, daß der Graf einen Anlauf gegen das Kloster wagen oder daß seine Dienstmannen in Herden und Dörfer einbrechen würden. Bis zum Abend kamen von allen Seiten Flüchtlinge mit ihrer wertvollsten Habe, auch das Herdenvieh wurde herangetrieben von Anger und Weide, zuletzt kam noch der Sauhirt mit seiner Herde und die Brüder hatten Not, die Menge der Menschen und Tiere in den Höfen zu bergen. Als die Sonne unterging, war in dem Kloster, das sonst am Feierabend so still in der Landschaft stand, ein wirres Getöse und Geschrei, die Rinder brüllten, die Schweine grunzten, die Schmiede schlugen auf die Speereisen und die Zimmerleute hieben Balken und Bretter für die Verschanzung. 3. Der letzte Tag im Kloster. Im Chor der Kirche sammelte sich der Konvent; hastiger als sonst drängten die Brüder herzu, heiß die Köpfe, gefurcht die Stirnen; und ein Summen, das nichts Gutes bedeutete, ging durch die Gemeinde. Als Herr Bernheri mit seinen Begleitern in den Chor trat, blieben die Nacken der Mönche steif und aus dem Summen wurde ein mißtönendes Geschrei. Der Abt stand einen Augenblick überrascht bei seinem Sitz und sah auf mehr als hundertundzwanzig Häupter seiner aufsässigen Kinder, aber da er von Natur ein mutiger Mann war, wenn auch ermüdet durch Müßiggang und Wohlleben, so zog er seine Augenbrauen zusammen, blickte aus seinem großen Haupt herausfordernd über den Haufen und setzte sich steif in den Abtstuhl. Die Hora begann und der Abt selbst erhob die Stimme: »~Deus in adjutorium~«, aber unordentlich tönte der Gesang der Brüder und der Lektor eilte so sehr er konnte, versprach sich und mengte die Zeilen. Als die letzten Klänge verrauscht waren, begann wieder das unzufriedene Brummen. Da erhob sich Herr Bernheri von seinem Stuhl und stand auf seinen Krückstock gelehnt gewichtig vor den Brüdern. Er eröffnete den Konvent durch den lateinischen Gruß und fuhr mit lauter Stimme fort: »Mein ist das Recht zu befehlen und euer die Pflicht zu gehorchen. Dennoch habe ich heut, wie die Regel erlaubt, die ganze Gemeinde zur Beratung versammelt; sorgt dafür, daß es mir nicht leid tue und daß es euch bei den Heiligen nicht zum Schaden gereiche, wenn ihr mir unbändig widersteht. Gutes und Übles habe ich euch zu verkünden. Das Gute ist von unserm Herrn, dem König Heinrich gekommen, denn er hat uns den großen Bannwald bei St. Peter, den wir uns längst ersehnt, mildtätig geschenkt.« Der Abt hielt an, aber keinerlei Beifall dankte für die Begabung, und der Abt setzte die Rede unzufrieden fort: »Das Üble aber kommt von dem Grafen Gerhard. Sehr gröblich hat dieser das Kloster geschädigt, durch den Schüler Immo hat er unpassende Worte hierher gesandt, nämlich, daß er ein Recht auf die Waldwiesen erhalten habe, weil sein Vater im Höllenfeuer stöhne.« Aufs neue erhob der Konvent zorniges Gebrumm; Herr Bernheri schwenkte die Hand verächtlich gegen die Worte des Grafen: »Ich kenne seit lange den argen Wicht Gerhard und seine Gewohnheiten. Immer hat er üble Traumgesichte, wenn er den Frieden brechen will. Schon vor vielen Jahren träumte ihm etwas wegen unserer Hirschjagd, die er sich begehrte; er würde alle seine Väter und Mütter auf die heißeste Bank der Hölle setzen, wenn er dadurch für sich einen weltlichen Vorteil erreichen könnte. So viel gebe ich auf seine Träume,« -- er blies kräftig den Atem in die Luft. »Ich aber fürchte sehr, er selbst wird dafür in den Höllenrachen geworfen werden, obwohl er zuweilen beim Weidwerk und bei einem starken Trunk nicht schlechter war als andere. Denn wenige kenne ich unter den weltlichen Fürsten und Herren, die nicht ebenso raubgierig sind. Alle trachten darnach, viele Dienstmannen mit Lehen zu begaben, damit diese ihnen bei ihren Fehden die reisigen Knechte zuführen. Die Dienstmannen greifen das Kleine im Wald und auf der Straße und ihre Herren das Große vom Könige und der Kirche; zum Kriege sind sie nötig, aber den Frieden vermögen sie schwer zu bewahren, wenn nicht ein starker Herr sie zur Ruhe zwingt.« Der Abt holte Atem und aufs neue tönte das dumpfe Brausen der Menge, doch war es weniger feindselig. Und Herr Bernheri hob wiederum an: »Gekränkt bin ich wie ihr alle, und wären meine Beine gesund und mein Sinn weniger gewitzigt, so würde ich vielleicht selbst den Streithengst besteigen; so aber mahnt mich die Erfahrung vieler Jahre und meine eigene Krankheit zur Vorsicht. Zuerst will ich euch verkünden, was unfehlbar geschehen wird, wenn wir gegen den Grafen rüsten. Dorfhäuser werden brennen und Männer erschlagen werden und das Ende wird sein, daß er außer dem Raub, den er jetzt gepackt hat, sich noch größeren fordert wegen der Mühe und Kosten seiner Rüstung, und daß er uns mehr schädigt als wir ihn, denn das Kloster bedarf zum Gedeihen den Frieden, er aber den Krieg, und er vermag uns von unsern Gütern in Thüringen zu scheiden. Vor dem König aber wird er recht behalten und nicht wir, denn schwerlich hätte er seinen Vater in der Hölle geschaut, wenn er nicht wüßte, daß der König ihm bei den Wiesen gegen das Kloster helfen will. Darum, wie sehr ich den Grimm über seine Missetat fühle, bin ich dennoch gewillt, ihm diesmal ein wenig nachzugeben, vielleicht, daß er sich begnügt das Land nur auf seine Lebenszeit zu behalten und bei seinem Tode dem Kloster zurückzugeben. Dies ist die Hoffnung, welche uns bleibt, denn er ist ein angefressener Stamm und mancher Wurm nagt in seinem Holze, auch ihn ängstigen zuweilen seine Missetaten jetzt und noch mehr in der Zukunft.« Unter hellem Geschrei der Mönche sprang Tutilo auf und rief dem Abt mit harter Stimme entgegen: »Jetzt erkennen die Brüder alle, in welchem Sinne du die Worte des Gebetes gerufen hast: ›Erlaß uns unsere Verpflichtung, wie auch wir sie erlassen unsern Verpflichteten,‹ du selbst hoffst, daß du für dein eigenes Unrecht ein mildes Urteil empfangen wirst, weil du andere Verbrecher straflos dahin ziehen läßt. Aber du sollst auch verstehen, was die Brüder gemeint haben, als sie laut riefen: ›Befreie uns von dem Argen,‹ denn damit meinten sie nicht den Grafen Gerhard allein, sondern noch jemanden. Niemals hätte der Graf gewagt, Klostergut anzugreifen, wenn er nicht wüßte, daß solche, die zu Wächtern des Klosters gesetzt sind, selbst eigennützig mit dem Gut der Kirche schalten. Oft hast du das bewiesen; unter anderm auch neulich, als der fremde Händler starb, den wir in seiner letzten Krankheit ein Jahr lang gepflegt hatten. Denn bei seinem Tode verließ er dem heiligen Wigbert ein Kästchen mit edlen Steinen, die er aus Welschland gebracht hatte, und wir hofften, daß die Steine den Altären ein Schmuck werden sollten und außerdem vielleicht einmal jährlich den Brüdern ein frohes Liebesmahl verschaffen. Du aber hast die Steine an dich genommen und durch den Schmied in Becher schlagen lassen, die du selbst gebrauchen wirst oder auch ein anderer, wie es dir gefällt. Nicht als ein Vater, sondern als ein Tyrann herrschest du über die Gemeinde. Deinen Günstlingen gestattest du jede Unbill und dagegen versagst du den Brüdern auch die erlaubte Erquickung. So tatest du neulich, da du ein Verbot erließest, welches ich lächerlich und kindisch schelte, daß nämlich der Koch an den Fasttagen den Brüdern niemals Lebkuchen backen soll. Diese Speise war vielen eine heilsame Ergötzlichkeit, worauf sie sich durch die Woche freuten. Du aber hast dies aus Bosheit verwehrt, weil es ihnen lieb war. Antworte, wenn du vermagst, zuerst wegen der kleinen Dinge, denn noch weiteres haben wir über dich zu klagen.« Dieser Angriff wurde durch starkes Gebrumm der Brüder bekräftigt. Da ihnen manche Speise versagt war, so hatte das Erlaubte für die meisten um so größeren Wert und sie dachten und murmelten viel über Trunk und Kost. Und Tutilo wußte, daß sie wegen dem entzogenen Gebäck ihrem Abte stärker zürnten als wegen Ärgerem. Das Gesicht des Abtes rötete sich bei der Beschuldigung und er rief: »Schweig mit deinen ungebührlichen Reden, sowohl aus Scham vor mir, als aus Furcht vor den Heiligen. Ganz ungehörig ist, was du an geweihter Stätte über das Pfeffergebäck vorbringst. Denn jeder Verständige wird mir recht geben, daß der Pfeffer, welchen sie hineintun, für Mönche allzu hitzig ist, und weil sie die Speise stark mit Honig würzen, schmeckt ihnen nachher jeder Wein sauer und sie ziehen bei ihrem Trunk ärgerliche Gesichter. Was aber den Schatz betrifft, so habe ich allein das Recht zu erwägen, wie er dem Kloster den größten Vorteil bringt. Die Becher habe ich zum Geschenk bestimmt für solche, an deren gutem Willen das Heil des Klosters hängt, und ich selbst traure, daß es nötig ist, durch Gaben zu sühnen, was deine Untreue verbrochen hat. Denn mit Empörern verhandelst du, und du verleitest die Brüder zur Untreue gegen Herrn Heinrich, unsern König. Aber allzulange habe ich die Tücke deines Wesens ertragen, und ich bin entschlossen, mit dir zu verfahren, wie unser Vater, der heilige Benedikt, gebietet, wenn ein Präpositus von dem bösen Geiste des Hochmuts aufgeblasen wird. Mehr als viermal habe ich dich mit Worten gemahnt, jetzt naht der Tag deiner Strafe; fügen sollst du dich, oder du wirst aus dem Kloster geworfen zu einer Warnung für die andern. Die Pforte sperre ich dir auf, du magst auslaufen, wohin du willst, und die Toren, welche dir anhängen, mit dir.« Da erhob sich der Konvent in wilder Bewegung, die Bande der Zucht zerrissen in der Wut, welche die Seelen erfüllte. Dicht vor den heiligen Reliquien brach die Empörung aus, von ihren Sitzen sprangen die Mönche an die Stufen des Hochaltars mit heißen Gesichtern und glühenden Augen; starke Arme streckten sich und mißtönendes Geheul erfüllte die Kirche. Aber auch im Rücken der Streitenden klang lauter Ruf und die eiserne Gittertür, welche den Vorhof vom Hauptschiff der Kirche trennte, krachte in ihren Angeln. Denn dort hinten drängte gewaltsam ein wilder Haufe mit Leibern und Stangen. Nur wenige von den Mönchen hörten auf den Lärm, der von außen kam, doch Rigbert lief durch die Kirche nach dem Eisengitter und schrie, sich mit ausgebreiteten Armen davor stellend: »Immo, Unseliger, was wagst du? Bist du des Lebens müde, daß du mit den Ungeweihten in die Klausur brichst?« »Wir sind nur müde vom Stehen und Harren,« rief Immo lustig hinein. »Meinst du, die Schule wird fern bleiben, wo die Mönche einander knuffen? Öffne die Tür, Rigbert, wenn du ein guter Genosse bist.« »Niemals, denn es wird euer Verderben. Was willst du in der Kirche?« »Schläge zu Ehren des heiligen Wigbert austeilen, wen es auch trifft. Wer ist in der Not?« »Sie bedrängen den Herrn Abt.« »Wie, das gute Weinfaß? Gesellen, wir helfen dem Abt!« Die Schüler riefen gellenden Kampfschrei und wieder rasselten die Stangen an dem Tor, gegen welches sich der Mönch mit seinem Leib stemmte; da griff Immo behend durch das Gitter und schob den Riegel zurück. Die Tür flog auf und die Schüler drangen herein; allen weit voraus sprang Immo dem Chore zu. Über den Rücken zweier Mönche, die er als Bock gebrauchte, flog er wie ein Federball vor den Altar und stand allein mitten unter den Tobenden, nahe dem Abt, der das schwere Kreuz vom Altar gehoben hatte und den Aufrührern entgegenhielt, während die Brüder seiner Partei wie eine Schar gescheuchter Hühner auseinander geflattert waren und hinter dem Altar und den Stühlen Schutz suchten. »Hara!« rief der wilde Immo, »zu Hilfe dem Herrn Abt. Komm heran, Dekan Tutilo, damit ich dich lehre, deinem Abt den Fuß zu küssen.« Die Mönche wichen beim Anblick des Jünglings zurück, der mit drohender Gebärde einen Eisenstab schwingend vor ihnen stand. Der allgemeine Zorn wandte sich gegen den Einbrecher. »Hinaus mit dem Frevler!« schrien viele Stimmen. »Die Klausur ist gebrochen, geißelt den Missetäter!« Ein Mönch sprang hinter den Altar und riß die Geißel, welche dort für die Mönchbuße lag, aus dem Kasten; von Hand zu Hand ging die blutbesprengte, Tutilo packte sie und stürzte damit auf den Schüler los. Aber im Nu lag der starke Mann von einem Schlage getroffen am Boden, Immo hob die Geißel über ihn und rief: »Das sei dein Lohn, bellender Hund!« So schnell war die Tat, so unerwartet der Frevel und so wild schlug der trotzige Jüngling, dessen Kraft die Brüder wohl kannten, daß alle einen Augenblick starr standen und dem Getöse plötzliche Stille folgte. Aber gleich darauf erhob sich wieder das Getümmel und Geschrei: »Zu Boden mit dem Bösewicht, werft ihn in den Kerker, bindet ihn auf das Kreuz!« Während sich so die Anhänger des Tutilo zum Angriff anfeuerten und Immo mit flammenden Augen gegen sie die Stange hob, da geschah, was allen unerhört war: die beiden Alten Bertram und Sintram warfen sich zwischen den Haufen gegeneinander auf die Knie und baten zu gleicher Zeit und mit denselben Worten einer den andern um Verzeihung. Denn als der Kampfzorn die Brüder ergriff und zwiespältig schied, da hatte sich zum erstenmal ereignet, daß die Beiden nicht derselben Meinung waren und Bertram hatte auf der Seite des Abtes, Sintram aber auf der des Tutilo die Faust geballt. Und als sie nun beide zu gleicher Zeit sahen, daß sie einander mit der drohenden Faust gegenüberstanden, hatte jeder sich über sein eigenes Unrecht entsetzt und sie baten mit Tränen einander ab und umarmten sich, während sie auf den Knien lagen. Als der empörte Haufe die Greise am Boden sah, wurde ihm der Anblick unheimlich, einige von den Rohesten lachten, aber die Mehrzahl fuhr entsetzt zurück. In diesem Augenblick sprang Reinhard auf die Stufen des Altars und rief die Arme erhebend: »Herr, gehe nicht ins Gericht mit uns Sündern! Kniet nieder, ihr Brüder, und flehet um die Vergebung der Heiligen. Nicht durch Geschrei wird der Schaden des heiligen Wigbert geheilt; ihr seht selbst: wie ihr euch gegen den Vater des Klosters, so empört sich Bruder gegen Bruder, und die ruchlose Jugend gegen euch alle. Eure Feindschaft stärkt nur die Feinde draußen. Wollt ihr euch helfen, so rate ich, daß heut nicht in der Menge verhandelt wird, was zum Frieden des Klosters dient, sondern daß die Dekane und die Alten sich mit unserm Herrn Bernheri in friedlicher Beratung vereinen. Du aber, Jüngling, wirf die Geißel weg, mit der du an heiliger Stätte gefrevelt hast, und erwarte in Demut die Strafe, welche die Brüder dem Verbrecher finden.« Die Geißel fiel zur Erde neben Tutilo, welcher ächzend auf dem Boden saß und betäubt seinen Kopf auf die Hand stützte. Immo starrte wild umher. Da er merkte, daß er allein war und daß seine Genossen sich in den Ecken und hinter den Säulen zu bergen suchten, trat er an den Stuhl des Abtes zurück, aber seine Augen flogen herausfordernd über den Haufen. Herr Bernheri begann zornig: »Nicht die Geweihten des Herrn sehe ich vor mir, sondern eine Herde wilder Eber, welche begierig ist die eigenen Ferkel zu fressen. Ich aber verachte euer Grunzen und das Schnauben eurer ungewaschenen Rüssel, denn, wie sagt der hohe Apostel: ›Sie wandeln dahin in ihrer Dummheit.‹ Was aber hier Reinhard, der würdige Bruder, vorschlägt, das gefällt auch mir. Mit den Dekanen und mit den Ergrauten, welche nicht Hechsel in ihrem Kopf haben, gedenke ich in späterer Stunde die Leiden des Klosters zu erwägen, bis dahin mögen sie selbst in der Stille prüfen, ob sie eine Hilfe finden. Denn auch der Esel schreit laut, wenn er müßig steht, wenn er aber die Säcke tragen muß, so schweigt er geduldig. Sie sollen auch einmal die Last tragen, ich bin es müde, allein für euch grobe Klötze Rat zu suchen, wo es keinen gibt. Und so scheide ich jetzt den Konvent, wandelt bis morgen dahin in Frieden. Ich aber verweile hier in meinem Hofe, damit niemand meint, daß ich den Unzufriedenen das Feld räume. Bestelle was nottut, mein Kämmerer Eggo, und diesen behenden Springer nimm mit dir. Nie sah ich einen Scholastikus so wild auf geschorenen Köpfen zum Altar reiten.« Der Abt wandte sich schwerfällig zum Altar und neigte sich. Reinhard eilte zu den Brüdern und sprach nachdrücklich in die Ältesten hinein, doch mürrischer Widerspruch erhob sich und laute Stimmen riefen: »Der Schüler gehört in unsern Kerker, denn er hat gegen einen Mönch gefrevelt.« Der Abt wandte sich wieder dem Haufen zu: »Der Scholastikus gehört unter die Zucht des Lehrers Reinhard, dem Reinhard aber gebiete ich, mir zu folgen, denn ich bedarf seiner, damit ich ihn, wenn es nottut, zu euch sende.« Herr Bernheri stieg langsam vom Altar, warf noch einen verachtenden Blick auf die empörte Gemeinde und schritt unaufgehalten durch seinen Ausgang nach dem Abtshofe. Um ihn drängten sich die Getreuen von St. Peter, sein Kämmerer hielt den Jüngling, welcher friedlich folgte, bei der Schulter; als letzter ging Reinhard. Hinter dem Abte brauste noch lange die wogende Menge, die erste Wut war verraucht, aber bitterer Groll zurückgeblieben. Tutilo wurde von zwei Brüdern in die Klausur geführt, wo er sich erst erholte, nachdem der Kellermeister einen Krug Würzwein in seine Zelle gestellt hatte. Neben dem Kruge saßen einige alte Brüder, den Kranken zu pflegen; sie prüften und billigten den Trunk und zürnten, obgleich sie mit gedämpfter Stimme sprachen, heftig auf mehrere, welche abwesend waren. Unterdes stand Immo in der Büßerzelle der Abtei, ein Bruder von St. Peter, der ihm fremd war, hatte ihm ein Bund Stroh hineingebracht und einen Krug mit Trinkwasser ohne ein Wort zu sprechen, und Immo, der den Klosterbrauch kannte, hatte auch keine Frage getan, um sich nicht über die versagte Antwort zu ärgern. Einen Augenblick dachte er daran, den Bruder festzuhalten und an seiner Stelle hinauszuspringen, aber mit leisem Stöhnen gab er den Gedanken auf, denn er wußte wohl, daß das Haus des Abtes von Reisigen besetzt und keine Möglichkeit zur Flucht war. Er untersuchte seinen Kerker, doch dieser bot geringen Trost, er war nicht in freier Höhe gezimmert und kein Dach erhob sich über ihm, es war ein Kellerloch, nicht viel länger als ein Mann, und die kleine Lichtöffnung vermochte kein Geschöpf, das größer war als eine Katze, zu durchklettern. So blieb ihm nichts übrig als auf dem Stroh zu sitzen und die finstern Gedanken wegzuscheuchen, welche wie Fledermäuse um sein Haupt schwirrten. Lange tröstete ihn ein wenig die Überlegung, daß er den Tutilo, der immer herrisch gegen ihn gewesen war, so schön zu Boden geschlagen hatte. Er griff nach dem Pergament mit dem Goldfaden und wiederholte sich die Worte, welche Hildegard zu ihm gesprochen hatte, aber dabei wurde der Gedanke in ihm übermächtig, daß er jetzt zum zweitenmal als Gefangener in elendem Kerker saß. Als gar der Abend kam und der Hunger stark in ihm nagte, wurde ihm frostig zumute und ihm fiel ein, daß seine Zelle für eine furchtbare Stätte galt. Manche Geschlechter vergangener Mönche hatten hier jahrelang gebüßt und in Kreuzesform dagelegen, während die Geißel über ihren Rücken flog und ihr Blut auf den schwarzen Boden rann. Unheimliche Geschichten erzählten die Schüler von der Not der Frevler, welche der Abt gefesselt hielt und wer in der Dämmerung an der Zelle vorübergehen mußte, der wandte das Haupt ab und beeilte den Schritt. Daß Tutilo und seine Genossen ihm todfeind geworden waren, erkannte er jetzt deutlich, und ihm kam auch vor, als könnte er wohl das Sühnopfer werden, über dessen Leib der Abt mit den Mönchen Frieden mache. Wild sah er umher und griff im letzten Zwielicht an die Wände; es waren dicke Mauern, hier und da hatte ein Büßer sein Kreuz in den Kalk geritzt, um davor zu beten. Da neigte auch er das Haupt und begann einen lateinischen Psalter, aber unter den heiligen Worten kam ihm die Angst, was wohl die Apostel Simon und Thaddäus, vor deren Gebeinen er den Tutilo niedergeworfen hatte, von seinem Tun denken würden. Er konnte nicht glauben, daß Tutilo als ein arger Mann in Gunst bei den Hohen stehe, aber ob sie besonderes Wohlwollen für ihn selbst hegen könnten, erschien ihm sehr zweifelhaft, denn sicher hatte er eine schwere Tat begangen und ihr Heiligtum entweiht. Da faltete er die Hände und bat den heiligen Wigbert, sein Fürsprecher zu werden. Dieser war ihm immer hold erschienen und am liebsten hatte er vor seinem Altar gebetet, denn er dachte sich, daß der Heilige auf Erden ein guter Geselle seines Ahnherrn gewesen und seit alter Zeit dem Geschlechte vertraulich war. So bat er jetzt demütig um seine Hilfe. Und als er an die Heimat dachte, wurde ihm das Herz weich. Aber stürmisch hoben sich wieder die Gedanken. Wenn er die Eisenstange nur hätte, die er heute früh geschwungen, dann könnte er wohl die Tür erbrechen. Und er stampfte mit dem Fuß auf den Boden, ob es irgendwo hohl klänge. Denn aus der Tiefe der Erde kam geheimnisvoll die Fülle aller guten Dinge, nicht nur die Landleute, die noch Heidenbrauch übten, auch die Mönche wußten das. Vielen Goldschatz barg die Mutter Erde, aber auch anderes Metall schenkte sie aus ihrem Vorrat den Bedrängten. Warum sollte nicht auch er in seiner Not eine Waffe aus der Erde graben, die ihn von der drohenden Schmach erlöste. Er griff und stieß wieder an Wänden und Boden umher, aber nirgends erkannte er hartes Eisen. Und er faltete aufs neue die Hände und kauerte auf dem Stroh. Während er demütig in der Finsternis saß, vernahm er von außen langsame Tritte, ein Lichtstrahl fiel durch das Eisenschloß golden in die Zelle, ein Schlüssel knarrte, die Tür ging ächzend auf, und ein Mann trat schwerfällig herein und beleuchtete vom Eingange mit seiner Blendlaterne den Sitzenden. Immo schnellte empor, er erkannte Bernheri, seinen Abt und Herrn. »Stemme dich von außen gegen die Tür, Eggo,« begann der Abt nach rückwärts gewandt, »damit der Scholastikus Saliarius nicht auf den Einfall komme, uns selbst als Springböcke zu gebrauchen oder gar in unserm eigenen Keller einzuschließen.« Immo ließ sich auf die Knie nieder und senkte schweigend das Haupt, suchte aber doch durch verstohlene Blicke die Meinung des Herrn zu erraten. »Sieh, Immo,« fuhr der Abt feierlich fort, auf den Gebeugten herabblickend, »du bist zum Greuel geworden vor allem Volke und die Töchter Israels schreien wehe über dich; welches aber nur tropice gemeint ist, denn ich hoffe, daß du Unglücksvogel dich in Wirklichkeit von jüdischen Weibern stets fern gehalten hast, zumal keine in der Nähe des Klosters zu finden sind. Aber was die Schrift sagt, das gilt jetzt von dir: ›Aus der Tiefe schreie ich und niemand hört meine Stimme.‹ Ganz verworfen bist du und die hohen Engel würden dich mit zahllosen Backenstreichen begaben, nur daß solche Regung der Hände für Himmlische unschicklich ist. Was dich erwartet, weißt du. An ein Kreuzholz wirst du gebunden und so lange gegeißelt, bis dein Vater Tutilo für dich bittet; ich meine, er wird sich nicht beeilen. Und später wirst du auf Stroh gelegt in der Klausur der Brüder, wo nicht Sonne noch Mond dich bescheinen. Solches sind die Folgen deiner Springerei und deines nächtlichen Dachkletterns. Meinst du, daß ich nicht weiß, wer mir die Böcke bei Mondschein aus dem Walde holt; item, das sind die Folgen deines Abtspiels am Feste der unschuldigen Kindlein. Meinst du, daß mir unbekannt ist, wie du dir damals in der Schule ein Kissen unter deine Kutte gebunden hast, um deinen hagern Leib gleichsam zum Hohn für mich mit einem Bauch zu versehen? Je mehr ich deine Art erwäge, desto mehr Sünde finde ich in dir und erkenne, daß du zu denen gehörst, von denen geschrieben steht: »Sie sollen vertilgt werden wie Spreu.« Erkenne deine Missetat und bereue, denn es bleibt dir nicht viel Zeit. Auch der Floh springt nur so lange, bis er geknickt wird.« Immo schauerte. Doch nicht ohne Nutzen war er sechs Jahre im Kloster gewesen und er hatte ein wenig die Mönchskunst gelernt, die Miene des andern zu beobachten und vorsichtig die Worte zurückzuhalten. Darum antwortete er demütig: »Mein Herr und Vater, mich reut nicht, daß ich so geschwind war, so lange den Tutilo nicht reut, daß er die Hand gegen seinen Herrn erhoben hat.« »Ich merke,« rief Herr Bernheri, »du hoffst, daß ich in dieses Loch herabgestiegen bin, um dich daraus emporzuheben. Darin irrst du gänzlich. Da ich Abt der Brüder bin, so fordert meine Würde, deine Missetat zu strafen, wenn diese auch in guter Meinung für mich verübt wurde. Denn sobald der Morgen anbricht, werden viele das Urteil über dich fordern. Heut aber denke ich daran, daß du aus altem Geschlechte bist und daß auch ich einst mich meiner Abkunft rühmte, bevor ich mich einem Herrn gelobte, vor dem alle gleich sind, Freie und Unfreie. Darum komme ich zu dir. Hast du das Gitter der Kirche gebrochen, so vermagst du vielleicht auch diese Tür zu öffnen und hinauszufahren, ohne daß dich jemand sieht, du bist ja gewöhnt die Pfade eines Marders zu wandern.« Aus dem Faltengewand des Abtes sank ein eisernes Werkzeug auf den Boden. Immo schnellte in die Höhe und seine Augen glänzten, aber er faßte sich und antwortete: »Mein Herr möge mir verzeihen, wenn ich nicht wie ein Dieb ausbrechen will. Wohin soll ich fliehen? In den Hof meiner Väter vermag ich nicht zurückzukehren, wenn ich als Verbrecher dem Wigbert entweiche, denn schnell würden die Väter den flüchtigen Schüler zurückfordern vor ihr Gericht.« »Sprichst du so stolz, du Tor,« rief der Abt, »ich meine, jede Stelle, wo der Himmel dich deckt oder das Laub dich verbirgt, wird für dich lustiger sein als die Mauersteine dieses Kerkers.« Immo ließ sich wieder vor dem Abt auf die Knie nieder. »Dennoch flehe ich, daß mein Herr mir ehrlichen Urlaub gibt und mich als Freien entsendet.« »Mit einem Gefolge von Zinken und Posaunen,« versetzte der Abt unwillig, »ganz toll bist du in weltlichem Hochmut. Und welche Herrlichkeit der Erde gedenkst du für dich zu begehren, wenn du den Klostermauern entweichst?« »Ein Schwert will ich finden und ein Roß; denn hochwürdiger Vater, ein Kriegsmann will ich sein und kein Mönch.« »Wirst du ein Mönch, so wird bald der üble Teufel dein Abt werden, und wirst du ein Kriegsmann, so wirst du einer von den Wölfen, welche um St. Wigberts Stall heulen, bis sie dir auf grüner Heide ein Bett schaufeln.« »Herr,« versetzte Immo flehend, »zu deinen Füßen will ich geloben, daß ich in allen meinen Tagen daran denken werde, wie ich an dir einen gütigen Vater fand.« »Bin ich eine Dirne, daß du mich mit Verheißungen und mit schönen Worten bereden willst? Außerdem ziemt mir nicht, an diesem kalten Ort der Buße von weltlichen Dingen zu reden. Und deshalb frage ich dich zum letztenmal, ob du lieber die Geißel wählst oder eine zerbrochene Tür.« »Nicht die Geißel will ich und nicht die heimliche Flucht. Um gnädige Entlassung flehe ich zu meinem Herrn, damit ich mein Haupt hoch tragen kann unter meinesgleichen.« »Einem nimmersatten Windhund gleichst du,« versetzte Herr Bernheri, »und ärgerlich willst du mir werden.« Aber er sah dabei mit Wohlgefallen auf den Jüngling. »Ich schließe dich wieder ein. Bleibe auf den Knien und sprich den 37. Psalm, wo er lautet: ›~Miser factus sum et curvatus~,‹ wenn du die Worte vermagst, was ich dir nicht zutraue. Und dabei harre auf die Heiligen, ob sie sich deiner erbarmen.« Der Abt wandte sich ab, Immo faßte ihm nach dem Gewand, aber Herr Bernheri entzog sich eilig, der Riegel fuhr in das Schloß und Immo war allein in tiefer Finsternis. Er griff nach dem Eisen und preßte die Hand darum, wild stürmten ihm die Gedanken durch die Seele, Sorge und Hoffnung, dennoch hielt er jetzt das Gerät in der Hand, welches seine letzte Hilfe sein konnte. Wie durch ein Wunder war ihm auf den Boden gelegt, was er von den Gewaltigen, die unter der Erde hausten, ersehnt hatte. Brachte die Nacht keine andere Hilfe, so konnte er diese gebrauchen. Er stand in der Finsternis und horchte auf jedes Geräusch, das von außen kam. Nicht lange, so vernahm er wieder Tritte und sah einen Lichtstrahl, der Riegel rasselte und der Mönch Eggo winkte, ihm zu folgen. Leise gingen beide die Stufen hinauf; ein großer Raum, in den sie traten, war undeutlich erhellt durch die glimmenden Holzkloben im Kamin. Auf Bänken an der Wand und auf dem Boden lagen Reisige des Abtes in tiefem Schlaf. Wieder mahnte ein Zeichen des Mönchs zur Vorsicht, er öffnete eine eisenbeschlagene, niedrige Tür und führte eine Wendeltreppe hinauf. Als Immo aus der Tiefe emportauchte, stand er in einem kleinen Zimmer, dessen Wände zierlich mit dunklem Holz getäfelt waren. Auf dem Tisch stand eine metallene Lampe, deren rötliche Flamme im Luftzuge flackerte und rauchte; Eggo trug eine Wolldecke herzu, legte sie auf den Boden und flüsterte: »Rühre dich nicht und schlafe wenn du vermagst.« Gehorsam setzte sich Immo auf die Dielen und als er zur Seite blickte, sah er den Mönch wie einen Schatten an der Wand dahingleiten und hinter einem Teppich verschwinden. Er starrte in den dämmrigen Raum, auf die dunklen Bretterwände, an denen die Hirschgeweihe sich im lodernden Lichte bewegten, und auf die Waffen in den Ecken, deren Metall bald hell erglänzte, bald in Finsternis schwand. Aber das Herz war ihm leicht geworden, denn er erkannte wohl, daß Herr Bernheri ihn nicht für die Rache des Tutilo aufbewahren wollte; er schloß die müden Augen und entschlief. So mochte er lange gelegen haben, da erwachte er von einer leisen Berührung, er fuhr auf und blickte erstaunt um sich. Noch war es Nacht, die Lampe brannte trüber, über den Waldhügeln lag der graue Dämmerschein des nahen Morgens, und an seinem Lager erkannte er eine dunkle Gestalt. Erschrocken hob er den Leib und stützte sich auf die abgewandte Hand. Neben ihm saß der fremde Mönch, der als Lehrer in das Kloster gekommen war. Immo wollte aufspringen, aber Reinhard drängte ihn durch eine Bewegung zurück. »Sitze an meiner Seite, Immo, und öffne dein Ohr, damit eine leise Mahnung in deine Seele falle. Höre mich mit Vertrauen, wenn ich dir auch noch fremd bin, denn nicht als dein Kerkermeister, sondern wie ein Freund will ich zu dir reden und von deiner Heimat will ich dir Gutes verkünden. Frau Edith sendet dir ihren Muttersegen: Sage meinem Sohn, sprach sie, jeden Abend und jeden Morgen flehe ich zu den Heiligen, daß sie ihm das Siegestor öffnen. Schwer wird der Mutter, das Angesicht des Sohnes zu missen, auch darum hoffe ich, daß die Himmlischen das Opfer gnädig annehmen.« Immo senkte das Haupt, erweicht durch den Gedanken an die Heimat. Reinhard fuhr fort: »Schon in der nächsten Zukunft hätte sich dir die Pforte des Klosters geöffnet, damit du unter den Kindern der Welt dem Herrn dienest. Aber dein frecher Mut hat dich schuldig gemacht, schwerer Strafe bist du verfallen. Darum komme ich, um mit dir zu erwägen, wie du dich rettest.« Immo neigte sich über die Hand des Lehrers und sprach demütig: »Kannst du mir helfen, Vater, so flehe ich, verlaß mich nicht.« »Eine Rettung weiß ich,« fuhr Reinhard fort, »die seligste von allen: demütige dich selbst, Immo, vor dem Altar und trage geduldig die Folgen deiner Untat. Ein Weltgeistlicher solltest du werden, wähle das Mönchsgewand und gelobe dich dem heiligen Wigbert. Das ist die Buße, welche dir alle hohen Fürsten des Himmels geneigt macht und ebenso die Herzen der Brüder im Kloster.« Immo sprang auf, seine Hände ballten sich und zornig rief er: »Meinst du, daß ich als büßender Mönch vor dem Altar liegen und daß Tutilo die Geißel über mir schwingen soll, wie ich sie heut über ihm schwang?« »Fürchtest du die Geißel des Tutilo, dann denke lieber daran, daß du jetzt unter seiner Faust stehst und daß ihm morgen die Brüder die Rache geben werden, die er an deinem Leibe zu fordern hat.« »Nimmer schwingt er die Peitsche über mir, während ich atme,« schrie Immo. »Wenn sie mich zur Verzweiflung treiben, so sollen sie einen Verzweifelten finden. Vor dem Altar töte ich ihn und jeden, der mich anzugreifen wagt; von der Klostermauer springe ich, vom Turm stürze ich mich und Feuer lege ich in das Haus der Mönche. Wenig liegt mir an dem Leben eines Hundes und ich werfe es von mir, wie ich dieses Gewand von mir schleudere, wenn ich ein anderes auf meinem Wege finde.« »Wie ein Heilloser schreist du,« versetzte Reinhard, »Tutilo sprach nicht unrecht, als er dich mit einer wilden Katze verglich.« »Tat er das,« rief Immo, »so freut's mich, daß er die Krallen gefühlt hat.« »Dennoch rate ich dir, mein Sohn, daß du dich noch einmal an meine Seite setzest, wenn du deine Wut zu bändigen vermagst. Wehre mir nicht, dir zu raten, weil dies eine, die dir lieb ist, von mir erbat.« Immo ging langsam zu seinem Lager zurück, setzte sich zu den Füßen des Mönchs und stützte sein heißes Haupt in die Hand. »Wundere dich nicht, Immo, wenn ich dich einlade zu werden, was ich selbst bin. Denn auch ich habe mich von Vater und Mutter geschieden und ich habe die Rosse und Hufen, die mein Erbteil sein sollten, den Heiligen dargebracht, weil ich um meiner Seele Heil bebte und lieber die Gnade des Herrn wählte als die vergänglichen Freuden dieser Welt. Auch ich entsage und gehorche und wandre wie ein Fremdling durch die Welt. Ob der Frost den Leib bedrängt, der Hunger quält und Gefahren drohen, gleichgültig und verächtlich ist mir das alles in den Stunden seliger Freude. Nicht Liebe des Weibes, nicht das Lied des Sängers, welches den Helden ehrt, schaffen solches Glück wie die Heiterkeit ist, die ich im Herzen trage, wenn ich zu den Füßen des Herrn liege, dem ich mich als Knecht gelobt habe. Darum möchte ich deine Seele und die Seelen aller, welche mir vertraut werden, den Greueln der Welt entreißen und den Handgriffen des üblen Teufels.« Immo schwieg nachdenkend. »Vater,« sprach er, »beantworte mir eine Frage, die ich unwissend tue. Wenn es dir und andern frommen Männern nun gelänge, alle Christen auf deinen Weg zu leiten, und wenn alle zu Mönchen und Nonnen würden, verzeih, Vater, aber ich meine, dann wird es an Kindern fehlen.« »Ob du arglos sprichst oder ob du mich durch gewundene Rede versuchen willst, du sollst die Verkündigung hören,« versetzte Reinhard feierlich. »Käme diese selige Zeit, die, wie du selbst weißt, noch weit entfernt ist, dann wird sich der Himmel auftun und der Herr wird mit den himmlischen Heerscharen heranziehen zum Gericht; aus der alten Welt des Jammers und der Sünde wird eine neue erstehen, in welcher die Seligen im Lichtglanz dahin wandeln.« Immo sah bei dem rötlichen Schein der Lampe, wie das Auge des Mönchs leuchtete und seine Hände sich unwillkürlich zum Gebet schlossen. »Du selbst weißt, mein Vater,« begann er bittend, »daß der gute Gott den Vögeln ungleichen Gesang gegeben hat. So hat er auch den Menschen verschiedene Gaben ausgeteilt, als er in den Erdgarten kam, um die Kinder durch seine Geschenke zu ehren. Ich aber möchte den Gaben vertrauen, die ich an mir erkenne.« »Mit guten Sinnen sprichst du, Immo,« versetzte Reinhard, »und verwundert höre ich, wie klug du die Worte setzest. Auch dies ist eine Gabe, die der Herr solchen verliehen hat, die er für seinen Dienst bestimmt.« »Nicht zum erstenmal füge ich die Worte in dieser Sache,« versetzte Immo, »denn oft haben Väter des Klosters, die mir günstig waren, ähnlich zu mir gesprochen wie du. Wisse, Vater, da du so gutherzig mit mir redest, zu lange weile ich schon im Kloster und ich bin seiner herzlich müde. Wenn ich auf dem Roß sprenge, bin ich glücklicher als zu Fuß und, Vater, als ich gegen die Reiter des Grafen ritt, um den Hugbald herauszuziehen, da war mir so fröhlich zumute, wie nach deinen Worten dir bei dem Altare. Daran erkenne ich, daß ich nicht gemacht bin, Mönch zu werden.« »Und doch, Immo,« entgegnete Reinhard, »sollen alle Menschen in jenem Leben teilhaftig werden der Gemeinschaft der Heiligen.« »Und meinst du, Vater, daß man in der großen Halle des himmlischen Königs nur Ehre erlangen kann, wenn man den Freuden dieser Welt gänzlich entsagt und als Mönch oder Nonne betet?« »Wie magst du zweifeln,« entgegnete Reinhard eifrig, »da es verkündet ist. Weißt du nicht, daß geschrieben steht: wer sich erniedrigt, der soll erhöhet werden? Wer lebt demütiger als der Mönch? Schwer ist's, in den Freuden der Welt dem Herrn wohlgefällig zu bleiben, und die liebsten Genossen des Himmelsherrn werden nur die sein, welche hier entsagen und büßen.« »Wahrlich, Vater,« rief Immo, »wenn es in der Himmelsburg so ist wie du verkündest, daß die Mönche und Nonnen vor den andern an der Herrenbank sitzen, dann will ich in den Pferdestall, wo die Rosse des Engels Michael stehen und anderer schneller Boten, denn lieber will ich dort die Pferde striegeln und die Steigbügel halten, als ewig den Kopf neigen und in das Ohr wispern und nach der Miene des Präpositus und der Dekane sehen, wie hier die Mönche tun.« Dem Mönch empörte sich das Herz, aber er antwortete ruhig: »Zuchtlose Worte vernehme ich in den Mauern des Klosters; sonst hört man sie nur auf den Burgen der Gewappneten, welche eilig sind, Menschenblut zu vergießen. Deine Rede ist heillos auch für einen Weltgeistlichen, wenn du ein Kanonikus zu Erfurt wirst, wie dein Geschlecht will.« »Verleidet ist mir das weiße Gewand wie die wollene Kutte,« rief Immo, »und verhaßt auch der Sitz im Chore von Erfurt.« »Zu dem Grunde, auf welchem dein Geschlecht haust, gehört die Mühlburg. Diese Burg wollen deine Verwandten dem Erzbischof zu Mainz, der dem Stift in Erfurt gebietet, übergeben, damit du als Kanonikus ausgestattet werdest, wie Brauch ist.« Wieder fuhr Immo in die Höhe. »Um meinetwillen soll mein Geschlecht verzichten auf den festen Sitz, der unsere Ehre war. Mehrmals flüchtete der Vater, wenn der Grenzkrieg entbrannte, die Rosse und Rinder und unsere ganze Habe in den sichern Bau, und ich und meine Brüder sprangen auf den Mauern und kletterten in den Schluchten. Ein Ahn von mir hat, wie du wissen wirst, den Berg, auf dem die Wigbertleute die Wassenburg gebaut haben, dem Kloster geschenkt, jetzt soll auch die zweite Burgstätte dahinschwinden um meinetwillen! Jammervoll ist mir zu sehen, wie unser Erbe weggegeben wird, damit die Geschorenen in den Wäldern gebieten, wo sonst unser Jagdruf erklang. Wehe mir, daß ich niemanden habe, der meine Klage anhört, als einen landlosen Mönch.« »Vermagst du noch einmal den Rat des Landlosen anzuhören,« antwortete Reinhard sich erhebend, »so vernimm, was ich dir ungern sage und nur, weil es mir befohlen ward, was aber für deinen weltlichen Sinn die letzte Hilfe sein kann in der Not, welche dich bedrängt. Merke wohl, Immo, du kannst frei von hier ziehen, wohin dich dein Gelüst treibt, ein Kriegsmann magst du werden, der auf die Mühlburg sein Gemahl heimführt und unter den Edlen von Thüringen im Heergewand reitet.« »Sage mir, Vater, was soll ich tun, damit ich dies Glück erreiche?« »Gelobe, bevor du scheidest, Burg und Berg deinem Herrn Bernheri in die Hand zu geben, damit du sie als Lehn für dich und dein Geschlecht zurückerhältst. Nützen wirst du dem Kloster auch als Lehnsmann und Vogt, der für das Kloster sorgt, wie ja viele aus den edelsten Geschlechtern tun, um den Heiligen zu gefallen. Gelobst du dies, so vermag der Abt dich zu schützen gegen jeden Feind, den du hier und anderswo hast; denn auch so dienst du den Heiligen und du weißt ja selbst, es ist leichter Dienst, den sie dir auflegen.« Immo stand betroffen. Der Weg, welchen ihm der Mönch wies, bot vieles, wonach sein Herz sich sehnte, er wußte recht gut, wie stolz das Kloster auf seine Burgen war und daß er als Lehnsmann des Klosters den Wigbertleuten wertvoller wurde, wie als Mönch. Dennoch empörte sich sein stolzes Herz bei dem Gedanken, als Dienender den Schild zu tragen. Er schwieg und starrte vor sich hin. Reinhard, der den Kampf des Jünglings beobachtete, fuhr fort: »Einer deiner Ahnen starb in der Heidenzeit unter dem Schildrand für die heilige Kirche. Wie darf sein Enkel zaudern? Dienstmann der Heiligen wurde jener im Tode, du aber sollst in demselben Dienste mit Ehren leben.« Immo fuhr zusammen, denn bei der Rede des Mönchs vernahm er noch eine andere Stimme und neben dem hagern Antlitz des Lehrers sah er das rundliche Gesicht und das herzliche Lächeln des Greises Bertram und in ihm klangen die Worte, welche ihm übergeben waren: »Birg nie in fremder Hand, was du allein zu halten vermagst, wenig frommt dem Manne zu dienen, wo er gebieten könnte.« Da sprach er: »Ich höre eine Mahnung in meinem Innern, daß ich deinem Rat nicht vertrauen soll, und ich will nicht.« »Eine Waise bist du, ohne Freundschaft stehst du hier, dein eigenes Geschlecht ist deinen weltlichen Wünschen zuwider; St. Wigbert aber vermag dich zu schützen wie ein Vater und keinen erlauchteren Herrn kannst du wählen als den hohen Heiligen.« »Ich will nicht dienen,« antwortete der Jüngling; die Lippen schlossen sich fest und er sah in seinem Trotz aus wie ein älterer Mann. »Nur kurz ist die Zeit, die zum Widerstande bleibt,« mahnte Reinhard, nach dem Fenster deutend, »sieh diesen Docht, welcher verglimmt und den Morgen, welcher aufsteigt.« »Und ich will nicht und will nicht,« antwortete Immo tonlos. Reinhard wandte sich traurig ab: »Fruchtlos ist die Mühe, dir durch Worte den trotzigen Sinn zu wandeln. Dennoch bleibst du ein Kind meiner Sorgen und käme der Tag, wo du gute Meinung für dich begehrst, so wisse, Immo, daß du sie bei mir findest.« Er hob die Hand zum Segensgruß und verließ das Zimmer. Immo sah ihm nach und dachte: ob dieser so ist, wie Sintram sprach, daß er treulich für mich beten wird? und er schüttelte das Haupt. Er warf sich auf sein hartes Lager zurück, aber die Gedanken fuhren ihm stürmisch durch das Haupt und er mußte immer wieder nach dem Himmel sehen, der im Osten sich rötete. Da öffnete sich die Seitentür und Herr Bernheri selbst trat herein, hinter ihm Eggo mit einer großen Kerze in kupfernem Leuchter. Immo fuhr in die Höhe und neigte das Haupt vor dem Gebieter. Mürrisch begann der Abt: »Da seht den Nestling aus den Waldhecken; aber störrisch ist er wie ein junger Geier und Reinhard hat sich vergebens bemüht, ihm die Kappe umzulegen. Obwohl ich im voraus gesagt habe, daß von dir nicht viel Gutes zu erwarten ist. Ganz unlieb ist mir deine Widerspenstigkeit und ich täte am klügsten, dich gänzlich deinem Schicksal zu überlassen, welches wahrscheinlich jämmerlich sein wird.« Immo schwieg, aber das Herz hämmerte ihm in der Brust. Herr Bernheri ging schwerfällig auf und ab, an seinen zwinkernden Augen und der gesträubten Haarkrone konnte man erkennen, daß er sich erst vor kurzem vom Lager erhoben hatte. »Bringe mir einen Becher mit gewürztem Wein, Eggo, und stelle ihn hier auf den Tisch. Mit dir aber, du springender Scholastikus, will ich ein Ende machen auf meine Weise und es soll mich nicht kümmern, ob sie dir oder andern mißfällt.« Wieder ging er nachdenkend auf und ab. »Setze dich an das Pult, nimm die Schreibtafel und den Griffel und laß mich erkennen, ob du etwas von der Kunst der schwarzen Buchstaben gelernt hast.« Immos Hand bebte und seltsam erschien ihm in dieser Stunde die Forderung des Abtes, aber er setzte sich gehorsam und frug: »Welchen Duktus befiehlt mein Herr?« »Vermagst du,« fuhr der Abt überlegend fort, »in lesbarem Latein einen Brief zu schreiben? Verfertige zur Stelle etwas Passendes an mich, damit ich dich prüfe. Schreibe also, daß du wegen des Fastens und deiner Körperschwäche einen Trunk Wein ersehnst und mich darum anflehst.« Immo überlegte. Endlich begann er mit geröteten Wangen die Arbeit, welche einige Zeit in Anspruch nahm. Unterdes trug auch Eggo ein Schreibpult herzu und schrieb nieder, was der Abt ihm leise gebot. Es war darüber zwischen beiden ernste Beratung und Immo sorgte, daß sie gar nicht zu Ende gehen würde. Endlich wandte sich der Abt um und sah den Scholastikus, welcher mit der Tafel zur Seite stand. Der Herr streckte die Hand darnach aus und hob sich, um dem Licht näher zu sein. »Wie?« sagte er, »du hast dich sogar getraut, einen Vers einzuflechten? ~Bibere si vis vinum, scribere debes latinum~[2]. Ist auch der Vers nur rhythmice und nicht metrice gestellt, so hast du dir damit doch den Trunk verdient.« Er wies auf den Becher. »Wage ihn zu heben, damit du die Kellerluft vergessest. Und jetzt hole Atem und antworte: Würdest du imstande sein, auf Pergament an diesen Bruder Eggo aus der Ferne zu schreiben in dem gebührlichen Duktus?« »Ich getraue mir's wohl,« versetzte Immo freudig. Der Abt seufzte. »Da du so unverschämt bist, von meiner Würde zu verlangen, daß ich für dich gerade so unter die Brüder springe, wie du für mich getan hast, so habe ich mich entschlossen, dich von hier zu entsenden, bevor die Sonne aufgeht. Du sollst als mein Bote reiten. -- Was siehst du mich an, Eggo? Du meinst, ich soll ihn durch einen Eid binden? Laß die heiligen Reliquien in ihrem Schrein, ungeschoren geht er von uns, er soll auch ungeschworen seine Straße ziehen. Solange ich lebe, sah ich hohe Eide schwören und hohe Eide brechen. Ich habe erkannt, daß der ein Tor ist, welcher auf die Treue der Menschen baut. Dennoch habe auch ich jemanden gefunden, der sich mir bewährt hat im Spiel und in der Todesnot. Denn als ich jung war und einst mit meinem Jagdbogen im Waldversteck lag, wo das Wild zur Tränke läuft, da überfielen mich Nachtschächer, blutdürstige Räuber. Ich rief meinen Notschrei, aber nur einer hörte, der damals mein Geselle war, er sprang über die Felsen herzu und schlug ungerüstet wie Simson mit seiner Keule unter die Mörder. Zweien setzte ich den Fuß auf den Hals und durchstach ihnen die Gurgel. Ich trug keinen Hautritz davon, der andere aber einen schweren Hieb in die Schulter. Du selbst kannst die Narbe gesehen haben, Jüngling, wenn du an der Achsel deines Vaters standest, denn er war es, der mich damals vom Tod löste. Und an ihn habe ich gedacht, als ich dich aus dem Kerker holen ließ. -- Jetzt aber merke auf, denn ich will deinen leeren Kopf mit allerlei gewichtiger Kunde füllen. Von allen Seiten heben sich die Nacken der Großen gegen unsern König Heinrich. Klein ist die Zahl seiner Getreuen, auch im Kloster leben vielleicht solche, welche den Feinden des Königs Gutes gönnen. Vermagst du zu verstehen, was ich dir sage?« »Gewiß Herr,« versetzte Immo eifrig, »außer dem Tutilo sind die Dekane Hunico, Wolferi, Sigibold und vor andern der Pförtner Walto für den Babenberger, und die andern Alten haben nicht den Mut, diesen zu widerstehen; doch Heriger hält zu dem König und er ist meines Herrn Abtes beste Hilfe. Von den jüngeren aber sind die Thüringe und Sachsen wohl zur Hälfte dem König gutgesinnt.« Der Abt starrte den Jüngling an. »Weiß die äußere Schule so gut, was in der Klausur vorgeht?« »Auch zu uns fliegt mancherlei über den Zaun,« fuhr Immo fort, »ich merkte auch, daß vorgestern Graf Ernst, der ruhmvolle Held, heimlich in der Herberge des Klosters lag.« »Führe ihn zu den Reliquien,« rief schnell der Abt, »und binde ihn durch einen teuren Eid, daß er niemals einem andern verkünde, was er von Wigberts Geheimnissen erraten hat.« Eggo führte den Jüngling vor den Schrein und nahm ihm den Schwur ab, während Herr Bernheri noch immer erstaunt dasaß und zuweilen mit dem Kopf schüttelte. Als Immo wieder vor dem Abte stand, begann dieser prüfend: »Du also gedenkst dich an den König zu hängen.« »Meine Mutter stammt aus einem Geschlecht, welches sich der Verwandtschaft mit den Sachsenkönigen rühmt.« Der Abt lachte. »Wer König wird, dem wachsen die Vettern wie Hederich im Hafer. Dir aber bleibt ohnedies keine Wahl, seit du so ruchlos den Tutilo gebläut hast. Darum vertraue ich dir diese drei Briefe an,« er hob die Arbeit des Eggo vom Tische. »Mit dem ersten reitest du in deine Heimat, er geht an deine Mutter und spricht von deiner Entlassung wegen der wilden Kriegszeit, damit die Frau meine gute Meinung für dich erkenne.« Immo ergriff freudig den Brief. »Dafür sollst du mir in deiner Heimat dienen. Die Seelen der Brüder in Ordorf sind durch die Bosheit eines andern, der hier im Kloster weilt, vergiftet, aber der Vogt auf der Wassenburg ist mir treu. Diesem trägst du den zweiten Brief und da er als Kriegsmann des Lesens unkundig ist, wirst du allein ihm den Brief vertraulich vorlesen, damit keiner von den Brüdern die Schrift erblicke. Und was du von ihm und andern über die Rüstungen in Thüringen erfährst, das sollst du an Bruder Eggo schreiben und durch den Reisigen, welcher dich begleitet, hierher senden. Dann aber rate ich dir, daß du so bald als möglich deine Helmkappe bindest und dich allein oder mit Kriegsleuten, welche dir folgen wollen, über die Berge zum Könige durchschlägst. Du wirst Herrn Heinrich in Regensburg an der Donau finden oder doch in der Gegend. Dort gibst du den dritten Brief an seinen Kanzler Erkambald. Spähe nach den Mienen des Kanzlers und erlausche, soviel du vermagst, über den Kriegszug und die gute Meinung des Königs für mich. Was du erkundest, das schreibe wieder an Bruder Eggo. Setze keine Namen in deine Briefe, aber die Anfangsbuchstaben, damit wir erkennen, wen du meinst. Als Boten gebrauche den Spielmann Wizzelin, welchen du kennst, denn diesen habe ich geworben und in das Lager gesandt. Du selbst aber sei bemüht, dem Kanzler zu gefallen, ich habe ihm auch deinetwegen einige Worte geschrieben.« Von der Wachskerze fiel eine metallene Kugel, deren Faden durchgebrannt war, in die große Tülle; der eherne Ton klang scharf durch das Zimmer. Aus der Klosterkirche tönte der Gesang der Vigilien. Der Abt erhob sich. »Es ist Zeit, daß dein Fuß aus den geweihten Wänden gleite, sonst möchtest du sie schwerlich verlassen. Es ist auch Zeit, die unheiligen Gedanken abzutun. Ein ungewohnter Dienst ist meiner zuchtlosen Herde dieser Nachtgesang, ich meine die Angst um ihre Missetat hat sie vom Lager gescheucht. Uns allen tut Vergebung not. Auch mir, der ich erhöht bin zum Abte, gebührt jetzt, meiner Nichtigkeit zu gedenken und wie die Regel befiehlt, tief hinabzusteigen bis zu der siebenten Stufe der Demut, um mit dem bekümmerten Hiob zu sprechen: Ein Wurm bin ich und nicht ein Mensch, scheusälig den Leuten und greulich dem Volke. Ungerecht habe ich mich vor dir, o Jüngling, meiner weltlichen Geburt gerühmt und, was noch jämmerlicher ist, meiner wilden Taten im Walde. Hochmütig bin ich im Grunde meines Herzens und wer über meinen Bauch spottet, hat guten Grund, denn gar wenig lebe ich nach der Regel; oft habe ich gesündigt durch Gebratenes und Buttergebäck, vom gewürzten Wein zu geschweigen; manchmal habe ich voll mein Lager gesucht und wer mich mit einem Weinfaß vergleicht, der spricht nicht unwahr. Vielen Haß nähre ich in meiner Seele gegen manche und andere verachte ich; viel denke ich auch an meinen Schatz von Silber und edlen Steinen, an die wilden Ochsen im Walde und an die Fährten der Hirsche; ein ungetreuer Verwalter bin ich und in Furcht lebe ich vor der Strafe. Denn zu einem Eckstein war ich bestellt, aber ich bin nur gut dazu, daß die andern ihre unsauberen Sohlen auf mir abstreifen.« Er stöhnte tief und faltete die Hände, während Immo, der sich bei dem Beginn des Nachtgesanges auf die Knie niedergelassen hatte, dem Gottesdienste des Abtes verwundert zuhörte, obwohl er wußte, daß es zu den Geboten des Klosters gehörte, sich selbst zu erniedrigen. Nach vielen Seufzern erhob der Abt das Haupt, als einer, der schwerer Pflicht Genüge getan hat und begann rauh: »Was kauerst du noch, du Heupferd, um zu warten, bis dich die Schnäbel der dunklen Vögel zerhacken, die dort drüben so hastig singen, nicht gleich Heiligen des Herrn, sondern wie Stare in den Weiden des Teiches. Enthebe dich aus meinen Augen.« »Ich kann nicht gehen ohne den Segen meines Herrn; denn wie ein Vater habt ihr euch gegen mich erwiesen heut und sonst in der Schule.« Der Abt legte ihm die Hand auf das Haupt, sprach den lateinischen Segen und strich über das lockige Haar. »Sei dankbar gegen mich, soweit du vermagst, obwohl ich fürchte, daß dein Gedächtnis darin kurz sein wird. Mancher, der wie du als ein Springer aus dem Kloster in die Sünden der Welt hineinfuhr, schlich mit grauem Haar unter der schweren Bürde seiner Schuld in das Kloster zurück. Gedenke, daß am Altar eine Heimat aller ist, die müde werden unter ihrer Last.« Er zog einen ledernen Beutel aus seinem Gewande. »Nicht als ein kahler Schüler sollst du Bote reiten, denn unter Kriegsleuten ist der Geldlose verloren. Die Briefe gib nicht von dir, solange du deinen Arm heben kannst, die Feinde abzuwehren. Eine Reiterkleidung und Waffen findest du bei dem Rosse, damit nicht kundbar wird, daß du aus dem Hühnerhofe des Klosters entflogen bist.« Er reichte dem Jüngling die Hand, welche dieser mit nassen Augen küßte. Eggo winkte ungeduldig und führte ihn die Wendeltreppe hinab durch die dämmerige Halle, in welcher die Gewappneten lagen. Lautlos durchschritten sie den Hof; der Mönch öffnete eine Pforte der Mauer, wies auf den schmalen Steg, der über den Graben führte und auf einen Reiter, der jenseit des Grabens ein leeres Roß am Zügel hielt, dann grüßte er mit der Hand und schloß hinter dem Jüngling die Pforte. In großen Sätzen sprang Immo ins Freie, während aus der Klosterkirche feierlich das Ambrosianum erklang. Als Immo die Rosse erreicht hatte, warf ihm der Reiter die Zügel zu. »Hugbald!« schrie der Jüngling in freudiger Überraschung, da er das ehrliche Gesicht des Dienstmanns erkannte. »Schweig, Geselle,« murmelte der Reiter, auf die weißen Wolkenstreifen weisend, welche aus dem Nebel der Niederung wallend gegen das Kloster zogen. »Ungern hören die Wasserfrauen den Ruf der Männer, während sie in der Luft schweben. Hier draußen walten andere Geister als innerhalb der Mauern und obgleich hinter uns noch Wigberts Stimme ertönt, werden diese hier einen Dienstmann des Heiligen doch wenig ehren, wenn er ihren Zorn erregt. Harre, bis wir über die Brücken gedrungen sind und die freie Höhe erreicht haben.« Sie ritten schweigend durch den dichten Nebel die Fulda entlang. Aber Immo konnte sein pochendes Herz nicht bändigen, er drängte sein Roß an das des Alten, ergriff seine Hand und rief: »Mich freut's, daß du durch den Wechsel aus der Gefangenschaft gelöst bist.« »Wenig Ehre brachte mir der Tausch,« brummte der Alte, »gegen einen Pferdedieb ausgewechselt zu werden, ist kränkend genug, mich haben sie gar für zwei gerechnet. Doch da jetzt ein Sonnenstrahl auf uns scheint, sollst du dich in einen Kriegsmann wandeln.« Er nestelte einen Bund vom Sattel. »Wirf dir den Reitermantel um,« dann knüpfte er den Eisenhut und das Schwert los und reichte beide dem Jüngling. »Hier nimm auch den Wurfspieß, er ist von den schweren, ich weiß, daß du ihn zu werfen vermagst. Recht wohl steht dir die Stahlkappe und mich reut nicht, Immo, daß ich dich im Walde und auf der Heide meine Singweisen lehrte.« Immo umschlang vom Rosse den Lehrmeister und küßte ihm den grauen Bart: »Gesegnet seist du, daß du mich zur Reise gewappnet hast,« dann sprengte er in gestrecktem Laufe vorwärts, wirbelte den Speer, und während der Tau von seinen Locken träufelte und über die heißen Wangen lief, jauchzte er dem goldenen Licht des Tages zu. 4. In der Heimat. Am nächsten Tage ritt Immo mit Hugbald aus Gotaha, einer Burg des Klosters, der Heimat zu. Auf beiden Seiten des Weges zogen sich niedrige, langgestreckte Hügel dahin, die Rücken mit Wald bewachsen, an den Gehängen die Ährenfelder, deren Frucht sich bräunte. In den Niederungen dehnten sich zwischen sumpfigen Wiesen große Teiche, die mit Erlen und Weiden umgeben waren. Zahlreich und ansehnlich waren die Dörfer der Landschaft, jedes durch Pfahlwerk und breiten Graben oder durch das Wasser eines Sees gesichert. War ein Dorftor geschlossen, dann zogen die Reiter auf der Außenseite herum über den Anger, auf welchem das Dorfvieh weidete, fanden sie ein Tor geöffnet, so sprengten sie über die Brücke und antworteten auf die Frage des Wächters, der eilig seinen schweren Spieß aus der Ecke holte und ihnen entgegentrat. Immo fuhr dahin mit fröhlichem Herzen und unter dem Druck der Schenkel hob sich sein Roß zum Sprunge. Vor den Reitern zog sich eine Flurscheide quer über den Weg, ein breiter Graben, dahinter ein aufgeworfener Wall mit einer dichten Baumhecke, bei der Brücke ein hoher Grenzhügel, auf dem ein wettergraues Turmgerüst stand. »Sieh das alte Grenzzeichen meiner Väter,« rief Immo, »einst war das ganze Land dahinter unser Erbe, jetzt freilich gehören viele Hufen fremden Herren, dagegen liegen wieder Höfe, die uns gehören, außerhalb der Mark. Doch ehren wir das alte Malzeichen.« Er schwang sich vom Rosse, sprang auf den Hügel, riß blühendes Kraut ab und steckte es an seinen Hut. »So nehme ich Besitz von dem Lande meiner Ahnen, bezeuge mir's, liebe Sonne, daß Laub und Gras mir diene.« Am Ufer eines Gebirgsbachs ritten sie wohl eine Meile dahin, Immo wies auf das klare Wasser und auf die bunten Steine, welche den Bach von beiden Seiten umsäumten. »Jetzt rinnst du niedrig, Bach meiner Heimat, und ein Knabe vermag dich zu durchwaten, aber ich kenne die Macht deiner Strömung, denn im Frühjahr und nach dem Wettersturm brausest du wild zwischen den Hügeln dahin und oft schlug deine Flut an die Schwelle unseres Saals und wir hüpften barbeinig im Hofe durch den wilden Schwall.« Südwärts zur rechten Hand hoben sich die Hügel steiler, an ihrem Fuße breiteten sich weite Seen, die Abhänge bedeckte der Laubwald, dazwischen aber schimmerte bald rot, bald bläulich die nackte Erdmasse der Berge; auf den Gipfeln stand hier ein Wartturm, dort eine Burg und wieder eine. »Das ist der rote Bergwall, um welchen mein Geschlecht sich gelagert hat,« erklärte Immo stolz, »hoch sind die Berglehnen und steil der Weg zu den Gipfeln, manches Mal haben die Helden dort ihren Feinden widerstanden.« An einem Wege, der nach Süden führte, hielten die Reiter und nahmen Abschied, denn Hugbald sollte nach der Wassenburg vorausziehen; und sie besprachen das Wiedersehen in den nächsten Tagen. Als Immo allein war, ritt er in gestrecktem Laufe vorwärts. Vor ihm lag in der Niederung durch eine Mauer umschanzt der große Hof seiner Väter, der Bach teilte sich und umfloß den festen Sitz Ingramsleben von allen Seiten. Viele Gebäude standen innerhalb des Hofes, in der Ecke ein dicker viereckiger Turm, mit kleinen Fensterritzen, oben mit Zinnen gekrönt, durch einen Graben von dem übrigen Baue getrennt, er war die feste Burg des Hofes, in welche sich bei schnellem Überfall die Hofherren zurückziehen konnten zu ihren Kindern und Schätzen, die sie dort geborgen hatten. In der Mitte des Hofes aber erhob sich das Herrenhaus mit hohem Dach, mit einer Laube auf der Sonnenseite und einer Galerie darüber, um das Haus standen nahe der Mauer zahlreiche Ställe und Wohnungen der Dienstleute. Außerhalb des Hofes erkannte man längs dem Wasser die Dächer des kleinen Dorfes, welches dazu gehörte. Der Reiter hielt vor der Brücke an, ihm pochte das Herz, er neigte einen Augenblick das Haupt und flehte zu den Heiligen, dann setzte er mit großem Sprunge durch das offene Tor. Sein Roß stieg, er hob sich hoch im Sattel und grüßte den Hof seiner Väter. Still lag der Hof in der Ruhe der ersten Abendstunde, niemand kam, den Gast anzurufen und das Roß zu halten. Immo lenkte sein Pferd abwärts den Ställen zu. Dort kauerte auf der Dungstätte des Hofes das Federvolk in großen Schwärmen, auch der Hahn mit den Hennen saß zusammengeduckt unter dem Dach der Ställe. Nur der alte Kranich, welcher dem Geflügel zum Vogt gesetzt war, stand mitten auf dem Strohhaufen, richtete den Hals hoch auf und wandte seinen scharfen Schnabel dem fremden Reiter zu. Als aber Immo vom Pferde sprang und fröhlich den Namen des Kranichs: »Ludiger« rief, da erkannte der kluge Vogel seinen alten Herrn und vergaß gänzlich seiner Würde, er schrie und rannte mit ausgebreiteten Flügeln und aufgesperrtem Schnabel dem Sohn des Hauses entgegen, gerade als wollte er ihn umfangen und schmiegte seinen Kopf an den Leib des Mannes. Immo aber strich ihm liebkosend den roten Scheitel, bis der Vogel wieder vergnügt zu seinem Volke lief. Dort breitete er die Flügel und fing vor der ganzen Gemeinde an sich zu drehen und zu tanzen, so daß die Hühner gackerten, und das Geschlecht der Enten und Gänse sich erhob und lautes Schnattern begann, erstaunt über die Gebärden des ernsthaften Meisters. Alle Vögel schrien und hinten im Hundezwinger bellten die Bracken. Da sah die alte Dienerin Gertrud aus einer Seitentür der Halle und rief zurück: »Gutes Glück steht dem Hofe bevor, Herr Ludiger tanzt vor seinem Volke;« aber im nächsten Augenblick stieß auch sie einen Schrei aus, lief die kleine Hintertreppe hinab und umschlang mit ihren Armen den Fremdling. Aus der Umarmung der Wärterin sprang Immo in den Saal. Von der Schwelle erkannte er auf dem Herrenstuhl die Herrin des Hofes im braunen Trauergewande, das Haar mit dunklem Schleier umhüllt, das edle Antlitz wenig gewandelt in den Jahren seiner Abwesenheit, noch immer so schön und gebietend, wie er es sehnsüchtig in seiner Seele geschaut hatte. »Meine Mutter,« rief er außer sich, warf sich zu ihren Füßen, umschlang ihre Knie und weinte wie ein Kind in ihrem Schoß. Frau Edith wollte sich heftig erheben, als der fremde Mann zu ihren Füßen niederstürzte, aber gleich darauf faßte sie sein Haupt mit ihren Händen und drückte ihn fest an sich. Als der Sohn zu dem Antlitz der Mutter aufsah, hielt sie ihn an den Locken und sah ihn starr an, während ihr Gesicht sich rötete. »Ein Mann bist du geworden,« sprach sie erschrocken, aber im nächsten Augenblick warf sie die Arme wieder um ihn und küßte ihn auf die Stirne und das Haar, wie die Mutter einem kleinen Kinde tut. Schnell folgte Frage und Antwort. »Wisse, Immo,« begann die Mutter, »nicht ganz unerwartet kommst du. In der letzten Nacht hatte ich einen Traum, gleich einer Verkündigung. Auf meinem letzten Lager fand ich mich, gelähmt waren meine Glieder und vergebens mühte ich mich, die Hände zum Gebet zu falten. Da neigte dein Angesicht sich über mich, im goldenen Schmuck des Bischofs standest du vor mir, um dein Antlitz strahlte ein heller Schein und du botest mir das Heiligtum. Mich aber durchdrang ein seliger Friede, wie ich ihn nie gefühlt. Glücklich ist die Mutter, Geliebter, welcher der Sohn das Tor des Himmelssaals öffnet.« Als Immo von seiner Reise erzählt hatte, zog er den Brief des Abtes aus dem Gewande. »Lies ihn,« sagte die Mutter sich setzend, »du bist der einzige im Hause, welcher der fremden Schrift und Sprache kundig ist, darum erkläre mir den Inhalt, damit ich alles verstehe.« Mit geheimer Sorge öffnete Immo den Brief, ungern wollte er der Mutter in dem Glück des Wiedersehens Unholdes von seiner Trennung aus dem Kloster berichten. Aber das Schreiben enthielt nur einen Gruß des Abtes für Frau Edith, und daß er den Sohn aus der Schule mit seinem Segen zurücksende, damit er nach eigenem Willen für seine Zukunft sorge. »Willkommen ist mir die Antwort deines Abtes auf meine Bitte, die ich durch Vater Reinhard an ihn tat, und alles ist für dich bereitet, damit du ein Held des Himmelsherrn werden kannst. Doch heute sprich nicht zu mir von künftigen Tagen, denn sorglos möchte ich mich deiner Heimkehr freuen.« Sie zog ihn bei der Hand in den Hof und öffnete die Gittertür des Gartens, in welchem eine Anzahl Obstbäume auf dem Grasgrund stand. Dort lagerte das junge Geschlecht Irmfrieds. Auf einer Bank saß Odo, der ältere, einem gereiften Manne gleich, breitschultrig, gemessen in seinen Gebärden, das rundliche Gesicht mit den vorstehenden Augen und der bedächtigen Miene ganz ungleich dem Aussehen der andern Brüder. Diese lagen im Grase, Ortwin, der redegewandte, welcher Sprecher des Hofes war, summte ein Lied und würfelte dabei auf einem Brettlein mit sich selbst, der starke Erwin warf sitzend einen Stein, den mancher andere schwerlich gehoben hätte, unermüdlich in die Höhe und freute sich, ihn geschickt wieder zu fassen, und Adalmar und Arnfried lagen langgestreckt einander gegenüber, hielten jeder mit zurückgebogenen Armen einen Baum umklammert und stießen mit den Beinen einen runden Fichtenstamm, daß er ruhelos zwischen ihnen hin und her rollte, und sie lachten laut, wenn der ungefüge Klotz einem von ihnen so gefährlich nahte, daß es eines starken Stoßes bedurfte, ihn abzuwehren. Aber seitwärts von den Brüdern übte sich Gottfried mit Hilfe eines alten Knechts im Speerwurf gegen aufgestellte Bretter, und die Stangen, welche der Knabe warf, dröhnten kräftig von dem Holze. Die Brüder sprangen auf, als sie die Mutter erblickten, und Immo sah als stolze Jünglinge wieder, die er als Knaben verlassen hatte. Sie boten nach der Reihe dem Bruder Hand und Mund, ihr verlegener Gruß erschien ihm kalt, nur der jüngste, Gottfried, hing sich an seinen Hals und Immo lachte, als das rosige Kindergesicht zu ihm aufsah. »Alle seid ihr stattliche Helden geworden,« rief er, »aber am meisten gewachsen ist mein Kleiner.« »Im nächsten Jahr erhalte auch ich den Schwertgurt,« antwortete dieser freudig in seinen Armen. Aber die Mutter zog den Ältesten wieder zu sich: »Sieh, die Knaben und die Bäume, sie sind zusammen aufgeschossen.« »Alles, was unter deiner Hand steht, gedeiht, ich sehe, auch die Obstträger lohnen der Herrin die Mühe.« »Die frommen Väter von Ordorf brachten nicht umsonst die Pfropfreiser zu unserm wilden Holz; wundervoll gewürzig sind die Äpfel, sie trugen zum erstenmal reichlich in dem Jahre, wo du von uns schiedest, und als der Herbst kam, hatte ich das Herzeleid, daß du die guten nicht mehr schmecktest. Dafür sandte ich einen Korb an die hohe Frau Adelheid, die Kaiserin, welche damals neben unserer Mark ihren Hof hielt. Denn gütig war sie immer gesinnt und sie freute sich auch über die Früchte und schenkte mir als Gegengabe eine Büchse mit Balsam aus dem heiligen Land. Das ist in Wahrheit ein kaiserliches Geschenk, denn es heilt schnell auch tiefe Schwertwunden und es hat sich an tapferen Männern hier in der Gegend mehr als einmal bewährt.« »Zeige mir deine Kunst,« sprach Immo zu Gottfried, »die wohl in kurzem auch tiefe Wunden schlagen wird.« Der Knabe ergriff die Stangen und warf herzhaft. »Ich lobe die Treffer,« ermunterte Immo, bald ergriff er selbst die Gere und sie gellten so stark vom weitgesteckten Ziele, daß Gottfried freudig die Hände zusammenschlug und die andern Brüder Beifall riefen. »Ganz gut gefällt mir, Immo,« sprach Edith zuschauend, »daß du in der Schule auch Werke eines Kriegsmannes geübt hast. Denn reitest du einst als ein gewaltiger Herr und Bischof unter deinen Kriegern, dann mußt du auch die Helden, welche das Schildamt bei dir versehen, durch Gut und Gaben ehren; und darum ziemt dir zu verstehen, wer am besten seine Waffe gebraucht.« Immo legte die Stangen zur Seite und senkte das Haupt. An dem Gitter stand Gertrud und erinnerte an das Mahl. In der Mitte ihrer Söhne betrat Edith den Saal, in welchem die Tische gestellt waren. An der Tür standen gedrängt die Dienstleute, um den Gruß des Herrensohnes zu erwarten. Während Immo unter sie trat und mit alten Vertrauten fröhlichen Gruß wechselte, brachte der Truchseß die Speisen und Trinkkannen. Die Mutter führte den Sohn zum Ehrensitz an ihrer Seite: »Schmal war die Kost meines Lieblings im Kloster,« sagte sie lächelnd, »dafür hat er dort das Glück genossen, neben heiligen Männern zu sitzen. Und ich vertraue, auch du hast dir in deinem Dienst bereits Ehre erworben.« »Im Dienst vor den Altären gewinnt ein Schüler geringe Ehre,« versetzte Immo unzufrieden. »Zuerst sollte ich das Rauchfaß schwenken, doch den Brüdern gefiel nicht der Schwung meiner Arme. Dann war ich Türsteher und mit der Keule wachte ich an der Pforte, das unordentliche Volk abzuwehren, aber auch dieser ruhmlosen Arbeit enthoben mich die Dekane, weil einige Schreihälse aus der Menge Wehe riefen wegen eingeschlagener Zähne. Zuletzt las ich manchmal als Lektor vor den kleinen Altären.« Die Brüder lachten, aber Edith merkte in ihrer Mutterfreude den Ärger des Sohnes gar nicht und zu ihrem Sitz tretend, bat sie: »Sprich das lateinische Gebet, das sich in der Stunde ziemt, wo ein Geweihter das Haus seiner Väter betritt.« »Ich weiß nur von einem, der als verlorener Sohn nach Hause kam,« murmelte Immo, und er sprach das lateinische Vaterunser. Immo saß wieder in dem Saal seiner Väter und sah verwundert in den großen Raum. Auf dem Fußboden aus geschlagenem Lehm, welcher glatt war wie eine Tenne, standen die Tische ganz wie sonst, von dem Herrensitz sah er durch die geöffnete Tür in den wohlbekannten Hof; hinter ihm und auf den Seiten lief, durch ein geschnitztes Geländer eingefaßt, die erhöhte Bühne, von welcher zahlreiche Türen nach den Kammern und Wohnräumen des mächtigen Hauses führten. An den Wänden hingen die alten Rüstungen und Waffen, Kampfbeute früherer Helden, auf der Bühne im Hintergrund stand der Ofen und daneben der Herrenstuhl, im Winter der wärmste Platz, aber ehrenvoll auch im Sommer. Alles war wie vor Jahren. Auch wenn er seine Mutter ansah und die alten Diener des Hauses, so dünkte ihm seine Abwesenheit und das Kloster fast nur ein übler Traum. Wenn er aber die männliche Stimme der erwachsenen Brüder hörte und die kurzen Reden, die sie während ihrer eifrigen Arbeit am Tische wechselten, so kam ihm wieder vor, als sei er bei den Erdmännchen in der Höhle gewesen, viele Jahre lang, denn er merkte, daß ein neues Geschlecht in dem Saal herrschte. Nach dem Mahle trat Immo zu seinen Brüdern und suchte ein freundliches Gespräch, während Frau Edith der Dienerin Gertrud winkte und mit ihr den Saal verließ. Als Edith wieder eintrat, setzte ihr die Dienerin den Spinnrocken neben den Ofen, die Herrin saß auf dem Stuhle nieder und ergriff die Spindel. »Komm an meine Seite, Immo,« bat sie, »damit ich vertraulich mit dir rede, wie sonst. Seit du von uns gingst, hat diese Hand manches Gewebe gesponnen, auch für dich, mein Sohn; ich spann dir gute Wünsche hinein, und manchmal, wenn ich deiner dachte, lag die Spindel in meinem Schoß. Denn neben diesem Rocken stand deine Wiege, ich hob dich heraus und du griffst nach den bunten Bändern am Flachse. Und als du im Hemdchen laufen lerntest, da kauertest du auf der Fußbank und warfst deine Beinchen um die Stange. Später sprangst du übermütig um meine Arbeit, wirrtest mir den Flachs und verkehrtest mir die kreisende Spindel. Jetzt freilich hast du bei den frommen Vätern gelernt, ruhig zu sitzen. Sieh dorthin,« unterbrach sie sich selbst, »an dem Türpfosten haftet noch der Speer mit dem Zeichen deines Wachstums. Denn am Speer maß euch der Vater, jedem von euch nagelte er einen Schaft an den Pfosten und in den Schaft schnitt er jedem seine eigene Marke, mit welcher der Sohn in Zukunft sein Gerät zeichne. Und als das Friedel sein Maß erhalten sollte, da lachte der Vater, weil er am Pfosten keinen Raum mehr fand, und schlug den Speer an die zweite Tür, dort steht er allein. »Denn dem Vater war das Prüfen der Größe in jedem Jahr eine Freude, obgleich die Alten sagen, daß man die Kinder nicht messen soll, euch aber hat es nichts geschadet, denn ihr seid alle hoch emporgeschossen. Tritt an das Maß,« bat sie, und als Immo ihren Willen tat, rief sie erfreut: »Mehr als eines Kopfes Länge überragst du das letzte Zeichen und der größte bist du geblieben. So ziemt es sich auch und ich dachte das immer. Wisse, Immo, in jeder Größe vermag eine Mutter ihre Kinder zu schauen, wenn sie gerade nicht bei ihr sind. Auch dich schaute ich in meinem Sinn, ganz klein und wieder größer. Aber wunderlich war es, wenn ich allein saß, dann hielt ich dich in meinen Gedanken am liebsten als ein kleines Kind auf meinem Schoß, und ich freute mich, daß du die Arme zu mir aufhobest, obwohl du doch älter warst als meine Knaben. Vielleicht sah ich dich so, weil du als kleines Kind mir gehörtest.« Immo neigte sich zu ihr und ergriff ihre Hand. »Wende dich noch ein wenig ab, wenn ich mit dir rede,« bat Edith und eine feine Röte flog über ihre Wangen. »Denn wenn du mich heut ansiehst mit den Augen und mit dem Antlitz deines Vaters, dann weiß ich nicht, du Holder, ob ich deine Mutter bin. Kehre dich doch wieder zu mir,« rief sie wieder und warf den Arm um seinen Hals, »denn lange habe ich dich entbehrt und mir war's zuweilen, als ob ich selbst fremd im Hause sei, weil du mir immer fehltest. Sommer und Winter schwanden dahin, meine Knaben wuchsen heran, oft machten sie am Abend der Mutter die Freude, still am Herde zu sitzen, oft trieb sie auch ihr Jugendmut auf den Höfen der Nachbarn umher. Doch muß ich meine Söhne rühmen, denn gehorsam und der Mutter treu gesinnt waren meine Knaben alle.« »Auch ich bin dein Sohn,« rief Immo. »Ja du,« antwortete Edith und blickte ihn mit strahlenden Augen an. Und leise fuhr sie fort: »Anders vermag ich mit dir zu reden als mit ihnen, und als ich dich am Tisch hörte, sprachst auch du nicht wie die Knaben, denn reichlicher schweben deine Worte von der Zunge und mit fremdem Klange dringen sie in das Ohr. Doch hört es sich gut an, Immo, und es macht dich meinem Herzen vertraulich. -- Reich und froh fühle ich mich heut zum erstenmal wieder, seit mein Gemahl von uns ritt und mir ist, als könnte ich dir alles Geheime sagen, wie man es am Altare den Heiligen zuraunt, du liebes Opferkind. Denn du gehörst ja, wenn du auch unter uns weilst, mehr den Himmlischen an als wir andern.« Lange Jahre hatte Frau Edith in ihrem Witwenschleier still dahingelebt, als ernste Gebieterin hatte sie die wilden Söhne gezogen und über den Dienstleuten gewaltet, ihr eigenes Herz, wenn es heftig pochte, hatte sie fest gebändigt; jetzt brach in der Freude des Wiedersehens die Mutterliebe wie ein starker Bergquell aus der Tiefe ihrer Seele. Dem Sohn schien sie einer begeisterten Seherin gleich, noch niemals hatte er sie so gehört; er lauschte hingerissen auf den Klang ihrer bewegten Stimme und doch empfand er geheimen Schmerz bei den liebevollen Worten. Die Söhne traten nach der Reihe vor die Mutter und boten den Nachtgruß, jedem legte sie die Hand auf. Als letzter kam Immo, da stand die Mutter auf und als er sich neigte, den Segen zu empfangen, umschlang sie sein Haupt und streichelte ihm Haar und Wange, die Freudentränen in den Augen. »Führe du ihn zu seinem Lager,« gebot sie der alten Gertrud, »denn du warst vorzeiten seine Wärterin.« »Wohin leitest du mich, Mutter?« frug Immo lächelnd, »ich kenne den Bretterverschlag hinter der Halle, in dem ich sonst schlief.« »Der würde dir jetzt wenig ziemen,« versetzte die Alte, »denn Frau Edith hat dir selbst das Lager bereitet.« Sie führte durch den Hof zu einem stattlichen Bau, der wie eine große Laube aus Stein und Holz errichtet war und zwei Gemächer nebeneinander enthielt; die Wände des kleineren Raumes waren mit Teppichen bekleidet, der Boden mit grünen Binsen bestreut, auf dem Lager weiche Kissen und eine prachtvolle Decke, über welcher Greifen und andere gestickte Fabeltiere einherschritten, an der Wand hing ein großes Kreuz, davor war ein Betpult, eine große Wachskerze erhellte den Raum. Immo stand betroffen in der Tür. »Ich rieche die Kirche,« rief er, denn ein Duft von heiligem Räucherwerk erfüllte den Raum. »Der hochwürdige Herr von Magdeburg hat hier vor kurzem geruht,« antwortete Gertrud, die Knie beugend. »Im Gastgemach des Hofes stehe ich, das den vornehmen Fremden bereitet wird,« rief Immo traurig, »ich meinte in das Haus meiner Väter zu kommen.« »Du dienst ja dem Himmelsgott schon hier auf Erden,« wiederholte Gertrud die Worte der Herrin. »Unter uns andern Menschen bist du ja nichts weiter als ein Gast, du armes Kind.« Immo winkte der Dienerin die Entlassung und als sie sich mit Segenswünschen entfernt hatte, setzte er sich nieder und barg sein Gesicht in den Händen, denn die Worte der Alten schnitten ihm in das Herz; er merkte, daß sie recht hatte und daß er nur ein Gast im Vaterhause war. Als er am Morgen erwachte, hörte er draußen an der Wand das Schwalbenvolk schwatzen und singen, gerade wie in der Schule und er wartete, daß die kleine Glocke am Michael läuten werde. Draußen aber pfiff ein junger Knecht geschickt eine lustige Weise, die Immo in seiner Kinderzeit oft gehört hatte. Da erkannte Immo wieder die Heimat und er dachte vergnügt, daß der Knabe wohl einer Magd des Hofes, die ihm lieb war, seinen Morgengruß zugerufen habe, was in dem Kloster niemals geschah. Als er die Augen aufschlug, sah er, daß die Lichtöffnungen seiner Fensterläden nicht in Kreuzesform geschnitten waren wie im Kloster, sondern als runde Herzen, und ein großes Herz voll Licht lag golden auf dem Fußboden. Da lachte er und sprang auf, und während er sich anzog, nahm er sich vor geduldig zu sein und auch Schmerzliches zu ertragen, bis er das Vertrauen der Brüder gewonnen und bis er die Mutter mit seinen weltlichen Gedanken versöhnt hätte. Und er fürchtete, daß dies ein schwerer Kampf sein werde. Nach dem gemeinsamen Frühmahl schürzte Frau Edith ihr Gewand, um in der Wirtschaft nach dem Rechten zu sehen, und Immo gedachte des vertrauten Briefes, den ihm Herr Bernheri für den Dienstmann auf der Wassenburg übergeben hatte. Als er der Mutter bekannte, daß er dorthin reiten werde, sahen die Brüder einander bedeutsam an und tauschten leise Worte. Darum begann Immo freundlich zu Odo: »Überall sorgen die Leute, daß ein großer Krieg bevorsteht, sage mir, mein Bruder, seid ihr für König Heinrich oder Hezilo?« »Noch ist die Kriegsfahne nicht aufgesteckt,« versetzte Odo vorsichtig, »wir aber hören aus der Ostmark, daß die Slawenherzöge rüsten und diese sind für uns die nächste Sorge.« »Unter den Mönchen vernahm ich, daß die Böhmen sich dem Hezilo verbündet haben, sicher weißt du, ob die Grafen der thüringischen und sächsischen Mark den Böhmen widerstehen wollen.« »Wir vermuten,« antwortete Odo, »daß ihr Wille ist, ein Heer zum Schutz der Grenze zu sammeln; dann hoffe ich, werden auch wir reiten.« »Sonst zog unser Wald zu dem Banner, welches der Vogt des Königs in Erfurt aufsteckte,« warf Immo ein. »Ich aber meine,« versetzte Odo, »daß der Königsvogt sich nicht beeilen wird, seine Burg zu verlassen und nach Süden zu ziehen, wenn an der nahen Grenze der Kriegslärm erhoben wird. Bei uns denkt jeder daran, sich im Hause zu wahren, denn einer mißtraut dem andern.« Immo schwieg gekränkt, denn er sah, daß auch die Brüder ihm mißtrauten. Er rief deshalb den Knaben Gottfried und erbat von der Mutter, daß dieser mit ihm reite. Auf dem Wege erzählte ihm der Harmlose, was er bereits ahnte, daß die Mutter für König Heinrich war, die Brüder aber für den Babenberger. Und noch mehr erfuhr er. Auch seinetwegen war ein langer Kampf zwischen Mutter und Brüdern gewesen, denn die Brüder hatten sich dagegen gesträubt, dem ältesten die Mühlburg vor der Teilung zu überlassen, damit sie dem Stift des Erzbischofs zufalle, und nur widerwillig hatten sie dem Ansehen der Mutter nachgegeben. »Die Brüder hatten recht,« rief Immo dem verwunderten Gottfried zu. Auf der Wassenburg wußte der alte Dienstmann wenig vom Laufe der Welt, doch freute er sich des Briefes und besserte auf Hugbalds Rat an den Mauern. Auch in Arnstadt, der dritten Burg, welche das Kloster am Walde besetzt hielt, vermochte Immo nicht viel zu erfahren. Da ritt er nach Erfurt zu dem Vogt des Königs, der seinem Vater vertraut gewesen war; dort wurde er freundlich empfangen und vernahm vieles, was dem Abt wertvoll sein mußte. Auch das Pergament zum Briefe kaufte er in der Stadt und den Dienstmann Hugbald brachte er als Gast nach dem Hofe, nachdem er ihm einen Wink gegeben hatte, über die letzten Tage im Kloster zu schweigen. So vergingen die ersten Tage in der Heimat unter der Arbeit, die er für Herrn Bernheri übernommen hatte. Er war wenig mit den Hofgenossen zusammen, und Frau Edith erfreute sich an dem Eifer, den Immo für seinen Abt bewies. Und als sie merkte, daß er in der Kemenate über dem Pergament saß, ging sie selbst in den Hof und scheuchte die Mägde und den Kranich mit seinem Hühnervolke in die entfernteste Ecke, damit kein Geräusch die seltene Arbeit störe. 5. Die Trennung. Immo trat zu seinen Brüdern, welche gewappnet, in der Eisenhaube die Rosse sattelten. Das Herz lachte ihm, als die hochgewachsenen Knaben sich so geschwind mit den Pferden tummelten. Da sah er, daß Odo den weißen Sachsenhengst herausführte und ihm schoß das Blut nach dem Haupte, aber er bewältigte die Erregung in Mönchsweise, indem er schnell ein Vaterunser sprach; dann ging er an das Roß und sprach ihm leise zu, das Tier spitzte die Ohren und wieherte. »Einst gehörte das Pferd mir,« sagte er zu Odo, »und als ich schied, schenkte ich es unserm Bruder Gottfried.« »Das tatest du,« versetzte Odo gleichmütig, »aber da es das beste Pferd im Hofe ist und für die Zucht wertvoll, so reite ich es lieber selbst; denn der Knabe ist unvorsichtig und tummelt sich wild, wo der Hengst zu Schaden kommen könnte.« Immo schwieg, führte das Roß, welches ihm Herr Bernheri zur Reise geschenkt hatte, aus dem Stall, sattelte es neben den andern und begann: »Gefällt es euch, so reite ich mit.« Die Brüder sahen einander an, und Immo merkte, daß eine stille Abweisung in ihren Blicken lag, endlich sprach Odo zu den andern: »Da er als unser Bruder im Hofe weilt, so mögen wir es nicht wehren. Doch nicht müßig reiten wir über das Feld, Immo, und für einen Gast aus der lateinischen Schule wird es ein langer Ritt, denn wir streifen über die Fluren wegen Sicherheit der Dörfer, sowohl in unserem Erbe als auch auf dem Lande der Nachbarn nach altem Brauch.« »Ich kenne den Brauch,« versetzte Immo, »und möchte euch begleiten, wie ich zuweilen unserm Vater gefolgt bin.« Odo nickte, aber Immo fühlte, daß es keine freundliche Einwilligung war, und die jungen Adalmar und Arnfried sprachen leise zueinander und lachten. »Wie kommt es, daß Gottfried uns nicht begleitet?« frug Immo auf dem Roß. »Er trägt nicht den Schwertgurt,« versetzte Odo kurz. »Vorwärts,« und in gestrecktem Lauf sprengten die Reiter aus dem Hofe. Die Brüder sahen von der Seite prüfend auf Immos Reitkunst. »Langgefesselt sind die hessischen Pferde,« begann Erwin spottend, »übel steht ihnen die Bocknase.« »Hättet ihr dem Bruder ein Roß aus der Hofzucht geboten, wie sich gebührte, so würde das fremde Gesicht euch nicht ärgern,« versetzte Immo und sah so finster auf den Tadler, daß dieser zur Seite ausbog. »Ich habe nicht gehört, daß du uns das Begehren gestellt hast,« sagte Odo trocken. »Freundlicher Sinn wartet bei dem, was sich geziemt, nicht auf die Bitte,« entgegnete Immo. »Bei uns aber ist die Gewohnheit,« antwortete Odo, »daß der Gast am liebsten das eigene Pferd besteigt, dessen Tugenden er vertraut.« »Ich lobe den Reiter,« rief Immo mit blitzenden Augen, »dem auch auf einem mäßigen Pferde ein guter Sprung gelingt. Folgt mir, ihr Knaben.« Er hob die Hand und setzte über Graben und Hecke, die sich längs dem Wege hinzogen. Sogleich folgten die Brüder einer nach dem andern, nur Odo ritt gleichmütig auf dem Wege weiter, und als die Reiter zurücksprangen und lachend die aufgeregten Tiere zum Trabe bändigten, sagte er kühl: »Wir haben heut einen langen Ritt und ein verstauchtes Bein wird uns hindern.« Aber das schnelle Wesen Immos gefiel doch den andern, sie wandten sich seitdem vertraulicher zu ihm und hörten teilnehmend auf seinen Bericht über die Zucht der Klosterfüllen. So ritt die Schar in scharfem Trabe über die Fluren, voran Ortwin, der Sprecher, zuletzt Erwin, der Marschalk. Nahten die Reiter dem Wallgraben eines Dorfes, so blies Ortwin in ein Horn des Auerstiers, das er am Riemen trug, und sie sprengten in die Dorfgasse vor den Hof des Ortsmeisters, wo sie anhielten, bis der Mann heraustrat. Verschieden waren Gruß und Fragen, wenn er ein Freier und wenn er ein Höriger des Geschlechtes war. Auch in der Flur hemmten die Reiter den Trab, wo Arbeiter auf dem Acker schafften oder wo Hirten weideten; dann eilten auch diese heran und berichteten: ob fremdes Volk über die Flur gestrichen, ob ein Diebstahl im Felde erkannt, ob ein Raubtier in die Gehege gebrochen sei und ob ein Wanderer neue Kunde aus der Welt zugetragen habe. Verwundert starrten die Landleute auf den fremden Reiter, aber wenn sie ihn erkannten, traten sie mit lautem Zuruf heran und boten ihm treuherzig die Hand, in den Dörfern drängten sich auch die Weiber und Kinder um ihn, und Immo hatte zuweilen Mühe, sich aus dem Haufen zu lösen, wenn Odo wartend nach ihm zurücksah. Über kahle Höhen und Gestrüpp ritten sie in einen alten Buchenwald und wanden sich zwischen mächtigen Stämmen, an denen selten die Axt klang, der Höhe zu. Dort gab Ortwin das Zeichen, aus der Tiefe vor ihnen antwortete ein ähnlicher Hornruf und wildes Geheul von Hunden. Die Reiter stiegen in ein Kesseltal hinab und sahen vor sich die Hütte, welche der Sauhirt für den Sommer aus Stangenholz und Rinde zusammengeschlagen hatte, und daneben das Gehege für die Schweine. Es war ein düsterer Ort, in den Vertiefungen des aufgewühlten Bodens stand sumpfiges Wasser, um welches sich die entblößten Baumwurzeln wie dicke Schlangen dahinwanden; das Roß Immos schnaubte und scheute vor der unholden Stätte. Ein riesiger Mann in einem Rock aus Fellen, mit hohen Lederstrümpfen und Schuhen, an denen noch die Haare hingen, kniete auf dem Boden, beschäftigt, einen toten Wolf abzubalgen. Er erhob sich, scheuchte die anspringenden Hunde und begann mit finsterm Lächeln: »Den alten Grauhund traf mein Holz diesen Morgen. Wollt ihr, daß die Herde nicht zersprengt werde, so helft selbst die Wölfe schlagen, ihr Herren, denn seit vielen Jahren haben sie nicht so arg zwischen den Hügeln geheult als in diesem Sommer; ich allein mit den Knechten vermag ihrer nicht Herr zu werden. Die Nachtgänger wissen, daß die Helden in der Ebene sich zur Kampfheide rüsten und sie heulen nach ihrem Anteil an Lebendem und Totem.« »Was hast du von der Herde verloren?« frug Odo. Der Knecht wies auf eingekerbte Zeichen an den Pfosten der Hütte. »Die Waldweide wird gut,« sagte er kurz, »und ihr könnt den Schaden ertragen. Ein fremdes Roß sehe ich,« fuhr er fort, »aber darüber zwei Augen, die einst meinen Wald so gut kannten als ich.« »Sei gegrüßt, Eberhard,« rief Immo und faßte die Hand des Mannes. Eberhard musterte den Arm. »Es ist eine Herrenfaust. Kommst du festzuhalten oder wegzugeben?« »Ich gedenke zu bewahren, was mir zufällt,« versetzte Immo. Da erhellte sich das Gesicht des Mannes und er rief: »Ich dachte wohl, daß du von dem Glockenseil der Geschorenen zurückkehren würdest. Denn du gehörst zum Walde, und hier merkt der Mann andere Unsichtbare, welche ungern auf das Bimmeln der Ordorfer Glocke hören.« Er betrachtete die Brüder und fuhr dann fort: »Sechs Söhne Irmfrieds stehen vor mir und allen weide ich mit meinen Knaben ihre Herden. Dennoch will ich wissen, wem ich selbst in Zukunft angehöre und ihr sollt mir's kund tun.« Die Brüder sahen einander lächelnd an. »Du sollst es wissen nach der Teilung.« »Meint ihr den alten Knecht gleich seiner Herde durchs Los einem unter euch anzuwerfen? Anders gedenke ich meinen Herrn zu finden. Steigt ab und folgt mir, ihr Jünglinge, denn ich will euch den Willen eures Vaters verkünden.« Er führte hinter die Hütte zu dem stärksten Eichbaum, den er mit Bündeln Astholz umschichtet hatte. »Seit acht Jahren liegt das Astholz an dieser Stelle und jedes Jahr binde ich und schichte ich aufs neue, damit das Holz vor fremden Augen verberge, was mir das liebste Stück meiner Habe ist.« Als er geräumt hatte, sah man an dem Stamme eine Waldaxt, die mit starkem Schwunge eingetrieben war. »Diese Axt,« begann der Hirt, »schlug Herr Irmfried in den Baum, als er das letzte Mal zu seinen Ebern kam. Damals bot er mir eine Hand zum Abschiede, weil ich ihm ein treuer Knecht gewesen war, und die andere Hand legte er auf mein Haupt. Ich frug unter seinen Händen: Herr, wenn ihr nimmer heimkehrt, wem soll ich ferner dienen? Darauf sprach er: Deiner Herrin Edith, solange sie dir das Brot hinaussendet und dir das Lager bereiten läßt, wenn du im Winter zum Hofe kehrst. Ich antwortete: das tue ich gern. Aber sieben Frischlinge laufen auf dem Hofe, und wenn mich die wilden Gewalten des Waldes bis zu dem Tage verschonen, an welchem ihnen die Eberzähne schießen, welchem der jungen soll ich angehören? Laßt mich nur dem besten dienen.« »Wer der beste wird, weiß nur der Christengott, versetzte der Herr, nicht ich. Herr, sagte ich dagegen, der stärkste ist mir im Walde der beste. Da sprach der Herr: Wenn der Tag kommt, wo die Sieben miteinander zu deinem Baum treten, so nimm diese Axt, neu geschärft und mit neuem Stiel, und biete sie meinen Söhnen dar, damit jeder von ihnen die Axt in diesen Baum schlage, mit dem besten Schwunge, den er vermag, der jüngste zuerst, der älteste zuletzt, so wie ich sie jetzt schlage. Und siebenmal sollst du selbst die geschwungene Axt aus dem Holz reißen, dabei prüfe, welcher von meinen Knaben am schärfsten schlägt; und der dir selbst als der stärkste erscheint, dem magst du dienen. Da hob Herr Irmfried seine Axt aus dem Sattelgurt und schlug sie in den Stamm, so wie sie jetzt noch hängt.« Die Jünglinge traten neugierig an die Waffe des Vaters. Der Alte aber stellte sich abwehrend davor und fuhr mit gehobenen Armen fort: »So bezeuge der Eichbaum und bezeuge die Herrenaxt, daß Held Irmfried mir solches Versprechen getan hat. Vor meinen Zeugen frage ich euch, ihr Söhne des Toten, ob ihr den Willen eures Vaters zu ehren gedenkt oder nicht.« »Wir gedenken seines Willens,« antwortete Odo. »So helft auch mir, daß ich darnach zu tun vermag. Achtmal hat das Laub gegrünt, niemand hat die Axt gehoben; das Eisen ist verrostet, das Holz ist herumgewachsen, ich selbst hütete sorglich meine Zeugen an ihrer Stelle. Jetzt aber naht die Zeit, wo ihr Sieben zu euren Tagen kommt und im Schwertgurt das Erbe eures Vaters teilen werdet. Für diesen Tag muß ich den Stiel schnitzen und das Eisen schärfen und darum will ich, daß heut einer von euch die Herrenaxt heraushebe und mir in die Hand lege, damit ich mein Recht gewinnen kann.« Da rief der junge Adalmar nach dem Axtstiel greifend: »Gefällt es euch, Brüder, so schärfe der Knecht zur Stelle die Schneide und heut schon prüfen wir die Kraft, damit er seinen Willen habe.« »Mir aber gefällt es nicht, daß ihr leichtherzig an dem Stiele zerrt,« versetzte der Sauhirt finster. »Nicht alle seid ihr versammelt, der jüngste ist noch ein Kindlein und ganz richtig begehre ich die Herrenwahl, wie euer Vater gebot. Heut will ich selbst einen von euch rufen, der zuerst nach seinem Vater den Stiel erfassen soll.« Odo antwortete: »Wenn dein Ruf nur ein Spiel sein soll, das dir gefällt, so spreche ich nicht dawider.« Da sprach der Hirt: »Ich aber wähle die Hand, die von Wolfsblut rot ist. Denn du, Immo, warst der einzige, der dem alten Knechte die Hand gereicht hat, wie dein Vater tat. Tritt an den Stamm und zucke dreimal, dann weiche zurück.« Immo trat herzu und rückte gewaltig am Holzgriff. Beim dritten Zuge brach der Stiel, Immo aber riß das Eisen aus dem Baume, daß es auf den Grund fiel. Da hob der Alte das Eisen auf und betrachtete es kopfschüttelnd: »Eine Vorbedeutung erkenne ich für dich selbst, Immo; fest ist dein Griff, mit dem du die Herrschaft erwirbst, doch hüte dich, daß sie dir nicht bei hastiger Tat entgleite. Ich aber bewahre die Axt bis zu dem Tage, an dem sich der Knecht seinen Herrn sucht.« Der Alte kehrte zu dem Wolfsbalg zurück, die Brüder schwangen sich auf die Rosse. Aus der Markung ihrer eigenen Dörfer führte Ortwin die Schar auf fremden Grund. Wenige Wegstunden nordwärts umgab der Nessebach mit Teichen und sumpfigem Moor wie ein großer Wallgraben andere Höhen, an welchen fruchtbares Ackerland unter lichtem Laubwald lag. Auch dort waren alte Wohnstätten der Thüringe, während hinter ihnen im Norden viele angesiedelte Franken saßen, welchen der Graf von Tonna gebot; die Bauern vom Moor der Nesse aber hielten sich gern zu ihren Landgenossen am Walde. Sie waren stolz auf ihre Freiheit und wurden von den Dienstmannen des Grafen als altväterisch in Bräuchen und Bewaffnung verspottet. Denn sie zogen ungern zu Rosse ins Feld, auch wenn sie es vermochten. Aber sie waren auch als trotzige Gesellen in der ganzen Gegend gefürchtet und man wußte, daß sie in Kriegsfahrten starke Fäuste bewährt hatten. Seit alter Zeit bestand zwischen ihnen und dem Geschlecht des Irmfried, welches um die roten Berge wohnte, ein gutes Vernehmen. Niemand wußte zu sagen, woher das Bündnis kam, es war seit je gewesen und die Weisen sagten, daß es schon lange bestanden hatte, bevor die Ungarn ins Land brachen. Und es war ein alter Brauch, daß das Geschlecht Irmfrieds bei allen Fehden, welche die Dörfer mit den Nachbarn hatten und auch bei Missetaten, über welche das Geschrei erhoben wurde, im Eisenhemd herzuritt und mit den Freien dort gemeinsam die Abwehr und Rache betrieb; dafür zog auch die Jugend der Dörfer dem Geschlecht mit Speer und Bogen zu Hilfe, wenn dieses mit andern verfeindet war. Diese gute Nachbarschaft war den Grafen und den geistlichen Herren unlieb. Denn die Landleute wehrten sich trotziger gegen jede neue Last, welche die Grafen auflegen wollten, und man sagte ihnen nach, daß sie auch heimlich abseits von dem Grafenstuhl untereinander Urteil fänden gegen ihresgleichen in schweren Fällen. Als die Reiter dem ersten Dorfe nahten, erhob Ortwin den Horngesang und sie fanden an Tor und Brücke die Alten des Dorfes aufgestellt. Odo ritt vor und wechselte mit ihnen alte Sprüche, welche den Freien am Walde eigen waren und anderen ungebräuchlich. »Im Sonnenschein, beim Wandel des Mondes, unter glitzerndem und fallendem Stern kommen wir zu euch wegen Recht und Rache.« Worauf die Bauern antworteten: »So grüße euch die Sonne, der Mond und der lichte Morgenstern, seid willkommen in unserer Burg.« Und als die Reiter abgestiegen waren, wurde ihnen ein Trunk gereicht und den Rossen Hafer in kleinen Krippen, dabei sagte ein alter Bauer: »Freiwillig reitet ihr und freiwillig schütten wir den Hafer,« worauf Odo antwortete: »Und wenn wir nicht ritten, dann würdet ihr reiten und wir würden euch den Hafer schütten.« Darauf besprach sich Odo heimlich mit den Alten und die Schar brach zum nächsten Dorfe auf. Als sie aus einem Gehölz herab kamen, um den Bach zu durchreiten, sahen sie vor sich eine hohe Rauchwolke aus niedergebranntem Hause aufsteigen. Ortwin hielt und rückwärts gewandt sah er seinen Bruder Odo bedeutungsvoll an, dieser nickte und die andern Brüder tauschten leise Worte. Als sie nun weiter hinunterkamen zum Rand des Baches, fanden sie die Furt durch einen Wagen gesperrt, Hausrat, Leinwand und Kleider lagen unordentlich und halbverbrannt darauf. Ein bleiches, vergrämtes Weib hockte auf dem Sitz und hielt ein schreiendes Kind in den Armen, während der Mann mit verstörtem Gesicht und geschwärzten Händen vergebens auf sein Pferd schlug, damit das kraftlose Tier aus dem strudelnden Wasser die Höhe gewinne. Der Mann grüßte die Reiter mit scheuem Blick, aber gleich darauf rief er kläglich um Hilfe. Doch Odo wandte das Pferd ab und die Brüder sprengten aufwärts zu einer andern Stelle des Baches, ohne den Gruß des Mannes zu erwidern und seine Not zu beachten. Immo, der im Kloster gewöhnt war, den Armen und Notleidenden Mitleid zu erweisen, sprach den Brüdern zu: »Schmählich ist es, wegzureiten, während der Arme mit Weib und Kind im Wasser ringt.« Odo rief herrisch zurück: »Soll ich dir Gutes raten, so folge uns, ohne diesen anzureden.« »Pfui über euch,« rief Immo wieder, »daß ihr ein Weib und Kind in der Angst zurücklaßt.« Er sprang ab, band sein Pferd an einen Baum und watete in das tiefe Wasser. »Treibe noch einmal,« riet er dem Manne und griff selbst mit voller Kraft in die Räder, die Peitsche knallte, der Mann schrie und mit Hilfe des Starken gelang es, den Karren aus dem Bach heraufzuführen. »Wer bist du?« frug Immo, »und warum entfährst du hilflos der Feuerstätte?« »Hunold bin ich genannt, wir gehören dem großen Bischof zu Erfurt. Sein Vogt hat mich auf neuer Rodung angesiedelt, im Frühjahr haben seine Leute mir geholfen, die Hütte zu bauen. In dieser Nacht wurde sie mir niedergesengt und als der Hund in der Stube bellte und ich erwachte, war die Tür von außen verschlagen. Mit der Axt mußte ich sie unter loderndem Feuer aufbrechen, um diese zu retten. Einsam blieb ich während des Mordbrandes, kein Notschrei führte mir einen Helfer zu.« »Und wo willst du hin, Unglücklicher?« »Hinweg von hier, die Flur ist unheimlich für Fremde; den Herrn Vogt will ich anflehen, daß er mich ansiedle, wo es auch sei, nur weit von hier. Beschwerlich ist ein Lager unter den Disteln.« Das Weib heulte und das Kind schrie, Immo griff in den Beutel, den ihm der Abt geschenkt hatte und legte der Frau eine Handvoll runden Silberblechs in den Schoß. »Aus dem Kloster seid ihr blanken, und in Klosterweise streue ich euch aus,« sagte er gutherzig. Er schüttelte sich das Wasser aus dem triefenden Gewande, sprang in den Sattel und ritt den Brüdern in gestrecktem Laufe nach. Als er ihre Schar erreichte, warfen die andern finstere Blicke auf ihn und wandten die Gesichter ab. »Seit wann beschützen die Söhne Irmfrieds den nächtlichen Mordbrand?« frug Immo zu Odo reitend verächtlich. »Nicht wir haben das Feuer entzündet,« versetzte Odo. »Kränkt dich, daß wir von einem Vogelfreien abwärts ritten, so kränkt uns deine hilfreiche Hand.« »Galt euch der Mann als vogelfrei, so lobe ich den Brauch nicht, ihm Weib und Kind zu sengen.« »Führt der Hahn sein Volk in die Burg des Fuchses, so büßt es Henne und Huhn. Ich riet dir nicht, unserm Ritt zu folgen.« »Unwillkommen ist der Mahner,« rief Ortwin, »der unsere Bräuche nicht kennt.« Und Erwin: »Dünkst du dich klüger als deine Landsleute, so wärst du besser bei den Mönchen geblieben.« »Kommst du uns Mönchslehre zu geben,« spottete Adalmar, »so wirst du hier eine demütige Gemeinde nicht finden.« »Wie die Eule schreist du deinen Warnungsruf und dein Gesang klingt widerwärtig im Lande,« höhnte auch der junge Arnfried. »Daß ich der älteste unter euch bin,« versetzte Immo sich hoch im Sattel aufrichtend, »das will ich euch, ihr zuchtlosen Knaben, bewähren durch meine Lehre, die ihr mit Achtung hören mögt, und durch die Faust, mit der ich die Ungehorsamen strafe.« Sein Roß setzte im Sprunge zwischen die Schreier und so gebieterisch war seine Haltung, daß die Jüngeren verstummten. »Du irrst, Immo,« begann Odo, »nicht du bist der erste im Hofe und auf unserer Flur, und nicht dir kommt es zu, die Knaben zu ziehen, sondern mir. Denn ich bin, da der Oheim uns verfeindet ist, der älteste des Geschlechts, welcher ein Schwert trägt und auf Heldenwerk denkt, du aber wirst ein betender Pfaffe.« »Ob ich dereinst ein geistliches Gewand tragen werde oder nicht, jetzt führe ich mein Schwert wie ihr, und die Ehre des Ältesten fordere ich als mein Recht, das nicht du und kein anderer mir nehmen soll.« »Nicht die Jahre allein zählen wir, auch die Taten des Mannes,« antwortete Odo. »Während du auf der Schülerbank saßest, zog ich mit deinen Brüdern zum Kampf. Viermal hielt ich die Schildfessel im Grenzkriege gegen die Slawen, auch deine jüngeren Brüder sind mehr als einmal auf die Kampfheide geritten. Wo sind die Heldentaten, deren du dich rühmen kannst?« »Ihr sahet zu, wenn Häuser brannten und Weiber in der Not ihre Arme hoben. Wenig vermag ich eure Kriegstaten zu loben,« rief Immo. »Fahret dahin auf eurem Wege, ich finde den meinen allein.« Er wendete zornig sein Roß und ritt seitwärts über die Flur. Als Immo in beschwertem Mute dahin fuhr, hörte er aus der Ferne kunstvollen Peitschenknall, einen Gruß, den er wohl kannte. Er sprengte über das Brachfeld zu dem Acker, den Brunico, der Bruder des Mönches Rigbert, mit den Ochsen des Vaters pflügte. Der junge Landmann hielt an, Immo streckte schon von weitem die Hand aus, den Jugendgespielen zu begrüßen. »Denkst du der Reden,« sprach Immo, »die wir einst in unserm Hofe tauschten; daß wir miteinander im Eisenhemd reiten wollten?« Brunico nickte. »Langsam wandeln die Ochsen und langweilig dünkt mich die Schollen zu treten.« »Ich komme dich mahnen, ob du mit mir zum Heere des Königs ziehen willst als mein vertrauter Mann, der sich mir für die Schwertreise gelobt.« Die Augen Brunicos glänzten. »Wenn der König und der Markgraf nur noch ein Jahr warten wollten, bevor sie aufeinander losschlagen, so wäre das besser wegen des Hengstes, auf dem ich dich begleiten will. Denn das Roß ist noch jung für die Kriegsfahrt. Ich selber bin meines Vaters Sohn und sitze an seiner Bank. Und wenn ich auch etwas tun will, so bin ich doch der Worte nicht mächtig, um den Alten zu bereden; das mußt du wagen. Und dann gibt es noch jemanden, den ich gern darum früge.« »Ist die Jungfrau aus eurem Dorfe?« frug Immo lächelnd. Brunico schüttelte das Haupt und wies nach Osten. »Weiter aufwärts am Bach. In der nächsten Nacht hole ich dort Bescheid.« Als Immo die Schar der Brüder aus dem Dorfe reiten sah, lenkte er sein Pferd dem Hofe des Baldhard zu. Der Bauer stand in seinem Hoftor. »Sei gegrüßt, Immo,« rief er ihm zu, »einem Helden gleichst du auf deinem Rosse, reite ein, damit du der Mutter von ihrem Kinde erzählen kannst.« Immo saß zwischen den beiden Alten und vertraulicher als gegen sein eigenes Geschlecht sprach er zu ihnen vom Kloster und von der treuen Gesinnung des Rigbert. Frau Sunihild trug auf, was sie vermochte, um den Gast zu ehren und pries ihn glücklich, daß er den Heiligen dienen sollte; doch in der Miene des Hausherrn erkannte Immo trotz der gutherzigen Weise eine Unzufriedenheit. »Manches Mal hast du mir Gutes geraten, Vater,« begann Immo, »auch heute begehre ich etwas von dir, was meiner Zukunft nützen soll.« »Willst du Geheimes von mir hören,« versetzte der Alte, »so tritt hinaus ins Freie, denn der Wind, der über das Halmfeld weht, verträgt geheime Worte besser als die hallende Hauswand.« Baldhard führte seinen Gast aus der Niederung nach der alten Grenzeiche, die auf freier Höhe weit im Lande sichtbar stand. »Du kennst die Sage,« begann der Alte, »welche verkündet, daß um diese Eiche vorzeiten ein Lindwurm gehaust hat, welcher Feuer in die Höfe trug und sich die Menschen zum Fraß raubte, bis einmal ein starker Held mit seinem kleinen Sohn des Weges kam. Dieser setzte seinen Sohn auf einen Stein, und als der Arge herankam, das Kind zu holen, erlegte der Held den Wurm, aber ihn selbst verbrannte die flammende Lohe, welche aus dem Rachen des Untiers kam. Ein Weib aus unserm Dorfe drang mutig zu der Stätte, sie fand den Helden tot, den Knaben unversehrt unter brennendem Holz und versengtem Gras. Unsere Väter meinen, der Knabe sei von deinem Geschlecht gewesen und das Weib, welches ihn bewahrte und erzog, von meinem. Darum ist dies die Stelle, wo ich mit dir am liebsten vertraulich reden will.« Er trat unter die Eiche, wies nordwärts über die große Flur seines Dorfes und die benachbarten Markungen und begann: »So weit du hier das Land siehst, war einst alles freies Erbe handfester Männer, siehe zu, was die Kirche und die Grafen daraus gemacht haben. In allen Dörfern liegen jetzt die Hufen unter verschiedenem Recht. Viele gehören den Mönchen deines Klosters, andere den Mönchen von Fulda, noch mehrere dem Erzbischof von Mainz, und was am leidigsten ist, viele auch den gräflichen Dienstmannen. Diese sitzen unter uns und sperren, wenn sie es vermögen, ihre Höfe mit einem Graben gegen das Dorf, obgleich sie vielleicht als unfreie Leute unter der Faust der Grafen stehen. Völlig zerrissen ist die Gemeinschaft der Dorfgenossen, schon sind an vielen Stätten unseres Stammes die Freien in der Minderzahl, alljährlich verschlingen die Kirche oder fremde Gebieter mehr von unsern Hufen und Behausungen. Wie sollen die Landleute noch zusammen halten, wenn sie von allerlei Herren Befehle empfangen und um die Gunst Verschiedener zu sorgen haben. Keine Dorflinde kenne ich, unter welcher der Friede bewahrt wird, bei jeder Fehde der Großen streiten die Genossen desselben Dorfes gegeneinander und über jede Flur reiten fremde Herrenrosse. Wer aber mächtig ist, ob er die Kutte trägt oder den Schwertgurt, der weiß sich auszubreiten, wenn er sich einmal in einer Flur eingenistet hat. In unserem Dorf mißlang es den Fremden bisher noch, in den Bund der Freien einzudringen. Denn wenn die Grafen wider das Recht im Gemeindeholz gerodet hatten, um ihre Leibeigenen anzusiedeln, so weigerten unsere Knaben den Unfreien Gruß und Verkehr auf dem Anger und verbrannten bei Nacht die neuen Hütten.« Er sah mit einem wilden Blick nach der Seite, von welcher die Rauchsäule aufstieg. »Ich selbst habe einen Sohn auf den Altar gelegt, weil die Mutter das weinend von mir erbat, und ich hoffe, die Gabe wird den Heiligen willkommen sein. Auch bin ich nicht säumig, dem Kloster Spenden zu geben, und mehr als ein Füllen und manches junge Rind habe ich nach Ordorf geführt. Aber das Land, auf dem wir im Herrenschuh schreiten, wollen wir, soweit es uns noch geblieben ist, vor den begehrlichen Mönchen bewahren, obgleich sie uns viel Günstiges in der großen Wolkenburg verheißen. Darum vernahmen wir Landleute mit Trauer, daß dein Geschlecht um deinetwillen eine gute Burg der Kirche übergeben will. Denn wir gedenken wohl, daß die roten Berge zur Zeit unserer Väter der ganzen Landschaft vor den wilden Ungarn Zuflucht gewährt haben. Damals lagen die Weiber und Kinder und das Herdenvieh unserer Dörfer in eurem Bergwall und die Männer verschanzten die Talwege und die Höhen mit Verhau und Wasser und wehrten den Einbruch der grausamen Heiden siegreich ab. Damals öffnete dein Geschlecht uns die rettende Burg und seine Helden geboten im Kampfe. Jetzt aber sollen die Pfaffen dort herrschen und niemand weiß, wem sie bei einer Fehde anhängen werden.« Immo ergriff die Hand des Bauern. »Vater, so wie du, denke auch ich. Wenn ich es zu hindern vermag, soll kein Geschorener auf der Mühlburg gebieten, nicht der Erzbischof und nicht ein anderer.« »Du selbst aber bist der Kirche verlobt?« frug Baldhard erstaunt. »Als Kriegsmann will ich zu König Heinrich reiten, wie sehr auch meine Mutter traure, und grade deshalb komme ich zu dir.« »Wahrlich,« rief der Bauer, dem Jüngling kräftig die Hand drückend, »jetzt gefällst du mir ganz und gar, Immo, und ich hoffe auch, obwohl du jung bist, daß du diesen Sinn bewahrst und in deinem Leben allem Herrendienst widerstehst.« »Gefällt dir was ich will, mein Vater,« fuhr Immo fort, »so hilf mir auch, daß ich's ausführe. Denn nicht als Einzelner möchte ich dem König zuziehen, sondern mit der Jugend unserer Dörfer. Auch deinen Sohn Brunico, der einst mein Gespiele war, erbitte ich von dir für die erste Schwertreise.« Baldhards Gesicht zog sich ernst zusammen und er überlegte lange, bevor er entgegnete: »Willst du mit einem Gefolge, wie dir geziemt, zum Heer des Königs reisen, so siehe zu, ob dir manche unserer jungen Männer mit freiem Willen folgen, ich wehre dir's nicht und ich spreche nicht dagegen. Doch einen Heerdienst über das harte Maß, welches uns ohnedies aufgelegt ist, vermag ich auch nicht zu loben.« »Vielleicht gefällt dir der Zug besser, mein Vater,« beredete Immo, »wenn du selbst an das denkst, was wir an deinem Herde über den bösen Willen der thüringischen Grafen sprachen. Denn ist der König in Bedrängnis durch die Untreue der Großen, so wird er es rühmen, wenn die freien Waldleute ihm jetzt ihre Treue beweisen und darum mag der Zug euch in Zukunft frommen gegen die Grafen.« »Verständig sprichst du, um mich zu überreden,« versetzte der Alte, »aber wer mehr tut als ihm obliegt, der wagt vielleicht auch mehr als ihm recht ist. Wenn der König seinen Feinden unterliegt, dann würden wir's büßen, daß wir mehr Eifer gezeigt haben, als uns geboten war. Darum dürfen unsere Knaben nur als Freigänger der Donau zuziehen, auf ihre eigene Gefahr und ohne Ladung der Gemeinde. Nützt uns ihr Zug beim Könige, so haben wir den Vorteil, im andern Falle tragen sie den Schaden. Ich sehe auch ungern, daß du meinen jüngsten Knaben zu deinem Roßdienst werben willst und ich würde dir ihn am liebsten versagen. Aber ich gedenke, daß es mir nützen kann, wenn mein Geschlecht sich dem deinen wert erhält. Auch der Kriegskunst des Knaben kann es frommen, daß er einmal an deiner Seite sich im Schwertdienst übt. Dennoch fürchte ich für ihn die Verführung. Denn wenn er mit dir unter dem Rittervolk dahinfährt, werden ihm die roten Strümpfe der fränkischen Dienstmannen und ihr weißer Schwertgurt vielleicht gefallen und er wird fortan lieber den Speer halten als den Pflugsterz. Ich aber kann nicht ertragen, daß der ehrliche Bau in unserer Flur ihm verleidet wird. Darum gelobe mir, daß du meinen Knaben nur auf Jahr und Tag an dich bindest und daß du ihm, soweit du vermagst, sein Heimatsdorf lieb erhältst und auch die Peitsche, mit welcher er einst auf seinem freien Erbe über Rinder und Rosse gebieten soll.« Das gelobte Immo und in gutem Einvernehmen verhandelten beide über die Fahrt zum König. Als Letzter kehrte Immo am Abend in den Saal zurück, die Brüder saßen zusammen an der Bank, beachteten seinen Eintritt wenig und sprachen leise miteinander. Immo sah finster über sie weg, begrüßte die Mutter, welche auf ihrem Stuhl seine Ankunft erwartet hatte, und setzte sich abseits. Ihm gegenüber hingen an der Wand die Rüstungen, welche sein Vater als Siegeszeichen aus dem Kriege heimgebracht hatte, daneben auch Slawenschwerter und Streitkeulen, die er noch nicht kannte. Er wußte, es waren Beutestücke seiner jüngeren Brüder. Da wurde ihm der Sinn noch mehr beschwert; er trat an eine Rüstung seiner Ahnen, hob das Schwert vom Pflock, trug es zu seinem Sitz, zog es aus der Scheide, prüfte seine Schärfe und legte es neben sich. Odo stand schweigend auf, nahm die Waffe weg und schritt zu dem Nagel, um sie aufzuhängen. Da fuhr Immo empor, riß dem Bruder das Schwert aus der Hand und rief: »Unheil bringe dir der Griff nach meiner Waffe, denn dies Erbstück des Geschlechtes fällt nach dem Brauch dem Ältesten zu.« »Vielleicht dem ältesten Kriegsmann,« versetzte Odo, »der aber bist du nicht. Besseres hat das gute Eisen verdient als an der Seite eines Pfaffen zu hängen, der das Schwert nur trägt, wenn es seines geschorenen Haares vergißt.« »Versuche es zu nehmen,« rief Immo, »so sollst du selbst erfahren, ob meine Hand es zu schwingen vermag.« Gertrud, die zu den Füßen der Herrin saß, tat einen gellenden Schrei. Edith erhob sich aus ihren Gedanken und als sie die Brüder kampflustig gegeneinander sah, wurde ihr Antlitz totenbleich und sie stürzte zwischen die Hadernden: »Gib mir die Waffe, Immo,« rief sie und faßte die Scheide, »Unheil hängt an dem Eisen.« Sie löste die Waffe aus der Hand des Sohnes. »Wisset, ihr Zornigen, euer Vater selbst mied das Schwert, denn er trug es an einem Tage, der ihn oft gereut hat. Und als ein Unglückszeichen hängt es seitdem ungebraucht an der Wand. Harret der Zeit, wo das Los geworfen wird über diese und andere Habe, ich meine, keiner von euch wird dann noch lüstern sein, die Waffe an sich zu reißen.« Sie hing das Schwert an den Pflock und trat zu ihrem Sitz zurück, während die Söhne voneinander abgewandt gegen ihren Unwillen rangen. Die Mutter, in deren Antlitz noch der Schrecken zuckte, gebot von der Höhe: »Töricht war euer Streit. Den Frieden des Hauses habt ihr gebrochen, gleich unbändigen Knaben widerstrebt ihr einander. Reichet euch die Hand zur Versöhnung, damit auch ich euren Frevel vergesse.« Und da die Söhne unbeweglich standen, rief sie mit flammenden Augen: »Du zuerst, Immo, ich befehle es.« Widerwillig streckte Immo die Hand aus, die Odo ebenso ergriff. Ein langes unbehagliches Schweigen folgte, endlich begann Edith: »Sage mir, Immo, wie kommt es doch, daß du zu deiner Mutter so gar nicht von dem Kloster sprichst und von deiner Lehrzeit.« »Du selbst weißt, Mutter, daß es nicht ziemet, die Geheimnisse des Klosters kund zu tun.« »Ist denn alles geheim, was ein Schüler dort erfährt?« frug die Mutter. »Ich meine, nur die Mönche sind gebunden.« »Auch mich bindet ein Gelöbnis, das ich vor Herrn Bernheri getan,« versetzte Immo. »Dann lobe ich dein Schweigen,« fuhr Edith fort, »doch laß die Mutter noch eine Frage tun, wie kommt es doch, daß du die frommen Väter zu Ordorf nicht begrüßt hast, da du doch sonst jeden Tag durch die Flur reitest? Mancher von ihnen kennt dich aus dem Kloster und von früher her, und mehr als einer will dir wohl. Und daß ich dir alles sage, der Magister war heut in unserm Hofe, deinetwegen kam er hierher und er klagte, daß die Väter und die Scholastiker in seiner Zelle sich beschwert fühlen, weil du dich von ihnen fern hältst, obgleich du doch auf der Wassenburg mit den Dienstmannen verkehrt hast.« »Gute Kundschaft haben die Mönche,« entgegnete Immo bitter, »und neugierig schleichen sie hin und her.« »Du hast unrecht,« versetzte Edith, »guten Leumund haben sie im Lande.« Da Immo schwieg, fuhr sie fort: »Der Magister klagte, daß ein Bruder, der von dem großen Mann Tutilo gesandt ist, schwere Kunde aus dem Kloster gebracht habe. Von hartem Zwist der Mönche sprach er und daß viele aus dem Kloster scheiden wollten. Auch dem Boten des Tutilo lag es sehr am Herzen, daß du in die Zelle nach Ordorf kämest.« »Wenn ein Bote Tutilos mich ladet,« rief Immo, »so wird er vergeblich harren. Er mag seine Botschaft, wenn er es wagt, hierher zu meinem Ohr tragen.« Immo schritt aus der Halle in Mißbehagen und Sorge. Er gedachte einer guten Lehre des Bertram, die er nicht befolgt hatte. Weil er der Mutter und den Brüdern am ersten Tag seinen Willen verborgen hatte, fand er sich in Widerwärtigkeiten verstrickt. Auf den Beifall der Brüder durfte er nicht mehr hoffen und das Herzeleid der Mutter ängstigte ihn jetzt viel mehr als auf der Reise. Dennoch erkannte er, daß er seinen kriegerischen Sinn nicht länger bergen durfte, und er beschloß, am nächsten Tage sich zuerst den Brüdern mit versöhnlichem Gemüt zu eröffnen und darauf der lieben Mutter. Als er aber nach wortkargem Abend in seinem Schlafgemach wieder den Weihrauch roch und die Kerze und die gestickte Herrendecke sah, da bedrängte ihn die Ehre schwer, und auch am andern Morgen machten ihm die zwitschernden Vögel und der pfeifende Knabe das gepreßte Herz nicht leichter. * * * * * Auf einem Vorsprunge des Mühlbergs waren die streitbaren Söhne Irmfrieds versammelt, dazu die Dienstmannen, welche die Burg und die Warttürme der nächsten Höhen besetzt hielten. Hinter den Männern erhob sich die starke Burgmauer, welche die beiden Türme und das hohe Dach eines Herrensaals umschloß, seitwärts ragten die Gipfel und Bergleiten des langgezogenen Ringwalls. Grade unter dem Vorsprung war der Ring gegen das Tal geöffnet, gegenüber dem Mühlberg stand ein hoher Vorberg, gekrönt mit festem Turme, die beiden Höhen beschützten gleich Schanzen den Zugang. Durch die Talöffnung dazwischen warf die Abendsonne ihr Licht in die umschlossene Tiefe, auf Ackerstücke und Wiesen, und auf den großen mit hohem Rohr bewachsenen Teich, über welchem dichte Schwärme von Staren und Wasservögeln auf- und niederflogen in unaufhörlichem Schwatzen und Zanken. Hoch aber über ihnen zogen zwei Bergadler ihre Kreise, bis sie in die Wolken der flatternden Vögel hinabstießen, ihre Beute zu holen, dann schrie und rauschte der ungeheure Schwarm und stob in wildem Getümmel auseinander. Immo stand seinen Brüdern gegenüber. Er sagte ihnen, daß er für die Tage seiner Zukunft den Schwertgurt gewählt habe statt der Stola, und er bat sie mit herzlichen Worten, ihn als Bruder in ihre Genossenschaft zu nehmen und ihm als sein Recht die Ehren des Ältesten zu gewähren und seinen Anteil am Erbe. Er gestand ihnen auch, daß er dem König zuziehen wolle, und daß seine Ehre nicht gestatte, als Landloser unter den andern Edlen zu reiten. Als er seinen Willen verkündete, ein Kriegsmann zu werden, riefen ihm die Dienstmannen Heil und schlugen ihre Waffen zusammen, die Brüder aber standen mit umwölkter Stirn und waren nicht willig ihm nachzugeben. Endlich begann Odo: »Hat sich dein Sinn so gewandelt, daß du gegen den Willen der Eltern ein Kriegsmann werden willst, so siehe zu, wie du dich vor unserer Mutter entschuldigst. Darüber mit dir zu rechten, steht uns Brüdern nicht zu. Die Teilung des Vatererbes aber vollbringen wir erst in Jahr und Tag, wenn das Kind Gottfried sein Schwert trägt und bei der Teilung als Jüngster sein Recht ausüben darf, vorweg zu wählen. Denn so ist es beschlossen und wir alle haben uns seither in der Gemeinschaft wohl befunden. Die Mühlburg hatten wir widerwillig auf das Bitten der Mutter von dem Erbteil ausgeschieden, doch nur für den Fall, daß du die Pflicht der Weihen über dich nimmst, welche das Geschlecht dir aufgelegt hat. Weigerst du dich, dein Haupt zu scheren, so bestehen wir andern darauf, daß die Burg uns allen gemeinsam bleibe bis zur Teilung. Die Herrschaft aber im Geschlechte über Dienstmannen und Höfe gestehen wir dir nicht zu, obgleich du an Jahren der älteste bist, denn aus dem Kloster kommst du, fremd dem Lande und fremd kriegerischer Sitte, und wir vermögen keinem, der von der Schülerbank entlief, die Sorge um unser Wohl und Wehe zu übergeben. Ziehe du dem Heere des Königs zu, wenn dich der Wunsch übermächtig treibt, versuche, ob du dort als Ältester Ehre gewinnst. Im Walde aber und im Tale der Heimat behaupte ich bis zur Teilung mein Recht, die Brüder und Mannen zu führen.« Immos Hand ballte sich und das Blut schoß ihm zum Haupte, aber Berthold, der alte Dienstmann, welcher in der Mühlburg gebot, trat schnell in den Ring und begann gegen Odo: »Traurig ist dieser Tag für einen Alten, der euch beide auf dem Arme hielt, als ihr noch lachende Kinder waret. Euch Herrensöhnen steht wohl an, heiß nach Ehre und Macht zu streben, doch hörte ich den Mann noch höher rühmen, der sich friedlich mit seinem Geschlecht verträgt. Aber deiner Rede, Herr Odo, muß ich widerstehen. Denn nicht zwischen euch allein schwebt der Streit, auch uns verdirbt er das Leben. Das Erbe des Vaters mögt ihr teilen, wann es euch gefällt, über die Ehre des Ältesten aber müßt ihr euch zur Stelle entscheiden. Das fordern wir, die wir euch dienen, als unser Recht. Ihr ladet uns und gebietet, daß wir auf die Kampfheide ziehen und gegen jeden streiten, der euer Feind ist, und jeden ehren, den ihr ehrt. Dem Geschlecht Irmfrieds haben wir Treue geschworen und wir folgen, solange das Erbe ungeteilt ist, dem Ältesten. Bisher warst du, Odo, uns der Älteste. Jetzt aber steht ein Bruder, der an Jahren dir voraus ist, im Schwertgurt gegen dich und begehrt sein Geburtsrecht. Euch beiden zugleich vermag keiner von uns zu gehorchen, wenn ihr uneinig seid. Und ich sage dir, wir Dienstmannen müssen, bevor die Sonne untergeht, den Herrn erkennen, welchem wir fortan folgen. Darum vertragt euch zur Stelle gütlich, was ich herzlich wünsche, oder entscheidet euren Streit wie Helden geziemt, indem ihr ein Urteil sucht vom Himmel oder von der Erde oder von eurem Schwert.« »Gut spricht der Alte,« rief Immo. »Ich biete dir die Hand zur Versöhnung, mein Bruder, behalte du bis zur Teilung das Recht der Erstgeburt in allen Höfen, ja auch unter den Nachbarn, welche uns freiwillig ehren; mir laßt die Burg mit den Bergen und den Dienstmannen, bis in Jahr und Tag das ganze Geschlecht sich gütlich vergleicht.« »Hältst du die roten Berge in deiner Hand,« versetzte Odo, »so bleibt das Geschlecht in der Ebene wehrlos und die Mutter und die Brüder mögen büßen, was dein wechselnder Sinn ihnen erfindet. Nötig scheint mir, daß in dem Kriege, der jetzt entbrennt, Land und Leute in einer Hand stehen, damit nicht auf dem Grunde unserer Väter der Kampf zwischen Brüdern beginne. Darum vermag ich nicht nach deinem Willen zu tun, selbst wenn ich dir bessere Gesinnung gegen uns zutraute, als du seither bewiesen hast, und bevor ich dir nachgebe, hole ich ein Urteil von meiner Schwertseite.« Er griff nach dem Schwert, die Brüder sammelten sich um ihn. »So bezeugt mir, ihr Helden, die ihr meinem Geschlechte dient,« rief Immo in aufbrennender Wut, »bezeuge mir, hoher Himmel und du Grund meiner Väter, daß ich den gerechten Stolz gebändigt und ihm nachgegeben habe, soweit ich vermochte, und daß er mich schmäht und meinen guten Willen verachtet. Entehrt vermag ich nicht zu leben, das Blut des Bruders scheue ich mich zu vergießen. Darum fordere ich ein Urteil vom Himmel oder aus der Tiefe. Besser ist es, daß einer von uns beiden dahinschwinde, als daß das ganze Geschlecht in Zwist verderbe. Seht um euch, ihr Männer, wo ihr steht, die roten Berge gleißen und leuchten zu der Herrenwahl und die in der Erde hausen, rüsten sich einen Helden zu empfangen.« Er wies vor sich hin, die Tiefe lag in grauem Dämmer, der Dunst auf Wasser und Wiese schied den Bergring von der Ebene; wie abgelöst vom Boden schwebten die Gipfel in der Luft und in der Abendsonne leuchtete das Erdreich gleich glühendem Metall. »Gewaltig sind die Worte, die du in der Schule gelernt hast,« warf ihm Odo mit düsterm Blick entgegen, »doch schwerlich gleicht ihnen die Tat. Du warst behend, über geschorene Köpfe zu hüpfen, aber denke nicht, dich ebenso mit leichtem Fuß in die Ehre des Geschlechts zu schwingen.« »Verhöhnst du meine Sprünge,« schrie Immo außer sich, »so wage auch du, mir einen Sprung nachzutun, den ich jetzt um mein Recht wage. Das Gottesurteil hole ich von dem Boden unserer Väter, vertraust du deinem Recht, so folge mir nach, oder entweiche.« Er wies nach der Seite. Dort gähnte wenige Schritte von den Männern ein Erdriß, der nahe am Gipfel begann und sich bis zum Fuß des Berges hinzog. Vielleicht hatte das herabstürzende Wasser die Kluft geöffnet, vielleicht hatte unterirdische Gewalt das Gefüge des Bodens gesprengt. Die Stelle war unheimlich, und die Leute wußten, daß sich die Schlucht in mancher Zeit schloß und wieder öffnete, so oft Unheil die Landschaft bedrohte. Nackt und kahl starrte das wilde Erdreich in dem Spalt, kein grünes Kraut haftete darin, nur beim Gewitterregen rauschten schäumend die Wasser in trübem Schwall hinab und führten den roten Schlamm über das lichte Gehölz und den Wiesengrund. Ungern klomm jemand längs dem Riß hinab, denn man sagte, daß dort der Eingang in das Innere des Berges sei, und daß böse Gewalten aus dem Reich des alten Gottes das Tor hüteten. Mehr als einer der Burgleute hatte bei Nacht ihr Geschrei gehört, Schnauben der Rosse und Bellen der Hunde, und viele hatten im Abendlicht erkannt, wie große Rudel von Wölfen hinein- und herausfuhren. Jetzt gerade war der Riß auf der Oberfläche breiter als wohl sonst, an manchen Stellen so tief, daß man von oben in das Innere des Berges hineinzusehen meinte. Immo sprang an den Schlund, aber Berthold lief ihm nach und schlang die Arme um ihn. »Halt ein,« rief er, »greulich ist die Stelle, kein Menschenfuß vermag die Tiefe zu überfliegen, fürchte die Unsichtbaren, welche dort unten lauern.« Aber Immo schüttelte den Alten ab und rief: »Den guten Gewalten meines Lebens vertraue ich, ob sie mir gnädig sind. Sieh her, Odo, der Springer schwingt sich in sein Erbe, folge mir, Kriegsmann, wenn du vermagst.« Und weit ausholend, setzte er in mächtigem Schwunge über den Schlund. Erschrocken sahen die Männer die wilde Tat, als er aber am andern Rand des Schlundes auf die Knie sank und die beiden Arme gegen die untergehende Sonne hob, da schrien die wilden Genossen lautes Heil und zogen die Schwerter. Im nächsten Augenblick verstummten die Rufe, der Leib eines Mannes sank mit schwerem Fall, Odo stürzte in die Tiefe. Immo wandte sich um und Entsetzen durchfuhr ihn, als er den Bruder undeutlich unter sich liegen sah. Die jüngeren Brüder liefen abwärts, die Gewappneten drängten sich mit starren Blicken um den Spalt. Sobald aber Immo erkannte, daß Odo, der weiter abwärts an das Licht getragen wurde, die Glieder regte und sich auf die Schulter eines Bruders stützte, hob er sich empor auf den Vorsprung, der untergehenden Sonne zu, riß das Schwert aus der Scheide, schwang es dreimal gegen die Sonne und rief: »Zu mir, ihr Helden. Von der Sonne holten meine Ahnen ihr Recht und von keinem geborenen Manne. Bezeuge mir, milde Herrin, daß ich als rechter Erbe Besitz ergreife von Burg und Herrschaft.« Die Schatten der Nacht lagen auf dem Lande und dunkle Wolken verdeckten das Sternenlicht, als Immo in den Hof zurückkehrte. Vor der Tür harrte seiner der jüngste Bruder. »Wie geht es dem Gestürzten?« frug Immo. »Er sitzt zerschlagen im Saal,« antwortete der Knabe traurig. Immo atmete tief und stieß die Tür auf, die Mutter saß bleich auf ihrem Sitz, die Brüder schweigend an der Bank. Als Immo auf der Schwelle der Mutter gegenüber stand, erhob sie sich, riß das Schwert, welches sie den Abend vorher den Händen des Sohnes entwunden hatte, von der Wand und schleuderte es zwischen sich und Immo auf den Boden. »Hier nimm, was dir zukommt,« rief sie, »die Teilung des Erbes suchst du bei den bösen Geistern des Abgrundes. Das Recht des Ältesten begehrst du an Leib und Leben deiner Brüder. Dem Helden, der so mannhaft denkt, gebührt die unheilvolle Waffe; prüfe die Schneide, du Held. Erkennst du alte Rostflecke darauf, so wisse, daß die Waffe schon einmal von Bruderblut gerötet ist.« Immo trat einen Schritt auf Odo zu. »Mich reut der wilde Zorn, mein Bruder, und groß war meine Angst, als ich dich in der Tiefe sah. Zur Stelle fühlte ich schweres Leid. Daß ich dich wiederfinde, nimmt mir das Grauen von der Seele.« Aber Odo sah finster vor sich hin und antwortete nicht. »Ich lobe die Entschuldigung,« rief Edith bitter, »welche eine Untat abbläst, wie den Staub der roten Berge. Und da wir alle hier gesellt sind, das ganze Geschlecht Irmfrieds mit freundlichem Herzen und guter Meinung zueinander, so vernehmt eine Sage, meine Söhne, welche die Mutter am Feierabend für euch bereit hält. Einst, da ich Jungfrau war im Vaterhause, dachte ein junger Held der Thüringe darauf, ein Sachsenmädchen zur Hausfrau zu werben und der Vater war ihm wohlgeneigt. Da kam der ältere Bruder des Jünglings, mächtiger an Gut und Ehren, von einem Kriegszuge in den Sachsenhof, dieser gewann größere Gunst des Vaters und erhielt die Jungfrau zum Weibe. Unter den Brüdern entbrannte Feindschaft, in den Mauern ihrer Stammburg zogen sie gegeneinander die Schwerter und der jüngere wurde durch die Waffe des Bruders schwer getroffen. Seitdem ahnte den Gatten Übles für die Zukunft und sie meinten den Zorn der Ewigen zu versöhnen, wenn sie das erste Kind dem Dienst des Himmelskönigs weihten. Dies Kind warst du, Immo. Heute aber trug ein Bruder deines Klosters mir die Kunde zu, daß du am Altar der Heiligen die Hand gegen einen Geweihten erhoben hast und als ein Missetäter aus dem Kerker des Klosters entwichen bist.« »Den Tutilo schlug ich am Altar nieder,« rief Immo dagegen, »weil er die Faust gegen seinen Abt ballte und gegen mich selbst die Geißel schwang. Wurde die heilige Stätte entweiht, nicht ich war der Verbrecher, sondern er. Und wagt der Babenberger mir noch einmal gegenüber zu treten, bei allen Heiligen des Himmels, wo es auch sei, ich tue ihm dasselbe. Du selbst aber weißt, daß ich nicht aus dem Zaun des Klosters gebrochen bin, sondern durch den Abt in Freiheit zu dir gesandt.« »Nicht als ein Freier kehrtest du in das Haus deiner Väter, als Geweihten des Herrn begrüßten wir dich und du täuschtest die Mutter durch unwahren Bericht.« »Das tat ich nicht,« rief Immo. »Als ich die Freude sah, mit der du auf meine Weihen hofftest, da wurde mir allzu schwer, dir zu sagen, daß ich die Stola für mich nicht begehre. Heut aber bekenne ich dir's, obwohl du zornig bist. Ich vermag nicht den Heiligen zu dienen, wie du begehrtest.« »Ungehorsam willst du sein deinen Eltern und treulos gegen den Himmelsherrn,« rief Edith heftig. »Gehorsam wirst du mich finden in allem, worin der Sohn seiner Mutter gehorchen darf, und um die Gnade des Himmelsherrn denke ich als ein ehrlicher Kriegsmann zu werben. Aber ein Pfaff werde ich nicht.« »Als ich dir das erste Gewand auf deinen Leib zog, habe ich dich dem Dienst der Heiligen gelobt. Wie darfst du wagen, das Gelübde deiner Mutter unwahr zu machen?« »Hast du dein Kind zum Opfertiere geweiht, um dich von der eigenen Not zu lösen,« rief Immo, »so siehe zu, ob du ihm seine Hörner zu binden vermagst. Ist das die Liebe der Mutter, daß sie den Sohn in das Elend stößt und mit seinem Haupte die Buße bezahlt, um sich selbst das irdische Heil zu sichern?« Edith zuckte wie unter einem Schlage, ihr Antlitz erblich, als sie sprach: »Eines Gottlosen Stimme höre ich. Für ein Elend gilt dir der heilige Dienst und einen Verstoßenen nennst du dich, während ich dir das Beste bereiten will, was dem Menschen auf dieser Erde vergönnt ist. Mein bist du, von meinem Leibe kommst du und meine Treue hat dir das Leben bewahrt. Wem gehörst du an, wenn nicht deiner Mutter?« »Gabst du mir das Leben, so gabst du mir doch nicht denselben Wunsch, der dir die Seele füllt. Nicht nach deinen Gedanken vermag ich zu wandeln, Liebe und Leid fühle ich anders als du und dem eigenen Willen gedenke ich fortan zu vertrauen, wenn ich auch deinen Rat ehrfürchtig höre.« »Bist du so frei von der Pflicht gegen die Mutter und gegen dein Geschlecht, so vergiß auch, wer dich laufen lehrte und wer dir zuerst die Worte deiner Rede vorsprach, vergiß, daß du ein Sohn des Irmfried und der Edith bist, und wandle dahin gleich einem Vater- und Mutterlosen, der irgendwo am Wasser oder unter dem Baum gefunden ist. Alles Gute, das dir von der Mutter und den Ahnen kommt, willst du für dich nützen, deines Geschlechts willst du dich rühmen, und wenn sie dir sagen, daß dein Antlitz dem deines Vaters gleicht, willst du lachen und nicken. Aber was dir von Pflichten obliegt als dem Sohne deines Hauses und dem Kinde deiner Eltern, dem willst du dich frevelhaft entziehen. Ich lobe die Klugheit, Immo. Doch wisse, du Freier, wenn du deine Pflicht gegen die Mutter verachtest, so naht der Tag, wo die Mutter sich deiner schämt.« Mit glühendem Antlitz sprang Immo zurück: »In der Halle meiner Väter höre ich die Kuttenträger zischen; sehnsüchtig kam ich her und begehrte die Liebe der Mutter und der Brüder; geschwunden ist die Treue, kalte Hohnrede vernahm ich von den Lippen der nächsten Verwandten. Lenke du den Flug deiner Nestlinge, Mutter, wie es dir gefällt, mir aber hast du den Sinn verwandelt und unter den wilden Tieren will ich lieber hausen als hier.« Er sprang aus der Tür und über den Hof, riß sein Pferd aus dem Stalle, hob den Balken des Hoftors und sprengte über die Brücke, während die Mutter in der erleuchteten Halle stand und die Hände über ihr Herz preßte. »Eilt ihm nach,« befahl die Mutter, »daß seine Seele nicht unter den bösen Geistern der Nacht verderbe.« »Wie mögen wir ihn hindern, er ist ja der ältere,« versetzte Odo trotzig. Doch Gottfried lief in den Hof und rief den Namen des Bruders in die Nacht hinaus, nur undeutlich klang die Kinderstimme in das Ohr des Entweichenden. Es war ein leiser Ton, aber die Tränen brachen dem Flüchtigen aus den Augen, da er ihn hörte. In die Nacht hinein ritt Immo halb bewußtlos, das Blut hämmerte in seinem Haupte, die Mondsichel am Himmel zitterte und die Sterne flirrten und verschwanden vor seinen Augen; er sprengte durch den Bach, daß die Flut um sein Haupt spritzte, und fuhr über Wiesengrund und Felder den Bergen zu. Dort fand er sich in dichter Finsternis, schwarze Baumwipfel bargen das Wolkenlicht, die Äste und Zweige schlugen in sein Gesicht und hielten wie mit Krallen sein Haar und Gewand. Zitternd suchte das Roß einen Weg durch das wilde Gestrüpp, bis der Reiter wieder den Nachthimmel über sich sah und einzelne Hügel, die dunkel vor ihm aufstiegen. Als er sich in dem Talkessel zwischen den roten Bergen fand, da hob er den Arm in wilder Freude nach den Gipfeln und ritt längs dem Bergwall dahin. Die Stimmen, welche in dem hohen Rohr schrien und stöhnten, warnten ihn, daß er sein Roß der Höhe zu riß, denn dort unten hausten tückische Geister, die Roß und Mann festhielten und langsam hinab in die grundlose Tiefe zogen. Vor ihm flackerte durch den Wasserdunst ein rotes Feuer und undeutliche Schatten fuhren riesengroß durch den Lichtschein. Da sträubte sich ihm das Haar, auch das Roß ächzte und stauchte zurück und er hörte eine Menschenstimme: »Wer stört das Mahl und dringt in den Reigen, haltet ihn fest und werfet ihn zu Boden.« Er spornte das Roß zu weiten Sätzen und als er vorüberfuhr, sah er eine Flamme auf Steinhaufen, grell beleuchtete Gestalten von Männern und Weibern, wilde Gesichter und gehobene Arme. Wie vom Sturmwind getragen fuhr er hindurch, hinter ihm flogen Speere und krachte eine geworfene Axt, lautes Hallo und Geheul folgte. Dann war er wieder allein in dichtem Nebel. Er schlug sein Kreuz und sprach hastig das Kredo, er wußte, jene hinter ihm waren Landleute aus der Ebene, die dort heimlich alten Opferbrauch übten. Als Kind hatte er Schreckenvolles gehört von der Grausamkeit, mit welcher sie die Störer ihrer abgöttischen Feier straften, und er erinnerte sich, daß er schon einmal als Knabe von fern den Lichtschein gesehen hatte und daß der fromme Bruder, der damals sein Lehrer war, ihn ermahnt hatte sich abzuwenden, damit der teuflische Schimmer ihm nicht den Sinn verstöre. Wieder umschloß den Reiter unheimliche Nacht. Kläglich seufzten die Unken im Teich und über ihm jammerten die Nachtvögel, die Rudel der Wölfe bellten und heulten und ihre schwarzen Schatten fuhren durch den Nebel dahin, da meinte er in der Luft die Gewaltigen der Nacht zu schauen, riesige Männer auf dunklen Rossen, welche ihm zuwinkten und nach dem Tor im Berge wiesen. Denn vor ihm gähnte der Erdriß, den er heute übersprungen hatte, und die Schatten mahnten zur Rache. Er hielt wie fest gebannt, das gellende Geschrei der Nachttiere und das Flattern in der Luft betäubte ihm das Hirn, daß er im Sattel schwankte. Aber im nächsten Augenblicke rückte er sich kräftig auf dem Rosse zurecht und atmete tief wie einer, welcher erkennt, daß sein Bangen unnötig war. Denn zwischen dem wilden Heidenlärm vernahm er laut und lauter das Rauschen eines gebändigten Wassers, unter welchem sich ein Rad schwang, und er vernahm das Klappern des Mühlwerks, die freundliche Stimme, welche von den Mönchen durch die Worte gedeutet war: Hilf, Herre Gott. Daran dachte er jetzt. Die Mühle klang bei Tag und Nacht langsam und schneller, wo Menschenwerk fleißig geübt wurde, sie hatte Frieden bei Heiden und Christen und Gutes bedeutete ihr Gesang jedem, der ihn hörte; alle Hausfrauen im Lande riefen ihr Heil und Segen zu, denn das kluge Werk befreite ihren Hof von der Mühe, die Handsteine zu drehen; die wilden Tiere fürchteten den Lärm und sogar der tückische Wassergeist saß, wie die Leute wußten, stundenlang am Ufer und horchte erstaunt auf das lustige Pochen. Und er hatte einst, da die Mühle grade still stand, dem Vater des jetzigen Müllers zugerufen: »Müller, laß dein Hackebrett klingen, damit meine Kleinen darnach tanzen.« Da lachte Immo und er gedachte, daß er einst im Kloster als Schüler bei großer Wassersnot mit dem Sintram und einigen Jünglingen dem Müller zu Hilfe gesandt worden war. Dort hatte Vater Sintram in der Nacht lange gegen den Wasserschwall gebetet, bis er darüber entschlief. Die frechen Knaben aber hatten dem schlafenden Greise sein Gesicht und den Scheitel ganz mit Mehl bestreut, daß er aussah wie ein Schneemann. Und als der Alte so verwandelt vor den Müller trat und aus dem Lachen des Mannes die Untat erkannte, da hatte er ruhig sein Haupt in das Wasser getaucht und darauf zu Immo gesagt: »Mir geschah recht, weil ich im Schlaf meine Pflicht vergessen hatte. Du aber mein Sohn hast unrecht getan, einem alten Manne die Ehre zu kränken.« Seit diesen milden Worten bestand das gute Vernehmen zwischen ihm und den beiden Greisen. Immo sprang vom Rosse und blickte lange auf das stäubende Wasser und die weißen Blasen, welche in der Finsternis dahinschwanden, übertönt war das wilde Geschrei in seinem Rücken, er stand im Frieden, den der Mensch von den Gewalten der Natur erzwingt. Er beugte sich nieder zum Wasser und schöpfte einen Trunk mit der hohlen Hand, dann schlug er kräftig an die Pforte, bis Ruodhard, der Müller, öffnete und verwundert den Herrensohn und das Roß in seinem Gehege aufnahm. Am Morgen saß Immo allein in dem öden Turmgemach der Mühlburg, der Gewitterregen schlug gegen die Mauern und goß sein Wasser durch die kleine Fensteröffnung auf den Steinboden. Die gute Lehre, welche der Mönch im Garten ihm zugeteilt hatte, war von ihm mißachtet worden. Hätte er der Mutter und den Brüdern sogleich bei der Ankunft die ganze Wahrheit gesagt, so hätte der Zorn nicht wie ein verdecktes Feuer um sich gefressen, bis er die Freundschaft verdarb. Er gedachte auch der Rede des Sintram und frug sich selbst, ob er noch jemanden in der Welt hätte, der für ihn bete. Denn den Himmlischen war er wohl verleidet, die im Kloster haßten ihn und die eigene Mutter hatte ihn von sich gestoßen. Ein Gefühl der Einsamkeit, wie er es im Kloster nie gekannt, bedrückte ihm das Herz, jetzt war er frei, er saß als Herr in der Burg, welche die Feinde das Nest der Zaunkönige nannten, aber er war auch frei wie ein Vogel und freundlos. Als er aufsah, stand vor ihm die alte Gertrud, vom Regen durchnäßt und stellte einen Tragkorb zu seinen Füßen nieder. »Dies sendet dir Frau Edith, Immo.« »Was sprach die Mutter?« frug Immo wild. Gertrud hob ein leinenes Bündel aus dem Korb und breitete es mit zitternden Händen auf der Bank aus. »So redete Frau Edith zu mir: Trage dies dem Jüngling Immo und sage ihm, ich sende, was ihm gehört, und was ich in der Stille von seiner Habe bewahrte. Dies ist das erste Hemdlein, das ich ihm spann und das er trug, die Leinwand ist vergilbt, denn kein Sonnenstrahl hat sie gebleicht und kein Nachttau hat sie genetzt, aber die bittern Tränen der Mutter hängen daran, denn als er das erste Gewand auf seinem kleinen Leibe trug, habe ich ihn dem Dienst der Heiligen gelobt. Und hier sind andere Gewänder des Kleinen, sein Spielwerk, an dem er sich freute, als er zu meinen Füßen saß und die Kinderwaffen, welche ihm der Vater geschnitzt hat. Alles hob ich auf in der Truhe und oft hat mich gefreut, es herauszuholen und dabei an meinen Sohn zu denken. Jetzt hat er sich feindlich von mir gelöst, darum sende ich ihm, was sein ist.« »Hart ist die Mutter,« rief Immo, seine Augen in der Hand verbergend. »Und Frau Edith sprach weiter: Sage dem Kriegsmann, daß die Treue einer Mutter nicht verloren geht, wenn auch der Sohn statt des Vaterhauses sich die finstere Nacht erwählte. Solange ich lebe, werde ich harren, daß er zu den Heiligen zurückkehrt. An dem Tage werden ihm meine Arme geöffnet sein, und der Ehrensitz im Saal seiner Väter bereitet.« »Vergebens wird sie diesen Tag erwarten,« rief Immo. »Beide seid ihr feurig,« fuhr Gertrud begütigend fort, »wenn auch die Mutter ihre Hast besser zu bergen weiß als du. Denn ganz ruhig sprach sie zu mir, aber ich weiß wohl, wie ihr zumute war. Euch beiden kommt wohl die Überlegung, daß eins dem andern sich fügt. Unterdes gebot mir Frau Edith, daß ich auf dem Berge bei dir bleibe, mein Sohn, damit dir in der Einsamkeit die Pflege nicht fehle.« Immo reichte der Alten die Hand. »Du wirst nicht lange für mich sorgen, denn ich gedenke von hinnen zu reiten.« Am nächsten Tage sprengte der Knabe Gottfried in den Hof. »Heimlich habe ich mich aufgemacht,« begann er schüchtern, »ich komme dich zu bitten, mein Bruder, daß du meiner in Liebe denkst.« Immo drückte den Treuen fest an sich. »Sprich auch, wenn ich nicht da bin, freundlich von mir zu der Mutter.« »Auch sie gedenkt deiner,« versetzte Gottfried zutraulich, »denn wisse, zum Mittagsmahl trägt sie selbst deinen Stuhl an ihre Seite und setzt deinen Teller und deinen Becher auf den leeren Platz.« »Vergeblich ist die Sorge der Mutter, der Sitz wird leer bleiben,« rief Immo finster. 6. Auf der Reise. Hügel und Tal lagen im Sonnenlicht und der Bergwind wehte kräftig vom Walde her, als eine Schar junger Thüringe von der Höhe in das Tal des Idisbachs hinabzog. An ihrer Spitze ritt Immo im eisernen Kettenhemd, den Stahlhelm am Sattelgurt, den Holzschild um den Hals gehängt, einen starken Speer in der Hand, neben ihm Brunico in ähnlicher Rüstung. Ihnen folgten zu Fuß wohl dreißig rüstige Jünglinge in kurzem Eisenhemd und leichter Helmkappe, mit hohen Lederstrümpfen und nackten Knien, auf dem Rücken den runden Schild mit eisernem Buckel, darunter den Köcher mit Pfeilen, in der Hand den Kampfbogen und zwei Wurfspeere. Mitten in der Schar führten zwei Heerwagen, mit starken Rossen bespannt, den Kriegsbedarf: Waffen, Wollmäntel und Säcke mit Lebensmitteln. Mit behendem Fuß schritten die Knaben des Waldes und mancher hob unnötig die Beine, um ein wenig den Reigen zu springen, welchen der Rufer des Haufens vorsang. In der Nähe eines Gehölzes hielt der Zug. Die Späher eilten voran, auf die Zeichen, welche sie zurückgaben, tauchte der ganze Haufe in den Busch. Immo sprang zur Erde, stellte die Wächter und die Jünglinge bereiteten sich und den Rossen das Mittagsmahl. Nur Brunico ritt vorwärts, begleitet von einem leichtfüßigen Genossen. Nicht lange, und er kehrte eilig zurück: »Eine reisige Schar liegt vor uns auf dem Wege, gerade unter der Idisburg. Sie sorgen wenig um Wache und Ausguck. Das Banner, welches sie führen, gehört, wenn wir recht erkennen, dem Grafen Gerhard. Es sind mehr als hundertzwanzig Rosse, die Reisigen bereiten das Mahl am Bache und hausen übel im Dorfe unter der Burg; ich sah sie Garben und Gerät aus den Höfen herzuschleppen und die Landleute liefen ihnen nach und schrien.« »Ob uns die Begegnung lieb oder leid ist,« entschied Immo, »wir vermögen sie schwerlich zu vermeiden. Denn da auch Graf Gerhard dem König zuzieht, so ziemt uns nicht, gleich Wölfen heimlich hinter ihm herzutraben. Folge mir zu seinem Lager, ihr andern aber bergt euch im Versteck.« Und er besprach mit dem Hauptmann seiner Knaben, was die Vorsicht gebot. Die beiden Reiter mieden den geraden Weg zum Lager des Grafen, um die Richtung ihrer Raststelle nicht zu verraten, über einen Hügel ritten sie im Trabe dem Banner zu. Brunico stieß in das Horn, das er am Halse trug, und sie harrten der Antwort. Im Lager entstand eine Bewegung, zwei Gewappnete kamen ihnen entgegen, Ruf und Gegenruf wurden getauscht, die Gräflichen fuhren rückwärts zu ihrem Herrn und brachten eine höfliche Einladung. »Sei gegrüßt im Kriegskleide, du Flüchtling aus Wigberts Stall,« rief der Graf lachend dem Ankommenden zu. »Auch meine Helden werden dich als Reisegenossen willkommen heißen. Denn nur bis zum Main ist unser Weg frei, von da müssen wir uns länger als eine Tagfahrt an den Burgen des Hezilo vorbeiwinden, und wir sorgen, ob er uns die Straße verhauen wird. Mit geringem Gefolge kommst du, hoffst du allein beim König Ansehen zu gewinnen?« »Meine Knaben blieben zurück, sie schreiten auf ihren eigenen Beinen,« versetzte Immo. »Mit Fußläufern ziehst du heran?« spottete der Graf. »Doch ihr in den Waldlauben übt alten Bauernbrauch. Mich wundert, Immo, daß du nicht besser für dich gesorgt hast. Geringe Ehre wird dir die unritterliche Schar erwerben, denn an solchem Troß fehlt es dem Könige nicht.« »Ihr werdet anders von ihnen denken, wenn ihr erst ihre Schläge geprüft habt,« versetzte Immo. »Wohlan, jeder versuche sein Bestes,« fuhr der Graf fort und Immo glaubte ein ehrliches Wohlwollen in seinem Gesicht zu erkennen. »Andere Arbeit beginnt jetzt, als unser Hader mit den Mönchen war. Setze dich neben mich, heute biete ich dir mit gutem Willen den Trinkkrug, da du zu uns gehörst. Der lateinischen Reden bist du ledig, obgleich meine Tochter Hildegard deine Stimme wohl vernehmen würde, wenn du ein Mönchsgeschrei erheben wolltest, denn sie begleitet unsern Zug und rastet nicht gar weit von meinen wilden Knaben.« Immo hatte Mühe, die freudige Überraschung zu verbergen. »Warum führt ihr die Tochter in das Heerlager?« Der Graf lachte schlau. »Die Königin hat sie nach Regensburg geladen, die hohe Frau Kunigund hat, wie der Bote rühmt, Gutes von dem Kinde gehört und will der Mutterlosen eine Beschützerin sein. Verstehst du wohl, Immo, was diese Huld bedeutet?« Immo bekannte seine Unwissenheit. »Die Händler haben den Brauch, wenn sie ein Geschäft für die Zukunft bereden, so geben sie einander ein Unterpfand für treue Erfüllung. Du hast bereits etwas von den Waldwiesen vernommen. Diese halte ich, der König aber begehrt dagegen die Jungfrau. Und gern führe ich sie ihm zu, denn ich vertraue auf das Glück und die Klugheit des Königs. Ihm ist bisher vieles gelungen, und ich hoffe, daß auch mir dieser Krieg Land und Leute mehren soll, denn meine Wälder grenzen an die Mark des Hezilo. Und darum bringe ich mein ganzes Heergefolge dem Könige, wahrlich mit großen Kosten. Sieh, Immo, auch meine Kampfhähne führe ich mit mir,« er wies auf die beiden Fechter, welche in neuem, buntem Gewande zuunterst auf dem Rasen saßen und mit ihren riesigen Armen große Trinkkrüge schwenkten. »Denn König Heinrich achtet wenig auf die fahrenden Leute und vor andern sind ihm die schweifenden Frauen verhaßt, welche sich im Tanze vor den Helden drehen und dabei ihres Gewandes entledigen. Ja man sagt, daß ihm alles Weibervolk verleidet ist. Doch die Kämpfer schaut er gern, wenn sie herzhaft gegeneinander schlagen. Und dies sage ich euch, Hahn Ringrank und Hahn Sladenkop, wenn ich euch zum Ergötzen des Königs gegeneinander kämpfen lasse, so begehre ich andere Wunden als die einzölligen, die ihr im Vertrauen auf meine Gutherzigkeit einander anzumessen pflegt. Denn dergleichen schwache Ritze kann der König bei jeder Kirchweih sehen. Herrenwunden verlange ich diesmal, dreizöllig, und wenn ihr den König ehren wollt, noch tiefer und länger und zwar mit spitzem Eisen und nicht auf die Arme, sondern auf die Brust.« Die Fechter sahen bekümmert einander an und Ringrank antwortete sich erhebend: »Drei Zoll auf der Brust mögen unsern Brotherrn um zwei Kämpfer ärmer machen. Fordert der Herr großen Dienst, so ersehnt sich der Mann großen Lohn. Sorgt wenigstens, daß wir beide gegeneinander kämpfen und nicht gegen die Kämpfer, welche der König mit sich führt, denn diese sind ungerecht bei dem Messen der Wunden, um ihren eigenen Ruhm gegen andere zu erhöhen.« Die Herren lachten und saßen in guter Laune beim Mahl, tranken und riefen Heil, wie unter Helden Brauch ist. Da nahte in gestrecktem Lauf Egbert, der Dienstmann, und trat staubbedeckt, mit heißem Antlitz vor den Grafen. »Durch wilden Ritt holte ich Kunde, die manchem sorgenvoll wird,« rief er. »Dem König ist sein ganzer Schatz genommen. Held Magano, der Diener des Babenbergers, hat den Schatz auf der Reise gefangen, ich selbst sah den Mann des Markgrafen und ich sah die lange Reihe der Saumrosse und Karren in seine feste Burg treiben.« Mit Schreckensrufen sprangen die Bankgenossen von ihren Sitzen und drängten sich um den Boten, auch der Graf erhob sich bestürzt. »Wie ein Unsinniger gebärdest du dich, daß du diese Kunde vor aller Ohren ausrufst.« »Herr, sie läuft durch das ganze Land wie Wasser durch den gebrochenen Damm, in den Dörfern liefen die Leute zusammen, und ich sah, daß frische Gesellen, die dem Lager des Königs zuritten, von den Rossen stiegen und die Köpfe senkten; wie soll einer unter dem Habicht dahinreiten, welchem die Federn gerupft sind?« »Oft hörte ich den großen Schatz des Königs rühmen,« begann kopfschüttelnd ein alter Kriegsmann, »und gern dachte ich an das goldene Kreuzgeld darin, an die Armringe und Becher, mit denen er seine Getreuen lohnen würde; die Bayern haben lange an dem Schatz gesammelt, manch uraltes Schmuckstück lag darin aus Sachsenland, das einst Wieland, der Held, geschmiedet hat.« »Jetzt aber ist der König so kahl wie meine Handfläche,« rief Egbert, »wer ihm dient, mag zusehen, wie er die Kosten des Zuges wiederfindet. Denn nicht der Goldschatz allein ist in die Hand des Markgrafen gefallen, sie sagen, daß auch die Königskrone dabei war, die heilige Lanze und die hohen Reliquien, an denen die Königsmacht hängt.« Die Krieger erschraken, viele bekreuzten sich und die Augen aller wandten sich nach dem Grafen, dessen unsicherer Blick verriet, daß er mit schwerem Zweifel rang. »Ist die Krone verloren, wie mag er das Reich bewahren?« fuhr ihm heraus. »Unheil brachte der Tag, an dem wir auszogen, und üble Vorbedeutung war es, daß der Sauhirt die Faselschweine über den Weg trieb.« »Auch andere Botschaft bringe ich, Herr,« fuhr Egbert fort. »Als ich vom Main den Kieferwald heraufritt, rastete an der Landstraße Heriman, der Goldschmied aus Erfurt, der nach seinen Worten zum König Heinrich reist. Da er ein Packpferd bei sich hatte, so riet ich ihm, sich unter euren Schutz zu begeben, er aber widerstrebte, und ich verließ ihn im Walde allein mit seinem Knechte.« Der Graf sah seinen Dienstmann kummervoll an, ohne zu antworten. Aber Immo vermochte seinen Unwillen nicht zu unterdrücken. »Dreiste Worte höre ich von den Helden eurer Bank, Graf Gerhard; mich dünkt, sie stehen solchen übel, die dem König zuziehen.« »Wie vermag ich ihre Gedanken zu beugen,« versetzte der Graf ärgerlich, »da sie doch recht haben? Kann der König seinen Kriegern nicht lohnen, wie sollen sie ihm dienen? Entweicht zur Seite,« rief er den Dienstmannen zu, »vergällt ist mir der Trunk, harret, bis ich allein den Rat finde, der uns frommt.« Die Bankgenossen brachen auf und setzten sich in die Nähe ihrer Rosse mit bedrängtem Gemüt zu kleinen Haufen. Immo merkte, was in der Seele des Grafen vorging und daß seine stille Hoffnung, der Jungfrau in den nächsten Tagen als Reisegenosse nahe zu sein, schnell dahinschwand. Er begann deshalb: »Zürnt meiner Jugend nicht, wenn ich dreist mit euch rede. Ich ahne, daß euch die Reise zum König verleidet ist, denkt daran, daß seine Gefahr größer ist als die eure und daß ihr ihm gerade jetzt eure Treue erweisen müßt. Denn er ist nach Recht unser Herr, und er hat euch, wie ihr mir vertrautet, im voraus gelohnt. Ich vernahm immer, daß Treue und Dankbarkeit starke Ketten sein sollen, welche den Helden binden.« »Du sprichst gut,« versetzte der bekümmerte Graf, »aber du bist jung. Glaube mir, Immo, als ich in deinen Jahren war, lebte ich so treu und dankbar wie ein Hündlein, ich lief hin und her, um andern zu dienen, und wenn mir die Könige einen Brocken zuwarfen, so sprang ich vor Freude. Jetzt aber habe ich eigenes Gut zu bewahren und muß vielen Begehrlichen spenden, jetzt rät mir die Vorsicht, vor allem zu fragen, was mir vorteilhaft ist, damit ich mich in meiner Macht erhalte zwischen Pfaffen und Laien, welche sämtlich gierig sind, sich zu meinem Schaden auszubreiten.« »Zürnt mir nicht, Graf Gerhard, wenn ich euch sage, daß es edler ist, mit Ehren unterzugehen als in Schande zu leben,« rief Immo. »Dasselbe ist immer auch meine Meinung gewesen,« versetzte der Graf. »Ganz wie du war auch ich in meiner Jugend willig, mich für den Herrn töten zu lassen, dem ich damals diente. Jetzt aber bin ich selbst ein Herr, welcher andere erhält, die für ihn auf der Walstatt sterben, jetzt habe ich um eine Herrenehre zu sorgen und diese befiehlt mir vor allem, daß ich Herr bleibe über andere und mit hundert oder zweihundert Rossen ins Feld ziehe, für oder gegen wen es auch sei. Darum will ich auch dir Gutes raten. Setze dich nicht in ein Haus, welches stürzen will.« »Soll ich umkehren?« frug Immo prüfend. Da der Graf keine Antwort gab, fuhr er nachdrücklich fort. »Ich gehe zum König, und wenn alle von ihm abfallen, so soll er doch im letzten Kampfe nicht allein stehen.« »Auch du bist nicht allein, Immo, du hast für andere zu sorgen, welche dir folgen.« »Ich will sie fragen, ob auch ihnen mit dem Raub des Schatzes die Kampflust geschwunden ist. Die ich führe, sind freie Knaben vom Walde, und ich weiß die Antwort im voraus.« »Wieviel sind ihrer?« frug der Graf mit einem Wolfsblick. »Mich wundert, daß du sie von meinen Leuten getrennt hältst.« Immos Auge flog über das Tal, er sah, daß er selbst in der Gewalt des Grafen war, denn ein Wort vermochte die ganze Meute gegen ihn zu hetzen, er trat deshalb zurück, legte die Hand an das Schwert und antwortete: »Meine Knaben sind schnell zu Fuß und von der Heimat her an Waldversteck gewöhnt, auch ihr Lager haben sie vorsichtig gewählt und wer sie bewältigen wollte, würde harte Stöße erhalten und schwerlich Beute aus ihren Taschen davontragen. Darum ist es besser, daß ihr uns ungekränkt ziehen laßt, wohin wir wollen. Ihr aber vernehmt zum Abschied noch eins: Große Lügen erzählen die Leute auf der Landstraße, vielleicht war es gar nicht der Schatz des Königs, welcher gefangen wurde, oder doch nicht der beste Teil. Wer die Ehre eines Herrn hat, wie ihr nach eurer Rede, der sollte vorsichtig sein, bevor er sie gegen Schande weggibt. Lebt wohl, Graf Gerhard, wenn wir uns wiedersehen, so möge es in Frieden sein, denn zweimal habe ich als Gast an eurem Tisch gesessen und ungern würde ich euch feindlich gegenüberstehen.« Während der Graf betroffen die kluge Warnung erwog, gewann Immo sein Roß, welches Brunico bereit hielt, und verließ unangefochten das Lager. Als die Sonne sank, warf sie ihr goldenes Licht über die Höhe, auf welcher die Idisburg stand. Der alte Turm glänzte wie mit leuchtender Farbe übergossen und an der niedrigen Burgmauer lagen die Ranken der Brombeeren wie mit Purpur und Goldfäden umwunden. In der unteren Hälfte des umschlossenen Raumes brüllten die Rinder, welche von den Dorfleuten dort zusammengetrieben waren. Auf der höchsten Stelle im Burgwall stand eine Sommerlinde, welche ihre großen Blätter als ein dichtes Laubdach fast bis zum Boden breitete. Es war ein wonniger Platz, wilde Glockenblumen blühten in dem lichten Schatten und kleine Schmetterlinge fuhren hin und her, die Vögel lockten ihre Jungen in den Ästen des Baumes zusammen und die Grillen schwirrten den Chorgesang zu dem Ruf der Gefiederten. Dort saß Hildegard, das Grafenkind; die Hände im Schoß gefaltet sah sie in das Tal über das Lager der Reisigen, über den Laubwald und über die geschwungenen Höhen dahinter bis in die Ferne, wo Erde und Himmel im Dämmerlicht zusammenfloß. In ehrerbietiger Entfernung lagerten einige alte Dienstmannen, welche zum Schutz der Jungfrau hinauf gesandt waren, auch sie schauten abwärts nach dem Main hin und wiesen einander unter dem lichten Gewölk die Grenzburgen des Feindes. Es war still um die Jungfrau, nur einzelne Klänge aus dem geräuschvollen Lager drangen herauf, zur Seite blökte das Herdenvieh und zuweilen lief eine Ferse nahe heran und rupfte die Blätter des Baumes. Dann knackte und rauschte es hinten in den Zweigen, Hildegard wandte sich um und scheuchte die Vorwitzigen, aber sie kamen doch wieder, und das Mädchen vergaß zuletzt in ihren Träumen die genäschigen Gäste. Ihre Lippen bewegten sich und leise klangen die gesungenen Worte des heiligen Liedes: ~Audi, benigne Conditor, nostras preces cum fletibus[3].~ Aber sie gedachte im Singen nicht sehr an den Schöpfer, sondern mehr an einen Flehenden, der ihr dieselben Worte vor wenig Wochen im Scherz zugerufen hatte. Und während sie so sang und mit verklärtem Blick vor sich hinsah, war ihr, als tönte der Sang noch einmal über ihr in dem Baume. Sie hielt inne, da rauschte es in den Zweigen und bei dem Säuseln der Blätter klang über ihr wieder dieselbe Weise, aber mit anderen Worten, und sie vernahm von der Höhe: ~Rana coaxat suaviter In foliis viridibus[4].~ Sie saß unbeweglich, ein Lächeln flog um ihren Mund und eine hohe Röte ergoß sich über ihr Antlitz, aber sie wagte nicht aufzusehen, damit der lustige Traum nicht entschwinde. »Bist du es, Geselle?« frug sie leise. Aber gleich darauf schämte sie sich der vertraulichen Rede. »Ich liege über dir in den grünen Blättern,« klang es von oben zurück. »Ganz gut ist mein Lager auf starkem Ast; blicke aufwärts, wenn dir's gefällt, damit ich einmal deine großen Augen sehe, denn diese haben mich hergezogen.« Das Mädchen erhob sich schnell und wandte sich dem Ast zu, in demselben Augenblick neigte Immo das Haupt behend abwärts, umschlang von der Höhe mit einer Hand ihren Hals und küßte sie auf den Mund. »Guten Tag, Geselle,« sprach er, »so hatte ich mir's ausgesonnen und so ist es vollbracht.« Er fuhr wieder aufwärts und sah von seinem Aste zärtlich in das gerötete Antlitz. »Wenn ich die Wächter rufe, fangen sie dich,« murmelte Hildegard halb bewußtlos. »O tue es nicht,« flehte Immo, »denn bei Tag und Nacht dachte ich daran, ob ich dich wiedersehe. Wenn die liebe Sonne nach Westen ging, so freute ich mich, daß sie deine Wangen bescheinen würde. Oft habe ich dir Botschaft gerufen über Berg und Tal und den Bergwind ermahnt, daß er dir etwas von mir zutragen solle. Aber ruhelos schweift der Wind und unsicher ist, ob er nach unseren Bitten tut. Darum kam ich lieber selbst.« Hildegard sah ihn furchtsam an. »In unserem Turme fand ich ein graues Käuzlein, als es in Not war, das bewahrte ich mir gern in meinem Gemache. Aber über Nacht hat es sich in ein Raubtier verwandelt. Ganz anders erscheinst du mir hier als daheim in der Halle; wie ein Drache in seinem Schuppenkleide liegst du auf dem Ast, und ich weiß nicht, bist du noch der, an den ich dachte, oder bist du ein Fremder.« »Aus dem Gewand des Kauzes bin ich geschlüpft und das Eisenhemd trage ich, Hildegard, auch um deinetwillen. Wenn einmal der Spielmann vor dir singt und du vernimmst, daß er auch meine Taten rühmt, dann sollst du stolz sein auf deinen Gesellen.« »O du törichter Immo,« rief das Mädchen kummervoll, »wie soll ich mich freuen, wenn ich von den Schwertern höre, die dich bedrohen, und bedenke, daß die Streitaxt gegen dich fliegt. Leidig ist mir der Ruhm, den die Sänger geben, denn sie preisen am liebsten die Helden, welche tot auf der Walstatt liegen. Ich aber dachte dich zuweilen gern an meiner Seite, dann sangen wir zusammen und ich strafte dich, wenn du unartig warst, indem ich dich an deinen Haaren zog.« »Tue das jetzt,« bat Immo, neigte den Kopf wieder zu ihr herab und sah sie bittend an. Aber der Jungfrau rannen die großen Tränen aus den Augen, sie lehnte ihr Haupt an den Baumstamm und weinte still vor sich hin. Immo schob sich näher, wieder legte er seinen Arm um ihren Hals und sprach ihr leise ins Ohr: »Geliebte, dich selbst will ich gewinnen auf der Kampfheide. Wenn ich mein Haupt stolz tragen darf, erbitte ich dich von deinem Vater zum Gemahl.« Hildegard blickte ihn treuherzig unter Tränen an und antwortete: »Das weiß ich, und darum weine ich.« Da küßte er sie wieder und sie widerstrebte ihm nicht. »Auch du bist meinem Herzen lieb geworden,« fuhr sie, seine Hand haltend, leise fort, »zuerst am Abend in der Halle und dann an jedem Tag und Abend noch lieber, wenn ich in der Einsamkeit an dich dachte. Denn einsam lebte ich im Hause unter den Buchen und nur selten vernahm ich ein Freundeswort. Der Bruder ist unbändig, meinen Vater sah ich wenig und er ängstigt mich durch wilde Reden und durch die Sorge, die ich um seine Seele habe. Da, wenn ich allein saß, schaute ich dein lachendes Antlitz vor mir und ich sprach vertraulich zu dir als zu meinem lieben Gesellen. Und ich dachte auch an dich, wenn die Amsel in ihrem schwarzen Kleide schlug, denn im schwarzen Schülerkleide saßest du neben mir; und ich dachte zuweilen auch an dich, wenn ich längs dem Weiher ging, wo die Quaker so lustig schrien. Das darf dich nicht verdrießen,« und ein flüchtiges Lächeln zog über ihr unschuldiges Gesicht. »Jetzt aber soll ich dein gedenken, wenn die Grauwölfe nach Raub heulen und wenn die Geier über mir in der Luft schweben. Wie vermag ich Gutes für dich und mich zu hoffen, da du das Glück erst vom Schlachtfelde holen willst. Immo,« rief sie angstvoll, »wenn du auf die Kampfheide ziehst, so weiß ich nicht mehr, ob du an der Seite meines Vaters kämpfen wirst oder gegen ihn; denn der Vater« -- sie hielt inne und legte ihre Wange auf seine Hand. »Ich weiß, was mir deine Lippe verbirgt,« antwortete Immo, »ich aber gehe zum Könige, denn ich höre, er ist in der Not.« Da drückte sie krampfhaft seine Hand und weinte wieder darauf. »Leidvoll ist für uns beide, Hildegard, daß ich zum König halte, obwohl dein Vater ihn meiden wird?« Die Jungfrau sah ihn mit großen Augen an. »Du wirst tun, was dir dein redliches Herz gebietet. Wenn ich auch traure, denke nicht, daß ich dich bei dem Vater festhalten will.« »So spricht mein guter Geselle,« rief Immo froh und neigte das Haupt wieder zu ihr herab. »Den hohen Engeln vertraue ich, deren Segen du mir gesendet hast, daß sie uns beide wieder zueinander führen. Dich aber flehe ich an, wenn ein fahrender Spielmann vor dir singt, so wende dich nicht ab, wie die Klosterfrauen zuweilen tun, sondern spende ihm etwas und sprich dabei die Worte: »auch für dich fliegt ein Engel,« dann freut er sich und sagt dir vielleicht Kunde von mir. Und hast du eine Botschaft für mich, so gib sie mit denselben Worten einem Fahrenden, daß er sie ins Lager des Königs zu seinem Gesellen Wizzelin trage. Diesen kenne ich als einen treuen Mann, obgleich er ohne Ehre lebt. Das versprich, Geliebte, mir aber gib den Scheidegruß.« Die Jungfrau hob sich zu ihm empor und hielt ihre Hand über sein Haupt: »Du denke mein, wenn du allein bist und zuweilen auch unter den wilden Helden, und vor allem im Abendlicht, wenn du die grünen Blätter über dir siehst, wie jetzt, und immer -- und immer.« Sie warf die Hände um seinen Hals und küßte ihn herzlich. Er aber hielt sie fest; und das Geschwirr der Grillen übertönte leise Worte, Seufzer und Küsse der Liebenden. Noch einmal umschlang sein Arm die Weinende, dann verschwand er im grünen Laubdach. Hildegard saß wieder auf dem Stein und lauschte; die Zweige rauschten und knickten hinter ihr, dann wurde es still. Noch immer malte die Abendsonne das Baumlaub mit rötlichem Gold, die Grillen und Vögel im Wipfel schwirrten und schrien und die blauen Glockenblumen standen so lustig wie vorher. Aber das Mädchen sah ernsthaft in eine fremde Welt, das Kind war unter der Sommerlinde zur Braut geworden. * * * * * Auf einem Hügel im bayrischen Frankenlande, der weite Aussicht bot, saß zwei Tage später ein fremder Krieger am Zaun eines einsamen Bauernhofes. Er trug die gewöhnliche Rüstung eines Reisigen, hatte den Helm neben sich auf die Bank gelegt, schnitt mit seinem Dolch in ein großes Schwarzbrot und verzehrte behaglich die Bissen. Daß der Kriegsmann einen Wachtposten befehligte, war leicht zu erkennen. Denn aus dem Hofe vernahm man das Schnauben und den Hufschlag von Pferden, welche dort geborgen waren; zur Seite hielt in Entfernung eines Pfeilschusses ein gepanzerter Reiter auf schwerem Kriegsroß, unbeweglich das Antlitz nach Norden gewandt, und weiter vorwärts standen im Halbkreise hinter Büschen und am Rande der nächsten Höhen berittene Späher; wo den Rossen auf der Höhe die Deckung fehlte, waren sie in Senkungen des Bodens zurückgeführt, während ihre Reiter hinter Steinen oder im Grase versteckt lagen. Auch der Befehlende auf der Bank unterbrach zuweilen seine Mahlzeit, um in die Ferne zu schauen. Als einige Reiter heransprengten, erhob er sich ungeduldig. »Wen bringst du dort wider seinen Willen heran, Bernhard?« rief er dem Führer zu, als dieser am Fuß des Hügels hielt. »Es sind zwei wilde Knaben. Der eine gibt vor, das Lager zu suchen. Bote nennt er sich mit einem Brief an den Kanzler.« Der Kriegsmann winkte, Immo wurde zu Fuß durch zwei Bewaffnete den Hügel heraufgeführt. »Wer sendet dich mit dem Briefe?« frug der Gebietende, den Jüngling mit scharfem Blick musternd. »Frage den Kanzler, wenn du das wissen willst,« versetzte Immo. »In meiner Heimat lobt man den Boten nicht, der gegen Fremde von seiner Sendung schwatzt.« »Wo ist deine Heimat?« »Ein Thüring bin ich, und freundlichen Gruß habe ich von den Mannen König Heinrichs gehofft, denn Schwertgenosse will ich ihnen werden gegen den Markgrafen.« »Schlägt dein Arm so scharf als deine Zunge behende ist, so mag der König dich wohl gebrauchen,« versetzte der andere gleichgültig, »doch damit wir sehen, ob du die Wahrheit sprichst, so weise uns den Brief.« »Das denke ich nicht zu tun,« entgegnete Immo unwillig, »mein Auftrag lautet, den Brief dem Kanzler in seine eigene Hand zu geben; dich aber ersuche ich um Geleit, damit ich ihn finde.« »Ich will den Brief sehen,« wiederholte der Kriegsmann seinem Wächter. Dieser winkte den Kriegern und faßte den Arm Immos, aber der Starke entwand sich ihm, sprang zur Seite und zog sein Schwert. »Wer mir das Pergament entreißt, den mache ich zum toten Mann,« rief er zornig. Auch Bernhard zog sein Schwert. »Auf ihn, schlagt den Frechen nieder.« »Halt,« rief der Befehlshaber, »bergt das Eisen, auch du, Fremdling. Ich fordere von dir, daß du mir den Brief zeigst, ich gelobe dir, daß ich ihn zurückgebe und dich, wenn du willst, zu dem Kanzler geleiten lasse.« Er faßte an den Knopf seines Schwertes, Immo gab dem ruhigen Befehl zögernd nach. Er zog eine kleine Tasche hervor, die er an einem Riemen unter dem Gewande trug, und hielt ein geschlossenes Pergament in die Höhe. »Gib her, damit ich sehe, ob es ein Brief ist.« »Schwerlich wirst du die Aufschrift zu lesen vermögen, auch wenn du der Buchstaben kundig bist, denn die Außenseite ist leer.« »Du bist ein Bote aus Herolfsfeld,« rief der Kriegsmann, das Siegel betrachtend und seine Augen blickten scharf nach dem Jüngling. »Haltet ihn fest.« Er löste das Siegel, entfaltete den Brief und las, während Immo heftig gegen seine Wächter rang. »Tut ihm nichts zuleide,« rief er, »es ist Immo, Sohn des Helden Irmfried, und guten Empfang hat er im Lager des Königs zu erwarten. Halt Ruhe, du Wilder,« setzte er halb lächelnd, halb unwillig hinzu, als er sah, daß Immo seine Bändiger bewältigte und den Helden Bernhard wie einen Klotz auf den Rasen warf. »Der Kanzler hat mir das Recht gegeben, solche Briefe zu lesen; du aber freue dich des Zufalls, denn er mag dir eher zum Heil als zum Schaden sein.« »Wer aber bist du?« versetzte Immo in hellem Zorn, »bei St. Wigbert, wenn du nicht König Heinrich selbst bist, so hast du grobe Ungebühr geübt an Herrn Bernheri, an dem Kanzler und an mir und du sollst mir's mit dem Schwert bezahlen.« »Da ich hierzu keine Lust habe,« antwortete der Kriegsmann ruhig, »so denke, daß ich der König bin,« und als er in dem ehrlichen Gesicht des Jünglings ein maßloses Erstaunen erkannte, welches seltsam gegen die zornige Gebärde abstach, fuhr er lachend fort: »ob ich's bin oder nicht, das soll dich jetzt nicht kümmern, frage nicht nach meinem Namen, du wirst ihn wohl später erfahren, begnüge dich damit, daß ich dir wohlgesinnt bin und daß ich das Beste mit dir teilen will, was ich habe.« Er wies auf das schwarze Brot und ein Tongefäß mit Wasser, welches dabei stand. »Setze dich zu mir wie ein Krieger zum andern, nachdem du deinen Brief wieder geborgen hast, und beantworte mir die Fragen, die ich dir tue.« Immo starrte immer noch erstaunt auf den Fremden, im Anfang war er ihm nicht ansehnlich erschienen, jetzt sah er einen Mann vor sich, der etwa zehn Jahre älter war als er selbst, das Gesicht war hager und bleich, aber zwei gescheite Augen standen darin, deren Ausdruck schnell wechselte, und den beweglichen Mund umzogen kleine Falten, so daß der Fremde fast aussah wie Vater Heriger, welcher der beste Vorleser im Kloster war. Immo beugte sein Knie, um den König zu ehren, aber der Kriegsmann machte ein schnelles Zeichen mit der Hand. »Bei Wasser und Brot spare den Königsgruß, bis du König Heinrich in seiner Würde siehst, setze dich zu mir und gib mir Antwort. Doch vorher muß ich dich diesen Helden versöhnen. Faßt an eure Schwerter und gelobt einander keinen Groll zu tragen und den Schwingkampf auf dem Rasen nicht zu rächen.« Das taten die Männer und reichten mit geröteten Gesichtern einander die Hände. »Und jetzt, Immo, verkünde mir, wie kommt es, daß du aus der übelgesinnten Burg der Wigbertmönche zu König Heinrich reitest; denn die Leute sagen, daß ihm das Glück nicht hold ist.« »Herr, wer ihr auch seid,« versetzte Immo, »da ihr gütig zu mir redet, so will ich euch alles bekennen. Noch vor wenig Wochen sorgte ich nicht sehr um den König und den Markgrafen, nur daß ich die Klosterregel ungern ertrug und mich nach dem Schwertamt meines Vaters sehnte. Seit ich aber über dem Tutilo die Geißel geschwungen hatte und schnell das Kloster verlassen mußte, rieten mir meine Gedanken, dem Könige zu folgen.« Als der Kriegsmann von den Geißelhieben des Tutilo vernahm, begann er laut zu lachen und schlug sich mit den Händen auf die Schenkel, so daß Immo ihn erstaunt ansah und die Ansicht erhielt, dies könne der König nicht sein. »Er hat den Babenberger mit seiner eigenen Waffe geschlagen,« rief der Lustige, »wahrlich, jetzt wundert mich nicht, daß dir im Kloster zu heiß wurde, denn du hast dir dort einen Todfeind gemacht.« »Es ist wohl ein Verwandter des Königs,« dachte Immo und schnitt mit größerer Ruhe in das Schwarzbrot, das ihm der andere hinschob. »Fahre fort,« sprach der Kriegsmann, »wie waren deine Gedanken, die dich zum König führten?« »Nun, Herr, ich dachte, wir sind doch fast in gleicher Lage. Denn auch von König Heinrich sagen sie, daß er zum Geistlichen bestimmt war, er aber hat sich das Schwert gewählt.« »Dafür gehört er zu dem Geschlecht, welches die Krone trägt,« versetzte der Kriegsmann, »du aber berätst dich übel, wenn du der Stola zu entrinnen suchst. Fehlt dir die Demut, um den Haarkranz eines Mönches zu tragen, so wisse, auch der Bischof reitet hoch zu Roß, er trägt sein Panzerhemd, und manchen sah ich in hartem Gedränge seine Streiche austeilen; Falken und Jagdhunde fehlen ihm nicht und für andern Zeitvertreib erhält er leicht Dispens. Dem Könige aber sind die Bischöfe, die er einsetzt, die treuesten Diener; sie sind die Gehilfen seiner Herrschaft, denn wenn sie auch Söhne haben, so folgen ihnen diese nicht auf dem Bischofsstuhl, und der König hat nicht nötig, die harten Nacken eines Geschlechtes zu beugen, welches seine Herrschaft widerwillig erträgt.« »Dennoch hörte ich im Kloster,« antwortete Immo bescheiden, »daß die Weltgeistlichen mehr um ihre eigene Herrschaft sorgen als um den Vorteil des Königs und daß sie ebenso begehrlich sind nach irdischem Gut wie die Mönche. Denn auch diese üben allzuwenig die fromme Sitte und sie werben und schleichen wegen Hufen und Burgen. Das habe ich selbst zu meinem Schaden erfahren.« »Haben sie auch dich schon um deiner Sünden willen geängstigt?« frug der andere lachend. »Ich weiß recht wohl, niemand versteht so gut als sie mit Kreuz und Bußpsalmen Land und Gut zu erkämpfen.« Doch ernsthafter fuhr er fort: »Heilige Männer sind die Mönche, und wir Sünder vermöchten ihr Gebet nicht zu entbehren, auch die Wohltaten nicht, welche sie dem Lande spenden. Sieh, wenn du es zu verstehen vermagst, überall wo sie gleich den Bienen ihre Waben füllen, bändigen sie den wilden Heidentrotz im Volke, lehren Kunst und schaffen große Werke. Zuweilen aber werden sie faul im Stock, wenn des Honigs zu viel ist, und wer es mit dem Lande wohl meint, muß ihnen dann den Honig nehmen, damit er andern nützt. Vielleicht sind die Söhne Wigberts in derselben Lage.« »Es ist doch der König selbst,« dachte Immo und ihm fuhren die Worte heraus: »So meinte auch Graf Gerhard, da er jetzt dem Wigbert die Wiesen genommen hat.« Die Haltung des Kriegsmanns wandelte sich plötzlich. »Was weißt du vom Grafen Gerhard?« frug er kurz. Zögernd berichtete Immo, was er die letzten Tage im Kloster erlebt hatte. Über das Gesicht des Kriegsmanns fuhr wieder ein Lächeln, während er mit Anteil zuhörte. »Wo weilt Graf Gerhard?« frug er, »vernahmst du etwas von ihm in den letzten Tagen?« Und als er merkte, daß Immo zu sprechen zögerte, fuhr ein scharfer Blick wie der eines Adlers auf den Jüngling: »Wenn du deine Treue für den König beweisen willst, so rede die Wahrheit. Wo kamst du über den Main?« »Ich möchte ungern etwas sagen, was dem Grafen zum Schaden gereichen kann,« versetzte Immo, »dennoch sehe ich, daß es sich nicht bergen läßt. Er lag mit seinem Haufen am Idisbach auf dem Wege nach dem Süden.« Der Krieger stand auf. »Gutes verkündest du, und du sollst den Dank genießen. Denn auf ihn harren wir hier. Wann sahest du sein Lager?« »Vorgestern abend ritt ich hinaus.« »Wohl, die Rechnung war genau. Dann können wir heute abend seine schnellen Reiter erwarten. Wie stark war sein Haufe?« »Mehr als hundert Rosse zählte ich. Dennoch, Herr, zürnt nicht, wenn ich Unsicheres sage, er lag auf den Wiesen, ob er aufgebrochen ist, weiß ich nicht.« »Was hast du, Jüngling?« frug der Kriegsmann befremdet. »Als ich wegritt, war gerade die Kunde gekommen, daß dem Könige der Schatz entführt ist; und darüber war großes Raunen und Umherlaufen im Lager.« Der Fremde trat vor Immo, sah ihm fest in das Gesicht, dann faßte er seine Hand mit eisernem Druck, führte ihn einige Schritt zur Seite und frug leise: »Du meinst, er zögert deshalb zu kommen?« »Ich weiß nichts Sicheres, Herr,« versetzte Immo. »Deine Meinung will ich hören, Jüngling, sprich die Wahrheit, wenn dir dein Leben lieb ist, denn du stehst vor deinem König.« Immo warf sich auf die Knie. »Heil sei meinem Herrn!« rief er. Doch der König winkte ihm ungeduldig aufzustehen. »Antworte!« »Laßt mich's nicht entgelten, Herr, wenn ich Unwillkommenes verkünde. Sie sprachen davon, auf dem Idisberg ein Lager zu schanzen und im Morgengrau sah ich Boten reiten nach der Böhmer Grenze, wo, wie sie sagen, die besten Burgen des Markgrafen sind.« Der König wandte sich ab und sah finster vor sich nieder. »Der Graf fängt früh an wie ein großer Herr zu handeln. Wer hundert Rosse ins Feld führt, der ist noch nicht vornehm genug, um den König zu verraten,« rief er bitter. »Sendet dein Geschlecht dich allein?« frug er argwöhnisch. »Ich führe dreißig leichtbewaffnete Knaben herzu, sichere Bogenschützen aus dem Walde. Ich ließ sie im Versteck zurück mit einem schwer verwundeten Kaufmann, den wir auf unserm Wege fanden; ihn hatten Räuber gefällt, als er zum Lager des Herrn Königs ritt.« Der König fuhr in die Höhe. »Wie heißt der Kaufmann?« »Es ist Heriman aus Erfurt, ein ansehnlicher Burgmann. Da er vielen von uns wohlbekannt ist, wollten wir ihn nicht zurücklassen.« »Wahrlich,« rief der König, »als ein Unglücksbote kommst du. Ist der Wunde beraubt?« »Sein Knecht lag erschlagen, Roß und Warenballen waren entführt.« Der König winkte schnell mit der Hand, daß Immo zurücktreten sollte. Dieser eilte den Hügel hinab zu den Leibwächtern, bei denen Brunico die Pferde hielt, und er sah aus der Ferne, daß der König auf dem Schemel gebeugt sein Haupt in die Hand stützte. Auf einen Ruf Heinrichs ritt von der andern Seite der große Kriegsmann herzu, welcher den ausgestellten Wachen gebot. »Graf Gerhard hemmt seine Reise,« rief dem Absteigenden der König entgegen, »er wird sich mit dem Babenberger vereinen, und Heriman liegt beraubt am Boden.« »Oft warnte ich den König,« antwortete der Vertraute, »der Treue des Wolfes Gerhard zu vertrauen, er nimmt seine Beute, wo er sie findet.« »Er raubt wie die andern,« fuhr Heinrich fort, »er ist nicht schlechter als seinesgleichen und schleicht vorsichtig durch die Täler.« »Seine kleine Schar wird der König ohne Schaden entbehren.« »Nicht die Schilde, welche er von uns abführt, betraure ich; aber gerade, daß er kein Held ist, der Kühnes wagt, sondern ein Mann wie andere Edle auch, das schlägt mir die Wunde. Denn wie er, werden viele handeln. Wahrlich, es steht schlecht mit der Sache des Königs, wenn diese Art Raubtiere von seinem Pfade weicht.« »Auch hat Graf Gerhard sich bereits vorweg genommen, was ihm der König als Lohn versprochen hatte,« begann der große Krieger kalt, »und ihm fehlte der Grund, den andere Empörer vorgeben, daß der König zuerst ihnen ein Gelöbnis gebrochen habe.« Heinrich fuhr auf wie von einer Natter gestochen. »Unleidlich ist dein Trost,« antwortete er scheu, »willst auch du zu meinem Bruder und zu dem Babenberger hinüberreiten, daß du mich in dieser Stunde einen Treulosen nennst und zu einem Gesellen des Grafen Gerhard machst?« »Ich habe mich dir gelobt, König, und ich denke meinen Eid zu halten, obgleich auch ich zu denen gehöre, die du als Raubtiere schmähst. Aber die Wahrheit berge ich dir nicht, das hast du oft erfahren. Ich stand dabei, als der König dem Markgrafen bayrisches Land versprach, damit das Geschlecht der Babenberger dem König zum Throne helfe. Und ich hörte wieder, daß der König auch seinem eigenen Bruder die Herzogswürde in demselben Bayern verhieß. Jetzt schreien beide durch das Land, daß Heinrich ihnen das Wort gebrochen habe. Befiehl mir, sie im Kampfe zu erlegen, und du weißt, ich werde es tun, wenn ich es vermag. Aber wundere dich nicht, wenn jene beiden von vielen gelobt werden, weil sie ihr Anrecht gegen dich mit den Waffen suchen.« Der König nahm die kühne Rede schweigend auf und saß wie getroffen von der Vergeltung, endlich hob er das Haupt und begann: »Da ich König wurde, dachte ich besser von den deutschen Edlen. Aber in dem ersten Jahre habe ich sie erkannt. Jedermann hüte sich zu versprechen, was er nicht zu halten vermag, und zumeist hüte sich, wer die Krone trägt. Doch glaube mir, Geselle, keinem wird schwerer auf seinem Worte festzustehen, als dem Könige, wenn er ein Löwe bleiben will in dem Reich gefräßiger Tiere. Niemand weiß es und niemand glaubt es, wie dem König sein verpfändetes Wort und sein redlicher Wille zu einer Todesgefahr wird in späteren Tagen. Durch die Treue, die er andern erweist, schafft er sich Untreue. Wer heute sein Freund ist, wächst morgen, sobald er Gut und Gabe erhalten hat, zu seinem Gegner. Jeder begehrt Macht und je größer seine Macht wird, desto höher steigt seine Begehrlichkeit. Wahrlich, wie ein verächtlicher Tänzer schwankt der König auf dem Seil, und die Arme, welche er ausstrecken muß, um das Gleichgewicht zu bewahren, heißen List und Gewalt. Jammervoll wäre seine Aussicht nach dem Tode, wenn ihm nicht gelänge, den Himmelsherrn wieder zu versöhnen durch Demut und fromme Werke. Daß Gutes aus dem Übel komme, das ist des Königs geheimer Trost.« Er stützte das Haupt in die Hand und sah traurig vor sich nieder. Ein Reiter jagte heran, ein zweiter und dritter. »Sieh auf, König,« rief sein Begleiter, »dort hinten blinken die Speereisen in der Sonne, Krieger sind es des Gerhard oder der Babenberger, deine Wächter fahren nach rückwärts. Führt die Rosse her,« gebot er. »Hoffen die Toren zum zweitenmal einen Schatz zu fangen? Sie sollen nichts gewinnen als harte Schläge.« Auf die Ruhe in der Landschaft folgte wilde Bewegung, die flüchtigen Reiter sammelten sich vor dem Könige, am Hoftor stampften die herausgeführten Pferde, der König beobachtete noch immer einen Trupp Feinde, welcher die Wurfspeere schwenkend, heranjagte. »Geringe Ehre wäre es für den König, mitzukämpfen,« mahnte der Vertraute. Heinrich nickte gleichmütig und schwang sich auf sein Roß, während aus der Ferne gellender Kriegsruf erscholl. Immo sah mit pochendem Herzen und strahlenden Augen auf den Feind, er band sich den Eisenhut fest, rückte den Schild am Arme zurecht, wirbelte den Speer und wollte zu den Wachen sprengen, welche sich gegen den Feind ordneten. Da fiel eine Hand schwer in die Zügel seines Pferdes, neben ihm hielt der große Kriegsmann, ein glühender Blick aus Augen, die er wohl kannte, bannte ihn fest und eine Stimme, deren Ton ihm tief in das Herz drang, befahl: »Zurück!« »Mein Oheim Gundomar!« rief der überraschte Jüngling und trieb unwillkürlich sein Pferd mit einem Sprung zur Seite. »Es ist mein erster Kampf, wie darf ich umwenden?« »Wohl hättest du verdient, daß jene dort dich schnell auf den Rasen legen. Dennoch gehorche, Knabe!« und der Oheim riß ihm das Pferd herum, schlug es mit der Speerstange und beide stoben nebeneinander hinter dem Könige her, der mit wenigen Begleitern flüchtig voranritt. Immo fuhr dahin wie im Traum, zuweilen sah er verstohlen auf die düstre Gestalt des gewaltigen Reiters, der an seiner Seite jagte. »Wende dein Haupt nicht rückwärts,« befahl Gundomar kurz, »achte auf den Zügel, dein Pferd hat heut mehr Meilen gemacht als dir frommen wird, und jene folgen auf auserwählten Rossen.« »Mich kränkt's, Oheim, daß ich davonreite.« »Ich meine, andere kränkst du, daß du im Felde reitest,« klang es von dem andern Rosse zurück und weiter ging es Hügel hinauf und hinab. Die Sonne brannte, die Luft wehte scharf an die Wangen. Immo hörte hinter sich Rosse schnauben und sah den Hauptmann, mit dem er gerungen hatte, blutend und staubbedeckt an der Seite seines Oheims. Dieser wies auf die Niederung vor ihnen, durch welche ein Bach mit Erlen und Weidengebüsch umwachsen dahinrann. »Du kennst die Furt, sammle dahinter die noch schlagen können und stelle dich noch einmal gegen die Feinde, wollen sie durchschwimmen, so finden sie die Ufer steil, ihr reitet im Vorteil. Fahre wohl, Bernhard, wer übrig bleibt, sorge dafür, daß er seine Gesellen aus dem Fegfeuer löse, ich gedenke deiner Seele, tue mir dasselbe.« Er winkte mit der Hand, der Reiter blieb zurück; sie tauchten in das Wasser, der weiße Schaum hing sich an ihre Kleider. Der Oheim riß das Roß des Neffen an wegsamer Stelle das steile Ufer hinauf und wieder ging es vorwärts in gestrecktem Lauf. Hinter ihnen klang stärker der Ruf der Verfolger, darauf ein Gegenschrei der Königsmannen und Getöse des Kampfes. Als sie wieder eine Anhöhe erreicht hatten, sah Held Gundomar nach rückwärts, Freund und Feind jagten wild gemengt in geringer Entfernung nach, vor ihnen durchritt der König die Furt eines andern Baches, weiter vorn hob sich ein steiler Berghang mit dichtem Fichtenholz bewachsen. »Hinter dem Harzwald findet er Rettung,« sagte der Ohm zu sich selbst und ritt voran in den Bach. Am andern Ufer gebot er: »Nur wenige Verfolger sind dem Haufen voran, mache die Kehre zum Anlauf.« Er wandte sein mächtiges Streitroß im Bogen und fuhr von der Höhe herab den Feinden entgegen, welche aus dem Bach auftauchten. Behend folgte Immo seinem Beispiel. Als er den feindlichen Reitern entgegenritt, ergriff ihn der Kampfzorn seines Geschlechtes, er hörte seinen Oheim das Kyrie eleison mit schmetternder Stimme rufen, auch er rief sein Hara, und Roß und Reiter schlugen gegeneinander. Ihn umgab ein wilder Wirbel von Männern, welche aus dem Wasser emporrangen, von springenden Rossen und gehobenen Armen. Er warf seinen Speer und traf mit dem Schwert, die Streiche dröhnten von den Schilden und Helmkappen. In der geröteten Flut des Baches sah er sinkende Krieger und ledige Rosse, an seiner Seite fand er den treuen Brunico wacker dreinschlagend mit blutigem Haupte. Und er vernahm wieder die donnernde Stimme seines Oheims: »Wendet nach rückwärts!« Da tauchte er schnell zu Boden, riß dem Manne, den er gefällt hatte, seinen Speer aus der Wunde, und die geborgene Waffe mit Jauchzen über dem Haupt schwenkend, sprengte er hinter dem Oheim die Berglehne aufwärts, bis zu einer Stelle, wo ein Hohlweg den steilen Abhang durchschnitt. Dort stieg Gundomar ab und gebot ihm durch eine Handbewegung dasselbe zu tun, dem Brunico aber winkte er, die keuchenden Rosse weiter hinauf zu treiben. »Hierher habe ich dich geführt, weil du aus edlem Geschlecht bist, und hier ist das Tor, an dem du halten sollst, bis du fällst,« befahl der Oheim mit düsterer Miene, »denn Helden sehe ich gegen uns reiten und kein anderer Pfad führt zum König als über unsere Leiber. Stehe als erster in dem Wege. Nimmer meinte ich, daß die Heiligen mir zur Buße meiner Sünden auferlegen würden, dich zu rächen; doch heut will es das Schicksal so fügen.« Er trat auf einen Stein, wo seine mächtige Gestalt weit erkennbar ragte, und stellte den Schild an seinen Fuß. Aus der Tiefe sprengten feindliche Reiter. »Weiche abwärts, Graf Ernst,« rief Gundomar ihrem Führer entgegen, »fruchtlos war dein Jagdritt, mein Schild sperrt dir die Wildbahn.« Graf Ernst sprang vom Rosse und zuckte die Schildfessel am Arme zurecht. »Drei Zäune deiner Speerreiter habe ich durchbrochen, meinst du, daß der letzte mich aufhält? Behende versteht dein König zu fliehen, seine Helden haben gelernt mit den Beinen zu kämpfen, den Rücken bieten sie willig unseren Speeren.« »Vergebens suchst du mich zum Streite zu locken,« rief Gundomar entgegen. »Ich denke daran, daß wir einst in der Fremde Kampfgenossen wurden, als dein Schild den Tod von meinem Haupte abwehrte.« »Ich meide dich, solange ich andere Beute finde, tue du dasselbe,« rief der Babenberger. Er hielt den Schild über sein Haupt und sprang die Bergsteile wie ein Raubtier hinauf gegen Immo. Als dieser den gefürchteten Helden erkannte, den er einst im Kloster gesehen hatte, hob sich sein stolzer Mut, und er trat ihm entgegen. Die Speere der Helden flogen und beide hafteten in den Schilden. Sie zogen die Schwerter und tauschten blitzschnelle Schläge, daß die Funken an Helm und Schildrand sprühten. Erprobt war die Kraft des Grafen, aber der Arm Immos schlug stärker von der Höhe abwärts. Die Krieger, welche dem Grafen folgten, zauderten kurze Zeit und sahen auf den Kampf der beiden Helden, dann warfen sie sich gegen den andern Wächter des Bergtors und Gundomar rang gegen sie wie ein Eber gegen die Hunde. Mehr Feinde sprengten heran, auch gegen Immo rannte ein zweiter, ein dritter. Immo erhob seine ganze Kraft wider den Grafen zu wildem Sprunge, er schmetterte mit dem Schwert in den Helm und drückte den Schild gegen den Leib des Feindes, daß dieser wankte. Da traf ihm selbst ein geworfener Streitkolben das Haupt, so daß er zurückfuhr und auf den Weg sank. Aber in demselben Augenblick sprang Brunico über ihn und hielt seinen Schild den Markgräflichen entgegen; von der Höhe drang ein Trupp Reiter in den Hohlweg und aus dem Gewühl der Männer und Rosse vernahm Immo die scharfe Stimme des Königs: »Ergreift den Verräter.« Talab wogte der Kampf und aus der Tiefe erscholl freudiges Kampfgeschrei der Königlichen. Als Immo allein lag, fühlte er, daß ihn ein Fuß unsanft berührte und als er halb bewußtlos aufsah, glaubte er das Antlitz Gundomars über sich zu erkennen und zwei Augen, welche mit kaltem Haß auf ihn starrten; darnach verlor er die Besinnung. Der König hielt auf dem Wege, säuberte sein blutiges Schwert an den Haaren des Rosses und rief lachend Gundomar zu: »Der Bösewicht Ernst ist gefangen, und diesmal entgeht er schwerlich der Rache des Königs. Du aber sollst meine Geschwindigkeit loben, denn ich kam zur rechten Zeit, um dich herauszuhauen.« Er blickte auf den liegenden Immo. »In fröhlichem Jugendmut zog er heran, kurz war der Waffendienst des Treuen.« »Das Leben des Königs zu bewahren, tauschte er Schläge mit einem Helden. Sein Ausgang war rühmlicher, als er hoffen durfte,« versetzte Gundomar finster. Da rief Brunico, der auf dem Boden saß und das Haupt des Gefällten im Schoße hielt, unwillig: »Wenig frommt ihm der Unkenruf, kaltes Wasser wäre ihm dienlicher. Ich meine, er soll noch manches Jahr leben, andern zur Freude oder zum Ärger, je nachdem sie sind.« Der König beugte sich über den Liegenden. »Du sorge für ihn,« befahl er dem Knappen, »im Ring meiner Leibwache soll ihm das Lager bereitet werden.« Der Haufe ritt dem Lager zu, in seiner Mitte die schwertlosen Gefangenen. Auf einer Trage aus grünen Zweigen wurde Immo von Reisigen des Königs im Walde geborgen. Als er aus der Betäubung erwachte, fand er sich in einem Zelt auf weichem Lager unter den Händen des jüdischen Arztes, welchen der König gesandt hatte, mit lautem Heilruf begrüßt von seinem treuen Gespielen. Im Zelt des Königs mahnte Gundomar mit der Sorgfalt, welche einem vertrauten Diener wohl ansteht: »Heiß war der Tag auch für den König, und Ruhe wünsche ich ihm heut für Seele und Leib.« »Du freilich ruhst nach deinem Heldenwerk,« versetzte Heinrich, »du verbindest die Wunden, siehst in die Abendsonne und freust dich der Streiche, die du ausgeteilt. Der König aber setzt sich auf den Sorgenstuhl und beginnt die kleine Arbeit, welche ihr Helden verachtet. Führt den Reisigen des Thüring Immo herein.« Brunico wurde eingeführt, er trug den Kopf verbunden und neigte sich schwerfällig an der Tür. »Auch du hast dir erworben, was die Leute lieber an andern rühmen, als selbst nach Hause tragen,« begann der König und wies auf das blutige Tuch. »Die Eisenkappe hielt's nicht aus, der Schädel ertrug's,« versetzte Brunico zufrieden. »Wo liegt Heriman, der Goldschmied?« frug der König. »Auf unserm Karren, zwischen den Mehlsäcken.« »Wer ist bei ihm?« »Ich hoffe niemand, außer meinen Gesellen vom Moor und von den Bergen des Immo.« »Vermagst du den Heriman durch die Späher des Feindes hierher zu schaffen?« Brunico rechnete: »Von Mittag bis zur Vesper ruhig getrabt, von da bis zum Abend mit dem Herrn König wie die Hasen gelaufen, beträgt zusammen eine Tagfahrt südwärts. Dennoch habe ich Vertrauen, soweit man im Walde zurückschleichen kann, denn wir verstehen uns auf die Listen im Holze.« »Erzähle mir, wie du den Heriman fandest.« Brunico holte mehrmals Atem und wischte mit dem Ärmel an seinem Eisenhut, denn lange Rede war ihm unlieb. Endlich begann er: »Als mein Gespiele am Idisberg auf die Sommerlinde stieg, dachte ich, er könnte herunterfallen, denn diese Art Holz ist brüchig. Deshalb legte ich mich an die Mauer, ihm beizustehen.« »Was soll die Rede?« frug der König, »wer ist dein Gespiele?« »Derselbe Immo, welchen der Herr König kennt.« »Bist du nicht sein Dienstmann?« »Ein Freier bin ich aus dem Moor und freiwillig begleite ich ihn.« »Seltsamen Ritterbrauch übt man in deiner Heimat,« spottete der König zu Gundomar gewandt. »Weshalb stieg Held Immo auf die Linde?« »Weil etwas darunter war,« versetzte Brunico mit schlauem Augenzwinkern. »Schwert oder Spindel?« frug der König. »Spindel,« bestätigte Brunico. Der König nickte: »Daher die Schweigsamkeit des Jünglings.« »Wie ich so an der Mauer herumschlich, vernahm ich, daß die Fechter des Grafen in einem Erdloch miteinander zankten wegen der dreizölligen Wunden, welche der König an ihnen sehen will.« »Wie?« frug der König, »was habe ich mit den Fechtern des Grafen zu tun?« Aber Brunico, der froh war, jetzt aus seinem Gedächtnis die Rede eines andern herauszuholen, fuhr herzhaft fort: »Ich selbst vernahm, daß der Herr König die fahrenden Leute mißachtet, insbesondere die Weiber, welche im Tanzen ihr Gewand abwerfen. Ja, man sagt, daß ihm alle Weiber verleidet sind. Aber die Kämpfer beachtet er. Darum forderte Graf Gerhard, daß seine Fechter vor dem Könige kämpfen sollten, dagegen forderten wieder die Fechter eine Begabung. Als ich so über ihnen lag, hörte ich sie weiterhin von den Waren sprechen, welche sie für ihren Herrn von einem Kaufmann geraubt hatten. Das verkündete ich dem Helden Immo, als er sich zu mir fand; wir berechneten die Zeit und suchten die Spur der beiden Räuber; nicht lange, so fanden wir den Heriman, den mancher von uns kannte, Immo verband die Wunden, wie er im Kloster gelernt hatte, wir luden den Heriman auf unsern Wagen, brachen auf, sobald der Morgen graute und schlugen uns südwärts in die Wälder. Mein Gespiele Immo aber harrte mit einigen der schnellsten Knaben als Späher im lichten Holz, wohin sich Graf Gerhard wenden werde. Ich blieb unterdes bei den Karren und dem Heriman.« Der König nickte. »Du hast alles treulich berichtet. Sorge, Gundomar, daß Kundschafter ihn begleiten, die mit den Waldwegen Bescheid wissen.« Er winkte Entlassung, aber Brunico stand unbeweglich und glättete aufs neue an seinem Eisenhut. »Was begehrst du noch?« frug der König. Brunico überlegte. »Auch gibt es noch eine Geschichte von einem Bündel, welches mir Heriman für den Herrn König anvertraut hat.« Heinrich sprang auf und packte den Arm des Thürings. »Wo ist die Botschaft, wo ist das Bündel?« Brunico sah den König gekränkt an. »Behalten will ich's nicht.« Er wandte sich vom König ab und arbeitete mit den Händen längere Zeit innerhalb seines Panzerhemdes, endlich brachte er eine kleine Ledertasche heraus. »Sie soll für den Herrn König, aber mein Gespiele weiß noch nichts davon,« sagte er und sah zweifelnd auf die Tasche. Heinrich riß sie ihm aus der Hand, öffnete und rief Gundomar zu: »Die Briefe sind es aus Magdeburg und dem Sachsenland, lange ersehnt und glücklich geborgen. So ist doch unsere Fahrt gelungen und auch du hast die Stöße nicht vergebens erhalten. Laß mich allein und diesen nimm mit dir, er hat guten Botenlohn verdient.« Als die Nacht über dem Heerlager heraufstieg, Männer und Rosse ermüdet schliefen und die Lagerfeuer niedrig brannten, sah man noch immer im Zelt des Königs das brennende Licht und Schatten seiner Boten, welche herzu und hinaus eilten. 7. Vor der Festung. Im Ringe um das Königszelt wachten die Bogenschützen Immos; denn der König hatte, um die kleine Schar zu ehren, ihr neben seinen Bayern den Schutz des eigenen Leibes anvertraut. Zwei von ihnen hielten die Speerwache am Eingang des Zeltes, die andern saßen nach altem Brauch, den Bogen in der Hand, den Pfeil an der Senne, in weitem Kreise umher und wechselten nur kurze Worte mit gedämpfter Stimme. Immo stand nahe dem Zelt und schaute mit lebhaftem Anteil in das Tal vor seinen Füßen, auf die Mauern und Türme der großen Feste, von welcher das Banner des Babenbergers trotzig gegen das Königszelt wehte. Der Mauerring war vor alter Zeit durch Sorben oder Böhmen im verwüsteten Grenzland errichtet worden, und die Babenberger hatten ihn mit ihrer besten Kunst erhöht, so daß er jetzt die stärkste von allen Burgen des Markgrafen war. Darum hatte dieser seine Gemahlin, seine Kinder und Schätze darin geborgen, viele seiner besten Helden hineingesetzt und seinen eigenen Bruder als Befehlshaber. Gegen die Burg war der König wie ein Sturmwind hereingebrochen und hielt sie mit eisernem Griff umklammert. Seine Heerhaufen lagen unter ihren Bannern rings um den Bach, der in seinen Armen die Festung einschloß, die Hütten und Zelte füllten den Talrand und zogen sich an den Hügeln hinauf. Lange Züge von Gespannen führten Fichtenstämme aus den Wäldern heran, und Scharen von Zimmerleuten fügten das Holz zu hohen Türmen, von denen die Bogenschützen gegen die Verteidiger der Mauer kämpfen sollten. Hier und da ragte ein Sturmbock aus dem Haufen der Arbeiter, das Holzgerüst, in welchem an starker Kette ein mächtiger Baumstamm hing, der von hinten nach vorn geschwungen, auch festen Mauern das Gefüge zerbrach. Von allen Seiten scholl kriegerisches Getöse zu dem Schlag der Äxte und Hämmer. Hornruf trieb die Arbeiter zum gleichzeitigen Heben der Lasten und einzelne Heerhaufen zum Ausschwärmen oder zum Rückzug. Längs dem Wasser lagen hinter Holzschirmen oder in der Deckung, welche der Boden gab, behende Bogenschützen, welche ihre Pfeile nach jedem Haupt und Arm richteten, die sich über die Mauerbrüstung erhoben. Gegen die Schützen fuhren von oben geschleuderte Speere und Steine, zuweilen, wenn ein größerer Haufe näher herandrang, flog ein spitzer Baumpfahl oder ein Felsstück aus der Standschleuder des Turmes. Dann erscholl ein heller Warnungsruf und der Haufe stob auseinander, doch wer getroffen wurde, blieb zerschlagen am Boden. Immo trat schnell zurück und grüßte den Speer senkend, als der große Erzbischof Willigis von Mainz, der mächtigste Herr nach dem Könige, begleitet vom Kanzler, aus dem Zelte trat. »Oft sah ich Helden in der Blüte des Lebens niedergemäht vom Schwert der Feinde oder durch den Willen der Könige,« begann der Erzbischof, »und mir scheint, wer sich am herrlichsten erhebt, den wirft sein Geschick am tiefsten. Dennoch traure ich über den Fall des Ernst von Östreich, denn gleich einem wonnigen Frühlingstag erschien sein Leben dem Volke. Aber der König fühlt kein Erbarmen.« »Ihr kennt ja selbst unsern Herrn, ehrwürdiger Vater,« versetzte der Kanzler, »er ist mild, wenn er vertraut, aber wo er sich rächt, begehrt er die Vernichtung.« Der Erzbischof mahnte seinen Begleiter durch einen Blick auf Immo, zu schweigen, der Kanzler wandte sich grüßend an den Jüngling. »Du siehst, Held Immo, daß der Brief deines Abtes dir eine gute Stätte bereitet hat, ich freue mich, daß der König gegen dich huldvoll gesinnt ist. Auch ich habe wohl Günstiges zu ihm gesprochen, und wenn du eine Gelegenheit findest, mir gute Dienste zu tun, so hoffe ich, du wirst es an dir nicht fehlen lassen.« Das Zelt öffnete sich wieder, von Gundomar und Wächtern begleitet trat Graf Ernst in das Freie. Er hatte sein Todesurteil empfangen, aber er trug sein Haupt hoch und grüßte mit würdiger Haltung die geistlichen Herren. Da begegnete sein Auge dem Blick Immos, welcher ihn mit Bewunderung und Trauer betrachtete, schnell trat er auf ihn zu und begann: »Ich kenne dich wohl, Held, dein Schwertschlag war es, der mir die Kraft lähmte, wo ich ihrer am meisten bedurft hätte, und du bist es, der mein Haupt unter das Urteil eines strengen Richters gebeugt hat. Aber willig rühme ich heut, daß du mannhaft gegen mich gestanden hast. Es war ehrlicher Kampf, ohne Groll scheide ich auch von dir.« Und er bot ihm die Hand. Immo hielt die Hand fest und antwortete bewegt: »Oft, wenn ich von euren ruhmvollen Taten vernahm, dachte ich, daß es mein größtes Glück sein werde, dereinst im Schwertkampf an eurer Seite zu stehen. Jetzt rührt es mein Herz, daß es diese Waffe war, die euch im letzten Kampfe traf, und willig wollte ich die teure Ehre dahingeben, wenn ich euch dadurch retten könnte.« »Hilfe für mich ist nur noch beim Himmelsherrn,« versetzte der Graf mit einem Blick auf den Erzbischof, »dir aber mögen die Heiligen besseres Erdenglück zuteilen als ich empfing.« Mit gehaltenem Gruß wendete er sich ab. Gundomar aber begann unfreundlich gegen Immo: »Dem Helden stand wohl an, dich mit Worten zu ehren, dir aber rate ich zu bedenken, daß ein günstiger Schwertschlag noch keinen zum Helden gemacht hat.« »Ich traf so gut ich vermochte und denke dasselbe gegen jeden zu tun, der mir feindlich entgegentritt,« entgegnete Immo. »Auch der Grashalm steigt üppig empor, wenn ihn die warme Sonne bescheint, der erste Wetterregen schlägt ihn zu Boden,« spottete Gundomar. »Nicht eure Freundschaft hob mich empor, als ich auf dem Boden lag,« versetzte Immo. Als die beiden Helden einander gegenüberstanden, mit blitzenden Augen und geröteten Wangen, da sahen die Anwesenden mit Staunen, wie gleich sie einander in Antlitz und Gebärde waren, beide hochragende Gestalten mit breiter Stirne und starken Augenbrauen, mit gewölbter Brust und starken Gliedern; voller und heller ringelte sich das Haar Immos, in den dunkleren Locken Gundomars schimmerten einzelne Silberfäden, aber an Haltung und Gebärde glichen sie einander wie Brüder, ähnlich klang sogar der Ton ihrer Stimme. »Verzeiht, ehrwürdiger Vater,« wandte sich Gundomar zum Erzbischof, »daß leerer Wortwechsel in eurer Gegenwart laut wurde. Mir ist das Gemüt beschwert durch das Los eines edlen Waffengefährten.« »Leicht eifern die Helden gegeneinander,« versetzte der Erzbischof rücksichtsvoll, »auch wenn sie von einem Geschlechte sind. Bei der Not des einen denkt der andere doch, was seiner Ehre geziemt.« Während Immo den abwärts Schreitenden finster nachblickte, sah er vor sich zwei Zeigefinger übers Kreuz gelegt und hörte nahe an seinem Ohr die fragenden Worte: »~Es tu scolaris?~« Dies war der vertrauliche Gruß, woran die lateinischen Schüler im Lande einander erkannten, und der ihn so grüßte, war der König. Ehrerbietig trat er zurück und neigte die Waffe. »Ich höre, dein Oheim sähe dich lieber im Kloster als im Heerlager.« »Ich bin ihm verleidet,« antwortete Immo, »und ich sorge, daß sein übler Wille mir die Huld des Herrn Königs mindere.« »Das besorge nicht,« versetzte Heinrich trocken. »Zudem magst du wissen, daß Held Gundomar seine Feinde lieber ins Antlitz schlägt als hinterrücks angreift; und soll ich dir Gutes raten, so meide seine Nähe, wenn er die Brauen grimmig zusammenzieht, wie er manchmal tut. Doch ein anderer Held hat dir, wie ich vernahm, besseres Lob gespendet.« Er wies nach dem Wege, auf welchem Graf Ernst zwischen den Wächtern ging. »Gräme dich nicht, daß du den Spielleuten ihren Helden genommen hast; denn er ist einer von den Recken, welche durch das Lied müßiger Gesellen gefeiert werden, selten aber durch das Lob bedächtiger Männer. Sie werfen ihren Handschuh hierhin und dorthin und kämpfen wie Bären um eine hohle Nuß, unbekümmert, ob Land und Leute darüber zugrunde gehen. Darum gleicht auch ihr Ruhm der lodernden Schindel, welche beim Hausbrande fliegt, wie gerade der Wind sie treibt, bis sie am Boden flackert und in Finsternis verlöscht.« »Verzeiht, Herr,« versetzte Immo demütig, »wer unter dem Helme reitet, wie mag der den Stolz auf große Taten entbehren?« »Der Weise aber nennt eine Tat nicht darum groß, weil sie mit schwerer Lanze und starkem Arm vollbracht wird, sondern weil sie großen Nutzen bereitet. Vieles, was leise ins Ohr geraunt wurde, schuf besseren Segen, als der wildeste Sprung über die Heide.« »Dennoch verzeihe mir der König, wenn ich sage, wenige werden freudig das Schwert schwingen und in den Feind reiten, wenn ihnen nicht die Ehre, die sie gewinnen, der liebste Schatz auf Erden sein darf.« »Du denkst ganz wie die Laien,« schalt der König, »ich traute dir bessere Einsicht zu. Da du im Kloster warst, solltest du gelernt haben, daß es höhere Siege gibt, als mit Schild und Schwert, indem man die Seelen der Helden und der anderen begehrlichen Menschen bezwingt, damit man ein Herr wird über sie.« »Das ist das Amt des Königs,« antwortete Immo. »Ich habe gehört, daß der große Kaiser Karl, der König Etzel und andere gewaltige Herren, von denen die Sage kündet, sich ausdachten, was ihnen nützen könnte, und dann ihre Helden sandten, damit sie es vollbrächten, zu dem einen Werk die Klugen, zu dem andern die Starken; und daß sie jeden zu gebrauchen wußten, wozu er diente. Ich aber bin nur einer, der dem König mit seinem Schwerte dienen will. Und ich begehre die Ehre eines Helden, welche mir gebietet, meine Genossen lieb zu haben und mich an meinen Feinden blutig zu rächen. Ob die Rache auch zum Amt eines Königs gehört, das weiß ich nicht.« Heinrich sah ihn mit großen Augen an. »~Immo, tu es scolaris~. Du bist weit schlauer, als ich dachte. Was willst du mir zu verstehen geben? Fahre fort.« »Herr,« sprach Immo kühn, »als ich den Grafen Ernst abwärts führen sah, da fiel mir aufs Herz, ein hochgesinnter Held wie dieser vermöchte dem König wohl noch seine Treue durch gute Dienste zu erweisen. Denn sie sagen, daß er nur deshalb in Empörung und Unglück gekommen ist, weil er dem Hezilo als Anverwandter die Treue gehalten hat.« »Dem König aber hat er die Treue gebrochen,« rief Heinrich. »In Zukunft könnte er wohl dem König allein nützen, denn des Königs Würde versteht, wie man die Seelen der Helden und der anderen begehrlichen Menschen zwingt, damit sie gehorsam dienen.« »Hat St. Wigbert dir so gut die Zunge gelöst,« frug der König, »daß du sie gegen mich für einen Verräter zu gebrauchen wagst?« Immo beugte das Knie. »Mit dem Schülergruß wurde ich angerufen; habe ich zu dreist gesprochen, so möge die Gnade des Königs mir verzeihen.« Der König nickte. »Du hast recht und ich werde mich hüten, dir noch einmal das Fingerkreuz zu zeigen, damit du mir nicht wieder eine Lektion hersagst.« Und als Immo ihn bittend ansah, fuhr er mit Königsmiene fort: »Sei ruhig, Hauptmann, ich zürne dir nicht.« Reisige sprengten herauf, im Lager erhob sich Geschrei und Getümmel, ein donnernder Jubelruf wälzte sich von Haufen zu Haufen durch das ganze Heer. Unter dem Geleit einer reisigen Schar wurde ein langer Zug von Heerwagen und beladenen Lasttieren durch das Lager geführt und nahe dem Bach, den Belagerten sichtbar rund um die Festung bis zu der Höhe des Königs. Das war der Schatz, den der Held des Markgrafen gefangen und den der König zurückgewonnen hatte, nachdem er die Burg des Magano eingenommen. Jetzt wurde der Schatz im Triumph durch das Lager geführt, die Krieger zu trösten und die Feinde zu entmutigen. Die Augen des Königs leuchteten, als sie dem Zuge der Wagen folgten, und sich noch einmal zu Immo wendend, schloß er: »Suchst du gleich Ehre und nicht Gold, ich hoffe doch, es soll auch für dich etwas Glänzendes herausgehoben werden, wenn der König seine Treuen belohnt.« Er ging dem Erzbischof entgegen, welcher dem Zelte des Königs zuschritt. Als die Sonne sank, zog eine Schar breitschultriger Bayern mit Stiernacken und großen Häuptern heran, die Königswache zu halten. Immo wechselte mit dem Führer den Gruß, löste seine Knaben von ihren Plätzen und führte sie zu der Stelle des Lagers, wo sie sich aus Fichtenzweigen die leichten Hütten erbaut hatten. Während die Thüringe das Feuer anzündeten, um ihr Mahl zu bereiten, warf er selbst einen dunklen Mantel über, den Goldschmuck seiner Rüstung zu verdecken, vertauschte seinen Helm mit der leichten Eisenkappe eines Gefährten und eilte ins Freie. Rings um die Festung brannten die Lagerfeuer, zwischen den rötlichen Flammen und den weißen Rauchsäulen schritten die Krieger wie dunkle Schatten hin und her. Auch über der Festung schwebte eine rote Dampfwolke, welche verriet, daß die Belagerten nach den Gefahren des Tages für die ermüdeten Leiber sorgten. Immo durchschritt die letzten Lagerreihen der Königsmannen, beantwortete den Ruf der Wachen und trat in das offene Land, welches dunkel und still vor ihm lag. Nur an einer Stelle wirbelte weit abseits vom Lager ein feuriger Dampf, dessen Flamme in der Tiefe verborgen war. Dorthin eilte Immo. Von der Höhe blickte er über eine Erdsenkung, in welcher eine Anzahl Laubhütten und Zelte unordentlich durcheinander stand. Saitenspiel und Gesang und das Geschrei Trunkener tönten zu ihm herauf, Männer und Frauen glitten an den Feuern vorüber und schlüpften von einer Hütte in die andere. Dort war das Lager der fahrenden Leute, welche als Sänger und Fiedler, als Tänzer und Gaukler dem Heere folgten, um die Krieger in den müßigen Stunden zu ergötzen und ihren Anteil an der Beute zu gewinnen. Übel berüchtigt war die Stelle, denn die Wanderer, welche dort hausten, waren aller Ehre bar und wurden durch kein Recht geschützt, nur durch die Gunst mächtiger Helden, welche sie zu gewinnen wußten. Als Immo in das Gewirr der Hütten und der Feuerstellen eindrang, wurde der Lärm und das Gewühl lästig und er zog seinen Mantel dichter zusammen. Bezechte Krieger schrien ihn an, buntgekleidete Weiber boten ihm lustigen Gruß, ein riesiger Bär, der an einen Pfahl gebunden war, zerrte brüllend an seiner Kette, die Fiedel klang und das Sackrohr brummte; in einer Hütte schwang sich, umdrängt von einem Haufen Gewappneter, eine zierliche Dirne in hohen Sprüngen durch die Luft; in einer andern saß ein Spielmann, sang mit melodischem Tonfall ein Lied von den Taten vergangener Helden und riß dabei kräftig die Saiten der kleinen Harfe; neben einem großen Feuer sprang ein schlauäugiger Gesell umher, welcher schnurrige Lügengeschichten erzählte, und wenn die Zuhörer laut auflachten, mit dem Becher herumlief, damit man ihm Silberblech spende. Endlich kam Immo zu einem Zelt, welches inmitten der andern recht ansehnlich stand, mehrere gute Rosse waren daneben angepflöckt und darüber wehte ein Banner, auf dessen Tuch zwei gekreuzte Pfeile sichtbar wurden. In der Zelttür saß Wizzelin, ein kräftiger Mann von mittleren Jahren mit klugem Gesicht, er trug ein zierliches Gewand von zweierlei Tuch, die eine Hälfte rot, die andere grün, um den Hals eine Goldkette, am Armgelenk einen dicken Goldring. Er gebot dem Lager als Hauptmann und schlichtete gerade einen Streit zweier Genossen, welche zu beiden Seiten eines Esels standen. »Frei lief der Esel,« entschied er lachend, »und zu gleicher Zeit packte ihn Gozzo am Schwanz und Bezzo am Ohr, und jeder meint, daß darum der Esel ihm gehöre. Beide habt ihr Unrecht geübt, denn ihr habt einander ärgerlich gescholten, der Fahrende aber gewinnt nur durch Lachen sein Recht und seine Beute. Dem Esel vollends habt ihr die Ehre gekränkt, denn da er als Freier lief, hat er das Recht, sich seinen Herrn zu wählen.« Er wies auf einen Distelstrauch zur Seite. »Jeder von euch nehme eine Blüte des wehrhaften Krautes in die Hand, dann haltet beide die Fäuste vor den Helden: wessen Kraut er frißt, dem will er sich angeloben.« Die Männer lachten und nickten und Gozzo führte siegreich den Esel zu seiner Hütte. Jetzt erst erhob sich Wizzelin, der seither Immo nur durch einen Seitenblick begrüßt hatte; mit tiefer Verneigung führte er ihn in das Zelt, zündete einen langen Kienspan an, den er in den Boden steckte, und schloß den Eingang durch eine vorgezogene Decke. »Sprecht leise,« sagte er, »denn meine Kinder sind treu, aber neugierig. Viele Augen sehen nach dem stattlichen Helden und suchen die Geldtasche unter seinem Mantel.« »Sie öffnet sich gern für dich,« versetzte Immo darnach greifend. »Laßt noch,« riet Wizzelin, »ich will die Gabe erst verdienen. Auch für euch ersehne ich den Tag, wo die Kriegsbeute ausgeteilt wird und die Scharen der Helden heimwärts ziehen. Ich selbst werde froh sein, wenn ich wieder in die Höfe meiner Thüringe reite. Denn hier schwebt ein Geier über uns und unsicher schlagen wir mit den Flügeln.« »Doch merke ich, du hast auch hier Gunst gewonnen,« antwortete Immo lächelnd, »ich sah im Vorübergehen manchen ansehnlichen Kriegsmann in deinen Hütten.« »Einem aber sind wir Fahrende verhaßt,« bekannte Wizzelin zutraulich. »Kein Mönch ist so unhold gegen mein Volk, als der König; und wenn es auf meinen Willen ankäme, so wäre ich drüben beim Heere des Babenbergers, wo die Mehrzahl meiner Genossen weilt und weit besser geehrt wird.« »Willst du deine Kinder in den Mauern der Festung bergen? Ungern erträgt, wie ich höre, dein Volk die Not einer belagerten Burg.« »Vielleicht finden wir das Lager des Hezilo an einer anderen Stelle,« antwortete der Spielmann. »Weißt du, wo?« frug Immo schnell. Wizzelin schüttelte das Haupt. »Wir Friedlosen, Herr, singen und sagen nicht alles, was wir wissen und vergebens wäre es, aus uns herauszulocken, was wir nicht gestehen wollen. Eins aber sage ich euch: unser Lied wird den König Heinrich selten rühmen, und seit er das Urteil gefällt hat über den Grafen Ernst, ist das fahrende Volk ihm feind und der König mag sich vor der behenden Zunge meiner Kinder hüten wie ein Roß vor einem Schwarm Hornissen.« Und bedeutsam setzte er hinzu: »Auch der Held, welcher in seinem Heer Ehre gewinnt, mag sich hüten, ihm zu vertrauen, denn kalt und hart ist er wie Stahl.« »Ist dir der Markgraf lieber, wie kommt's, daß du bei uns lagerst und nicht beim Hezilo?« »Ihr selbst wißt einen Grund, daß ich hierher gesandt bin; andere behalte ich für mich. Auch der Spielmann denkt zuweilen, daß es sein Vorteil ist, dem Sieger zu folgen.« »Sei gelobt, Wizzelin, daß du für uns den Sieg hoffst,« rief Immo. »Noch ist er nicht erkämpft,« versetzte der Spielmann. »Hütet ihr euch nur, daß ihr euren Anteil daran nicht verschlaft.« Und leiser setzte er hinzu: »Soll ich euch Gutes raten, so wandelt morgen und an den nächsten Tagen im Grase, bevor die Sonne aufgeht; sammelt den Frühtau und streichet euch damit die Augen, er hilft, wie die Weisen sagen, zu scharfem Gesicht.« Immo überlegte die Worte, dann griff er schnell nach seiner Geldtasche. »Sage mir mehr, Wizzelin.« »Ich tue es nicht,« entgegnete der andere, »auch nicht, wenn ihr versucht, mir die Augen durch Goldblech zu blenden.« Er schob den Vorhang zurück und blies auf einer kleinen Querpfeife einige schrille Töne ins Freie, gleich darauf vernahm Immo dasselbe Zeichen an mehreren Stellen des Lagers. »Weshalb ihr kommt, weiß ich, ohne daß ihr mir's sagt,« setzte Wizzelin ernsthaft die Unterredung fort, »den Gruß, welchen ich euch im Kloster lehrte, hat mir noch keines meiner Kinder zugetragen. Darum ist meine Meinung, daß euer Geselle, dessen Botschaft ihr erwartet, nirgends weilt, wo der Wind über die Halme weht und ein Baum Schatten auf die Flur wirft, sondern umschlossen von Stein und Speereisen.« »Du meinst in einer Burg des Hezilo?« »Auch in den Burgen ziehen meine Kinder ein und aus. Wenn aber eine Mauer vom Feinde umringt ist, so wird ihnen das Fahren gehemmt.« »Sie ist in der Festung, die wir belagern,« rief Immo erschrocken. Wizzelin lachte. »Ihr werdet euch behender auf die Mauer schwingen, wenn ihr das hofft.« Als er aber den Schrecken im Gesicht des Jünglings sah, fuhr er begütigend fort: »Meinung ist nicht Gewißheit; harret, vielleicht kommt noch ein Bote für euch. Das wollte ich euch sagen. Und jetzt öffnet die Tasche und gebt mir meinen Sold, denn jetzt werdet ihr die Stücke nicht zählen.« Immo reichte dem Spielmann die Geldtasche. »Nimm; mir laß nur, daß ich nicht ganz leer bin, bis ich die nächsten Beuterosse gewinne.« Wizzelin schüttete sich die Hand voll Silber und senkte sie behende in sein Gewand. »Ich habe geteilt,« sagte er die Tasche zurückgebend. »Was ich euch ließ, hole ich mir mit anderen, wenn ihr euren Anteil an der Siegesbeute empfangt. Vergeßt den Mann nicht, ihr mögt ihn noch heut im Morgentau brauchen. Ich selbst begleite euch bis an die Grenze meines Landes.« »Dein Land ist überall, wo Menschen unserer Sprache wohnen,« antwortete ihm Immo zunickend. »Wo ist die Grenze?« »Wo dies Sandloch aufhört,« versetzte Wizzelin, »und wer weiß, wie lange.« Sie durchschritten eilig das Lager, die Feuer brannten wie vorher, aber um die Hütten war es stiller; die Tänzerin war verschwunden, der Lügenerzähler saß allein und packte über einem Bündel, nur wenige Kriegsleute saßen und lungerten noch an den Zelten. Doch um die Karren, welche am Abhang in der Reihe standen, bewegten sich geschäftige Gestalten und im Aufsteigen sah Immo, daß der Esel, welcher sich den Gozzo zum Herrn gewählt hatte, an einen Karren geschirrt wurde. Immo, dem die Angst um das Schicksal der Geliebten das Herz beklemmte, begann, auf die bespannten Wagen weisend: »Wie ein Wanderer in der Wildnis bin ich, dem sein Roß davonläuft. Wann sehe ich dich wieder, Wizzelin?« »Frage die Wolken und den Wind, wohin sie schweifen, aber nicht einen Fahrenden,« versetzte der Spielmann lachend. Er neigte sich vor Immo und tauchte zurück, im nächsten Augenblick tönte wieder die scharfe Querpfeife. Auf dem Wege hielt Immo an und mühte sich, aus dem Feuerkranz, der um die Festung loderte, die Lager der einzelnen Heerhaufen zu erkennen. In weiter Entfernung war der Hügel, auf dem die königlichen Zelte standen, dort und jenseits der Festung lagen bayrische Haufen, weiter abwärts Schwaben, Mainzer und Fuldaer, gerade vor ihm Herzog Bernhard mit seinen Sachsen. Da nickte er zufrieden und wandte sich schnellfüßig dem sächsischen Lager zu. Bald unterschied er hinter der langen Reihe flammender Feuer die starken Heerwagen, welche die Sachsen zu einer Wagenburg zusammengestoßen hatten, um dahinter wie in einem Walle sorglos zu ruhen. Von den Wachen angerufen, wurde er auf sein Begehr zum Zelt des Herzogs geführt. Der Kämmerer kam unwirsch aus dem Zelte. »Wie mag ich meinen Herrn wecken?« antwortete er auf die Forderung Immos. »Jämmerlich ist Bier und Met in Bayerland, und mein Herr schöpft hier so üblen Nachttrunk, daß ich allen Heiligen danke, wenn er nur erst eingeschlafen ist.« »Ist das die Meinung, die du von deinem Herrn hegst, du grober Waldgötze,« rief eine tiefe Stimme aus dem hintern Zelt und ein Lederstrumpf kam gegen den Rücken des Kämmerers herausgeflogen. »Ich will wissen, wer da ist. Bist du es, Held Immo, so tritt herein.« Der Kämmerer öffnete den Vorhang, Immo erkannte beim matten Schein einer Lampe den Herrn, der mit einem Lodenmantel aus heimischer Wolle zugedeckt lag und das gutherzige Gesicht ihm fragend zuwandte. Er berichtete die Warnung, welche Wizzelin geraunt hatte, und den plötzlichen Aufbruch der fahrenden Leute. »Sie wären nicht von ihren Feuerstellen gewichen, wenn sie nicht besorgten, daß der Markgraf auf ihrer Seite angreifen wird.« »Schwerlich hat Hezilo die Spielleute zu seinen Vertrauten gemacht,« versetzte der Herzog kopfschüttelnd. »Und wenn er kommen will, so sind wir bereits da. Auch ist Hezilo ein Christ und ein ritterlicher Mann, der seinen Feind niemals anfallen wird, während die Unholde der Nacht durch die Lüfte fahren. Und wäre er, wie sein Vater war, so würde er uns auch Tag und Stunde vorher wissen lassen, obwohl wir die Stärkeren sind. Doch die jetzige Jugend mißachtet alte Bräuche, zumal wenn sie ihr beschwerlich sind. Darum war deine Sorge unnötig.« »Vielleicht liegt der Markgraf uns so nahe,« wandte Immo ein, »daß er nicht bei Nacht, aber beim ersten Morgenschein in das Lager einzubrechen vermag. Ihr selbst mögt ermessen, ob er im Vorteil kämpft, wenn er zu dieser Stunde an unsere Hütten dringt.« Der Herzog richtete sich mit halbem Leibe auf. »Wecken kann ich meine Sachsen nicht, denn wenn sie bei Tage mannhaft kämpfen, so haben sie dafür, sobald sie schlafen, ein solches Gottvertrauen, daß auch ein brüllender Löwe sie schwerlich in die Höhe brächte.« Er setzte gemächlich ein Bein auf den Boden und zog einen Lederstrumpf an. »Dennoch will ich ein übriges tun.« Er befahl, den Hauptmann seiner Leibwache zu rufen, forderte den zweiten Strumpf und schritt gewichtig im Zelte auf und ab. »Sobald die erste Lerche aufsteigt, sollen sie gerüstet bei den Rossen stehen.« Zuletzt warf er den Mantel um. »Komm ins Freie, Held, damit ich selbst zum Rechten sehe.« Sie schritten die Reihe der Wachen entlang, der Herzog prüfte mit scharfem Blick ihre Aufstellung und gab dem Hauptmann Befehle. »Sende sogleich behende Läufer zu den nächsten Scharen, aber vorsichtig, daß man aus der Ferne die Bewegung nicht merke. Auch die Nachbarn sollen sich rühren.« Und als der gute Herr alles vorsorglich bestellt hatte, sprach er zu Immo: »Gedenke auch du der Ruhe, ich mißtraue jedem Manne, der sein Lager gering achtet. Hast du uns Günstiges geraten, so soll dir's vergolten werden, bleibt's bei deinem guten Willen, so werde ich auch diesen dem König rühmen.« »Gern möchte ich mit dem kleinen Haufen meiner Genossen morgen früh in eurer Nähe sein,« versetzte Immo, »ich bitte, daß ihr mir's gestattet und mich beim König entschuldigt, wenn ich eigenwillig zu euch aufbreche.« »Deine Knaben sollen eine rühmliche Ecke meiner Holzburg bewachen,« entschied der Herzog, erfreut durch den Eifer, »du aber sollst unter meinen Helden reiten und in meiner Nähe hoffe ich dich zu finden.« Im ersten Morgengrau klangen bei den Sachsen die Alarmtöne, gleich darauf erhob sich wilder Lärm, die Rufer schrien, Pfeifen und Hörner gellten, das ganze Lager fuhr wie ein aufgescheuchter Ameisenhaufen durcheinander, bald sprangen ledige Rosse über das Feld und verwundete Helden wurden aus dem Gewühl getragen. Vom Sachsenlager her scholl immer wieder das Kriegsgeschrei der Angreifer und Verteidiger und das Dröhnen der feindlichen Äxte an den Bohlen der Wagenburg. Hin und her wogte der heiße Kampf, dreimal suchte der Markgraf den Lagerring in wildem Ansturm zu durchbrechen. Aber die Reiter des Herzogs brachen an jeder Stelle, welche gefährdet war, aus ihrer Burg, hemmten dreimal den Sturmlauf der Feinde und wehrten dem Durchbruch, bis der König selbst mit neuen Scharen herankam. Da wandten jene plötzlich ihre Rosse und verschwanden wie sie gekommen waren. Auch die Verfolgung, welche König Heinrich befahl, vermochte sie nicht zu erreichen. Als der Kampf vorüber war und Immo mit glühendem Antlitz sein schäumendes Roß zur Ruhe zwang, ritt Herzog Bernhard zu ihm und ihn vor allem Heere küssend, rief er: »Heute habe ich dich erkannt, wie du bist; die alte Treue zwischen Sachsen und Thüringen ist aufs neue bewährt, mir und meinen Helden bist du fortan ein Waffenbruder und ein lieber Genosse, so oft du es begehrst.« Und auch König Heinrich nickte dem glücklichen Immo mit freundlichem Lächeln zu, als er die Reihen der Krieger entlang ritt. Seit diesem Morgen wurde das Lager des Königs täglich beunruhigt, bald hier, bald dort suchte der Feind überraschend einzudringen; die leichten böhmischen Reiter, welche ihm zugezogen waren, warfen sich auf ihren behenden Pferden überall, wo der Boden die Annäherung begünstigte, gegen die Königsmannen; jeder Haufe, welcher Futter und Vieh aus der Umgegend herbeitreiben sollte, mußte die plötzlich auftauchenden Scharen des Markgrafen abwehren. Dieser aber fand in den Wäldern und Seitentälern der heimischen Landschaft sicheren Versteck. Auch die Belagerten rührten sich kräftig. Da sie von den hohen Türmen der Feste weit in das Land schauten, so drangen sie zu derselben Zeit, wo die Haufen des Markgrafen gegen die Belagerer ritten, mit ihrem Fußvolk aus den Toren, verbrannten ein Turmgerüst, welches gegen sie aufgerichtet war, warfen die Sturmböcke und führten die Ketten als Siegeszeichen nach der Stadt. Der König hielt beharrlich die Festung umschlossen, noch war er der Stärkere, aber er wußte wohl, daß die beste Hilfe, auf welche er zählen durfte, um ihn gesammelt war, während der Widerstand des Markgrafen die Unzufriedenen in allen Teilen des Reiches ermutigte und das kleine Heer des Feindes sich mit jedem Tage vergrößerte, nicht nur durch böhmische Reiter, auch durch Banner aus dem Norden. Deshalb ritten die Königsboten, meist geistliche Herren, nach allen Richtungen aus dem Lager, um den Zorn der Mißvergnügten durch Verheißungen zu stillen und die Verstärkung des Feindes zu hindern. Aber es wurde den Gesandten des Königs bereits schwer, durch die Reiter des Hezilo ins Freie zu dringen. An einem Abend, wo Immo mit seinen Knaben wieder die Königswache hielt, trat Herzog Bernhard zu ihm und begann vertraulich: »Der Markgraf kämpft gegen uns wie das Hündlein gegen den Igel, er springt bellend um uns herum, zuletzt versetzt er uns doch einen Biß ins Weiche. Es macht Sorge, das Heer zu ernähren und sorgenvoll wird auch der Lagerdienst.« Er wies nach dem Felde, wo an Stelle der Wachen zahlreiche gepanzerte Reiter in weiterer Entfernung aufgestellt waren. »Der König läßt unablässig nach dem Versteck des Markgrafen spähen, aber keinem unserer Läufer ist es gelungen, die Stelle zu erkunden. Vergebens hat der König auch nach fahrenden Leuten umhergefragt, dies ruhmlose Volk ist verschwunden, wurde einer auf dem Felde ergriffen, so schwieg er oder log, obgleich der Büttel ihn hart ängstigte.« »Dennoch sage ich dir, weder die Babenberger, noch wir andern haben geahnt, welch ein Kriegsherr König Heinrich ist, denn mit Weisheit erwägt er selbst Großes und Kleines.« Während der Herzog sprach, sprang Harald, der erste Heerrufer, aus dem Zelt des Königs und eilte den Hügel hinab, ihm folgten seine Genossen, sich schnell durch das Lager verteilend. »Sieh dorthin, Held Immo, der König ist müde, still zu kauern und er denkt selbst einen Sprung zu tun.« Am nächsten Morgen zogen beim ersten Hahnenschrei die reisigen Scharen des Königs von allen Seiten ins Freie, geräuschlos, in kleinen Haufen, ohne Feldzeichen, um sich außer Gesichtsweite der Festung zum Heere zu vereinigen. Dem König war gelungen, das schwer zugängliche Tal zu erkunden, in welchem der Markgraf sein Lager aufgeschlagen hatte. Zugleich rüsteten die Bogenschützen und die übrigen Haufen der Fußkämpfer einen Angriff gegen die Feste, ihnen hatte der König geboten: »Haltet gute Wache, indem ihr mit dem Ansturm droht und auf die Verteidigung denkt, hütet euch auch, ihr Helden, den Feind allzusehr zu bedrängen, damit er nicht ausbreche, um sich zu retten. Am liebsten werde ich euch belohnen, wenn ich das Lager so wiederfinde, wie ich es verlasse.« Auch Immo ritt unter den Wächtern des Königs, welche in der Schlacht vor seinem Leibe kämpften und ihm die Gasse öffneten, wenn er selbst einen erlauchten Helden bestreiten wollte. Mehr als eine halbe Tagefahrt zog die reisige Schar über Hügel und Tal, die Sonne schien heiß, die Panzerringe brannten durch Leder und Hemd auf die Haut und der Schweiß rieselte von den Flanken der Rosse. Aber der Zuruf des Königs trieb unablässig vorwärts, bald an der Spitze, bald am Ende des Zuges befeuerte er die Müden durch Scherzworte oder scharfen Tadel, er allein, den seine Feinde weichlich gescholten hatten, schien Sonnenbrand und Durst nicht zu fühlen. In der Glut des Mittags klomm die gepanzerte Schar eine steile Höhe hinan. Vielen wurde die Anstrengung unerträglich, Rosse und Reiter brachen zusammen, aber der König mahnte und trieb, wirbelte lustig den Wurfspeer, schalt und verhieß Belohnungen. Kurz vor der Höhe hielten die Müden zu kurzer Rast. Heinrich ordnete die Scharen in der Stille, auch lauter Rede wurde gewehrt. Dann hob er grüßend den Speer, die Posaunen und Hörner schmetterten und brüllten ihre wilden Weisen und in gestrecktem Lauf stob die Heerschar auf günstiger Bahn nach dem engen Tale, worin die Banner, die Zelte und Hütten des Hezilo standen. Es war die Tageszeit nach dem Mahle, wo die Markgräflichen am sorglosesten ruhten; kaum einer der Helden war mit seiner Rüstung bekleidet, auch die Rosse standen ungesattelt an ihren Seilen. Furchtbar tönte den Feinden das Kyrie eleison, der Schlachtruf des Königs, in die Ohren, nur die Tapfersten wagten dem Ansturm entgegen zu sprengen und das drohende Verderben aufzuhalten, sie wurden erschlagen oder verjagt, der Zaun des Lagers wurde durchbrochen, bevor der Widerstand sich daran sammelte; die Mehrzahl der Krieger gefangen, während sie nach den Waffen schrie. Der Markgraf selbst entrann mit einer kleinen Zahl seiner Getreuen. Als Immo in der ersten Reihe der Leibwächter den Hügel hinabritt, suchte sein scharfes Auge unter den feindlichen Bannern das Zeichen des Grafen Gerhard. Er sah es nicht, aber der erste Krieger, der gegen ihn anritt, war Egbert, ein Günstling des Grafen. Immos Speer warf den hochmütigen Dienstmann in das Gras und über den Gefallenen brach der wilde Strom vorwärts. Der Held fand sich vor dem König im Kampfe gegen Leibwächter des Markgrafen, er stieß, schlug und tat sein Bestes, aber mitten in dem blutigen Gedränge suchte er immer wieder nach dem Buchenreis, welches die Dienstmannen des Grafen an ihrer Rüstung zu tragen pflegten. Als der Schwall verrauscht war und der laute Gesang des Rufers die Helden zusammenlud, da sprengte er zurück zu der Stelle, wo er den Egbert getroffen, aber sein Speer hatte die Arbeit zu gut getan und er vermochte von dem Leblosen keine Kunde einzuholen. Er durchritt die Haufen der Gefangenen, aber auch dort fand er die Buchenzweige nicht und er holte mit Mühe die Kunde heraus, daß Mannen des Grafen unter den Flüchtigen entronnen waren. Nur die nötigste Rast verstattete der König den Siegern. Von allen Ecken ließ er das Lager in Brand stecken und achtete nicht auf das Murren seines Heeres, welches in den eroberten Hütten Ruhe und Beute gehofft hatte. Eilig ließ er die Gefangenen und die Beuterosse rückwärts treiben und brach wieder in Sonnenglut nach dem eigenen Lager auf, obgleich die ermatteten Sieger mürrisch in ihren Sätteln hingen, gleich geschlagenen Männern. Immo sah von der Höhe zurück auf das Tal, welches mit lodernden Flammen und einer ungeheuren Rauchwolke gefüllt war. Da hörte er wieder den treibenden Ruf des Königs, und Heinrich winkte an seiner Seite reitend ihm zu: »Ich sah dich mannhaft treffen, Held Immo, und mächtigen Staub aufregen ~quadrupedante putrem sonitu~, wie der Heide sagt. Herzog Bernhard,« rief er sich unterbrechend, »gibt es kein Mittel, aus diesem Schneckenritt herauszukommen?« Der Herzog sprengte an die Seite des Königs. »Mann und Roß werden die Glut des Tages lange fühlen.« »Das mögen sie später halten, wie es ihnen beliebt, heute aber brauche ich sie nicht auf dem Wege, sondern im Lager, und ich wollte, uns wäre die Heidenkunst erlaubt, einen Sturmwind zu beschwören, der das Heer in der Wolke dahintreibt.« Der Herzog schlug ein Kreuz. »Die Himmlischen gewähren zuweilen dem Bittenden Regen, auch dieser würde das Heer vorwärts treiben.« »Ich kann nicht frei atmen, Vetter,« fuhr der König leise fort, »bis ich das Lager gesichert sehe, denn wenn die in der Festung nicht verblendet sind, so mag unser Schade größer werden als der Gewinn.« »Reite voraus,« riet der Herzog. »Dann fallen diese ganz von den Pferden und legen sich auf die Heide,« versetzte der König. »Willst du meinen Sachsen deinen Wein und Met preisgeben, so will ich versuchen, ob ich sie noch vor Sonnenuntergang in die Wagenburg bringe.« »Von Herzen gern,« versetzte der König, »denn wenn wir heute einen Ausbruch des Feindes abwehren, so denke ich morgen den Krieg zu beenden.« Der Herzog befahl seiner Schar zu halten und ließ durch den Rufer verkünden, daß der ganze Tonnenvorrat des Königs noch heute derjenigen Schar als Ehrentrunk zugeteilt werden sollte, welche zuerst das Lager erreiche. Die Helden sahen einander mürrisch an, doch allmählich erschien ihnen der Vorschlag nicht verächtlich, sie lächelten ein wenig und die Rosse begannen zu traben. Als der Rufer den Bayern verkündete, daß die Sachsen um des Königs Wein davon ritten, ärgerten sich die Bayern, weil das Getränk aus ihrem Lande genommen war und ihnen zuerst gebührte, und ihre Rosse trabten ebenso. Die Sonne neigte sich dem Horizont zu, als Heinrich, der mit seiner Leibwache dem Heere die letzte Meile vorausgesprengt war, von der Höhe das Tal der Festung erblickte. Als er die Lagerstätten mit ihren wehenden Bannern unversehrt vor sich sah, da brach er in einen lauten Freudenruf aus und neigte sein Haupt, um das Gelübde, das er dem Himmel in der Sorge getan, mit dankbarem Herzen zu wiederholen. Wie er zum Lager hinabstieg, klang von der Seite Heermusik und eine Schar von Reitern und Fußvolk zog mit ihren Wagen ganz gemächlich dem Lager zu. Verwundert frug der König: »Wer sind diese, die so lustig am Feierabend reisen, nachdem die andern das Werk getan haben?« Immo ritt vor: »Es ist das rote Kreuz von St. Wigbert, Herr Bernheri sendet seine Mannen.« Da lachte der König: »So hat der Jagdspieß des Alten doch die Empörer gebändigt,« und der Schar entgegenreitend, rief er ihrem Führer Hugbald zu: »Als säumige Schnitter nahet ihr, die Halme sind gemäht. Dennoch seid willkommen zum letzten Sprunge um den Erntekranz.« Und als Immo seinen alten Genossen Hugbald begrüßte, sprach dieser: »Unser Herr Abt sendet dir seinen Segen und Dank für deine Mahnungen, die ihm die Spielleute zugetragen haben. Manchen Heiltrunk hat er dir zu Ehren getan. Jetzt hält er sich auf dem Berge gegen sein eigenes Kloster verschanzt. Doch hoffe ich, euer Sieg soll den Tutilo mit seinem ganzen Anhang austreiben.« Am nächsten Morgen ließ der König die Gefangenen rings um die Mauern führen, die Belagerten zu schrecken, und sandte seinen Rufer, die Übergabe der Festung zu fordern. Dem Geschlecht des Markgrafen und den Dienstmannen versprach er freien Abzug in das böhmische Land, bei längerem Widerstand drohte er mit Austilgung durch Feuer und Schwert. Die Helden der Burg saßen in sorgenvoller Beratung, die Bedächtigen rieten, besser sei es, etwas zu retten, als alles zu verlieren, denn reißendem Wasser und siegreicher Hand vermöge man schwer zu widerstehen, aber die meisten riefen, sie wollten lieber sterben, als die Mauern übergeben, solange ihr Herr noch in Freiheit lebe. Und sie weigerten zuletzt die Übergabe. Den ganzen Tag wurde verhandelt, der König aber beschloß, die Unschlüssigen am nächsten Morgen durch einen Angriff zu zwingen. Es war eine mondlose Sternennacht, Immo wachte mit seinen Knaben am Ufer des Baches, nur einen Pfeilschuß von der Festung entfernt. Wie Jäger im Bergwald lagen die Thüringe, ihre braunen Wollmäntel über der Rüstung, Bogen und Pfeil in der Hand, wo ein Strauch oder eine kleine Senkung des Bodens Deckung gab. Sie lauerten auf jedes Geräusch und jeden Schatten, der hinter dem Bach und an den Zinnen der Festung sichtbar wurde. Gerade vor ihnen erhob sich ein dicker, viereckiger Mauerturm, welcher aus der Fluchtlinie der Mauer nach dem Bach vorsprang, damit man aus ihm die anstürmenden Feinde von der Seite treffen konnte. Die rötliche Rauchwolke, welche jede Nacht über der Festung schwebte, sank tiefer, das Geräusch entfernter Stimmen verhallte; Mitternacht war vorüber und der graue Dämmerschein am Rande des Himmels rückte von Norden nach Osten. Da vernahm Immo neben sich das leise Gequake eines Frosches, das Zeichen, durch welches die Jäger einander mahnten; im nächsten Augenblick wand sich Brunico auf dem Boden zu ihm. »Sieh zur halben Höhe des Turmes. Es regt sich in der Luke, ich meine, dort ist ein Lebender zu merken, der graue Schatten sinkt langsam abwärts.« Gleich darauf klang es im Wasser: »Er watet oder schwimmt.« Immo gab das Zeichen, hier und da tauchte ein Haupt vom Boden, die Rohrpfeile flogen an die Sennen und die spähenden Blicke fuhren über jede Stelle des Ufers. Wieder rauschte es, der Leib eines Mannes hob sich über den Rand des Baches, vorsichtig schob er sich auf dem Boden vorwärts, gerade dem Versteck der Thüringe zu. Schon hatte er einen niedrigen Strauch erreicht und richtete sich hinter ihm auf der Lagerseite in die Höhe, um in das ferne Land zu blicken; da, als seine Gestalt über dem Grunde erkennbar wurde, klangen von beiden Seiten die Sennen und flogen die Pfeile gegen ihn. Der Mann stöhnte, neben ihm fuhr Brunico in die Höhe, nach kurzem Ringen trat der Knappe wieder an Immos Seite, und mit einer Gebärde des Abscheus sein Schwert einsteckend, brummte er, »es war Ringrank, der Fechter.« Immo sprang zu der Stätte, an welcher der Unselige lag, beugte sich über ihn und das schwere Haupt hebend raunte er ihm ängstlich zu: »Wer sendet dich?« Der Sterbende tastete mit der Hand nach seinem Messer, als er aber über sich das traurige Antlitz Immos sah und die freundlichen Worte hörte, murmelte er: »Der Rache des Königs dachte ich zu entrinnen, darum trug ich einen Gruß für dich.« »Wo ist sie?« frug Immo tonlos. »Wo ich war,« seufzte der Mann wieder und fiel zurück. Die bleichen Sterne schienen auf glanzlose Augen, Immo deckte dem toten Fechter das Gewand über das Antlitz und wandte sich ab. Ihm hämmerte das Herz in der Brust und sein Blick haftete fest auf dem Turme, aus dem der Fechter herabgestiegen war. Er winkte Brunico an seine Seite, dann wand er sich selbst bis an das Ufer des Baches. Als er zurückkehrte, rief er seine Mannen in eine Talsenkung nach rückwärts. »Mahnt den Hugbald, der neben uns liegt, daß er mit Wigberts Knechten unsere Stelle besetze. Euch aber, meine Knaben, lade ich, daß ihr mir folgt. Denn was mir auch geschehe, ich klimme den Pfad hinauf, den der Tote herabgestiegen ist. Die in der Stadt vertrauen der Nacht und ihrem Handel mit dem Könige, keinen Wächter erkenne ich auf der Zinne, noch hängt das Seil. Halten wir erst den Turm, so soll Hugbald mit Sturmzeug uns folgen.« »Manche Klippe unserer Berge, die wir erklommen, war höher,« ermunterte Brunico. »Führe, Immo, wir folgen.« Die schnellen Knaben stiegen geräuschlos zum Bach hinab, sie tauchten in die Flut, wateten und schwammen und waren nach kurzer Zeit am Fuß des Turmes versammelt. Immo prüfte den Halt des Seils. »Der Erste sei ich,« brummte Brunico, ihm den Arm haltend. »Keiner vor mir,« befahl Immo, »schwinde ich dahin, so führe du die Treuen zurück.« Er schwang sich am Seile aufwärts und hob sich in die Öffnung des Turmes, gleich darauf schüttelte er das Seil, und seine Knaben folgten schnell einer dem andern. Das Stockwerk des Turmes war menschenleer, die Tastenden fanden in der Mitte eine große Standschleuder und an beiden Seiten offene Türen, sie führten zu der Holzgalerie, welche an der inneren Fläche der Mauer unter den Zinnen entlang lief. Auch die Galerie in ihrer Nähe war ohne Bewaffnete, nur von dem nächsten Turme, durch welchen ein Tor nach dem Wasser führte, klangen die Tritte der Wachen. Während Brunico vorsichtig die kleine Treppe hinabstieg, welche von der Galerie zum unteren Stockwerk des Turmes reichte, gab einer der Knaben rückwärts dem Hugbald das verabredete Zeichen, einen flüchtigen Feuerschein. Dann harrten die Thüringe ungeduldig auf das erste Tageslicht. Unten aber am Bache rührte sich's. Hugbald hatte den bayrischen Schanzmeister zu Hilfe gerufen; die Belagerer rollten leere Fässer an das Ufer und schnürten sie mit Bohlen zu einem leichten Floß. Sie zogen die Sturmleitern über den Bach und hoben sie mit Hilfe des Seils zu der Turmöffnung. Als der Morgen dämmerte, war der Turm und die nächste Galerie in den Händen der Königsmannen; ohne Lärmzeichen drangen sie bis zu dem Tore, überfielen die sorglosen Verteidiger, zerschlugen die Sperrbalken der Torpforte und warfen die Fallbrücke über das Wasser. Da erhob sich in der Festung Alarmruf und Notgeschrei. Die geworfenen Verteidiger liefen vom Tore brüllend durch die Straßen, Hörner und Posaunen tönten, und aus den Gassen der Stadt stürmten die erweckten Helden an das verlorene Tor. Ein heißer Kampf entbrannte um die beiden Türme und die Mauer dazwischen. Die Markgräflichen umschanzten mit Schild und Speer den Zugang zu den nächsten Gassen, sie liefen unter ihren Schilden gegen die Toröffnung, drangen auf der Mauerhöhe gegen die Türme und warfen ihre Geschosse von der Galerie auf die Königsmannen, welche von außen über die Brücke drängten, und drinnen die eroberten Türme besetzt hielten. Die Königsmannen aber sendeten Speere auf die Andringenden und schossen Brandpfeile gegen die Dächer der nächsten Häuser. Bald stiegen Rauchsäulen und lodernde Flammen aus den Höfen, und in das Getöse des Kampfes mischte sich das Gebrüll der Rinder und das Geheul der Einwohner. Der König hielt auf einem Hügel nahe dem Tor, um welches gestritten wurde, er sah, wie die lodernden Flammen hinter der Mauer aufstiegen, und nährte den Kampf durch neue Haufen, welche er über die Brücke trieb. Aber wie sehr er sich des Erfolges freute, er dachte auch daran, daß der letzte Streit gegen die gesammelte Macht der Verzweifelten seinem eigenen Heere einen guten Teil der Kraft nehmen könne, und daß an der abgewandten Seite der Festung noch eine feste Burg lag, in welcher die Feinde sich wohl zu halten vermochten, bis der Böhmenherzog zu Hilfe kam. Deshalb bezwang er die Sehnsucht nach Rache und sandte seinen Heerrufer über den Bach nach der Burgseite, um aufs neue mit den Belagerten zu handeln. In das Gewühl am Tor klang der Ruf, daß der König sich vertragen wolle, und der Kampfzorn der Verteidiger wurde schwächer. Einer nach dem andern warf sich nach rückwärts, um seine Habe aus der brennenden Stadt zu retten und die Burg zu gewinnen, und die Königsmannen stürmten mit hellem Siegesrufe vor. Als erster Immo, gefolgt von den schnellsten seiner Knaben. Gleich einem Wütenden war er von der Mauer gegen das Tor gefahren. Während er im Kampfe stieß und schlug und jeden Ansturm der Feinde zurückwarf, hatte er nur einen Gedanken, zu ihr durchzudringen, die zwischen Rauch und Glut und dem Todeskampf der Männer die Arme zum Himmel hob. Jetzt sprang er wie ein wildes Roß durch Qualm und züngelnde Flammen in die Gassen der Stadt. Laut schrie er über die Haufen und in die offenen Höfe den Namen Hildegard. Der geborstene Helm war ihm vom Haupt geworfen, das blutbesprengte Haar flog ihm wild um die heißen Schläfe. Zwischen Herdenvieh, beladenen Karren, über Leichen der Gefallenen, durch kleine Haufen feindlicher Krieger stürmte er vorwärts, bald ausweichend, bald Schläge tauschend, bis er den Marktplatz der Stadt erreichte, wo das Getümmel am wildesten durcheinander wogte. Er überstieg die gedrängten Karren der Flüchtigen und wand sich durch eine Schar feindlicher Reiter, wie ein Verzweifelter mit dem Strome ringend. Da, in der Mitte des Marktrings, wo das steinerne Kreuz auf einer Erhöhung ragte, sah er einige böhmische Krieger auf eine helle Gestalt eindringen, die am Fuße des Kreuzes lag und mit beiden Armen den Stein umschlang. »Hildegard,« schrie er und ein schwacher Gegenruf: »Immo, rette mich,« klang in sein Ohr. Den Wilden, welcher die Arme nach der Liegenden ausstreckte, schleuderte er zur Seite, daß dieser das Aufstehen für immer vergaß, seine heranspringenden Genossen verscheuchten den fremden Schwarm. Er hielt die Gerettete in seinen Armen, küßte das bleiche Antlitz und rief sie mit den zärtlichsten Grüßen, und als sie die Augen aufschlug, da hob er sie lachend empor, während ihm die Tränen aus den Augen stürzten, und mit dem Schildarm sie umschlingend, hielt er am Kreuze die Wache für das geliebte Weib, das an seinem Hals hing und sich fest an seine Brust drückte. Über ihm wirbelte der glühende Rauch, um ihn krachten die stürzenden Balken und das Kampfgetümmel wälzte sich durch die Straßen der Stadt, er aber stand, umgeben von Tod und Vernichtung, wie ein Seliger, und er sah, wie die hohen Engel mit flammenden Schilden und Speeren durch die Lohe schwebten und um ihn und die Geliebte eine feste Schildburg zogen. An der Ecke des Marktes wehte ein Banner, auf welchem er das weiße Roß der Sachsen erkannte, da rief er: »Glückauf, mein Geselle, dort nahen die Helden, denen ich am liebsten vertraue, damit sie dich zum König geleiten.« 8. Die Not des Grafen. Der Kampf um die Krone war entschieden. Mit unwiderstehlicher Gewalt trieb der König den Markgrafen der böhmischen Grenze zu, eine Burg nach der andern fiel in seine Hände, die Flammen, welche aus den gebrochenen Mauern aufstiegen, verkündeten dem erschreckten Lande den Sturz eines edlen Geschlechtes und die Rache des Königs. Schonungslos wollte der König alles mit Feuer und Schwert tilgen, was an die Herrschaft seines Feindes erinnerte, und die harten Vollstrecker seines Willens fühlten zuweilen ein Mitleid, das er nicht kannte, und milderten in der Ausführung sein Gebot. So scharf war des Königs Zorn, daß sich jedermann über die Schonung wunderte, die er einem der Verschworenen zuteil werden ließ. An dem Grafen Ernst wurde das Todesurteil nicht vollstreckt, der Held büßte nur mit einem Teil seines Schatzes und wurde in milder Haft gehalten. Und die Leute rühmten den Erzbischof Willigis, weil seine Bitten den Haß des Königs gedämpft hätten. Während der Markgraf als landloser Flüchtling in Böhmen umherirrte und die übrigen Empörer demütige Boten sandten, um die Gnade des Königs zu gewinnen, hielt Heinrich seinen Hof in Babenberg, der Stammburg seines Feindes. Dort sammelte sich das siegreiche Heer, der Belohnung und Entlassung harrend, auch die Königin Kunigund kam von Regensburg an; mit großem Geleite holte sie der König ein, und die Edelsten des Heeres begrüßten die Herrin nach altem Heldenbrauch auf ihren Rossen im Eisenhemd, indem sie zu zwei Scharen geteilt in gestrecktem Lauf durcheinander ritten und dabei die Gerstangen durch wilden Wurf an den Schilden der Gegner zerbrachen. Immo hatte in dem Kampfspiel seine Reitkunst rühmlich erwiesen, die Jungfrau aber, in deren Augen er am liebsten sein Lob gelesen hatte, blickte nicht auf den glänzenden Zug. Er wußte, daß Hildegard auf Befehl des Königs unter der Aufsicht einiger frommer Schwestern in der Stadt weilte, aber ihm war trotz aller Mühe nicht gelungen, zu ihr zu dringen. Als er jetzt vom Rosse stieg und in die Herberge trat, fand er den Spielmann Wizzelin, der in neuem Gewande und mit klirrendem Goldschmuck, das Saitenspiel in der Hand seiner wartete, umdrängt von Kriegsleuten, welche mit dem wohlbekannten Mann Scherzreden tauschten und ihn mahnten, seine Kunst vor ihnen zu erweisen. »Gutes Glück bringe mir das Wiedersehen, du flüchtiger Wanderer,« rief Immo. »Auch euch ist alles gelungen,« antwortete der Spielmann, »und als ein Glückskind rühmten euch die Leute, während ihr heute so hurtig rittet. Liegt euch noch am Herzen zu erfahren, was ihr einst von mir begehrtet, so vermag ich Bescheid zu sagen.« Immo führte ihn schnell in seine Kammer. »Sie ist hier,« sprach Wizzelin leise, »sie will euch sehen, und ich vermag euch zu ihr zu führen. Die alten Nonnen, bei denen sie weilt, sind keine strengen Wächter, auch sie vernehmen gern, wenn ich vor ihnen die Saiten rühre. Folgt mir sogleich, wenn es euch gefällt, doch haltet euch eine Strecke hinter mir zurück, denn ich bin den Helden hier nicht unbekannt,« fügte er stolz hinzu, »und muß auf viele Grüße antworten.« Sie traten auf die Straße, der Spielmann glitt behend durch das Gewühl von Reitern und Rossen, von Burgmannen und Landleuten, welche herzu geströmt waren, den Einzug zu sehen. Oft wurde er angerufen, auch Gelächter und Spottreden klangen ihm entgegen. Gegen die Huldreichen verneigte er sich und versprach Besuch und Lied, den Spöttern antwortete er mit dreister Gegenrede, so daß er die Lacher stets auf seiner Seite hatte. Endlich bog er in eine stille Seitengasse und fuhr durch das Tor eines dürftigen Hofes. Er wies auf eine niedrige Fensteröffnung, hob einen Zipfel der Decke, welche das Innere verbarg, und sagte zu Immo: »Springt dreist durch die Tür, ich halte die Wache.« Immo eilte in das Haus. Mit einem Freudenschrei warf sich Hildegard in seine Arme und drückte sich an seine Brust. »Wie bleich du bist, Hildegard, und gleich einer Gefangenen sehe ich dich bewahrt.« »Sie sind nicht hart gegen mich, und wären sie es auch, ich würde es wenig beachten, wenn ich an dich denke und dein Antlitz zu sehen hoffe. Denn so oft mich die Einsamkeit ängstigt und die Gefahr bedroht, bist du mir in meinen Gedanken nahe, du Lieber, mich zu trösten. Bald aber werden sie mich von hier fortführen zu der Königin, in ihrem Gefolge soll ich bewahrt werden.« »Das ist gute Botschaft,« rief Immo, »dort vermag ich dir eher nahe zu sein.« Aber Hildegard schwieg, ihr Haupt lag schwer an seiner Brust, und ihr junger Leib bebte in seiner Umarmung. »Hoffe das nicht, Immo, denn nicht für ein fröhliches Leben denkt mich der König zu retten, nur weil der große Erzbischof Mitleid mit mir hatte. Sie halten mich fest, wie die frommen Mütter sagen, damit ich nicht gleich einer Dirne auf die Straße geschleudert werde. Mein unglücklicher Vater!« rief sie mit gerungenen Händen. »Geh' von mir, Immo, denn Elend ist mein Los, und meinem Vater droht das Verderben.« Immo wußte wohl, daß der König damals, als er dem Geschlecht des Hezilo Abzug aus der Festung gestattete, den Grafen Gerhard mit seinem Gesinde aus dem Zuge der Entweichenden herausgerissen hatte, um ihn für seine Rache zu bewahren. Seitdem konnte niemand sagen, was mit dem Grafen geschehen war. Deshalb frug Immo sorgenvoll: »Vernahmst du, wo er weilt?« »Er liegt im Turm der Stadt gefangen, ich war bei ihm und er begehrt in seiner Not nach dir. Eile, Immo, denn kurz ist, wie sie sagen, die Frist, welche ihm noch auf dieser Erde gestattet wird. Tröste ihn, wenn du vermagst, und dann komm noch einmal zu mir, damit ich dich segne und dir für deine Liebe danke. Denn, Immo, merke wohl, die Tochter eines entehrten Mannes kann nicht ferner dein Geselle sein. Suche dir die Braut unter den geschmückten Frauen, welche mit der Königin eingezogen sind und sich gleich dir des Sieges freuen; ich aber und mein Geschlecht schwinden dahin wie die flammenden Häuser und die Weiber und Kinder, die ich mit der Peitsche hinaustreiben sah.« Immo rief unwillig: »Ich hörte immer, die durch ein Band gebunden sind, sollen auch Leid und Liebe miteinander teilen, solange sie leben. Meinst du, Hildegard, daß ich dich losbinde von deiner Pflicht gegen mich? Mein bist du, aus der brennenden Stadt habe ich dich getragen und was sie auch über dich ersinnen, solange ich atme, darfst du dich niemandem geloben als mir, nicht der Königin und nicht den Heiligen. Zur Stelle suche ich deinen Vater auf, ob ich ihm nützen kann.« Er hob ihr gesenktes Antlitz mit der Hand zu sich herauf und sah ihr in die Augen. Lange dachte er an die heiße Liebe, mit der sie ihn bei diesem Scheiden ansah. »Morgen bei guter Zeit bringe ich Botschaft,« rief er noch an der Tür. Am Fuß der Turmtreppe sprach der Wärter zu Immo: »Ihr werdet den Grafen in unehrlicher Gesellschaft finden, wenn euch beliebt, jetzt hineinzugehen. Einer seiner Fechter ist bei ihm, er hat ihn gefordert; ich rate, daß ihr harret, bis der ruchlose Mann gewichen ist.« »Öffne doch,« versetzte Immo, »er hat mich dringend begehrt.« Als Immo mit dem Schließer eintrat, sah er den Grafen auf einer Holzbank sitzen, und vor ihm stand Sladenkop, der Fechter, ein unförmlicher Gesell mit Armen und Beinen, die aussahen, als ob sie von einem riesigen Tiere genommen wären, mit kleinen scharfen Eberaugen, kurzer Stirn und borstigem Haar. Die Miene des Mannes war verlegen und sein Gesicht gerötet. Immo wandte den Blick mit mehr Teilnahme auf den Grafen. Denn sehr bekümmert erschien dieser, die Augen lagen tief und fuhren ängstlich umher, er war hagerer geworden und sein Kopf stand nicht mehr so trotzig zwischen den Schultern wie sonst, sondern hing ein wenig nach vorwärts. Immo grüßte und winkte dem Schließer abzutreten, welcher mit einem argwöhnischen Blick auf den Fechter sagte: »ich harre draußen an der Tür, wenn ihr mich ruft.« »Ich freue mich, Immo,« antwortete der Graf dem Gruße, »daß du nicht verschmähst mich aufzusuchen, obwohl ich im Unglück bin. Immer hat dein Geschlecht mir edle Art gezeigt und gute Freunde sind wir von neulich, wo du in meiner Halle saßest und wo du in meinem Lager den Würzwein trankest. Jetzt verläßt mich alles, sogar dieser Köter,« er wies auf den Fechter. »Betrachte seine Arme, so habe ich ihn gefüttert, und mir hat er sein Leben gelobt, jetzt aber sträubt er sich, mir im Kampfe einen Vorteil zu geben.« »Verhüten die Heiligen, daß euch jemals das Los zuteil werde, diesem da im Kampfe gegenüber zu stehen.« »Emsig flehe ich zu den Heiligen, daß sie es verhüten mögen; aber es scheint, daß sie Lust haben, es zu gestatten. Denn wisse, Immo, der König hat Übles gegen mich im Sinn, und weil wir am Idisbach in der Übereilung dem Erfurter Kaufmann seine Ballen genommen und den Mann dabei beschädigt haben, so will der König mir die Ehre nehmen, ich soll als gerichteter Räuber um mein Leben kämpfen, und weil ich Fechter gehalten habe, so fordert er in seinem Zorn, daß ich vor dem Ringe seiner Edlen gegen meinen eigenen Fechter streiten soll.« Immo trat erschrocken zurück. Der Gefangene erkannte die Teilnahme und fuhr vertraulicher fort: »Aus deinen Augen sehe ich, Immo, daß ich dir alles sagen darf; merke wohl, dieser Undankbare, der meinen Silberring an seinem Arm trägt und der mir gelobt hat, um Geld und Nahrung in jedem Kampfe sein Leben für mich zu wagen, er will sich jetzt von mir nicht treffen lassen.« »Wie kann ich eine Abrede mit euch machen, Herr, da ihr kein Fechter seid und des Handwerks nicht kundig,« fiel gekränkt der Fechter ein. »Wäret ihr einer von meinen Genossen, so wollte ich einen Arm oder ein Bein wohl daran wagen. Ihr aber würdet mir, wenn ich euch einen Vorteil gäbe, das Eisen in die Glieder treiben, daß ich des Aufstehens für immer vergäße.« »Du bist ein Narr, das zu fürchten. Ich war in meiner Jugend ein Schwerttänzer und treffe, wohin ich will, wenn mein Gegner Bescheidenheit erweist. So nimm doch die besten Gedanken in deinem dicken Kopf zusammen. Wenn ich dich wirklich ein wenig zu sehr träfe, durch die Hand eines Edlen zu fallen, wäre für dich das ehrenvollste Ende, das du finden könntest.« Der Mann stand mit zusammengezogenen Augenbrauen und überlegte. »Ja, Herr,« sagte er zögernd, »ihr sprecht nicht ohne Grund, auch der Fechter hat seine Ehre. Und trefft ihr mich, so soll dies mein Trost sein und es wird Nachruhm gewähren bei allem fahrenden Volk. Doch wenn ihr mich nicht trefft, sondern ich euch, dann wäre der Ruhm noch größer.« »Du aber hast dich mir gelobt, wie kannst du mich treffen, du Schuft?« rief der Graf zornig. Der Fechter sah finster vor sich nieder. »Ich weiß, was ihr meint,« begann er endlich, »und ich merke, daß ich in der Klemme bin wie ein Marder. Sie sollen nicht sagen, daß ich gegen meinen Herrn unehrlich gehandelt habe. Solange ich euren Ring trage, seid ihr sicher vor meinem Eisen; feilen sie mir den Ring ab, so fechte ich als des Königs Kämpe und dann, meine ich, darf ich euch treffen.« »Weiche hinaus, du Elender,« rief der Graf zornig, »mich reut's, daß ich so manches Kalb und Rind in deinen Magen gestopft habe und mich reut's, daß ich in meiner Not bei einem Ehrlosen Hilfe suche.« Der Fechter sah verlegen und unschlüssig auf den Zornigen, dann wandte er sich trotzig zum Abgang. Als sich hinter ihm die Tür geschlossen hatte, saß der Graf eine Zeitlang schweigend auf der Bank, und Immo sah, daß ihm große Schweißtropfen von der Stirne rannen. Endlich begann er mit gebeugter Haltung: »Wundere dich nicht, Immo, daß ich gerade dich bitten ließ. Du kennst den Brauch in heiligen Dingen, du bist selbst ein halber Geistlicher, obgleich du das Schwert führst, und vor allem bist du jung, erst aus Wigberts Zucht gekommen, du kannst noch nicht sehr viel Böses getan haben, und die Heiligen werden dir eher etwas zugute halten, als einem andern. Darum möchte ich dir Vertrauen schenken in der Sache, die mir jetzt zumeist am Herzen liegt. Willst du mir geloben, eine Bitte zu erfüllen, so tue es.« Da Immo erwartete, daß der Graf an seine Tochter denken würde, so war er gern bereit und sprach an sein Schwert fassend: »Ich will, wenn ich es ohne Schaden für meine Seele tun kann.« »Es ist ein frommes Werk,« versetzte der Gefangene traurig. »Wisse, Immo, daß es schwer ist, auf Erden ohne Sünde zu leben. So habe auch ich, wie ich fürchte, zuweilen etwas getan, was mich den Heiligen verleiden kann, ich sorge, daß es ihr Zorn ist, der mich in diese Gefahr gebracht hat und daß sie mich gar nicht gutwillig hören werden, wenn ich sie hier aus diesem Loche um meine Rettung anflehe. Denn in meinem Jammer bekenne ich, wenig habe ich ihrer im Glück geachtet. Dem Gebet der Mönche mich zu übergeben, kann gar nichts frommen, denn auch diese sind mir zum Teil verfeindet, und sie beten nur eifrig, wenn sie Hufen und reiche Gaben erhalten. Meines Gutes aber wird, wie ich fürchte, der König mich entledigen. Darum ist mir eingefallen, was mich wohl retten könnte. Ich habe meine Sünden aufschreiben lassen; nicht gerade alle, denn mit den kleinen will ich den großen Fürsten des Himmels nicht lästig werden, aber die schwersten. Drei Tage und drei Nächte habe ich zwischen diesen Steinen darüber nachgedacht sie zu finden und zu bereuen. Dem Beichtiger der Gefangenen -- er ist ein ausgelaufener Mönch und ein guter alter Mann -- habe ich sie hergesagt und er hat sie auf mein Drängen niedergeschrieben und versiegelt.« Er holte ein zusammengelegtes Pergament unter seinem Sitze hervor, wies es dem erstaunten Immo und sprach feierlich: »Hierin sind meine Sünden, nämlich die groben. Mir kann Rettung bringen, wenn du sie zu wundertätigen Reliquien großer Heiligen trägst und sie in ihrem Schrein oder doch darunter birgst, damit die Heiligen selbst mein Bekenntnis empfangen, und wenn sie es lesen, sich meiner erbarmen.« Immo trat erschrocken zurück und sah scheu auf das zusammengelegte Pergament. »Wie darf ich mich unterfangen, dies Blatt den Heiligen zu übergeben, da ich kein Priester bin?« versetzte er. »Und wie kann ich einen Reliquienschrein erreichen, da ich selbst kein solches Heiligtum besitze?« »Schaffe das Blatt an einen Ort, wo große Heilige hausen,« raunte der Graf ängstlich. »Ich selbst bin aus dem Kloster in Unfrieden geschieden,« antwortete Immo, »und weiß nicht, ob mir die Mönche dort gestatten werden, dem Altar des heiligen Wigbert oder gar den hohen Aposteln zu nahen.« »Auch erwarte ich wenig Gutes von diesen Heiligen,« versetzte der Graf zerknirscht, »denn ich leugne nicht, alte Händel habe ich mit ihnen und sie möchten mir das gedenken. Auch in Fulda, fürchte ich, hat man schon manches von mir vor den Altären geraunt. Wandle leise zu einem hohen Heiligtum, wo man mich weniger kennt. Einen Reliquienschrein weiß ich, den besten von allen,« und er hob seinen Mund zu Immos Ohr und flüsterte: »das ist der Himmelsschatz unseres Herrn, des Königs. Er ist hier zur Stelle und schnelle Fürbitte tut mir not, sonst kann sie mir für dieses Leben nichts mehr helfen.« »Wie vermag ich zu dem Heiligtum des Königs zu dringen?« rief Immo. »Ich weiß, daß du zu den Auserlesenen gehörst, welche die Wache in seiner Behausung haben, da mag dir wohl möglich werden, daß du das Pergament ungesehen unter die Decke schiebst. Vielleicht gelingt dir auch, den Geschorenen des Königs, der über dem Schrein wacht, durch Flehen und Gabe zu gewinnen. Versprich ihm Großes; denn wisse, einen Goldschatz, der nicht klein ist, bewahre ich unter einem Baume verborgen; wird der Priester zu der Guttat geneigt, so will ich den Schatz daran wenden und ihm die Stelle offenbaren.« »Um die Heiligtümer des Königs sorgt jetzt der fromme Abt Godohard,« versetzte Immo kummervoll, »der Goldschatz wird ihn nicht locken, den hohen Himmelsfürsten, die für den König bitten, in deiner Sache so zudringlich zu nahen.« »Ich finde dich kalt, Immo, wo es gilt, einen alten Genossen deines Vaters aus der Angst zu retten,« klagte der Graf und griff sich nach der feuchten Stirn. »Besseres hatte ich von dir gehofft und anderes hatte ich auch mit dir im Sinne. Denn als ich dich neben Hildegard, meinem Kinde, sitzen sah, wie du als Geselle ihr zutrankest, da fiel mir einiges ein, was ich mit deinem Vater beredet hatte, als ihr beide noch klein waret, und ich dachte, was nicht geworden ist, vielleicht kann es doch noch werden, wenn die Heiligen es fügen und auch dein Wille dahin geht. Jetzt freilich bin ich arg verstrickt, du aber bist im Glücke. Dennoch erinnerte ich mich an die Augen, die du damals machtest, als ich dich in meinen Saal laden ließ. Aber ich sehe, der Menschen Sinn ist veränderlich, zumal wenn sie jung sind.« Er setzte sich seitwärts auf die Bank und faltete die Hände, aber er sah von der Seite scharf nach dem offenen Antlitz des Jünglings, in welchem der innere Kampf sichtbar war. Wild stürmte es durch Immos Seele, Hoffnung, die Geliebte durch den Vater zu erwerben und wieder Mißbehagen darüber, daß der Vater sie ihm für eine heimliche Tat verkaufen wollte. Er stand in innerm Ringen und dabei fiel ihm die Lehre ein, welche ihm der alte Bertram für sein Leben mitgegeben hatte, daß er dem Gelöbnis eines Mannes, der in Todesnot sei, niemals trauen solle. »Wegen deiner Tochter fordere ich keinen Eid von dir, und du gedenke mich nicht durch ihren Namen zu beschwören, daß ich dir helfe. Denn deine Not will ich nicht mißbrauchen zu einem Gelöbnis.« »Du denkst edel, Immo,« rühmte der Graf, »sei auch barmherzig.« »Gib mir das Pergament,« rief Immo entschlossen, »ich will tun, was ich kann, wenn auch nicht gerade so wie du meinst, doch nach meinen Kräften; obwohl ich zage, daß mir die hohen Gewalten deshalb zürnen werden. Vermag ich nichts, so lege ich deine Sünden wieder auf deine Seele wie ich sie empfing.« »Ganz hochsinnig finde ich dich, Immo, und ich vertraue deinem Mut und deiner Klugheit,« rief der erfreute Graf. Er legte das Pergament in die Hand des anderen und hielt sich mit beiden Händen an seinem Arme fest. Immo schob das Pergament vorsichtig in die Tasche seines Gewandes und wandte sich zum Abgange. »Ich fürchte, das Blatt verbrennt mir den Rock,« sagte er unruhig, »lebe wohl, soweit du es hier vermagst. Ich kehre wieder, sobald ich die Tat versucht habe.« Den wortreichen Dank des Grafen unterbrach das Klirren des Schlosses. Als der König am Abend nach dem Mahle in seine Herberge kam und durch den Haufen der Edlen und Geistlichen schritt, welche ihn erwarteten, um Segen für seine Nachtruhe zu erflehen oder ihm aufzuwarten, da sah er huldvoll, wie seine Gewohnheit war, nach allen Seiten umher, grüßte und nickte. Die neu Angekommenen aber, wenn sie Edle waren oder Geistliche, faßte er bei der Hand und küßte sie. Als der König Immo erblickte, der sich in die vorderste Reihe gestellt hatte und ihn bei dem Gruß flehend ansah, da merkte er wohl, daß dieser Huld begehre, winkte ihm gütig zu und sprach: »Als ein stolzer Held hast du dich heute getummelt, edler Immo, hell klangen deine Speere an den Schilden.« Und weil er gern daran dachte, daß Immo ein Gelehrter war, fügte er, um ihn vor den anderen noch mehr zu ehren, einen lateinischen Vers hinzu: Stolz schwingt der Held Ascanius die Waffen im Kampffeld. Und nachdem er, wie dem Könige geziemt, jedem seinen Anteil an Ehren gegeben hatte, trat er in sein Schlafgemach. Als er sich dort ermüdet niedersetzte, begann der Kämmerer zu ihm: »Der Thüring Immo fleht um die Gunst, deiner Hoheit etwas zu sagen.« »Hat er es so eilig, Lohn zu fordern für seinen Sprung von der Mauer, ich habe ihm ja soeben vor allen Leuten wohlgetan.« »Er sagte,« antwortete der Kämmerer sich entschuldigend, »daß er dem König etwas Geheimes vertrauen müsse.« »Die Geheimnisse des Jünglings hättest auch du empfangen können.« »Das meinte ich auch,« versetzte der Kämmerer, »er aber flehte. Gefällt's dem König, so sende ich ihn fort, denn er harrt vor der Tür.« »So führe ihn herein,« befahl der König und stützte müde das Haupt in die Hand. Immo trat ein, kniete nieder und zog das Pergament des Grafen aus seinem Gewande. »Was bringst du mir so spät, Immo?« frug der König und sah kalt auf den Knienden. »Die Sünden des Grafen Gerhard,« antwortete Immo und legte das Pergament zu den Füßen des Königs. »Verhüten die Heiligen, daß ich so unselige Gabe annehme,« versetzte der König, mit dem Fuß das Pergament wegstoßend, »Unheil bedeutet solche Spende, sprich, was soll der Brief?« »Die Beichte ist es des Grafen,« sagte Immo feierlich, indem er das Kreuz schlug. Der König folgte schnell seinem Beispiel. »Der Graf verzweifelt in seiner Not, durch die Mönche bei den Himmlischen Gnade zu finden, zumal er ihnen nichts mehr zu spenden hat, denn sein Gut und Geld liegen in des Königs Hand. Da ließ er in der Herzensangst durch einen armen Priester seine Sünden niederschreiben und forderte von mir, daß ich sie heimlich zu den Heiligtümern meines Herrn und Königs trüge, damit die gewaltigen Nothelfer sich seiner erbarmten.« »Und du hast ihm den Sündenbrief nicht zur Stelle vor die Füße geworfen, Verwegener?« »Zürne mein König nicht, wenn ich gefehlt habe, mich erbarmte seine Angst. Wohl weiß ich, daß es ein Unrecht wäre, zu dem heiligen Geheimnis meines Königs zu schleichen und den Brief des armen Sünders dort zu verstecken, wie er begehrte. Dennoch wagte ich nicht, seiner Seligkeit hinderlich zu sein, und ich meine als redlicher Mann und nicht als Hehler zu handeln, wenn ich von der Gnade des Königs erbitte, daß mein Herr der Seele des hilflosen Mannes beistehe und seinem Priester gestatte, das Pergament zum Heiligtum des Königs zu tragen.« »Und was hat dir der Graf versprochen, damit du diese freche Bitte wagst?« frug der König hart, »denn meine Edlen pflegen nichts für nichts zu tun.« »Man hat mich gelehrt, von einem Manne in der Todesnot nicht Gabe und nicht Versprechen anzunehmen,« antwortete Immo. »Der dich so seltene Vorsicht gelehrt hat, hätte dich auch lehren sollen, gegenüber deinem Könige die Scham zu bewahren. Wie mögen die hohen Gewaltigen des Himmels, deren Gnade ich selbst froh bin, wenn sie sich zu meinem Heiligtum herniederneigen und mich schützend umschweben, wie mögen diese zugleich die Beschützer meiner Feinde werden? Und wie kannst du das wollen, wenn du kein Verräter bist?« »Ich vernahm die hohe Lehre,« versetzte Immo kniend, »daß der Himmelsherr gern Erbarmen mit dem Sünder hat, und wenn der König, der des Herrn Schwert auf Erden hält, hier den Schuldigen richten muß, so mag ihn doch in seinem Amte trösten, daß die Bitte seiner Heiligen den armen Sünder aus den Krallen des üblen Teufels errettet.« »Mir aber liegt gar nichts daran,« rief der König ungnädig, »den untreuen Mann dereinst an der Himmelsbank wiederzufinden, wenn die Himmlischen mir dort den Herdsitz bereiten wollen. Das mußtest du wissen, du Tor, bevor du seine Sünden mir auf die Seele legtest. Denn wenn ich nach seinem unverschämten Verlangen tue, so schaffe ich einem, der mein Feind war, Hilfe in jenem Leben und vielleicht auch noch in diesem. Und wenn ich ihm dagegen seinen Willen nicht tue, so mögen die Heiligen mir zürnen, weil es mir an Erbarmen fehlt. In solche Gefahr setzt mich dein dreistes Verlangen. Entweiche mit dem Briefe und trage ihn zu einem anderen Heiligtum, zu welchem du willst, wenn dir an der Gunst des Grafen mehr gelegen ist, als an dem Vorteil deines Königs. Doch halt,« rief der König noch zorniger, »wer weiß, ob der Bösewicht nicht manches hineingesetzt hat, was mir selbst zum Schaden gereichen könnte, wenn die Unsichtbaren darauf hören.« Der König neigte sich schnell zu Boden, faßte den Brief und erbrach das Siegel. »Die Beichte des Grafen Gerhard will ich zuerst vernehmen, ehe sie zu den Heiligen dringt.« Er bekreuzte sich und setzte sich nahe zu der Kerze. »Schwach war die Kunst des Geschorenen, der diese Krähenfüße hingesetzt hat,« murmelte er. »Mit seiner letzten Verräterei fängt der Sünder an, ich glaube wohl, daß sie ihn am meisten ängstigt. Sie reut ihn, solange er im Turm sitzt. -- Dann kommt der Kaufmann. Der Goldstoff, den er geraubt hat, war für die Königin bestimmt, und er hat ihn noch nicht einmal herausgegeben.« Und er las fort mit gespannter Aufmerksamkeit. Immo merkte, daß der König seine Gegenwart ganz vergessen hatte, denn er sprach zuweilen laut von den geheimen Taten. »Den Grafen Siegfried im Walde überfallen, wobei ihn leider mein Mann Egbert erschlug. Die Missetat blieb ungerochen,« rief der König, »die Leute sagten damals, der Gefällte sei von Räubern erschlagen worden. -- Hier folgen Sünden gegen die Wigbertleute. Es ist eine ganze Reihe. Schwerlich würde Abt Bernheri dafür Absolution erteilen. -- Mit Herzog Heinrich, dem Zänker -- der dreiste Bösewicht, meinen Vater so zu nennen.« -- Der König sah um sich, und als er Immo noch auf den Knien fand, sprang er auf und winkte ihm zornig die Entlassung. Dann ergriff er wieder das Pergament: »Mit Herzog Heinrich verschworen gegen Kaiser Otto.« Der König warf das Pergament auf den Tisch und schritt heftig im Zimmer auf und ab. »Das Unrecht meines eigenen Vaters soll ich zum Schrein der Heiligen tragen, damit die Heiligen es wissen und an mir rächen. Unerhört ist die Bosheit.« Wieder eilte er zum Tisch. »Und hier steht es, meine eigene Sünde,« und er las: »mit Herzog Heinrich, der jetzt König ist, Verabredung getroffen gegen seinen Vetter, den jungen Kaiser Otto.« Der König faßte das Pergament, drückte es mit der Faust zusammen und schleuderte es in den Kamin. Er riß die Kerze aus dem Leuchter, hielt sie daran, bis das Blatt sich bräunte und knisternd verkohlte und stieß heftig mit dem Fuß in die Asche. »Dies sei der Heiligenschrein, zu dem ich deine Sünden trage, du Ruchloser. Mich selbst soll ich verklagen vor meinen Nothelfern um deinetwillen. Lieber lasse ich dich unter deiner Sündenlast leben wie bisher, als daß ich dir den Himmel öffne. Siehe selbst zu, ob du auf dieser Erde das Erbarmen der Himmlischen gewinnst, ich weigere dir die Hilfe, die du begehrst.« Der König stand finster vor dem Kamin. »An mein eigenes Unrecht mahnt er mich und ich fühle den Schrecken und die bittere Reue. Für mich selbst will ich zu den Ewigen flehen wegen alter Sünden, und daß ich jetzt dem Flehen einer armen Seele nach der Seligkeit meine Hilfe verweigerte.« Und Heinrich eilte zu dem vergoldeten Schrein, um den, wie er meinte, die hohen Fürsten des Christenhimmels unsichtbar walteten, enthüllte die heilbringenden Reliquien und warf sich mit gerungenen Händen vor ihnen nieder. In der Frühe des nächsten Tages begann die Feier der Heerschau. Unter den Mauern der Festung Babenberg waren auf freiem Felde Schranken errichtet, die Pfosten mit grünen Zweigen umwunden, die Treppen mit kostbaren Teppichen belegt, an einer Seite stand auf hohen Stufen der goldene Königsstuhl. Dort wollte der König die Gaben verteilen und sein siegreiches Heer entlassen. Als die Sonne aufging, zogen die Scharen von allen Seiten der Ebene zu und lagerten bei ihren Bannern in weitem Ringe um den eingefriedeten Raum. Eine unzählige Menge Volkes drängte an den Schranken, um den König und das Festgepränge zu schauen. Die Helden des Heeres ritten in ihrem besten Schmuck herzu, stiegen von den Rossen und sammelten sich in der Umzäunung. Als der König auf seinem Schlachtrosse herankam, in Königstracht, die Krone auf dem Haupt, begleitet von der Königin und einem endlosen Gefolge geistlicher und weltlicher Herren, da brauste der Heilruf durch die Scharen, und auch die Landleute schrien und hoben die Arme, obgleich viele von ihnen über das Schicksal ihrer alten Herren bekümmert waren. Der König und die Königin stiegen die Stufen hinauf und setzten sich würdig auf den Königsstuhl, um sie herum saßen auf niedrigen Stühlen die Edelsten des Reiches. Nachdem der Rufer Stille geboten hatte, erhob sich der Erzbischof von Mainz, sprach das Gebet, segnete den Tag und verkündete mit mächtiger Stimme, die weit in das Feld schallte, den Willen des Königs. Zuerst die Strafen, welche der königliche Richter über die Empörer verhängt hatte. Jeden derselben nannte er beim Namen, dann seine Missetat und die Strafe, welche nicht sanft war. Nur den Bruder des Königs nannte er nicht, um das hohe Geschlecht zu schonen. Immo stand in den Schranken nahe den Stufen und lauschte gespannt auf jedes Wort des Erzbischofs. Als in der unseligen Reihe der Besiegten der Name des Grafen Gerhard gerufen wurde, hielt er ängstlich den Atem an, denn er wußte, daß der Geliebten unsägliches Wehe bereiten würde, was darauf folgte. Aber ihm schoß vor Freuden das Blut ins Gesicht und durch die ganze Versammlung ging ein leises Summen, als der Erzbischof aus dem großen Pergament verkündete, daß die Gnade des Königs die Missetat des Grafen nicht an seinem Leben und seiner Ehre, sondern nur an einem Teile seines Gutes rächen wolle, und daß dem Treulosen gestattet werde, seinem Lehnsherrn aufs neue den Treueid zu schwören. Immo machte eine heftige Bewegung, um aus den Schranken zu eilen, und der alte Hugbald, welcher als Führer der Klostermannen auch die Ehre genoß, in den Schranken zu harren, mußte ihn am Arme halten, daß er die Feierlichkeit nicht störte. Sorglos und mit lachendem Munde vernahm er eine lange Reihe von Belohnungen, welche der Erzbischof verkündete, denn der König teilte die großen Lehen der Babenberger unter seine Edlen. Jeder, der ein Herrenlehn empfing, ritt mit seinem Gefolge in gestrecktem Lauf dreimal um die Schranken, stieg am Eingange ab, trat die Stufen hinauf, empfing kniend die Fahne und schwor den Eid in die Hand des Königs. Das währte lange, und die Sonne brannte heiß, bevor alles nach Gebühr vollendet war. Aber die Krieger und das Volk ertrugen gern den Sonnenbrand, denn was darauf folgte, war der freudigste Teil der Begabung. Der Kämmerer des Königs schritt in die Schranken, gefolgt von einer langen Reihe wohlgekleideter Diener, welche an Stangen große Truhen trugen, die sie vor den Stufen des Königsstuhls nebeneinander niedersetzten. Die Decken wurden abgehoben, und ein Goldschatz, wie ihn wenige Menschen geschaut hatten, blinkte in der Sonne. Große Kannen, Becher und Schalen, Dolche und reichgeschmückte Helme, Ketten und Armringe lagen kunstvoll geschichtet übereinander. Nach der Enthüllung scholl ein lautes Geschrei und zahllose Heilrufe, die Zuschauer drängten ganz außer sich an die Schranken, die zahlreichen Trabanten mußten stoßen und sich entgegenstemmen, um den Einbruch abzuwehren. Und die Verteilung der Ehrengeschenke an die Tapfern des Heeres begann. Der Kanzler trat vor und öffnete eine Pergamentrolle, welche bis an den Boden reichte, laut rief er den Namen jedes Helden und die Gabe, womit er geehrt wurde. Die rechte Seite innerhalb der Schranken war durch den Rufer geräumt; wer von dem Kanzler geladen wurde, trat vor den Stuhl des Königs, empfing sein Geschenk, huldigte und schritt vergnügt der anderen Seite zu. War er aber aus vornehmem Geschlecht, so überreichte der Kanzler dem König die Spende, und dieser teilte sie selbst dem Glücklichen zu und sprach, wenn er ihn hoch ehren wollte, einige huldreiche Worte. Auch das Heer und Volk begleitete mit lautem Zuruf die Gaben, wenn der Empfänger rühmlich bekannt und im Heere beliebt war. Aus der Nähe Immos wurden viele Helden gerufen, Hugbald trat vor und empfing seine Kette, nicht lange darauf hörte Immo den Namen seines Gespielen Brunico, welcher ganz hinten an den Schranken stand, und als dieser einen schweren Goldring erhielt, sprach der König vom Throne: »Den Schmied hast du mir gerettet, trage dafür seine Arbeit.« Aber Immo wurde nicht gerufen. Die Truhen leerten sich, die Unruhe in der Umgebung des Königs zeigte an, daß der Aufbruch nahe war. Immo stand mit einer kleinen Zahl andrer unbeachtet auf seiner Stelle. Er merkte, daß sich verwunderte Blicke nach ihm richteten, und er begann zornig die Kränkung zu fühlen. Hatte ihn auch der König am letzten Abend ungnädig entlassen, er wußte doch, er hatte dem König gut gedient und war oft vor anderen ausgezeichnet worden. Zwar um den Goldschatz hatte er wenig gesorgt, aber auch er hatte zuweilen daran gedacht, daß ein Schmuckstück eine gute Erinnerung sein werde. Jetzt erkannte er, daß der düstere Blick Gundomars von der Höhe auf ihm haftete, und er fühlte, ärgerlich über sich selbst, daß er errötete und den Leuten ein gleichgültiges Gesicht zu zeigen nicht vermochte. Er merkte auch, daß Herzog Bernhard, dem seine Würde erlaubte, in der Nähe des Königs sich freier zu rühren, hinter den Stuhl des Königs trat, und daß der König sich einen Augenblick nach rückwärts wandte. Er verstand die Worte des Königs nicht, und sie hätten ihn auch nicht erfreut, denn Heinrich antwortete der gutherzigen Frage des Herzogs nach Immo: »Er hat bereits weit mehr erhalten, als er verdient.« Da stieg der Herzog die Stufen herab und schritt über den Platz dahin, wo Immo fast allein stand, stellte sich behaglich neben ihn und sagte lächelnd: »Für uns beide, für dich, Held Immo, und für mich, klingt heute das Goldblech nicht.« »Euch, erlauchter Herr,« versetzte Immo mit einem dankbaren Blick, aber mit zuckenden Lippen, »vermag keine Königsgabe an Ehren etwas zuzusetzen, mir aber, hoffe ich, soll die Verweigerung der Gabe die Ehre nicht mindern.« »So ist es recht, Held,« mahnte der Herzog, »sieh trotzig geradeaus. Vernimm ein Gesuch, das ich dir zur Stelle ausspreche, weil ich erkenne, daß du schwerlich im Dienste des Königs beharren wirst. Komm als mein Gast mit mir in mein Sachsenland, wir jagen miteinander die wilden Ochsen in der Heide. Du sollst das Weidwerk bei uns nicht schlechter finden als in deinen Bergen. Und noch anderes begehre ich von dir. Die Burgen, welche fremde Seeräuber an der Küste im Wasser geschanzt haben, will ich brechen, sobald der Eisfrost eine harte Bahn zu ihren Holzringen bereitet, dabei sollst du mir helfen. Ist dir's recht, so schlage ein.« Er hielt ihm die Hand hin, welche Immo freudig ergriff. Und der Herzog fuhr fort: »Der König erhebt sich, das Heer zu entlassen. Unsere Krieger sind ungeduldig, die Herden der Beutetiere und der gefangenen Böhmen zu teilen.« Der König und seine Edlen bestiegen die Rosse, die Helden sprengten auseinander zu ihren Haufen. Vor jeder Schar hielt der König an, zollte seinen Dank und sprach die Worte der Entlassung. Auch als er zu dem kleinen Haufen der Bogenschützen kam, welche Immo führte, neigte er das Haupt und rief: »Treu erfüllt habt ihr den Eid, den ihr freiwillig gelobtet, ich löse euch von der Pflicht, zieht in Frieden heim zu euren Bergen.« Aber dabei ruhte sein Blick kalt und feindselig auf ihrem Führer, und dieser erkannte, daß der König ihn ungnädig von sich entfernte, und daß sein Schicksal ihn anders als er selbst gedacht hatte, aus dem Königsdienst löste. Er grüßte zum letztenmal mit seiner Waffe den Kriegsherrn und führte seine Knaben nach der Stadt zurück. Aus der Herberge eilte er zum Grafen Gerhard, bayrische Königsmannen hielten die Wache und weigerten ihm den Zutritt; er stürmte zu dem Hofe der Nonnen, die frommen Mütter waren mit Hildegard durch Reisige aus der Stadt geleitet, niemand wußte zu sagen, wohin. Da suchte er den Kanzler auf, dieser empfing ihn kalt. »Soll ich dir Gutes raten, so entziehe dich dem Auge des Königs, denn ich fürchte, er sinnt dir nichts Günstiges. Für die Jungfrau wird der König selbst sorgen; wie ich vernehme, will mein Herr, daß sie geschleiert werde, damit sie für die Missetaten des Vaters von den Heiligen Verzeihung erwerbe.« Mit Mühe bewahrte Immo die Kraft, den Segen des Kanzlers zu erbitten, den dieser mit einer nachlässigen Handbewegung erteilte. Er kam verstört in seine Herberge und trat in die Kammer, in welcher Heriman, der Goldschmied, lag, der von seiner schweren Wunde langsam genas. Oft hatte Immo während der Belagerung in der Hütte des Kranken gesessen und dem klugen Landsmann vertraut, was ihm auf der Seele lag, jetzt setzte er sich bleich und erschöpft neben ihn. »An einem Tage habe ich alles verloren, worauf ich hoffte, und wenn ich von hier weiche, wie ich soll, so nehme ich ein Herz voll Angst und Sorge mit mir. Dennoch vermag ich das Land nicht zu räumen, bevor ich die Jungfrau wieder gesehen habe.« »Ich bleibe zurück,« versetzte Heriman tröstend, »dir danke ich, Immo, daß ich lebe und meine Glieder wieder zu regen beginne. Diese Schuld zahle ich dir jetzt oder wann du verlangst. Besser vielleicht als du selbst, vermag ich dir zu nützen. Denn Kundschaft habe ich beim Könige und vielen Großen, und mancher Stolze beachtet in der Stille meine Worte. Ziehe mit dem Herzog, denn weilst du hier, so wird es dein Verderben. Du läßt einen zurück, der ein wenig die Weise kennt, wie man die Geheimnisse der Mächtigen erkundet. Noch ist die Jungfrau nicht geschleiert. Und was ich erfahre, Günstiges oder Ungünstiges, das sollst du wissen.« Während der Burgmann dem jungen Helden Trost einsprach und dieser gern seinen Worten lauschte, scholl in der Haustür und auf der Straße ein wirres Getön von Pfeifen, Fiedeln und Menschenstimmen, ein wilder mißtönender Lärm von allerlei Weisen, welche durcheinander klangen, von Gelächter und trunkenem Geschrei. Immo eilte die Treppe hinab. Im Hausflur saß Brunico an der weit geöffneten Tür, eine Trinkkanne in der Hand, umgeben von seinen Bogenschützen, vor ihm aber auf der Schwelle und auf der Straße stand ein großer Haufe fahrender Spielleute, von denen jeder unbekümmert um die anderen in seiner Kunst das Beste tat, so daß ein unordentliches und greuliches Getöse durch das Haus und über die Straße schallte. »Schneller,« trieb Brunico, »ihr zirpt wie die Mädchen, die zum erstenmal im Reigen springen. Wer um die Wette läuft, darf seinen Atem nicht sparen.« Von neuem begann das tolle Gefiedel und Geschrei. »Jetzt merkt auf,« mahnte Brunico lachend, »der schnellste fängt den Preis.« Er zog den goldenen Ring vom Armgelenk und hielt ihn in die Höhe, schleuderte ihn über die Köpfe der Spielleute in den Staub der Straße und rief: »So wirft der Bauer von Friemar den Armring des Königs.« Gleich Hunden sprangen die Fahrenden nach dem Ringe, sie fielen und überschlugen sich in wirrem Knäuel, das Volk schrie, jauchzte und balgte sich mit den Unehrlichen, bis endlich einer der Spielleute den Goldschmuck faßte, emporhielt und schnellfüßig mit dem Preise entrann. Und als Immo den Gespielen schalt: »Wie magst du eine wertvolle Gabe vergeuden, die dein Geschlecht und dein Mädchen lange erfreut hätte?« da antwortete Brunico: »Ich warf sie fort, damit sie mir nicht die Augen blenden sollte. Denn übel stände mir an, das Ehrengeschenk eines Königs zu tragen, der dich gekränkt hat, während er mir spendete.« 9. Unter den Rößlein der Horsila. Die Felder in Thüringen waren geleert, die Viehherden weideten auf den Stoppeln und die Jäger zogen mit ihren Hunden in den Bergwald. Auch die Brüder Immos hatten durch einige Wochen den Heerschild getragen, sie waren gegen die Elbe gezogen, um einen Einbruch der Böhmen zu rächen, aber der Feind war ihnen eilig hinter seine Berge ausgewichen und sie fanden nur die verkohlten Trümmer der niedergebrannten Höfe. Da waren sie unzufrieden heimgekehrt und sannen mit ihren Landsleuten auf einen vergeltenden Zug für das nächste Frühjahr. Als sie an einem hellen Herbstabend von der Jagd zurückkamen und gerade über die Brücke eines Nachbardorfes ritten, fanden sie den Weg durch Gedränge der Einwohner gesperrt, und noch immer liefen die Leute aus den Höfen, einander zurufend und heranwinkend. In der Mitte hielten Reiter, und um diese schloß sich der Ring. Die Jagdhunde der Brüder fuhren mit wütendem Gebell gegen den Haufen, und Erwin hatte Mühe, die Zerrenden an ihren Riemen zurückzuhalten. »Es sind Fremde, welche ausgefragt werden,« rief Ortwin, und schneller trabten die Rosse. Die Dorfleute machten den Jünglingen grüßend Platz, und diese fanden in der Mitte den Spielmann Wizzelin, der wie ein Herr gekleidet und von einem dienenden Genossen begleitet war, welcher das Saitenspiel bewahrte. Zwei Landleute hielten das Roß des Spielmannes am Zügel, vor ihm standen die Ältesten des Dorfes und in großem Kreise alt und jung mit aufgerissenen Augen, Verwunderung und helle Neugierde in den Gesichtern. »Sei gegrüßt, Spielmann,« rief Odo lächelnd, »wer deine Pferde betrachtet, muß rühmen, daß du Glück im Kriege gehabt hast.« Wizzelin neigte sich artig und trieb sein Pferd, damit es die wohlgeformten Glieder rege. »In dem siegreichen Heere findet auch ein armer Spielmann etwas Gutes,« versetzte er stolz. »Wunderbares erzählt er von dem Glück des Königs und wie die Burgen des Markgrafen brannten,« berichtete ein alter Bauer. »Tag und Nacht könnte ich euch erzählen, niemand vermöchte in einem Niedersitzen alle Heldentaten herzusagen,« fuhr Wizzelin fort. »Auch bei euch raste ich wohl einmal und singe unter der Linde; jetzt aber öffnet den Weg, denn ich begehre dringend weiter zu ziehen.« »Ich hoffe, du herbergst heute bei uns im Hofe,« mahnte Odo. Doch unter den Dorfleuten erhob sich Gemurr. »Er hat noch wenig gesagt,« riefen mehrere Stimmen. »Wir verlangen von den Nachbarn zu hören, welche freiwillig zu König Heinrich gezogen sind,« schrien andere. »Als Helden kehren sie zurück, ihre Wagen sind schwer mit dem Kampfgewinn beladen und Beuterosse führen sie in langer Reihe, auch böhmische Knechte, welche ihnen der König zugeteilt hat, wenn sie dieselben nicht bereits an die Händler verkauft haben; denn ihnen wird mühsam sein, die Menge der Sklaven auf der Reise zu ernähren.« Ein lauter Schrei der Verwunderung antwortete, und die Knaben schlugen in ihrer Aufregung Purzelbäume im Staube. »Sahst du den Dindo, den Sohn meiner Schwester Wendilgard?« frug eine stattliche Bäuerin. »Dindo?« versetzte Wizzelin, »der Held mit den runden Backen, sicher kenne ich ihn. Er kehrt ganz heil zurück, und ich meine, in seinem Reisegepäck liegt auch eine Spange, welche das stolze Herz seiner Base erfreuen wird.« »Was weißt du von Engilbrecht,« klang es aus dem Haufen, »und vom Vortänzer Richilo?« »Engilbrecht kommt ohne Wandel, sowie er gegangen ist, und der schnelle Richilo hat neue Reigen getanzt von der Mauer in eine brennende Stadt, beide schreiten mit gebauschten Taschen einher und bringen für manche, die ihnen lieb sind, Gutes in ihren Säcken; geduldet euch jetzt und ihr alle werdet erstaunen.« Wieder ging das frohe Schwirren durch die Versammlung und aller Blicke richteten sich nach den Brüdern. Niemand wollte die Frage tun, die zuerst ihnen gebührte. Da sie aber schwiegen, rief Sigilind, ein mutiges Weib: »Weißt du etwas von Brunico, dem Sohn des alten Baldhard?« »Ha,« rief Wizzelin, »du nennst einen von den großen Helden des Königs Heinrich; laut hörte ich seinen Goldschatz rühmen, denn Armringe aus Königsgold, die wohl ein halbes Pfund schwer waren, hat er meinen Genossen auf die Straße hingeworfen als Lohn für ihre Lieder.« Da scholl wieder ein lauter Schrei des Erstaunens, und Sigilind, Gisa, Engiltrud und die anderen Weiber hoben die Hände zum Himmel und rannten von dannen, um den Höfen die unglaubliche Kunde zuzutragen. »Schnatternd wie Gänse fahren sie mit gereckten Hälsen auseinander,« spottete Wizzelin leise zu Odo, »die Bahn ist gefegt, gefällt's euch, so dringen wir durch.« Und nach allen Seiten grüßend und Rückkehr verheißend, trabte er mit den Brüdern von dannen. Kaum war der Spielmann in das Tor des Herrenhofes geritten, so flog die Kunde von seiner Ankunft durch jeden Stall und jede Kammer; auch hier drängten die Leute heraus, die Knechte waren beflissen, ihm und seinem Gefährten die Pferde anzubinden, und die Mägde steckten die Köpfe zusammen und bewunderten sein schönes Gewand und die klirrende Kette. Nur Murhard, der Hofhund, und sein Geschlecht waren nicht willig zu wedeln, sie bellten wütend und unablässig und sprangen feindselig an den Spielleuten herauf, und Wizzelin klagte gegen Odo, welcher die Hunde scheuchte, mit finsterem Lächeln: »Der Fahrende vermag die Gunst der Männer und Frauen zu gewinnen, die Köter aber bleiben seine Feinde, sie erkennen ihn in jedem Gewande.« Er ordnete Haar und Rock und zog sein Gesicht in ehrbare Falten, als er in den Saal vor die Augen der Herrin Edith trat. Hinter ihm sammelten sich die Dienstleute, alle in froher Erwartung der Kunst, die er nach dem Mahle spenden würde. Den Spielleuten wurde ein besonderer Tisch gestellt, aber Edith winkte, daß ihnen gute Kost geboten wurde und der beste Met des Hauses. Und Wizzelin erhielt den Met in einem Silberbecher, welcher ihm der Ehre wegen noch lieber war als der Trank. Nach dem Mahle begann Edith: »Da du beim Heere des Königs weiltest, so gib uns Kunde, soweit du vermagst. Denn nur Undeutliches hörten wir von seinem Siege und dem Unglück der Feinde.« Der Spielmann erhob sich und begann seine Sage vom Raub des Schatzes, von Belagerung der Feste und von den Kämpfen gegen Hezilo. Er sprach langsam und feierlich und seine Rede tönte zuweilen wie Gesang; vieles berichtete er getreu nach der Wahrheit, anderes wie es ihm in den Sinn kam. Den Namen des Mannes aber, an den jeder in der Halle dachte, nannte er nicht. Regungslos, mit verhaltenem Atem lauschten die Zuhörer, nur wenn er vom Schlachtgewühl erzählte, rührten sich die Männer, ihre Augen glänzten und sie nickten einander zu, und so oft er den Fall der Helden und den Brand der Burgen beklagte, seufzten die Frauen. Als er seinen langen Bericht beendet hatte, sprach Edith: »Füllt ihm aufs neue den Becher. Du aber bewahre das Silber mit unserm Dank, denn große Dinge hast du uns verkündet, die wir alle im Gedächtnis behalten, solange wir leben.« Da sprang Gottfried auf, überreichte dem Spielmann den Becher und begann: »Weißt du etwas von meinem Bruder Immo, so verkünde auch das, denn an ihn dachten wir alle, während wir dich hörten.« Bei diesen Worten des Knaben brachen die Dienstleute in einen Freudenschrei aus, es war ein kurzer Ruf, der schnell verhallte, aber er kam aus bedrängten Herzen, die von einer Last befreit wurden. Wizzelin hob den Becher und rief: »Heil sei dir, junger Held, daß du als der erste nach ihm frägst im Saale seiner Väter.« Er ergriff sein Spiel, fuhr schnell über die Saiten und sprach: »Dieses Spiel hat oft von seinem Namen getönt, denn wir Fahrenden singen mehr als ein Lied von ihm auf den Märkten und am Herdfeuer. Wollt ihr das eine hören, wie er den Grafen Ernst schlug?« Und die Saiten rührend, stimmte er die Weise an: »Einen Helden weiß ich, Immo aus Thüringeland. So lautet das Lied,« erklärte er, »höre Geschlecht Irmfrieds!« Und er begann seinen Sang, wie Immo an der Furt des Baches die Helden des Babenbergers schlug, den Waltram, Hartwin und den jungen Hadamund, und wie er darauf die Wache am Felsentor hielt, um durch seinen Leib den König zu decken. Dort lief der edle Graf Ernst gegen ihn an, die Speere flogen, die Schilde krachten und aus den Schwertern fuhr die feurige Lohe, bis der Babenberger mit zerschlagenem Helme betäubt zurückfuhr. Da warf Wolfere von fern her den Hammer und traf dem jungen Helden das Haupt, daß er blutend zurücksank. Aber den Fall seines Edlen zu rächen, sprang König Heinrich selbst in den Kampf. Oft hatte der Spielmann die Herzen der Hörer bewegt wie er wollte, und er war gewöhnt, daß sie durch hellen Ruf und leises Stöhnen ihren Anteil kundgaben. Heute aber freute sich der Schlaue über das Entzücken, welches er erregte. Die dienenden Frauen streckten in ihrer Aufregung die Hände immer wieder dem Himmel zu, Gertrud schluchzte vor Freude, und die Dienstmannen schnoben heftig mit den Nasenflügeln und griffen mit den Händen um sich. Der Knabe Gottfried stand wie verzückt mit glühenden Wangen und aufgerissenen Augen, seine schlanke Gestalt schien zu wachsen und sein goldenes Haar sträubte sich um das Haupt. Auch andere sah der Sänger, welche sich gegen die Gewalt seiner Töne wehrten, bis ihr stolzer Groll dahinschmolz in der heißen Freude über die Ehren eines Haussohns. Die Mutter barg nach den ersten Tönen ihr Gesicht in der Hand, und als er den Sturz Immos verkündete, erhob sie sich von ihrem Sitz und trat zurück in das Dunkel. Die Brüder saßen im Anfange mit zusammengezogenen Brauen gleich Männern, welche gefaßt sind, Unwillkommenes zu hören. Doch auch ihr Widerstand wurde schwach, in ihren Augen leuchtete die Freude, die jüngeren sprangen auf und traten nahe zu dem Sänger, nur Odo blieb sitzen, aber um seinen Mund zuckte die Bewegung. Und als der Sänger endete und ein Jubelgeschrei der Dienenden, welches nicht enden wollte, durch den Saal brauste, da trat Odo zu dem Spielmann, bot ihm den Becher, aus dem er selbst getrunken hatte, und sprach: »Nimm noch dies Silber, das dir die Söhne Irmfrieds spenden. Leben wir auch in Zwist mit dem Bruder, wir freuen uns doch, wenn der Name unseres Geschlechtsgenossen im Lande gerühmt wird.« »Weißt du mehr von ihm?« rief Gottfried. Der Spielmann rührte sogleich wieder die Saiten. »Ihr mögt wählen unter den Liedern, die ich von ihm habe.« Und er verkündete ihnen nach der Reihe alles, wie Held Immo unter den Sachsen ritt, wie er den Dienstmann Egbert schlug und wie er als erster sich mit seinen Genossen in die Festung schwang. Der Sang war verklungen, die Hörer saßen schweigend, ganz aufgelöst von der starken Bewegung. Da ergriff Wizzelin seine Fiedel und begann mit dem Bogen die Saiten zu rühren, langsam, in einer rührenden Weise, aber er sang und sprach nicht mehr. Auch die Versammelten saßen still und wenn einem das Herz zu weich wurde, so wischte er verstohlen die Träne ab. Das war die erste Kunde von Immo, welche in sein Vaterhaus drang. Nicht lange darauf kehrten die Bogenschützen in ihre Dörfer zurück mit hochbeladenen Wagen und manchem schönen Beutestück. Mehr als einer wurde nach dem Hofe geladen und erzählte, so gut er vermochte, von sich selbst und von seinem Anführer, und daß Immo mit dem Sohne Baldhards am Main von ihnen geschieden war, um zu den Sachsen an die See zu fahren. Seitdem kam keine Nachricht von dem Helden, auch die Eltern Brunicos wußten nichts zu erkunden. Die Blätter fielen und der Sturmwind tobte um die Mauern der Mühlburg, von welcher der alte Dienstmann Berthold täglich nach seinem Herrn aussah. Berg und Wald lagen unter weißer Schneedecke. Jeder, der einen warmen Ofensitz erlangen konnte, schlüpfte hinein und lauschte vergnügt auf das Brodeln im kupfernen Topfe. Aber der Stuhl, den Edith täglich dem Herrensohne rückte, blieb leer, und niemand wußte zu sagen, ob er unter dem Dach eines Gastfreundes geborgen saß, oder ob er auf wilder See umhertrieb in rasendem Sturm und wirbelndem Schnee. Die weiße Decke, welche den Bergwald verhüllte, schwand im Frühlingswind. In tausend Rinnen rieselte und strömte das Wasser zu Tale, jeder kleine Quell wurde zum Bach, die Waldbäche fluteten wie große Ströme, die Weiher und Seen am Fuß der Berge überschwemmten Ried und Wiesen, und dem Fremden, welcher von einer Höhe auf die thüringische Ebene herabsah, glitzerte überall zwischen Wald und Ackerbeeten eine gewundene Wasserfläche entgegen, aus welcher die Dorfzäune hervorragten, und er konnte zweifeln, ob er einen ungeheuren See vor sich sah mit zahllosen Inseln, oder einen breiten vielarmigen Strom. Dann lagerte am Morgen und Abend dichter Nebel auf der Flut, und bei Tage flatterten ungeheure Schwärme von Wasservögeln darüber hin. Aber nach wenigen Wochen war der Schwall vermindert, Sonne und Wind verscheuchten den Wasserdunst, die Erde sog begierig das befruchtende Naß und während die Knospen der Bäume schwollen, hob sich der Wiesengrund wieder aus der Flut, und die Waldbäche zogen gebändigt durch ihre Ufer den Flüssen zu und strudelten, wo ein Baumstamm oder eine Erdscholle in ihrem Bett haftete. Dies war die Zeit im Jahre, wo die Männer aus den Waldlauben sich ihrer Schiffahrt freuten. Denn auch ihnen war ein Fluß zuteil geworden, nur klein, aber ehrwürdig dem ganzen Lande, welcher aus den Waldbächen zusammenrann und zwischen dem Gebirge und steilen Hügeln der untergehenden Sonne zufloß. Die Horsila war damals kein unscheinbarer Bach, sie trug befrachtete Kähne in die Werra, und weit von Norden her kamen Fahrzeuge der Sachsen und Friesen die Strömung hinauf bis an den Wald. Dort war bei dem alten Dorfe Horsilgau der kleine Hafen, wo sie ein- und ausluden; eine wertvolle Stätte für die Waldleute, denn die Landfracht vom Norden her war teuer und der Weg oft unsicher. Das Wasser brachte ihnen die kunstvolle Arbeit der friesischen und flämischen Weber und manches Kaufmannsgut, das ihre Frauen ungern entbehrt hätten; sie aber tauschten dagegen ein, was ihr Land an Waren bot: Honig und Wachs, Pelzwerk und Tierhäute. Auch die Erfurter kamen heran, so oft die Kähne abfuhren und anlegten, sie schlugen am Ladeplatz ihre Bänke auf, kauften und tauschten und führten die Fracht auf hochbepackten Karren nach ihrem großen Markt. Vor andern aber freuten sich die Mönche des heiligen Wigbert der Schiffahrt, sie waren seit alter Zeit die Herren der kleinen Wasserstraße und sie hielten die Burg Gotaha zumeist darum hoch, weil diese eine Feste ihres Hafens war und ihr Herrenrecht über den Fluß behaupten half. Denn der Zehnte, welchen die Mönche von allem Schiffsgut erhoben, war eine wertvolle Einnahme des Klosters, er lieferte die Wolldecken ihrer Lager, Stoff zu ihren Kutten und vor allem die geehrte Fastenspeise, den gesalzenen Heerfisch, welcher ihnen das ganze Jahr Freude an ihrem Trunk gab. So wertvoll war dies Herrenrecht, daß sie durch viele Jahre blutige Kämpfe darum geführt hatten. Dennoch vermochten sie es nicht ungeschmälert gegen einen Nachbar zu bewahren, welcher klug gleich ihnen und stärker als sie ebenso auf der Nordseite der Horsila herrschte, wie sie längs dem Walde. Ihr Feind war das Kloster von Fulda, in welchem der heilige Bonifacius beigesetzt war. Und die beiden Glaubensboten Winfried und Wigbert, kämpften aus ihren Klöstern zweihundert Jahre nach ihrem Tode grimmige Fehden um die Heringstonnen der Nordsee und um die Gewebe derselben Friesen, deren Vorfahren sie einst bekehrt hatten. So heftig tobte der Kampf zwischen den Bewaffneten der beiden Klöster, daß die Sachsenkönige mehr als einmal gezwungen waren, sich zwischen die Streitenden zu stellen. Endlich hatten die Mönche von Fulda das Recht erworben, daß auf ihrer Uferseite Kähne frei von dem Zoll der Wigbertleute fahren durften. Aber der Haß der Klöster wurde durch den Schiedsspruch des Königs nicht gestillt, und fast in jedem Jahre wurden Männer erschlagen und Häuser niedergebrannt. Diesmal brach das Eis und schmolz der Schnee früher als sonst. Das Tauwetter vereitelte einen Rachezug, den König Heinrich über die gefrorenen Sümpfe in das Slawenland gerüstet hatte. Dafür bereitete es den Waldleuten die Freude, daß sie am Fest der Tag- und Nachtgleiche auf schneelosem Anger ihre Reigen sprangen, und daß sie an demselben heilbringenden Tage auch die Kahnfahrt auf ihrem Fluß eröffneten. Die Fahrt war eine Woche vorher zu Erfurt und auf dem Lande angesagt worden, damit sich beizeiten rüste, wer Gut und Ware nach der Werra zu den Hessen und Sachsen abwärts führen wolle. Schon hatten die Erfurter ihre Lastwagen zu einer kleinen Wagenburg beim Dorfe vereint. In langer Reihe lagen die Kähne, welche von den Waldleuten die Wasserrößlein genannt wurden, am Ladeplatz, neu geteert, lang und schmal, zum Teil beladen auf die Abfahrt harrend, während die andern durch Schiffer und starke Lastträger gefüllt wurden. Aber auch von der Mündung des Flusses waren bereits einige Kähne stromauf geführt, die Schiffer hatten ihre Güter an dem Ufer geschichtet und harrten der neuen Ladung, sie waren an ihren Strohhüten, den langen weißen Röcken und den breiten Schwertmessern als Sachsen zu erkennen. Ein weiter Raum war auf dem Anger abgesteckt und mit einem Seil umfriedet, dort stand das Marktkreuz und St. Wigberts Banner, und daneben hielt der Hauptmann mit seinen Bewaffneten und dem Büttel, um den Marktfrieden zu erhalten und von Vieh und Waren den Zoll zu erheben. In der Ferne auf der andern Seite des Baches wehte neben einem Schuppen das Banner von Fulda, geschützt durch Gewappnete, welche der großen Familie des heiligen Bonifacius angehörten. Doch auf der Wigbertseite war der rege Verkehr. Auch die Landleute, welche nicht selbst um Schiffahrt sorgten, eilten an diesem Tage gern zu der Stätte. Wer Freunde und alte Genossen begrüßen wollte, konnte sie dort finden, wer sich einem Herrn zum Dienste geloben wollte, suchte dort die Gelegenheit, Rosse und Herdenvieh wurden aus den Winterställen zum Verkauf herangetrieben. Die Edlen der Umgegend kamen im Eisenhemd mit ihrem Gefolge und das Volk der Fahrenden fehlte nicht mit seiner Musik, mit neuen Liedern und Kunststücken. Im ganzen Lande war die Lust dieses Tages berühmt und sie erschien den streitbaren Männern um so ehrenvoller, weil selten ein Fest verging ohne Schwerthiebe und tiefe Wunden. Die Sonne schien hell, und größer als seit langer Zeit war das Gewühl der zugewanderten Gäste. Nicht allein an dem Flusse, in allen Dörfern längs dem Bergwald wurde der Ausgang des Winters und die junge Herrschaft des Sommers gefeiert, man sah lange Reihen geschmückter Dorfleute im Freien tanzen und vernahm ihren Gesang und das Getön der Fiedeln und Pfeifen, überall auf den Hügeln und den Vorsprüngen der Berge waren Holzstöße errichtet, welche nach Untergang der Sonne brennen sollten, denn die ganze Nacht galt für günstig und heilbringend, sie wurde beim Trinkkrug, unter Gesang und Reigentanz durchwacht und war vielen der liebste Teil des Festes. Zwischen den Bänken, worauf die Erfurter ihre Ware ausgelegt hatten, zogen die Dienstmannen der Edlen mit ihren Knechten, daneben junge Dorfhelden vom Nessebach; auch die Leute aus den Wendendörfern waren mit ihren Frauen gekommen, und neben thüringischer Sprechweise vernahm man sächsische Worte und die feintönende Rede der Slawen. Durch das Gewühl sprengten sechs hochgewachsene Reiter, die Söhne Irmfrieds, unter ihnen Gottfried, der heute zum erstenmal im Schwertgurt über das Land ritt und stolz auf die Grüße und Glückwünsche antwortete, welche ihm hier und da aus den Haufen zugerufen wurden. Neugierig blickte der junge Krieger auf die fremdländischen Männer und Waren, aber die neue Würde hielt ihn ab von freudigem Ausruf und Fragen. Die Brüder stießen auf einen Trupp berittener Spielleute, darunter auch Weiber in fremder Tracht, welche ihre Pferde in künstlichem Tanze trieben, während die Männer um die Raststelle handelten. Als die Sechs einen Augenblick in der Nähe hielten, scheute das Roß eines fahrenden Weibes und sie glitt dicht vor den Brüdern auf den Boden. Mitleidig sprang Gottfried ab, um sie vor den Pferdehufen zu bewahren, aber wie ein Federball hob sich das Weib vom Boden und bevor er sich's versah, fühlte er einen leichten Schlag auf seiner Wange, das Weib schwang sich in den Sattel und davonsprengend rief sie lachend: »Gesegnet seien dir die hübschen roten Wangen.« Da lachten die Leute rings umher, Gottfried aber wurde vor Zorn noch röter und warf einen feindlichen Blick auf die Dirne. Noch grollte er über die Dreistigkeit, da hörte er, wie Graf Markwart von Tonna spottend den Brüdern zurief: »Seit wann treibt ihr Helden Kaufmannschaft wie die Krämer zu Erfurt?« Odo sah ihn befremdet an. »Nichtige Worte redest du.« Der Graf wies auf Ballen und Tonnen, welche am Ufer lagen. »Sie tragen das Zeichen, womit ihr market, was euer ist. Ich rühme die Klugheit, welche das Erbe durch Handel zu mehren weiß.« Odo versetzte: »Rühmlicher wäre es, das Erbe durch Kaufmannschaft zu mehren als durch raubgierigen Wolfssprung auf der Heide, den die Leute dir zutrauen.« Markwart hob zornig den Arm, doch als sechs hochstämmige Helden nahe um sein Roß drängten, begnügte er sich, Feindseliges zu murmeln und wandte sich zur Seite. Die Brüder aber ritten zu den Tonnen und sahen erstaunt die Runenmarke, welche mit weißer Farbe den Stücken aufgemalt war. »Das ist Immos Zeichen,« riefen sie wie aus einem Munde und Odo frug den Schiffer, welcher dabei stand: »Woher kommst du und für wen bringst du das?« »Mein Wasserroß trug es vom Norden, drei Wochen haben wir gegen den Strom gerungen und mancher treibende Baumstamm streifte an den Bord, bevor wir ausluden. Für einen Burgmann im Lande ist es bestimmt.« Die Brüder bestürmten ihn mit Fragen, aber von Immo wußte der Mann nichts zu berichten. In der hölzernen Halle, welche unweit des Baches errichtet war und im Sommer allerlei Frachtgut bewahrte, saßen heute die Häupter der Landschaft, Edle und Grafen, welche dem Feste zugeritten waren. Markwart von Tonna war da mit seiner ganzen Sippe und seinen trotzigen Dienstmannen, die Grafen aus dem Nordgau und andere, neben den Thüringen auch Hessen, unter diesen Graf Gerhard aus den Buchen. Ihn hatte die Gnade des Königs wieder zu einem stattlichen Herrn gemacht, denn obgleich ihm die Waldwiesen und mancher andere schöne Acker abgenommen waren, galt er noch immer für reich an Erbe und Lehen, auch in Thüringen hatte er unweit der Horsila Hufen und hörige Leute. Heute begrüßte er die edlen Thüringe zum erstenmal seit seinem Unglück, er war leutselig und mild gegen jedermann, und wenn einer auf die letzte Gefahr anspielte, so zuckte er nur wehmütig mit den Achseln. Aber die meisten der Anwesenden vermieden davon zu sprechen, denn sie wußten wohl, daß sie selbst um ein kleines in derselben Not gewesen wären. Der Raum war mit Tischen gefüllt, und der Schenkwirt, auch ein Knecht des heiligen Wigbert, lief mit den Kannen umher und drehte fleißig am Hahn seiner Fässer. Die Sonne sank hinter die Berge und es dämmerte in dem fensterlosen Raume, als die Söhne Irmfrieds eintraten. Odo grüßte, und von mehreren Tischen klang der Gegengruß, aber Markwart und sein Geschlecht, welches mit dem Grafen Gerhard unweit des Einganges saß, sperrte, sich breit setzend, den Weg zu den Tischen. »Gib Raum, Markwart,« sagte Odo, »damit wir dir nicht die Knie scheuern.« Aber der Held streckte sein Bein kräftig aus und versetzte: »Mich wundert, daß die Söhne Irmfrieds begehren, ihren Sitz unter den Edlen des Landes zu nehmen, da sie sonst häufiger die schwieligen Hände der Bauern drücken, als die unsern.« »Harre, bis wir für ehrenvoll halten, deine Hand zu fassen,« versetzte Odo, »unterdes wundere dich nicht, daß ich deinen Stuhl schwenke, da du selbst das nicht tun willst.« Mit einem kräftigen Ruck drückte er den beschwerten Stuhl beiseite. Markwart hielt sich mit Mühe im Gleichgewicht; er fuhr auf und mit ihm sein Geschlecht, die Hände griffen an die Schwerter und das Eisen klirrte in der Halle. Aber der Hauptmann des heiligen Wigbert rief mit lauter Stimme: »Gedenkt des Marktfriedens,« und Gerhard sprang begütigend dazwischen und rief: »Wer eine Hand zu viel hat, der greife an das Schwert, ihr andern aber hütet euch, denn jedes Tun hat seine Zeit und jetzt ist die Zeit friedlich zu trinken.« Dieser Rede riefen viele Stimmen Beifall, der Tumult wurde gestillt und der Wirt lief wieder mit den Kannen. Gerhard aber begann in der schweigenden Versammlung versöhnliches Gespräch: »Obgleich an dieser Stelle die Mönche Wigberts ihr Rauchfaß schwingen, so will ich doch über sie die Wahrheit sagen. Ich weiß manchen, der größeres Vertrauen zu andern Fürbittern hat. Darum möchte ich dich, Held Odo, fragen, was dir von neuen Wundern des Glaubenshelden Meginhard bewußt ist. Denn auch davon hören wir gern beim Trunke.« Bevor Odo die Antwort gab, rief der Mönch, welcher während des Sommers als Aufseher im Dorfe wohnte: »Ungewaschenes Zeug kommt aus eurem Munde, Gerhard, weil ihr unserm Heiligen in seiner eigenen Halle die Ehre vermindern wollt. Achtet lieber auf anderes, was draußen vorgeht. Denn wundervolle Kunde vernehmen wir, die jedermann mit Staunen erfüllt. Ein fremder Spielmann sagt sie den Leuten, auch euch, ihr Herren, wird es freuen sie zu hören. Dich aber, du Geschlecht Irmfrieds, geht sie noch mehr an als die andern.« Der Mönch steckte eine Fackel an, daß ihr rotes Licht die Halle erleuchtete, und in das Tor sprang ein Spielmann, gefolgt von einem großen Haufen Neugieriger, er schwang sich auf eine Bank, die einer seiner Genossen vor den Eingang stellte und lud mit heftigen Armbewegungen alle edlen Helden und jedermann ein, die unerhörte Neuigkeit zu vernehmen, welche aus dem Nordmeer gekommen war, vom Kampf der Sachsen gegen die Seeräuber. Bei hartem Winterfrost hatten die Sachsen den Sieg gewonnen, indem sie über das Strandeis zogen und die festen Burgen der Räuber zerbrachen, und unter ihnen stritten die Helden der Thüringe, der edle Immo, Irmfrieds Sohn, und Brunico, sein Genosse. Grimmig war die Not der Helden im Streit gegen die Seegespenster und gegen die Riesen unter dem Räubervolk, die mit Eisenstangen auf sie schlugen. Und er schrie: »Alles, was je von Kämpfen gesungen wurde, ist wenig gegen diesen Kampf, und alles, was je von einem Schatz geschaut wurde, ist ganz wenig gegen den unermeßlichen Goldschatz, den die Helden aus den Burgen der Räuber gewannen. Von ihm will ich euch jetzt erzählen, soweit ich ihn selbst mit meinen Augen erkannt habe, denn alles vermöchte einer nicht zu schauen. Zuvor aber spendet mir etwas, denn später, wenn ihr gehört habt, lauft ihr auseinander.« Da lachten die Zuhörer und viele griffen nach den Ledertaschen, der Spielmann hob einen Beutel an einer langen Stange und fuhr damit durch die Versammlung, er überging keinen, und wenn jemand mit dem Kopf schüttelte, so schnitt er ihm ein Gesicht, oder sagte ihm etwas Boshaftes, wenn er das wagte, so daß die Herren lachten und williger gaben. Und als er eingesammelt hatte, erhob er sich wieder, beschrieb die Herrlichkeit des Goldgerätes und schätzte es nach hundert Pfunden recht genau, bis die Leute an der Tür vor Erstaunen die Hände zusammenschlugen. Als er geendet hatte, schied er von seinen Zuhörern, indem er schrie: »Jetzt ziehet dahin, ihr edlen Herren und guten Leute und verkündet es jedermann im Lande, denn selig sind die Eltern und selig ist die ganze Verwandtschaft der Helden, die mit so teurem Goldschatz heimkehren.« Die Zuhörer am Eingange liefen auseinander, in der Halle vernahm man durch das Gesumme halblauter Reden Rufe des Erstaunens. Aller Augen hefteten sich auf die Brüder und mancher trat an ihren Tisch und rief ihnen scherzend Heil zu; auch neidisches Gemurr und mißgünstige Blicke stachen gegen sie. Odo aber sprach verwundert: »Ist auch der Fahrende ein verlogener Mann, vielleicht ist doch manches wahr. Haltet fest an euren Sitzen und wehrt euch mit scharfer Zunge gegen jede Ungebühr, denn ich merke, nicht in Frieden reiten wir heute nach Hause.« Graf Gerhard aber eilte aus der Halle, gefolgt von einem vertrauten Dienstmann, denn es zog ihn mächtig zu den geheimnisvollen Ballen und Fässern, welche, wie er vernahm, dem glücklichen Immo gehörten. Er wandelte längs dem Bach, und sein Mann wies auf den geschichteten Haufen und die weißen Zeichen. »Alles riecht nach Fastenspeise, die von der See kommt,« begann der Graf und seine Nasenflügel zuckten. »Das ist die Schlauheit. Sie haben den Schatz ganz unscheinbar unter Eßbarem oder auch unter andern Waren geborgen. Von je waren die Sachsen ein listiges Volk, obgleich sie sich ganz einfältig zu stellen wissen. Viel Wunderliches hörten wir längst über den Goldschatz der Seeräuber. Aus allen Meeren haben ihn die Wilden zusammengeraubt, durch viele Geschlechter haben sie gesammelt, wie Könige saßen sie in ihren Strandburgen, sie tranken ihr Bier aus goldenen Schüsseln, welche mit Edelsteinen besetzt waren und man sagt, daß sie die Hufe ihrer Rosse nur mit Silber beschlugen. Dies alles hat ihnen Herzog Bernhard und dazu Held Immo genommen, und was hier liegt, mag diesen zum reichsten Manne im Lande machen, wenn er es auf seine Burg heimführt.« Er blickte scharf um sich, in der Nähe war niemand zu erkennen, auf den Bergen flammten die Osterfeuer, aus den Hütten klang Geschrei und Jauchzen und weiter abwärts am Bache lautes Gezänk und der Ruf nach Waffen. Die Wächter der Ladungen waren sorglos zusammengetreten und schauten nach der Stelle, wo wilde Worte und Schläge getauscht wurden. Der Dienstmann traf eine kleine Tonne, welche von den andern abgerollt war, mit einem Stoß, daß sie zur Seite fuhr. »Gefällt's euch, Herr,« sagte er lüstern, »so gebe ich der Runden noch einige Tritte, und ihr könnt in Ruhe prüfen, wie dieser Schatz der Räuber aussieht.« Unwillig entgegnete der Graf: »Willst du mich im Königsfrieden zum Diebe machen, du Wicht? Wie darf ein ehrlicher Mann fremdes Gut nehmen, wenn er es nicht durch Gewalt und Schwertschlag gewinnt? Hallo, Wächter! hütet euer Gut, die Fässer kollern.« Ein Mann in langem Mantel, den Hut tief in das Gesicht gedrückt, sprang herzu, hob das Faß an seine Stelle und brummte: »Hütet euch selbst, daß ihr nicht auf den Boden kollert.« »Enthalte dich der Grobheit, Freund,« versetzte der Graf sanftmütig, »denn ich meine es gut. Ich hoffe, Held Immo läßt seinen Goldschatz nicht lange im Wind und Mondenschein liegen.« »Habt auch ihr gehört, daß der Held seinen Schatz in diesen Tonnen bewahrt?« frug der Mann. »Wir harren der Wagen: noch während dort die Feuer brennen, wird alles hinter Tor und Riegel geborgen.« »Ich lobe die Vorsicht,« bestätigte Gerhard. »Die Osterfeuer werden heute nacht den Weg zur Mühlburg erleuchten. Wer aber schreit dort und schlägt so wild?« frug er einen der Wächter, welcher herantrat. »Es sind wieder die Knechte der Heiligen, welche einander bei den Haaren fassen,« antwortete dieser lachend, »die Fuldaer sind über das Wasser gekommen, um die Dorfmädchen im Reigen zu schwingen, und die Knaben Wigberts wollen das nicht leiden.« Der Graf schüttelte mißbilligend das Haupt. »Uns schelten die Mönche, wenn wir einmal das Schwert ziehen, aber niemand von uns hegt einen solchen Grimm gegen seinen Feind, wie die Heiligen gegeneinander. Wollen sie selbst nicht Frieden halten, so sollen sie sich nicht wundern, wenn auch wir zuweilen einer dem andern den Weg verhauen.« In schweren Gedanken schritt er der Halle zu, hinter ihm ballte Brunico, der Mann im Mantel, die Faust. Auch auf dem umfriedeten Raum vor der Halle hatte der nächtliche Jubel begonnen. Überall loderten hohe Freudenfeuer, die Bänke, auf denen die Krämer gute Bissen feilboten, waren umdrängt von Begehrlichen; was stolze Knaben gern ihren Mädchen schenken: bunte Bänder, Glasringe, Halsperlen und kleine Metallspiegel, wurde eifrig gekauft, am dichtesten umlagert waren die Stellen, wo aus Fässern und großen Kannen Bier und Met geschenkt wurde; überall wo ein Spielmann geigte, ein Sänger sang, sammelten sich die Zuhörer. Um die Feuer aber schwangen frische Knaben die Mädchen im Tanze, gesondert nach Gauen und Dörfern; zwar fehlten ihnen die Abzeichen aus Baumlaub und Blüten, durch welche sie sich im Sommer unterschieden, aber viele trugen das rote Kreuz Wigberts, andere das Rad, mit welchem Erzbischof Willigis seine Angehörigen bezeichnete, und die aus dem Nessebruch führten ein Büschel roter Wolle, mit grünem Band umbunden, statt der Distel, welche sie zu andrer Zeit auf ihren Mützen trugen. Viele tanzten in Eisenhemd und Helmkappe, alle die klirrenden Schwerter an der Seite, zu ihren hohen Sprüngen schrien Pfeife und Fiedel in gellenden Tönen. Von allen Feuern erklangen Heilrufe und markdurchdringende Jauchzer, welche die Thüringe vom Walde gewaltiger auszustoßen wußten als andere Helden. »Mich wundert, daß diese hier so sanft sind und sich ganz ohne Messer ergötzen,« bemerkte Gerhard im Durchschreiten zu seinem Dienstmann, »sonst waren sie behender, das Eisen von der Hüfte zu holen.« »Die einander raufen wollen, springen jetzt noch über den Zaun ins Freie,« lachte der Dienstmann, »weil sie sich scheuen, ihre Hand unter das Beil zu legen. Später reißen sie wohl die Schranken nieder, dann klingen auch hier scharfe Weisen.« Am Tor der Halle stieß Gerhard auf den Mönch, welcher von zwei Dienern begleitet den großen Zinnbecher trug, in welchem St. Wigbert an diesem Feste ansehnlichen Gästen den Ehrentrunk bot. Diese Spende war den Herren der Halle die wichtigste Handlung des Abends, denn stets empfing der zuerst den Becher, welcher seinem Geschlecht nach der Edelste war. Viele der stolzen Herren erhoben den Anspruch und fühlten Eifersucht gegen andere, darum schuf der Becher jedes Jahr, wenn nicht zufällig einer von den höchsten Herren des Reiches anwesend war, dem bevorzugten Geschlechte Händel und Feindschaft. Gerade deshalb war der Vortrunk um so ehrenvoller. Der Mönch stand mit dem Becher in der Mitte der Halle, segnete den Wein und begann: »Da unter den edlen Herren, welche St. Wigbert begrüßt, niemand dem Königsgeschlecht der Sachsen angehört, so reiche ich den Becher heute dem Helden aus dem ältesten Geschlecht der Thüringe.« Und er trug den Becher zu Odo. Einzelne Stimmen riefen Beifall, aber lauter war das mißfällige Gemurr und Geschrei. Die Gegner steckten die Köpfe zusammen und fuhren von ihren Sitzen, Odo aber erhob sich, trank der Versammlung Heil und reichte den Becher seinem Bruder Ortwin. Da rief Graf Gerhard, den die anderen zu ihrem Wortkämpfer gewählt hatten: »Sehr ungeschickt ist die Wahl des Mönches und eine Kränkung für uns alle. Einen Jüngling hat er zum Vortrunk gerufen, während hier nicht wenige sitzen, deren Haar im Rat und Kampfe ergraut ist.« »Eure Klage nenne ich ungerecht,« rief Odo zurück, »denn nicht den jungen Krieger soll der Trunk ehren, sondern das Geschlecht, für welches ich hier als ältester stehe.« »Wir aber vermögen nicht die Ehren deines Geschlechtes zu rühmen,« entgegnete Gerhard. »Haben deine Ahnen auch hier und da das Schwert mannhaft geschwungen, was keiner von uns ableugnet, so führt ihr doch kein Banner, welches der König euch in die Hand gelegt hat, wie wir anderen, die wir als Herren das Schildamt üben. Und wenn ihr auf eure edle Herkunft pocht, so wisset, daß man hier und anderswo euren Bauernadel belacht.« Die jüngeren Brüder sprangen von ihren Sitzen, und Odo rief: »Wenn der König unsere entlaufenen Knechte mit Lehen und mit einem Banner begabt, so rühmen sich die Knechte große Herren zu sein. Wir Bauern aber meinen, der König kann zum Grafen und Markgrafen ernennen, wen er will, aber niemanden zu einem Edlen.« »Euch aber,« rief Gerhard wieder, »haben die Mönche zu Edlen gemacht, ja man sagt auch, daß sie euch in der Stille zu kleinen Königen gekürt haben, nur daß man nicht laut davon reden darf.« Odo schlug an sein Schwert. »Ich erkenne, daß ihr selbst Lust habt, von dem Königsstabe, den wir in der Hand führen, die Belehnung zu erhalten.« Da erhob sich wieder der Hauptmann von St. Wigbert und rief mit mächtiger Stimme durch die Halle: »Übel fügen sich heiße Worte zu starkem Trunk, ich rate, daß ihr beide in dieser Nacht euren Wortkampf stillt, morgen aber, wie euch Herren gebührt, an Versöhnung denkt oder an Schwertschlag.« Aber Gerhard fuhr eifrig fort: »Nicht wir anderen haben den Unfrieden begonnen, sondern diese, vorhin, als sie hier eintraten. Und es ist wohlbekannt im Lande, daß ihr sogar untereinander nicht Frieden halten könnt. Schon zur Zeit eurer Väter raunte man im Volke mancherlei von der Brudertreue, welche die Männer eures Geschlechts einander beweisen, und jetzt hören wir wieder, daß ihr eurem ältesten Bruder Unheil gesonnen habt, so daß dieser als ein fahrender Recke in der Welt umherschweift.« Da winkte Odo finster dem jungen Gottfried, daß dieser vor den versammelten Edlen seine erste Kampfprobe ablege, denn er war schneller Worte mächtig. Und in der Stille, welche dem kränkenden Vorwurf des Grafen folgte, sprang Gottfried vor und rief laut: »Eure Rede ist unwahr, Graf Gerhard, nie haben wir gegen unseren Bruder Immo Untreue erwiesen, und jetzt leben wir in großer Sorge um den Abwesenden. Deshalb ersuche ich euch, daß ihr die Kränkung zur Stelle widerruft.« »Ein Hähnchen höre ich krähen,« versetzte der Graf lachend. »So vernehmt, ihr edlen Herren,« fuhr Gottfried fort, »daß ich vor euch allen den Grafen Gerhard einen Verleumder nenne, und überall außerhalb des Marktfriedens will ich mit meinen Brüdern das an seinem Leib und Leben erweisen, wo ich ihn treffe.« Er löste seinen Handschuh und warf ihn vor den Grafen, dieser aber stieß verächtlich mit dem Fuß daran. Da flog ein anderer Eisenhandschuh zu dem kleinen des Jünglings Gottfried; und von dem Eingang her rief eine Stimme: »Nehmt auch den meinen.« Ein hoher Krieger schritt auf den Grafen zu, dieser fuhr zurück wie vor einem Geiste, als er die zornige Entschlossenheit in einem wohlbekannten Antlitz sah, und vermochte nur zu antworten: »Dich habe ich hier nicht erwartet, und dich habe ich nicht gemeint, Held Immo.« Als er den Namen nannte, der heute in aller Munde war, regten sich die Anwesenden, viele sprangen auf und drängten heran, um den Helden zu sehen. Immo aber wies auf die Fehdezeichen: »Widerruft die Kränkung und gebt vor allen Edlen meinen Brüdern ihre Ehre, oder nehmt den Streit auf auch mit mir.« Gerhard blickte scheu auf den neuen Gegner: »Du selbst magst wissen, Immo, daß ich ungern gegen dich kämpfe, wenn ich an Vergangenes denke; und du weißt auch, daß meine Ehre mir nicht gestattet, Kampfesworte, die vor den Edlen gesprochen sind, zu widerrufen.« »Ob wir Gutes oder Arges in vergangener Zeit miteinander gehandelt haben,« versetzte Immo, »das alles sei vergessen in dieser Stunde. Als Sohn meines Geschlechts stehe ich dir gegenüber und Abbitte fordere ich von dir, oder ich suche an deinem Leben die Rache.« Da rief Gerhard mit querem Blick: »Meine nicht, mir durch dein stolzes Drohen den Willen zu beugen, ich widerstehe dir, wenn du auch jetzt auf deinen Goldschatz vertraust;« und die Handschuhe vom Boden hebend und auf den Tisch werfend, rief er: »Du denke daran, wenn du den Schaden trägst, daß nicht ich die Fehde gefordert habe, sondern du. Und darum sei Unfriede zwischen uns statt Friede, sobald wir den Schranken den Rücken kehren, und Kampf sei um Leib und Leben, Gut und Habe zwischen mir mit meinen Helfern und dir mit deinen Helfern.« Er wandte sich trotzig ab, setzte sich zu seinem Genossen Markwart und verhandelte leise mit diesem. Immo trat zu dem Tisch der Brüder und den Jüngling Gottfried küssend, sprach er: »Ich grüße euch, meine Brüder. Gewährt mir einen Sitz in eurer Mitte und einen Trunk aus eurem Becher, damit die Fremden erkennen, daß sich die Söhne Irmfrieds in der Not nicht voneinander scheiden.« Die Brüder rückten zusammen, Ortwin trug ihm den Stuhl und Odo goß ihm den Trunk ein, der Stolz wehrte ihnen zu reden, und sie saßen schweigend beieinander. Doch von den anderen Tischen eilten Bekannte des Geschlechts mit den Trinkkannen heran, den Helden zu begrüßen, und er stand von vielen umgeben und antwortete auf die neugierigen Fragen. Aber sein Blick flog prüfend durch den Raum und nach dem Tische des Grafen Gerhard, bis er an der Tür seinen Vertrauten Brunico erkannte, da winkte er diesem und trat mit ihm zur Seite in heimlichem Gespräch. Brunico drängte sich hinaus ins Freie; nicht lange, so klang in dem Gewirr von vielerlei Tönen ein neuer Gesang, ähnlich dem Quarren eines Frosches; bald hier, bald dort schrie einer aus dem Volk der Langschenkel, so daß die Leute einander lachend frugen: »Ist auch der brüllende Held Reginheri in seinem Sumpf erwacht?« Doch als sich der Froschgesang auf einer Stelle außerhalb der Schranken vereinte und mit einem lauten Heilruf endete, da dachten die andern, daß dies ein Zeichen übermütiger Genossen war, welche miteinander zu den Bergfeuern ausschwärmten. Die Helden in der Halle aber, welche nicht selbst der Fehde teilhaftig waren, freuten sich, daß der Festabend so rühmlich verlief, und daß man davon im Lande singen und sagen würde. Sie saßen jetzt friedlich bei ihren Kannen, denn ihr Gemüt war erfrischt, wie die Flur nach einem Gewitter. Plötzlich klang in das wilde Geschwirr des Marktes ein Klagegeschrei und der Ruf nach Rache. Der Gesang verstummte, die Pfeifer und Fiedler setzten ab, die Krämer liefen zur Abwehr vor ihre Bänke und warfen mit ihren Knechten die Waren schnell in die geöffneten Kasten. In die Halle sprang ein verstörter und blutender Mann und schrie: »Die Hunde des Bonifacius sind über das Wasser gedrungen, einer von uns liegt erschlagen, rächet den Schaden, ihr Wigbertmannen.« Und unter die verstörten Haufen springend, rief der Mann dieselbe Klage. Da schwand die Freude in wildem Zorn, die Frauen wichen in das Dunkel zurück, die Männer fuhren zusammen, rissen flammende Brände aus den Feuern und stürmten dem Flusse zu. Vergebens sprengte der Vogt mit seinen Mannen dazwischen und schrie den Frieden aus, die Wütenden lösten die Haltseile der leeren Kähne und drängten sich hinein, mancher Wilde sprang ins Wasser und rang sich hinüber auf die Seite der Fuldaer. Dort stürmten Bewaffnete entgegen, um die Einbrecher in die Flut zu werfen, und dicht am Ufer entbrannte der Kampf. Aber neue Haufen folgten über den Fluß, auf Tonnen und Bänken suchten sie durch das Wasser zu schwimmen; die Fuldaischen wurden rückwärts gedrängt, die rote Lohe flammte an dem Holzhaus, über welchem das Banner des heiligen Bonifacius wehte, und das Banner selbst verschwand in den aufsteigenden Flammen. Auch die Herren in der Halle waren an das Ufer geeilt, die einen in bitterer Sorge, die andern schadenfroh. Da sprach Immo zu seinen Brüdern, und es waren die ersten Worte, die er seit dem Eintritt mit ihnen wechselte. »Gefällt es euch, Söhne meines Vaters, so reiten wir. Laßt euch nicht beschweren, wenn ich euch begleite; denn ich merke, andere sinnen darauf, uns außerhalb des Friedens zu treffen.« Und Odo antwortete mit derselben Zurückhaltung: »Da der Unfriede uns alle angeht, so sei auch die Abwehr und der Angriff gemeinsam.« Sie verließen zusammen die Halle und eilten zu ihren Rossen. Erstaunt fanden die Brüder Immos, daß bei ihren Knechten und Rossen eine reisige Schar von Landleuten aus den freien Dörfern hielt. Nicht lange nachher knarrten die Räder beladener Wagen auf dem Wege, welcher zwischen dem Leinbach und einem Waldhügel nach der Mühlburg führte. Nur zwei Reiter bildeten die Bedeckung, die Knechte hatten Mühe, die Pferde in dem aufgeweichten Wege bergan zu treiben, sie schrien laut und knallten mit den Peitschen. Endlich kam an einer kleinen Steile der Zug ganz in das Stocken. Da rasselte und klang es im Holz, eine Anzahl Reiter sperrte die Straße und warf sich gegen die Wagen. Die berittenen Wächter flohen ohne Kampf talab, auch die Knechte sprangen flüchtig dem Bach zu. Als Graf Gerhard heransprengte, war das Werk getan, die Wagen in Besitz seiner Reisigen. Er lachte und rief: »Leichten Kaufes wurde großes Gut in ehrlicher Fehde gewonnen. Lenkt die Wagen seitwärts in das Holz; treibt, meine Mannen, in einer Stunde haben wir es hinter Wasser und Mauer geborgen.« Die Pferde wurden einen Waldweg bergan geführt, sie schritten jetzt rüstiger als vorher, und der Graf brummte vergnügt vor sich hin. »Ich hörte zuweilen rühmen, junger Immo, daß dein Schwert gut schneidet, aber in Listen bist du schwach, und der Alte hat dir behende abgeführt, worauf du mit trotzigem Mute vertrautest.« Der Zug betrat eine kleine Lichtung des Waldes, welche in hellem Mondschein lag, umgeben von dichtem Niederholz, dessen laublose Äste die lichte Stelle mit dunklem Grau einfaßten. Da flimmerte es in dem Holze hier und da wie von blankem Eisen, die Reiter, welche die Vorhut bildeten, jagten zurück und meldeten atemlos, daß der Weg durch Gewappnete versperrt sei; auch hinter der kleinen Schar des Grafen klang ein Kriegsruf, Hörner und laute Stimmen antworteten, und mit Erstaunen sah der Graf sich rings eingehegt durch Fußvolk und Reiter. Er riß die Pferde des vordersten Wagens herum auf die Mitte der Waldwiese und gebot den Reisigen, einen Ring um die Wagen zu ziehen. Er umritt seinen Haufen, hob den Speer und erwartete mutig den Anlauf. Aber der Angriff erfolgte nicht. Den ganzen Rand der Lichtung hielten schnellfüßige Knaben umstellt, auf dem Wege stampften die Rosse der Gegner, und man vernahm ein Rollen und Dröhnen als ob Baumstämme gewälzt würden. Jenseits des Weges zog sich ein offener Wiesengrund dem Gebirge zu, dort hatten die Dorfleute der Umgegend einen mächtigen Holzstoß getürmt, welcher in dieser Nacht als Freudenfeuer aufflammen sollte. Um den Stoß schwebten die Schatten, er wurde zusehends kleiner. »Herr,« warnte den Grafen sein vertrauter Dienstmann, »sie sperren die Wege, denn durch das Niederholz vermögen unsere Rosse schwerlich zu dringen. Brecht durch, bevor sie uns einhegen.« »Soll ich den Schatz im Stich lassen?« frug der Graf unwillig, »was in den Wagen liegt, gibt Gold und Ehre für euch alle,« und er schrie hinüber zu den feindlichen Reitern: »Was säumen die Helden heranzusprengen, offen ist das Kampffeld. Trotzige Worte hörten wir in der Halle, hier aber, merke ich, schlottern euch die Beine im Bügel.« Da rief Brunico zurück: »Schlecht kämpft sich's im Waldesdunkel, harret noch ein wenig, bis wir euch die Osterfeuer anzünden.« »Brecht durch, Herr,« rief der Vertraute aufs neue, »denn sie schichten das Holz auf der Wegseite zu einem Walle.« »Pfui über dich, Immo,« rief der Graf, in dem jetzt die Sorge mächtig wurde, »unritterlichen Brauch übst du, ich harre deiner, komm heran und schlage dich um den Schatz.« Immo rief zurück: »Auch euch war der Pfad zum Kampfe geöffnet, allzulange habt ihr euch um die Tonnen gedrängt, jetzt rate ich, mit uns in Bauernweise den Festbrauch zu üben. Die Flammen lodern, schwingt euch zum Tanze über die Scheite.« Eine kleine Flamme leckte auf, die zweite, die dritte, bald sperrte das Feuer wie ein Wall die Belagerten von dem Wege ab. Aber auch längs dem ganzen Rande des Niederholzes leuchteten die Funken, jeder der Knaben, welche dort die Wache hielten, schwenkte Kienfackeln, denen gleich, womit sich die Dorftänzer auf den Bergen um die Flammen drehten; und jeder schleuderte mit wildem Geschrei und Jauchzen die lodernden Brände gegen die Rosse der Belagerten. Die Rosse scheuten und stiegen, die Reiter selbst, entsetzt über das feurige Gefängnis, vermochten der wütenden Tiere nicht Herr zu werden, mehr als einer wurde abgeworfen und lag ächzend am Boden. In diesem Augenblicke brachen die Söhne Irmfrieds mit ihrer Schar wie ein Wettersturm durch die Flammen, im Nu waren die Helfer des Grafen überrannt, gefangen und gebunden. Der Graf selbst schlug tapfer mit dem Schwert um sich, aber durch eine mächtige Faust wurde er am Nacken gepackt und von seinem Rosse geschwenkt, daß er schwertlos auf den Boden fiel. »Ergebt euch, Gerhard,« rief Immo, »gelobt als mein Gefangener zu folgen, damit ich euch die Schmach der Weiden erspare.« Betäubt gelobte der Graf. In wenig Augenblicken war das Werk getan, behend rannten die Thüringe, die flüchtigen Rosse der Gebundenen einzufangen. Sie bändigten die Pferde an den Lastwagen und zerwarfen das Holz des brennenden Walles, und nachdem sie sich auf ein Zeichen Brunicos mit hellem Jubelruf um die Brüder gesammelt hatten, brach der ganze Zug mit den Wagen und den Gefangenen nach der Mühlburg auf. Längs der Freudenfeuer, welche überall auf den Hügeln und um die Dörfer flammten, zogen die Sieger jauchzend und singend dahin. Es war tief in der Nacht, als sie in die Burg kamen. Immo, der während der Fahrt sich von den Brüdern ferngehalten hatte, ritt jetzt zu ihnen, als sie im Hofe auf den Rossen hielten und sprach grüßend: »Seid willkommen im Hause unserer Väter, nehmt vorlieb mit karger Bewirtung, denn erst beim Licht der letzten Sonne ist der Wirt aus der Fremde heimgekehrt. Gefällt es euch, so enden wir unseren Handel mit den Gefangenen noch während der lustigen Nacht, wie er begonnen wurde.« »Du warst beim Sprung um die Scheite der Vortänzer,« versetzte Odo lächelnd, »wir vertrauen, daß du auch gegen die Gefangenen unser Recht wahren wirst.« Im Hofe der Mühlburg wurde ein großes Feuer entzündet und herbeigeholt, was der Vogt aus dem Keller zu liefern vermochte. Kräftig tranken die Thüringe, und auch den Gefangenen, welche kummervoll auf den Stufen der Halle kauerten, wurden die Kannen geschwenkt. In der Halle aber saßen die Söhne Irmfrieds mit ihren Dienstmannen und die Landleute von der Nesse, unter ihnen mit gebeugtem Haupt der waffenlose Graf. Da rief Immo ihm zu. »Hebt den Becher, Graf Gerhard, und trinkt trotz eurer Not. Einst lag ich als Gefangener in eurem Turm, da ludet ihr mich in eure Halle und botet mir den Trunk an eurem Tisch. Heute tue ich euch mit Freuden dasselbe zur Vergeltung.« »Ich lobe dich, Immo,« antwortete der Graf trübe, »daß du in dieser Stunde an den Wechsel des Glückes denkst, beide haben wir ihn seit jenem Abend in der Halle erfahren. Vergiß auch nicht, daß dem Sieger eine Ehre ist, Maß zu halten in allem, was er dem Gefangenen auflegt. Behandelt mich mit Billigkeit, ihr edlen Herren, denn glaubt meiner Erfahrung, die ich mir zu meinem großen Kummer erworben, wer allzuviel für sich begehrt, fühlt zuletzt selbst den Schaden.« Immo versetzte ernsthaft: »Meine Brüder und ich, wir sind Herren geworden über euren Leib und euer Leben, und wir vermögen euch jetzt zu zwingen durch Haft und Bande und zu schatzen an Habe und Gut, weil ihr wider die Wahrheit und wider eigenes Wissen das Ansehen und die Ehre unseres Geschlechts mit gehässigen Worten angefeindet habt. Dennoch sollt ihr erkennen, daß die Söhne Irmfrieds gegen einen bezwungenen Feind Billigkeit üben. Eure Zunge hat euch in Unfrieden gebracht, eure Zunge soll euch auch den Frieden wieder gewinnen, wenn ihr sie weise gebraucht, solange die Thüringe sich in dieser Nacht um die Festfeuer schwingen.« In dem Grafen erwachte eine frohe Hoffnung und er rief: »Sage nur, was ich reden soll, damit ich mich aus der Not löse.« Und Immo fuhr fort: »Wollt ihr Abbitte tun wegen aller kränkenden Worte und wollt ihr mit allen euren Helfern schwören, nichts von dem, was in dieser Nacht gegen euch gesagt und getan worden ist, an uns oder an einem unserer Helfer zu rächen, sondern in Zukunft Frieden und guten Verkehr zu bewahren, so mögt ihr mit unseren Gefangenen, mit Waffen und Rossen, frei und ledig von hinnen reiten, sobald der erste Sonnenstrahl unsere Dächer bescheint.« Graf Gerhard sprang erfreut in die Höhe und rief: »Wahrlich, Immo, manchen Beweis deines guten Verstandes habe ich erhalten, aber diesen will ich dir niemals vergessen. Ich bin bereit zu allem, was du von mir verlangst, zu Abbitte und Gelöbnis.« »Wohlan,« gebot Immo, »ladet jeden in die Halle, der jetzt im Hofe weilt, zuletzt die Gefangenen. Und mit diesen werdet ihr euch barhaupt und stehend demütigen.« Ein Hornzeichen rief die Gäste und das ganze Gesinde zusammen, und als alle versammelt waren, führte Immo den jungen Gottfried auf den Ehrensitz und zu diesem sprach der Graf barhaupt die Abbitte: »Alles, was ich gegen Ehre und Ansehen deines Geschlechtes jemals gesagt und getan habe, das sei ungesagt und ungetan, alle edlen Rechte erkenne ich ihm zu und auch den Vorsitz und Vortrunk. Denn wisset, ihr Herren, wenn ich auch manchmal im Ärger anders sprach, immer habe ich das Geschlecht Irmfrieds vor anderen hochgeschätzt. Und ich bin bereit, nachdem ich Vergangenes abgebeten habe, alles Gute für die Zukunft zu geloben, nicht nur weil ich in Not bin, sondern auch weil ich merke, daß dies in Wahrheit meines Herzens Wunsch ist.« Als der Graf dies nach Gebühr vollendet hatte und seine Worte durch die anderen Gefangenen bestätigt waren, wurde er mit ihnen in die kleine Kapelle vor den Altar geführt, dort gelobten die Helden für alle Zukunft jedem Rachegedanken zu entsagen. Darauf ward der Graf auf den Ehrensitz in der Halle geleitet, und jetzt trat Gottfried vor und bot ihm den Friedensbecher. Gerhard tat einen tiefen Trunk und seufzte, aber er wurde mild und froh, ja er lachte ein wenig über sein Unglück und sprach allerlei Vertrauliches zu Immo. Beim Aufgang der Sonne wurden die Rosse der Gäste vorgeführt und Immo geleitete den Grafen selbst in den Hof. Als dieser aufsteigen wollte, sah er die beladenen Wagen und mit einem sehnsüchtigen Blick sprach er zu Immo: »Hätte ich diese in ehrlicher Fehde gewonnen, so würde ich fortan meinen Met aus goldenem Becher trinken.« Da antwortete Immo: »Eifrig habt ihr darum geworben und als ein Held euer Leben dafür gewagt. Wisset, ihr habt gefochten wie der alte Hildebrand, um wollene Decken, welche die Sachsen mit guter Kunst verfertigen, und zumeist um den gesalzenen Seefisch, welchen die Leute den Hering nennen.« Als die Entledigten abgezogen waren, dankte Immo mit freundlichen Worten die Landleute ab, welche als freiwillige Helfer herangeritten waren. »Da die Gefangenen gegen den Gebrauch kein Lösegeld gezahlt haben und auf ihren Rossen davonreiten, so nehmt dafür mit meinem Dank einen Teil der Waren aus dem Sachsenland, welche ihr wieder gewonnen habt; nicht als Entgelt, sondern zur Verehrung.« Das waren die Nachbarn wohl zufrieden und Immo gebot dem Brunico, einen billigen Anteil auszuscheiden. Diesen luden sie vergnügt auf einen Karren und schieden mit Heilruf zu ihren Dörfern. 10. Die Entführung. In der Halle standen die Brüder zum Aufbruch gerüstet, als Immo ihnen entgegentrat. »Den großen Goldschatz der Räuber hat der fahrende Mann mir angelogen, doch brachte ich reiche Beute und die Gastgeschenke der Sachsen heim; nicht die Wasserrosse führten meinen Kampfgewinn der Mühlburg zu, sondern die Packpferde, welche Brunico leitete. Für euch, Söhne Irmfrieds, sind die Ballen geöffnet, damit ihr daraus wählet, was jedem von euch gefällt, und ich bitte euch, diese Gabe anzunehmen anstatt der Schatzung, die ich den Gefangenen erließ, ohne euch zu fragen.« »Solches Angebot ist gebührlich gegen Fremde, nicht gegen die Genossen des eigenen Geschlechts,« antwortete Odo finster, und Ortwin rief: »Du tust uns weh, wenn du uns Gold bietest, wo wir brüderlichen Gruß erwarten.« Da flog helle Freude über Immos gramvolles Angesicht. »Wollt ihr freundlich zu mir reden und brüderlich gegen mich handeln, so wißt, meine Brüder, daß mein Herz sich viele Jahre nach eurer Liebe gesehnt hat. Schon im Kloster fühlte ich traurig unter Fremden die Einsamkeit und dachte mich täglich heim in eure Mitte, und auch jetzt unter den Gastfreunden vermochte ich nicht die frohen Spiele ihrer Knaben zu sehen, ohne daß sich mir das Herz in Gram zusammenzog. Denn wie ein Ausgestoßener lebte ich, weil mir eure Freundschaft fehlte. Begehrt ihr, liebe Knaben, daß ich euch brüderlich begrüße, so springt heran wie einst, denn die Arme des Bruders sind geöffnet, euch zu empfangen.« Ortwin warf sich um seinen Hals und küßte ihn, und wie er taten die Jüngeren, nur Odo stand zur Seite. Gottfried aber ergriff Immos Hand und legte sie in die Hand des andern. Odo drückte sie und begann: »Der Zorn ist geschwunden mit dem grünen Laub dieses Sommers, beide wollen wir vertrauen, daß in dem neuen Lenz unter uns Sieben sich die Treue bewähre.« Und auf Gottfried weisend, fuhr er fort: »Du siehst, wir haben ihn gewappnet, und da du zu uns zurückgekehrt bist, vermögen wir jetzt in Frieden das Erbe zu teilen. Vor einem Jahre widerstand ich dir, als du das Recht des Ältesten fordertest, fortan bin ich gleich meinen Brüdern bereit, dir zu folgen, wenn du uns führst.« Aber Immo rief mit ausbrechender Leidenschaft: »Leite du die Brüder und bewahre du die Ehre des Geschlechts, denn ich kehre nicht zurück, um in Frieden unter euch zu leben. Ein großes Leid berge ich in meinem Herzen und mein Leben muß ich wagen in wilder Tat, noch bevor die nächste Sonne aufgeht. Wisset, der Tochter des feindlichen Mannes, den wir heute demütigten, habe ich heimlich mein Leben gelobt, der König aber will sie schleiern, ob es ihr und dem Vater lieb oder leid sei. Bevor sie morgen früh zu Erfurt die Klosterschwelle betritt, hole ich sie auf die Mühlburg, was mir auch darum geschehe. Dem Zorn des Königs trotze ich und dem Rechte des Landes widerstehe ich, um sie zu erwerben, denn ohne sie ist mir mein Leben verhaßt.« Die Brüder sahen betroffen einander an. »Zu früh habt ihr mich brüderlich begrüßt, ihr Söhne Irmfrieds,« fuhr Immo heftig fort, »mich wundert nicht, wenn ihr euch von mir abwendet, wie von einem Kranken, dessen Berührung Unheil bringt. Meint auch nicht, daß ich euch mahnen will an die Hand, die ihr mir jetzt gereicht habt und an den brüderlichen Kuß. Denn eure Hilfe bei der Tat fordere ich nicht, den Raub wage ich wohl allein mit denen, die sich mir gelobt haben. Euch aber sage ich vorher, was ich tun werde, damit ihr mir tröstlich seid, soweit ihr es vermögt, ohne euch zu verderben. Doch nein, liebe Brüder,« unterbrach er sich selbst, »aus Klugheit und Vorsicht hätte ich's euch nimmer bekannt, aber eure Freundlichkeit hat mir die Seele weich gemacht. Denn Sommer und Winter habe ich die Last allein getragen. Selig macht der Gedanke an das geliebte Weib, aber furchtbar quält die Angst sie zu verlieren, und manche Nacht habe ich in der Fremde auf meinem Lager die Faust geballt, oder kindisch geweint, wie mir jetzt geschieht.« Er wandte sich ab, hielt die Hände vor das Antlitz und sein starker Leib bebte im Krampf. Es war totenstill in der Halle. Endlich begann Odo: »Wenn unsere Eltern einen Rat hielten, der ihr Wohl und Wehe anging, so saßen sie vertraulich nebeneinander am Herdfeuer nieder. Führe auch du uns zum Herde der Burg, an dem unsere Vorfahren beraten haben, damit wir die Flamme aufzünden. Dort erzähle du uns von dem Weibe, welches dir lieb wurde, und wie alles gekommen ist bis heute, damit wir es wissen, denn auch das ist ein Recht der Deinen.« Da führte Immo die Brüder über den Hof zu dem Flur des Saales, worin der Herd stand, er entzündete das Feuer und schloß die Tür. Die sieben Brüder lagerten am Herde und Immo begann leise seinen Bericht, zuerst, wie Hildegard unter den Buchen sein Geselle wurde, und wie er ganz plötzlich sich glückselig fühlte, und danach alles andere. Und er zeigte ihnen auch das Pergament mit den Goldfäden, welches alle betrachteten, während er es in seiner Hand hielt, bis er es wieder im Gewande barg. Die stolzen Knaben Irmfrieds vernahmen vorgebeugt mit leuchtenden Augen die Kunde, welche auch ihr Leben nahe anging, und Gottfried saß zu den Füßen des Bruders, hielt die Hände über dem Knie desselben gefaltet und blickte ihm unverwandt in das bewegte Antlitz, während Odo zuweilen einen neuen Span in das Feuer legte. Immo aber wurde froh, daß er von Hildegard erzählen durfte, und lachte dabei treuherzig wie ein Kind, er schilderte ihr Aussehen und ihre Art, so daß sie auch seinen Brüdern gefiel, obwohl sie die Tochter eines wunderlichen Mannes war. Als Immo geendet hatte und alle in warmer Teilnahme schwiegen, begann Odo nachdenkend: »Sage uns, welche Meinung hat Graf Gerhard zu dir?« »Du kennst ihn ja auch,« versetzte Immo, »daß er hastig nach jedem Vorteil züngelt und schmeichelnde Worte nicht spart; aber ich fürchte, im Grund seines Herzens ist er mir abgeneigt, da er schon mit unserm Vater in Unfrieden lebte.« Odo nickte. »Klein ist der Funke, welcher ein großes Feuer entzündet, auch uns bedroht die Flamme. Gegen dich stehen der König und der Erzbischof, das Recht des Vaters und der Friede der Stadt, und es wird ein Kampf gegen große Übermacht um Gut und Leben, für dich und deine Helfer. Aber der König ist, wie wir hören, auf dem Wege nach Italien, das Recht des Erzbischofs beginnt erst mit dem nächsten Morgen, das Recht des Vaters werden wir alle ungern ehren, und wegen des gebrochenen Stadtfriedens werden die Erfurter vielleicht mit sich handeln lassen, zumal wir selbst einen Hof in ihren Mauern haben. Doch, wenn auch all diese Hoffnung trügt, hartnäckiger Wille eines Mannes vermag viel. Und zuletzt hast du noch deine Brüder. Denn ich denke nicht, daß diese hier den Bruder in der Not verlassen werden.« Da sprangen die Jüngeren alle in die Höhe, zuckten an den Schwertern und riefen: »Nimm den Schwur.« Und Odo fuhr fort: »Lüfte dein Schwert, mein Bruder, damit wir alle unsere Hände zugleich darum werfen. Während das Herdfeuer lodert und das Dach unseres Hauses uns bedeckt, geloben wir, dir mit Leib und Leben, Gut und Ehre zu helfen, damit du die Braut heimführst. Denn wir alle wissen, daß wir im Tode zu dir gehören, wie du zu uns.« So schworen die Sieben sich zusammen und küßten einander am Herdfeuer. Danach setzten sie sich wieder zu geheimer Beratung. Eine Stunde darauf ritten die Brüder den Mühlberg hinab, Immo mit Gottfried nach der Stadt Erfurt, die andern nach dem Herrenhofe. Immos Seele hob sich in neuer Hoffnung, als der warme Frühlingswind um seine Wangen wehte, und als der Bruder, welcher ihm am vertrautesten war, ihn immer wieder an der Hand faßte und durch seine vertraulichen Fragen lockte, von Hildegard zu reden. Sie ritten durch das offene Tor in die große Marktstadt, die der ganzen Landschaft für ein Wunder galt, obgleich sie in vielem einem ungeheuren Dorfe ähnlich war. Denn hölzern waren die Häuser, neben den meisten öffnete sich ein Hoftor, durch welches man auf die Dungstätte und die Ställe sah, die Gänse wateten durch den Kot der Gassen und das Borstenvieh lief schonungslos umher. Aber die Mauern und Tortürme ragten gewaltig, von den großen Kirchen und Kapellen läuteten fast den ganzen Tag die Glocken, auf den Marktbänken der freien Plätze war eine unendliche Fülle begehrenswerter Sachen zum Verkauf gestellt, und wer selten nach der Stadt kam, der wurde nicht müde, nach der Heimkehr von dem Unerhörten zu erzählen. Diesmal achteten die Helden wenig auf die Waren und wenig auf die stattlichen Männer und Frauen, welche in den Gassen ihren Geschäften nachgingen, sie stiegen in dem Hofe ab, der dem Geschlecht seit alter Zeit gehörte, und eilten zu Fuß nach dem Hause des Goldschmieds. Der Hof Herimans war leicht kenntlich durch das große Wohnhaus, welches sich neben dem verschlossenen Hoftor erhob. Denn ein Stockwerk ragte über dem Flur vorspringend in die Straße und trug noch einen Giebel mit mehreren Bodenräumen. Schon auf der Straße vernahm man Hammerschläge; als Immo das Gatter öffnete, welches bei Tage den unteren Teil der Türöffnung verschloß, fand er im Hausflur einen schlanken Knaben im Schurzfell, der mit Raspel und Feile an einem Metallgerät arbeitete. Auf die Frage nach dem Herrn führte der Knabe eine kleine Treppe hinauf in den hinteren Teil des Hauses, wo die Werkstatt des Goldschmiedes sich nach dem Hofe öffnete. Heriman saß mit seinem Knappen über der Arbeit, im Takte schlugen die kleinen Hämmer, um glänzendes Silberblech zu runden. Als er die beiden Krieger im Kettenhemd erkannte, sprang er auf, warf den Hammer in eine Ecke, fuhr sich heftig durch die wallenden Haare und über sein mannhaftes Gesicht flog ein Schatten von Besorgnis. Aber er bot mit ehrlichem Gruß seinen Gästen die Hand und geleitete sie aus der Werkstatt nach dem oberen Stockwerk. Durch die Lichtöffnungen der verschlossenen Läden fielen die Sonnenstrahlen in ein großes Zimmer, auf viele Truhen und Schränke und auf die schmale Bettstelle, in welcher Heriman selbst als Wächter seiner Waren zu ruhen pflegte. Während Gottfried sich neugierig nach dem Silber- und Goldgerät umsah, welches der reiche Goldschmied in seinem Hause verwahrte, stieß Heriman einen Laden auf, doch so, daß das Innere des Zimmers den Nachbarn gegenüber verborgen blieb, und rief: »Bei Tageslicht will ich mit euch verhandeln, obwohl es ein nächtliches Werk ist, an welches ihr denkt.« Er holte tief Atem und fuhr sich wieder durch das Haar. »Bevor ihr mir's sagt, weiß ich, weshalb ihr im Kriegskleide kommt, denn durch meine Base Kunitrud erfuhr ich, daß heute abend ein Gast in der Stadt einzieht, um den ihr Sommer und Winter gesorgt habt.« »Sie darf die Schwelle des Klosters nicht überschreiten; und ich will es hindern, oder meinen Leib in euren Mauern zurücklassen.« Heriman setzte sich auf einen Schemel und neigte betäubt das Haupt. Aber gleich darauf erhob er sich. »Ihr fordert, daß ich heute meine Schuld bezahle? Ihr sollt euch in mir nicht geirrt haben, was mir auch darum geschehe. Doch bevor ich euch meinen guten Willen erweise, frage ich: ist es nötig, daß ihr im Frieden der Stadt wagt, was ihr tun wollt?« »Sie kommt mit reisigem Gefolge ihres Vaters und des Erzbischofs. Ganz unsicher wäre das Gelingen bei einem Speerkampf auf offener Heide.« »Dann also muß es hier sein. Sie rastet heute nacht im Hessenhofe, wo ihr Vater immer einliegt, ein Reisiger hat die Ankunft gemeldet. Morgen reitet der große Erzbischof in unsere Stadt, er selbst soll sie nach dem Willen des Königs den frommen Müttern zuführen. Noch andere Neuigkeit weiß ich: morgen früh wird die Heerfahne des Königs auf seiner Burg ausgesteckt und die Boten werden durch das Land rennen, den großen Kriegszug nach dem Land Italien anzusagen. Denn der König will sich dort die Lombardenkrone holen. Das geht euch an, wie uns alle.« »Dieser Abend aber gehört noch mir,« versetzte Immo finster. »Die Burgmannen sind in Bewegung wegen der Kriegsreise, heute abend werden die Straßen und Schenken gefüllt sein. Das mag euch frommen oder auch hindern. Wollt ihr eure Hand um die goldene Spindel legen, die euch im fremden Hause gehört, so müßt ihr sie nicht nur aus dem Hause holen, auch sicher aus Tor und Mauer schaffen. Die Erfurter aber halten an ihren Toren gute Wache und fordern Zoll von jeder Ware, die aus- und eingeht.« »Kannst du mir helfen, was mein ist, aus dem Hause zu schaffen, so trage ich's mit meinen Schwurgenossen unter den Schilden durch das Tor.« Heriman schüttelte den Kopf. »Kommt ihr mit einem Haufen, so findet ihr hier einen größeren, und bringt ihr ein ganzes Heer, so werfen euch meine Mitbürger Speer und Axt, den Sturmgesang vom Turme und ihre Lärmhörner entgegen.« »Nicht mit einem Heerhaufen gedenke ich auszubrechen. Nur sieben haben ihr Leben für die Tat gelobt und zwei davon stehen vor dir.« »Und ihr wollt, daß ich der achte sei?« frug Heriman, »reicht das Kreuz eures Schwertes, ich bin bereit.« Immo zog das Schwert und hielt den Griff in die Höhe, Heriman murmelte sein Notgebet, dann legte er die Schwurfinger auf das Kreuz und sprach die Worte, durch die er sich Immo gelobte. Seine Unsicherheit war geschwunden, er warf das Schurzfell von sich, holte Mantel und Mütze vom Haken, gürtete sein Schwert um und begann: »Vertauscht auch ihr den Eisenhut mit dieser Mütze, ich hoffe, sie soll euch passen, und schlagt den Mantel zusammen, damit ihr den Nachbarn weniger auffallt. Euch aber, junger Held, ersuche ich, die Helmkappe des Bruders in der Herberge zu bewahren, während wir beide durch die Straßen gehen, denn zwei Wölfe sind nur ein Paar, aber drei eine Rotte. Ich geleite euch zu dem Hofe, in welchem die Jungfrau heute nacht rastet, damit ihr die Gelegenheit selbst erkennt, denn lichtlos wird am Abend Hausflur und Treppe sein; seht scharf um euch und achtet auch auf Kleines.« Sie verließen das Haus. Mit Mühe hemmte Immo in den Gassen seinen Schritt zu dem langsamen Gange, in welchem sich Heriman seiner Würde gedenkend bewegte. »Dies ist der Hessenhof,« murmelte Heriman, »der Wirt ist ein Mann des Erzbischofs, aber ein redlicher Nachbar.« Immos Blick achtete forschend auf die Umgebung und auf das Haus, welches dem des Goldschmieds ähnlich, nur kleiner war, und auf das Hoftor, durch welches man die Hintergebäude und Ställe sah. Sie traten in den Flur, stiegen unaufgehalten die Treppe hinan, fanden die Tür eines Zimmers offen und darin eine kräftige Frau, welche mit dem Besen umherfegte und den Heriman vertraulich grüßte. »Dies ist Base Kunitrud, die Witwe eines wackern Burgmannes, sie ist dem Wirt dieses Hofes befreundet und steht seinem Haushalt vor. Dir aber, Base, führe ich den edlen Helden Immo zu, weil er deinem guten Gemüt vertraut, das ich ihm gerühmt habe, und einen Dienst von dir begehrt.« »Auch wir in Burg Erfurt haben von Held Immo mancherlei vernommen,« antwortete Kunitrud geschmeichelt, »und ich gedenke vor allem der Guttat, die ihr diesem hier erwiesen habt.« »Um dir alles zu sagen, Base,« fuhr Heriman auf einen bittenden Blick Immos fort, »der Held trauert, wie du ihm leicht ansiehst, darüber, daß das Grafenkind geschleiert werden soll. Denn er hat sie im Hause ihres Vaters und auch sonst lieb gehabt, wie die Art junger Leute ist; und darum möchte er ihr durch deinen Mund noch einen Gruß sagen, bevor sie bei den frommen Schwestern eingeschlossen wird.« Kunitruds Augen glänzten von Neugierde und Teilnahme. »Verliert nur nicht den Mut, edler Herr, ich habe mehr als eine Nonne gekannt, welche vom Erzbischof Urlaub erhielt und als ehrliche Hausfrau lebte mit Kindern, so drall wie die Äpfel. Denn in dem Erdgarten ist alles möglich, wenn man's nur erlebt.« Während ihr Immo für die Teilnahme zu danken suchte, fuhren seine Augen rastlos um die offene Tür, das Türschloß und die Treppe. Beim Herabsteigen mahnte Heriman leise: »Achtet auf die ausgetretene Stufe, ein falscher Tritt mag den Erfolg verderben. Und jetzt schnell vom Hause weg und in gerader Richtung dem Tor zu, durch das ihr entrinnen sollt. Einreiten müßt ihr bei Tage, solange das Tor geöffnet ist. Eure Brüder sind hier wohlbekannt und ihre Ankunft wird in der Aufregung des Tages niemandem auffallen. Mit Sonnenuntergang wird das Tor gesperrt und den Ausreitenden geöffnet; wenn die Nacht so weit heraufgestiegen ist, daß die Bürgerglocke zum zweitenmal läutet und die Schenken geschlossen werden, dann wird auch die Brücke gehoben, und von da vermögt ihr nur mit Heeresmacht hinauszureiten. Ihr müßt die Tat also zwischen Sonnenuntergang und dem zweiten Glockenklang vollbringen. Ich sende, wenn die rechte Zeit gekommen ist, meinen Knappen nach eurem Hofe, ich selbst warte eurer in der Nähe des Hessen. Und noch eins habe ich auf dem Wege bedacht,« fuhr Heriman fort, »gelingt es euch nicht, zum Tor hinauszuschlüpfen, so müßt ihr die Hälse wagen auf einem anderen Wege, den schwerlich jemand ohne Not wählt. Ein Stück der Stadtmauer ist verfallen, gerade jetzt bessern sie an dem Schaden, die Stelle ist nicht auf eurem Wege, sondern nordwärts, und nahe der Königsburg. Dennoch sollt ihr sie beschauen, ob sie in der Not euch Rettung gewährt.« Er führte vom Tor längs der Mauer zu einem wüsten Platz, unter Schutthaufen. Die Trümmer der eingestürzten Mauerwand ragten aus dem Grabenwasser und die Arbeiter hatten Bretter darübergelegt, auch an der Böschung der Außenseite sah man den Fußsteig, durch welchen sie aus- und einliefen. »Lacht der Mond freundlich, so ist der Angstpfad wohl zu durchreiten,« entschied Immo. »Jetzt weiche von mir, Heriman, damit du dich nicht ohne Not gefährdest, denn deine Burgmannen werden bald mit Argwohn meiner gedenken.« Nach kurzem Gruß entfernte sich der Goldschmied, Immo eilte in die Herberge und sprengte gleich darauf mit dem Bruder aus dem Tor. Eine gute Wegstunde von Erfurt lag unweit dem Grenzwall, welcher die Güter des Geschlechts von der Stadtflur schied, ein Hügel, der mit Eichen bewachsen, auf seinem Gipfel ein altes Blockhaus trug, in welchem die Jäger und Hirten zu rasten pflegten. Im Sommer war die kleine Lichtung von dichtem Schatten umhüllt, auch jetzt bot das Geflecht der Äste und Zweige einen sicheren Versteck. Zu dieser verborgenen Stelle hatte Immo die Brüder und die Getreuen von der Mühlburg geladen, wenn die Sonne die Mittaghöhe erreichen würde. Er fand bei seiner Ankunft Brunico mit den Waffen und frischen Rossen, und den Vogt der Mühlburg, welcher die letzten Befehle des Herrn empfangen sollte. Als Immo absprang und seinem Bruder Gottfried zunickte, erkannte er in dem erblichenen Antlitz des Jünglings die Erschöpfung, er hob ihn in seinen Armen vom Pferde und streichelte ihm die Wangen. »Zwei Tage und eine schlaflose Nacht im Eisenhemd waren für meinen Liebling zuviel, noch hast du Zeit, ein wenig zu ruhen, damit dir am Abend nicht die Kraft versagt.« Und mit freundlichem Zureden nötigte er den Widerstrebenden auf ein Lager von Waldheu, das er im Blockhaus breitete, er rückte ihm das Haupt zurecht und deckte ihn mit dem Wollmantel. Dann trat er ins Freie und blickte unverwandt nach dem Wege, der vom Herrenhofe herzulief. Die Brüder stoben in ihrer Rüstung heran; als sie den Bruder auf der Höhe erkannten, wirbelten die Jüngeren lustig die Speere. Odo führte sein Roß zu Immo und bot diesem die Zügel. »Nimm heute den Sachsen zurück,« sagte er, »denn die Braut, welche wir einholen, soll von diesem Tiere getragen werden, welches der Stolz des Hofes war. Die weiße Farbe ist gedeckt, damit es im Dunkeln nicht jedermann erkennbar schimmere.« Da schlang Immo den Arm um den Hals des Bruders und antwortete: »Die Gabe nehme ich nicht, edler Odo, denn größere Gunst fordere ich von dir selbst. Nicht meine Arme dürfen die Braut, um welche wir reiten, aus der Stadt tragen, sondern du selbst sollst es tun. Mir gebührt die Abwehr, der Kampf und die Nachhut auf der Flucht. Dir aber übergebe ich die Geliebte, daß du nur um sie sorgst und sie rettest, was uns andern auch geschehe.« Da nickte Odo: »Es sei, wie du willst.« Schweigend standen die Männer und schauten zuweilen durch die Baumäste nach dem Stand der Sonne. Endlich hob Immo den Arm nach dem Himmel, da neigten alle die Häupter und flehten leise zu den hohen Engeln um Rettung aus der Not, in welche sie ritten, dann traten sie an die Rosse. »Wo bleibt Gottfried?« frug Odo. Immo sprang in das Blockhaus. Der Bruder lag in festem Schlummer, er hielt die Hände gefaltet und lächelte. Als Immo das Kind so im Frieden liegen sah, wurde ihm plötzlich das Herz weich, er trat leise zurück und zu den Brüdern kehrend, sprach er: »Er liegt in süßem Schlaf, ich traue mich nicht, ihn zu wecken.« »Bleibt er zurück, so wird er uns immerdar zürnen,« versetzte Odo und wollte hinein, aber Immo hemmte ihn und sprach: »Denket daran, Schwurgenossen, daß unsere Mutter einen Sohn behalte,« und dem Dienstmann Berthold die Hand zum Abschiede reichend, bat er: »Wenn er erwacht, so sage ihm, daß wir einen von uns gewählt haben, für unsere Mutter zu sorgen, und der eine sei er.« Wieder hob er den Arm zur Sonne und die Helden sprengten den Berg hinab der großen Stadt zu. Im Walde vor Erfurt teilte sich die Schar, denn nicht zu gleicher Zeit und zu einem Tore wollten sie einreiten. Die fünf Brüder zogen auf dem nächsten Weg durch dasselbe Tor, zu welchem sie die Geraubte hinausführen mußten. Immo aber mit Brunico betrat die Stadt durch das Tor im Osten. In der Herberge trafen alle zusammen, sie fanden viel Volk in den Straßen und in den Schenken, auch Bewaffnete aus der Umgegend klirrten einher. Die Brüder aber gingen einzeln und zu zweien durch die Menge und betrachteten die Gassen, durch welche sie reiten, und die Ecken, an denen sie sich aufstellen sollten. Die Sonne sank, in den Straßen wurde es dunkel, die Gassen leerten sich, doch aus den Häusern glänzten die Herdfeuer und aus den Schenken klang der Lärm lustiger Zecher. Die Brüder standen im Hofe ihrer Herberge bei den gesattelten Rossen, sie wechselten gleichgültige Worte, aber in der langen Erwartung hämmerte ihnen das Herz in der Brust. Und wenn ein Laden oder die Flurtür geöffnet wurde, so kam ihnen bei dem matten Lichtschein vor, als ob sie alle bleich wären wie Leblose. Da fuhr eine dunkle Gestalt von der Gasse in den Hof, und der Knappe des Goldschmieds flüsterte Immo zu: »Der am Idisbach lag, grüßt euch und läßt euch sagen, es sei an der Zeit. Der Graf und sein Gefolge sind beim Vogt des Erzbischofs zum Nachtmahle.« Gleich darauf ritten die Brüder langsam aus dem Hofe, voran Immo neben dem Boten, nach ihm Odo und Brunico, die andern Brüder folgten ganz allmählich zu zweien. Vor dem Hessenhofe war die Straße leer, aus dem Hofraum aber vernahm man Stimmen und das Stampfen der eingestallten Pferde. An dem Kellerhals des Nachbarhauses tauchte ein Schatten auf und glitt neben Immo bis nahe zu der Haustür. Den Zügel des Rosses ergreifend, mahnte Heriman mit heiserer Stimme: »Steigt ab.« Immo sprang in das Haus; langsam ritt Odo bis dicht vor die Haustür. Das Zeichen der Nachtglocke klang gellend vom Turme, in den Höfen rührte sich's und vom Markte her vernahm man den schweren Tritt und das Klirren Bewaffneter. »Er ist verloren,« stöhnte Heriman. Da sprang Immo über die Schwelle, eine verhüllte Gestalt im Arme, er schwang sie dem Bruder auf das Roß und der Sachsenhengst fuhr in gestrecktem Lauf die Gasse entlang dem Tore zu. Als Odo um die Ecke bog, war er nicht mehr allein, denn hinter ihm ritten Adalmar und Arnfried, und als sie dem Tor nahten, fanden sie Ortwin und Erwin schon in Verhandlung mit den Torwächtern, welchen Ortwin zurief: »Frisch, ihr guten Männer, beeilt euch aufzusperren, wir reiten zum Ehrentanze für eine Braut.« Odo hielt im Dunkeln, er hörte das Knarren der Torflügel und mahnte zurück: »Schließt dicht an.« Dann sprengte er hinter die vorderen Brüder, und die Schar ritt eilig durch das Tor auf die Brücke. »Haltet, halt! was tragt ihr hinaus?« schrie der Wächter, aber der Ruf verklang hinter den Flüchtigen. Sie stoben gerettet unter dem Nachthimmel dahin und sahen rückwärts nach dem Bruder aus. Als Immo vor dem Sachsenhofe nach seinem Rosse sprang, schrie aus dem Oberstock eine helle Frauenstimme: Raub, Zeter und Waffen. Die Scharwächter stürmten heran, aus dem Hoftor drangen die Knechte, auch diese riefen Feuer und Rache. Im Nu erhob sich wilder Tumult und Waffengeklirr. Gegen Immo, der mit Mühe sein Roß gewonnen hatte, warfen sich die Scharwächter, er wehrte den Führer mit dem Speer ab, und als der Mann stürzte und die Genossen sich um ihn sammelten, riß Brunico das Pferd seines Herrn am Zügel und schrie: »Fort, die Bahn ist offen.« Aber indem Immo sich wandte, klang in seinem Rücken aufs neue Geschrei und Schwertschlag, und die Stimme Herimans rief flehend: »Verlaßt nicht euren Helfer, der für euch das Schwert hob.« Da merkte Immo, daß die Stunde gekommen war, in welcher eine Lehre des Mönches Gehorsam forderte, und daß dieser Gehorsam ihn von Freiheit und Glück schied. Aber seiner Ehre gedenkend, rief er entgegen: »Des Rosses letzter Sprung sei für dich,« und er warf sich zurück in den wütenden Haufen, stach und schlug, bis er den Heriman herausgehauen hatte und dieser hinter dem Roß in der Dunkelheit verschwand. Jetzt wandte sich Immo aufs neue zur Flucht und stob mit Brunico dem Tore zu. Aber die Stadt war geweckt, hinter ihnen stürmten mit lautem Hallo die Verfolger, aus aufgerissenen Fensterläden fiel hie und da ein Lichtschein auf die Flüchtigen, die Trinker sprangen mit gezückter Waffe aus den Schenken und warfen sich ihnen entgegen. Als sie das Tor vor sich sahen, erscholl auch von dort Alarmruf und Kampfgeschrei Bewaffneter, welche auf sie zurannten. Da fuhr Brunico in der Bedrängnis zur Seite in eine enge Gasse der gebrochenen Mauer zu, Immo folgte. Der größte Teil der Verfolger lief nach dem nächsten Tor, um die Flüchtigen dort abzuschneiden, die Gehetzten gelangten bis zu den Mauertrümmern. Dort hielt Brunico. »Voran,« befahl Immo. Keuchend klomm das Roß des Mannes hinab, dieser gelangte glücklich über den Bretterstieg, indem er unterwegs brummte: »Nicht umsonst habe ich dich zum Feierabend zurecht gelegt,« und fuhr auf der andern Seite in die Höhe. Ihm folgte Immo. Er sah sich auf der wüsten Stätte um, noch waren die Verfolger zurück, aber sein verwundetes Roß hinkte; als er es hinabtrieb, brach es an dem Trümmerhaufen, welcher aus dem Wasser ragte, zusammen, warf den Reiter hart gegen die Steine und glitt in das Wasser, in dem es angstvoll stöhnte und um sich schlug. Immo erhob sich betäubt vom Fall, er merkte jetzt, daß er selbst hart verwundet war; mühsam wankte er auf den Steg und wand sich an der andern Seite des Grabenrandes empor. Dort blieb er liegen. »Fünf Jahre habe ich dich gezogen,« klagte Brunico zu seinem Hengst, »und jetzt rinnt dir's heiß von der Hüfte und du ziehst auf dem Wege eine Spur gleich dem verendenden Wild. Einem ruhmlosen Tölpel gehörte der Speer, welcher auf das Roß zielte statt auf den Reiter.« Hinter sich vernahm er einen leisen Ruf, er sprengte zurück. Unweit des Grabens lag ein Mann am Boden, Brunico sprang ab. »Der Schildarm ist getroffen,« seufzte Immo, »und er hängt nach dem Sturz machtlos in der Achsel.« »Ein wunder Mann und ein wundes Pferd sind einander jämmerliche Gesellen,« rief Brunico. »Dennoch helfe ich dir auf mein Tier, mich birgt die Nacht und der nächste Graben.« Er hob den Wunden mit starker Anstrengung auf sein Roß, aber Immo schwankte wie betäubt. »Halt aus, Brauner, bis zum nächsten Wald,« ermunterte Brunico, »dort lade ich ihn auf meinen Rücken.« Er schwang sich hinter dem Verwundeten auf, die Hinterbeine des Pferdes knickten unter der Last, Brunico trieb es mit den Sporen dem Saum des Gehölzes zu, welches in der Dunkelheit schwarz vor ihnen lag. »Die Hunde werden im nächsten Augenblick hinter uns sein,« brummte der Knappe nach rückwärts spähend, »und unsere Kunst geht zu Ende.« Er sprang wieder ab. »Birg mich seitwärts vom Wege und rette dich, vielleicht vermagst du Hilfe zu bringen,« mahnte Immo. »Der Mond scheint über kahles Land, sie finden dich, bevor ich ein Pferd schaffe.« Vor ihnen knarrte ein Karren und knallte eine Peitsche. »Der Wagen fährt auf unsere Dörfer zu,« rief Brunico erfreut, »ich meine, es ist ein Nachbar, der sich in der Stadt verspätet hat.« Er rief den Wagen an und führte das Pferd zu ihm hin. »He, Landgenoß, kennst du den Freien Balderich im Dorfe vor uns?« »Vielleicht kenne ich ihn,« versetzte der Mann, mit der Peitsche knallend. »Willst du helfen, einen Verwundeten heimlich nach seinem Hofe zu schaffen, so soll dir ein guter Lohn werden.« »Es kommt darauf an, wer der Wunde ist,« versetzte der Mann auf dem Karren. Als aber Brunico ihm näher kam, wandte er sich heftig ab. »Dies Gesicht kenne ich, ich sah dich unter den Disteln, verflucht sei die Hand, die sich dir zur Hilfe rührt.« Brunico zog sein Schwert. »Laß den Mann in Frieden,« befahl Immo, aber er selbst glitt kraftlos vom Roß in die Arme des Getreuen. Der Fuhrmann beugte sich über ihn. »Halt,« rief er, »auch diese Stimme erkenne ich. Kann euch mein Wagen helfen, Herr, so hebe ich euch herauf. Es sind dieselben Räder, die ihr in meiner Not aus dem Wasser hobt.« Immo nickte schwach mit dem Haupt. »Ladet mich auf.« Die beiden Männer hoben ihn auf den Wagen, der Fuhrmann Hunold breitete eine Decke und rückte die Strohbündel. »Euch schaffe ich in das Dorf, der andere möge sich fern halten von meinem Messer.« Immo streckte die Hand über das Wagengeflecht. »Fort mit dir, Gespiele.« Der Knappe warf sich mit einem Seufzer auf das Pferd und trabte dem Holze zu, während der Fuhrmann ihm zornig nachsah. Hinter dem Wagen klang schneller Hufschlag. Hunold sah sich um und zog die Decke über den Liegenden. Bewaffnete sprengten heran und frugen barsch nach Namen und Fahrt. Auf die Antwort des Führers, daß er ein Mann des großen Bischofs sei, klang die Gegenfrage, ob er Reiter gesehen habe. »Sicher sah ich sie, kaum ein Viertel Weges zurück am Kreuze, zwei Männer auf einem Pferde,« und er wies rachsüchtig dorthin, wo Brunico in der Dunkelheit verschwunden war. »Ihr mögt die Spur erkennen, denn sie liegt rot auf dem Wege.« »Sie sind es,« riefen die Reiter und stoben zurück bis zum Kreuzwege. Aber sie erreichten weder Roß noch Reiter. Denn Brunico war, als er sich in der Dunkelheit allein sah, vom Hengst gesprungen und hatte das zitternde Tier mit einem Schlage vorwärts getrieben. »Hilf dir allein, wenn du kannst, ich denke, den Weg nach deinem alten Stalle kennst du. Ich laufe dem Karren nach Balderichs Hof vor, damit der Alte und mein Mädchen über das Brautgeschenk, das ich ihnen sende, nicht allzusehr erschrecken.« 11. Die Mutter auf der Burg. Von den Mauern der Mühlburg spähten Immos Brüder die ganze Nacht sorgenvoll nach der Tiefe, immer wieder erwogen sie, ob er getötet sei, ob er in Erfurt gefangen liege, oder ob er sich auf einem Umweg in die Berge schlagen und zu ihnen kehren werde. Jedes Rauschen im Holz, jede Tierstimme im Walde dünkte ihnen ein Zeichen des Nahenden. Als der Morgen graute, sandten sie Läufer in die Dörfer, welche ihnen gehörten, und forderten heimlichen Zuzug ihrer Dienstmannen, und zwei von ihnen warfen sich mit den Knechten in das Gehölz, wo ein gedeckter Anritt zu den Bergen möglich war. Aber friedlich lag die Landschaft, auch von dem Turm des vorderen Berges, der am weitesten die Ebene nach Erfurt überschaute, vermochten sie nichts zu erkennen, nur einzelne Reiter sahen sie hie und da auf den Feldwegen, und ihre spähenden Knaben verkündeten, daß es Reisige des Erzbischofs waren, welche vorsichtig bei den Bauern nach der flüchtigen Schar forschten, aber den Rand des Gehölzes vermieden. Als die Sonne im Mittag stand, rief Ortwin: »Nicht länger vermag ich die Unsicherheit zu ertragen, es bringt uns wenig Ehre, hinter den Mauern zu harren, während der Bruder in Not ist; ich sattle und reite nach dem Hofe der Mutter und weiter der Stadt zu, damit ich Bericht einhole, sei er böse oder gut.« »Ich widerrate,« versetzte Odo, »daß du der Mutter unter die Augen trittst, denn besser ist es, daß sie völlig keinen Teil habe an unserm Handel und fortan ebensowenig der Jüngling Gottfried, so wollte es auch unser Bruder Immo. Der Jungfrau aber hier auf dem Berge dient die alte Gertrud, welche die Mutter auf meine Bitte gestern dem Bruder gesandt hat. Auch deinen Ausritt vermag ich nicht zu loben, leicht könnten wir noch dich verlieren; besser gefällt mir, daß wir den Müller Ruodhard schicken, er versteht die Leute auszufragen und hat überall eher Frieden, als ein anderer.« Der Rat gefiel den Brüdern und Ruodhard stieg eilig von dem Berge. Auf dem Herrenhofe fand er alles in Schrecken und Verwirrung, Frau Edith hielt das Tor geschlossen, nur über dem Grabenrand konnte er mit den Knechten verhandeln. Niemand dort wußte etwas von Immo und seinem Knappen. Dann lief er bis Erfurt. Alle Schenken waren gefüllt, und jedermann sprach von dem Raube, aber die Leute stritten, wer der Räuber sein möge, und von Immo vernahm er völlig nichts und er meinte, daß dieser schwerlich in Haft liegen könne, weil die Reisigen noch auf der Jagd wären. Da beschlossen die Brüder, still zu harren, aber sie frugen unsicher, wie lange sie die Jungfrau bewahren sollten, wenn ein Landgeschrei erhoben würde und wenn gar die Mutter die Entlassung forderte. Wieder am nächsten Morgen hielten zwei der Brüder auf dem Wartturm die Wache, da lachte Ortwin: »Den Kranich Ludiger hörte ich schreien, wie lief der Vogel aus unserm Hofe über das Land?« und als er hinabsah, erkannte er, daß an der Außenseite des Grabens mitten auf dem Wege etwas Fremdes lag. Er ließ das Tor aufsperren, die Brücke werfen, eilte hinab und hob vorsichtig den Fund in die Höhe, dann sprang er abwärts bis an das Gehölz, aber er vernahm nur noch ein Rasseln der Zweige, als ob jemand schnell hinabgleite, und suchte vergebens den Springer zu erkennen. Er flog zurück, rief in den Hof: »Eine Botschaft bringe ich, was sie bedeute, mögt ihr selbst erkennen,« und hielt ein kleines dicht umwundenes Bündel in die Höhe. Das Gebinde ging von Hand zu Hand, und Odo sprach: »Sicherlich ist es ein Zeichen, ruft die alte Gertrud, denn sie versteht alles Geheime besser zu deuten als wir andern.« Gertrud betrachtete mit scharfen Augen das fremde Stück, sie setzte sich nieder, murmelte Unverständliches darüber, löste behutsam das Band und dachte nach. Endlich hob sie die Hand und rief: »Ich verstehe den Gruß, Günstiges kündet er dem Hause; denn daß der Kranich rief, meldet euch, daß die Botschaft von einem Sohne des Hofes kommt; blau ist das Band, welches das Zeichen umschließt, und mit blauer Farbe malt ihr Helden eure Schilde, in der Schlinge liegen fünf Pfeile um ein Haselreis und eurer sind fünf, und das Reis in der Mitte meint die Jungfrau. Der dies gesandt hat, will, daß ihr mit euren Waffen die Jungfrau umringt wie die Pfeile das Reis. Das Reis ist noch ganz frisch, darum ist, der es sandte, nicht weit entfernt.« Da rief Odo: »Geendet ist der Zweifel. Er lebt und er denkt seine Beute zu bewahren, er soll erkennen, daß auch wir nach seinem Willen tun; wir halten die Jungfrau und wir halten die Burg gegen jedermann; denn hoch ist der Berg und fest die Mauer, und viele Helmkappen mögen daran zerschellen, wenn die Grafen aus der Ebene sich gegen uns erheben.« Der flüchtige Bote war ein junger Sohn des Bauern Balderich, in dessen Hofe Immo verborgen lag. Ungeduldig forderte der Verwundete, daß Brunico ihn nach der Mühlburg schaffe; sein verrenkter Arm war ihm eingerichtet, aber der Schmerz und Blutverlust einer tiefen Armwunde hinderten, das Roß zu besteigen, und Brunico merkte, daß die Wege auch in der Nacht von Reisigen umlauert waren. Da dachte Immo, daß der Balsam, welchen die Mutter bewahrte, ihm schnelle Heilung verschaffen könnte, und er mahnte seinen Knappen, das Heilmittel mit Gottfrieds Hilfe zu gewinnen. Deshalb lief der kluge Knabe von der Mühlburg nach dem Herrenhofe, um die Arznei, welche Brunico selbst nicht zu holen wagte, vertraulich zu erbitten. Dem Knaben gelang es, in den Hof zu schlüpfen und den Herrensohn heimlich zu grüßen. Als Gottfried in den Saal trat, fand er seine Mutter in Unterredung mit einem Mönch des heiligen Wigbert, den er nicht kannte; es war eine düstere, breitschulterige Gestalt, mehr einem Kriegsmann als einem Mönch zu vergleichen. Und er vernahm, wie die Mutter zu dem Fremden sprach: »Ich wußte längst, daß die Geweihten auch die hohe Pflicht üben, ihren Feinden zu vergeben und für sie zum Himmelsherrn zu bitten, aber daß ihr, ehrwürdiger Vater, gegen den mein armer Sohn am ärgsten gefrevelt hat, so treu der hohen Lehre anhängt und ihm jetzt eure Fürbitte zuteil werden laßt, das nimmt schwere Sorge von meinem Herzen.« Gottfried winkte die Mutter zur Seite und sagte ihr heimlich: »Gib mir den Balsam der Kaiserin für einen Verwundeten, aber frage nicht, wer er ist.« Edith sah ihn mit großen Augen an, dann eilte sie in ihre Kammer, riß die Büchse aus der Truhe, trug sie in den Saal und hielt sie dem Mönch hin, indem sie sprach: »Segnet die Arznei, ehrwürdiger Vater, denn vor jedem andern Gebet mag das eure dem Unglücklichen frommen, der sich dies begehrt.« Der Mönch neigte sich darüber und segnete, Gottfried sprang hinaus und übergab dem Knaben die Büchse. Der Wigbertmönch aber sah mit finsterm Blick dem enteilenden Knaben nach. Am nächsten Tage rief Ortwin von dem Turme in den Hof: »An das Tor, ihr Genossen, Staub wirbelt auf der Straße, einen reisigen Zug sehe ich mit Wagen und Herdenvieh, und Eisen blinkt über den Rossen.« Die Brüder sprangen herzu, in kurzem waren die sechs Kinder Irmfrieds auf der Höhe des Turmes gesammelt. »Ich sehe kein Banner wehen,« sprach Erwin, »und sorglos ziehen sie dem Gehölz zu.« »Nur klein ist der Haufe, mehr Rinder und ledige Rosse als Männer,« rief Adalmar, »wie Flüchtige nahen sie und nicht wie Feinde.« »Weiber erkenne ich im Haufen und den jüngsten Bruder,« lachte Arnfried. »Es ist die Mutter selbst,« rief Odo. Die Brüder sahen einander mit kummervollen Mienen an. »Sie naht mit ihrem Gesinde, die Bewaffneten des Gutes führt sie herbei.« »Hart ist es, gegen die eigene Mutter zu kämpfen,« murmelte Erwin. »Schwerlich dürfen wir den Zugang wehren,« sprach Ortwin, »aber wie sollen wir ihrem Willen widerstehen?« »Alles hat seine Zeit,« rief Odo, »wenn sie fordert, mögen wir weigern, jetzt rate ich, ihr entgegenzugehen.« Die Söhne eilten hinab, das Tor wurde geöffnet, auf der Mauer drängten sich die Mannen, und die Herren traten vor die Brücke, um den Zug zu empfangen. Schweigend nahten die Reiter, ohne Gruß und Willkommen sahen die alten Bankgenossen einander ins Gesicht, schweigend traten auch die Söhne an das Roß der Mutter, sie aus dem Sattel zu heben. Als Edith den Boden berührte, begann sie: »Es ist mir lieb, daß ihr mich empfangen habt, geleitet die Mutter in das Haus des Bruders. Du aber, Odo, gestatte, daß deine und meine Leute den Hof betreten,« und nach rückwärts gewandt rief sie: »Gehorchet, wenn Herr Odo euch fordert, denn er hat hier zu gebieten.« An der Hand des Sohnes schritt sie in den Hof und grüßte die Kriegsleute, welche ihr jetzt zuriefen und die Waffen zusammenschlugen. Unterdes sprachen die jüngeren Brüder mit Gottfried. »Sie hat unsern Hof geräumt,« erzählte dieser, »alle, die treu an ihr hängen, führt sie unter Waffen her. Was sie hier begehrt, hat sie mir nicht vertraut.« Edith blickte über den Hof auf das Gedränge von Männern, Weibern und Vieh, und auf die unsichern und verlegenen Blicke, mit denen sie betrachtet wurde. »Harrt nur ein wenig, ihr Treuen; du, Odo, führe mich zu dem Herde, an welchem mein Sohn Immo gerastet hat, bevor ich ihn verlor.« Die Brüder geleiteten sie in das Haus, Edith neigte sich zu dem leeren Herrensitze am Herde und ihre Lippen bewegten sich im stillen Gebet, dann trat sie unter ihre Söhne. »Euch wundert, wie ich erkenne, die Mutter hier zu sehen, und kalt ist der Willkommen, den ihr mir bietet, ich aber komme, bei euch zu bleiben und euer Schicksal zu teilen. Sorget nicht, daß ich euch den Sinn mit Klagen beschwere oder gar mit Vorwürfen, weil ihr gefrevelt habt gegen Frieden, Recht und die heilige Kirche. Andere werden euch darum bedrohen, ich aber will euch dienen, so weit eine Mutter vermag. Denn wir alle erkennen, daß wir in Todesnot stehen. Wisset, meine Söhne, der König naht mit großem Heergefolge, der Erzbischof und die Grafen im Lande haben ihre Mannen in den Sattel gefordert, heute oder in den nächsten Tagen wird der Feind die Burg umschließen, und die Kinder des Helden Irmfried werden hinter Mauern ihren letzten Kampf kämpfen, wenn sie nicht demütig ihr Haupt beugen und das Erbe ihres Bruders ausliefern.« Die Brüder standen betroffen. »Wir gedenken die Burg zu halten, Mutter, auch gegen den König,« antwortete Odo, »obwohl wir erkennen, daß wir in großer Gefahr stehen. Aber Mutter, daß ich alles sage, mehr als den König und den Erzbischof fürchten wir deinen Wunsch, daß wir die Braut des Immo den Feinden ausliefern.« Da antwortete Edith: »Stets habe ich gehofft, daß mir die Heiligen gewähren würden, ohne große Missetat mein Leben zu beschließen; aber anders hat der üble Teufel es gefügt. Will ich meinem Geschlecht die Treue beweisen, so muß ich die Mitschuld auf mich nehmen zu meinem Schaden hier und dort. Eure Mutter bin ich, ihr Knaben, ich habe euch gezogen und über eurem Haupt gebetet von dem ersten Tage eurer Geburt. Darum will ich auch jetzt die Last mit dir tragen, du einsames, verfeindetes Geschlecht. Und die Engel mögen es wissen und die Heiligen mögen mir verzeihen. Ich lasse euch nicht und ich scheide mich nicht von eurem Los, wie es auch falle.« Da riefen ihr die Söhne Heil und hingen sich ihr um Hals und Hände. Edith aber fuhr fort: »Laßt uns an die nächste Arbeit denken, Odo, unsere Getreuen sollen wissen, daß die Herren einig sind. Alle, die ich dir herführe, sollen dem Herrn Immo in deine Hand sich zuschwören. Ich bringe auch, was zumeist die Sorge der Frauen ist, Vorrat von den Gütern für Küche und Keller, vertraue mir die Aufsicht darüber an, damit ich mit meinen Mägden dir nütze, und ich rate, laß abladen und einräumen, solange nicht größere Sorge bedrängt.« »Gestatte, Mutter, daß ich dir die Jungfrau zuführe,« bat Odo. Das Antlitz der Edith erblich, ihre Hand zog sich zusammen und sie rang nach Fassung, aber im nächsten Augenblick sprach sie lächelnd: »Erst machen wir das Haus fest, damit unsere Leute der Unsicherheit enthoben werden. Denn der Zweifel lähmt auch den Mutigen, aber wer seine Pflicht kennt, bewahrt leichter die Kraft. Ist Burg und Hof versorgt, dann denken wir des Gastes, der bei uns eingekehrt ist.« Als Odo die Tür des Gemaches öffnete, in welchem Hildegard geborgen war, saß die Jungfrau gebeugt auf dem Lager, die Hände im Schoß gefaltet. Sie fuhr auf und sah erschrocken auf eine hohe Frauengestalt und den strengen Ausdruck eines edlen Antlitzes. »Es ist unsere Mutter,« sagte Odo, »welche zu dir kommt.« Da sank Hildegard vor Frau Edith auf den Boden und Odo verließ leise das Zimmer. »Steh auf, Jungfrau,« begann Edith, »ich bin nicht der Herr, welchen du dir gewählt hast.« Hildegard sah furchtsam zu ihr auf. »Im Traume sah ich dein Angesicht, es gleicht dem seinen, aber feindlich blicken die Augen. O sei barmherzig, Herrin,« rief sie in ausbrechendem Schmerze, »der Sturmwind riß ein Blatt vom Baume und es flatterte bis vor deine Füße. Zertritt nicht die Bebende.« Edith hob ihr das Antlitz empor und sah scharf in die tränenfeuchten Augen. »Das sind die Züge, welche meinem Sohn lieber wurden als der Wille der Eltern und das eigene Heil. Waren es deine Tränen oder war es dein Lachen, womit du sein Herz umstrickt hast? Ich denke wohl, mit Lächeln begann's und die Tränen folgten, das ist das Schicksal aller, welche einander lieb haben auf dieser Erde. Leid brachtest du uns und Leid brachte er dir. Steh auf, Jungfrau,« fuhr sie milder fort, »ich komme nicht, dich zu schelten und zu richten, sondern damit ich dir Frauenrat gebe, so oft du ihn begehrst. Setze dich zu mir und wenn du mir gefallen willst, so sprich mir von ihm.« Sie führte Hildegard zu dem Lager, aber die Jungfrau glitt wieder an ihren Knien herab und klagte: »Laß mich liegen, Herrin, und zu dir aufsehen wie zu einer Fürbitterin, denn mir ist, als hätte ich dir Großes abzubitten, daß ich hier bin und daß ich ihn liebe.« Edith neigte sich zu ihr herab: »Rede nicht weiter, bevor du mir eins gesagt hast. Als meine wilden Knaben dich hertrugen, folgtest du mit gutem Willen oder haben sie eine Widerwillige auf das Roß gehoben? Bist du als Braut meines Sohnes hier oder als Gefangene?« Über das verstörte Gesicht der Hildegard flog eine holde Röte und sie neigte das Haupt in den Schoß der Mutter. »Als er eintrat,« murmelte sie, »erschien er mir wie damals, wo er mich am Kreuz mit seinem Schilde deckte. Gleich dem hohen Engel Michael stand er bei mir im Kriegskleide und mir schwand die quälende Angst vor dem Kloster.« Edith seufzte schwer, aber sie legte ihre Hand auf die feuchte Stirn der Jungfrau. Hildegard warf ihre Arme leidenschaftlich um den Leib der Herrin und klagte: »Meine Mutter ist tot, und freudenlos lebte ich. Da trat er in unsere Halle. Holdselig waren seine Worte, fröhlich seine Art, und unter den Männern wußte er sich zu behaupten, daß ihm keiner zu widersprechen wagte. Er wurde mir schnell so vertraulich, als hätten wir lange beieinander in der Schule gesessen. Und er lachte mich an und faßte meine Hand. Sein Lachen ist lieblich, Herrin. Er trank aus dem Becher, den ich ihm bot, und aß von meinem Teller.« »Darum hat die Mutter ihm Becher und Teller vergebens gestellt,« murmelte Edith. »Sie preisen ihn auch als einen Helden, Herrin, denn keiner kommt im Kampfe gegen ihn auf, und die kleinen Spielleute erzählen, daß er mit dem Speer sicherer als ein anderer auf die Stelle trifft, nach der er wirft. Jedermann wundert sich, wo er im Kloster so Schweres gelernt hat.« »Er war schon als Knabe geschickt in aller Reiterkunst,« versetzte Edith, »und sein Vater staunte selbst darüber. Ich sorge, auch im Kloster hat er mehr an Holz und Eisen gedacht, als an die Bücher.« »Dennoch, Herrin, versteht er ganz gut das Lateinische, obgleich er selbst sein Wissen nicht rühmt; und er weiß so geschickt mit Sprüchen und Versen zu antworten, daß es eine Wonne ist, ihn anzuhören.« »Du warst auch in der Schule und verstehst das Latein?« frug Edith. »Das war es, was ihm gefiel, ich dachte sonst, die heilige Sprache hilft nur dazu, den Glauben vertraulich zu machen, ich merke aber, sie verlockt auch Männer und Frauen zueinander.« »Du sagst die Wahrheit, Herrin. Denn die in der Schule waren, verstehen einander leicht unter fremden Leuten. Damals, als ich ihn zuerst sah, wurde mir weh ums Herz, weil er mir gestand, daß er ungern im Kloster weilte. Aber später kam mir ganz andere Sorge.« Sie hielt an und sah vor sich nieder. »Denn als ich ihn im Kriegskleide wiedersah und erkannte, daß er dereinst mein Herr werden sollte, da erschrak ich über den schweren Gedanken. Und ich saß im Sonnenuntergang auf dem Idisberge, bis die Nacht heraufstieg; und als der Nachtwind in den Zweigen rauschte, hörte ich immerdar seine Stimme und daneben eine andere, als wenn ich selbst mit ihm redete, aber fern und leise wie oben aus dem Wipfel des Baumes, und die eine Stimme sprach: Selig war ich, Held, denn ich habe deine Liebe gefunden, und jetzt zittre ich, dich zu verlieren. Und die andere Stimme antwortete: Ruhm ersehne ich, und schrecklich will ich meinen Feinden werden, gedenkst du das Weib eines Helden zu sein, so darfst du nicht vor dem Tode beben. Wenn zwei einander lieb haben, sollen sie auch beten, daß sie miteinander sterben. Da merkte ich, Herrin, was es bedeutet, einen Mann im Herzen zu tragen. Mein Geschlecht habe ich verlassen um seinetwillen,« unterbrach sie sich selbst, »und jetzt ist er nicht hier, ich aber gehöre zu ihm, wo er auch weilen mag.« »Allzu ungeduldig bist du, an seinem Hals zu hangen,« versetzte Edith finster. »Verwundet ward er in jener Nacht.« »Die Brüder sagten mir's,« antwortete Hildegard leise, »an sein Lager will ich, und fühlst du Erbarmen mit meiner Not, so sage mir, wo ich ihn finde.« »Auch der Mutter bergen sie die Stätte,« rief Edith. »Meinst du, mich quält es weniger als dich, daß er unter Fremden liegt in traurigem Versteck?« Hildegard sprang auf. »Wenn du ihn liebst, so komm mit mir aus diesen Mauern; wir hüllen uns in niederes Gewand und suchen ihn, bis wir ihn finden. Denn der treue Mann, der ihn im Heereszug begleitete, weiß es, wo er weilt.« »Eitel ist dein Wunsch,« antwortete Edith, »wenn wir diese Burg verlassen, so würden wir ihn eher verraten als retten. Denn wisse, Jungfrau, der König naht mit seinem Heergefolge in feindlichem Willen, um den Raub zu rächen. Meinen Sohn, seine Brüder und uns alle auf dieser Burg bedroht des Königs Zorn.« Hildegard verhüllte das bleiche Antlitz und sank abgewandt von der Mutter auf die Knie. Edith saß lange Zeit schweigend, endlich begann sie forschend: »Klagst du, daß er und sein Geschlecht um deinetwillen an Leben und Ehre bedroht sind? Die Klage allein schafft keine Hilfe, auch der Himmelsherr erhört nur die Bitten derer, welche in Demut und Reue zu ihm flehen. Reut dich das Unheil, das allen droht, so denke auch auf die Rettung. Um dich allein geht der Kampf. Du vermagst ihm Leben und Freiheit zu bewahren. Denn milder wird die Strafe des Richters sein, wenn er Ergebung und Gehorsam findet.« Hildegard lag unbeweglich, Edith trat näher und sprach über ihrem Haupt: »Liebst du ihn über alles, wie du sagst, so kannst du das jetzt erweisen: kehre zurück zu deinem Geschlecht, wende deine Schritte dem Kloster zu und entsage ihm, damit du ihn rettest.« Ein Schauer flog über Hildegards Leib, sie richtete sich auf, und ihre großen Augen starrten entsetzt auf die Mutter. »Ist deines Herzens Meinung, Herrin, daß ich tue, wie du sagst?« »Ich sagte dir's, du aber antworte.« Hildegard fuhr in die Höhe. »Eine Feindin hörte ich des geliebten Mannes und eine Feindin meiner Liebe. In den Abgrund will ich tauchen, in die Flammen will ich springen, um sein Leben zu retten, bezeugt ihr guten Engel, die ihr meine Gedanken bewacht, daß ich die Wahrheit rede. Mein Leben nehmt für ihn, aber meine Liebe verrate ich nicht. Hat er alles für mich hingegeben, ich habe dasselbe getan. Gebunden bin ich an ihn und solange ich atme, gehöre ich ihm zu. Jetzt ist meine Treue der Stab, an den er sich hält auf seinem Lager, in seiner Angst. Du aber willst mich zerbrechen und hinwerfen, damit er erkenne, daß seine Liebe nichtig war und die Jungfrau, der er alles geopfert hat, feige und schwach und seiner unwert. Und wenn alle Menschen auf uns blicken wie auf zwei wilde Tiere, welche von den Jägern umstellt sind, wisse auch, unter den friedlosen Tieren ist der Brauch, wenn der Bär verwundet ist und von den Hunden umstellt, so läuft die Bärin nicht abwärts, um ihn zu retten, sondern sie wirft sich der Meute entgegen. Die Kraft der Glieder ist mir versagt, aber mein Wille ist fest wie der seine. Sage mir, wie ich sterben soll, um ihn zu retten, aber mahne mich nicht, daß ich lebend ihm entsage.« Da rief Edith: »Jetzt erkenne ich, wie du bist. Einer Taube siehst du ähnlich, aber wer dir die Kappe von dem Haupte löst, der erkennt die edle Art eines Falken. Zürne nicht, daß ich dich versucht habe. Denn ganz fremd warst du mir. Auch das Herz einer Mutter fühlt Eifersucht, und sie frägt zuerst, ob das Weib, das der geliebte Sohn sich erkor, würdig ist, seine Vertraute zu werden anstatt der Mutter. Gesegnet seist du, Jungfrau, und willkommen bist du mir als Braut des Sohnes und als Genossin im Hause. Deine Mutter bin ich von heute und du mein Kind, und verteidigen will ich dich gegen den König und alle Welt. Komm zu mir, Hildegard, zusammen wollen wir den Himmelsgott anflehen, daß er mir das Glück gewähre, deine Hand in die meines Sohnes zu legen.« Hildegard warf sich an die Brust der Mutter. * * * * * Frau Edith hatte recht verkündet. Als der König durch reitende Boten des Erzbischofs die Kunde von dem Raube der Jungfrau erhielt, da hemmte er, wie sehr auch sein Herz sich nach dem Süden sehnte, sogleich die Fahrt und kam mit den Edlen und den Heerhaufen, welche um ihn gesammelt waren, über die Werra zurück. Der Erzbischof ritt ihm entgegen. Er fand den König hocherzürnt und wortkarg, und als er ihm von dem Raube berichtete, unterbrach ihn der König heftig: »Wer ist Kläger?« Und da der Erzbischof erwiderte: »Ich selbst durch meinen Vogt, und der Vater der Jungfrau,« hob der König drohend die Hand und rief: »Sagt dem Grafen, er soll seine Pflicht nicht säumig tun, denn des Königs Auge ist noch über ihm.« Zuletzt sprach der Erzbischof: »Ist auch die Stunde ungünstig, um die Verzeihung des Königs zu erbitten für einen andern, der in Ungnade lebt, so darf ich doch dem Flehenden mich nicht versagen, da er ein Geweihter ist. Der Mönch Tutilo begehrt, sich vor dem König zu demütigen; unstet treibt er umher im Zwist mit seinem Abte, er kam von Ordorf zu mir und stöhnte, daß ich ihm die Huld des Königs wieder erwerbe.« »Er hat also Lust, die Rute zu küssen, wie die andern Empörer seines Geschlechtes getan haben,« spottete der König. »Manchen bessern Anblick weiß ich, als einen hochfahrenden Mann, der widerwillig die Knie beugt und seine Miene zur Demut zwingt. Doch da dem Könige nicht ziemt, gegen einen Mönch zu hadern, so laßt ihn herein.« Kaum hatte der Erzbischof das Gemach verlassen, so lag Tutilo vor dem Könige auf dem Fußboden. Als der Mönch nach kurzer Unterredung mit gesenktem Haupt, einem reuigen Manne ähnlich, entwich, trat Heinrich in den Saal, in welchem sein Gefolge harrte, und rief: »Ihr sagtet mir, ehrwürdiger Vater, daß der Räuber Immo spurlos verschwunden sei, wenn er nicht etwa bei seinen Genossen auf der Mühlburg hause, ihr waret im Irrtum.« Und er rief Gundomar und gab ihm einen leisen Befehl. An demselben Tage ritt eine Schar Königsmannen dem Dorfe zu, in welchem der Hof des Bauern Balderich lag. Die Reiter umstellten das Dorf und drangen unter harten Drohungen in den Hof. Gundomar trat mit dem Königsvogt von Erfurt in die Kammer, in welcher Immo saß. Dieser wandte sich finster ab, als er seinen Oheim erblickte, aber dem Vogt reichte er die Hand. »Mir tut's von Herzen leid, Held Immo,« sprach dieser traurig, »daß ich dich zur Stelle dem König überliefern muß.« »Ich vermag mich nicht zu wehren, wie du siehst,« antwortete Immo ruhig, »nur eine Bitte erfülle mir, verhindere deine Reisigen, daß sie den Leuten hier einen Schaden an Leib und Gut zufügen, denn aus Mitleid haben diese mich aufgenommen, als ich hilflos vor ihrer Schwelle lag.« Das versprach der Vogt. Am andern Morgen sahen die von der Burg in der Morgensonne blinkende Speere und wehende Banner; der König hielt mit seinem Heerhaufen bei dem nahen Dorfe, in welchem die Sachsenkönige seit alter Zeit einen Hof hatten, das Königsbanner ließ er auf einem Hügel errichten, der zu dem Erbe Irmfrieds gehörte, und rings herum die Wagenburg schlagen. Aus dem Heerlager bewegte sich zur Mühlburg langsam ein friedlicher Zug, an dessen Spitze der Erzbischof Willigis ritt und neben ihm der Mönch Reinhard. Edith selbst mit ihren sechs Söhnen empfing die frommen Väter am Tor und geleitete sie in die Halle. Sie begann, auf ihre Söhne weisend: »Als ich zum erstenmal nach meiner Vermählung vor dem Altar kniete, erbatet ihr, hochwürdiger Vater, den Segen der Himmlischen für mein Leben; hier seht ihr, was ich von meinem Glück zu bewahren vermochte. Daß ihr jetzt in unserer Not zu uns kommt, dafür danke ich dem Ewigen, denn als eine gute Vorbedeutung sehe ich euer geweihtes Haupt in diesen Mauern.« »Ich komme nicht als Bote des milden Himmelsgottes,« versetzte Willigis, »sondern als Diener eines strengen Richters. Eile hinauf, gebot er mir, zerwirf das Nest unholder Vögel und bringe mir die Brut herab unter meine Hand. Darum übergebt euch der Gnade des Königs ohne Widerstand, denn scharf ist sein Zorn und schnell folgt seinem Willen die Tat.« Odo versetzte ehrerbietig: »Wir stehen hier in festen Mauern unter treuen Schwurgenossen, wir haben nicht die Wahl, ob wir die Feste und die Jungfrau dem König ausliefern wollen oder nicht, denn unser Bruder Immo, der hier gebietet und heute fern ist, befahl uns, beide zu halten gegen jedermann.« Da entgegnete der Erzbischof: »Es ist eures Bruders Hals, um den ich sorge, wenn ich von euch die Ergebung fordere. Denn wisse, Geschlecht Irmfrieds, Held Immo liegt gefangen in des Königs Gewalt.« Edith rang die Hände gegen den Himmel und die Brüder traten bestürzt zusammen. »Diesen Morgen brachten Reisige des Königs den Verwundeten in das Lager, sein Versteck wurde dem König durch einen Feind verraten.« »Tutilo,« schrie die Mutter entsetzt. »Seitdem hält der König fest, was euch zwingt. Liefere mir die Nestlinge des toten Irmfrieds, befahl der König, bevor die Sonne zur Mittagshöhe gestiegen ist; wenn sie länger zaudern, so lasse ich den Gefangenen an den Fuß der Mühlburg führen, wo man von der Höhe sein Haupt sehen kann, und ich werfe sein Haupt auf den Grund. Austilgen will ich den frechen Trotz, der Landrecht und Königsmacht mißachtet, und ausbrennen will ich die Mauern, hinter denen die Räuber mir widerstehen. Darum wollt ihr, junge Helden, den Bruder vor jähem Tode bewahren, so folgt mir aus der Burg zum Könige. Wenn er eure Ergebenheit sieht, wird sein Sinn eher der Gnade zugänglich und dem Rat solcher, welche euch Gutes wünschen.« Da wandte sich Odo zu seinen vier Brüdern: »Unsere Lose warfen wir am Herdfeuer, als wir uns dem Bruder gelobten. Wenn wir willig waren, in den Gassen der Stadt unser Leben für das seine zu wagen, so müssen wir dasselbe vor dem Schwert des Königs tun. Ich bin bereit, den Priestern zu folgen. Vier von euch lade ich, daß sie zu mir treten.« Da traten alle Fünf auf seine Seite, Odo aber wies seinen Bruder Gottfried zu der Mutter: »Nach dem Willen des Gefangenen gehörst du zu ihr, und dir ziemt auch jetzt diesen Willen zu ehren. Hochwürdiger Herr, wir sind gerüstet, euch zu folgen. Wir allein, denn nur wir fünf waren Genossen des Bruders bei der Tat. Die Burg unseres Geschlechts aber, die Dienstmannen und die Braut des Bruders vermögen wir euch nicht zu übergeben; darüber zu entscheiden, steht bei unserm Bruder Immo, wenn er auch gefangen ist; und solange wir nicht deutlich erkennen, daß er die Übergabe fordert, dürfen wir Brüder sie nicht vollbringen. Darum lege ich die Gewalt über die Burg und über alles, was sie umschließt, in die Hand unserer Mutter. Sorge du, Mutter, für Braut und Erbe deines Sohnes Immo, uns aber segne, da wir uns von dir scheiden.« Die fünf Brüder warfen sich vor der Mutter auf die Knie und küßten ihr Hände und Gewand. Sie riß bleich und tränenlos einen der Liegenden nach dem andern an ihr Herz, ihre Lippen bewegten sich im Gebet, aber man vernahm keine Worte. Und als die Fünf der Tür zuschritten, stürzte sie ihnen nach und umfaßte ihnen noch einmal Hals und Haupt, bis sich die Weinenden von ihr lösten. Die geistlichen Boten hatten der Trennung teilnehmend zugesehen, obgleich sie gewöhnt waren, alle irdische Liebe als nichtig zu betrachten. Jetzt begann der Erzbischof: »Den redlichen Entschluß eurer Söhne, edle Edith, will ich gern dem König rühmen; die Helden haben wohlgetan, dem Urteil der Mutter zu vertrauen, denn als fromm und weise wird sie im ganzen Lande geehrt.« »Sechs junge Leben, die mir gehören, hat König Heinrich für sich genommen, was will er von der verwaisten Mutter noch mehr?« »Die Burg und die geraubte Jungfrau, die eure Söhne darin bewahren, begehrt er von euch.« »Die Braut meines Sohnes Immo gehört in das Frauengemach, in welchem die Mutter gebietet, und nicht in das Heerlager des Königs. An die Burg aber hat der König völlig kein Recht, und ich bewahre sie selbst um der Lebenden und Toten willen.« »Denkt in eurem Schmerz auch daran, edle Frau, daß eure Söhne durch ihre Missetat dem Spruch des Königs verfallen sind.« »Sind meine Söhne schuldig zu büßen für eine schwere Tat, so bin ich, ihre Mutter, in derselben Schuld. Denn Blut sind sie von meinem Blut, und wenn sie jetzt auch auf ihren eigenen Beinen dahinschreiten, wohin sie ihr Mut treibt, meine Seele wandelt mit ihnen allen bei Tag und bei Nacht. Dies Geheimnis einer Mutter vermag kein Priester zu begreifen. Haben sie Missetat geübt, so bin ich dem Richter verfeindet, wie sie; und gleich ihnen will ich das Erbe des Geschlechts bewahren gegen jedermann, auch gegen den König selbst.« »Hütet euch, Frau,« mahnte der Erzbischof, »freiwillig eure schuldlose Seele mit derselben Schuld zu beladen, welche auf jenen liegt. Denn nicht nur den irdischen Richter haben sie erbittert, auch dem Himmelsherrn haben sie geraubt, was ihm zukam, als sie eine Jungfrau entführten, die geweiht werden sollte. Darum sorgt für das Heil ihrer Seelen, indem ihr die Jungfrau zurückgebt, sonst möchte der große Richter des Himmels sich ungnädiger erweisen als König Heinrich, und eure Söhne für ihre Tat hinabstoßen in das Reich des üblen Drachens.« Da rief Edith mit flammenden Augen: »Und wenn wahr wäre, was ihr sagt, und wenn der große Himmelsgott ihnen die Wolkenhalle verschließt um so kleine Schuld, weil sie den Besitz eines geliebten Weibes begehrten und weil sie alle treu waren in der Not; meint ihr, ehrwürdige Väter, daß die Mutter allein im Himmelssaal kauern wird, getrennt von ihren Kindern? Werden diese verworfen, so will auch ich verworfen sein, lieber will ich meinen sieben Knaben ihre Becher und Schüßlein in der finstern Hölle zureichen, als fern von meinen Kindern euch, ihr Heiligen, in der strahlenden Burg des Himmels.« Der Mönch Reinhard warf sich auf die Knie und Willigis schlug schnell das Kreuz. Er war ein alter und gestrenger Herr, der eifrig für die Kirche sorgte. Aber als Frau Edith so empört vor ihm stand, höher als sonst und einem Weibe aus der Urzeit ähnlich, da dachte er daran, daß sie von den wilden Sachsen herstammte, wie er selbst auch; und obschon ihm graute, so kam ihm doch vor, als ob er wohl auch so reden könnte. Aber seiner Würde gedenkend, zog er sein Gewand zusammen und wandte sich zum Abgang. »Wer die Strafen der Menschen nicht scheut und die Strafen der Ewigkeit nicht über alles fürchtet, mit dem hat ein Priester nichts mehr zu reden.« Edith jedoch faßte ihm das Handgelenk mit eisernem Griff. »Haltet an, ehrwürdiger Vater, ihr selbst und wohl auch andere haben mich in meinem Glücke über Gebühr gerühmt als ein gottseliges Weib, das den Heiligen treu diene. Weshalb meint ihr wohl, bin ich verwandelt? Den ältesten Sohn habe ich verloren, weil ich nach eurem Rat forderte, daß er gegen seinen Wunsch der Kirche diene und diese Burg den Heiligen übergebe. Als er sich weigerte, habe ich ihm gezürnt und mein Auge hat ihn seitdem nicht wieder gesehen. Finstern Gedanken habe ich seine junge Seele preisgegeben, gerade als er den Rat und die Liebe der Mutter am meisten bedurft hätte. Untreu war ich als Mutter, weil ich den Heiligen zu getreu diente. Jetzt ist er, wie ich fürchte, in dieser Welt für mich verloren, und diese Burg, die der König ein Nest unholden Geflügels nennt, soll zerworfen werden durch Eisen und Feuer. Versucht das rühmliche Werk, laßt eure Knechte kommen mit der Haue und dem Brande, stürmet die Mauern, erschlagt meine Getreuen und führt hinaus an Strick und Kette, was ihr hier an lebenden Häuptern findet. Einen Leib werdet ihr dennoch zurücklassen. Folgt mir, ihr Geweihten, zu der Stelle, die auch ihr ehren solltet, wenn ihr eures Amtes denkt.« Sie zog den Erzbischof aus der Halle über den Hof und öffnete die Tür der kleinen Kapelle. Es war nichts darin als ein Altar mit dem Kreuz darüber. »An dieser Stätte hat der große Verkünder Winfried einen Stein der Heiden geworfen und sein Genosse Wigbert hat darüber den Altar geweiht. Euch, Erzbischof, und dem frommen Könige sollte dieser Ort ehrwürdig sein, und ich meine, ihr solltet für Frevel halten, dies Mauernest zu zerreißen und den Flug der Vögel, welchen hier die Heiligen ihren Sitz geweiht haben. Was ihr tun wollt, steht bei euch, was ich tun will, berge ich euch nicht. Brecht ihr das Haus, dann wird dies die Stätte, wo ich ausharre unter berstenden Mauern und brennenden Balken. Sagt dem König, daß hier das Grab der Edith ist, und daß die Mutter der sieben Knaben keine andere Antwort für ihn hat.« Sie warf sich am Altar nieder, die Sendboten verließen schweigend den Raum. »Wilde Worte hörten wir,« begann der Erzbischof zu Reinhard, als sie herabritten. »Doch auch der schüchterne Vogel wandelt seine Art, wenn ein Feind die Krallen nach seiner Brut ausstreckt.« Reinhard antwortete seufzend: »In meinem Herzen fühle ich den Jammer über das Schicksal, welches diesem Geschlecht bereitet wird. Hochwürdiger Vater,« bat er, die Hände faltend, »wenn jemand den Helden Immo vom Tode zu retten vermag, so ist eurer Weisheit diese gute Tat vorbehalten.« Der Erzbischof schüttelte das Haupt. »Du kennst noch zu wenig den Sinn dieses Königs. Meinst du, daß Heinrich seine Reise unterbrochen und uns alle als Zeugen seines Tuns mitgeführt hätte, wenn er nicht seine eigene Macht erhöhen wollte, indem er die Häupter eines edlen Geschlechts auf den Rasen wirft. Selbst wenn er dem Schuldigen nicht feindlich denkt, ja auch, wenn er die Missetat in seinem Herzen entschuldigt, ihm ist doch willkommen, sich vor seiner Kriegsfahrt als strenger Richter zu erweisen. Denn die Trauer über des Richters Spruch fühlen nur wenige, die Kunde aber, daß er wieder einen Räuber aus der Zahl der edlen Schildträger getroffen hat, fliegt durch das ganze Land, sie schreckt die Argen und gewinnt dem König die Herzen der Friedlichen. Auch hat der König hier wenig um die Rache mächtiger Herren zu sorgen, denn einsam und ohne großen Anhang von Lehnsleuten haust das Geschlecht am Walde.« »Dennoch vernahm ich, daß der König einst den Helden Immo wert hielt,« warf Reinhard bittend ein. »Mir aber scheint sein Sinn gegen ihn verhärtet,« versetzte der Erzbischof, »vielleicht weil Held Gundomar dem Jüngling feind ist, vielleicht wegen anderem. Nicht umsonst wurde König Heinrich in Klosterzucht gezogen, er hat gelernt, was dem Manne am schwersten ist, seine Gedanken zu verbergen. Dreien Königen habe ich in die Tiefe ihrer Seelen gespäht, jetzt handle ich mit dem vierten, und eifriger als die früheren dient er der Kirche durch Huldbeweis und reiche Spenden. Dennoch erkenne ich zuweilen unter dem Lammfell die Tatze eines Raubtiers, und ich merke, wenn er sich vor den Heiligen am tiefsten demütigt, denkt er am meisten an den eigenen Vorteil. Mich aber freut die kluge Art, denn auch wir sind nicht einfältig, und beide verstehen wir, wo unser Vorteil gemeinsam ist.« Am Fuß des Berges gab der Erzbischof seinem Gefolge ein Zeichen, die Reisigen rückten im Kreis um das Geschlecht Irmfrieds, und Willigis begann zu Odo: »Steigt von den Rossen, ihr jungen Helden, und gebt eure Waffen meinem Hauptmann, daß er sie euch bewahre.« Die Brüder saßen unbeweglich, sahen drohend auf den Herrn und zogen ihre Schilde am Arm herauf. »Demut rate ich euch, wenn ihr dem Leben des Bruders nützen wollt; du selbst weißt, edler Odo, daß du nicht hoch zu Roß dem Könige vor die Augen reiten darfst. Denn er fordert, daß ihr euch ihm ergebt, und barhaupt, mit den Füßen im Staube müßt ihr ihm nahen.« Die Brüder sahen einander grimmig an und Erwin gebot leise: »Schließt euch zusammen, damit wir wenden und rückwärts durchbrechen.« Aber Ortwin mahnte: »Dann stolpern die Rosse über das Haupt unseres Bruders,« und Odo sprach: »Der Pfeil flog vom Bogen, wir ändern nicht mehr seinen Lauf, taucht zur Erde und fügt euch.« Da sprangen sie von den Rossen, hingen die Schwerter ab, lösten die Helme und schritten zu Fuß unter den Bewaffneten dem Lager zu mit gerötetem Antlitz und Tränen der Scham in den Augen. Vor dem Lager ritt Willigis noch einmal zu ihnen und riet in guter Meinung: »Leichter biegt sich im Sturm der junge Stamm als der alte, und er schnellt auch wieder in die Höhe und breitet seine Wipfel lustig in der Sonne. Denket daran, daß der König vor allem Demut fordert; vermögt ihr sie nicht in eurer Rede zu erweisen, so werdet ihr euer Heil am besten bedenken, wenn ihr schweigend kniet.« Der König hielt auf seinem Roß mit großem Gefolge, er sah finster über die Söhne Ediths, welche schwerfällig die Knie beugten. »Trotzig finde ich die Waldleute noch in ihrer Haft. Wo habt ihr die Jungfrau? Auch erkenne ich nicht des Königs Banner auf der Burg.« Willigis antwortete: »In der Burg gebietet die edle Edith und sie weigerte mir die Jungfrau, welche, wie sie sagte, in Frauenzucht gehöre und nicht in ein Heerlager, da sie die Braut ihres Sohnes sei. Und weil Frau Edith aus edlem Sachsengeschlecht stammt, welches in alter Zeit mit dem Hause des Königs befreundet war, so hielt ich für Recht, daß der König selbst gebiete und der Sachsenfrau seinen Willen verkünden lasse. Denn schwere Worte sprach die Mutter in ihrem Schmerz, und ich fürchte, sie begehrt sich den Tod im brennenden Hause.« Der König zog den Mund zu einem herben Lächeln. »Ich sah Frau Edith einst, als ich ein Knabe war. Meint sie mit dem König zu streiten, weil er sie damals im Kinderspiel auf die Hände schlug. Ist sie so bereit, die Pfänder zu verlieren, welche ich von ihr in der Hand habe? Ein Ende will ich machen mit dieser Widersetzlichkeit. Führt die Räuber ab, doch so, daß sie sich nicht ihrem Bruder gesellen. Euch, hochwürdiger Vater, bitte ich, zur Stelle mit den Fürsten und Edlen, welche mir folgen, im Rat niederzusitzen über den Raub der Jungfrau, damit ihr mir eure Meinung erklärt, die ich gern beachte, soweit ich vermag. Denn ich selbst will richten.« Und sein Pferd wendend, rief er Gundomar zu sich. »Dies geht dich an,« sprach er gütiger, »denn ist dir das Haus des toten Irmfried auch verfeindet, so wirst du doch um deiner eigenen Ehre willen dafür sorgen, daß die Frauen nicht in ihrer Torheit das Schicksal der Männer teilen. Reite hinauf und sage ihnen mein Gebot, daß sie vor mir erscheinen.« Gundomar vernahm die Botschaft mit umwölkter Miene. »Hartes gebietet der König,« murmelte er, »mein Fuß betrat die Mauer nicht seit den Jahren meiner Jugend.« Aber mit blitzenden Augen rief der König: »Willst auch du mir widerstehen? In guter Meinung sprach ich zu dir. Wahrlich, es ist Zeit, eine Warnung zu geben, denn unbändig und eigenwillig gebärdet sich jeder in dieser Waldecke.« Da warf Gundomar sein Roß herum, winkte mit der Hand, daß seine Ritter ihm folgten, und sprengte dem Berge zu. Weit vor den anderen fuhr er dahin, und die Hofleute sahen freudig auf den streitbaren Helden. Doch hätten sie sein Antlitz geschaut, die Angst darin hätte sie gewundert. Als er den steilen Bergweg hinaufritt, sank ihm das Haupt auf die Brust und er seufzte schwer. Vor dem Wallgraben hielt er still wie einer, der nicht ganz bei sich ist, er vergaß sein Begehr, zum Turme hinaufzurufen und vernahm auch nicht, daß der Vogt ihn anschrie. Erst als der drohende Ruf zum zweiten Male erklang, hob er das Haupt und starrte wie ein Träumender um sich. Da rief der alte Berthold: »Ein Antlitz sehe ich, das ich vorzeiten fröhlicher schaute. Bringst du Frieden, Herr, so harre, daß ich dich unserer Herrin verkünde.« Er eilte von der Mauer, nicht lange und das Tor wurde geöffnet, Gundomar winkte seinem Gefolge zurückzubleiben und ritt allein in den Hof. Auch dort zögerte er abzusteigen und zuckte am Zügel, als ob er wieder hinauswenden wollte. Aber neben ihm erhob sich die alte Gertrud vom Boden: »Graues Silber glänzt in deinem Haar, aber deine ersten Locken wuchsen, als ich dich auf dem Arme trug. Kannst du dem Weibe deine Hand reichen, das allen Söhnen Irmfrieds als Wärterin diente, so sei gesegnet.« Gundomar schüttelte das Haupt und Gertrud rief zornig: »Sieh dorthin, du Held, der Schlehenstrauch steht noch an der Mauer. Weiß ist die Blüte, aber schwarz die Frucht; dort trank der Boden das Blut zweier Brüder, die im Todeshaß gegeneinander schlugen. Dort binde dein Pferd an, du Feind des Geschlechts. Sechs Söhne Irmfrieds sind deiner Rache verfallen, nur das jüngste Kind ist noch übrig; ich denke, du kommst, auch mit dem letzten den Kampf zu beginnen.« »Schweig, Alte,« versetzte Gundomar grimmig, »führe mich zu deiner Herrin.« Gertrud wies auf die kleine Kapelle. »Traust du dich den Ort zu betreten, wo die Sünden vergeben werden, so wirst du sie finden.« Schwerfällig stieg der Held ab und trat in das Heiligtum. An einer Ecke des Altars saß Edith auf den Stufen, sie wies auf die andere Seite. »Dort sitze nieder, Gundomar, denn die Nähe der Heiligen tut uns beiden not, wenn wir miteinander reden.« Gundomar warf sich auf die Stufen des Altars, und es war ein langes Schweigen im Raume. Als er sich aufrichtete, warf er scheue Blicke nach Edith und sprach abgewandt: »Eine Lüge ist es, daß die Zeit das Herz des Menschen wandelt. Die Wunde brennt heute, wo ich dich wiedersehe, wie vor fünfundzwanzig Jahren. Die Krallen des Hasses und der Eifersucht fühle ich, wie damals, wo ich dich verlor; und was die Priester als schwere Sünde strafen, das hege ich unablässig in meinem Innern, den heißen Wunsch, der mich zu dir treibt.« Edith wandte ihm ihr Antlitz zu: »Du siehst eine Mutter, die ihre Söhne großgezogen hat und im Witwenschleier des toten Gemahls gedenkt.« »Blicke mich nicht an mit deinen Augen, deren lichter Glanz mich einst selig machte. Nicht die Mutter erkenne ich und nicht die Witwe eines anderen, nur das Weib, das ich selbst begehrt habe.« Edith schob ihr Gewand zusammen und wandte sich ab. Aber Gundomar fuhr fort: »Wie im Traum habe ich dahingelebt alle diese Jahre, nur meine Sehnsucht nach der einen und mein Haß gegen einen anderen haben wahrhaft in mir gebrannt; alles übrige war mir wie ein Spiel der Gaukler. Oft habe ich gebüßt und die Geißel über meinem Rücken geschwungen, aber fruchtlos war das Fasten und vergeblich die Schläge, denn die bösen Feinde versuchten mich immer wieder. Noch hier merke ich sie,« raunte er scheu um sich blickend. »Vieles habe ich auf Erden erlebt, sündige Liebe und sündigen Haß, ich sah, wie man eine Krone gewinnt und was die Herrlichkeit der Welt wert ist. Unterdes, wenn die warme Himmelssonne mich bescheint, fühle ich den Eisfrost in meinen Gliedern, verleidet ist mir diese Erde und ich schmecke die Galle aus dem Honig. Mich jammert, daß die Menschen so begehrlich sind nach Goldschmuck und Kampfspiel und nach nichtiger Ehre. Das sage ich dir, da ich dich wiedersehe gegen deinen Willen, damit du mich nicht hassest, wenn du an mich denkst. Denn nur an deiner Meinung ist mir gelegen, um die andern sorge ich wenig. Ich ringe und suche, was mir die Kraft gibt, zu überwinden, damit mir das ewige Erbarmen nicht fehle.« Edith wies nach dem Kreuz auf dem Altare: »Meide den König und suche dir einen anderen Herrn.« »Ich denke daran bei Tag und Nacht,« antwortete Gundomar leise. Und sich erhebend, fuhr er mit verändertem Tone fort: »Der König sandte mich. Forderst du meinen Rat, so weißt du, daß ich dir nichts berge.« »Rate mir, so wahr du ein Sohn dieses Geschlechtes bist.« »Dem König liegt am Herzen, seine Hoheit in einem Herrengericht zu erweisen. Dazu bedarf er die Geraubte und dich ladet er zur Mehrung des Ansehens. Ich rate dir, daß du gehst. Denn der wird den Königen am meisten verhaßt, der sie hemmt, wo sie vor dem ganzen Volk ihre Würde erweisen wollen.« Edith machte eine abweisende Bewegung und Gundomar fuhr fort: »Willst du dem König in der Burg widerstehen, so vermagst du das ganz wohl; denn ihm fehlt alles Sturmgerät, und er kann nur wenige Tage vor diesen Mauern liegen, weil die Königspflicht ihn übermächtig nach dem Süden treibt. Beim Abzug wird er dem Gerhard und den Grafen in der Ebene die Fehde gegen dich und die deinen übergeben. Auch diesen Feinden kannst du siegreich entgegentreten. Merke, Edith, die Burg und den jüngsten Sohn vermagst du lange gegen den König zu bewahren, nicht die Häupter der Söhne, welche in seiner Gewalt sind. Denn diese wird er Rache heischend werfen. Kommst du dagegen mit der Jungfrau in sein Heerlager, so denkt er vielleicht auch an deinen Wert und an dein Herzeleid. Darum flehe ich dich an, Edith, daß du mir folgst.« »Rate anderes, Gundomar; die Braut meines Sohnes und die Burg übergebe ich nicht.« »Was frommt die Brautschaft, wenn der Bräutigam schwindet, und wie kannst du ihm die Burg bewahren, wenn du ihn selbst verlierst.« Edith barg ihr Antlitz in den Händen. »Du sprichst die Wahrheit. Aber wo die Gedanken in der Seele feindlich gegeneinander ringen und der Mensch angstvoll zweifelt, was ihn retten werde, da findet er einen Trost, wenn er treulich die Pflicht tut, welche ihm aufgelegt ward. Der Herr dieser Burg und der Jungfrau hat uns geboten, beide festzuhalten; seinem Gebot folge ich, was uns allen auch darum geschehe.« »Du verdirbst dich und andere,« rief Gundomar heftig. »Wohlan, manchen Dienst habe ich dem König geleistet und ich meine, er wird sich scheuen, mir die Ehre zu kränken. Um deinetwillen will ich wagen, was Heinrich mir nicht befahl. Ich biete dir mit der Jungfrau und dem jüngsten Sohne freies Geleit zum Gerichte des Königs, und wenn du es nach dem Gericht begehrst, wieder in die Burg zurück. Bis zu eurer Rückkehr mögen deine Dienstmannen die Burg halten, nur daß sie friedlicher Botschaft des Königs den Zutritt nicht weigern, wenn er sich Zeugen rufen will zu seinem Gericht.« Da erhob sich Edith: »Gelobe mir, Gundomar,« und er warf sich am Altar nieder und legte die Finger auf sein Schwert. * * * * * Unterdes war der König nach dem Hofe gesprengt, in welchem er rasten wollte. Als er durch das Gedränge von Edlen und Landleuten schritt, und hier und da anhielt, um einem ehrenwerten Mann Gnade zu erweisen, erkannte er Heriman, den Goldschmied, welcher sich demütig verneigte. Der König winkte ihm ein wenig zu. Und da er seltene und kostbare Waren, wie sie der Goldschmied häufig aus der Fremde brachte, gern ansah und kaufte, so befahl er seinem Kämmerer: »Frage den Heriman, ob er etwas begehrt oder etwas bringt; begehrt er, so laß du dir seinen Wunsch sagen, und bringt er, so führe ihn zu mir.« Dem Eintretenden rief er gütig entgegen: »Wie gedeihen dir deine Fahrten auf des Königs Straße?« »Wir Thüringe danken dem König, daß er die Raublust der Schildträger gebändigt hat,« versetzte Heriman. »Dennoch wagt sich freche Gewalttat auf die Straße, sobald der König nur den Rücken kehrt. Ich bin hier, um über einen Friedensbruch zu richten, der euch Erfurter nahe genug angeht; und ich denke eine Warnung zu geben, welche andere Missetäter abschrecken soll, damit friedliche Leute wie du zu Ehren des Königs gedeihen. Was birgst du Gutes in deinem Sack? laß sehen.« »Nur wenig habe ich, was wert ist, von dem König betrachtet zu werden,« versetzte der Goldschmied, öffnete einen Lederbeutel und breitete seine Schätze auf den Tisch: geschliffene Edelsteine, goldene Borten und zierliche Ketten, Gewürze und Balsam aus dem Orient in seltsamen Kapseln, Schnitzwerk aus Elfenbein, Dolche und Messer mit kostbarem Griff und Scheide. Der König betrachtete mit Kennerblick Schmuck und Steine und schob hier und da ein Stück zurück. »Was bewahrst du in dem Kästlein?« »Es ist ein Ring,« versetzte Heriman, »mit dem Stein, den sie Saphirus nennen, er verändert die Farbe, wenn der Ringfinger einen Becher berührt oder auch einen Teller, in welchem Gift ist. Der Stein wird jetzt sehr begehrt von vornehmen Geistlichen und Laien.« Der König warf einen gleichgültigen Blick darauf und wies an seinem Finger einen Ringstein derselben Art. »Nicht jeden Helden meines Geschlechts hat dieser Stein vor dem Verderben bewahrt, Heriman, es ist sicherer, den eigenen Augen zu vertrauen, als der Warnung, welche aus Steinen kommt.« »Besseres hoffe ich dem König zu bieten,« versetzte Heriman, »sobald ich von der nächsten Fahrt über den Rhein zurückkehre. Denn was hier im Lande Pilger und fremde Händler zutragen, das gelangt meist in die Hände der ungläubigen Juden, und diese legen es zuerst dem ehrwürdigen Herrn Willigis vor, weil er ihr Schutzherr ist; ich aber dem Könige.« »Du meinst also, die Juden stören dir das Geschäft,« frug der König, einen Edelstein gegen das Licht haltend. »Sie haben das Geld, und wer mit kostbarer Ware handelt, vermag sie nicht zu entbehren. Auch klage ich nicht über sie, zumal Herr Willigis ihnen günstig ist, weil sie seiner Macht in der Stadt nützen.« »Und dir gefällt die Macht des Erzbischofs in der Stadt Erfurt,« warf der König hin, in Betrachtung des Steines vertieft. »Ein weiser Herr ist Willigis; bald werden die Mauern der Stadt zu enge sein für die Zahl der Unfreien, welche er von den Hufen des Stiftes und anderswoher unter seinem Gericht versammelt. Wir alten Burgmannen aber, die wir uns rühmen, von den Vätern her freie Leute zu sein, sehen ungern, daß der Vogt des Königs nicht mehr allein zu Gericht sitzt, denn es fehlt nicht an Schlägereien zwischen unseren Leuten und den Zugehörigen des Erzbischofs. Ich fürchte, in kurzem sind wir die Minderzahl. Doch wir wissen, es ist schwer, den Heiligen zu widerstehen.« Der König legte den Stein weg und frug in verändertem Ton: »Wie war's mit dem Raub der Grafentochter? Erzähle, was du davon weißt.« »Die Leute des Erzbischofs haben die Notglocke geläutet,« entgegnete Heriman vorsichtig, »sonst würde die Stadt wenig davon wissen, zumal da niemand erstochen wurde. Selten vergeht eine Woche, wo nicht größerer Lärm in den Gassen ist. Unter den Burgmannen sind viele dem Helden Immo und seiner Sippe wohl geneigt; denn diese gelten sonst im Lande für redliche Männer, und wer ungerecht bedrückt wird, findet zuweilen bei ihnen Schutz.« Der König sah mit großen Augen auf den Goldschmied und befahl streng: »Packe deinen Kram ein, ich will heute deine Steine nicht sehen; denn du kommst nicht um des Kaufes willen, sondern du begehrst etwas anderes von mir.« »Als ich todwund am Idisbach lag,« antwortete Heriman, seine Steine langsam in den Sack sperrend, »da war es Held Immo, der mich aufhob, und ihm verdanke ich, daß ich heute vor den Augen des Königs stehen kann. Ich wäre niederträchtig, wenn ich nicht gut von ihm redete, da der König zuerst mich seinetwegen gefragt hat.« Heinrich nickte: »Du hast recht, laß nur liegen.« Heriman packte aus, und der König sah wieder auf die Steine. »Also die Leute des Erzbischofs schlugen an die Glocke. Ich höre, daß einige aus der Stadt den Räubern Vorschub leisteten und sogar mit ihren Wehren die Bewaffneten des Herrn Willigis an der Verfolgung hinderten. Weißt du auch darüber etwas?« Heriman besann sich. »Sie sagen, daß ein scharfer Schwertschlag getauscht wurde, und daß Held Immo nur darum ins Unglück kam, weil er einen andern, der, wie sie sagen, ein Erfurter war, nicht unter den Schwertern der Reisigen zurücklassen wollte. Und da manche in Erfurt glauben, daß der Held wegen seiner Treue gegen ein Stadtkind verwundet und gefangen wurde, so trauern diese über sein Unglück.« Da schob der König den Kram heftig von sich und stand auf. »Räume fort, ich will gar nichts mit dir zu tun haben.« Heriman öffnete zum zweitenmal seinen Beutel und packte ruhig ein. »Wenn der Herr König meint, daß die Erfurter Lämmern gleich sind, welche sich scheren lassen und dann noch aus der Hand, die sie geschoren hat, das Futter nehmen, so kennt er seine treuen Bürger nicht. Bei uns lebt mehr als einer, der einen Racheschwur gegen den Grafen Gerhard getan hat, weil dieser ein raubgieriger und ungerechter Mann ist.« »Jetzt verstehe ich,« versetzte der König sich setzend. »Das an dem Dolch ist ja wohl Byzantiner Arbeit, laß sehen.« Und Heriman packte wieder aus. »Wie kommt's, daß man den Mann nicht mit Weiden geschnürt hat, der, wie du sagst, für den Räuber Immo das Schwert zog, und dem der Räuber, wie du sagst, Treue erwies. Mich wundert's, daß einer, der des Königs Frieden so frech gebrochen hat, frei in den Gassen wandelt.« »Die Wächter des Erzbischofs waren Stadtfremde,« entgegnete Heriman argwöhnisch nach dem König blickend, »und die Erfurter haben vielleicht nicht sehr nach dem Einheimischen gesucht. Auch hat der Bürger eine Gewohnheit. Bevor er im Zwielicht das Schwert zieht, so streicht er sein Haar, wenn er es lang trägt, über das Gesicht; vielleicht birgt er auch seine Glieder in einem wendischen Kittel.« Er trat an den Tisch, bereit die Steine wieder einzupacken. »Laß nur liegen,« sprach der König, »ich sehe, dein Haar ist kurz genug. Sagtest du nicht, daß sich die Dienstleute des Erzbischofs zu eurem Schaden in der Stadt mehren?« »Herr, die Stadt wird dabei groß, und wenn auch schlechtes Volk unter den Zugewanderten ist, so muß man doch zugeben, der Stiftsvogt des Mainzers hält über seine Leute strenges Gericht. Nur sorgen bei uns die Alten, welche Bescheidenheit haben, daß die Königsmacht dadurch kleiner wird, und daß sie vielleicht einmal ganz schwindet.« »Denken viele wie du, daß sie lieber dem König dienen wollen als dem Erzbischof?« »Das Mehrteil wird sagen, es kommt darauf an, wie der König ist und wie der Erzbischof ist. Dennoch, wenn der König eine starke Hand hat und sein Vogt billig denkt, so wird der Bürger freudiger einem Helden dienen, der ein Schwert trägt, als einem geschorenen Haupte.« »Ihr selbst sitzt am liebsten daheim; aber ihr hört es gern, wenn der Spielmann vor euch singt, wie die Knie des Königs im Drange der Schlacht wund gerieben wurden,« sagte der König mit trübem Lächeln. »Gemächlicher ist dein Herdsitz, Heriman, als der Sitz deines Königs, welcher das ganze Jahr im Sattel reitet. Geh in Frieden mit deinen Waren, dies hier habe ich für die Königin ausgewählt, laß dir den Preis von meinem Kämmerer zahlen. Und vernimm noch eins, was ich dir in deiner Redeweise vertrauen will. Die bescheidenen Leute in Erfurt und anderswo meinen, der Mann handelt unweise, welcher mit unbedecktem Haupt auf der Straße läuft, wenn der Hagel herunterschlägt. Besser täte er, sein Antlitz zu bergen, bis das Wetter vorübergerauscht ist.« »Das ist gute Lehre,« versetzte Heriman demütig, »zumal wenn sie ein König gibt. Aber wir im Lande haben ein Sprichwort, womit wir uns trösten: je treuer der Sinn, desto dicker der Kopf.« Als Heriman das Gemach verlassen hatte, sprach der König zu dem eintretenden Kämmerer: »Das ist ein redlicher Thüring. Sorge, daß er sein Geld ohne Verzug erhält.« 12. Das Gericht des Königs. Auf niedriger Anhöhe stand unweit dem Mühlberg eine große Linde; dort wurde innerhalb gezimmerter Schranken dem König der Richterstuhl erhöht und Sitze für die Großen des Reiches, welche in seinem Gefolge ritten. Die Diener breiteten Teppiche und Polster auf das Holzwerk, das Banner des Königs ward aufgesteckt, der Rufer trat an den Eingang des Geheges und die Leibwächter schritten mit ihren Spießen in die Runde, das versammelte Volk abzuwehren. Die Frühlingssonne schien warm und die Lerchen sangen freudig von der Höhe, aber Landleute und Burgmannen, welche in großen Haufen herzugeeilt waren, hielten sich abseits, sprachen leise miteinander und sahen scheu nach dem Gerichtsbaum und zurück nach dem Dorfe, bei welchem das Lager des Königs war. Nicht die Ehrfurcht allein bändigte ihnen Stimme und Gebärden, sonst zogen sie wohl einem scharfen Gericht wie einem Feste zu und freuten sich, wenn das Haupt eines Missetäters auf den Rasen fiel; diesmal war den meisten der Mut beschwert, entweder weil sie dem Helden Immo wohlgeneigt waren, oder weil sie dem Grafen Gerhard geringes Glück gönnten. In gesondertem Haufen standen die freien Bauern vom Nessebach, in ihrer Mitte, der alte Baldhard mit Brunico und seinem Geschlecht, und Baldhard streckte den Arm nach dem Ring der roten Berge aus, auf welchen die Mühlburg ragte: »Seht dorthin.« Auf dem Grunde lag der weiße Wasserdunst, darüber strahlten die Höhen wie abgelöst vom Erdboden und wie von eigener Glut durchleuchtet. An den waldlosen Stellen schimmerte das Erdreich hier rosenfarben und blau, dort blutig rot. »Schaut alle,« rief Baldhard, »gleich rotem Golde glänzt Erde und Stein. Manches Mal sah ich den alten Götterschein an den Höhen, und jedermann aus der Umgegend kennt das Gleißen, das man schwerlich an anderen Bergen schaut. Aber niemals erblickte ich solches Feuer, und bekümmert fragen wir, was das blutige Licht dem alten Landgeschlecht bedeute, gegen welches heute der Richterstuhl gezimmert wird.« Alle starrten mit scheuer Verwunderung nach den Hügeln. Und Ruodhard, der Müller begann: »Die letzte Nacht war still und der Mond stand am wolkenlosen Himmel, dennoch hörte ich im Berge ein Dröhnen und Brechen; wie mit schweren Hämmern arbeiteten Riesenhände in dem Gestein und ich sah, daß die Grauwölfe heulend die Nasen hoben und in den Berg hineinfuhren.« Da rief eine rauhe Stimme: »Die in der Tiefe hausen, rüsten sich, um junge Helden zu empfangen, welche vom Tageslicht geschieden werden.« Brunico stöhnte und wandte sich ab. »Beklagst du die Söhne Irmfrieds?« frug die Stimme neben ihm. Brunico sah auf eine riesige Gestalt in einem Rock von Wolfsfellen, das buschige Haar des Mannes starrte wild um das Haupt, in dem Gurt steckte eine Axt mit neuem Stiel. »Jammervoll ist dieser Tag, Eberhard,« murmelte der Knappe. »Du hattest dich einem von ihnen gelobt,« versetzte der Hirt finster, »ich aber war allen Sieben ein Knecht von den Vätern her. Darum bin ich neugierig zu sehen, wie meine Herren auf ihrem eigenen Grunde von einem Fremden geschlagen werden.« »Wisse, Eberhard, der König selbst ist gekommen zu richten.« »Bis heute waren die Söhne Irmfrieds Könige des Waldes, trifft ein fremder König die Sieben in den Nacken, wie mag ihr Knecht sich noch seinen Herrn suchen? Der Stiel ist neu und das Eisen ist scharf. Schwingt keiner der Herren die Axt in den Baum, so hebt der Knecht selbst die Axt zu einem Herrenwurf, und er wählt sich das Ziel. Von meinen Ebern bin ich entwichen, damit ich den fremden Richter schaue, weißt du mir ihn zu zeigen?« »Du wirst ihn erkennen, wenn er auf dem Richterstuhl sitzt,« antwortete Brunico und wandte sich scheu von dem Wilden ab. Der König ritt aus seinem Hofe auf das Feld hinaus. Die Leute sahen, daß er einen Hauptmann der Reisigen zu sich winkte, und daß dieser nach dem Lager der Königsmannen eilte. Gleich darauf tönten von dem Anger Hörner und das Getöse einer aufbrechenden Schar. Als der König herankam mit großem Gefolge von Geistlichen und Laien, klang der Heilruf nicht freudig wie wohl sonst, und der König merkte das und schaute düster über die Haufen. Die Leute vernahmen, wie der Rufer Stille gebot und des Königs Gericht nach den vier Winden ausrief, und sie drängten schweigend an die Schranken. Als darauf Immo zum Hügel geführt wurde zwischen entblößten Schwertern und nach ihm seine Brüder, da hörte man trotz dem Gebot des Schweigens lautes Klagen und Jammern der Weiber, und viele knieten nieder, hoben die gefalteten Hände und taten Gelübde, damit die Heiligen sich der Angeklagten erbarmten. Der König setzte sich auf den Richterstuhl und ergriff den weißen Stab, an welchem das goldene Königszeichen einer Lilie ähnlich glänzte. Erzbischof Willigis trat mit den Bischöfen und Edlen, welche der König zu Ratgebern gewählt hatte, vor den Stuhl und begann: »Da des Königs Würde selbst den Spruch tun will gegen den edlen Thüring Immo wegen Raubes einer Jungfrau und wegen Friedensbruch, so ist uns das Vorrecht geworden, im Rat zu sitzen über die Tat und die Rache. Denn so ist es Brauch, wenn der Spruch des Königs gegen das Leben eines Edlen geht. Was wir befunden haben, verkündet jetzt mein Mund dem Könige, wenn seine Hoheit es vernehmen will.« Der König winkte und der Erzbischof fuhr fort: »Gegen die ruchbare Tat des Helden Immo und seiner Brüder hat Graf Gerhard Klage erhoben wegen des nächtlichen Raubes seiner Tochter Hildegard aus dem Dach der Herberge, und daneben mein Vogt zu Erfurt wegen Friedensbruches und schwerer Verwundung seiner Reisigen. Darum möge die Gerechtigkeit des Königs erwägen, ob die schwere Tat verübt wurde gegen die Jungfrau selbst, gegen den Vater und gegen den Frieden der Stadt. Bekunden ehrliche Zeugen, daß der Mann Immo ein Räuber der Magd war, so büße er mit seinem Haupt und Leben. Hat er nur durch gezücktes Schwert den Frieden der Straße geschädigt, so möge der König ihn strafen, nicht an seinem Leben, aber an seinen Gliedern, an seiner Freiheit, an Gut und Habe, wie es dem König gefällt. Seine Gesellen aber, weil sie als jüngere Brüder die Treue des Geschlechtes erwiesen haben, möge der König strafen oder verschonen.« Der König antwortete: »Ich rühme den Rat, den ihr Bischöfe und Herren gefunden, als gerecht und billig.« Aber hart war der Ausdruck seines Angesichts, als er auf die Gefangenen hinsah. »Sind hier alle Söhne des toten Irmfried versammelt? Von sieben Nestlingen hörte ich singen und sagen.« Gundomar trat heran. »Einer ist zurück, der jüngste Sohn Gottfried; schuldlos ist er, Herr, und hat keinen Teil an diesem Frevel seiner Brüder.« »Ist er schuldlos, warum wird er dem Auge des Königs entzogen?« frug Heinrich, »brachtest du ihn von der Burg, so führe ihn her.« Gundomar eilte aus dem Ring und Gottfried trat in die Schranken. Er trug das Panzerhemd, das ihm die Brüder geschenkt hatten, um das runde Gesicht ringelten sich die goldenen Locken. In holder Scham stand er da; auf eine leise Mahnung seines Begleiters trat er näher, kniete vor dem König nieder und senkte sein Haupt. Der König sah überrascht auf den Knaben. Im Kreise der Herren erhob sich ein beifälliges Gemurmel und aus dem gedrängten Volke klangen Heilrufe der Männer und Segenswünsche der Frauen. Der König erkannte, daß die Edlen und das Volk ihn rühmen würden, wenn er dem Unschuldigen seine Gnade erwiese. Und da ihm der Knabe gefiel, so gedachte er bei sich, das Geschlecht nicht ganz zu vernichten, sondern diesen zu bewahren und er sprach gütig zu ihm: »Steh auf und sieh mir ins Gesicht.« Gottfried starrte aus seinen großen Augen so erstaunt den König an, daß dieser lächelte. »Tritt näher,« gebot er, faßte den Knaben bei der Hand und strich ihm über die Wange. »In jungen Jahren trägst du das Eisenhemd, wer hat dich so früh mit dem Schwert gewappnet, du Singvogel? Noch ziemt dir nicht der wilde Flug. Danke den Heiligen, daß jene dich bei ihrem nächtlichen Ritt zurückließen.« »Gern wäre ich mitgeritten,« antwortete Gottfried arglos, »und mich reut gar sehr, daß ich's verschlafen habe.« Da lachten die Herren ringsum über die Kinderstimme und nickten einander zu. »Ich merke,« sagte der König, »wir sind hier in dem Lande, wo schon die Nestvöglein trotzig singen, wenn auch ihre Stimme noch fein ist. Daß du den Ritt verschlafen hast, Knabe, war dir diesmal größeres Glück als die beste Heldentat. Sieh auf deine Brüder; der einzige bist du aus deinem Hofe, der ein Schwert trägt, obgleich es in deiner Hand noch schwerlich tiefe Wunden schlagen wird.« Gottfried sah erschrocken auf seine Brüder, gürtete sich schnell das Schwert ab und legte es dem König zu Füßen. »Verzeiht mir, Herr König, ich will nicht anders gehalten sein als meine Brüder, laßt mich das Unglück, das sie trifft, auch teilen,« und er lief von dem König zu den Gefangenen und stellte sich als letzter in ihre Reihe. Aber Gundomar ergriff ihn bei der Hand und führte ihn zum Stuhl des Königs zurück. »Hebe dein Schwert auf,« befahl der König gnädig, »damit ich dich selbst damit umgürte; als Kriegsmann sollen dich, Gottfried, Sohn des Irmfried, von heute an meine Edlen ehren.« Da erhob sich ein Summen und Brausen in der versammelten Menge, und es verstärkte sich zu einem donnernden Heilruf für den König, so daß dieser wieder befremdet über das Volk sah. Denn die Leute hofften, daß die Huld, welche der König dem Jüngsten erwies, eine gute Vorbedeutung sei für das Schicksal der anderen Brüder. Aber solche, die den König zu kennen meinten, urteilten anders. Der König gebot: »Führt die Jungfrau herein.« Gestützt auf Edith trat Hildegard in die Schranken. Ein beifälliges Murmeln ging durch die Versammlung, als die Frauen vor den Königsstuhl traten. Würdig verneigte sich Edith und stand mit gehobenem Haupte in der Versammlung; und der König, welcher gedachte, daß sie sich stolz hielt, weil sie von den Ahnen her dem königlichen Stamme verwandt war, faßte mit der Hand an die Lehne seines Stuhles und hob sich ein wenig aus dem Sitz, indem er sich gegen sie neigte, um die Abkunft zu ehren. Ediths Augen suchten die Söhne. Als sie Immo erkannte, das bleiche Antlitz und die schmerzvollen Züge, da tat sie einen Schritt auf ihn zu, aber sie bezwang sich und hob nur die Hand segnend gegen ihn. Neben ihr stand Hildegard, die Augen zum Boden gesenkt, ängstlich griff sie nach der Hand ihrer Begleiterin, um sich daran zu halten. »Dies ist deine Tochter Hildegard, Graf Gerhard?« frug der König, und als der Graf sich bejahend verneigte, fuhr er fort: »Wenig gleicht sie dir, doch auch vom knorrigen Stamme kommt süße Frucht. Wahrlich, mancher von meinen jungen Helden wird über die Missetat des Räubers nicht erstaunen. Fasse Mut, Jungfrau, denn der Richter, welcher jetzt frägt, ist dir wohlgesinnt. Über dem Thüring Immo hängt die Klage, daß er dich mit Gewalt und entblößtem Schwerte aus dem Frieden meiner Burg Erfurt geraubt und durch seine Gesellen in sein festes Haus geführt hat. Ob es Raub einer Jungfrau war, die widerwillig der Gewalt folgte, das erkennt der Richter aus dem Notschrei der Geraubten; denn wie dem Mann das gezückte Eisen, so hilft der Jungfrau die Stimme. Hast du dich gesträubt gegen die Entführung durch abwehrende Hand, und wenn die Hand gebändigt war, durch den Mund, so sprich, damit wir dein Magdtum ehren und die Tat des Räubers erkennen.« Hildegard hielt sich an Edith fest. Es wurde so still im Raum, daß man das Summen einer Mücke gehört hätte, aber kein Laut drang aus den zuckenden Lippen der Jungfrau. Da trat Erzbischof Willigis zu der Schweigenden und sprach mit väterlicher Milde: »Zum Dienst der Heiligen bist du bestimmt; deshalb mahne ich dich freundlich, daß du alle Furcht abtust, denn du sprichst jetzt für deine eigene Ehre. Der Richter frägt, ob der Mann, der zu dir in die Herberge drang, dein Trauter war oder dein Räuber. Darum, hast du dir Hilfe gefordert, so antworte nur ein: Ja, ich habe.« Im Angesicht der Jungfrau wechselte Blässe und hohe Röte, aber sie schwieg. Wieder ging ein Geflüster durch die Versammlung und manche Lippe verzog sich zum Lächeln. Graf Gerhard aber drängte sich vor und rief ängstlich: »Möge die Hoheit des Königs Nachsicht üben mit meinem armen Kinde, dem jetzt die Angst und Scham den Mund verschließt. In jener Nacht aber hat sie gerufen, wie einer sittsamen Jungfrau geziemt, Zeter und Waffen, und hat sich gesträubt, so sehr sie vermochte, als die Räuber sie auf das Roß schwenkten.« »Da du selbst den Schrei nicht gehört hast, und die Jungfrau nicht reden will, so rufe Zeugen, wenn du deren hast,« gebot der König. Graf Gerhard eilte an die Schranken und führte den Wirt des Hessenhofes herbei. Der Mann kniete nieder und bekannte: »Laut gellte der Notschrei einer Weiberstimme aus dem Gemach, in welchem die Jungfrau rastete, und als ich vom Lager sprang und mit meiner Waffe in das Zimmer eilte, fand ich es leer, auf der Straße sah ich Reiter davonsprengen und erkannte, daß einer die Jungfrau vor sich auf dem Rosse festhielt.« »Der Notschrei klang von den vier Wänden,« bestätigte der König, »doch sah der Zeuge nicht, ob es die Jungfrau war, welche rief. Hauste das Grafenkind allein in der fremden Stadt?« »Nur ihre Dienerin kam mit ihr,« antwortete der Graf, »ein unfreies Mädchen.« »Warum ist sie nicht zur Stelle?« frug der König. »Du hörst, Beklagter, etwas fehlt an dem Zeugnis gegen dich. Vermagst du den Spruch gegen dich weniger schwer zu machen durch deinen Eid und den Eid deiner Helfer, so darfst du schwören, daß die Jungfrau dir ohne die Notklage gefolgt ist.« »Ich schwöre nicht gegen ihre Ehre,« antwortete Immo, »was mir auch darum geschehe.« Da hob Hildegard das bleiche Antlitz ein wenig und begann leise: »Einen Goldfaden sandte ich ihm und er bewahrt ihn an seinem Herzen, die Sommerlinde auf der Idisburg sah es und weiß es, daß er mich küßte. In der brennenden Stadt stand ein steinernes Kreuz, so wahr das Kreuz dort steht, so wahr ist es, daß er mich aus den Händen der Mörder gelöst hat durch seinen Arm und sein Schwert. Dann kam er in der Nacht, in der ich angstvoll am Boden lag, weil ich die Liebe zu ihm im Herzen trug und doch am nächsten Morgen zu den Heiligen sollte; er weiß es wohl, daß ich schwieg, als er mich auf das Roß seines Freundes hob.« In der Stille, welche diesen Worten folgte, hörte man nur das Stöhnen des Vaters, welcher sich abwandte und die Hände vor sein Antlitz hielt. »Folgtest du freiwillig, ohne deiner Kindespflicht zu gedenken,« frug der König, »wer denn tat den Klageschrei? Weiß jemand Antwort zu geben, der antworte, damit der Zeuge nicht als meineidig erkannt werde.« An den Schranken rührte sich's unter den Bürgern, welche aus Erfurt herbeigeeilt waren. Frau Kunitrud wurde von Heriman und andern vorgeschoben und der Rufer öffnete ihr auf einen Wink des Erzbischofs die Schranken. Sie warf sich auf die Knie, und begann mit geläufiger Stimme, während sie mehrmals aufstand und wieder niederkniete, bis sie in der Nähe des Königstuhls beharrte: »Es wird kein Brei so heiß gegessen als er gekocht ist, und ein Kind aus Burg Erfurt traut sich auch noch vor dem Könige zu reden, zumal wenn er jung ist. Alles kann ich auf das genaueste verkünden, Herr König, denn ich selbst habe die Entführung erlebt, und sie war das Ärgste nicht, was ich erlebt habe; schlimmere Gewalttat geschieht in der Welt, und noch dazu von Leuten, welche weniger gutherzig sind als dieses junge Blut. Ihr sollt wissen, Herr König, daß ich in jener Nacht bei der edlen Hildegard war. Reisemüde saß sie oder sie lag auf dem Boden und rang die Hände, wie es ihr gerade gefiel. Da vernahm ich draußen Getümmel und Klappern von Pferdehufen und ich tröstete die edle Hildegard und sagte ihr: Das tut nichts, es sind nur volle Brüder, welche gegeneinander die Messer zücken und es ist des Königs Wache, sie werden sich untereinander raufen, wie sie oft tun. Da sprang die Tür auf und der Held Immo trat ein, ganz in Eisen, und er fuhr auf die Jungfrau zu, welche wie ein Rohr wankte, da sie ihn sah; er faßte sie und rief: »Mußt du Zeter schreien, Kunitrud, so harre, bis ich zu Rosse bin.« Ich schlug erschrocken die Hände zusammen, und lief an das Fenster, riß die Decke weg und sah hinab, aber ich sah nur Undeutliches in der Finsternis, bis ich mich endlich besann und das Geschrei erhob, wie sich geziemte.« Der König winkte und der Rufer bedeutete der behenden Frau zu schweigen, worauf sich diese wieder mit Kniebeugungen aus den Schranken zurückzog. »Folgte das Weib widerstandslos dem heischenden Manne,« entschied der König, »so vermag der Richter nicht ihre Ehre zu rächen, sie selbst hat sich ihres Rechtes begeben und ist Mitschuldige der Gewalttat. Denn nicht ihr stand zu, sich den Gemahl zu wählen, sondern ihrem Herrn und Vater. An der Jungfrau hast du, Schwertloser, durch den Raub keinen Frevel geübt; der Richter fragt, ob du ihn geübt hast gegen Gerhard den Grafen. Dieser aber hat, wie du selbst sagst, dir sein Kind nicht verlobt, sondern er wollte es nach dem Wunsch des Königs geschleiert den Heiligen weihen. Weißt du, Immo, was dich von dieser Missetat entschuldigt, so verantworte dich.« Die Lippen Immos bewegten sich, aber er schwieg. Da Immo auf die Frage, welche für sein Leben entscheidend war, nicht antwortete, hob Edith mit einem Klageschrei die Hände zum Himmel, eilte durch die Versammlung zu ihrem Sohn und umschlang ihn mit ihren Armen. Er aber warf sich vor seiner Mutter nieder und barg sein Gesicht in ihrem Gewande. Unter den Brüdern entstand eine Bewegung, Odo trat ein wenig vor und begann auf einen Wink des Richters: »Immer wünschen wir, daß der König uns gnädig sei, zumal wenn wir vor ihm sprechen sollen und doch behender Worte nicht sehr mächtig sind. So geht es jetzt mir. Was aber die Klage des Grafen Gerhard angeht, so behaupte ich, Odo, Irmfrieds Sohn, und mit mir meine Brüder Ortwin und Erwin, Adalmar und Arnfried, daß die Klage völlig eitel und nichtig ist, und wenn des Königs Huld uns Schwert und Roß gewähren will, so sind wir Fünf, die wir jetzt schwertlos stehen, bereit, dies gegen den Grafen Gerhard und vier ehrliche Kämpfer seiner Freundschaft zu erweisen, überall, wo die Sonne scheint, die Luft weht und der Anger grünt.« Der König sah verwundert auf den jungen Helden, dem man wohl anmerkte, wie er die Worte bedächtig erwog, während er die grauen Augen und das unbewegte Gesicht auf die Versammelten richtete. »Du bist ein verwegener Gesell, daß du die Klage über eine ruchbare Missetat ungehörig schiltst. Du selbst hast die geraubte Jungfrau auf der Burg verschlossen.« »Ich bin nicht mein Bruder,« versetzte Odo trocken, »mir war auch bisher ganz wohl in meiner eigenen Leibeshülle. Die Klage aber geht gegen den Helden Immo und nicht gegen mich. Darum ist sie grundlos und für jedermann ist deutlich, daß mein Bruder die Jungfrau nicht geraubt hat. Sie hat den Rücken seines Rosses nicht berührt; als sie in der Nacht unter den Sternen dahinfuhr, war er gar nicht in ihrer Nähe, als sie hinter dem Burgtor abgehoben wurde, lag er weiter von ihr entfernt, als die Stadt von der Burg. Wir im Lande aber strafen nur die schwere Tat, nicht schweren Willen. Was er gewollt hat, darum mögen sich die Unsichtbaren kümmern, welche, wie uns die Priester sagen, sogar die Gedanken eines Mannes erspähen, der Richter unter der Linde spricht nur über ruchbare und greifbare Tat.« Der König musterte mit scharfem Blick den stattlichen Jüngling. »Wenn ich dich und deine Brüder betrachte, so wundert mich nicht, daß ihr die Sache wieder von des Königs Bank hinweg auf die Beine eurer Rosse bringen wollt. Ich merke, du wagst vor dem König Haare zu spalten. Was jener nicht vollbrachte, tat einer seiner Blutgesellen.« »Dies gerade ist es, was ich der Gerechtigkeit des Königs sagen wollte. Ungern redet ein Mann gegen sich selbst. Auch ich erinnere hier nur daran, daß er schuldlos an der Tat erkannt werden möge, weil er der älteste von uns Brüdern ist und wie ich wohl weiß, unserer Mutter der liebste. Und ich fürchte, sein Tod würde ihr das Herz brechen. Muß also Strafe das Haupt eines Mannes treffen, weil das Grafenkind auf ein Roß geschwenkt wurde, so darf doch nicht mein Bruder für die Tat büßen, die ein anderer vollbrachte. Hätte Graf Gerhard diesen andern verklagt, so dürfte der andere sich nicht beschwert fühlen.« »Du selbst warst der andere?« frug der König. »Die Jungfrau wurde dem gereicht, der das stärkste Roß hatte,« versetzte Odo vorsichtig. »Das Roß wurde vor Jahren von dem Weidegrund des Königs nach Thüringen geführt, es ist vom besten sächsischen Schlag.« »Auch der Reiter, wie ich merke,« versetzte der König. »Tritt zurück, Jüngling; die Klage nennt nach Recht den Urheber, er gab den Rat, er stiftete die Tat, ihm frommte das Vollbringen. Du aber warst nur sein Gehilfe. Zum andern Mal frage ich dich, Immo, weißt du etwas, was dich entschuldigt, so sprich.« Immo stand in hartem Kampf, er wußte wohl, daß Gerhard in Wahrheit niemals der Vermählung günstig gewesen war, er selbst hatte früher dem König gestanden, daß der Graf ihm kein Versprechen getan habe, und obwohl er jetzt in Todesnot war, so erschien ihm doch nicht mannhaft, an nichtige Worte des Gegners zu mahnen. Während er mit seinen Gedanken rang, ob er reden sollte oder schweigend den harten Spruch erwarten, begann der König, zu dem Erzbischof gewandt: »Als die Ratgeber mir durch euren Mund, hochwürdiger Vater, ihren Rat kündeten, haben sie, so scheint mir, eines nicht erwogen. Der Thüring Immo war es, welcher dem Grafen zu Hilfe kam, als dieser in Kerkernot saß. Denn hätte der Jüngling nicht vor mir das Knie gebeugt, so würde der Graf einem schweren Schicksal nicht entgangen sein. Damals nun hat, so scheint mir, der Jüngling von dem Grafen selbst ein Versprechen erhalten, welches die Tochter betraf. Hat aber der Jüngling den Raub verübt auf Grund eines Gelöbnisses, das er von dem Vater empfing, so würde seine Verschuldung gegen den Gerhard gering erscheinen, denn er hätte durch empfangenes Versprechen ein Recht auf die Jungfrau gewonnen, wenn auch der Raub ein Frevel gegen den König und den Stadtfrieden war.« Da drängte sich Graf Gerhard eilig hervor und rief laut in dem Ringe: »Keinerlei Gelübde hat der Räuber erhalten, und kein Schwur vermag ihm zur Entschuldigung zu gereichen; weder die Tochter noch irgend etwas anderes habe ich ihm verheißen, damit er tue, was mir zum Heil helfen konnte. Ganz ohne Entgelt wagte er, was für ihn kein schwerer Dienst war, da des Königs Gnade über denen, die im Unglück sind, ohnedies barmherzig waltet. War ich ihm einen Dank schuldig, so hätte ich ihm wohl etwas Gutes erwiesen durch ein Roß oder ein stattliches Gewand, wie es im Lande Brauch ist, nur nicht durch so unerhörten Lohn, wie das Magdtum meines Kindes.« »Wie?« rief Heinrich, »war er so töricht, deine Sünden zum Könige zu tragen, ohne den Brauch der Welt zu üben und an den eigenen Vorteil zu denken? Ungern mag ich das glauben, wenn auch du es sagst. Sprich selbst, schwertloser Mann, redet der Graf die Wahrheit?« Durch Immos Seele fuhr ein heißer Schmerz; hätte er den Schwur des Grafen angenommen, vielleicht würde er jetzt der Gefahr enthoben und zuletzt doch mit der Geliebten vereinigt. Die Lehre, welche er vom Vater Bertram gekauft hatte, mochte Unglück und Tod über ihn bringen. Und doch hörte er in diesem Augenblicke der Entscheidung wieder das feierliche Flüstern des alten Mönches, das ihn damals mit Ehrfurcht erfüllt hatte, und in seiner Seele schrie es, daß der Rat hochsinnig und ehrlich gewesen war. Darum sprach er leise in der Versammlung: »Der Graf redet die Wahrheit, ich empfing keinen Schwur von ihm, weder um seine Tochter noch um etwas anderes, und ich habe mir sie geraubt, wie Kriegsleute in der Not tun, weil sie mir lieber ist als mein Leben.« »Nun denn,« rief der König, »so sprich, was trieb dich damals, ein unholder Bote des Grafen zu werden?« »Mich jammerte, daß der Edle gegen einen Ehrlosen kämpfen sollte, und mehr noch als das Schicksal des Gebundenen ängstigte mich die Trauer der Jungfrau. Und Herr, wenn ich alles sagen darf, wie es mir damals erging, ich trug den Brief wahrhaftig in Einfalt und treuem Sinne, denn ich wußte und bedachte nicht, daß ich meinem huldreichen Herrn Ungünstiges reichte.« Da flog ein heller Schein über das Angesicht des Königs. War es ein Sonnenstrahl oder ein Wetterleuchten aus seinem zornigen Gemüt, das wußten die Herren nicht, die den König mit gespanntem Blick betrachteten. Nur der Erzbischof erkannte, daß in dem Gemüt des Königs etwas vorging; und da Willigis ein sehr kluger Herr war, so dachte er der veränderten Meinung des Königs Genüge zu tun, um zugleich sich selbst einen Gewinn zu schaffen, den er sich seit lange ersehnte. Deshalb begann er: »Alle preisen wir des Königs Huld, welche auch an dem schuldigen Mann das Ehrenwerte zu ehren weiß, und viele gibt es hier, welche ein mildes Urteil für ihn ersehnen. Keiner aber wagt für ihn zu sprechen, weil er an der Kirche und den Heiligen gefrevelt hat, indem er ein Weib entführte, welches der König dem Herrn verloben wollte. Darum ziemt vor andern mir, meinen Herrn und König flehend zu mahnen, daß er sowohl der Kirche eine Sühne gewähre, als auch dem Schuldigen Leben und Ehre erhalte. Möge der Weisheit des Königs gefallen, den Berg und die Burg, welche Held Immo verwirkt hat, den Heiligen zu übergeben, damit sie fortan dem Erzbistum gehören, und damit ich einen Lehnsmann hinaufsetze, entweder den Helden Immo selbst oder einen andern, wie es dem Könige gefällt.« Der König sah überrascht auf den Erzbischof. Er gedachte der Worte, welche ihm Heriman zugetragen hatte, und ihm gefiel gar nicht, den mächtigen Priester zum Herrn im Lande zu machen. Dennoch konnte er die Hilfe desselben nicht entbehren, und so saß er, das Gesicht freundlich ihm zugewandt, aber in seinem Herzen meinte er es weit anders. Denn ihm hatte noch diesen Morgen im Sinn gelegen, die Mühlburg für sich selbst zu behalten, aber sie vielleicht als Lehn des Reiches einem Manne aus Irmfrieds Geschlecht zu übergeben. Darum hatte er heimlich seinen vertrauten Kriegsmann auf die Burg gesandt, welcher in Abwesenheit der Herrin einen Versuch machen sollte, die Besatzung zu täuschen oder zu überwältigen, und er hatte ihm geboten, stracks eine Stelle der Mauer zu brechen, damit des Königs Macht sichtbar werde. Jetzt gefiel ihm dieser Gedanke noch mehr. Während der König auf die Antwort sann, hörte er das Rauschen eines Gewandes. Ein Mönch kniete zu seinen Füßen, es war Reinhard aus Herolfsfeld, der Vertraute seines Kaplans, des frommen Godohard. Er winkte dem Demütigen zu: »Was begehrst du, Vater Reinhard, der du jetzt durch Herrn Bernheri zum Präpositus deines Klosters ernannt bist?« »Nicht aus eigenen Gedanken, sondern nach dem Willen meines Herrn Bernheri wage ich Unwürdiger in dieser hohen Versammlung zu bitten, zunächst, daß Herr Willigis mir verzeihe, wenn ich anders spreche, als ihm selbst gefällt. Die Mühlburg liegt nahe den Hufen und Wäldern, welche dem heiligen Wigbert gehören, und keine Sicherheit hat das Kloster in Thüringen zu hoffen, wenn nicht der Gewappnete, welcher auf der Mühlburg haust, dem Kloster gehorcht. Auch ist bereits ein Heiligtum auf dem Berge, welches St. Wigbert selbst geweiht hat, und das edle Geschlecht des Helden Immo betet seit der Urzeit an den Altären des Klosters. Darum flehe ich, daß es der Gnade des Königs und auch der Weisheit des Erzbischofs gefallen möge, den Berg und die Burg meinem Kloster zu gewähren, damit dieses einen treuen Kriegsmann hinaufsetze, der auch dem Könige wohlgefällig ist.« Der König sah das zornige Gesicht des Willigis und um seinen Mund zuckte ein schadenfrohes Lächeln, denn ihm war lieb, daß die zweite Bewerbung leichter machte, dem Erzbischof für jetzt seinen Wunsch zu verweigern. Er hinderte also die Gegenrede, welche der Erzbischof vorbereitete, indem er antwortete: »Uns ziemt demütige Erwägung, wenn zwei so fromme Väter sich dasselbe Gut begehren. Da du aber mir sagst, daß das Geschlecht des edlen Immo sich längst den heiligen Wigbert zum Beschützer und Fürbitter erwählt hat, so will ich dich, Immo, selbst fragen: Wie kommt es doch, daß ihr seither vermieden habt, den heiligen Wigbert als Herrn zu erkennen. Übel hast du, so scheint es, dich beraten, daß du dich der Lehnshoheit des Heiligen entzogst, denn er vermöchte dir jetzt vielleicht die Mauern zu erhalten.« Was der König sagte, fiel schwer auf das Herz des bedrängten Mannes, dennoch trat er mit gehobenem Haupte vor: »Herr, was ich als freies Erbe von meinen Vätern überkommen habe, das wollte ich in Ehre und Wert unvermindert den Nachkommen überlassen; immer war der Stolz meiner Ahnen, keinem Lehnsherrn zu dienen.« »Und doch würdest du jetzt froh sein,« warf ihm der König prüfend entgegen, »wenn du dein Erbe wenigstens als Besitz aus der Hand der Kirche zurückerhieltest, damit du hättest, wo du dein Haupt birgst.« Immo schwieg. »Antworte mir,« befahl der König. Immo kniete nieder. »Da mein Herr und König mich frägt, so will ich, obwohl in Todesnot, eine ehrliche Antwort geben. Kleiner wird alljährlich die Zahl der Freien im Lande, mein Geschlecht aber saß seit der Urzeit auf diesem Grunde. Nicht vom König und nicht von der Kirche stammt unser Recht, sondern von der milden Himmelssonne selbst erbaten meine Ahnen ihr Eigen, bevor König und Kirche im Lande herrschten. Wenig liegt mir am Leben, da ich doch alles verloren habe, worauf ich hoffte; aber ein Vasall werde ich nicht.« In dem Kreise der Edlen entstand eine Unruhe und Heinrich rief: »Wahrlich, der König mag zufrieden sein, daß das Erbe deines Hauses nur klein ist, denn du steigst über den Adler und fährst höher in deinen Gedanken, als die Großen des Reiches, welche selten verschmähen, auch von anderen als dem Könige Land und Leute zu empfangen. Nicht unwahr reden die Menschen, wenn sie euch die kleinen Könige aus dem Wald nennen. -- Jetzt aber gedenke vor allem, ob du der Not dieser Stunde entrinnest. Als den Räuber seiner Tochter hat dich Gerhard verklagt, und zum drittenmal warne ich dich. Rede, wenn du etwas weißt, was dich gegen ihn entschuldigt, denn du redest für deinen Hals.« Da sprach neben dem Könige eine leise Stimme: »Lieber Herr König, ich weiß etwas.« Heinrich winkte den jungen Gottfried an sein Ohr, dann befahl er ihm laut zu reden. Der Knabe trat in den Ring vor den Grafen und begann mutig: »Was mein Bruder verschweigt, daran will ich mahnen: Gedenke Graf Gerhard, daß du einst meinen Bruder Immo einen Frosch nanntest, der aus dem Weiher zu der Königstochter hinaufhüpft. Damals fordertest du selbst, daß mein Bruder ihr Geselle werden sollte, und du befahlst der Hildegard, weil sie den kalten Frosch nicht anrühren wollte, daß sie es doch tun mußte. Aus einem Becherlein haben sie getrunken und aus einem Schüßlein gegessen und mit einem Goldfaden haben sie sich gebunden, den sie meinem Bruder Immo geschenkt hat. Heute widerstrebst du mit Unrecht, daß er ihr Gemahl wird, denn du selbst hast deine Tochter dazu angestiftet, daß sie ihn wert halten sollte.« Der König frug ergötzt: »Was weißt du auf die Sage des jungen Helden zu antworten? Hast du selbst den Jüngling und die Jungfrau vertraulich gemacht, wie darfst du dich beschweren, daß sie auch später sich zueinander gesellten?« Da rief Graf Gerhard zornig: »Habe ich jemals einiges von dem Frosch gesagt, so vermag der König leicht zu ermessen, daß dies nur scherzweise und beim Trunk geschehen ist, wie man mit Kindern wohl zuweilen handelt. Im Ernst aber habe ich nie daran gedacht, den Helden aus den Waldhecken zum Gemahl für mein Kind zu wählen, denn damals stand er noch in Klosterzucht und später hatte er die Gunst des Königs verloren. Auch war dieses Geschlecht eines Zaunkönigs, welcher hier gegen mich piept, mir und meinen Mannen oft feindselig und abgeneigt.« Da errötete Gottfried im Eifer und rief: »Darf ich ihm noch einmal antworten, Herr König? Eine andere Sage hörte ich in den Waldhecken, die er schmäht, daß einst Wolf Isegrim, ein Graf unter den vierfüßigen Tieren, das Nest der Zaunkönige verspottete, aber teure Buße zahlte er dafür. Denn die Vögel aus den Lauben begannen einen Streit gegen ihn und als sie in einer Waldlichtung aufeinander trafen, da wurde dem Wolf das Fell gerauft und Isegrim stand am Abend mit entblößtem Haupt an dem Nest der Zaunkönige und bat demütig vor allem Volk die kränkende Rede ab. Laßt euch erzählen, wie Wolf Isegrim damals Abbitte tat. Der jüngste Nestling aus dem Geschlecht, das er geschmäht hatte, wurde ihm gegenüber gestellt, und vor ihm mußte der Wolf sich demütigen. Merke wohl, Graf Gerhard, ich weiß das genau, denn der junge Vogel war ich und du warst der Wolf.« Der Graf wurde zornrot und unwillkürlich tastete seine Hand nach der Schwertseite. Aber im Kreise der Herren erhob sich ein schallendes Gelächter und Gottfried fuhr fort, indem er dem Grafen näher trat und nach dem Schwerte desselben wies: »Bei diesem Kreuz wurde beschworen, daß die Fehde abgetan sein sollte und aller Groll vergessen. Und beim Mahle trug ich dir die erste Kanne Wein zu, und ich, den du jetzt wegen seiner Stimme schmähst, sang dir den Willkommen. Denke auch daran, Graf Gerhard, wie du damals zu meinem Bruder sprachst: Sehr leid tut es mir, Immo, daß der König mit meiner Tochter anderes im Sinne hat; wenn ich mit ihr verfahren könnte wie ich wollte, so meine ich, sie würde es nirgends besser haben als bei euch in den Waldlauben, und gern würde ich sie dir gewähren, da ich weiß, daß sie dir lieb ist. So hast du geredet, und so hast du selbst ihm den Mut gegeben, sich die Braut zu holen.« Wieder ging ein Summen und Lachen durch den Ring, der Graf suchte ängstlich im Angesicht des Königs zu lesen und niederkniend sprach er: »Ich flehe, daß die Weisheit des Königs nicht vergangene Reden zu meinem Schaden gelten lasse. Denn wenn ich auch hie und da bessere Gesinnung gegen den Helden Immo hatte, durch den Raub der Jungfrau und durch den Friedensbruch ist er und sein Geschlecht aus Frieden und Ehre gesetzt und kein Edler kann billigen, daß ich mein Kind, auch wenn es nicht geschleiert wird, einem von jenen dort vermähle.« »Du hast ein Recht, so zu sprechen,« versetzte der König ernsthaft, »und mich freut's, daß du gelernt hast, strenge über einen Mann zu urteilen, der geraubt hat. Nicht vergebens hast du mich gemahnt, denn der König ist dazu gesetzt, jedem sein Recht zu geben, das er sich verdient hat.« Draußen klang Hufschlag; der Hauptmann trat gegenüber dem König in die Schranken, und warf einen ausgebrochenen Mauerstein vor dem Richterstuhl auf den Boden, zum Beweis, daß des Königs Befehl vollführt sei. Da hob Heinrich seinen Arm und rief den Söhnen Irmfrieds zu: »Die Burg eurer Väter ist in der Hand des Königs und harte Hände meiner Krieger werfen die Steine der Mauer, damit das Volk erkenne, daß der König Herr im Lande ist.« Die Versammlung erhob sich, die Gewappneten schlugen an die Waffen und riefen dem Könige Heil. Aber die Söhne Irmfrieds sprangen erschrocken zusammen und Edith sah bekümmert nach dem Helden Gundomar, der bei den Worten des Königs zuckte wie von einer Natter gestochen. Und der König fuhr fort: »Die Mauer breche ich so weit, daß der König mit seinem Heergefolge unter freiem Himmel hereinreitet; du Gottfried, magst die Mauer wieder aufbauen und für dein Geschlecht bewahren. Was dem König anheimgefallen ist durch den Frevel deiner Brüder, das gebe ich dir, dem Schuldlosen, zurück in deine Hand als dein freies Eigen, das du fortan behaupten sollst als ein Geschenk, das nicht von der Sonne stammt, sondern von der Gnade des Königs. Denn dem Könige liegt auch am Herzen, die alten Landherren zu schützen, wenn sie nicht Bedrücker ihrer Nachbarn werden.« Er wandte sich zu dem Erzbischof und zu Reinhard und fuhr heiter fort: »Darum mögen mir auch heilige Männer meines Landes nicht übel deuten, wenn ich ihren frommen Wunsch für die Kirche diesmal nicht gewähre. Oft habe ich gewährt, da sie oft bitten. Hier aber geht, wie ihr alle merket, der Handel um Königsgut zwischen zwei Königen, der eine bin ich und der andere ist hier der kleine König aus den Waldhecken, und darum will ich einem Herrn meinesgleichen nicht zuwider sein, wenn sein Krönlein auch nur klein ist.« Da der Erzbischof sah, daß der König ihm die Mühlburg versagte, so war ihm lieb, daß die Mönche von St. Wigbert sie auch nicht erhielten, sondern ein Knabe, den er sich einst geneigt machen konnte, und er antwortete lächelnd: »Der König hat weise entschieden und uns allen das Herz erfreut, indem er das Geschlecht eines seligen Bekenners vor den Edlen ehrte. Du aber, Jüngling, denke daran, daß du fortan als Herr auf eigenem Grunde gebietest.« Der Knabe stand nachdenkend, dann trat er vor den König. »Ist's an dem, lieber Herr König, daß ich jetzt Herr bin über die Mühlburg?« Der König zog einen Ring vom Finger und faßte die Hand des Knaben. »Schwach ist deine Hand, du mußt ihn auf dem Daumen tragen,« sagte er. »Wie ich diesen Ring hier abziehe und dir anstecke, so übergebe ich, was dem Reiche an Berg und Burg deiner Väter gehört, dir zu freiem Eigen.« Gottfried küßte die Hand des Königs und rief freudig: »Und ich darf mit dem Gut beginnen, wozu nur immer ein Herr sein Gut gebrauchen will?« »Das darfst du, Jüngling,« versetzte der König unruhig, denn er sah den jungen Burgherrn zwischen dem Erzbischof und dem Mönch Reinhard stehen. »Nur beachte wohl, daß du es nicht zum Schaden des Königs gebrauchst.« Da schlug der Knabe froh die Hände zusammen und rief: »Nicht zum Schaden des Königs, sondern zu seinem Nutzen, denn ich will der Burg einen Herrn geben, der dem Könige besser dienen kann als ich.« Und er zog den Ring von seinem Daumen, lief damit durch die Versammlung zu seinem Bruder Immo, kniete vor diesem nieder und rief: »Nimm den Ring, mein Bruder, und nimm den Berg aus meiner Hand und dulde, daß ich dich als meinen Herrn ehre, denn lieb bist du mir, und gütig warst du mir immer wie ein Vater.« Immo warf seine Arme um den Bruder, die Tränen brachen ihm aus den Augen und beide hielten einander umschlungen. Alles in den Schranken war still, die Augen des Königs leuchteten hell, aber auch er schwieg, bis Gottfried seinen Bruder an der Hand nahm und zum König fortriß. Dort warf sich der Knabe nieder, umfaßte die Knie des Herrn und wollte ihn anflehen, aber er legte das Haupt auf die Knie, hielt den König umklammert und schluchzte in seinem Schoß. Der König, dem ganz ungewohnt war, daß ihn Kinderarme umschlangen, machte zuerst, seiner Würde gedenkend, eine Bewegung, den Weinenden abzuschütteln. Aber das Zutrauen und das heiße Weinen bewegten ihm das Herz, und er sprach leise: »Habt ihr je, edle Herren, bessere Rede eines Bittenden gehört? Auch du schweigst, Immo, und auch dir rinnt Tau von den Wangen? Ist das euer Lied, womit ihr die Herzen rührt? Noch mehr!« fuhr er fort, als er sah, daß die Brüder und die Mutter vor ihm knieten, »ihr versteht gut, wie man eines Königs Gnade gewinnt, leise nur dringt der Gesang in das Ohr, aber er vermag wohl den Zorn zu tilgen. Steh auf, Knabe; und du tritt näher, Immo, dein Recht sollst du erhalten im Guten und Bösen, wie du verdient hast.« Mit bleichem Antlitz trat Immo vor den Stuhl des Herrn und beugte das Knie. »Ich sehe dich vor mir,« fuhr Heinrich fort, »wie an jenem Abende, wo du den Brief des Grafen zu meinen Füßen niederlegtest. Damals war ich unwillig, weil du zum Vorteil eines Andern schwere Sorge auf mein Haupt sammeltest und ich habe seitdem in meinen Gedanken mit dir gezürnt. Denn, Immo, ich war dir von Herzen zugetan, und ich vertraute ganz fest deiner Treue und deiner guten Gesinnung zu mir. An jenem Abend nun meinte ich mich von dir verraten, und daß du, um das Grafenkind zu gewinnen, die Treue gegen mich verleugnet hättest. Das tat mir von dir weh, und darum war seitdem dein Tun mir verhaßt. Heute aber habe ich erkannt, daß du redlich gegen mich warst, wenn auch unbedacht. Darüber bin ich froh. Und obgleich du gegen den Frieden des Landes gefrevelt und meinen Willen gekreuzt hast, und obgleich ich einen Spruch gegen dich finden muß als Herr, der über Recht und Frieden zu walten hat, so will ich dir doch vorher die Ehre geben, die der König einem Edlen gibt, der ihm lieb ist.« Der König erhob sich schnell, streckte die Hand nach dem knienden Immo aus, hob ihn auf, küßte ihn auf den Mund und lachte ihn freundlich an und sein Antlitz, das sonst bleich war wie das eines leidenden Mannes, rötete sich, wie einem geschieht, der sich heimlich freut. Als der König so huldreich dem Gefangenen seine Ehre gab, schlugen die Gewappneten mit den Waffen zusammen und riefen dem Könige Heil, und um die Schranken erhob sich ein Jubelgeschrei, welches nicht enden wollte. Aber den Freudenlärm übertönte ein so gellendes und ungefüges Jauchzen, daß auch eifrige Rufer erstaunt innehielten, und eine blinkende Axt flog aus dem Volkshaufen nach dem Gerichtsbaume und schlug krachend in das Holz des Wipfels. Als um den Werfer ein Tumult entstand und der König verwundert auf das Gedränge sah, eilte Brunico heran und auf einen Wink des Königs in die Schranken gelassen, erklärte er begütigend: »Der wilde Sauhirt tat es in übergroßer Freude, weil er den Hofbrauch wenig kennt.« Heinrich sah über seinem Haupt das Eisen durch die Äste blinken, er ahnte eine überwundene Gefahr und sprach lächelnd zu Immo: »~Subulcus surculos secat~[5]. Ist das eure Art, Ruten zu schneiden, wenn ihr einen widerwärtigen Schüler strafen wollt?« Und er nahm ein abgeschlagenes Reis, welches an seinem Gewand haftete und schlug damit auf Immos Finger. »Jetzt aber höre in Demut, auch was dir leidvoll wird,« begann er wieder mit Königsmiene und setzte sich auf dem Stuhl zurecht: »die Jungfrau, welche du entführt hast, damit sie dein Gemahl werde, verweigert dir der Vater, und du mußt ihr entsagen, wenn dir nicht gelingt, den guten Willen des Grafen für dich zu gewinnen. Bist du zufrieden mit dem Spruch, Graf Gerhard?« Der Graf stand in großer Verwirrung. Daß der König den Gefangenen durch einen Kuß ehrte, und ihm seine Ehre vor der Versammlung bestätigte, ängstigte ihn sehr, weil er die geheimen Gedanken des Königs falsch gedeutet hatte; und er vermochte, wie gewandt er sich sonst zu biegen wußte, doch nichts Schickliches zu erwidern, sondern stieß nur heraus, nach Art der Thüringe, welche ungern ja sagen: »Hm,« und »allerdinge, es ist, wie der König meint;« aber ihm ahnte, daß er in einem üblen Handel war, und daß der Richter ihm noch Arges sann. Dabei fiel sein umherirrender Blick auf Heriman, welcher außerhalb der Schranken dem König gerade gegenüber stand, und seine Angst wurde noch größer. Der König aber fuhr gegen Immo fort: »Da mein Vogt von Erfurt keine Klage gegen dich erhoben hat wegen deines nächtlichen Rittes, so besteht gegen dich die Klage der Erzbischöflichen wegen Tumults und schwerer Verwundung. Die Wunden wirst du nach Landesbrauch entschädigen, wegen des gebrochenen Stadtfriedens sollst du ohne Schaden an Leib und Leben das Land räumen. Und ich versage dir deine Heimat, Dach und Herd auf ein Jahr und einen Tag von morgen ab.« -- Ein leiser Klageton des Gefangenen zitterte durch die Luft. »Und nach Jahr und Tag,« fuhr der König fort, »falls die Heiligen uns gnädig sind, sollst du, Held Immo, deinen König zu dem Hochfest laden, das du feierst, wenn du dich vermählst. Ich selbst will zur Stelle sorgen, daß ich dir deine Braut werbe, denn ich habe nicht vergessen, daß du einst zwischen mir und meinen Feinden standest. Deshalb gedenke ich jetzt mit dem Grafen zu reden, ob er mir Gehör gibt. Manches weiß ich von seinen Gedanken und Taten, was vertraulich zwischen uns beiden bleibt, und ich weiß auch, daß er dir im Grunde wohl will, nur daß er des Königs Zorn scheut. Denn er hat nicht nur günstig über sein Kind zu dir gesprochen, er hat sogar damals, als du am Main von ihm rittest, schon den Goldstoff erworben, den ein Grafenkind schwerlich tragen würde, außer wenn sie sich einem König vermählt; und der König konntest doch nur du oder ich sein, ich aber habe meine Königin und du noch nicht. Habe ich deinen Sinn recht gedeutet, Graf Gerhard, so sprich.« Und Heinrich warf einen Herrenblick auf den Schuldigen, so daß dieser sich niederbeugend nichts weiter sagen konnte, als »Des Königs Weisheit rät immer das Beste.« »Dann rate ich dir auch, dem Goldschmied Heriman den Stoff zu bezahlen, und daß du ihm zu dem Preis das Fünffache darauf legst, damit der Schmied eine reiche Spende in die Hand meines hochwürdigen Vaters Willigis von Mainz opfere. Denn auch Heriman hat Ursache, den Heiligen dankbar zu sein, weil sie ihn damals und später aus großer Gefahr befreit haben. Du aber, Held Immo, sollst, bis Jahr und Tag vergangen sind, mit deinem Könige reisen, der jetzt seine Kriegsfahrt rüstet. Unterdes wird die Jungfrau im Hause der edlen Edith zurückbleiben, wenn der Vater, wie ich wünsche, die Herrin gleich zur Stelle darum bittet und diese es ihm gewährt. Du junger Gottfried bewahrst bis zur Heimkehr des Bruders sein Erbe und legst es ihm dann in seine Hand zurück, wie du schon heute getan; ihr andern Söhne des Helden Irmfried aber steigt auf die Rosse und folgt dem Bruder in meinem Heere. So oft die Speere an den Schilden der Welschen dröhnen, hoffe ich euren Gesang zu hören.« Der König erhob sich, legte den Richterstab in die Hand des Erzbischofs, und trat vor Edith. »Und jetzt, Base Edith, wenn der König durch die gebrochene Mauer reitet, willst du ihm dennoch freundlichen Willkommen sagen? Mit großem Gefolge komme ich und nur wenige Stunden werden wir dich beschweren; doch man rühmt ja, daß Speicher und Keller, wo du waltest, reichlich gefüllt sind. Heute sollst du deinen Stammgenossen und Vetter gastlich empfangen, denn als Freund schwingt sich des Reiches Aar zu dem Nest der Zaunkönige.« 13. Schluß. Im Lande der Alemannen weilte der gebannte Immo auf einem Hofe des Königs, bis seine Wunde geheilt war und seine Brüder mit reisigem Gefolge dem Heere zuzogen. Als Heinrich über die Alpen nach Italien drang und durch Überraschung und Gewalt den Widerstand seiner Feinde brach, da führte Immo das Banner der freien Thüringe vom Walde, wie einst sein Vater getan; er und seine Brüder fochten in den Straßen Pavias gegen die empörten Welschen, und als König Heinrich von einem treuen Bischof in Pavia zum König des langobardischen Italiens geweiht wurde, klang auch Immos Heilruf unter den Säulen und Steintrümmern der alten Königstadt. Heinrich kehrte im Sommer nach Deutschland zurück, aber er ließ die Brüder als Wächter gewonnener Burgen durch den Winter in Italien. Seit jenem Gerichte war Jahr und Tag vergangen, ein neuer Sommer zog ins Land und kleine Blätter schlüpften aus den Baumknospen, da legten die Mannen Immos der Mühlburg festlichen Schmuck an, sie hefteten Fichtenkränze an Tor und Zinnen und breiteten schöne Teppiche aus dem Lande Italien an die Wände und über den Fußboden. Denn im Ringe seiner Edlen vermählte König Heinrich den Burgherrn mit der Tochter des Grafen, und der große Erzbischof erteilte den Vermählten den Segen der Kirche. Edith schritt im Brautzug an der Hand des Königs, gefolgt von sechs Söhnen; auch Graf Gerhard trat hinter dem König einher, er lächelte nach allen Seiten und freute sich, aber er war verfallen und gar nicht in seiner alten Kraft, denn auf dem Kriegszuge hatte ihn ein Pfeilschuß verwundet, und im Heere sagten sie, daß der Pfeil nicht aus welschem Köcher gekommen sei, sondern hinterrücks aus dem eines heimlichen Feindes. Da der Graf an der Wunde kränkelte, so sprach er öfter vertraulich mit dem Mönch Reinhard, denn ihn ängstigte jetzt seine Feindschaft mit den Wigbertleuten. Als am Abend des festlichen Tages der König in seinen nahen Hof zurückkehrte, folgte ihm Gundomar, welcher dem Feste fern geblieben war, in das Gemach. Heinrich hielt dem Helden den Becher entgegen: »Heute bin ich fröhlich, auch du glätte deine Falten auf deiner Stirn, denn Gutes bedeutet dieser Tag deinem Geschlechte.« »Alles ist dem König wohlgelungen,« versetzte Gundomar. »Ich aber flehe jetzt zu meinem Herrn, daß er mir nicht zürne, wenn ich mein Schicksal von dem seinen scheide.« Heinrich sah betroffen auf die ernsthafte Miene: »Unverständiges sprichst du. Da ich noch ein Kriegsmann war wie du, gelobten wir, einander Gesellen zu sein; an den Eid habe ich gedacht, auch wenn ich dir einmal zürnte. Wie willst du dich von mir scheiden?« »Als ich gestern durch die neu geflickte Mauer ritt, dachte ich daran, daß sie von meinem Herrn gebrochen wurde, obwohl ich der Frau, die dort oben gebot, angelobt hatte, daß der Bau meines Geschlechts ihr unversehrt zurückgegeben werden sollte.« »Du hattest es gelobt, nicht ich,« unterbrach ihn Heinrich. »Du hast getan nach Art der Könige. Denn sie üben das Vorrecht, das Gute für sich zu begehren, das Unrecht auf das Haupt ihrer Diener zu wälzen. Auch klage ich nicht darüber, denn ich weiß, auch den König zwingt die Königspflicht. Ich aber sah zerbrochen, was zu bewahren meine Pflicht war, und mir war diese Tat eine Mahnung, daß ich genug für meinen Herrn getan und gesündigt habe. Und ich saß im Abendlicht am Fuß der Mauer und sah in die untergehende Sonne, da erkannte ich, daß auch für mich das Tor des Himmels geöffnet wird.« »Du willst der Welt entsagen?« rief der Kaiser bestürzt. -- »Ich aber brauche dich; ein Undankbarer bist du, daß du mich verlassen willst, denn gütig war ich dir und oft habe ich deine harte Mahnung mit Geduld ertragen.« »Gütig war mein Herr, auch wenn er frug, ob die Treue des andern ihm nütze, gütiger noch ist der Herr in der Himmelshalle.« »Bist du unzufrieden, weil ich andere mehr ehre als dich, so fordere, Gundomar.« »Was du von dem einen nimmst, gibst du dem andern, das ist die Art der Mächtigen; ich aber wähle mir jetzt den Herrn, der jedem zu spenden weiß aus dem Schatz seiner Liebe.« Er hob eine goldene Kette vom Halse und legte sie zu den Füßen des Königs. »Dies war die erste Spende, die du mir gabst und vor allem Schmuck habe ich sie hochgehalten. Wie dieses Gold, so will ich hinfort alles entbehren, was ein Mensch dem andern zu schenken vermag.« Heinrich wandte sich gekränkt ab. Gundomar kniete an seiner Seite nieder und faßte seine Hand: »Laß mich dahinfahren. Gleichgültig ist mir alle Freude der Welt geworden. Wenn ich deine Ritter im Kampfspiel reiten sehe und die langen Züge der Wallenden in ihren Festgewändern, so scheinen sie mir wie spielende Kinder gegenüber den hohen Engeln, die ich im Abendlicht dahinschweben sehe.« Der König hielt traurig die Hand des Knienden fest und dieser fuhr fort: »Alle Liebe, die du je zu mir in deinem Herzen gehegt, laß sie den Knaben meines Geschlechts zugute kommen. Der junge Held, dem du heute deine Huld erwiesen, wird ihrer würdig sein. Er hat sich gesträubt gegen den fremden Willen, der ihn in das Kloster warf, damit er für die Schuld anderer büße. Jetzt tausche ich mit ihm. Der jüngere Held in blühender Jugend soll meinem König unter Waffen dienen, ich aber wende als müder Mann meine Schritte dem Kloster des heiligen Wigbert zu.« * * * * * Auf der Mühlburg saß Edith in dem hohen Herrenstuhl, zu ihren Füßen die sieben Söhne und im Ringe umher die vertrauten Gäste des Geschlechts: Heriman, das Haus Baldhards, voran Brunico und der Mönch Rigbert, auch Nalderich mit seiner Tochter und andere Freie aus den Nachbardörfern. Die Gäste schwenkten fröhlich die Festbecher, welche die junge Wirtin Hildegard ihnen mit holdem Lachen darbot. Als sie den Becher zu Brunico trug, reichte sie ihm die Hand: »Das nächste Hochfest feiern wir im Hofe deiner Braut und erflehen Segen für euch beide.« Und Immo mahnte seinen Klostergenossen Rigbert: »Jetzt ist die Stunde gekommen, wo du vom Kloster und von den Vätern berichten sollst.« »Gutes und Böses habe ich zu künden,« begann Rigbert. »Ganz verwandelt kehrte Tutilo vor einem Jahre in das Kloster zurück, er hatte mit König Heinrich seinen Frieden geschlossen und demütigte sich bei seiner Ankunft vor Herrn Bernheri. Dieser aber wurde täglich kränklicher, er stieg niemals mehr von St. Peter herab und warf in seinem Gemach mit dem Krückstock nach den Hirschgeweihen, weil er den Stock für einen Speer hielt. Der König jedoch wollte nicht leiden, daß dem Herrn Bernheri, solange dieser lebte, sein Amt genommen würde. Da nun Reinhard fast immer in der Nähe des Erzbischofs weilte, so wurde Tutilo wieder zum Präpositus erhoben und er herrschte in ganz neuer Weise; denn sonst hatte er wenig auf die Regel geachtet, jetzt aber wurde er hart und eifrig und versagte den Brüdern auch Erlaubtes. Du selbst magst ermessen, ob er das getan hat aus frommem Eifer oder aus einem anderen Grunde. Darum wurde der Widerwille der Brüder groß und mehr als einmal kehrten Unzufriedene dem Heiligtum den Rücken und liefen aus. So verbot Tutilo im letzten Herbst dem Vater Bertram, fernerhin in seinem Garten zu arbeiten, weil dieser sein Herz in sündiger Weise an die Obstbäume gehängt habe. Da stieß Bertram seinen Spaten in die Erde und ging schweigend in die Klausur zurück, Sintram aber saß seitdem kraftlos in seinem Garten und vermochte nicht mehr zu graben. Tutilo herrschte auch diesen an und bedrohte ihn mit Buße und Geißel. Als Bertram das vernahm, erhob er sich, und weil gerade wieder Brüder in Empörung von St. Wigbert scheiden wollten, schritt auch er trotzig aus der Klausur in den Garten, nahm seinen Spaten auf den Rücken und winkte Sintram, dasselbe zu tun. So zogen die beiden Alten in die wilde Welt, traurig war ihr Anblick für die wandernden Brüder, denn beide wankten vorwärts wie unter schwerer Last. Als sie nun zur Höhe gekommen waren, wo am Birkengehölz das steinerne Kreuz errichtet ist als Grenzzeichen unseres Glockenschalls, da läutete gerade die Glocke vom Turme des heiligen Michael. Der wandernde Haufe wandte sich um und manche klagten und weinten. Bertram aber sprach: »Weiter vermag ich nicht zu gehen und von der ehernen Stimme des Engels will ich mich nicht scheiden; wandelt ihr dahin und sucht Frieden in der Fremde, mir gefällt diese Stätte und hier will ich bleiben.« Auf der Stelle begann er eine Grube zu graben und die Brüder vermochten ihn nicht abzuhalten, denn er antwortete ihnen nicht mehr. Endlich verließen ihn die andern, nur Sintram blieb bei ihm. Am nächsten Morgen läutete dieser an der Klosterpforte und berichtete, daß sein Geselle Bertram in Frieden geschieden sei und daß er neben einem Grabe liege, das er sich selbst geschaufelt hatte. Sintram wankte in die Klausur zurück und blieb darin, bis sie ihn nach wenigen Tagen auch hinaustrugen. Der gute Vater Heriger setzte durch, daß die beiden an der Stelle bestattet wurden, wo die Glocke von St. Michael sie gemahnt hatte. Und gerade jetzt wird dem hohen Erzengel eine Kapelle über ihrem Grabe erbaut. Jetzt ist Herr Bernheri von uns geschieden, eine neue Ordnung beginnt für St. Wigbert und ein heiliges Leben. Auch ich fahre jetzt dahin zurück.« Immo hob die Hand gen Himmel. »Unter den Engeln weilt ihr liebe Väter, blickt günstig auf den Mann herab, den ihr als wilden Schüler gesegnet habt. Den guten Lehren, die ihr mir übergeben habt, verdanke ich Leben und Glück. Einem Spruch habe ich nicht gehorcht, der Mutter und den Brüdern habe ich zu lange meine Kriegslust geborgen, dadurch habe ich uns allen das Herz krank gemacht. Daß ich aber in der eigenen Bedrängnis meinen Helfer Heriman nicht im Stiche ließ, sondern die letzte Kraft daran setzte, ihn zu retten, das hat, wie ich merke, dem König bessere Gedanken über mich eingegeben, gerade als er mir am meisten zürnte. Und daß ich mir von Gerhard, als er in Not lag, nicht die Tochter angeloben ließ, das hat mir die Neigung des Königs und die Braut wiedergewonnen. Mein Erbteil habe ich nicht in fremde Hand gelegt, darum stehe ich jetzt als froher Herr auf freiem Eigen. So hat sich jede Lehre als heilbringend bestätigt.« Da rief Edith ihm zu: »Zornig trugst du das Schülerkleid. Dennoch sollst du heute die Mutter preisen, daß sie dich, den Widerwilligen, zu den Altären sandte. Denn nicht die Weisheit allein, sondern auch, was wenigen glückt, die liebe Hausfrau gewannst du dir unter den Mönchen durch die Klosterschule.« Druck von +August Pries+ in Leipzig. Fußnoten [1] Erhöre, gütiger Schöpfer, unser Gebet und Flehen -- Gib, daß durch Enthaltsamkeit sein Sinn mäßig und nüchtern werde. [2] Willst du trinken Wein, mußt du schreiben Latein. [3] Höre, gütiger Schöpfer, unser Gebet und Flehen. [4] Der Frosch quakt lieblich in den grünen Blättern. [5] Der Sauhirt schneidet Reiser. Schriften von Gustav Freytag. Soll und Haben. Roman in sechs Büchern, 2 Bände. Gebunden M 8.--. Die verlorene Handschrift. Roman in fünf Büchern. 2 Bände. Gebunden M 8.--. Die Ahnen. Roman in 6 Bänden. Gebunden M 46.--. Erster Band: Ingo u. Ingraban. Gebunden M 8.50. Zweiter Band: Das Nest der Zaunkönige. Gebunden M 7.50. Dritter Band: Die Brüder vom deutschen Hause. Gebunden M 7.50. Vierter Band: Marcus König. Gebunden M 7.50. Fünfter Band: Die Geschwister. Gebunden M 7.50. Sechster Band: Aus einer kleinen Stadt. Gebunden M 7.50. Bilder aus der deutschen Vergangenheit. 4 Bände. Gebunden M 36.25. Erster Band: Aus dem Mittelalter. Gebunden M 8.50. Zweiter Band, 1. Abt.: Vom Mittelalter zur Neuzeit. (1200--1500.) Gebunden M 6.75. -- 2. Abt.: Aus dem Jahrhundert der Reformation. (1500--1600.) Gebunden M 6.--. Dritter Band: Aus dem Jahrhundert des großen Krieges. (1600--1700.) Gebunden M 7.50. Vierter Band: Aus neuer Zeit. (1700--1848.) Gebunden M 7.50. Ingo. Feldpostausgabe. M 1.50. Das Nest der Zaunkönige. Feldpostausgabe. M 2.50. Soll und Haben. Feldpostausgabe. M 8.--. Weitere Anmerkungen zur Transkription Offensichtlich fehlerhafte Zeichensetzung wurde stillschweigend korrigiert. Korrekturen (das korrigierte Wort ist in {} eingeschlossen): S. 10: Gefäß → Gesäß daß es das {Gesäß} des Vaters Sintram ist S 12: weist → weißt du selbst {weißt} ja am besten S. 34: führte → führte ihn und {führte ihn} in den Hofraum S. 46: ihr → ihre hatten die Knechte {ihre} Gespanne S. 55: ihn → ihm schob {ihm} den Becher hin und sagte leise S. 60: wählten → wählen den Genossen zum König {wählten} wollten S. 104: ihn sie → sie ihn hielt {sie ihn} an den Locken S. 128: finden → finde ich {finde} den meinen allein S. 138: Brüder unicht → Brüdern nicht zu rechten, steht uns {Brüdern nicht} zu S. 142: sehen → sahen Erschrocken {sahen} die Männer die wilde Tat S. 142: Bruder → Bruders die Schulter eines {Bruders} stützte S. 149: in → im er stand {im} Frieden, den der Mensch S. 169: Kriegmann → Kriegsmann der {Kriegsmann} machte ein schnelles Zeichen S. 197: statt »Mann« vermutlich »Mantel« (nicht korrigiert) Vergeßt den {Mann} nicht S. 204: schallt → schalt {schalt} und verhieß Belohnungen S. 228: einem → einen durch {einen} armen Priester seine Sünden S. 232: Köngis → Königs Nur den Bruder des {Königs} nannte er nicht S. 249: und → um {um} den Marktfrieden zu erhalten S. 310: meist → meisten Liebe der Mutter am {meisten} bedurft S. 322: der → des heute vor den Augen {des} Königs stehen S. 335: welchen → welche {welche} diesen Worten folgte S. 335: statt »volle« vermutlich »tolle« (nicht korrigiert) es sind nur {volle} Brüder S. 340: wurde → würde vielleicht {würde} er jetzt der Gefahr enthoben S. 342: Kloster → Klosters zum Präpositus deines {Klosters} ernannt bist S. 354: 12 → 13 {13}. Schluß. End of Project Gutenberg's Das Nest der Zaunkönige, by Gustav Freytag *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS NEST DER ZAUNKÖNIGE *** ***** This file should be named 51151-0.txt or 51151-0.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/5/1/1/5/51151/ Produced by Peter Becker and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. 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START: FULL LICENSE THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase "Project Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg-tm License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession. 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