The Project Gutenberg eBook, Ein Sommer im Orient, by Alexander, freiherr von Warsberg This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have to check the laws of the country where you are located before using this ebook. Title: Ein Sommer im Orient Author: Alexander, freiherr von Warsberg Release Date: November 20, 2017 [eBook #56011] Language: German Character set encoding: UTF-8 ***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK EIN SOMMER IM ORIENT*** E-text prepared by the Online Distributed Proofreading Team (http://www.pgdp.net) from page images generously made available by the Google Books Library Project (https://books.google.com) Note: Project Gutenberg also has an HTML version of this file which includes the original illustrations. See 56011-h.htm or 56011-h.zip: (http://www.gutenberg.org/files/56011/56011-h/56011-h.htm) or (http://www.gutenberg.org/files/56011/56011-h.zip) Images of the original pages are available through the Google Books Library Project. See https://books.google.com/books?id=Tg5BAAAAYAAJ&hl=en Anmerkungen zur Transkription In der gedruckten Fassung wurde eine Reihe von Zeichen verwendet, die mit der zur Verfügung stehenden Schrift nicht darstellen lassen. Diese können folgendermaßen beschrieben werden: [Symbol 1]: Großes Lambda, großes S mit verbindendem Breve über beiden. [Symbol 2]: Auf dem Kopf stehendes großes Pi - Epsilon - auf dem Kopf stehendes großes Tau - sigma - zwei übereinander stehende kleine Kreise [Symbol 3]: Verdrehtes großes L - zwei kleine öffnende Klammern übereinander - langer Strich - schließende Klammer [Symbol 4]: Zwei gegeneinander übereinander gelegte, verdrehte Quadrate Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt. Wie in vielen Frakturschriften üblich, werden auch hier Umlaute in Großbuchstaben (Ä, Ö und Ü) durch ihre Umschreibungen (Ae, Oe und Ue) dargestellt; außerdem wird für 'I' und 'J' dasselbe Zeichen verwendet. Im Zweifelsfall wurde vom Bearbeiter eine sinnvolle Entscheidung getroffen. Die von der Standardschrift abweichenden Schriftschnitte wurden in der vorliegenden Fassung mit den folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet: fett: =Gleichheitszeichen= gesperrt: +Pluszeichen+ Antiqua: ~Tilden~ EIN SOMMER IM ORIENT. * * * * * * Verlag von Carl Gerold’s Sohn in Wien: Erinnerungen aus Aegypten und Klein-Asien. Von =A. Prokesch= Ritter v. =Osten=. 3 Bände. gr. 12. brosch. Preis 7 fl. 90 kr Ö. W. Geschichte des Abfalls der Griechen vom türkischen Reiche im Jahre 1821 und die Gründung des hellenischen Königreiches. Aus diplomatischem Standpunkte. Von =A.= Freiherr von =Prokesch-Osten=. 5 Bände. gr. 8. brosch. Preis 15 fl. Ö. W. Aus dem Hofleben Maria Theresia’s. Nach den Memoiren des Fürsten =Jos. Khevenhüller=. Von =A. Wolf=. 2. Aufl. gr. 8. brosch. Preis 3 fl. 80 kr. Ö. W. Maria Christine, Erzherzogin von Oesterreich. Von =A. Wolf=. 2 Bände. 8 mit 2 Kupferstichen brosch. Preis 6 fl. Ö. W. Oesterreich unter Maria Theresia. Von =A. Wolf=. gr. 8 brosch. Preis 6 fl. Ö. W. Leopold II. und Marie Christine. Ihr Briefwechsel (1781-1792). Von =A. Wolf=. gr. 8. brosch. Preis 4 fl. Ö. W. * * * * * * EIN SOMMER IM ORIENT. von ALEXANDER FREIHERRN VON WARSBERG. [Illustration] Wien. Druck und Verlag von Carl Gerold’s Sohn. 1869. Warnungstafel. Dieses Buch ist nur für Jene geschrieben, die das Land, das es schildert, gesehen haben und es lieben. =Wien=, den 30. September 1868. =Der Verfasser.= Inhalt. I. Hinreise. Nabresina, Erinnerung an Venedig, Triest, sein Freihandel, Seite 1-7. Einschiffung, Pirano, Pola, der „Stadium“ und seine Passagiere, S. 7-11. Lissa und der heil. Hieronymus, S. 11-14. Die akrokeraunischen Berge, der Hades, das jonische Meer, Corfu, seine Geschichte, Landung, die Stadt, Spazierfahrt, der alte Hafen, die Villa der Kaiserin, die Bucht von Butrinto und das Wunder des Pan, neue Passagiere aus dem „Stadium“, Regen, Busen von Arta und Schlacht von Aktium, Leukadia, Cephalonia und Ithaka, S. 14-31. Der Taygetus, Navarin und Modon, Sapienza und Cabrera, Venetico, Cerigo, Cap Malea und sein Einsiedler, Gewitter, türkische Frauen und Kinder, S. 31-35. Syra, Verkäufer, Sturm, S. 35-38. Tenedos, Troja, Gräberbetrachtung, die Dardanellen, Sestos und Abydos und die Brücke des Xerxes, die Leandersage, das Marmora-Meer und die Insel, S. 38-47. Im goldenen Horne, Enttäuschung, S. 48. II. Erste Eindrücke. Constantinopel, Landung, Top-Hane, der Hamal, die Gassen, der erste Ausblick auf die Stadt, Kahnfahrt nach Fener Bagdsche, das Kaïk, Delphine im Bosporus, das Abbild eines Benjamin, das Vorgebirge und der Tempel der Aphrodite, Ruhe und Aussicht von dort, türkische Musik und Freitagsfeier, Rückfahrt, Erinnerung an Chalcedon und den Kaiser Mauricius, das heutige Kadi-Köi, Riza Pascha, Versuch einer Aenderung der türkischen Thronfolge-Ordnung, die Ebene von Haider Pascha, Cap Heraeon und die Caserne Selim’s, der Leanderthurm, S. 49-60. Der At-Meidan und Hippodrom, die Schlangensäule und die beiden Obelisken, S. 61-68. ~La grande rue de Pera~, Mahnung an Venedig, Gassenleben, Arabats, Feuerwehr, Saka’s, Surugi’s, Soldaten, Kaffeehaus über Dolma Bagdsche, Phantasien des Baccio, der Cypressenfriedhof des großen Campo, S. 68-77. Armenische Hochzeit, Ballfest, die Gäste, Moustier, Bulwer, die Fürstin von Samos, Mondnacht, S. 77-84. Das goldene Horn, sein Name und seine Gestalt, Verkehr darin, Kaïk, Fahrt nach Ejub, Hinfälligkeit der türkischen Häuser, polizeiliche Gleichgiltigkeit, Gräberstraße in Ejub, Friedhof und Blick auf das goldene Horn, S. 84-90. III. Brussa und der Olymp. Abreise, der Dampfer, Fahrt durch das Marmora-Meer, Kalolimni, Mudania und sein Golf, Alttürke auf dem Schiffe, Unordnung beim Landen, herrliche Mittagsruhe, Ritt über den Meeresstrand, über die Hügel, der Nilufer, Rast an seinem Ufer, Maulbeerbaumfelder, Störche, Karavanen und das Kameel, Brunnen vor Brussa, Schönheit der Landschaft, Ankunft im Hôtel d’Olympe, andere Gäste dort, S. 91-104. Besteigung des Olymp’s, S. 104-110. Moschee und Bäder von Tschekirdsche, Unterredung mit einem Erzvater, ein Aquarell des Malers Pretiozi, ein Lorbeerbaum auf dem Grabe eines Türken, die Hunde und Kampf mit einem, S. 110-116. Geschichte der Stadt, Hannibal und sein Castell, Lage der Stadt, ihre Burg, die Gräber der beiden ersten Sultane, Sträflinge an der Arbeit, die Ulu Djami, Ungezogenheit eines Griechen, Jeschil Djami und ihre Restauration durch Achmed Vessik Effendi, die Moschee Bajasid I., die Murad II. und ihr Gräbergarten, Kritik der mohammedanischen Baukunst, Abendruhe zu Burnabaschi, S. 117-131. Türkisches Bad und Reinlichkeit der Orientalen, die Wirksamkeit des kaiserl. Commissärs Achmed Vessik Effendi, Bevölkerung von Brussa, die Stellung der mohammedanischen Frau, S. 131-140. Wirthschaftliche Thätigkeit der Bewohner von Brussa, sein Bazar, die Waaren und ihre Preise, Besuch der Seidenfabriken, die Mühle und Weberei, die Arbeit durch türkische Weiber, die türkische Seidenzucht, Irrthümer der unserigen, Menge der Production und Ausfuhr, Zukunft der türkischen Seiden-Industrie, S. 140-159. Das Himmelsthal, Frühstück bei Armeniern, Erinnerung an das Erdbeben von 1855, das armenische Haus, die Grotten und Keller des Burgfelsens, badensischer Kellermeister, Weinproduction Brussa’s und der Türkei, S. 159-165. Die Moschee Emir Sultans und Geschichte eines Bettlers, S. 165-170. Abreise und Rückblick auf Brussa und den Olymp, Rast in einem Karavanenlager und bei einem Chan, türkische Post, S. 170-174. Gemleck und die Baumwollcultur der Türkei, die Pflanze, heutige Arbeitsform, Geschichte der Baumwollproduction, hiesige Reform und Erfolge derselben, die Nationalökonomik der Türkei überhaupt, S. 174-194. Abreise von Gemleck und „die Nacht auf einem türkischen Dampfer“, S. 194-195. Einfahrt in den Bosporus, Procession in Pera, S. 195-197. IV. Constantinopel. Um- und Ueberblick, Bevölkerung der Stadt, Genuesen und Venetianer in Pera und Galata, die Mauern und Thürme von Galata, Skutari, Umfahrt um die Stadt, Erinnerung an die Seeschlacht der Venetianer und Genuesen in der Nacht des 14. Februar 1352, das Schloß der sieben Thürme, die goldene Pforte und der Triumphzug des Kaisers in byzantinischer Zeit, heutige Besatzung des Schlosses, Ritt um die Mauern der Landseite, Friedhöfe dort, die Wallfahrtskirche von Balikli, ihr Wunder und ihre Weißfische, Charakterbild des griechischen Christenthums, S. 198-213. Die Aja Sophia, das Unkirchliche des ersten Eindrucks, gespenstisches Mosaikbild in der Apsis, Typus der griechischen Götterbilder überhaupt, die Umgebung der Moschee, Sultansgräber, der alte Vorhof, geographische Lage des Baues, künstlerische Schilderungen desselben, S. 213-220. Die anderen großen Moscheen: Achmedjie, die Bajasid’s, die Schah-Sadeh Djami, die Mohammed II., die Suleiman des Großen, das Grab der Roxelane, die Nuri-Osmanjie, die Moschee Mahmud Pascha’s, Kütschük Aja Sophia, die Moschee Ebul Wefa’s, das Grab des letzten Constantin, Kilisse Djami und die Gräber der Komnenen, Porphyr-Sarkophag dort und hohes Alter dieser Grabform, Kahrjie Djami und Ruinen anderer ehemals griechischer Kirchen, die Rosen-Moschee, S. 220-237. Das Alter der Stadtmauern, Imrachor Djami, die Basilika und das ehemalige Kloster des Studius, S. 237-243. Die heulenden Derwische, S. 244-248. Gassenscenen, tscherkessisches Kaffeehaus und Dirnenquartier in Galata, Hafenbrücke, Hof und Markt der Jeni Djami, die Bazare, S. 249-264. Die tanzenden Derwische, S. 264-268. Der Fürst Cousa, S. 268-270. Gassen- und Friedhofsbilder, S. 270-272. Mondnacht und Meerfahrt, S. 272-274. Schreibweise und Formengefühl der Orientalen, S. 274-277. Gang +auf+ den Stadtmauern der Landseite, S. 277-281. Die Cisternen des alten Constantinopel, S. 282-288. Handelsverkehr im goldenen Horne, S. 288-289. Eine Nacht in den Ruinen des byzantinischen Kaiserpalastes, S. 289-300. Die heutigen Sultanspaläste, das Geburtsfest Abdul Aziz’, diplomatischer Empfang in Dolma Bagdsche, das Schloß, die Garden des Sultans, Beleuchtung der Stadt und des Bosporus, Ball bei Ali Pascha in Bebek, Heimfahrt vom Balle auf einem Dampfer, S. 300-311. Die Reste der Denkmale des alten Constantinopel, S. 311-317. Vogelschau von dem Seraiskeriatsthurme, die Lage und die Grenzen des alten Byzanz, seine Zerstörung durch Septimus Severus, Dio Cassius darüber, die neue Stadt- und Palastanlage des Constantin, S. 318-329. V. Die Prinzen-Inseln. Kahnfahrt nach Prinkipo, S. 330. Die Insel Chalki, S. 331-333. Das Georgskloster auf Prinkipo und der wahnsinnige Schiffscapitän, S. 333-335. Geschichtliche Erinnerungen dieser Inseln, das Grab der Kaiserin Irene, stürmische Seefahrt um Prinkipo, das Kloster und die Mönche des h. Nikolaus, S. 335-341. VI. Der Bosporus. Bujuk-Dere, das Thal, die Bucht, der Ort und seine Gärten, S. 342-345. Besteigung des Bulgurlu, S. 345-348. Der Riesenberg, das fabelhafte Grab auf seiner Spitze, das Genueser Schloß, Alter seiner Anlage, älteste Tempel und Stadtbauten hier, neuentdeckte Inschrift, Lorbeerbüsche und Fabel dieses Strauches, S. 348-356. Spaziergang zum schwarzen Meere, S. 356. Kiredsch-Burun und der Schlüssel des Pontus, S. 357-359. Der Kabatasch Dag und seine Aussicht, S. 359-361. Kastanjesu und sein Thal, S. 361-363. Rumili Kawak, verlassener Wachtthurm, Hochebene auf den europäischen Uferbergen und weiter Blick auf das schwarze Meer, Scene mit türkischen Marinesoldaten, S. 363-368. Die Gartenanlagen des Bosporus, in Jeni Köi bei dem Logotheten Aristarchi und in Kandlische bei Fuad Pascha, Sonntagsfeier in Tschibukly, S. 368-371. Geologische Bildung des Bosporus, die Cyaneen, Fahrt dorthin und Besteigung derselben, S. 371-376. Das Paradies, lorbeerbekränzter Esel, S. 376. Unter der Platane Gottfried’s von Bouillon, S. 377-380. Chunkjar Iskelessi, seine Platanen und seine Wiese, Spaziergang nach Tokat, ein Feiertagsabend am Bosporus, S. 381-383. Das Lager zu Maslak, unterirdische Gänge dort entdeckt, S. 383-385. Monastir Deressi, S. 385. Die armen Seelen des Bosporus, S. 386. Die Jasonsage, ein neuer Versuch ihrer Erklärung, S. 388. Therapia, S. 393. Die süßen Wasser von Asien, S. 394. Ein Abend auf dem ~Quai de Bujuk-Dere~, S. 395. Wallfahrt nach Belgrad zu den Erinnerungen an Lady Montague, S. 396. Eine neue Gefahr der orientalischen Frage, S. 399. VII. Athen. Rückfahrt und Rückblicke. Abschied von Constantinopel und Schiffbruch im Hafen, S. 402. Fahrt durch das Marmora-Meer, S. 403. Im Archipel, Euböa, Cap Sunium und seine Tempelruine, Aegina, das attische Festland, poetische Abendfeier, neugriechische Unwissenheit altgriechischer Heldenthaten, S. 405. Athen, unpraktische Anlage der neuen Stadt, baierisches Uebersehen der nationalen Eigenthümlichkeiten, Sonnenaufgang auf der Akropolis, der Zeustempel, das Dyonisische Theater, die Straße der Dreifüße, der Theseustempel, neuentdeckter antiker Friedhof, die Hügel zu Füßen des Burgfelsen, S. 409-418. Stürme im äginetischen und adriatischen Golfe, Heimweh nach dem Orient und Vision seiner geschauten Herrlichkeiten, S. 419. I. Hinreise. Triest, Hôtel de la Ville, den 13. Mai 1864. Briefe und die letzten Vorbereitungen füllten den gestrigen Tag. Müde und abgespannt, eigentlich krank und fiebernd stieg ich in Graz Abends 6 Uhr in den Eisenbahnwagen; erst da ich heute Morgens das Meer wieder sah und dem alten Lieblinge das freudige Θάλαττα! Θάλαττα! entgegenrufen konnte, ward mir wieder wohl in Leib und Seele. Die Nacht war kalt gewesen, wie wenn dem Kalender zum Trotze der Winter noch fortdauere. Oder wollte sich die Heimath nur eindringlich dem Scheidenden in’s Gedächtniß heften? Umsonst die Angst, daß ich sie vergesse! es liegt ja die Nothwendigkeit der Rückkehr vor mir. Lange konnte ich den Schlaf nicht finden; dafür fand ich in der Ungestörtheit des Alleinseins mich selbst wieder, der sich in den Sorgen und Mühen der letzten Monate verloren hatte. Es ist das ein Vortheil des Reisens, daß es uns mit der Unabhängigkeit auch die unabweisliche Selbständigkeit gibt; herausgerissen aus der Bequemlichkeit der gewöhnlichen Verhältnisse, zwingt es uns die Gedanken und die Hilfe, die wir sonst rechts und links neben uns schon hergerichtet fanden, nunmehr in uns selbst zu suchen. Menschen, die sich bisher noch gar nicht kannten, haben sich oft am ersten Reisetage erst erkennen lernen. Ein Gang in die weite Welt ist die beste Schule für das Leben, und gerade für uns Kinder der Civilisation eine um so unentbehrlichere, als wir in stubenhockerischen Gewohnheiten den Contact mit der Natur verloren haben. Diese und sich selbst findet der verzogene Mensch dort wieder und so auch die Freiheit, die nur dort ist, wo der Mensch allein, oder wo er fremd unter Hunderten seines Gleichen steht. Nach 6 Uhr erwache ich. Ich sehe den Karst, auf dessen Höhe wir fahren; die Sonne ist vom Regen versteckt, der die Steinfelder dieser Berge noch unwirthlicher als sonst erscheinen läßt. In Nabresina hält der Zug; die Bahn nach Italien trennt sich hier von der, welche den Karst hinab nach Triest führt. Der Bahnhof ist groß und zweckmäßig eingerichtet. Schon singt Alles das Italienische. Erfreut durch die bekannten Klänge beobachte ich das zu- und abströmende Gedränge. Ein Conducteur war mir darin aufgefallen, weil seine Blicke mich unablässig verfolgten. War der Mann ein Vertrauter der Polizei und hielt er mich für einen Flüchtling? Jetzt drängte er sich zu an die offene Wagenthüre, umfaßte meine Knie, er hatte mich erkannt! Es war Venerando, der Gondolier, der mich in Venedig immer geführt hatte. Wie aber auch hätte ich ihn, den zierlichen, schlanken Burschen, der mich so oft in der ärgsten Sommerhitze, nichts als ein Hemd und die leichte Hose an, nach dem Lido, nach den Inseln, nach Torcello oder nach San Francesco del Deserto gerudert hatte, in der steifen, zugeknöpften Eisenbahnuniform erkennen sollen? Früh Morgens schon klopfte er damals an meine Thüre. Ich wollte die Leute schonen und so verneinte ich die Absicht einer Fahrt. Er aber kannte die stille Neigung meiner Wünsche und aufopfernd wußte er mich bald zu überreden, mich ihm und seinem Genossen hinzugeben. Landeten wir dann nach stundenlanger Fahrt an einsam abgelegener Küste und hatte ich die Früchte, die ich mitgenommen, mit ihnen getheilt, so geleitete er mich in das Innere des Landes, dem Fremdlinge die herrlichen Reste einer abgestorbenen Kunst mit all’ dem Schönheitssinn und all’ der Liebe zu seinem Vaterlande zu erklären, die dem Südländer, und dem Italiener insbesondere, eigen sind. War ich müde geworden, so ruhten wir neben einander auf dem Strande aus, dem das Meer mit leicht aufschlagenden Wellen, die immer näher unsern Füßen kamen, vertraute Grüße aus entlegenen Fernen zubrachte. Sein fortwährendes Gelispel machte die Rede meines Venerando noch geschwätziger. Von Venedig erzählte er mir, das vor uns lag im Dufte gluthvoller Mittagssonne, von den Lagunen und von den Geheimnissen, die sich nächtlich darauf begeben; zuweilen auch, wenn ich ihm besonders geneigt schien, von sich und seinen Freunden und daß er schon einmal das Messer gezückt, weil man seinem Weibe zu nahe treten wollte. Ich hörte ihm immer mit regem Interesse zu; seine Worte waren gut gewählt und seine Stimme klang melodisch. Erst Abends, wenn die Sonne schon auf den schneeigen Gipfeln der Alpen ruhte, ruderte er mich zurück durch das purpurfarbene Meer nach der goldbethürmten, kuppelbedeckten Stadt. Mit mir trug ich kostbare Erinnerungen, die ich unvergeßlich festhalte und ihm treulich danke. Sein Gefährte hieß Beppo, aber er war vergleichsweise unbedeutend. „Venerando“, rief ich auch heute meinem Freunde wieder, „wie ist es möglich, Du, der schönste, der schnellste Gondolier des ganzen Venedig, hier in diesem Kleide Conducteur einer Eisenbahn?“ -- „Konnt’ ich anders, Signore? Ich bin verheirathet, habe Kinder, und meine Frau meinte, ich solle von meinem mächtigen Dienstherrn das Fürwort zu einer Staatsanstellung erbitten. Das sei ein bleibender Verdienst, sichere mir das Alter, ihr und den Kindern sogar für den Fall meines Todes das Leben. Und ich liebe mein Weib über Alles, wie hätte ich ihr diesen Wunsch nicht erfüllen sollen?“ -- Ich begriff und schwieg, denn selbst ein Wort des Mitleidens wäre Kränkung gewesen. Der Mann fühlte ohnedem seine ganze Herabwürdigung tief genug, das zeigte seine Haltung und der niedergeschlagene Blick seiner Augen. Aber so sind die Weiber! das Höchste wie das Niedrigste können nur sie aus den Männern machen. Und doch gibt’s noch Eingebildete, die sich die Herren der Schöpfung träumen! Ueber andere Dinge wechselten wir noch einige Worte, der Anklang an die frühere Zeit erheiterte sie; dann trennte uns die Pfeife und das Weitergehen des Zuges. Wir haben es uns nicht gestanden, aber er muß die Freude des Wiedersehens aus meinen Blicken wie ich aus den seinigen gelesen haben. Wozu auch reden, wenn die Augen aufrichtiger als alle Worte sprechen! Gleich hinter Nabresina öffnen sich zwei Felsen, zwischen denen durch und über die vorliegenden Steinmassen hinab man sonst den ersten Blick aus das Meer (Miramar) hat. Heute erschienen dort nur undurchsichtige, regenhaltige Nebel. Aber wenige Windungen weiter, wie sie die Bahn so vielfältig über diesen Gebirgsrücken schlingt, jetzt eine die entschieden gegen Süden wendet, und übermächtig, durch keinen Nebel und durch keine Wolken, nicht durch Regen und auch durch die Nacht nicht mehr verbergbar liegt das Meer weit ausgebreitet, rechts unten an den Felsenhängen, Alles beherrschend, die Natur und unser Denken. Dunkle Farben kleiden es, aber auch so ist es groß, bezwingend in seinem Eindrucke; und wenn es noch düsterer, noch unfreundlicher wäre, von dieser Stelle gesehen, wird es mir immer nur entzückende Freude gewähren. Es haftet an diesem Puncte einer der beglücktesten Augenblicke meines Lebens. Ich hatte die See sonst nur im Norden gesehen, wo sie grau und kalt ist, und mir doch lieber als das Grün der Wiesen und der Schnee der Alpen geworden war, so lieb, daß ich nicht glauben wollte, daß sie irgendwo noch schöner erscheinen könne. Da zeigte mir ein warmer Julitag, es war Abends und die Sonne eben im Scheiden, von dieser Stelle das erste Mal das adriatische Meer. Ein Schrei des Entzückens und dann verlor ich im Schauen jede Besinnung. In Thränen löste sich die Freude auf, daß Gott so Herrliches geschaffen und daß er mir gegeben es zu sehen. Wie in dem Halbkreise eines Theaters ruhte das Meer in seinen Felsenmauern; tiefes Rothblau auf seiner Fläche, nur rechts hinüber, wo Venedig liegt, und in seiner Mitte, wo die Sonne in zerrissenen Wolken untertauchte, flüssiges Gold darauf. Von seinem Horizonte schossen breite, feurige Strahlen in die Kuppel empor, daß Himmel und Wasser wie in einem Brande glühten. Schiffe waren weithin zerstreut mit weißen und rothen Segeln, die mit lautlosem Leben die geweihte Stille des Bildes durchzogen. Von kleinen Wellen getrieben segelten sie und verrinnende Kreise schlugen hinter ihnen an die grünen Abhänge des Ufers. Links erschienen die ersten Lichter von Triest und das Leuchten seines Leuchtthurms. Wer einmal ein solches Bild lebhaft in sich aufgenommen, dem wird es auch die geringste Mahnung ganz wieder lebendig machen. Das ist eben das Gottgesegnete solcher begeisterten Augenblicke, daß sie unvergeßliche werden. Der erste Eindruck kehrt an derselben Stelle immer wieder, verschönert und vergrößert, weil die Erinnerung ihn genährt hat. Und dabei sind die angenehmen Erinnerungen weit zäher in ihrer Lebensdauer als die unangenehmen. Es ist das auch eine der vielen Gottesgaben, die der Mensch unbewußt und gewöhnlich undankbar genießt. Er nimmt sie wie die Luft, die er athmet, und das Licht, das er sieht, als ein ihm Gebührendes, als etwas Alltägliches. Heute kam zu diesem Vergnügen noch die sichere Hoffnung hinzu, dieses befreundete Element, das Meer, nun durch Monate besitzen und es zu jeder beliebigen Minute schauen zu dürfen. Um halb 9 Uhr stiegen wir im Bahnhofe aus; immer noch dieselbe dürftige Bretterbude. Nun, da ich in der Stube des Gasthofes sitze, hat der Regen aufgehört. Warmer Sonnenschein schlüpft durch die Fenster herein, den Süden und seinen Frühling kündend. Ich eile ein um das andere Mal vom Schreibtische weg auf den Balkon hinaus, die Luft, die ich in diesem Jahre noch nicht gekostet, in vollen Zügen zu athmen. Unten auf dem Quai ist dasselbe Gedränge und Geschrei wie ehemals und sogar die Blumenmädchen vom Jahre 1860 glaube ich zu erkennen. Die See weiter draußen, wo ich sie zwischen und über den Masten der vorliegenden Schiffe weg erspähe, ist dunkelblau geworden und an dem Himmel ziehen die Nebel in mächtigen Wolkenballen davon. Ein großer englischer Schraubendampfer gleitet eben am Molo di San Carlo vorüber nach der Darsena. Der Hafen erscheint mir leerer als sonst. Abends fuhr ich auf der Straße nach Servola. Das Meer auf der einen Seite im rothen Abendlichte, auf der andern Seite links die Hügel mit Gärten und Villen bepflanzt, ist das einer der schönsten Spazierwege der Welt. Ich habe schon manche inhaltsvolle Stunde stiller Melancholie dort zugebracht; gewöhnlich waren es die letzten vor der Abreise. Neben der Werkstätte des Lloyd sehe ich die des Rheders Tonello und auf seiner Werfte das Gerippe zu dem großen Dampfer „Rudolf von Habsburg“, ein Zeichen strebsamer Handelsthätigkeit. Man wirft der Stadt und den Triestinern Rücksichtslosigkeit für die österreichische Production vor und droht ihnen jetzt mit der Aufhebung des Freihafens. Ich finde den Vorwurf ungerecht und die Strafe widersprechend allem dem, was man sonst zu Gunsten der Freiheit begehrt. Das Hinterland hat selten die Aufträge der Triestiner Kaufleute so erfüllt, daß die ausländischen Consumenten dauernd zufrieden gestellt werden konnten. Und dann, wenn es nur in der Schuld der Triestiner Vermittler liegt, daß der österreichischen Industrie eine vermehrte Seeausfuhr fehlt, warum ahmen die österreichischen Producenten nicht die Schweizer nach, die sich selbst um fremdländische Käufer bemühen? Warum schicken sie nicht ihre Söhne und ihre Neffen nach Aegypten, Syrien, Constantinopel, nach Marokko, Ostindien, China und Japan, nach Brasilien, Peru und Mexiko, die dortigen Bedürfnisse kennen zu lernen und auf den fremden Märkten die österreichischen Waaren auszubieten? Ich habe aus derselben Schwarzwälder Strohhutfabrik denselben Unternehmer jährlich nach London, Paris, Newyork, Hamburg und Wien reisen sehen, um die Muster dieser Hauptstädte für die nächste Saison zu holen. Und Schweizer aus den besten und reichsten Häusern findet man nach den entlegensten Winkeln der Welt verschlagen. Aber freilich, das Pflaster des Wiener Grabens ist ein bequemeres als das von Pera und Alexandrien. Und doch ist die Handelsweise, wie sie die Schweiz betreibt, für ein Land, das noch wie Oesterreich in den Anfängen der industriellen Production liegt, die einzige praktische und fördersame. Was aber die Aufhebung des Freihafens betrifft, so brauchen sich deswegen die Triestiner nicht zu ängstigen. Der Trieb der Zeit geht auf anderen Wegen und wird binnen Kurzem, statt Triest in ein Gefängniß, das ganze Reich in einen Freihafen des Freihandels verwandeln. Es gibt Ideen, die, einmal geboren, von selbst weiter wachsen; sie arbeiten nicht und sie spinnen nicht und unser himmlischer Vater nähret sie doch. Wie eine solche Feldlilie der heiligen Schrift ist der Freihandel. Es wird die nächste Zukunft weniger mit der Abschaffung der Freihäfen als mit der Wiederherstellung der ursprünglichen Naturzustände beschäftigt sein; die waren freie und die Freihäfen sind ihre letzten aufrecht gebliebenen Reste. Auch hat England die seinigen erst aufgehoben, als es seine Bekehrung zum Freihandel vollendet hatte. Will man von Privilegien und Ausnahmen reden, so kann das nur von jenen Gesetzen gelten, welche die natürliche Freiheit aus den Grenzen eines großen Reiches verbannt und sie auf den Bezirk jener kleinen Meerwinkel beschränkt haben. Jetzt, da es Mitternacht ist, kehre ich vom Molo di San Carlo zurück. In der lauen, ruhigen Luft kühlte ich den Drang meiner Erwartungen. Der Mond, ein prophetisches Zeichen meiner Fahrt, steht als wachsende Sichel, das Wappen von Byzanz und später das des türkischen Reiches, am wolkigen Himmel. Junge Leute kehrten von einer späten Meerfahrt heim. Mit Spielen und Gesängen kürzten sie die Zeit, die ihnen nach der lebensfrohen Art des Südländers noch zu frühe dünkte. Der Lloyddampfer „Stadium“ liegt am Molo, gespenstig und unheimlich, wie das Mondeslicht jedes Schiff erscheinen läßt. Morgen um diese Stunde ruhe ich darauf und die Wellen der Adria wiegen mir das Schlaflied. An Bord des Lloyddampfers „Stadium“, den 14. Mai. Da ich Morgens im Hôtel de la Ville auf den Balcon trat, wechselten noch Licht und Dunkel auf dem bewegten Spiegel des Meeres, der Widerschein drohender Wolkenmassen. Um 1 Uhr, als wir uns einschifften, war die See ruhig und der Himmel sonnig geworden, und so tragen und leuchten uns jetzt die zwei verschwisterten Elemente. Das Verdeck des Dampfers fand ich mit Menschen überfüllt; glücklicherweise nur die wenigsten Passagiere, die meisten Freunde, die einem Scheidenden das Geleite geben wollten, oder Müßiggänger, die die Neugierde nach den abgehenden Dampfern weiterer Fahrt treibt. Das Zeichen, daß die kaiserliche Post an Bord gelangt sei, scheuchte die Ueberflüssigen nach dem Lande zurück. Es währte noch eine Weile, bis sich das Boot in Bewegung setzte, dann aber ging es schnell von dem Damme weg, an den umliegenden Schiffen, dem Leuchtthurme, der links den Hafen schließt, vorüber in’s freie Meer hinaus. Kaum Minuten blieben, um den Freunden, die auf dem Molo standen, die letzten Grüße zuzuwinken. So schwindet Alles im Leben, das der Gegenwart nur kurze Dauer, die meiste Zeit der Vergangenheit und Zukunft läßt. Es ist ein fortwährendes Abschiednehmen. Kaum gekommen heißt es schon wieder weitergehen. Und doch, so schmerzlich dieses immerwährende Losreißen ist, es erleichtert und bereitet uns den letzten Abschied vor, den vom Leben selbst. Die Augen heften sich an das Land, das zurück bleibt. Dort steigen die Alpen hinter dem Karste auf, schneebedeckt und immer höher wachsend, je näher wir der Küste und der Stadt kommen. Es ist derselbe Proceß wie mit den Erinnerungen: die entlegenen treten mächtiger in dem Gedächtnisse hervor als die nahen; das Heute vergißt was das Gestern gethan, aber das Alter hält die Jugend warm im Herzen. Links bleiben wir der istrischen Küste so nahe, daß ich mit dem Glase die einzelnen Bäume, in Pirano das Haus unterscheiden kann, in dem ich einmal eingekehrt, als ein grimmiger Wintersturm unsern Dampfer in den Hafen dieses Städtchens verschlagen hatte. Zwei Tage und zwei Nächte hielt ihn die Bora dort fest. Man ließ uns die Zeit auf dem Lande zubringen. Das Nachtquartier und das Essen waren schlecht genug, und doch denke ich mit Vergnügen an den Aufenthalt zurück. Ich besah den Ort und seine Umgebung soweit es Sturm und Regen zuließen. Das war mir eine neue und bald eine poetische Welt; die Gassen sind von Canälen durchzogen, so daß die See den Einwohnern ihre Schiffe bis vor die Hausthüren trägt. Fenster und Thüren sind in Spitzbogen geschnitten und die Säulen, die sie stützen, wie die Balcone, die davor liegen, aus festem grauen Stein gemeißelt. Und wie die Gassen und die Häuser, so sind auch die Menschen denen drüben in Venedig ähnlich, alle noch immer lebendige Zeugen von der ehemaligen Herrschaft der seegebornen Dogenstadt. Der Fischer von Pirano wie der von Chioggia trägt die rothe Mütze auf dem Kopfe, die ihre venetianischen Vorfahren einmal aus dem Oriente heimgebracht, wo sie Paris vielleicht für sein schönes Lockenhaupt erfunden hatte, und den einen wie den andern hat die Adria mit demselben Wettersturme und derselben Sonnenglut gebräunt und gestählt. Nur ist in Pirano alles kleiner, enger, niedriger; die Canäle sind keine Canalazzi, die Häuser keine Paläste der Pesaro und Foscari, und die Bürger keine Dandolo’s und Bragadino’s, keine Tiziane und Sansovino’s. Aber die Luft, die sie athmen, ist hier wie drüben dieselbe und die Geschichte, die sie erzählen, ist beiden eine gemeinsame. Es liegt in diesen istrischen Küstenstädten etwas mit von der Schönheit und der stolzen Größe begraben, die das einstige Venedig vor allen andern Städten ausgezeichnet hat. Daher denn auch auf beiden Ufern derselbe Hauch der Poesie und des Mitleidens, der ihre Ruinen umweht und der keine gefühlvolle Seele unbewegt lassen wird. Wer von Malern und von Dichtern in Venedig müde bei der Arbeit werden will, weil er seinen Gegenstand so oft wiederholen mußte, dem rathe ich hierher auf die gegenüberliegende Küste zu gehen. Er wird z. B. gerade in Pirano öffentliche Plätze finden, die so klein und zierlich, mit so romantischen Häusern besetzt und auch noch durch ein Segel, das davor vor Anker liegt, verziert sind, daß sie wie eigens für den Pinsel geschaffen erscheinen, und oben auf dem Vorgebirge, das weit in das Meer vorspringt, Trümmer, die vom Epheu umwunden den Dichter in seine Welt, in die der Vergangenheit und ihre wehmuthsvolle Betrachtung versetzen. Abends. Um 5 Uhr essen wir. Bei der Rückkehr auf das Verdeck finden wir die Alpen, diese letzten Zeugen der deutschen Heimat, dem Karste, den das Auge schon früher verloren hatte, nachgefolgt. Wo sie aufragten, ein abschließender Wall, liegt jetzt ebene glatte See, die wie so manches Andere des Lebens endlos erscheint, weil die Grenzen außerhalb der Enge unseres Gesichtskreises sind. Raum und Zeit üben durch die Entfernung dieselbe Macht der Vergessenheit. Nur zur Linken sehen wir noch Land, fortwährend das istrische. Rovigno ist deutlich zu erkennen als ansehnliche Stadt mit malerischen Bauten und säulenähnlichen Cypressen. Ihr trauerndes Schwarz hebt sie scharf von jedem Hintergrunde ab. Inseln liegen zerstreut umher, die unbewohnt und unbebaut scheinen. Pola ist entfernt und schon zu sehr im Dunkel, als daß man etwas anderes denn große Mauermassen unterscheiden könnte. Von Promontore, der letzten Spitze dieses Landes, sehen wir nur das Licht des Leuchtthurmes. In der Cajüte sitzend lese ich die ersten Gesänge der Odyssee. Ich will dem berühmten Dulder bekannt und vertraut in seinen Meeren begegnen. Die meisten Passagiere ziehen sich schon zum Schlafen in ihre Cabinen zurück und so unterstützt völlige Ruhe meine Versetzung in eine poetische Stimmung. Es sind wenig einladende Gesichter unter den Reisegefährten; Keiner spricht das Deutsche, daß man wenigstens frei von der Besorgniß, verstanden zu werden, ist. Einige sind Mailänder, die nach Persien reisen, gesunden Seidenwürmersamen zu holen; sie treiben Lärm als seien sie die Herren des Schiffes; andere sind Griechen, die nach Athen und Smyrna zurückkehren; drei Engländer, ein Vater mit seiner Tochter, die nach Corfu gehören, und ein junger Mann, der zur Vervollständigung seiner Erziehung die große Tour macht. Er ist der einzige, der außer mir liest, schreibt, die Karte studirt und überhaupt bei der Fahrt andere als materielle Interessen hat. Der „Stadium“ ist kein großes, aber ein bequem eingerichtetes und reinlich gehaltenes Schiff. Der Lloyd ließ es mit vier ähnlichen in England bauen; „Pluto“, „Neptun“ und „Vulkan“ dienen davon noch immer mit dem „Stadium“ zu den Eilfahrten nach Constantinopel; das andere, den „Jupiter“, kaufte die Regierung im Jahre 1859, um es gegen die französische Flotte, die noch gar nicht sichtbar war, in den Canal von Malamocco zu versenken. Ich war einer der ersten im Winter 1860, die das Verdeck des gehobenen Schiffes betraten. In dem obern Glaspavillon fanden wir das Gold und die Farben noch vollständig erhalten. Solche runde Salons sind auf all’ diesen Dampfern über dem Treppeneingange. Bei schlechtem Wetter liegen die Passagiere darin auf den Divanen und bei schönem kleben sie sich außen herum an die Wände zur Deckung gegen den Windanfall und die Sonnenstrahlen. Die Stiege mündet unten in einen Vorsaal; aus diesem führen Thüren in den Damensalon, den großen Speisesaal, die Cabine des Capitäns, Büffet und andere unentbehrliche Nebenlocalitäten. Die Cabinen für die Passagiere sind rechts und links, für die Männer neben dem Speisesaal, für die Frauen neben dem Damensalon; Thüren und Portièren sperren sie ab, wie denn überhaupt die ganze Einrichtung ebenso bequem als glänzend ist. Die Küche bedient uns vortrefflich. Die Enge meiner Cajüte, die mich zuerst erschreckte, ist mir jetzt, da ich alles darin geordnet habe, schon heimlich geworden. Wie wenig der Mensch eigentlich braucht, merkt er erst, wenn ihm die Noth das Ueberflüssige genommen hat. Jetzt, da ich wieder schreiben will, beginnt das Schiff in allen Rippen zu zittern und zu stöhnen. Wir sind im Quarnero, der selbst bei diesem windstillen Wetter seine übelwollende Natur geltend zu machen sucht. Noch ein Spaziergang mit dem Arzt auf dem Verdecke und ich werde mit einer frühen Nacht mir einen frühen Morgen zu bereiten trachten. An Bord des „Stadium“, 15. Mai. Pfingsten, das Fest der Freude, nicht im Walde, auf grüner Haide, auf dem baum- und blüthelosen Meere feiere ich es. Aber den Frühling hat es mir doch gebracht und wärmer und erquicklicher als er daheim in den steierischen Bergen sein wird. Laue südliche Luft umfängt mich schon um 6 Uhr Morgens, da ich auf das Verdeck komme. Unmerklicher als mit jedem andern Bewegungsmittel legt man mit dem Schiffe große Entfernungen zurück. Um das Boot und auf demselben findet sich an jedem Morgen nur wenig verändert, um so überraschender dann solche plötzliche Verpflanzungen wie die heutige von der Winterkälte des Nordens in die Sommerwärme des Südens. Den Himmel finde ich zuerst umwölkt, aber die Sonne überwindet ihre Feinde. Die dalmatinischen Berge, runde, gewellte Linien, sind nur undeutlich in den Nebeln des Morgens sichtbar. Eine niedere Kette liegt vor der höheren. Vielleicht Inseln? Um 10 Uhr fahren wir zwischen Lissa und Busi durch, beide steinig und kümmerlich bewachsen. Pomo liegt hinter uns in schönen felsigen Formen. Einer Plänklerkette ähnlich sind diese Inseln vor das Festland gestellt; alle scheinen unbewohnt und selbst unbebaut. Ob das jemals anders gewesen weiß ich nicht. Bekannt ist mir nur, daß fromme Gefährten des heiligen Hieronymus sich hierher flüchteten, weil ihnen zuerst Rom und dann auch noch Aquileja und ihre anderen illirischen Heimathstädte zu zerstreuend und zu voll von Versuchungen waren. Es war ein eigenthümliches Leben, das diese Männer führten, wechsel- und widerspruchsvoll wie das ganze Werden des 4. Jahrhunderts. Niemals, so weit die Geschichte zurückerzählt, waren die Contraste greller nebeneinander gestanden. Das Heidenthum, das seine Macht noch nicht ganz verloren hatte, und das Christenthum, das noch um das Scepter seiner Alleinherrschaft kämpfte, eine abgestorbene und eine jung auflebende Welt nebeneinander. Dabei war im Grunde wenig Kampf, mehr Verträglichkeit als heute zwischen den Parteien. Der römische Senat hatte immer noch den Altar der Victoria in seinem Saale, während am Bosporus der Kaiser schon in der Kirche der heiligen Weisheit dem dreieinigen Gotte seine Gebete darbrachte. Und wie im Staatsleben so auch im Familienleben; dieselbe Milde, derselbe Friede, dieselbe Duldung. Auf dem aventinischen Hügel im Palaste der Marcella fanden die Zusammenkünfte statt, wo die adeligsten Matronen um den heil. Hieronymus geschaart die Lehren des Christenthums annahmen, indeß ihre Männer und ihre Kinder den Vergnügungen des Circus nachgingen. Von jenen Conventikeln aus pilgerte die heil. Paula, durch mütterliche und väterliche Abstammung zugleich eine Tochter der Scipionen und Atreiden, nach dem heiligen Lande, um zu Bethlehem neben der Geburtsstätte unseres Erlösers zu sterben und ihr Grab zu finden, während ihr Sohn Toxotius in Rom als Heide, aber mit einer christlichen Gattin zurückblieb, und sein Söhnchen, der Enkel der heil. Paula also, doch wieder dem mütterlichen Großvater, einem heidnischen Oberpriester, das christliche Halleluja! entgegenlallte. Ob sie wollten oder nicht, Alle mußten durch die Schule dieses bunt zusammengewürfelten Lebens; die Ecken standen einander noch zu nahe, als daß man ihnen hätte ausweichen können. Und wie ein Extrem das andere weckt, so mußten dann aus den Uebersättigungen des Heidenthums die strengen Kasteiungen des Christenthums hervorgehen. Nur so gebildete Männer konnten das Leben auf diesen ausgedörrten, von einem ewigen Wellenschlag ausgewaschenen Inseln ertragen. Wer weiß, wie lange es dauert, bis wieder Einsiedler hierher flüchten, denen die Welt zu eitel und die sich selbst zu schwach zum Widerstande sind. Es ist eine Eigenthümlichkeit aller sinkenden Zeiten, daß starke und schwache Seelen, die einen wenn sie die Erfolglosigkeit begriffen, die andern wenn sie die Unwiderstehlichkeit der Sünde erkannten, sich in die Einsamkeit zurückziehen. Wenn wir sie alle zählen könnten die Menschen, denen heut zu Tage der Muth und die Kraft zur That und zum Widerstande erstorben sind, ob nicht der Inseln zu wenige wären sie alle aufzunehmen? Aber nein, unsere Zeit ist ja noch keine des Verfalles, wenigstens in ihrer Einbildung nicht. Gegen Mittag verschwand alles Land; es blieb auf allen Seiten nur unbegrenztes Meer, mir das liebste, weil man sich doch immer den Beherrscher seines Gesichtskreises wähnt. Der Tag, der heiß und klar war, schied mit einer Sonne, die purpurhältig aus wolkenlosem Himmel in die See sank, und die Nacht, die milde und hell ist, kam mit einer Sichel, die züchtig ihr bescheidenes Licht über die leicht aufrauschende Fluth ausgießt. Im Westen glänzt noch ein rother Strahl; „so stirbt ein Held!“ und das ist der Erinnerungsschimmer, den er zurückläßt. Vorn auf dem Schnabel des Schiffes liegt ein Perser schlafend ausgestreckt; den ganzen Tag über sah ich ihn lesend dort sitzen, unveränderlich in seiner Ruhe und in seinem Gleichmuthe. Nur manchmal hob er sich über die Brüstung hinaus, auf die See zu sehen. Auch da war sein Blick kein Schauen, nur ein suchendes Denken. Wie vieles mag in diesem Kopfe sein, wovon die Schulweisheit deutscher Gelehrten nie geträumt hat! Ich halte ihn für einen Pilger, der von einer Wallfahrt heimkehrt. Vielleicht gilt er seinem Volke als Wissender, wie den Deutschen nur irgend einer ihrer Heidelberger und Berliner Professoren. An Bord des „Stadium“, 16. Mai. Welche Veränderung, da ich Morgens vom Verdecke den ersten Blick um mich werfe! Links vom Schiffe, wo gestern Abend noch das Auge weit hinaus und den Osten nur von Meer und Himmel begrenzt sah, prallt es jetzt zurück an finsteren Wänden, und muß an ihnen hinaufklimmen den Himmel auf sie gelehnt zu finden. Das können nur die akrokeraunischen Berge sein, welche den Alten die obere Welt von der rückkehrungslosen unteren schieden. Und wahrlich, wer diese Berge sieht wie ich sie sehe, grau im unheimlichen Zwielichte des Morgens, indessen weit draußen im Westen ein erster Sonnenstrahl über ihre Kuppen weg auf das zitternde Meer fällt, der begreift, daß sie der Phantasie eines dichterischen Volkes als Mauern erscheinen konnten, die trennend zwischen zwei unvereinbare Reiche, den Tod und das Leben, gestellt waren. Was hinter ihnen ist, ihr Inneres, mag auch wirklich manches Thal bergen, das, sonnenlos, der homerischen Schattenwelt ähnlich genug sein mag. Und ähnlich diesen Sagen liegen, da ich die Gebirge zuerst erblicke, geheimnißvolle Wolken auf ihren Gipfeln. Erst da das volle Tageslicht kommt, zerstreut es diese. Heute nennen sie es das Tschika-Gebirge. Schnee deckt die obersten Kuppen und zieht sich in weißen Streifen tief hinab. In Silberbächen fallen die schmelzenden Wasser durch die alten Furchen in das Meer hinunter, denn ohne jede Abstufung, ohne vorliegende Hügelkette, ohne vermittelnden Rand, von oben beinahe senkrecht hinab sinken diese Berge in’s Meer; ein Schiff könnte an ihnen anlegen wie an den Wänden eines Molo’s, so glaubt man wenigstens. Unten hat der Wogendrang der Jahrtausende die Hänge abgewaschen, oben aber wurzeln grüne Laubwälder fest darin. Das sind Standbilder der Vergangenheit; aus dem Boden, welchen die Zeit aufgeschichtet hat, schöpfen sie ihre zähe Lebenskraft. Die Gestalt und auch die Höhe dieser Berge, die höher erscheint als sie wirklich ist, weil das Gebirge unmittelbar aus dem Meeresspiegel aufsteigt, läßt sie mich unsern Alpen ähnlich finden. Dahinter ist das türkische Albanien. Rohe, wilde Völker wohnen dort, ohne jede Spur jener Gesittung, die wir Civilisation nennen. Schon Homer schildert sie so; die Füße wuschen sie sich damals nicht und schliefen auf dem Erdboden. Und ein Jahrtausend später fand Strabo bei den Barbaren um das heilige Dodona noch immer denselben Culturzustand. So bleibt der Mensch wie auch die Pflanze auf demselben Erdenflecke im Grunde immer derselbe; er wie alles Uebrige unterliegt den localen Naturgesetzen. Ich achte übrigens wegen dieser Rohheit diese Völker nicht geringer; was wir Rohheit nennen, ist gar oft der bessere Theil der Natur, den die Erziehung auslöschen will. Was die Albanesen damit zu leisten vermögen, das zeigten sie gegen Ali Pascha von Janina. Cap Linguetta ist inzwischen weit hinter uns zurückgeblieben; mit dem von Otranto, gegenüber an der italienischen Küste, sperrt es das adriatische Meer. Ein anderes Meer thut sich vor uns auf, das jonische, mit anderen Inseln und anderer Geschichte. Wäre das Wasser nur etwas beständiger, diese Fläche müßte uns Furchen zeigen, die der Kiel des Jasonischen Schiffes, die Odysseus, die Cäsar und sein Glück, Augustus, die die Byzantiner und Normannen, die Venetianer und Kreuzfahrer darein gezogen haben. Später, als dann die Welt größer ward, wurden die Ereignisse, die hier geschahen, kleiner und seltener. Die Weltgeschichte ist mit der Zeit extensiver aber nicht intensiver in ihrem Wirken geworden. Indessen den alten Ruhm, den glänzenden Schimmer der untergegangenen Zeit konnte diesem Meere nichts von dem spätern rauben; die Dichter haben ihn mit unsterblichen Namen ringsum an das Festland und an die Inseln, an die Berge und an die Klippen geschrieben. Was sie die donnergetroffenen Berge, die akrokeraunischen, genannt, das wurde durch sie das Land der nächtlichen Cimmerier; dort ließen sie den Hades und den Tempel der Eumeniden erstehen. Fanno, das vor mir mit malerisch, scharf gebrochenen Linien, so wie man Capri auf Bildern dargestellt sieht, aus der Fluth auftaucht, war ihnen die Zauberinsel der Calypso, das verführerische Ogygia, und Corfu, das ich bis jetzt nur noch mehr ahne als sehe, das Scheria der seeliebenden Phäaken mit dem königlichen Hofe des Alkinoos und der reinen Liebe der Nausika. Und wer in der That kann diese Ufer mit andern als mit von der Dichtung begeisterten Augen sehen? Die Küste zur Linken ist uns mit den gewaltigen Berglehnen immer gleich nahe. Rechts treten die Erikusa und die ganz nackten, zersplitterten Felsenriffe der Salmotraken in den Gesichtskreis; zuletzt schließt sich Corfu an mit Bergen weit höher als ich sie erwartet hatte. Silbergrau sind sie von oben bis unten mit Olivenwäldern überzogen, aus denen einzelne Cypressen würdevoll aufragen. Unten herum, dem Strande näher, sind Landhäuser darin zerstreut, kleine feste Würfel aus rothem Stein mit niederen Dächern. Das Meer liegt spiegelglatt davor, daß, als wir zwischen die Insel und das Festland eingefahren sind und die Berge sich hinter uns zusammenschließen, die Täuschung beinahe unwiderstehlich wird, man treibe auf einem friedlichen Landsee. Ein Inselchen, Peganosa, worauf die Engländer eine Laterne setzten, mehrt noch den Betrug. Es ist wie einer der schweizer oder italienischen Seen, nur größer, weiter, und Cypressen, Feigen-, Orangen- und Oelbäume auf den Uferwänden, und Meer und Land in den Farben, in dem Dufte und in der Wärme des Südens. Alle, auch die bisher theilnahmslosesten Passagiere, haben sich auf dem Verdecke gesammelt. In der Mitte des Oberdecks vor dem runden Glaspavillon stehen sie schauend und entzückt; ich aber vorne auf der Spitze des Schiffes, weil meine Neugierde allen vorandrängt. Gegen 2 Uhr sehe ich Corfu in einer weiten aber wenig eingebogenen Bucht auf steilem Ufer mit weißen Häusern; vor ihm und zu seinem Schutze Fort Vido; zur Rechten, die Stadt und die ganze Insel beherrschend und wie ihr Rückgrat durch sie hingezogen, Monte San Salvatore; zur Linken die Doppelgipfel der Festung, die mit felsigen Kanten zum Wasser hinabsteigen, das hinüber zum Festlande führt, wo schneebedeckt die albanesischen Berge aufragen. Zwischen ihnen und Corfu durch zwängt sich das Meer wie in einem Strome zur Fortsetzung unserer Fahrt. Fort Vido haben die Engländer erbaut und jetzt vor ihrem Abzuge zerstört. Zwischen den gestürzten Mauern stehen einige dürftige Platanen. Unser Schiff macht einen weiten Bogen um das Inselchen, dann erst übersehe ich die ganze Stadt und die Rhede, denn das ist der Hafen eigentlich nur. Kriegsschiffe und Dampfer und die Flagge auf den hohen Thürmen der Doppelburg kündigen noch immer die Engländer; sie haben die Uebergabe der Regierungsgewalt an den König von Griechenland bis zum Juni verschoben. Wir werfen den Anker; die Maschine und die Räder stehen stille, das Schiff treibt mit der Kraft, die ihm eigenthümlich geworden war, noch eine Weile weiter; erst die angespannten Ankerketten halten es. Eine Meute von Booten, die uns schon entgegengekommen war und in immer engerem Kreise eingeschlossen hatte, legt sich an seine Wände. Diese Boote sind breit und plump, so sehr jedem Schönheitsgefühle zuwider, daß ich sie nur durch das Bedürfniß entschuldigen kann, das sie so zu anderen Zeiten für die vielleicht bösartige Natur dieser Buchten brauchen mag. Die Bootsleute sind frische und sogar schöne Bursche und das Geschrei, womit sie sich die günstigsten Plätze bestreiten, die Passagiere schon von unten herauf zu gewinnen suchen, gibt mir, ehe ich noch diesen Boden betreten habe, einen Begriff von der Lebhaftigkeit, von der Geschwätzigkeit des griechischen Volkes. Das lauteste, was ich in Italien gehört habe, schwindet daneben zu melodischem Mezza voce herab. Ihre und unsere Ungeduld mußte warten, bis der „Stadium“ Pratica erhalten hatte. So nennen sie in der Levante alle mit dem Ausladen verbundenen gesetzlichen Förmlichkeiten. +Corfu+, oder Scheria wie es die Fabel, Korkyra wie es das Alterthum, Korypho wie es das Mittelalter nannte, ist berühmter durch den Ruf seiner Schönheit als durch den seiner Geschichte. Mitgespielt hat es gar oft, aber entschieden nur einmal die Schicksale der Welt; das war, als es im Streite mit der Mutterstadt die Athener gegen Korinth zu Hilfe rief und dadurch den peloponnesischen Krieg anstiftete, der so lange und so verderblich die Griechenstämme entzweite. Vorher mag die Zeit gewesen sein, welche Strabo „vor Alters“ und „eine hochbeglückte“ nennt, weil es eine große Seemacht besaß. Korinth hatte es durch eine Colonie in Besitz genommen. Bald aber zeigte es sich der Mutter feindselig, egoistisch, den Interessen Griechenlands abgewendet und im Innern zu Parteikämpfen geneigt. Schon vor den Perserkriegen war es gänzlich unabhängig und so stark, daß es nächst Athen die größte Flotte und den bedeutendsten Handel hatte und mit Korinth in der Herrschaft über das jonische Meer wetteifern konnte. Seine Regierungsform war eine aristokratische und seine Diplomatie eine überaus geschickte, die es immer außerhalb fremder Händel zu halten und ihm für die eigenen doch Bundesgenossen zu verschaffen wußte. Die materielle Lage der Insel war eine glänzende, der Reichthum groß, aber die geistige Bildung ihrer Bewohner hat nie jene Stufe erreicht, auf der im übrigen Griechenlande Werke unsterblichen Ruhmes geschaffen wurden. Roher und mordlustiger als irgend welche andere Griechen, füllten die Korkyraer die Zeit des auswärtigen Friedens, die man an anderen Orten zu Tempelbauten und zur Dichtkunst verwendete, mit inneren Parteikämpfen aus, die so grimmig waren, daß einmal in einem Streite die obsiegende Partei 1500 der gefangenen Gegner hinschlachten ließ. Es waren die demokratischen und aristokratischen Ideen, die hier früher als in einem andern Staate Griechenlands auf einander stießen. Diese inneren Zerwürfnisse boten fremden Feinden immer willige Handhaben zu ihren Einmischungen. So kam es, daß Athener, Spartaner und Macedonier sich in dem Besitze der Insel folgten. Zuletzt ging er denn auch mit der Erbschaft Alexander des Großen an die Römer über. Corfu, in seiner Oberherrschaft geknechtet, scheint sich durch kleinliche Freiheitsbestrebungen lächerlich gemacht zu haben. Wenigstens bespöttelt sie ein damals viel gebrauchtes römisches Sprüchwort: „Nun +frei+ Korkyra,.... wohin du willst.“ Im August des Jahres 31 v. Chr. besetzte es Octavius Augustus, als er den Westen des römischen Reiches gegen den Osten in den Kampf führte, der sich schon damals von jenem trennen wollte. Der Posten, der den Eingang in das adriatische Meer und die damals so viel befahrene Verbindungsstraße zwischen dem italienischen Brundisium und dem illirischen Dyrrhachium bewacht, war für den Römer, der das Hauptquartier seiner Macht in Rom hatte, von der höchsten Bedeutung. Im Falle einer Niederlage bot er ihm einen Sammlungspunkt, oder deckte doch seinen Rückzug nach den calabrischen Häfen und Heerstraßen. Mit Anderem muß auch das Antonius vergessen haben, als er that- und entschlußlos im korinthischen Busen mit verliebten Tändeleien die Zeit der Vorbereitung verlor und den Gegner den Sieg schon gewinnen ließ, noch ehe die Schlacht begonnen hatte. Eben diesen Stationspunkt wählen dann auch die späteren Eroberer, die sich zu ihren italienischen Fürstenthümern das griechische Kaiserreich rauben wollen. So 551 n. Chr. Totila mit seinen Gothen; so 1081 Robert Guiscard, 1107 Bohemund, 1146 Roger und 1185 Tankred mit ihren Normannen. Hier sammelten sie ihre Flotten, nordwärts gegen das oft belagerte Dyrrhachium, das heutige Durazzo, und südwärts gegen die preisgegebenen Küsten Morea’s und Attika’s zu ziehen. Und flüchtig, wenn der immer noch starke Arm des sinkenden Kaiserthums sie gezüchtigt hatte, ist es wiederum hier, wo sie einlaufen und Kräfte zu neuen Ueberfällen suchen. Wenn die Corfioten zu solchen Expeditionen die Fremden nicht geradezu aufforderten, wie es 1146 geschah, als sie sich gegen die byzantinischen Steuergesetze empörten, so waren ihnen die Feinde des oströmischen Reiches doch immer willkommen; den Reichthum und die Macht hatten sie nicht mehr, aber den Egoismus und die Theilnahmlosigkeit für die Geschicke der Stammesbrüder noch immer so wie damals, als Athen vergebens ihre Hilfe gegen die Perser begehrte. An Byzanz band sie nur das lose Band von 1500 Goldpfunden, die sie jährlich dahin ablieferten; die fanden sie nicht genügend bezahlt durch den schwachen Schutz, den ihnen der entfernte Kaiser nur bieten konnte. Sich selbst zu schützen waren sie noch unfähiger, und so wurde es allerdings das vortheilhafteste, sich dem jeweiligen Herrn des adriatischen Meeres willenlos hinzugeben. Zuerst den normännischen Königen von Neapel und Sicilien; dann, als sie diesen der griechische Kaiser wieder entrissen hatte, Constantinopel aber durch Henrico Dandolo erobert worden war, der Republik Venedig 1205; später wieder einmal an das Königreich Sicilien und 1386 sogar an den Fürsten von Padua. Einem Nachbarn aber konnte Venedig nicht diese Pförtnerstellung des adriatischen Meeres überlassen, und so zog noch im selben Jahre der Admiral Giovanni Miani aus, die Insel auf Grund der früheren Besitzestitel und für alle Zeiten in das Eigenthum der Republik aufzunehmen. Die Einwohner glaubten seinen Verlockungen, daß Corfu nur zufrieden gewesen und nur glücklich sein werde unter dem Banner des heiligen Markus, und zwangen mit ihm die paduanische Besatzung zur Uebergabe der Burg am 9. Juni 1386. So ward Venedig Herr dieser Insel und blieb es bis zu seinem eigenen Falle. Was man auch dagegen gesagt und geschrieben, es hat sie besser verwaltet und vertheidigt als sie es jemals früher oder später war. Eine Aristokratie, ähnlich der von Venedig selbst, besorgte die politische Administration. Dadurch entstand ein Adelskörper, der, wenn man dessen Existenz und seine noch immer geltenden Ansprüche nicht übersieht, manches von den letzten Ereignissen Griechenlands erklärt. Die militärische Gewalt behielt Venedig hier wie in allen seinen Colonien ganz in der eigenen Hand. Und ruhmvoll hat es sie gegen den einzigen Feind, den es in diesen Meeren zu fürchten hatte, gegen den Türken gebraucht. Einmal, 1537, als Suleiman seine Truppen auf die Insel ausschiffen ließ, und ein anderes Mal, 1716, als der deutsche Graf Schulenburg mit nur 5000 Venetianern die Stadt und zuletzt das Schloß durch 42 Tage gegen 22 türkische Linienschiffe, 30.000 Soldaten und 3000 Pferde so tapfer vertheidigte, daß der Feind mit einem Verluste von 15.000 Mann die Belagerung aufheben und in nächtlicher Heimlichkeit abziehen mußte. Das Denkmal des Generals stand lange auf dem Schauplatze seines Verdienstes. Erst als die Republik gefallen war, erreichte die Pforte das Ziel ihres Strebens, aber auch dann nur für kurze Zeit, denn schon 1809 mußte sie die Souveränität über die Insel an Frankreich abtreten. Schon der Friede von Campo Formio hatte diese Verfügung enthalten, Frankreich aber nicht die Kraft gehabt, sie der russisch-türkischen Flotte abzunöthigen. Der erste Pariser Friede übergab dieses Recht der Oberherrschaft an England, der zweite beschränkte es durch den Vertrag vom 5. November 1815 zwischen Rußland und England auf ein Protectorat, das eben jetzt England auch an den König von Griechenland abtritt. Daß damals den jonischen Inseln so viele Selbständigkeit gelassen ward, soll ihnen ihr Landsmann, der Corfiote Graf Johann Capo d’Istria erwirkt haben, und daß sie heute ganz in die griechische Herrschaft übergeben werden, sollen sie wieder zumeist dem Einflusse einer Persönlichkeit, den Berichten des Lord Obercommissärs Sir Henry Storks zu danken haben. Corfu wird jetzt zu beweisen haben, daß es treuer und opferbereiter als in alten Zeiten zum gemeinsamen Vaterlande stehe; die Zukunft liegt in seiner Hand. Was ihm England übergibt, ist ein sorgsam gepflegter und verbesserter Boden. Das in großen allgemeinen Zügen die Geschichte der Insel; ihre körperliche Gestalt finden die Griechen einer Sichel ähnlich, den innern Ausschnitt gegen das Festland gekehrt. Ich möchte sie eher einer Keule vergleichen, deren Griff im Süden und deren knorriger dicker Kolben im Norden liegt. Dieser nördliche Theil ist der gebirgigere. Alle anderen übertrifft der Monte San Salvatore durch seine Höhe (3000 Fuß), aber auch durch die Schönheit seiner Umrisse. Vom Hafen aus gesehen zeigt er zu oberst eine lange, gerade, nackte, felsige Schneide, die nur an ihren beiden Enden mit kleinen Hörnern aufragt. Weil ich überall Aehnlichkeiten sehe, so vergleiche ich ihn mit der hohen Schrott auf dem Wege von Ischl nach Ebensee. Das Wachsthum auf seinen Hängen ist ein üppiges, meistens silbergraue Olivenwälder. Die Berge, die um ihn stehen, steigen unmittelbar aus dem Meere auf, so daß die ganze Gruppe wie ein eben erst aus den Fluthen aufgetauchtes Wunder erscheint. Von diesen Höhen ostwärts dacht sich die Insel ab. Dort liegen wie in einem Sattel die Stadt Corfu, ihre schönsten Villen und Gärten. An seinem anderen Ende, vor dem Abbruche in die See, hebt er sich wieder zu dem doppeltgehörnten, dem grauen, steilen Vorgebirge, auf dem die Festung steht, die Fortezza vecchia auf dem einen, die Flagstaff Batterie auf dem anderen Horne. Zu allen Zeiten muß dieser Felsen die Akropolis getragen haben, wie heute die der Engländer, so ehemals die des Königs Alkinoos. Das Festland gegenüber buchtet sich gerade an dieser Stelle tief ein, so daß die Meerstraße von Corfu hier am breitesten ist. Die Stadt liegt unter dem Schutze der Festung und der Insel Vido beinahe uneinnehmbar; Haus über Haus steht sie vom untersten Saume der nordwärts geöffneten Bucht das felsige Ufer hinauf. Sie sieht gedrängt, eng und klein, aber reinlich aus, weil die Gebäude alle frisch und weiß angestrichen sind. Die Stadt soll an 20.000 Einwohner, die Insel 73.473 haben. Indeß war der Menge, die den Dampfer umlagerte, die Erlaubniß geworden, das Verdeck zu besteigen. Bald waren wir, jeder Passagier besonders, von Diensteifrigen umstellt, der eine um uns sein Boot, der andere um uns seinen Wagen, seine Führerschaft, seinen Gasthof und jeder um uns mit vertraulich zugeflüsterten Betheuerungen seine Dienste als die besten anzubieten. Obst und Gemüse, Orangen, Erdbeeren, eine fremde Gattung Aprikosen wurden in großen Körben um uns aufgeschichtet; Artischocken von dieser Größe hatte ich nicht für möglich gehalten. Ich drängte durch Alles durch zur Lloydbarke, die uns an einer abgelegenen Stelle landete. Durch Höfe und einen Thorweg betraten wir erst die Gassen der Stadt. Eine englische Wache hielt das Thor besetzt, schöne große Leute und von so anständiger Haltung, daß jeder einem Gentleman glich. Sie waren ganz in weiße Leinwand gekleidet, auf dem Kopfe die hohe weiß überzogene Korkmütze mit dem rückwärtigen Schirme, der weit hinab den Nacken deckt, wie sie sich die englische Armee gegen die indische Sonne erfunden hat. Und so sommerlich angethan kommen uns alle Leute, die meisten sogar noch durch weiße Sonnenschirme gedeckt, entgegen. Glückliches Land, wo die Sonne das ganze Jahr über ihre Schuldigkeit thut und man nie vergessen kann, warum sie scheint! Die Gassen, die ich aufwärts ging, steigen die Höhe zum Plateau hinauf, aber nicht so steil, als ich nach dem äußern Aussehen der Stadt erwartet hatte. Sie sind schmal, und so ist der Verkehr in ihnen zusammengedrängt und lebendiger als in mancher unserer breitspurigen Residenzstädte. Auch den Schatten haben sie dadurch gewonnen. Verschwendet ist dafür der Raum oben auf der Höhe, um den Platz zwischen der Stadt und der Festung auf das ansehnlichste auszubreiten. Seine eine Seite begrenzt die Stadt mit einer langen Zeile anständiger Häuser; dort, aus einer Seitengasse heraus, betrat ich ihn. Vor dem ebenerdigen Geschoße ziehen sich Arcaden her, so daß man einen weiten Weg gegen Regen und Sonne geschützt hat. Kaufleute haben darunter ihre Waaren ausgestellt. Unter dem vielen Primitiven fiel mir die große Anzahl der Möbelhandlungen auf. Links, wo diese Häuserreihe endigt, aber ihr schon gegenüber, steht der Palast des Lord Obercommissärs; aus gelblichem Malteserstein ist er in so schönen Formen gebaut, daß er des griechischen Himmels würdig erscheint. Zwischen ihm und den Häusern der Stadt bleibt ein enger Durchblick auf den Hafen und die albanesische Küste; vor ihm hebt sich eine Palme und um sie blühen Rosen- und Oleanderbüsche. Unter schattigen Alleen, die das ganze Oval des Platzes umsäumen und durchschneiden, ging ich weiter, durch tiefe Gräben von den hohen Mauern der Festung geschieden. An den Brücken, welche darüber herabgelassen waren, hatten wieder englische Soldaten die Wache. Da plötzlich, wo die Mauern und der Felsen abbrechen und die Aussicht zu meiner Linken auf das Meer wieder frei wird, blieb ich wie gefesselt stehen. Ein Bild, schöner noch als alle früheren, überraschte mich, ein Bild, das mich immer bei jeder Rückkehr auf die Insel zuerst anziehen wird. Es ist der zweite größere Busen der Insel, der sich hier ostwärts gegen das Festland zu öffnet; von dem andern, nördlichen, trennt ihn das Vorgebirge der Festung, er ist weit und noch weniger eingebuchtet als dieser in einem kaum zu überschauenden Bogen bis zu seinem neuen Vorlande hingezogen. Das Ufer hart vor mir fällt steil und hoch in ausgewaschene Klippen hinab. Erst eine Strecke weiter auf dem Ausschnitte des Bogens senkt es sich zu ebenem Strande, auf dem eine weiße Straße hinläuft. Villen und Gärten liegen daran und ziehen sich so tief in’s Land hinein, daß es aussieht, als wolle sich die Stadt in’s Unübersehbare fortsetzen. Das Meer, das in dieser Bucht liegt, war blau und ruhig; nicht einmal die Riffe unter mir konnten ihm ein Gemurmel ablocken. Darüber hinaus ist das Festland mit anderen Buchten, mit den Bergen Albaniens, mit dem noch höhern Pindosgebirge, das dunkel vom Laube dichter Wälder die Geheimnisse des dodonischen Orakels bewahrt. Ich stieg in einen Wagen, um weiter in das Innere der Insel zu dringen. Einzelne Palmen grüßen aus Gärten heraus; Cactus- und Aloehecken zäunen die Felder ein, dann nimmt uns ein Orangenhain auf, die Bäume voller Früchte, die mit ihrem Golde das Grün des Laubes entfärben; die freie Natur aber kömmt erst mit einem Olivenwalde. Uralte Stämme von so willkürlicher und mannigfaltiger Gestaltung, daß mir jeder besonderer Besichtigung würdig erscheint. Wer jemals eine Abneigung gegen diesen Baum gefaßt, vielleicht wegen seines grauen, eintönigen Laubes, der gehe hierher um sich von diesem Vorurtheile zu heilen. Der Zeichner und der Dichter kann für seine Landschaften keine malerischeren und stimmungsvolleren Baumgruppen finden. Es sind Bäume, wie sie Claude Lorrain geahnt. Der Boden ist zerhackt, wie zerbrochen, überall guckt das Erdreich hervor; einzelne Büsche von Gras und Blumen sitzen auf den zerstreuten Haufen herum; Schafe weiden dazwischen. Mir fallen alle Fabeln der antiken Dichtung ein, am deutlichsten aber sehe ich den Oedipus auf Kolonos illustrirt. So war der Hain, der den schwergeprüften Greis beherbergt und zuletzt verschlungen hat. Wo wir wieder aus den Wäldern heraus an bewohntere Stätten kommen, springen Kinder herbei, den Wagen mit Rosen und Orangenblüthen zu bewerfen. An einer solchen Stelle steige ich aus; wenig Schritte seitab, die man mich führt, und ich habe eine dritte Bucht, den Hafen der Phäaken vor mir. Tiefer als eine der beiden andern zieht sie sich in’s Land hinein und vorn ist sie so geschlossen, daß ihr die Corfioten wie einem getrennten Landsee einen besondern Namen geben konnten. Den See von Calichiopoli nennt man sie; daß sie heute zu seicht zum Einlasse unserer Schiffe ist, war kein Grund gegen ihre frühere Benutzung. Dadurch eben bot sie in jener Zeit, als ein Paar starke Fäuste genügten, die geschnäbelten Schiffe auf das Ufer zu ziehen, die sicherste Unterkunft. Damit aber ja kein Zweifel über die ehemalige Verwendung dieser Bucht bleibe, hat Poseidon das gleitende Meerschiff phäakischer Männer, das den Odysseus nach Ithaka zurückgebracht und wieder auf der eignen Heimkehr begriffen war, versteinert vor den Eingang des Hafens hingestellt. Festgewurzelt in die Wellen steht der Felsen, ein Kapellchen, ein Paar Oelbäume und Cypressen darauf, wie ein Denkmal, das die Natur dem Dichter und dem Helden seines Liedes gesetzt hat. Ποντιχονῆσι, Ratteninsel, nennen sie es heute. Der Hafen liegt tief unter mir. Weit um ihn herum ist bebuschtes Land gebreitet. Mir gegenüber, auf seinem jenseitigen Ufer, steigen die Berge von Casturi zum Thale hinab. Oelwaldungen bedecken ihre Hänge, und Landhäuser und kleine Ortschaften schimmern daraus weiß hervor. Ich saß lange und schaute und konnte des Eindruckes nicht satt werden. Wer wird auch das Paradies nicht genießen, wo es einem auf Erden schon geboten wird? Das Letzte, was ich besuchte, war die Villa, welche die Kaiserin von Oesterreich einen Winter lang bewohnt hat, der gewöhnliche Sommeraufenthalt des Lord Obercommissärs. Sie steht auf dem entlegenen Vorgebirge der zweiten ostwärts geöffneten Bucht. Der Garten war voll üppiger Blumen; die meisten in der Blüthe, einzelne sogar schon verwelkt. Aber das bewundernswertheste ist der Ausblick von der Terrasse vor dem Gartensaale; Meer und Land umfassend reicht er vom Süden über den Osten bis zum Norden; die Nähe unmittelbar vor mir wild und schwindelnd mit hohem Felsabsturze bis zur See hinab, die Ferne mild und ausgeglichen in ebenem Linienschwunge und stille im heißen Mittagsschlafe des sommerlichen Frühlingstages. Uralte ernste Cypressen, höher als bei uns irgend ein Baum wird, nisten in den Felsen, die den Abhang hinab zum Meere auf einem steil verwegenen Steige führen. Auf regungsloser Fluth lag dort ein Kahn an die Klippen angekettet. Links hin in weiter Ferne, von Bäumen halb verdeckt, erscheint die Stadt, der doppelzackige Felsen des Festungsvorgebirges und darüber, wie seine vergrößerte Copie, der mächtige alles beherrschende Monte San Salvatore. Gegenüber auf dem Festlande sperren die Berge von Albanien die Aussicht. Schwarze Gewitterwolken ballen sich auf ihrem Schnee zusammen, drohend, als wolle uns der Prospero dieses Zauber-Eilandes die Absicht der Flucht verhindern; denn nur dieser dichterischen Schöpfung kann ich diese Insel vergleichen. In ihrem Rosenglanze und Orangendufte war mir oft, als höre ich aus den Lüften herab das verlockende Lied Ariels und aus den Büschen das keusche Liebesgeplauder Miranda’s und Ferdinands. Die Königin von England gibt dieses Kleinod ihrer Krone umsonst her, mir wäre es um die Schätze aller ihrer Indien nicht feil. Aber freilich droben in ihren Nebeln kannte die arme Frau nicht einmal was sie besaß. Wir dampfen in der Straße von Corfu, rechts an dem Vorgebirge der Festung, an der Villa des Lord Obercommissärs, links an dem chäronäischen Gebirge, an dem chimärischen Vorlande vorüber. Hinter uns sind die vereinigten Berge der Insel und des Festlandes, vor uns, wo das Meer wieder weiter und freier wird, Paxos und Antipaxos, zwei felsige Eilande, Corfu nahe und von ihm getrennt, wie wenn sie einmal eins mit ihm gewesen wären. Hier war es, wo der römische Steuermann Thamus die wunderbare Weisung hörte, an der Bucht von Butrinto, also Corfu gegenüber, laut auszurufen, daß der große Gott Pan gestorben sei. Und als plötzliche Windstille dem Unfolgsamen den Ruf abgenöthigt hatte, da erscholl weit umher klagendes Wehegeschrei. Es war der Jammer um den Tod der alten Götter und um die Auferstehung eines neuen Glaubens. Alle Versuche dieses Wunder durch irgend etwas Natürliches zu deuten sind bisher gescheitert. Ich glaube, daß sich dergleichen Erscheinungen überhaupt nicht erklären lassen. Ihre Veranlassung liegt nicht sowohl in der uns umgebenden Natur, als in den Gemüthern und in der Zeit, welche von den Ahnungen der Geister bewegt ist. So sind oft ganze Generationen von dem Wunderglauben erfüllt. Es ist das besonders in den Epochen der Wiedergeburt, der Um- und Einkehr der Menschheit in sich selbst, in den glücklichen Tagen eines neuen Lebens der Fall, wenn der Mensch wieder zu glauben beginnt. „Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind!“ Auf ruhiger offener Fläche des Meeres, wo nichts den Sinn zerstreut und das Auge nur durch die gegenstandslose Ferne gefesselt wird, bilden sich dann solche Erscheinungen von selbst, und ungesprochen und ungehört glaubt und sieht sie das Ohr und das Auge. Während ich in Corfu auf dem Lande war, hat das Verdeck unseres Schiffes ein anderes Aussehen bekommen. Albanesen, Türken, Griechen, Montenegriner lagern darauf in solcher Menge, daß ihnen auch ein Theil des ersten Platzes eingeräumt werden mußte. Es ist die Levante, die uns auch hier umgibt mit malerischen Trachten und charakteristischen Physiognomien. Die Meisten tragen weiße, grellroth verbrämte Flanelljacken, Mäntel, enganliegende Hosen und Gamaschen aus demselben Stoffe, mit den gleichen Verzierungen, das sind Albanesen und Montenegriner. Einige aber, offenbar wohlhabendere, haben diese Kleidungsstücke aus blauem und rothem Tuche, über und über mit Gold gestickt. Andere, denen Hunger und Sorge die scharfen Gesichtszüge noch mehr ausgefeilt haben, sind bis auf ein zerrissenes Hemd und die nothdürftigsten Lumpen unbekleidet. Was von Griechen aus dem eigentlichen Griechenlande darunter ist, zeigt mit einem gewissen Stolze das bekannte Griechenkleid, die Fustanella, die Jacke, Gamaschen und das rothe Fez. Möglichst abseits von diesem Volke, das laut und beweglich ist, halten sich ruhig und still die Türken. Es sind Soldaten, die nach Konstantinopel zurück müssen, während die übrigen der Hunger, die Gewinnsucht und die anderen Triebe der Hoffnung dahin treiben. Alle haben ihr Mobiliar und ihr ganzes bewegliches Eigenthum bei sich in großen Ballen zusammengeschnürt. Da es Abend wird, knüpfen sie die Schnüre auf und rollen, die Reicheren dünne Matrazen und gesteppte Decken, die Aermeren nichts als langhaarige Kotzen zu ihren Nachtlagern auseinander; darauf ausgestreckt, verzehren sie das sparsame Mahl, das sie mitgebracht, Knoblauch, Zwiebeln, rabenschwarzes Brod, und nur die, denen es besser zu gehen scheint, essen Käse dazu. So genügsam ist dieses Volk und darum nicht schlechter daran als das nordländische, das sich mit Bedürfnissen übersättigt. In all’ dem Lärm und Gedränge, den diese Einwanderung veranlaßt hat, sitzt mein Perser unberührt und unverändert wie früher, das großbuchstabige Buch auf den Knieen, vorne auf demselben Flecke. Staunend über so viel Insichgezogenheit stand ich lange bei ihm und dachte wie naturwidrig doch das Bestreben unserer Civilisation sei, Menschen so verschiedenartig, wie ich sie hier auf dem engen Raume eines Schiffes versammelt sah, unter dieselben Gesetze zwingen, zu demselben Culturzustande erziehen zu wollen. Zerstreut durch solcherlei Gedanken und dann auch weil es schon dunkelte, stolperte ich über einen der schlafenden Albanesen. Der Mann erwachte nicht, aber im Schlummer griff er nach seinem Dolche. Gab’s eine aufrichtigere Sprache, aber auch eine die mir verständlicher die Lebensart des ganzen Volkes geschildert hätte? Und sie ist die richtige, die von Gott gegebene. Streich für Streich, Faust gegen Faust. Die Civilisation sieht freilich mit Verachtung auf unser Mittelalter herab, weil es das so gemacht; aber wenn man den heutigen Sitten die Tugendkapuze abstreift, was bleibt dann anderes als das Faustrecht, der Kampf des Einen gegen Alle, das ~ôte toi que je m’y mette~? Daß es von unseren großstädtischen Börsen statt von den vereinsamten Burgen aus geübt wird, ändert an dem Werthe der Sache nichts. 9 Uhr Abends. Der Regen, der uns eingeholt, strömt in Güssen nieder. Wir fahren am Meerbusen von Arta vorbei, aber Nebel decken die Stätte von Actium. Tausend Schiffe standen sich hier in den Nachmittagsstunden des 2. September 31 Jahre v. Chr. gegenüber. Antonius und Augustus, die beiden ehemaligen Freunde, rangen um die Weltherrschaft. Als die Sonne schied und das Meer, das schon blutgetränkt war, mit feuriger Röthe übergoß, schwammen nur noch brennende Wracks, Ertrinkende, Leichname darauf herum, ein allgewaltiger Sieger, und Antonius, der in dem purpursegeligen Schiffe der Cleopatra entfloh. Drei Tage saß er stumm und allein vorne auf dem Schnabel des Bootes; erst am tänarischen Cap, dem heutigen Cap Matapan, wo sie landeten, sprach er wieder. Die Geliebte hatte zuerst das Zeichen zur Flucht gegeben und er war ihr gefolgt, noch ehe die Schlacht verloren war. So sehr hatte dieser Held im Schooße seiner Dalila alle Kraft verloren. Augustus baute später auf dem Vorgebirge, das links den Meerbusen schließt, zur Feier des Sieges die Stadt Nikopolis, und das erzene Bild des Esels, der ihm am Vorabende die glückliche Entscheidung prophezeit hatte, war auf ihrem Marktplatze aufgestellt. Später wurde es nach Constantinopel übertragen, um die Spina des Hippodroms zu schmücken; die Stadt ging in das Eigenthum der Familie der hl. Paula über. Wir treiben schon in voller Nacht, unberührt von jeder Erscheinung der Vergangenheit, über die ereignißvolle Stätte. So spurlos heilt die Zeit die ärgsten Wunden. 1 Uhr nach Mitternacht. Ich stieg wieder auf’s Verdeck und hielt bis jetzt aus. Meine Gefährten bei dem regnerischen Spaziergange waren zwei Engländer, der junge Mann, der die große Tour macht, und der erste Maschinist des Dampfers. Sie ganz mit Reminiscenzen an Lord Byron und den 2. Gesang des „Childe Harold“ erfüllt, ich nur mit Homer und dem 13. Gesange der Odyssee beschäftigt. Abwechselnd mußte der eine von dem andern die Schicksale der Sappho und die glückliche Heimkehr des Odysseus vordeclamirt hören. Das leukadische Vorgebirge lag schwarz, wie ein Sarg gestaltet, der alle Lieb und Treu begraben hält, hinter uns; Ithaka zur Rechten, hoch und mächtig; Cephalonia zur Linken mehr in flachen gestreckten Linien. Ueberall nur Umrisse, die gleich dunkel ausgefüllt waren, denn der Mond war verborgen und die Nacht zu dicht, um von den Einzelnheiten irgend etwas erkennen zu können. Der Regen rieselte, aber ich harrte aus; was war meine Geduld gegen die des großen Dulders Odysseus! Wach wollte ich ihm und seiner Heimath einen Tribut dankbarer Erinnerung zollen. Um Mitternacht begegneten wir dem Dampfer, der aus Constantinopel kommt. Mit Raketen begrüßten sich die beiden Schiffe. Und hier, kurz darauf, kämpfte sich der Mond durch die Wolken durch. Geisterhaft in seinem bleichen Lichte wie ein wirklich gewordenes Sagenbild stand Ithaka da; Cephalonia blieb in Schatten gehüllt; die Erscheinung kam und ging, schnell wie die eines Traumes, die sich der Geist mit lebhaften Wünschen erzwungen hat. An Bord des „Stadium“, 17. Mai. Auf dem Verdecke begrüßt mich frische und doch warme Luft, herrliche blaue See, geklärte Fernsicht, im Osten die Kette der messenischen Berge mit sanften grünen Hängen, die zum flachen Ufer abfallen, das schneegesalbte Haupt des Taygelus über allen; im Westen das freie Meer, wo eine Menge großer Schiffe mit geschwellten Segeln nordwärts streben. Wir sind im Golfe von Arkadien, heilige Namen und heiliges Land überall. Der Morgen voll Salbung, die alle Lebensgeister anregt und das Dasein wieder einmal recht des Lebens werth erscheinen läßt. Der Insel Prodano fahren wir vorüber, später der Klippe Sphakteria, hinter der geborgen der Busen und die Ortschaft Navarin liegen. Auch hier wieder sind es Homer und Byron, die unserem Gedenken begegnen. Die sandige Pylos des Nestor, wo Telemach von Mentor geführt Hilfe und Rath suchte, lag einst auf dem Abhange dieser Berge, und Sphakteria, das lange Seeräuber beherbergte, ist als Schauplatz des Corsaren gedacht. Modon taucht auf. Nach 10 Uhr sind wir ihm so nahe, daß jedes einzelne Gebäude deutlich zu erkennen, Thürme, Mauern, runde Thorbogen aus der Venetianer-Zeit auf einer schmalen weit gegen Süden auslaufenden Halbinsel zu unterscheiden sind. Todt und leer wie eine Gräberstadt sieht es aus, als habe das viele Blut, das hier in alter und neuer Zeit geflossen, alle Lebensfähigkeit weggespült. Es gibt Gegenden, die wie einzelne Geschlechter verurtheilt zu sein scheinen, ewig die schlimmsten Gräuelthaten der Menschheit zu tragen. Diese kleine Spanne der messenischen Küste hat solch’ ein Schicksal. Jedes Jahrhundert spielte hier seinen Verrath, seine Blutthat, vom Siege der Athener über Sparta 425 Jahre v. Chr. bis zum ~untoward event~ am 20. October 1827 n. Chr. Und wie seine Geschichte so ist auch der Ort: verfallen, den Ruinen eines Stammschlosses ähnlich. Nur ab und zu wirft ein vereinsamter Baum, eine trauernde Cypresse oder eine graue Olive lang gezogene Schatten auf den dürren Boden; der strafende Gott scheint Salz in ihn gestreut zu haben, damit das Wachsthum dort ersterbe, wo der Mensch den Tod gesäet hat. Ganz nahe zu unserer Rechten haben wir die wüsten Felseninseln Sapienza, dann Cabrera. Auch das sind Leichenhügel, von der voraussichtigen Natur dem künftigen Menschenschicksale aufgeworfen. Zwei der blutigsten Seeschlachten wurden in diesen Gewässern geschlagen, zwischen Venetianern und Genuesen, am 3. November 1354, als Doria den berühmten Pisani gefangen nahm, und am 6. October 1403, da der abenteuerliche Carlo Zeno den Genuesen diese Niederlage vergalt. So unstät sind Glück und Wellen. In der engen Straße zwischen dieser Insel und dem Festlande begegnete uns der Lloyddampfer, der aus Alexandrien kommt; eine gute Weile hinter ihm der der italienischen Gesellschaft, der doch zwei Stunden vor dem Lloydschiffe abgefahren war. Der Tag wird wärmer. Um 12 Uhr passiren wir das wilde felsige Eiland Venetico. Scharf gekantet und prächtig roth gefärbt, so wie sich unsere Phantasie südländische Klippen vorstellt, erscheint es uns. Dahinter liegt, nur durch schmales Wasser von ihm geschieden, das Cap Gallo, Akritas nannten es die Alten und die Insel davor Teganussa. Der messenische Golf, heute der von Koron, thut sich auf, breit und tief in’s Land geschnitten. Aber dem Taygetus und den Bergen, die sich gerade vor uns trennend zwischen dem messenischen und lakonischen Busen aufstellen, verhüllen dichte Wolken die Kuppen. Ich sehe diese berühmten Formen nicht. Was sie drohen, die Gewitter, verwirklicht sich bei dem Cap Matapan; es gießt, aber die See bleibt gefügig. Um 3 Uhr umschiffen wir das Vorgebirge, die südlichste Spitze von Europa, die mittlere von den dreien, in welche die Halbinsel Morea ausläuft. Zwei Golfe ruhen zwischen ihren Wällen; dem von Koron, d. i. dem messenischen, sind wir schon vorüber, der von Lakonien oder Marathonisi öffnet sich eben zu unserer Linken, aber unter Nebel und Regengüssen verborgen. Das dritte Vorgebirge, das maleische, Cap Malea, das einzige unter den dreien, das sich auch im heutigen Volksmunde noch den alten Namen erhalten hat, passiren wir um 6 Uhr und mit ihm die Grenze vom mittelländischen Meere in den Archipel. Man zieht diese von hier aus nach Cap Spada auf Kandia, so daß Cerigo, die letzte der sieben jonischen Inseln, noch außerhalb des Archipel im mittelländischen Meere liegt. Sie ist eben zu unserer Rechten mit steinigem Vorlande, das nach den gleichartigen Abstürzen der Festlandsküste hinübergreift. Wer sie nur von dieser Seite sieht, glaubt ihr nicht, daß 13.000 Menschen behaglich auf ihr leben und in ihrem Süden eine ordentliche Stadt besteht. Noch weniger begreift er, warum sie mit dem Schönsten, was die Welt je besessen, mit der Geburtsstätte Aphroditens geschmückt ward. Aus diesen Wellen stieg die Schaumgeborne und Cythere war ihr Lieblingssitz. Wenn es Sonne und Farbe so wie heute Morgens Venetico vergolden, mag dieser Einfall der Phantasie erklärlicher erscheinen. So wie es jetzt ist, wo Alles grau und nebelig einem Regentage in Ischl gleicht, kann die Tradition das Auge nicht überzeugen. Malea war das gefürchtetste Cap der Alten; Jeder sollte sein Testament machen, ehe er es umschiffte. Wir fahren sicher und so nahe daran vorbei, daß ich jeden Stein auf den kahlen Wänden und seine gänzliche Vegetationslosigkeit erkenne. Eine rothe Fahne sehe ich und den Fußsteig, den sich der allen Seefahrern des mittelländischen Meeres wohlbekannte Eremit zurecht gemacht hat. Seitdem ihm ein Lloyddampfer den Gruß mit einem überaus artigen Kanonenschusse erwidert hat, wagt er nicht mehr sich selbst zu zeigen. Braucht er Lebensmittel, so begehrt er sie von den Vorübersegelnden, die beilegen und sie ihm in einem Boote senden gegen seinen Segen, den er hoch von der Felsenklippe herab mit dem Kreuzeszeichen dem Schiffe und der Mannschaft gibt. Mich zieht es zu dem Manne hin, der die angeborene Bedürftigkeit unserer Natur durch die noch größere Sehnsucht nach Ruhe überwunden haben muß. Wir fahren auf aussichtslosem Meere; der Regen, der immer dichter wird, nöthigt mich in die Kajüte hinab. Eben 11 Uhr Nachts scheitert der Versuch eines Spazierganges. Ein jämmerlicher Anblick das Verdeck mit den hunderten obdachloser Menschen. Man hat drei große Segel als niedere Zelte darüber ausgespannt; darunter bergen sie sich, Albanesen, Montenegriner, Griechen, Türken, Neger, auf dem Mittel- Und Vorderdeck so dicht zusammengedrängt, daß dort jeder Durchgang versperrt ist. Schon den Tag über rührte mich die Sorgfalt der türkischen Männer für ihre Frauen und Kinder, und das unterschiedslos, ob es Sclavinnen oder die Herrin war, so daß mir erst später die einzelnen Standesunterschiede kenntlich wurden. Allen gemeinsam breiteten sie um den Glaspavillon, der wenigstens einigen Schirm bot, Teppiche und Kissen zu Lagerstätten aus, deckten die Weiber zu, kamen wieder, sprachen ihnen Muth und Trost ein, straften die Kinder, wenn diese mit ihren muntern Spielen die Passagiere des ersten Platzes zu geniren drohten. Die Kinder sind meine Freude, besonders ein Mädchen und ein Bube, der beim Laufen immer die weiten groß geblümten Cattunhosen verliert. Als der Guß gar zu arg wurde und sich auch die Kinder unter die Decken verkriechen mußten, sehen wir, wie sie ihre zarten feinen Gesichtchen fest an die Glasscheiben der Verdeckstrommel drücken, um hinab zu uns in den Damensalon zu schauen. Die Ordnung des Schiffes verbot es, sie herunter zu holen, so blieb unserer Theilnahme nichts, als ihnen Obst und Zuckerwerk hinauf zu senden. Mit Kußhänden, die sie uns zuwarfen, dankten sie, und dann statt zu essen boten sie die Geschenke zuerst den Frauen, den älteren Schwestern, den Müttern und Sclavinnen an. Diese haben den Tag über, so lang’ es ihnen das Wetter erlaubte, an dem Zusammenflicken alter Lumpen gearbeitet, Fetzen, die auch die sparsamste deutsche Hausfrau weggeworfen haben würde. Eine Negerin insbesondere war unerschöpflich in der Geduld um die Ausbesserung eines alten Schleiers zu Stande zu bringen. Alle hatten das Gesicht verhüllt. Schön scheint nur ein Mädchen von 14 bis 16 Jahren. Die Männer sind Officiere und gemeine Soldaten, aber auch diese unterschiedslos durcheinander gemischt. Das Alles dementirt in gar Manchem die Vorstellungen von türkischer Art, die ich mitbringe. An Bord des „Stadium“, 18. Mai. Um 5 Uhr weckte mich das Herablassen des Ankers. Er fiel in den Hafen von Syra. Durch die Luke neben meinem Bette sah ich Meer und Himmel noch immer grau und auf dem Verdecke hörte ich den Regen wie gestern trommeln. So schlief ich noch eine Stunde länger und fand später auf dem Verdecke dasselbe Wetter wieder. Schmutz und Lärm halfen ihm den Aufenthalt dort oben recht unbehaglich zu machen. Man lud Kohlen ein; dazwischen drängten sich die Verkäufer der Südfrüchte, um unsere Deckpassagiere zu verköstigen. Zu beiden Seiten des Dampfers lagen große Boote mit offenen Säcken voll von Nüssen, Mispeln, Kirschen, Citronen, gedörrten Feigen, Mandeln, Paradiesäpfeln und Artischocken; andere die mit Zwiebeln, Knoblauch, Salat und wieder andere die mit Fischen, frischen und geräucherten, beladen waren. Käufer und Verkäufer suchten sich um den größern Vortheil durch das lauteste Geschrei zu betrügen, die Meisten verstanden sich nur durch Geberden. Ich habe nirgends das Auge schneller fassen sehen was das Ohr nicht begreift, als bei diesen Griechen. Indeß die Männer handelten, lamentirten die Frauen, rangen sie das Wasser aus den getränkten Decken, um sie endlich doch wieder gegen den noch immer strömenden Regen auszuspannen. Nur die Kinder waren sorglos und gleichgiltig für das geschäftige Treiben um sie. Syra, eine ansehnliche Stadt, liegt auf den Abhängen der Felsenberge, die den Hafen ziemlich enge einschließen; die Häuser steil über einander und oben in eine Spitze zusammenlaufend, daß die ganze Stadt einem großen riesigen Thurme ähnlich sieht. Der Verkehr des Hafens ist ein reger; französische, griechische, russische und österreichische Dampfer bemerke ich darin, und zwei Lloydschiffe sind eben aus Smyrna und Athen angekommen, zwei andere rüsten sich zur Abreise dorthin. Das unserige nimmt eine Menge Passagiere auf; das ist aber auch Alles, was mir in den fünf Stunden unserer Rast auffällt. Im freien Meere sieht man sonst die schönen Formen berühmter Inseln, heute ist jede Aussicht durch den Regen verschlossen. Erst um 10 Uhr fährt das Schiff und wenige Minuten vor dem unserigen das, welches rechts hinüber, wo wir herkamen, nach dem Piräus steuert. Kaum ist jenes außer dem Hafen, so verrathen seine Schwankungen das, was auch unseren Passagieren bevorsteht. Ein starker Wind, der sich inzwischen erhoben, erregt die bis zum Morgen so ruhige See. Wir fahren nach dem Canale, der zwischen Tynos und Mykone aus dem Inselmeere des Archipel in das freiere ägäische führt, aber Regen und Nebel dunkeln so die Luft, daß wir selbst von diesen doch so nahen Küsten nichts sehen. Das Wetter wird gleich nach der Ausfahrt das schlechteste. Die See geht hoch, der Wind bläst stark und schon um 4 Uhr mißhandelt uns ein förmlicher Sturm. Beim Essen erscheinen außer dem Capitän und Arzte nur ich und ein junger Grieche, die Anderen liegen krank und in sich gezogen in ihren Cabinen, oder die, welche Linderung von der frischen Luft erwarten, oben auf dem Verdeck in Plaids und Mäntel gewickelt. Der Regen läßt nach, aber das Wüthen des Windes und der Wellen wächst von Stunde zu Stunde. Zuerst waren es regelmäßige, gleichgemessene Schwingungen, die das Schiff von hinten nach vorne emporhoben, als wolle es zu den Mastspitzen hinauf und dann von solcher Höhe wieder hinab sich auf den Meeresgrund versenken. Man konnte den Wellen entgegenkommen und ihnen mit der Erwartung gewissermaßen ausweichen. Jetzt aber ist auch dieser letzte Rest gezähmter Lebensart verloren gegangen und sinnlos wirft der Sturm das Schiff nach allen Seiten, bald rechts und schleudert uns in dieser schiefen Lage vorwärts, oder links und wir fliegen zurück in ein tiefes Wellenthal. Zerschellt die Gewalt des Wassers an dem Körper des Schiffes, dann schlägt es die Wände hinauf und kehrt mit salzigem Sturzbade das Verdeck ab; der Vordertheil desselben steht fortwährend unter Wasser. Seekrank, gepeinigt von der Angst und doch Alle lautlos liegen dort die hunderte von Männern, Frauen, Kindern aneinander und an den Boden geklammert. Es ist als ob die Größe des Elementes ihnen Schweigen aufzwänge. Und so wie gebannt ist das ganze Schiff. Eine einzige, schwankende Lampe brennt unheimlich unten in der großen Kajüte; alles Uebrige ist leer, still, wie ausgestorben, als treibe das Schiff schon eine jener gespenstigen Geistererscheinungen auf der tobenden See, womit die Phantasie der Seeleute ihr grausiges Element bevölkert hat. Lange stand ich hinten neben dem Steuerruder. In dem Auf- und Abtauchen in die Wogen, in dem Heulen des Windes, in dem Herumfliegen der Schaumballen schrumpfte mir der Dampfer, der mir gestern noch so stattlich erschienen war, zu einer Nußschale zusammen; klein, wie wenn ich ihn mit ein paar Schritten durchmessen könnte, däuchte er mir in dem Unmäßigen, das um ihn ist. Schon um 7 Uhr ist es vollkommen Nacht. Ich harre aus auf dem Verdecke. Das Unmögliche wird möglich, das Unwetter steigert sich noch, und scheint selbst da seine Grenzen noch nicht gefunden zu haben. Mir ist auch das nicht unangenehm. Etwas wie stolzes Selbstbewußtsein erhebt mich, daß der Mensch das Alles ertragen, daß der Geist, das Göttliche in ihm, diese Elemente bemeistern kann. Im Sturme, im wilden Drange der Gefahr, erkennt erst der Mensch seine Kräfte; die Windstille erschlafft, und der Soldat wie der Seemann handelt erst, wenn der Tod ihm vor den Augen steht. Und wie der Mensch, so die ganze Natur; ihre größten Thaten, die Alpen und die Wüsten, hat sie durch Revolutionen erzeugt; Gletscher und Helden wollen riesige Geburtswehen haben, zu Grunde geht dabei nur, was schon angefressen von der Fäulniß ist. Daher dann die sonderbare Erscheinung, daß oft körperlich starke und gesunde Menschen unter dem ersten Angriffe zusammenbrechen, während scheinbar gebrechliche und was man nervöse Naturen nennt, widerstehen und siegen. Die Einen haben in der Gewohnheit der Unthätigkeit den Willen und die Fähigkeit verloren, während die Anderen in der Aufregung ihres inneren Lebens den Geist, der endlich doch das Entscheidende ist, nicht blos erhalten sondern sogar gestärkt haben. Ein Element aber, das man liebt, wie ich das Meer liebe, kann einem nichts zu Leide thun. Die Natur ist nicht wie die Menschen, die unsere edelsten Gefühle mit Undank vergelten. An Bord des „Stadium“, 19. Mai. Trotz des höllischen Lärmens, denn die Balken und das Getäfel krachten um und über meinem Bette auf das jämmerlichste, muß ich gestern Abend bald und fest eingeschlafen sein, denn was die Nacht über geschehen, mußte ich mir heute Morgens auf dem Verdecke erzählen lassen. Erst um 9 Uhr war ich erwacht, und das nur, weil ich plötzlich das Stillestehen der Maschine fühlte. Ich vermuthete uns vor den Dardanellenschlössern, wo irgend eine gesetzliche Förmlichkeit den Capitän zum Beilegen zwinge; doch rief ich dem Diener und frug nach der Ursache. Es sei nichts, man sehe nach der Maschine. Oben aber fand ich, statt der nachbarlichen Küsten der Dardanellen, links unbegrenztes Meer, rechts, und das auch dort nur in weiter Ferne, niederes Festland und tief drinnen einen hohen, dunklen, einsam aufragenden Gebirgszug; vor uns eine Insel; die Luft kalt und farblos. Wo fuhren wir? War das schon die Propontis, dieses Eiland die steinerne Marmora? Man lachte meine Frage aus; die Fahrt eines ganzen Tages liege noch zwischen uns und jenen Zielen; das rechts sei allerdings Asien, aber die Stätte von Troja, und die Insel vor uns Tenedos. So haben uns der Sturm und die Wellen, die gegen uns waren, aufgehalten. Ihre Gewalt war gewachsen über das Widerwärtigste hinaus, was sie sonst nur im Winter vermögen, bis sie dem Dampfer das rechte Schaufelrad zertrümmerten. Die Maschine mühte sich danach vergebens ab. Sie mußte stille und das Schiff mit Hilfe der Segel so gestellt werden, daß das Rad nothdürftig ausgebessert werden konnte. Das Schiff lag auf seiner linken Seite und soll von den empfindlichsten Stößen gepeitscht worden sein. Alle waren wach, auf und quälten sich und die Officiere der Bemannung mit ihren Besorgnissen. Nur ich schlief. Auch jetzt noch kommen wir nur langsam vorwärts, die See ist noch immer gegen uns. Nach 10 Uhr sind wir bei Tenedos, links zeigt es sich mit nackten, niederen Bergen; Imbros daneben höher und mit Umrissen, wie ich sie dem Auge wohlgefälliger noch nicht gesehen, das Mächtige ist dem Zierlichen gepaart. Ob das dahinterliegende Samothrace ihnen beigemischt ist, kann ich nicht unterscheiden und von der unwissenden Umgebung auf dem Dampfer nicht erfahren. Auf der anderen Seite, also rechts wo das Festland, breitet sich die Ebene von Troja aus. So zeigt sich mir Asien gleich zuerst mit einem der denkwürdigsten seiner Felder. Grüne Grabhügel kennzeichnen unverkennbar die geweihte Stelle. Auch hier also Gräber, die die Wärter der Erinnerung sind. Alles um sie herum scheint verlassen, ausgestorben, keine andere Spur von Priamos’ Stadt, der ragenden Ilion und dem Kampfe der Götter und Menschen. Es ist diese Sprache der Gräber vielleicht noch niemals ganz verstanden worden. Das ganze Leben über sehen wir den Menschen mit der Wahl seiner Grabstätte beschäftigt, und nach seinem Tode wird es der erste Gedanke des Trostes für seine Hinterbliebenen, ihm ein schönes Denkmal zu errichten. Die anderen Geschöpfe kennen diesen Wunsch nicht; die Menschheit aber durchzieht er so weit sie lebt und bis in ihr höchstes Alterthum zurück. Ueberall findet sich, bei dem einen Volke nur deutlicher als bei dem anderen, der Glaube ausgesprochen, daß die Ruhe der Todten und der Genuß der Unsterblichkeit an die Erhaltung eines Grabes gebunden sei. Man hat diesen Wahn durch das Motiv der Eitelkeit erklären wollen, die sich über den Tod hinaus zu verewigen trachte; aber hat diese Erklärung die Menschheit nicht vielleicht zu strenge gerichtet, und widerspruchsvoll einen häßlichen Trieb einer Handlung unterschoben, die doch an und für sich nur schön und edel ist? Kann dieser Todtencultus nicht vielmehr ein instinctives Verstehen, das Ahnen einer Wahrheit sein, die noch verschlossen und vielfach bezweifelt doch die Grundlage unseres ganzen Wesens ausmacht? Solch’ ein Hügel, eine Säule, ein einfacher Stein, eine Inschrift wahren dem Menschen über Jahrtausende hinaus das Andenken bei seinen Nachfolgern; in ihrer Erinnerung lebt er wieder auf, lebt er geläutert fort. Immer reiner, immer makelloser werden dabei seine Züge, alle Schlacken fallen ab, daß zuletzt nur noch ein ideales Bild von ihm bleibt. Warum aber soll diese Unsterblichkeit, die ihm auf Erden wird, nicht auch in einer andern Welt möglich sein; warum für den geistigern Theil unseres Wesens, für die Seele, nicht das gelten, was unserem irdischen Andenken zu Theil wird; warum nicht vielleicht gerade dieses immer sich vervollkommnende Bild der Erinnerung der gleichzeitige Abdruck des inzwischen erlösten und verklärten Geistes sein? -- Jedenfalls muß es überraschen, daß je weiter man reist, man überall diesem selben Gräberglauben begegnet, und daß gerade die feinst gebildeten Völker des Alterthums, die Aegyptier und die Griechen, die Ruhe des Todten durch sein Begräbniß bedingt sein ließen. Auch daß die Kunst zu allen Zeiten neben der Gottesverehrung zuerst dem Todtencultus gedient hat, ist kein geringes Zeichen für dessen geistige Bedeutung. Diese Hügel waren dabei ihre erste entwickeltere Form. Das Muster dazu hatte die Natur gegeben. Ob lästig oder bewundert, mächtig werden die Berge der Phantasie des Menschen immer erschienen sein, und sie nachzuahmen, Hügel hinzustellen wo keine waren, immer als ein Werk gegolten haben, das groß und rühmlich war. Die Pyramiden, diese alten Räthsel, sind für mich nichts als mit anderem Materiale und mit größerer Kunstfertigkeit ausgeführt die Kinder dieses selben Gedankens. Mit den asiatischen Grabhügeln haben sie vielleicht ihre Heimath in dem ältern Indien gemein, und die Obelisken wieder sind nur ihre schwindsüchtigen Abkömmlinge. So sehr bin ich von der Allgemeinherrschaft dieser Kegelform überzeugt, daß ich geradezu die ganze Baukunst der Alten über sie construirt erklären möchte. Die beiden oben zusammenlaufenden Linien sind dem Auge das Wohlgefälligste, und, da das Nachahmen in der Natur des Menschen liegt, so wiederholte er diese Bildung mit mehr oder weniger Variationen, wo sie ihm nur immer möglich war. Die ägyptischen Tempelwände stehen nach Innen geneigt, die Kanten der Thüren und Fenster wachsen gegen oben zusammen und das Löwenthor zu Mykenä wie das am Schatzhause des Atreus sind oben enger als unten geöffnet. Aber mehr noch, auch die Säulen des Parthenon und des Theseustempels stehen nicht senkrecht auf ihren Basen, sondern leicht nach dem Centrum des Gebäudes zu geneigt. Der Grieche hatte im Auslande die Vorzüge eines eigentlich durch die Natur schon angedeuteten Gesetzes erkannt und wußte es in der Bauweise seiner eigenen Kunst zu verwerthen. Unsere Zeit freilich, die sich indessen auf dem Klimax aller Bildung glaubt, konnte den Entdeckern dieser Eigenthümlichkeit sogar ihr Vorhandensein bestreiten, weil sie nicht das Auge hat, die Gründe dafür zu begreifen. Kein Blick auf eine andere Stätte der Welt hat mich mehr bewegt, als der auf dieses Feld von Troja. Es ist nicht Gefallen an der Landschaft, denn die Luft ist kalt und farblos; es ist auch nicht jenes unbedachte Entzücken, das sich in Selbstvergessenheit verliert, denn mir bleiben hundert betrachtungsvolle Gedanken; es ist vielmehr etwas wie Staunen und Grauen, daß die Fabeln wahr gewesen und daß Meer und Land die Schicksale der Helden überdauert haben. Welche Thaten spielten auf diesem Boden! So ungeheuer und herrlich, daß die spätere Anwesenheit eines Xerxes, Alexander und Cäsar, die hier alle der ältern Erinnerung gehuldigt, gebetet und geopfert haben, vergessen werden kann. Es war die orientalische Frage, die auf diesem Flecke Europa und Asien zum ersten Male einander gegenüber stellte, und die dann jene späteren Eroberer fortgesetzt haben. Kein anderes Wort war prophetischer als das des Homer: Drüber sodann ein großes, bewunderungswürdiges Grabmal Häuften wir heiliges Heer der Danaer, fertig im Speerwurf, Am vorlaufenden Strande des breiten Hellespontos; Daß es fern sichtbar aus der Meerfluth wäre den Männern Allen, die jetzt mitleben und die sein werden in Zukunft. +Odyssee+ XXIV, 80. Und es bemerke wer hier vorüberfährt, wie richtig das Wort auch die Gegend zeichnet. Der +vorlaufende+ Strand des Hellespontos ist das sigäische Cap, und die Hügel sind fernhin +sichtbare+ auf die Meerfluth hinaus. Und so wie sie aufragen über Myrthen und Tamariskenholz, das um sie wuchert, prägen sie sich meinem Gedächtnisse ein. Daß sie die Natur nicht erschaffen, daß sie Menschenhände aufgeworfen haben, das muß auch das ungläubigste Auge begreifen. Zuerst, wenn man das troische Cap umschifft und beinahe auf seiner Höhe selbst, erscheint der des Peneleus; weiter im Lande drinnen der älteste und höchste, der des Aisyetes; der des Antilochus wieder näher dem Meere, und zwischen ihm und jenem mag ein kaum mehr merkbarer Erdaufwurf der des Hector sein. Die Hügel des Achilleus und des Patroklus sieht man, wenn das sigäische Cap umschifft ist, und dort innerhalb der Dardanellen auf dem Strande der Bucht, die sich gleich neben dem Cap einbeugt, auch den höheren des Ajax. Bei diesem und bei dem des Achilleus fand noch Strabo Tempel, in welchen die Ilier den Helden Todtenopfer darbrachten. Aus dem Tempel des Ajax soll erst Antonius das Standbild genommen haben, um der Cleopatra damit ein Geschenk zu machen, wenn nicht Schmeichelei auf Kosten des todten Feindes dieses Lob des regierenden Kaisers erfunden hat, denn derselbe Bericht erzählt, daß Augustus sich beeilt habe, nach der Gefangennehmung der Aegyptierin dieses Bild von Alexandrien nach seinem ursprünglichen Tempel zurückzusenden. Hinter diesen Gräbern und der Ebene, sie und das Meer beherrschend, erhebt sich der Ida. Langgestreckt von der Küste des ägäischen bis zu dem Meere von Marmora reichen seine Arme, und quellenströmend, wie ihn Homer genannt, rieseln ihm Bäche von allen Seiten hinab. Auch „vielgewunden“ finde ich ihn; wie über Stufen steigen seine Höhen zu der höchsten, dem Gargarus, hinauf. Dort haben Schnee und Eis ihr winterliches Nest aufgeschlagen und finstere Wolken kriechen empor, als wolle sich der Vater Zeus wieder einmal droben zu liebender Kurzweil verbergen, vielleicht aber auch um neue Blitze und neues Unwetter gegen uns zu schmieden. Den Geistern der Erschlagenen ähnlich, die den Kampf der Lebenden wiederholen, ringen die Spiegelungen der Wolken unten auf der weiten Ebene. Die Küste theilen drei Vorgebirge ab. Auf dem ersten, dem troischen Cap, stand einstens Antigonia Troas; später, als der große Macedonier nach dem Siege am Granikus hierher gekommen war, und das Dorf durch Weihegeschenke geehrt und zur Stadt erhoben hatte, Alexandria Troas; jetzt stehen nur mehr wenige elende Holzhütten darauf, die sich aber wieder mit stolzem Namen Eski Stambul, Alt-Constantinopel, ausgezeichnet haben. Vielleicht ist es dasselbe Gefühl, das auch gestürzte Familien mit dem Schein den Glanz der verlorenen Größe zu retten treibt, das diesen Selbstbetrug veranlaßt hat. Seit dem Sturze der ersten Stadt war dieser Boden, wie auch jener andere in Kleinasien, wo die Geburtsstätte unserer Religion ist, verurtheilt, nur Ruinen und Erinnerungen zu tragen. Es scheint, daß mit dem einen Werke der eine an die Kunst, der andere an den Glauben alle seine Zeugungskraft hingegeben hat. Das zweite Vorgebirge ist das achäische. Hinter ihm, aber tief im Lande, am Skamander, stand Ilion und die Burg des Priamus. Es deckt die Beschika Bay, wo die englischen und französischen Flotten den Befehl zu der neuen Argofahrt, dem letzten Krimkriege, erwarteten. So reichen sich über Jahrtausende weg die Ereignisse die Hände. Hoch und weit ins Meer vorspringend ist nur das dritte Vorgebirge, das sigäische. Seine Ufer fallen steil und weißkreidig ab. Aus dem ägäischen Meere treibt der Südwind und aus dem Hellespont der Nordwind die Wellen mit vollen Breitseiten dagegen. Der Tempel der Athene und die Stadt, welche einmal darauf lagen, waren schon zu Strabo’s Zeit zerstört. Auch eine Colonie der Athener, vielleicht eine der Pisistratiden, und der Dienst der Hekate müssen hier einmal heimisch gewesen sein. Eine Münze, die man jetzt eben hier gefunden, zeigt den Kopf der Hekate und auf der Rückseite den Halbmond dieser Göttin neben der Eule von Athen, und die Umschrift σιγε. Ich sehe heute auf dem Giebel des Caps eine türkische Ortschaft halb in Büschen verborgen, und neun Windmühlen, die der Nordwind in arbeitsamer Bewegung erhält. Gegenüber dem asiatischen Lande greift das europäische nicht weniger entschieden in die See hinaus. Es ist die Spitze des thracischen Chersones, das Cap Mastusia der Alten, Elles Cap der Heutigen. Mit dem sigäischen Vorgebirge sperrt es den Zugang zu neuen Meeren und zu anderen Reichen. Hier ist die Grenze, welche die europäischen Mächte selbst ihren Kriegsschiffen gesetzt haben. Von den weißen, abgewaschenen Uferwänden herab vertheidigen sie die neuen Dardanellenschlösser mit festen Mauern, Kanonen und türkischen Soldaten gerade den Einfahrenden entgegen. Unter diesem und dem sigäischen Cap bis zur Beschika Bay zurück hatte eine ganze Flotte von Handelsschiffen Schutz gesucht. Wir zählten ihrer neunzig. Die Segel waren eingezogen, so daß, als wir zwischen ihnen durchdampften, die Fahrt der in einem gefüllten Hafen glich. Der Nordwind wehrte ihnen immer noch das Einlaufen in die Dardanellen. Eben da uns dieses gelang, rannte an uns vorbei ein Schraubendampfer des Lloyd. Er ging schneller als unser Boot, der Wind, der mit ihm war, blähte ihm die Segel. Es war das Wochenschiff nach Smyrna. Gleich nach dem Eintritte in die Dardanellen verschließt das sigäische Cap den Rückblick auf das freie Meer; der Hellespont biegt tief nach Asien ein; das Feld von Troja bleibt sichtbar und zwar von dieser Seite aus mit seinem malerischsten Anblick. Der Ida zeigt sich in seiner Profilstellung weit entwickelt, wie um das ganze Bild zu umfassen; der Mittelgrund ist durch Hügelzüge, die vom Vorgebirge aus ins Flachland zurücklaufen, belebt, die Küste durch Gebäude und Bäume, die um die Mündung des Skamander stehen. Die Grabhügel sind erkennbar, der des Aisyetes insbesondere auch dann noch, wenn alle übrigen verschwunden sind und das Auge nur mehr den Ida unterscheidet. So bleibt dem Bilde immer noch sein Heiligenschein. Auf dem europäischen Ufer, dem sich unser Schiff näher hielt, folgen fünf Pfeiler einer Wasserleitung, Cypressen und Pinien darum; dann in einsamer Lage ein Bethaus und neben ihm das erste Minaret, das ich sehe. Aber umsonst ist ihr Bestreben, mir den Süden zu heucheln; die Kälte enttäuscht Alles und auch die Farben sind solche, daß die Landschaften mehr denen des Nordens als den geträumten des Südens gleichen. Obwohl sich das Auge in den letzten Tagen an größere Entfernungen gewöhnt hat, erscheinen ihm die Ufer des Hellespont noch immer weit genug auseinander. Breite Wellen treiben zwischen ihnen uns gerade entgegen; nach den gestrigen aber bleiben sie unempfunden. So dauert der ganze Tag fort, licht-, sonnen- und eigentlich auch poesielos. Keine anderen Eindrücke als Enttäuschungen; nur die alten Dardanellenschlösser überraschen. Sie sind romantisch schon durch ihre Formen. Das asiatische, das meiner Besichtigung näher kam, besteht aus alten grauen Thürmen, die Mohamed der Eroberer gebaut. Eine große, gelb angestrichene Caserne haben sie daneben gestellt, Batterien davor und in der Bucht, die sich tief einschneidet, ankerten zur besseren Vertheidigung türkische Kriegsschiffe, zwei Dampfer darunter. Das Land springt an keiner andern Stelle mehr als hier in den Hellespont vor, zuerst flach und eben von grünen Wiesen überzogen, wo es aber in die Fluth abfällt zu einem plötzlichen Hügel aufgewachsen. Ohne Zusammenhang mit den Bergketten des inneren Festlandes macht dieser Höcker den Eindruck, als sei er für sich allein aus dem Wasser aufgestiegen; und es hat ihn wohl auch erst eine spätere Eruption geschaffen, vielleicht im Zusammenhange mit den Goldlagern, welche einmal nahebei von den Abydenern betrieben worden sind. So hätte doch die Sage ein Theilchen der Wahrheit getroffen, wenn sie erzählt, daß dieser sonderbare Hügel von Menschenhänden aufgeworfen sei, um Schätze zu verbergen, und ihn deshalb Mal tepe, das Grab der Schätze, nennt. Unbegreiflich ist es mir übrigens, wie man diesen Hügel vor Augen, den Herodot und den Strabo in Händen, über die Lage der Brücke des Xerxes streiten kann. Wollte heute wieder ein Eroberer über den Hellespont von Asien nach Europa hinüber, er könnte zur Ueberschau des Heeres nur den Mal tepe und zur Auslegung des Brückenkopfes in Asien nur die Spitze dieses Vorgebirges, dort, wo es sich schon dem Marmora-Meere zuwendet, wählen. Abydos lag neben daran in der Bucht, die gegen den Propontos hinsieht, und Sestos ihm gegenüber, also östlich neben dem Brückenkopfe in Europa, dort, wo jetzt grüne Wälder das Ufer decken. Von dem Thurme, den die Leandersage verherrlicht und den Reisende dort gefunden haben wollen, sah ich aus dieser Entfernung nichts; aber Grillparzer’s gedachte ich mit dankbarem Herzen. Es gleicht die Fahrt auf dieser Stelle des Hellespont der auf den lieblichen Fluthen des Rheines, wo Sänger und Sagen sich verbunden haben, die Ufer mit ewig blühenden Kränzen zu schmücken. Auf der einen Seite die Liebesklage der Hero um den Geliebten, auf der andern Seite die des Xerxes über die Vergänglichkeit und die Nichtigkeit des menschlichen Lebens. Denn dort auf dem Mal tepe muß der Altan gewesen sein, den ihm die Baumeister aus weißen Steinen errichtet hatten, und von dort herab muß er das Land und das Meer voller Menschen und Schiffe gesehen, sich gefreut und dann geweint haben. Ich konnte nie, schon als Knabe nicht, da mir mein griechischer Meister den Herodot übersetzte, das darauf folgende Gespräch des Königs mit dem Artabanus ohne die tiefste Rührung lesen; heute, den Schauplatz vor Augen, erschüttert es mich bis zu Thränen. Es ist etwas wie von den Klagen, die hier ausgesprochen wurden, in der Luft geblieben, und das athmet mit ein, wer heute nach tausend Jahren hier Athem holt. Alexander der Große, die Hunnen, die Türken zweimal, unter Soleimann und unter Murad, gingen dem Xerxes nach auf derselben Straße über den Hellespont. Was auf Troja begann, wenigstens für unsere Geschichtskenntniß, die orientalische Frage ward an dieser Stelle fortgesetzt. Und wer darf sagen, daß es heute schon für diesen Boden sein Ende erreicht habe? Die Bestimmung einzelner Erdenflecke ist wie die der großen Männer, uns Heldenthaten zu liefern. Ein paar Stunden später passiren wir Gallipoli, die erste türkische Stadt, die ich sehe. Es sind niedrige Holzhäuser unter Bäumen versteckt und Minarete, die daraus hervorragen. Um halb 5 Uhr trat das Schiff in den Propontos hinaus. Glatt und ruhig, aber schwarzblau von dem Widerschein drohender Wolkenmassen lag er vor uns. Ein französischer Dampfer kam uns aus der Dämmerung, die im Osten schon nächtig war, entgegen; die Sonne ging hinter den thracischen Bergen in Farben unter, wie sie bei uns nur kalten Wintertagen eigenthümlich sind. Um halb 9 Uhr fuhren wir der Marmora-Insel vorbei. Ein großer gewaltiger Klotz zu unserer Rechten ist sie von regenhältigen Nebeln entstellt. Ankommen sollen wir erst morgen früh. An Bord des „Stadium“, 20. Mai, Morgens. Ich hatte den Auftrag gegeben, daß man mich bei Zeiten vor der Einfahrt in den Hafen wecke. Ueberflüssige Sorgfalt! Schlaflos, so wie uns in der Erwartung des fünften Actes eines Trauerspieles der Athem ausgeht, war mir die Nacht geworden; Stunde um Stunde erwachte ich. Lange sah ich nur schwarze Finsterniß, dann das matte Licht der Dämmerung, endlich die grauen Farben eines nebeligen Morgens. Das gleichmäßige Arbeiten der Maschine und Räder währte immer noch fort. Als man mich rief, hielten wir schon im Hafen. Aber welche Ueberraschung! Ein Sturz von bergehoher Hoffnung in bodenlose Enttäuschung, ein Fall, wie man ihn manchmal im Traume thut. Nicht im Bosporus, in der Themse mußte ich mich glauben. So dicht engten uns die Nebel ein, daß ich nicht einmal von den beiden Ufern des goldenen Hornes, zwischen denen ich uns nach der Karte wußte, viel weniger von dem asiatischen etwas sah. Und jetzt, wo sie sich endlich theilen und verziehen und auf den Hügeln zur Rechten Theile von Pera und Galata, auf denen zur Linken die Seraispitze und Stambul, vor uns die erste Hafenbrücke und hinter uns in weiterer Entfernung das asiatische Skutari sichtbar wird, ist Alles so sonnen- und glanzlos, so ganz ohne Licht und Farbe, daß das Gefühl der Unbefriedigung mit jeder schwindenden Wolke, mit jeder neuen Stunde wächst. Verstimmt sitze ich auf dem Verdecke und lasse die anderen Passagiere sich ausschiffen. Erstaunlich erscheint mir nur die große Zahl von Schiffen, welche im Hafen liegen und der lebendige Verkehr von Dampfern, der sich um uns regt. Zwei große sind zugleich mit uns angekommen, ein dritter ist in Bewegung nach dem schwarzen Meere abzugehen, und hundert andere ruhen an ihren Ankern. Dazwischen schieben sich eine Menge kleiner Hafendampfer durch, die nach und von allen Seiten, dem Marmora-Meere, Skutari, dem Bosporus etc. gehen und kommen; die, welche nahe genug an dem unserigen vorbeidampfen, sehe ich mit Menschen überfüllt. Sich und den Ruderbooten geben sie mit fortwährendem Pfeifen Warnungszeichen, um einen Zusammenstoß und das Ueberfahren zu verhüten. Das ist mir neu, denn so großartig habe ich den Verkehr in keinem andern Hafen gefunden. Das Geschrei der sich Ausschiffenden und die Aufdringlichkeit jüdischer Agenten, die mir ihre Führerschaft anboten, trieben mich in die Kajüte hinab. Nicht ohne Bedauern nehme ich Abschied von den vier engen Holzwänden. Wie genügsam unser Leben sein kann, begreift der Mensch erst, wenn ihn die Gewohnheit des Wenigen von dem Ueberflüssigen des Mehreren überzeugt hat. II. Erste Eindrücke. Constantinopel, den 20. Mai, Nachts. Geleitet von theuren Freunden betrat ich den türkischen Boden zum ersten Male bei Top-Hane, der Kanonengießerei. Ein großer Quai voll von alten und neuen Kanonen, dahinter die reizende, wie aus Zucker und Gold gebaute Moschee Mahmud’s, ein zierlicher Köschk des Sultans daneben, der hohe Uhrthurm in Rococoformen hart am Meere davor, auf der andern Seite des großen Platzes das niedrige gelb angestrichene Gebäude der Gießerei und neben ihr die schöne altersgraue Moschee des Pascha Kilidsch Ali sind das erste was mich umgibt. Durch das goldene Gitter an den präsentirenden Wachen vorüber treten wir dann in die sehr belebte Gasse von Top-Hane. Gleich zur Linken fällt mir ein Brunnen auf; viereckig, aus weißem Marmor, reich mit Vergoldungen, bunter Schrift und Porzellanziegeln geschmückt, gleicht er einem chinesischen Lusthause, wie wir sie von den bemalten Lackkästchen her kennen. Selbst das breit vorstehende Dach fehlt ihm nicht. Obsthändler, Pferdeknechte mit ihren Thieren sind darum versammelt und versuchen mit Geschrei und Scherzen uns ihre Waaren aufzunöthigen. Das Nächste, was meine Aufmerksamkeit fesselt, ist ein Hamal. So heißt hier zu Land der Packträger. Durch Amt und Stand unserem neugeschaffenen Dienstmanne ähnlich, gleicht er ihm aber nicht durch das Maß seiner Leistung; das ist mehr als bei uns ihrer drei vermögen. Zwei große Eisenbahnkoffer, darauf noch Nachtsäcke und Hutschachteln trug der, welchen ich zuerst bemerkte, über einen Lederpolster gebunden auf seinem Rücken die steilen Gassen vom Landungsplatze der Kaiks vor uns nach Pera hinauf. Das ist nicht so träge, als man in Europa dieses Volk schildert. Es scheint herkömmlich, daß die Fremden bei dem Uebergange von dem Aeußern in das Innere der Stadt Enttäuschungen und Vorwürfe äußern über den Schmutz und Verfall, der die Gassen füllt. Meine Freunde wenigstens suchten mich auf diesen Wechsel vorzubereiten und waren dann nicht wenig erstaunt, als sie mich dadurch nicht nur nicht verletzt, sondern eher erfreut sahen. Das Pflaster ist allerdings, wo es nicht durch den Erdboden ersetzt wird, eingesunken, die Lücken sind durch allerlei Unrath ausgefüllt; die Häuser zu beiden Seiten sind nur aus Holz gebaut, schmal und niedrig, aber die Balken sind bunt mit grauen, braunen, rothen und gelben Farben angestrichen; das untere Stockwerk steht ganz offen, daß man frei in die Kaffeestuben, Garküchen und Bäckereien den Leuten bei ihrem Handwerke zuschaut; das obere ragt breit in die Gasse vor, und dazwischen sind von einem Hause zum andern alte Teppiche, zerrissene Tücher gespannt, oder Rosen- und Traubengewinde gezogen, den Schatten und die Kühle darunter festzuhalten. Ab und zu bricht ein Sonnenstrahl durch diese Decke, der leuchtet dann im sonstigen Dunkel doppelt helle und spielt auf den buntfarbigen Kleidern der Weiber, Tscherkessen und Soldaten grelle Lichter. Schwer beladene Esel, Reiter auf schönen und auf geschundenen Pferden drängen sich zwischen den Fußgängern, manchmal in solchen Mengen, daß wir, trotz den Platz machenden Kawassen, gezwungen stehen bleiben mußten. Die wilden Hunde allein liegen regungslos und beinahe unberührt von dem Gedränge mitten darinnen; Jeder weicht ihnen aus, sucht sie zu schonen. Nur wenn der zufällige Huf eines Pferdes oder der böswillige Schlag einer Peitsche sie trifft, laufen sie heulend mit eingekniffenem Schwanze auf die Seite. Das ist anders lebendig, als es die Bilder unserer Gassen sind. Nichts von polizeilicher Ordnung, aber auch nichts von polizeilicher Langweiligkeit. Zum ersten Male wieder, seitdem mir Eisenbahnen das Reisen verleidet haben, gestehe ich zu, daß es außer unsern Bergen und Alpenthälern noch andere Dinge gebe, die seine Mühen verdienen. Die Welt ist weiter und schöner, als wir sie in unserer heimischen Enge glauben, und vielerlei Menschen wohnen unter ihrem Himmel. Oben in Pera und im Hause angelangt, stellte man mich vor das offene Fenster der Stube, in der ich nun für einige Wochen leben soll. Die Sonne war inzwischen aus den Wolken getreten, der Himmel rein geworden und so mußte mich, was ich sah, gerade ob der Enttäuschung des frühen Morgens, mit gesteigertem Entzücken erfüllen. Ein weites, glänzendes Bild liegt vor mir, und ist mein in jedem Augenblicke, da ich danach begehre. Unmittelbar vor mir und rechts und links hinab bedecken die bunten Häuser Pera’s und Galata’s die Hügel; Baumkronen rauschen ab und zu wie aufschäumender Wogenschwall daraus empor. Unten, wo sich im Wasser die Häuser baden, mündet das goldene Horn in den Bosporus. Dampfer und Segelschiffe liegen dort in großen Flotten. Auf dem andern Ufer des Busens, mir gerade gegenüber, steht die eigentliche Türkenstadt, Stambul, mit Kuppeln und Thürmen, auch wieder Hügel hinauf, die äußerste Spitze mit den Köschken und Gärten des Serai’s geschmückt. Groß wie eine Stadt ist dieses Sultansschloß und wirklich auch von seinen eigenen Mauern und Thürmen umzäunt. Bäume und Blumen sind ihm über den Kopf gewachsen, als sei ihnen von einem Zauber geboten worden, den geheimnißvollen Ort zu verstecken und zu bewahren. An seinen Ufern vorbei braust der Bosporus ins Marmora-Meer. Der Seraispitze gegenüber, zu meiner Linken also, auf anderer Küste liegt Asien und eine dritte Stadt, das alttürkische Scutari. Dort stehen bei den bethürmten Mauern einer großen Caserne ein paar Pinien so wirkungsvoll im Bilde, als habe sie eine künstlerische Hand absichtlich dahin gestellt. Ihre überhängenden Kronen winken mir Grüße zu; ich verstehe, sie locken nach dem heiligen Welttheile. Zwischen Scutari und der Seraispitze durch erscheinen in der weiten Ferne des ruhigen Meeres die malerischen Felsen der Prinzen-Inseln, hinter ihnen die ebenen Linien der nikomedischen und bithinischen Berge und sie alle überragend die schneeige Kuppe des asiatischen Olympes. Das fortwährende Pfeifen der Dampfschiffe, das Schreien der Verkäufer und Bellen der Hunde dringt bis herauf zu meinem einsam hohen Fenster, mich überzeugend, daß das Geschaute wirklich und nicht traumhaft sei, wie ich mir wohl einen Augenblick lang die Herrlichkeit erklären wollte. Man berieth indeß mich noch reichlicher für die Enttäuschung der Einfahrt zu entschädigen. Ein schneller Entschluß entschied, sie mich noch einmal sehen zu machen. Bei Top-Hane setzten wir uns zu je zweien in die leichtgebauten und schnellrudrigen Kaicks. Zwischen den Dampfern durch trugen sie uns aus dem ruhigen Wasser des Hafens in die bei der Seraispitze immer bewegte Strömung des Bosporus. Auf und nieder über die breiten Rücken der runden Wellen glitt ich und sah die andern Boote gleiten, so hurtig und so leicht, als schwebe der Kiel eben nur über dem Wasser. Keine angenehmere Fahrt als die im Kaick auf bewegter See. Weil das Boot so leicht und seine Wände so dünn sind, glaubt man sich unmittelbar im Wasser selbst, seine Kühle zu fühlen, ohne doch die Mühe des Schwimmens zu haben. Und weil die Schnelligkeit des Schiffes über den Widerstand des Elementes täuscht, gefällt man sich in der Einbildung, seine Unzuverlässigkeit zu beherrschen. Uebrigens prägt die Lage der Fahrenden dieses Gefühl aus. Man sitzt nicht im Kaick, man ruht ausgestreckt auf Teppichen und niederen Kissen darin; die Fährleute sitzen, den Rücken nach der Richtung der Fahrt gekehrt, ein, zwei, drei und auch mehr hinter einander, je nach dem Range und Vermögen des Eigenthümers. In jeder Hand halten sie eines der fein und glatt geschnitzten Ruder. Schon ist es so warm, daß sie nichts als ein leichtes auf der Brust offenes Hemd aus Brussastoff und weite Pumphosen aus weißer Leinwand tragen; die Beine bis zum Knie und die Arme nackt. Wir mußten uns gegen die Sonnenstrahlen mit weißen Schirmen decken. Zu beiden Seiten des Bootes trieben Delphine ihr munteres Spiel; kleine und große schlugen so gewaltige Purzelbäume, daß sie für Augenblicke ganz außer Wasser sich am hellen Sonnenscheine wärmten. Wenn wir sie dann überholten, fielen sie in die Kühle ihres angestammten Elementes zurück, um nach einer Weile wieder weit vor uns aufzutauchen, als wollten sie das Standesgefühl unserer Kaickgis zum Wettkampfe herausfordern. Niemand stellt im Bosporus diesen Thieren nach, und so leben sie hier wie vor tausend Jahren in unzählbaren Schaaren. Eine halbe Stunde mochte die Fahrt gewährt haben, als wir an seichtem Ufer anlegten. Es war asiatischer Boden; aber ich vergaß es in der Bewunderung über den Burschen, der dienstfertig mit einem Widerhaken das Boot an der Landungsstelle festhielt. Das Bild eines Benjamin, wie ihn sich keine Phantasie theilnahmswerther vorstellen kann. Helle blaue Augen voll Treue und Gutherzigkeit; ein edles Oval um Farben von zartem Weiß und Wangen von gesunder Röthe gezogen; auf der Lippe und dem Kinn der blonde weiche Flaum des Jünglings, der eben aufgehört Knabe zu sein; den Kopf in einen weißen Turban, den Oberleib in eine bunte Jacke und die Schenkel in weite faltige Hosen aus blauem Zwillich gehüllt; Waden und Füße nackt, so war dieser Jüngling. Alles an ihm, bis auf den persischen Shawl, den er breit und dick um die Hüften gewunden trug, ärmlich und abgenutzt, aber in seiner Haltung und in seinem Ausdrucke ein Anstand und ein Edelmuth, wie in einem zum Könige geborenen Fürstenkinde. Gemein mag beschränkter Geld- oder Wissenshochmuth einen solchen Menschen schelten, weil ihn das Herkommen an niedrigen Beschäftigungen festhält; der unbefangene Forscher wird dort, wo die Natur so sichtbare Auszeichnungen ausgestreut hat, auch eine ausgezeichnete Seele finden. Und wenn das Sclavenkleid den Fürsten, den das Unglück vom Throne gestoßen hat, nicht entadeln kann, warum soll es das über einen andern Unglücklichen vermögen, dessen Leib zwar im Elende und in Lumpen schon geboren, dessen Seele aber von Gott noch vor der Geburtsstunde gekrönt worden ist? Daß man den also verborgenen Keim nicht hervorheben, nicht erheben und retten kann, das ist mit eine der betrübenden Gesetzmäßigkeiten dieser Welt, an deren Unabänderlichkeit so oft unsere wohlwollendsten Wünsche scheitern. Und doch, vielleicht hat auch das der Schöpfer zum Besten gemeint und eingerichtet. In der Beschränkung seiner gemeinen Arbeit und seines kargen Erwerbes sind dem Armen die Grenzen der Zufriedenheit gesichert, und der Geist bleibt ihm edel auch ohne den Aufputz des Reichthums und der Gelehrsamkeit. Unter hochragenden Cypressen und breiten Platanen führte man mich dem Ufer entlang. Die Fluth hatte weiße Muscheln darauf gespült. Auf der äußersten Spitze der Landzunge ließen wir uns nieder; die Stelle ist darnach, Hütten darauf zu bauen. Blau und glatt lag das Meer vor und um uns, nur wo eine leichte Brise seine Fläche streichelte, zogen silberne Streifen darüber. Links begrenzen es die Küsten des nikomedischen Golfes, rechts die Gärten des Serai’s und die Hügel von Stambul. Aus seinem Schooße vor uns tauchen die Prinzen-Inseln auf, kleine weit auseinandergestreute kahle Felsen und größere näher zusammengeschobene Berge; das Grün von Oliven- und Pinienwäldern und die blinkenden Mauern kleiner Ortschaften bedecken diese. Alle in den schönsten Formen, die Felsen wild und zerbrochen, die Berge zart und ebenmäßig geschnitten und Farben darauf vom sonnigsten Roth bis zum schattigsten Blau. Friede und Heiterkeit waren auf der See, so fühlbar wie sie nur die Luft des Südens ausathmet. Jede Stimmung der Natur theilt sich dem ihr so innig verbundenen Geiste mit. Mir wurde ruhig und zufrieden, wie ich mich lange nicht mehr gefühlt hatte. Ausgeglichen waren alle Wünsche und die Leidenschaften ebbten; dem Gemüthe blieb nichts als das Genießen eines seligen Augenblicks. Wenn die Anmuth, der Frohsinn und die Heiterkeit wirklich einmal als die besonderen Reize der Aphrodite geglaubt wurden, dann mußten dieser Göttin die dankbaren Menschen diesen Ort, den sie so vorzüglich mit ihren Gaben geschmückt hat, zu besonderer Verehrung weihen. Und in der That auf Akritos, wie die Alten dieses Vorgebirge nannten, stand ein Tempel und ein Altar der Aphrodite, vielleicht auf derselben Stelle, wo heute die Ruinen des türkischen Bethauses stehen. Ich sehe ihn noch, wenn ich das Gedächtniß nur etwas anstrenge, den kleinen mäßigen Bau mit der gastlichen Vorhalle, durch Säulen zugleich geöffnet und geschlossen und drinnen in der Cella ein liebliches Marmorbild der holdlächelnden Cypris, das Haar über der niederen Stirn gewellt und am Genicke in einen Knoten geflochten, und Priesterinnen, die in weißen Gewändern den heiligen Dienst verrichten und im heiligen Haine auf und nieder wandeln. Nirgends hat der Mensch durch Namen oder Denkmäler eine Gegend passender gekennzeichnet, als da er hierher der meergebornen Göttin ein Haus stellte. Die spätere Zeit zerstörte es, aber die Schönheit und die Weihe blieben dem Orte. Fener Bagdsche (Garten des Leuchtthurms) heißt er heute, und immer noch brennt eine heilige Flamme dort. Ein Türke brachte uns Orangen und in kleinen Schalen schwarzen Kaffee. Andere lagerten in der Nähe gleich uns auf dem grünen Boden unter den alten Bäumen, den kühlen Schatten über, das sonnige Meer vor sich. An ihnen und an uns vorbei zog ein Trupp sonderbarer Musikanten. Sie bliesen aus kurzen Flöten einen scharfen Pfiff und strichen kleine Geigen, die sie senkrecht vor die Brust hielten. Melodie und Zusammenhang war keiner in den Tönen, aber sie klangen sonderbar und stimmten in den Frieden des Ortes. Das übten sie zu ihrem eigenen Vergnügen, zur Feier ihres Sonntages, der den Türken auf den Leidenstag unseres Kalenders, den Freitag, fällt. Für die Musik eine Belohnung anzubieten, würde als eine Beleidigung zurückgewiesen worden sein. Die Menschen und ihre Belustigungen erschienen so harmlos gegen das scharfe Gewürz unserer sonntäglichen Vergnügungen, daß mich das mehr als alles Uebrige in eine andere Welt versetzte. Ich ließ mir dann die Namen der Berge und Ufer, die um uns waren, nennen, und theilte ihnen ihre früheren Bezeichnungen und Sagen zu. Das ist in jeder mir neuen Gegend mein Erstes. Es ist wie mit den Menschen, die wir uns erst bekannt glauben, wenn wir ihre Namen und Geschichten gehört haben. Mit dem Opernglase suchte ich das Entferntere zu finden, so auch die Grenzen der türkischen Hauptstadt. Erstaunt folgte ich ihren Mauern, die in sichelförmiger Ausbuchtung um das Marmora-Meer gebaut sind bis in eine Weite, daß sie im Dunste der Sonne verschwanden. „Ist das noch immer Constantinopel, und das bei jener Kuppel, bei jenem Thurme auch noch? Aber wo ist denn sein Ende?“ Erst als die Sonne tiefer gesunken und die Luft durchsichtiger geworden war, fand ich es bei dem Schlosse der sieben Thürme, aber so undeutlich, daß ich mehr nur von der Beschreibung meiner Freunde als von dem selbst Gesehenen berichten kann. Noch weiter auf dem Halbmonde der europäischen Küste bezeichnet ein hoher Schornstein die Lage von Barut-Hane, der Pulverstampfe, und ein Leuchtthurm die von St. Stefano, einem betriebsamen Fabriksorte mit Landhäusern der Griechen und Armenier. Stunde um Stunde war so im Schauen und Genießen vergangen; der Abend drängte zur Rückkehr. Näher dem asiatischen Ufer hielt sich dieses Mal die Fahrt; dort öffnet sich zuerst der Busen von Moda, ziemlich enge, aber tief ins Land geschnitten. Fener Burun und Moda Burun schließen ihn; Burun bedeutet so viel als Nase, Vorgebirge. In alten Tagen war darin der Hafen des Eutropius, und auf Moda Burun, wo heute das ländliche Kadi-Köi (Richterdorf) steht, das glänzende Chalcedon, die Stadt der Blinden, wie das Orakel ihre Gründer schalt, weil sie nicht die Vortheile der Lage des gegenüber liegenden goldenen Hornes gesehen hatten. Die Mauern von Chalcedon sind verschwunden, um den Namen aber hat die Geschichte das Immergrün großer Kriegs- und Leidensthaten geschlungen. Eine der rührendsten, ein wahres Denkmal des Unglücks und der Grausamkeit, das Ende des Kaisers Mauricius durch den Usurpator Phokas, hat dort in dem Hafen gespielt. Sie ist wenig gekannt, und verdient es mehr als manche, die der Volksmund verewigt. Am 14. August 582 war Kaiser Mauricius seinem Schwiegervater, dem wohlwollenden Kaiser Tiberius II., in der Herrschaft über das römische Reich gefolgt. Mauricius war der dritte Regent seit dem Tode des berühmten Justinian. Er war edel denkend, besorgt die Lasten seines Volkes zu erleichtern und das Ueberkommene durch Reformen zu bessern, sparsam in seinem Haushalte, liebevoll für seine Kinder, als Herrscher und als Mensch der Ludwig XVI. der byzantinischen Geschichte; aber leider auch wie dieser zu schwach und wankelmüthig, und sein Volk und seine Zeit verdorben und verkommen wie das französische und das achtzehnte Jahrhundert. Sein Robespierre, der Empörer Phokas, rückte im Jahre 602 gegen Constantinopel; der unzufriedene Pöbel der ungeheuren Stadt öffnete dem gemeinen Soldaten die Thore und half ihm sich auf-, den Mauricius vom Throne abzusetzen. Es waren nicht wie sonst in der byzantinischen Geschichte die aristokratischen Parteien der Rennbahn die das thaten, es war der Demos, das rothe Gespenst, das auch damals schon die sogenannten Gutgesinnten wohl erschrecken, aber nicht zu thatvoller Abwehr ermuthigen konnte. Mauricius, von Allen verlassen, floh aus seinem Palaste in einem Kahne nach einem Kloster auf der asiatischen Küste. Er hätte weiter fliehen können, die Zeit fehlte ihm nicht, aber Krankheit hielt ihn und der Wahn, durch seine Abdankung alle Parteien und auch den neuen Herrscher versöhnt zu haben. Der aber ließ ihn vom heiligen Asyle, aus der Kirche und vom Altare wegreißen und seine fünf Söhne vor ihm, ihn zuletzt hinrichten. Der unglückliche Vater hatte nur Anerkennung für die Weisheit der göttlichen Gerechtigkeit und bei dem letzten Streiche, als die Amme dem Henker ihr eigenes Kind statt des jüngsten Prinzen unterschieben wollte, die Selbstverleugnung, den Betrug zu entdecken; für seine Schuld sollte kein unschuldiges Blut fließen. Seine Frau, die Kaiserin Constantia, mußte ihn mit ihren drei Töchtern überleben, um später mit diesen auf derselben Stelle, den Marmorstufen des eutropischen Hafens, hingerichtet zu werden. Früher noch war der älteste Sohn, der Prinz Theodosius, der zu den Persern wollte, in Nicäa erwischt und enthauptet worden. Nur die Schwester des Kaisers blieb am Leben, um der unglücklichen Familie das Grab in dem Kloster des heil. Mamas, das im Hintergrunde des goldenen Hornes auf dem immer heiligen Boden des heutigen Ejub stand, zu errichten. Kadi-Köi war immer ein Ort der Unglücklichen und Verbannten. Heute lebt in Abgeschiedenheit und freiwilliger Aermlichkeit der ehemalige Kriegsminister Riza Pascha dort, der bei dem Tode des letzten Sultans nichts Geringeres als die Thronfolge zu ändern und sich selbst zum Nachfolger des allgewaltigen Reschid Pascha einzusetzen beabsichtigte. Mit den Franzosen, die überall die Freunde solcher abenteuerlichen Pläne sind und in diesem Falle vielleicht auch hofften, durch den ihnen ganz ergebenen Mann an die Stelle des überaus mächtigen englischen Einflusses zu kommen, hatte er noch vor dem Tode des letzten Sultans verabredet, den ältesten Sohn desselben statt des Bruders, wie es die gesetzliche Thronfolgeordnung will, auf den Thron zu erheben. Das Heer war in seinen Händen und alles zur Ausführung des Planes vorbereitet, aber die Energie und Entschlossenheit des Großveziers und Aali Pascha’s gegen ihn. Kaum war Abdul Medschid todt und die Augen ihm geschlossen, so kehrte sich Aali Pascha, der den Verräther unter den Ministern wußte, zu ihnen mit dem Rufe: „Nun gehen wir dem neuen Sultan zu huldigen!“ Und durch die Gärten von Dolma Bagdsche führte er sie zu dem Hause Abdul Azis’. Die Thüre war verschlossen, so daß sie heftig daran pochen mußten. Statt ihrer öffnete sich oben ein Fenster, an dem die Mutter des Thronfolgers erschien. Auch sie wußte von der Gefahr. „Keinen von Euch lasse ich ein,“ rief die muthvolle Frau, „so lange ich den Verräther unter Euch sehe!“ Erst als Aali Pascha neuerdings im Namen des neuen Sultans den Einlaß begehrte, ließ man sie vor diesen. Schon mit allen Kleidern der neuen Würde angethan, fanden sie ihn, und auf der Stelle leisteten sie alle ihm den Eid der Treue und des Gehorsams, der Großvezier voraus und der Kriegsminister mit den Anderen. Riza hatte gesehen, daß der große Platz zwischen dem ersten Thore von Dolma Bagdsche und dem neuen Privattheater des Sultans, wo seine Soldaten stehen sollten, frei und menschenleer war, und hatte gehört, wie der Kapudan Pascha dem Großvezier sagte, daß die Linienschiffe, welche auf dem Bosporus hart an dem Ufer lagen, den Befehl hätten, ihre Breitseiten loszufeuern auf den ersten Soldaten, der sich auf jenem Platze zeigen würde. Den Ministern voran ging dann Abdul Azis über eben jenen Platz nach dem Schlosse von Dolma Bagdsche und von dort in der großen Staatsbarke hinüber nach dem Serai und der Pforte, wo seine Installation stattfand. Aengstlich und vorsorglich folgte ihm die Mutter, unerkannt in einem kleinen bescheidenen Kaik und dann in einer Tragbahre. Er und seine Minister zeigten so viel Wille und so viel Kraft des Handelns, daß den Verschwörern nach dem Fehlschlagen ihrer ersten Bemühungen der Muth zu neuen verloren ging. Riza Pascha wurde verhaftet, und ein großer Theil des Harems, der mit in den Plan verwickelt war, zur Nachtzeit aus dem Serai nach einem der kaiserlichen Paläste tief im Busen des goldenen Horns in sicheren Gewahrsam gebracht. Der Proceß, welcher dem ehemaligen Kriegsminister gemacht wurde, war in vollem Gange, als die vielen gravirenden Scandale, welche er zu Tage förderte, den französischen Botschafter zu dem demüthigenden Schritte bestimmten, den Sultan im Namen des Kaisers Napoleon um dessen Niederschlagung und um die Begnadigung des Schuldigen zu bitten. Mit ächt orientalischer Großmuth gewährte Abdul Azis beides, auch Vergessenheit für die großen Geldsummen, welche der französische Drogmann angenommen hatte. Riza Pascha wanderte zuerst in’s Exil nach einer der Inseln des Archipels, dann ward er begnadigt auf Kadi-Köi im fortwährenden Anblicke Constantinopels, das er hatte beherrschen wollen, zu leben. Das thut er in schlechten Kleidern und in einem elenden Hause, weil ihm ein Gefühl, das gewiß das richtige ist, eine andere Lebensweise unverträglich mit seinem gedemüthigten Zustande erscheinen läßt. Kadi-Köi zeigt von all’ diesen traurigen Erinnerungen nichts in seinem äußeren Anblicke; es ist freundlich mit Gärten und Landhäusern und stattlichen Gasthöfen geschmückt. Gleich bei dem Orte biegt sich eine neue Bucht ein. Ihren Hintergrund füllt die weite Ebene von Haider Pascha und der ungeheure Cypressen-Friedhof von Skutari. Ihr anderes Ende springt hoch und zerklüftet wieder in das Meer heraus. Einige Bäume stehen darauf, der Obelisk, welcher den in der Krim verwundeten und in Constantinopel gestorbenen Soldaten der Engländer und Franzosen errichtet worden ist, dahinter die großen Mauern der Caserne Selims und in ihrem Hofe die Pinien, die so freundlich zu meinem Fenster winken. Die alten Megarenser weihten das Vorgebirge mit einem Tempel der Hera und nannten es Heraeon. Erhaben wie das Diadem auf dem Junoischen Haupte muß der Bau von seiner hohen Stelle in das weite Meer gesehen haben. Es beweist zugleich die Liebe zu dem feuchten Elemente und das Gefühl für die Schönheit der Natur, daß die Griechen nahe der See alle diese weitausblickenden Punkte mit Heiligthümern auszeichneten. Justinian setzte statt dessen einen Sommerpalast dahin. Mit senkrechten Wänden verlängert sich die Küste bis zu einem dritten Vorgebirge, das, wo die in eine Kuh verwandelte Io auf der Flucht vor der eifersüchtigen Juno gelandet haben soll; daher der Name Bosporus, Ochsenfurt. Ein weißer Thurm steht weit im Meere auf einer Klippe davor. Die Franken knüpfen irriger Weise die Leandersage daran; aber auch das Märchen, welches die Türken dort spielen lassen, hat die Liebe zu seiner Seele. Der Ort ist romantisch und malerisch genug, daß ihm die Phantasie nichts Anderes anheften kann; Möven und fortwährend empörte Wellen umschwärmen und hüten ihn. Der kleinen Bosporus-Dampfer wurden nun so viele, daß wir für sie allein die Augen aufhalten mußten, um eine unberufene Taufe zu verhindern. In den Abendstunden ist der Verkehr am regsten. Von der Stadt und von den Geschäften will dann Alles nach Hause und aufs Land. Das war der erste Tag in Constantinopel und Abends hörte ich den ersten Ruf des Muezzin. Nun, da die Nacht da ist, soll ich schlafen, aber was träumen, da ja schon der ganze Tag ein Traum aus Tausend und einer Nacht war? Constantinopel, den 21. Mai. Die Neugierde wie die Liebe folgen regellosen Trieben. Ohne Grund und Ursache heften sie ihre Neigungen an irgend einen Gegenstand, und bleiben ihm treu bis zum Augenblicke des Besitzes. So werden die meisten Menschen in ihrer Kindheit das Gelüste nach irgend einer Merkwürdigkeit empfunden haben, die sie unersättlich durch alles Uebrige das ganze Leben hindurch zu sehen begehren. Es ist das nicht immer das Größte, Schönste und Bedeutendste, oft nur eine kleine Statue, ein bescheidenes Bild oder ein einziges Haus, aber das Verlangen danach führt uns zu dem Größeren und Bedeutenderen, nach einem neuen Lande, zu einer glänzenden Stadt. So ist es mir mit dem Hippodrom des alten Constantinopel gewesen und mit der Reise nach dem Oriente geworden. Ich weiß nicht, warum ich gerade nach dem constantinopolitanischen Circus so sehr begehrte. In der Geschichte, wie sie gewöhnlich deutschen Kindern tradirt wird, spielen die Byzantiner nur eine geringe Rolle, und ein Aufsatz im Raumer’schen Taschenbuche des Jahres 1830, den ich als Knabe gelesen, schildert die Parteikämpfe der Rennbahn nicht mit solcher Lebhaftigkeit, daß er mir diese Begierde geweckt haben könnte. Ich erbat mir, daß die erste unserer Wanderungen nach dem At-Meidan gehe, „Pferdeplatz“ zu deutsch, so heißt heute noch die Stätte. Die Fluthen einer Völkerwanderung konnten das Andenken an die Ereignisse, die darauf gespielt, nicht davon wegspülen. Man wählte einen Umweg, um mir vor dem Ziele noch einen Theil Pera’s und Stambuls zu zeigen. Durch den Garten der französischen Botschaft, an dem großartigen Palaste der englischen und der bescheidenen Behausung des preußischen Gesandten vorüber, ritten wir nach dem sogenannten kleinen Campo; das ist ein Friedhof, welchen die darum sich ansammelnde Bevölkerung allmälig mitten in die Stadt gestellt hat. Daß er einmal davor gelegen, beweisen die Mauern Galata’s, welche aus alter Genueser Zeit erhalten an seiner linken Seite zum Meere hinablaufen. Kassim-Pascha, die Stadt auf der andern, der rechten Seite, ist dann erst später, nachdem das dazwischen liegende Feld schon lange dem ehrwürdigen Zwecke gedient hatte, daran gebaut worden; denn daß die Byzantiner hier schon ihre Todten begruben, sieht man bei jedem Grabe, das jetzt einem Türken hier gegraben wird. Gemauerte Grüfte, Gerippe und Münzen werden da gefunden und auf letzteren die Bildnisse byzantinischer Kaiser, die wenigstens annäherungsweise den Zeitpunkt des Begräbnisses feststellen. Ueberrascht von dem Bilde, das sich oben an dem Saume dieses Friedhofes, da man aus den Häusern Pera’s heraustritt, darbietet, hielt ich das Pferd eine Weile an. Gerade nach der zwängenden Enge der Gassen genießt man die Weite, die sich dort ausbreitet, mit doppeltem Vergnügen. Der Friedhof ist durch die Landessitte, die das Leben aus den Gräbern zieht, ein großer Cypressenwald; hohe, dicke, runzelige Stämme von so ehrwürdigem Aussehen, als seien sie schon den ältesten Gräbern zu Denkmälern gesetzt worden, stehen die Berglehne bis zum Arsenale hinab. Das ist auf dieses Ufer des goldenen Hornes gebaut. Der Golf liegt unten und große Linienschiffe schwammen darauf. Auf dem jenseitigen Ufer steigen wieder Höhen empor; gedrängt wie die Köpfe einer Volksmenge die Holzhäuser Stambuls darauf. Kuppeln und Minarete dazwischen, die größeren der drei kaiserlichen Moscheen Selims, Mohammeds und Suleimans wie herrschende Kronen und Scepter zu oberst. Weil Thäler die einzelnen Hügel trennen, sind die Bogen einer Wasserleitung über das ganze Stambul gespannt, als solle eine Brücke Anfang und Ende der ungeheuren Stadt verbinden. Der blaue Himmel blickt vom Marmora-Meere her durch die kühnen Schwingungen dieses luftigen Baues. Der Kaiser Hadrian hat ihn begonnen. Er kann dem alltäglichen Bedürfnisse damit nicht nützlicher gewesen sein, als der Verschönerung der Gegend. Man sieht vom kleinen Campo aus übrigens nur den mittleren Theil von Stambul; die Seraispitze und die Grenze gegen das innere Land zu findet das Auge nicht. Steile, schlecht gebahnte Wege führen zur zweiten Hafenbrücke hinab. Der ganze Verkehr bewegt sich durch den Friedhof hinauf und hinunter. Andere Reiter, Soldaten und ganze Karavanen von Lastpferden kamen uns entgegen. Die Brücke ist wie auch die erste aus Pontons zusammengefahren. Sie scheint gesünder, als das Brücken bei uns gewöhnlich sind, oder die hiesige Polizei weniger hofmeisternd als die unserige zu sein. Wir ritten und Kanonen fuhren im Trabe darüber. So eigenthümlich mir in Pera und Galata schon Alles erschienen war, in Stambul fand ich noch mehr zu staunen. Die Stein- und Ziegelhäuser, wie die fränkisch gekleideten Menschen verschwinden dort gänzlich. Die Häuser sind ausnahmslos hölzerne, meistens malerisch nach irgend einer Seite geneigt. Polizeiliche Regeln scheinen sie bei diesen Neigungen nicht zu befolgen, eher etwas anarchisch ihrem eigenen Willen nachzuhängen. So viel Freiheit in dem Vaterlande der Sclaverei muß überraschen. Die Hauptgassen sind auch hier lebendig durch die offenen Werkstätten, aber nicht so menschengefüllt wie drüben in Pera. In den engen Seitengassen sind Thüren und Fenster fest geschlossen. Wir passirten einige, in denen man fragen konnte, ob in den Häusern wirklich alles Leben ausgestorben sei und sie leer und besitzerlos das Ende ihres schon begonnenen Verfalles erwarten. Mehrere Stunden waren wir so geritten, Hügel auf und ab, auch unter dem malerisch von Schlingpflanzen und vom durchsickernden Wasser triefenden Bogen der hadrianischen Wasserleitung hindurch, als die Länge der Zeit die Vermuthung weckte, der Kawaß, der uns führte, könne den Weg, den er vielleicht nie gewußt, verloren haben. Und so erwies es sich denn auch nach einigem Streite. Nun wurde ein Fragen an allen Ecken, bei jedem Caffegi und Tabakverkäufer nothwendig, und doch führte uns erst die Entdeckung, daß das Marmora-Meer nahe zu unserer Rechten hinter einer Reihe von Häusern sei, auf die rechte Spur. Wir waren im Viertel Condoscale auf einem verwilderten Platze. Regellos stehen breite Platanen darauf und Säulenschäfte ragen aus dem Boden auf, die Zeugen einer unterirdischen Welt. Kadriga-Liman, „Galeerenhafen“, nennt ihn der Türke, und bewahrt auch hier mit dem Namen ein Stück der Vergangenheit seiner Vorgänger. Unter dem Schutte, der stellenweise zu kleinen Hügeln angeschwellt ist, birgt sich der Hafen, den die Kaiserin Sophia, die Gemahlin Justin II., im Jahre 571 gegründet und nach sich benannt hatte. Noch im 16. Jahrhundert sah man dort stehendes Wasser und das Volk glaubte darin die Masten versunkener Galeeren zu erkennen. Seitdem hat die Erde die Schiffe immer tiefer begraben, daß sie heute sogar dem Märchenerzähler verschwunden sind. Die Wurzeln hundertjähriger Bäume ranken sich vielleicht um die Masten, welche sonst nur Segel und Taue zu tragen gewohnt waren. Von Kadriga-Liman steigen ostwärts steile Gassen hinan. Wir hatten bald hohe Quadermauern vor uns. Anfangs zweifelhaft über ihren Zweck, ist es mir jetzt gewiß, daß sie der Rennbahn die zu kurze Oberfläche des Hügels verlängern und ausgleichen mußten. Wenige Schritte unserer Pferde neben diesen Mauern aufwärts brachten uns auf den At-Meidan. Das Gedächtniß gefüllt mit all’ den prachtvollen Bildern von Marmorstufen, von Palästen und Statuen, den herrlichsten, welche die griechischen und römischen Künstler producirt und die byzantinischen Räuber hier aufgestellt hatten; gefüllt mit den Erzählungen der Groß- und Blutthaten, der Siegeszüge und Niederlagen, welche hier das Schicksal der Welt entschieden hatten, muß Jeden das, was er jetzt auf dieser Stätte findet, verstimmen und betrüben. Wie stolz wird sonst das Auge von den Laubgängen, die hoch oben um die lange Rundung liefen, zugleich weit hinaus auf die Stadt, das Marmora-Meer und die grünen Berge des Bosporus, und vor sich hinab auf die menschengefüllten Sitzesreihen, auf die Obelisken, Säulen und Standbilder, auf die Tribünen des Kaisers und auf den ehrgeizigen Kampf der Pferde- und Wagenlenker geblickt haben! Und heute?! Ich sah nur alte morsche Holzhäuser, Trümmer, welche die Verwüstung in gestaltloses Gerölle zerstoßen hat, und als letzte Zeugen der gewesenen Pracht die drei Denksäulen, die zwar auch verstümmelt, aber doch aufrecht geblieben sind. Der Platz war öde und leer, nur Kinder drängten sich zu, für ein Almosen die Pferde zu halten. Auch die Luft kündete mit warmem mittäglichem Schweigen den Verfall und die Abgestorbenheit. Selten hat sich mir eine historische Stelle gleich mit dem ersten Eindrucke so ähnlich ihrer Geschichte vorgestellt als diese; Ehrgeiz und Eitelkeit, Verrath und Mord, die hier mehr als auf jeder anderen gerungen und gestritten, verdienen den Schutt, den die Zeit so hoch darauf gehäuft, um sicher vor jeder Auferstehung begraben zu bleiben. Zunächst der Seite, wo wir auf den Platz gestiegen waren, und das war ehemals die der kaiserlichen Loge entgegengesetzte, steht der Obelisk aus Mauersteinen. Heute das verkommenste der drei übrig gebliebenen Denkmäler, hieß er doch einmal der goldene. Bronzetafeln verkleideten ihm den steinernen Leib; seitdem sie herabgerissen sind, bröckelt ein Glied um das andere aus seinem Körper heraus und neigt er sich drohend zum Sturze. Um ihn allein ist die Erde nicht weggegraben, daß man wie auf einen Hügel zu ihm emporklettert. Näher gegen die Mitte des Platzes ist die gewundene Schlangensäule aus grünem Erze. Griechen stifteten sie im 5. Jahrhunderte nach Delphi in den Tempel des Apollo für Siege, die sie über die Meder erfochten hatten. Ist es nicht verhängnißvoll, daß dieses alte Zeichen der früheren Kämpfe zwischen dem Morgen- und dem Abendlande hierher nach dem heutigen Knotenpunkte der orientalischen Frage versetzt worden, mit ihr vom griechischen Strande nach dem des Bosporus übersiedelt ist? Denn die orientalische Frage hat die Neigung, entgegen dem sonstigen Gange der Geschichte, vom Westen nach dem Osten zurückzuwandern. Und als hätte er eine Ahnung von der ursprünglichen Bedeutung dieses Denkmals gehabt, schlug ihm einer der Sultane eines der drei aufbäumenden Schlangenhäupter ab, rächend die Niederlage, die Europa seinen asiatischen Vorfahren zugefügt hatte. So merkt sich an einem todten Denkmale derselbe Gedanke Jahrtausende und Millionen von Menschen überlebend an. Daß auf den drei Köpfen ein Dreifuß gestanden, ist wahrscheinlich. Auch des Lysikrates Denkmal zu Athen beweist, daß es bei den alten Griechen Sitte gewesen, den opferbringenden Dreifuß möglichst hoch und erhaben aufzustellen; vielleicht aus demselben Grunde, aus welchem wir unsere Wallfahrtscapellen auf die obersten Berggipfel bauen, damit die Opfergabe dem empfangenden Gotte näher stehe. Daß aber dieser Dreifuß der der Pythia gewesen sei, ist eine Unmöglichkeit, obwohl es Herr +v. Hammer+ drucken ließ. Die Fabel ward wohl wie so manche ihrer Schwestern von gewinnsüchtigen Fremdenführern erfunden, um unaufmerksame Reisende theilnahmsvoller zu stimmen. Von den drei Schlangenköpfen, welche fehlen, bewahrt man einen Unterkiefer in dem Museum, welches in der Irenenkirche eingerichtet ist. Auch Gypsabgüsse sah ich davon; danach muß der Rachen weit aufgerissen gewesen sein. Gerade in der Mitte des At-Meidan, wie auch ehemals des Hippodroms, steht der granitene Obelisk, das besterhaltene der Denkmäler. Er ist weit und viel gewandert. Seine erste Heimath und Geburtsstätte war Aegypten; bei Syena wurde er gegraben, dann war er in Athen. In Constantinopel stellte ihn Theodosius der Große sechzig Jahre nach Einweihung der Stadt, also im Jahre 390, auf das Postament, das ihn noch heute trägt. Die Spitze scheint ihm bei seinen Uebersiedelungsreisen beschädigt worden zu sein; sie ist stumpfer zugeschliffen. Seine Seitenflächen sind mit Hieroglyphen beschrieben, die des Fußgestelles mit erhabenen Bildern verziert, von so roher Arbeit, daß auch nicht einmal mehr die edlere Abstammung der Kunst zu erkennen ist. Es sind Werke eines schon vollzogenen Verfalles. Der Lärm und die Mühe um eines der Pferde, das sich seinem kleinen Hüter losgerissen hatte und in freien Sprüngen über den Platz setzte, weckte mich aus meinen alterthümlichen Betrachtungen. Was die spätere Zeit auf die Trümmer gebaut hat, das fing ich erst jetzt an zu sehen. Drei Seiten des Platzes sind von unscheinbaren Gebäuden umsäumt, die vierte aber, die Ostseite, schlossen die Türken mit einem Prachtbaue, der Moschee Achmed I. Hinter einer niederen Marmormauer liegt sie, getrennt von dem gemeinen Lärm der Gasse, in der vornehmen Abgeschiedenheit eines heiligen Haines. So hoch hat das Alter die Platanen, Terebinthen und Cypressen gezogen, daß ihre Kronen und Wipfel die Kuppeln und Minarete zu überragen drohen; dabei sind die Bäume nicht greisenhaft abgelebt, sondern gesund in voller Manneskraft. Späht man genauer durch die vergoldeten Gitter, welche in die Umfassungsmauer eingesetzt sind, so findet man nur ahnungsvolle Stille und frommen Frieden unter dem kühlen Schatten, wie er Gott und dem Orte gebührt. Wo der Türke schmücken will, da genügt ihm nicht die Kunst des Menschen, er nimmt das freie Schaffen der Natur zu Hilfe. Um seine Gräber schlingt er Rosen und seine Tempel verbirgt er unter Bäumen. Wir thun das wohl auch an unseren Festtagen, wenn fromme Beter und andächtige Weihrauchwolken durch die Gassen wallen und grüne Zweige an den Häusern lehnen; der Türke aber hält jeden Tag solch’ festlichen Schmuckes würdig. Das nördliche Ende des At-Meidan verunstaltet dermalen der geschmacklose Holzbau der türkischen Industrie-Ausstellung. Auf der Westseite des Platzes hatte man mir ein bescheidenes einstöckiges Haus mit dem unverdienten Titel: Palast des Finanzministeriums, Defter-Hane, genauer übersetzt Oberrechnungshof, gewiesen; jetzt zeigte man mir in der Seitengasse, in welche wir einbogen, zu unserer Rechten ein noch verfalleneres Gebäude als den Palast des Handelsministeriums. Das große Hofthor daran ist dienstesunfähig; die Thüren der Kanzleistuben münden unmittelbar auf die Bogengänge, welche den Hof umfassen; von orientalischer Pracht, wie sie unsere Vorurtheile erwarten, keine Spur. Die hohe Pforte, zu der wir durch steile Gassen hinabkommen, entspricht unseren Erwartungen und ihrem erhabenen Beiworte nicht viel mehr. Es ist eine lange, einförmige, gelb angestrichene Fronte, einen Stock hoch, mit vorspringender Säulenhalle und krönendem Giebelfelde, in dem abscheulichen Style englischer und amerikanischer Antike. Schön ist nur die Aussicht von der breiten Terrasse, die dem ganzen Baue vorliegt. Die Hügel von Pera und von Galata, die Berge von Asien und zwischen ihnen weit hinauf den Strom und die Ufer des Bosporus sah ich von dort aus in ganz neuer Ansicht und in den Gluthen der untergehenden Sonne. Ueber die erste Hafenbrücke kehrten wir nach dem andern Ufer zurück. Das Leben, das sich auf der Brücke und auf den beiden Plätzen ihrer Mündungen, und weiter dann in der Galatagasse entfaltet, verwirrte und beschäftigte mich dergestalt, daß mich nur die Aufmerksamkeit meiner Führer vor unangenehmen Zusammenstößen bewahrte. Ich wußte nicht, wie ich Alles auf einmal oder was ich zuerst sehen sollte, die neuen Menschen oder die Dampfer, die pfeifend und schnaubend zu beiden Seiten der Brücke anlegten, gewiß immer ein Dutzend, das eben in Bewegung war. Auf dieser Brücke zu stehen verdient allein schon eine weite Reise; es ist als ließe man die Völker einer ganzen Welt die Revue passiren. Pera, den 22. Mai. Was bei uns eine Reise vorstellt, ist hier erst ein Spazierritt hinüber nach Stambul. Vom gestrigen, der den ganzen Tag gedauert hatte, waren wir so ermüdet, daß uns heute Ruhe nothwendig schien. Ich wollte sie mir am Schreibtische gewähren, um Briefe für die morgige Post vorzubereiten. Aber wie sollen sich die Gedanken sammeln, wie die Feder arbeiten, wenn rechts und links vom Schreibtische durch zwei offene Fenster der blaue Himmel und die helle Sonne hinaus nach dem Meere und nach den Hügeln dieses schönen Landes locken. Da half kein Widerstreben der entschlossensten Vorsätze. Ich schlich mich fort voll Vertrauen in meinen oft erprobten Ortssinn, mich allein in dem Häusergewirre zu versuchen. Das gibt den Reiz eines Wagnisses. Durch enge steile Gassen und über Treppen stieg ich noch höher den Hügel hinauf. Nicht breiter als in den Calles Venedigs stehen die Häuser auseinander und so wie dort bleiben auch hier die Gassen keine zehn Schritte in derselben Richtung; rechts oder links, nach einer Seite biegen sie aus, daß sie ein fortwährendes Zickzack bilden. Ueberhaupt, wo ich hinsehe, finde ich den Anknüpfungspunkt wieder zu dem Faden, welchen der Handel im Mittelalter zwischen Constantinopel und der Lagunenstadt gesponnen hatte. Daß noch so viel davon fortbesteht, trotz des Wechsels der Zeit und der Menschen, beweist, wie angemessen dem angebornen Charakter beider Städte diese Verbindung war. Pera und Galata sind zwar nicht mehr eigenberechtigte Städte der Venetianer und Genuesen, aber immer noch beinahe ausschließlich von Italienern, Maltesern, Dalmatinern, Croaten, Franzosen, überhaupt von dem, was man mit dem Gesammtnamen „Franken“ zu bezeichnen pflegt, bewohnt. Die buntfarbigen Häusergruppen der Türken liegen nur wie einsame Inseln dazwischen. Auf den Stufen der Gassen saßen Bettlerinnen; sie hoben die Augen und die Hände auf und declamirten ihre Noth und ihre Gebete mit denselben dunklen Blicken und demselben Pathos, wie die struppigen Weiber auf den Brücken der Calle lunga und der Riva degli Schiavoni: „~Grazia Signore, una povera vecchia!~“ Alle die Treppen und Gäßchen münden in die große Perastraße, die vom kleinen bis zum großen Campo, den zwei Friedhöfen dieser Stadttheile, in einer ziemlich geraden Linie über den Kämmen der Hügel liegt. ~La grande rue de Pera~, wie man hier alle Augenblicke in der Conversation hört, denn sie ist den Peroten, was den Wienern ihr „Graben“ und den Berlinern ihre „Linden“ sind, -- hatte ich mir, ich gestehe es, etwas großartiger vorgestellt. Groß kann sie überhaupt wohl nur wegen ihrer Länge genannt werden, denn ihre Breite ist schmal wie die der andern Gassen, daß sich eben zwei Wagen darin ausweichen können, und Reiter und Fußgänger in ein fortwährend sich mißhandelndes Gedränge zusammengequetscht sind. Die Höhe der Häuser vermehrt noch diesen Eindruck der Enge. Die ersten Gasthöfe: Hôtel d’Angleterre, Hôtel de Byzance etc. stehen darinnen. Die Kaufläden waren offen und geschlossen, je nachdem der Glaube dem Eigenthümer die Heiligung unseres Sonntages freigibt oder gebietet; Polizeiverordnung verfügt hierüber nichts. Die Auslagen sind sehr primitiv, Spiegelscheiben nur an einigen Modehandlungen, sonst kleine Aushängekästchen, wie wir sie nur in unserer Kinderzeit oder heute noch in unseren Landstädten sahen. Ein Friseur verkauft auch Halsbinden und Handschuhe, ein Schuster Strohhüte, und beinahe alle Zuckerbäcker Kinderspielwaaren. Das repräsentirt eine Nationalökonomie, wie sie bei uns nur noch die Dörfer und böhmischen Badeorte betreiben. Indessen sie befriedigt ein Bedürfniß und die Verhältnisse sind andere, und so mag ich sie, blos darum weil sie anders als das Gewohnte ist, nicht tadeln. Das Pflaster wäre eine Wohlthat, wenn es gar nicht wäre; so wie es ist, scheint es nur zu sein, um das Fahren zu hindern; in Berücksichtigung der Enge der Gassen und des Menschengedränges allerdings eine wohlthätige Vorsorge. Trotzdem begegneten mir einige Wagen. Es waren modische Broughams, Ein- und Zweispänner, die Pferde lose eingespannt, die Kutscher im albanesischen Kleide oder doch wie die meisten Einheimischen, wenn sie auch sonst ganz fränkisch gekleidet sind, durch das Fezz unterschieden. Mehr aber überraschte mich ein anderes Fuhrwerk, dem seinem Aussehen gemäß in allen Sprachen der türkische Name Arabat, was eigentlich nur Wagen sagen will, gelassen wird. Der Kasten ist mit Blumen bemalt und übermäßig vergoldet, ringsum möglichst offen mit Glasfenstern, oben mit einem gewölbten Dache geschlossen. In hohe Federn gehängt wackelt er nach allen Seiten, herüber und hinüber, vor- und rückwärts zugleich; das Ganze wie ein Ueberbleibsel des vorigen Jahrhunderts, aber von einem Dorf-Wagnermeister statt von einem Hoflieferanten Ludwig XV. gefertigt. Meistens ist nur ein Pferd davor gespannt; der Kutscher, Türke auch durch sein Kleid, geht oder läuft daneben, wenn ein kleiner Trab draußen im Freien möglich wird, denn in der Stadt kann jedes Fuhrwerk nur im Schritte fahren. In dem ersten Arabat, den ich sah, saßen Türkinnen; ich hielt das daher für ein speciell türkisches Beförderungsmittel, bis mich in einem späteren vier barmherzige Schwestern überraschten. Ich fand dann auf einem Platze solche Arabats in Menge dem Publicum wie unsere Fiaker aufgestellt. Uebrigens werden in der Stadt Wagen nur selten benutzt, in Stambul beinahe gar nicht. Die weiten Entfernungen und die schlechten Straßen zu überwinden lassen sich die Frauen tragen und reiten die Männer; darum die vielen Pferde mitten im Gedränge der Fußgänger. An den Straßenecken, bei den zierlichen Brunnenhäusern werden sie dem Bedürfnisse bereit gehalten; man setzt sich darauf, läßt den Pferdeknecht, Surugi, hintennach laufen, und zahlt ihn und sein Thier nach dem Ritte für die Stunde, wie in Berlin den Droschkenkutscher. 10 Piaster, ungefähr 1 Gulden, werden, wenn der pfiffige Surugi nicht den unwissenden Fremden herausgewittert hat, als die standesgemäße Bezahlung von einer Anstandsperson dankbar angenommen. So guckte ich eines um das andere dem Straßenleben ab. Bild schob sich an Bild, und meine Gedanken, die thätig wie die Augen waren, suchten zu erklären, was die Blicke nicht gleich verstanden. Da drang ein neuer Laut, ein neues Bild in meine Betrachtungen. ~Jangin war! Jangin war!~ (Feuer ist!) riefen kreischende Stimmen aus weiter Entfernung. Aber kaum gehört, sah ich auch schon die Rufer. Alle nackt bis auf die Lenden, um die sie weiße Tücher geschlungen hatten, liefen sie vorüber, lauter schöne kräftige Bursche, die zur Feuerwehr gehören. Mitten im Laufe, ohne daß der auch nur einen Augenblick hielt oder in der gleichmäßigen Bewegung schwankte, wechselten sie mit ihren Kameraden im Tragen der wassergefüllten Spritzen. Was ihnen im Wege blieb, wurde rücksichtslos niedergeworfen und übersprungen. Schon gestern Abend, als eine große Feuerröthe über Stambul flammte, hatte man mich auf diese wilde Jagd vorbereitet. Ich war daher gleich bei dem ersten Rufe in eine Ladenthüre getreten und beobachtete aus diesem Schilderhause, wie sich die Menge gelassen, ohne auch nur die Miene dem sonderbaren Zuge zuzukehren, vor ihm theilte und hinter ihm wieder im alten Strome zusammenschloß. Diese stürmende Erscheinung ist ihr so alltäglich, daß die Gewohnheit dafür keine Aufmerksamkeit mehr hat. Ich aber brauchte eine Weile, um wieder im früheren Gleichgewichte weiter schreiten zu können. Wo die Perastraße breiter wird und sich theilt, um einen Zweig nach dem großen Campo und einen anderen in’s Freie über die kahlen Hügel zu senden, steht ein verfallener aber immer noch mit Marmor bekleideter Brunnen. Platanen, Terebinthen, eine geborstene Cypresse, die hinter ihm wachsen, beschatteten einige Sakas, Wasserverkäufer, die vor ihm ihre Tische und ihre Krüge aufgestellt hatten. Bretter hatten sie von einem Fuße zum andern ihrer wackeligen Waarengerüste nageln und binden müssen, um ihnen Halt zu geben. So abgenützt und zerbrochen diese Trümmer waren, der Schönheitssinn des Südländers hatte sie immer noch einer Ausschmückung werth gefunden. Lilien und Nelken hatte er in hohen Büscheln an die Tischecken gebunden und in breiten Kränzen um die blechernen Schöpfeimer gewunden. Einer der Verkäufer war ein Neger. Seine kurze Hose, sein zerrissenes Hemd, der Mangel anderer Kleidungsstücke und sein confiscirtes Spitzbubengesicht bewiesen, daß die Gewerbe, welche er sonst betrieben haben mag, vielleicht weniger unschuldig, aber gewiß nicht einbringlicher als sein heutiges gewesen waren. Er war noch thätiger als seine Genossen im Rühmen seiner Waare. Endlos wuschen sie die Gläser, hielten sie den Vorübergehenden zur Prüfung der Reinlichkeit entgegen, priesen die Sauberkeit des Glases und die Frische des Wassers, und gossen wie zur Lockung mit hochgeschwungenem Arme aus den Schöpfkrügen einen langen Strahl in die Gläser, die sie dann mit der linken Hand präsentirten, ihr „Sacka!“ so lange und so aufdringlich schreiend, bis einer der Spaziergänger nach dem Glase langte und seinen Para dafür auf den Tisch warf. Gegenüber ist ein Standplatz für Miethpferde. Es sind kleine aber zierliche und, wenn nur etwas geschont, schöne Pferde. Ohne wenigstens einen Tropfen edlen Blutes scheint kein türkisches Pferd zu sein. Die plumpe Rohheit der unserigen, die nicht einmal immer stark ist, fehlt hier den Thieren wie den Menschen. Diese Reitknechte, die mich gleich umringten, mir -- jeder durch einen andern Kniff -- ihre Pferde aufzuschwätzen, wie ausdrucksvoll sprechen ihre Gesichter, und wie anstandsvoll sind ihre Bewegungen! Und welche Mannigfaltigkeit der Physiognomien! Da war ein Blasser mit dunklem Haar und kleinem Schnurrbarte, die Lüderlichkeit hatte ihn offenbar so romantisch zugerichtet, der klopfte gelassen den neuen Sattel seines jungen Schimmels und lockte nur mit den Augen. Ein Anderer, dem aller Verstand im pfiffigen Schlusse der Lippen saß, führte seinen Braunen langsam vorüber und rühmte mir dessen Vorzüge mit italienischen, sogar mit einigen französischen Brocken an. Und ein Dritter, dem die Schönheit auf der Stirne thronte, warf sich auf seinen Fuchsen und jagte davon, mir dessen Schnelligkeit zu beweisen, aber gleich wieder zurückkehrend, damit den Kameraden nicht die Zeit bliebe mich ihm abzugewinnen. Und so ein Dutzend mehr, und jedem hätte man seine besondere Geschichte erfinden können. Dazu die maßvoll gebildete Gestalt; nicht zu klein und engbrüstig, um verächtlich und kränklich, und nicht zu groß und breitschulterig, um bedrohlich und roh zu erscheinen. Wenn sie gingen oder sich in den Sattel schwangen voll gelenkiger Beweglichkeit, und wenn sie sich an das Roß anlehnten oder rauchend auf dem Boden lagen voll ausgeglichener Ruhe. Ihre Kleidung war ärmlich aber wohlanständig, weil sich jeder darin zu Hause fühlte. Eine weite Hose bis zum Knie, eine Jacke, über dem Bauche durch den Shawl zusammengehalten, ein kleiner Turban um die Mütze geschlungen, Arme und Füße nackt, das ist der ganze Reichthum, den diese Nomaden der Gassen Constantinopels auf dem Leibe tragen. Ihre Herren, was bei uns also Stallmeister wären, oder die Reitknechte, welche in den festen Diensten reicher Privatleute stehen, sind kostbarer angezogen. Sie tragen das montenegrinische oder albanesische Kleid, kirschroth oder dunkelblau, über und über mit verschlungener Goldstickerei geziert. Auch solche trieben sich da herum. Nahebei erwarteten Arabats ihre Kunden. Ein Kaffeehaus, das auf einer Terrasse errichtet ist, hatte die seinigen schon in Menge gefunden. Der Menschenstrom aber wälzte sich weiter, jetzt in’s Freie hinaus, sichtlich immer vergnügter, je mehr die Enge der Stadt und des Handwerks hinter ihm zurückblieb, daß mir hier in der Türkei, „wo die Völker auf einander schlagen,“ der Ostersonntag in Göthe’s „Faust“ einfiel. Rechts von der Straße ist eine große Artilleriecaserne und links ihr Exercirplatz; Recruten übten sich dort. Nur wenige der Leute trugen noch die häßlichen Uniformen nach europäischen Mustern, die meisten waren in der Nationaltracht, welche der neue Sultan seinem Heere zurückgegeben hat. Die weiten Hosen und offenen Jacken kleiden sie weit besser, weil ihre Glieder, die in solcher Zwanglosigkeit aufgewachsen sind, darin das Selbstgefühl einer alten Gewohnheit wiederfinden. Wie sehr diese Tracht übrigens den Werth einer schönen Gestalt erhöht, sah ich an einem Manne der Hundert-Garden des Sultans, der mir entgegen kam. Er war ein Araber in hohen glänzenden Stiefeln, feuerrothen Pumphosen, rother Jacke und rothem Burnus, der in breiten Falten über seinem Rücken bis zu den Fersen hinabfiel. Ich habe nie etwas Schöneres gesehen als diesen Burschen. Kaum daß ihm ein Flaum auf der Lippe keimte und sein ganzes Wesen drückte doch schon die Ruhe und die Hoheit des Alters aus. Dabei war sein Auge jugendfrisch und lebenslustig und voll Theilnahme für das Treiben der Menge. Wenn ich Verachtung in seinem Blicke, der mich traf, zu erkennen glaubte, so war das wohl nur, weil ich mich solcher Hoheit gegenüber verächtlich fühlte; dem Jünglinge waren Körper und Geist viel zu gesund, um ein so krankhaftes Gefühl hegen zu können. Wie ein Gott der alten Griechen, der Mensch geworden um mit seinen Mitmenschen zu leben und zu genießen, zu sündigen und zu büßen, so schritt er einher mit mächtig ausgreifenden Schritten. Und so staunte ich ihn an. Nicht anders mögen die Indianer die ersten Weißen bewundert haben. Wie ärmlich erscheint mir danach das, was unsere Salons einen schönen Mann nennen, und wie erbarmungswerth solche Genügsamkeit! Tiefer in’s Land, wohin die Straße führt, wollte ich nicht. Ich suchte das Meer. Ein blauer Streifen rechts über den Hügeln verrieth es mir. Ich bog von dem Wege ab in die staubigen Felder ein. Diese liegen hier alle unbebaut, wüste, ein trostloser Anblick; aber nur wenige beharrliche Schritte durch den gelben Sand weiter, und ich sah Europa und Asien, den Bosporus und Propontos wieder in all’ der Farbenpracht, die mein Auge seit den letzten Tagen so sehr verwöhnt hat. Unten auf dem Hügel, auf dessen Kuppe ich stand, und seine Hänge hinauf und ihnen entlängst sind von Top-Hane in den Bosporus hinein Stadt an Stadt gereiht: Fündykly, Dolma-Bagdsche mit dem neuen Palaste des Sultans, dessen Höfe und Gärten gerade unter mir waren, Beschicktasch, Tschirraghan etc., eine an der anderen, Haus an Haus, Name an Namen. Gegenüber auf dem asiatischen Ufer Skutari, ausgedehnter und volkreicher als es sich nach irgend einer anderen Seite hin zeigt. Bis tief in den Bosporus, um dessen Buchten und Vorgebirge sind seine Häuser gebaut und hoch die Höhen hinauf seine Villen und Gärten gepflanzt, daß die Stadt Meer und Berge zugleich zu umfassen scheint. Die Seraispitze, einige der ihr zunächst liegenden Moscheen Stambuls und die schiffebeladene Mündung des Goldenen Hornes, die der Strom des Bosporus von Asien scheidet, schließen auf der rechten Seite das Bild. Darüber und grenzenlos weit liegt der Horizont des Marmora-Meeres. Das sind die Umrisse, die mir die Farben fest in dem Gedächtnisse halten müssen. Wie sollte auch die schwarze Tinte das Blau des Meeres, das Grün der Gärten, das Roth der Hügel, den Glanz des Himmels und den Duft der Ferne malen können!? Das kann nur der Dichter, der in der Brust jedes Menschen wohnt und dem Künstler wie dem Leser, dem einen beim Schaffen, dem andern beim Genießen, helfen muß, damit die Bilder wieder werden, wie sie wirklich und greifbar nur die allmächtige Kunst der Natur erschaffen kann. Ich war ermüdet auf einen Stein am Wege gesunken. Soldaten, türkische Weiber mit ihren Kindern, Griechen im übertriebensten Sonntagsputze der letzten Pariser Mode, Armenier in den langen Pelzröcken ihrer alten Nationaltracht, Menschen aller Nationen und Religionen, die an mir vorüber die Straße von Dolma-Bagdsche hinauf oder hinab stiegen, belebten das Land, das um mich war, und Schiffe, die vom Dampfe, dem Segel oder den Rudern in den Bosporus hinein oder heraus getrieben wurden, belebten das Meer, das wellend im warmen Mittagswinde zu meinen Füßen lag. Drei Fregatten und zwei prächtige Dampfjachten des Sultans ruhten an ihren Anker vor den Fenstern seines Palastes. Gegen Pera zu, nicht allzuweit von meiner Rechten, war der Wald des großen Campo’s; seine Cypressen mahnten wie düstere Ahnungen in den heiteren Frohsinn des sonst so hellen Bildes. Da klang ein anderer, auch ein bekannter Ton in meine Stimmung: der Baccio, ein Walzer, den die Artôt und der sie berühmt gemacht. Eine Musikbande spielte ihn lärmend und tactlos in einem nahen Kaffeehausgarten. Auch in dieser verstümmelten Gestalt hörte ich ihn gerne, weil er angenehme Stunden zurückbrachte. Da kam eine Nacht wieder, die mir in Dresden auf der Brühl’schen Terrasse liebe Freunde vergnügt hatten; ein Abend im Conversationshause zu Baden-Baden, den schöne Frauen, ein Nachmittag im Mathissongraben des Heidelberger Schlosses, welchen die Einsamkeit beglückt hatte. Denn glücklich, wie die heutige Gegenwart, war jene Vergangenheit gewesen, und dieselbe Melodie knüpfte verwandte Eindrücke an die früheren. So hängt zuletzt eine ganze Kette an dem einzigen Tone, und angeschlagen zittert er Glied um Glied erweckend zurück bis in die entlegenste Jugend. Oft schon, wenn ich diese Macht der Musik so erinnerungskräftig erfahren habe, frag ich, ob sie so nicht auch über das Grab hinaus wirken werde? Wie sie hier unten aber auch quälen kann, das erfuhr ich gleich darauf, als eine türkische Musikbande in der großen Caserne links von mir über dem Palaste von Dolma-Bagdsche ihre Uebungen begann, denn das sollten diese Dissonanzen vorstellen, die dort geblasen wurden. Und so wenig Musiksinn scheint der Orientale zu haben, daß sich gleich eine Menge Volkes unter den offenen Fenstern sammelte. Damit die Katzenmusik vollstimmig werde, fing nun auch zu meiner Rechten im Kaffeegarten das Orchester wieder an diesmal die schwindsüchtige Sterbearie der Traviata zu spielen. Eines allein hätte ich vielleicht um des längeren Anblickes der schönen Gegend willen erduldet, beides zusammen war für Ohren und Nerven zu viel. So interessant es mir gewesen wäre, einen Trupp Soldaten zu beobachten, die eben nach ihrer Caserne zurück marschirten, ich flüchtete mich. Durch Seitengassen Pera’s suchte ich den Rückweg, langsam und mit vielen Verirrungen, aber doch so, daß ich ihn allein fand. Der Plan Dufour’s erwies sich mir dabei als ganz fabelhaft und nutzlos. Den 22. Mai, Nachts. Gleich nach dem Essen, um 9 Uhr Abends, zu einer armenischen Hochzeit. Durch ein Labyrinth von Gassen, die Hügel hinauf und hinab, führte man mich zu einer Kirche, von der man mir sagte, daß sie in der Nähe des Feuerthurmes von Galata sei. Auf dem kleinen Platze vor der Kirche war ein lärmendes Durcheinander von Dienern, Fackel- und Sesselträgern, die ihren Herrschaften den Vorrang erkämpfen wollten. Das Innere der Kirche ist häßlich, ein Viereck durch eine Kuppel gedeckt und durch drei gerade Mauern, auf der vierten Seite durch einen Halbkreis geschlossen, in dem zwischen vier plumpen Säulen der Altartisch steht. Zahlreiche Armleuchter hingen von der Decke und an den Wänden herab. Auf den Boden waren dichte Teppiche gebreitet und Stühle in Reihen neben und hinter einander gestellt. In dieser Anordnung und Beleuchtung glich das eher einem Concertsaale, und so auch sah das Publicum aus. Links die Frauen, rechts die Männer waren alle festlich, die Weiber über und über mit Edelsteinen geschmückt; dem diplomatischen Corps hatte man vorne auf beiden Seiten besondere Plätze vorbehalten. Ich sah von dort aus Alles auf’s beste. Es war eine Doppelheirat, die eingesegnet wurde. Auf jeder Seite standen Bruder und Schwester. Die Brautleute, die Eltern und die nächsten Anverwandten füllten den Halbkreis vor uns. Die Geistlichen ordneten sie und reihten sich dann dienend um den Altar. Es waren ihrer achte, Alle in hellgrünen, reich mit Silber gestickten Talaren, die in breiten langen Falten, durch keinen Gürtel unterbrochen, vom Halse auf den Boden fielen; ein goldenes Band, eine Art Stola, hing jedem auf der rechten Schulter, und eine gefältete Krause, die beim Halsausschnitte hervorstand, rahmte die dunkeln Köpfe aufs wirkungsvollste ein. In diesem Kleide glich einer der Priester so sehr einem der schönsten Porträte Paolo Veronese’s, daß mich die Aehnlichkeit während der ganzen Feier mehr als alles übrige beschäftigte. Wie er da sorgend herumging, bald artig die Brautleute belehrte, wie sie sich bei den Ceremonien zu benehmen hätten, bald herrisch den Dienern winkte, die silbernen Teller mit den Kränzen zu bringen, war es, als sei aus dem großen Bilde: „Christus im Hause des Levi,“ welches die Akademie der schönen Künste zu Venedig bewahrt, der stolze Venetianer mit dem schwarzen Barte im grünen Wamse, der aus dem Vordergrunde seine Befehle in die hohe Säulenhalle zurückruft, herausgetreten, um das Amt, worin ihn der Künstler so glücklich abgebildet, wiederum auszuüben. Die Ceremonien dauerten lange und blieben mir zum Theile unerklärt. Auffallend war der sonderbare Schmuck der Bräute. Zu beiden Seiten des Gesichts fielen statt der Schleier, worin man sie bei uns verhüllt hätte, lange Locken der Einen aus rauschendem Gold-, der Anderen aus Silberpapier herab, und das so lange, daß sie beinahe den Boden berührten, und so dicht, daß sie die Mädchen fortwährend aus dem Gesichte streichen mußten. Der Blassen stand dieser goldene Lockenwuchs sehr gut; sie sah verzaubert wie die Prinzessin in einem Kindermärchen aus. Die beiden Männer schienen jünger als ihre künftigen Frauen zu sein, nicht älter als 20 Jahre. Sie trugen lange schwarze Gehröcke mit aufstehenden Kragen und das Fezz auf dem Kopfe. Das ist für alle Unterthanen des Sultans, für Griechen, Armenier, auch für jene Türken, die sich fränkisch tragen, das Hofkleid statt unseres Frackes und Cylinders. Besondere Eitelkeit scheint für die Füße sorgsam zu sein. Sie sind aber auch meist klein und wohlgebildet und eines gutgemachten Schuhes würdig. Als wichtig in dem Acte der Vermählung bezeichnete man mir das Wechseln der Kränze, denn auch dem Bräutigam wurden Myrthen und Orangen auf’s Haupt gelegt. Nachdem er sie eine Weile getragen, vertauschte sie der Oberpriester mit denen der Braut. So gekrönt blieben beide bis zum Ende der Ceremonie. Diese Kränze sollen sorgsam als Talisman des ehelichen Glückes aufgehoben werden. Auf der linken Seite des Presbyteriums hatten sich bald nach Beginn des kirchlichen Aktes in denselben kostbaren Gewändern, wie sie die Priester trugen, Chorknaben aufgestellt, um die ganze Feier mit einem Gesange zu begleiten, der werthvoll wie die Blechmusik des Morgens war. Ein Junge aber, der darunter war, ersetzte mit seinen kunstbegeisterten Gesichtern den Augen, was die Ohren leiden mußten. Je höher der Ton stieg, desto mehr neigte er den Kopf auf die linke Schulter und desto krampfhafter schüttelte er den ganzen Körper; die Augen schloß er dabei immer fester, den Mund öffnete er immer weiter, und doch ließ er keinen Ton auf einem andern Wege als auf dem Umwege durch die Nase hinaus. Es gab ein Geheul und das mit so viel Aufwand von Pathos, daß es einem Liebhaber des Sonderbaren zuletzt als etwas Unübertreffliches bewundernswerth werden mußte. Nachdem in der Kirche die Festlichkeit vorüber war, geleitete man uns nach dem nahen Hause der einen Familie, wo ein Ball sie fortsetzen sollte. Schon an der Hausthüre erwarteten uns die beiden neuen Ehemänner; der eine nahm meinen Arm und führte mich die Treppe in das zweite Stockwerk hinauf; die Musikanten, die im Stiegenhause versteckt aufgestellt waren, empfingen uns mit einem Marsche und die Hausleute, obwohl ich ihnen fremd und uneingeladen kam, mit den zuvorkommensten Bemühungen, mir die Gesellschaft bald bekannt zu machen. Sie war zahlreich, so daß die Räume zu klein wurden. Diese sind, sowie ich das aus den italienischen Häusern her kenne, durch die Sala, die mitten durch das Haus geht, in zwei Hälften getheilt; die zur Linken schien hier den Männern, die zur Rechten den Frauen zu gehören. Ich fand wenigstens in den Zimmern der letzteren meistens nur Frauen, die nach der Landessitte mit hinaufgezogenen Füßen auf den breiten Divanen lagen. Es waren schön geschnittene Gesichter darunter, mehr aber noch fielen sie mir durch den Ausdruck ihrer Augen auf, die sind schwarz wie die Kohle und die Blicke leuchten wie der Funke, der vor dem Verglimmen noch einmal in seiner allerhellsten Kraft auflodert, nur daß keiner dieser Blicke der letzte und daß jeder wie der erste ist. Selbst Weiber, die beinahe häßlich sind, werden durch das Feuer dieser Sprache fesselnd. Die Gäste benahmen sich frei und ungezwungen, die Männer gegen die Frauen sogar vertraulicher als das bei uns erlaubt ist; aber alle in den Formen des schicklichsten Anstandes, weil das dem Gefühle eines jeden angeboren ist. Der größere Theil der Männer trug das Fezz auf dem Kopfe, das waren Eingeborene des Landes, die vielen Anderen, welche den Hut in der Hand hielten, Herren des diplomatischen Corps. Dem französischen Botschafter, Marquis du Moustier, wurde ich gleich beim Eintritte vorgestellt. Er ist ein großer, schöner und durch Haltung und Formen noch jugendlicher Mann und danach sind auch seine Ansprüche an das Leben bemessen. Der englische Botschafter, Sir Henry Bulwer, kam erst nach Mitternacht. Ich lernte ihn in einem kleinen Nebenzimmer kennen, wo die Stille den Raum zu einem längeren Gespräche gab. Sir Henry Bulwer folgte dem Lord Stratford Redcliffe, der auf diesem Posten alt und berühmt geworden war. Das Amt, das für England immer eines der wichtigsten ist, war nach der Bedeutung, die es durch die Persönlichkeit des Lord Redcliffe erlangt hatte, ein noch schwerer zu besetzendes geworden; daß unter solchen Umständen Sir Henry Bulwer dafür gewählt wurde, beweist, welche Meinung die vorsichtigen Staatsmänner seiner Heimath von seinen Fähigkeiten haben. Seine äußere Erscheinung zeigt alle Sonderbarkeiten, aber auch die ganze Vornehmheit des englischen Aristokraten. Wo man ihm auch begegnen mag, nirgends wird man ihn übersehen können. Seine Gestalt ist nicht groß, hager und in der Brust so eingefallen, daß die leise, oft beinahe nur gehauchte Stimme nicht überrascht. Er trägt einen Vollbart, der sonderbar in zwei Zwickel getheilt ist. Hände und Füße sind beinahe unnatürlich klein; den einen Fuß sah ich ihn, wie das hier Sitte ist, auf den Divan heraufziehen. Das Französische, die übliche Sprache der hiesigen Salons, spricht er fließend, wenn schon mit dem englischen Accente, der die Worte dehnt. Er liebt es, seine Reden mit kleinen Witzworten und Sentenzen zu spicken, und erinnert dadurch an die Schreibweise seines Bruders, des Romandichters, die um solcher Aperçüs willen philosophisch genannt worden ist. Ein Gespräch weiß er, da sein Geist thätig und gewandt ist, leicht ohne das verlegene Angeln nach einem Gegenstande flüssig zu machen. Mit einer zuvorkommenden Frage setzt er den Fremden auf dessen Steckenpferd und weil doch jeder lieber sich als den Andern reiten sieht, in Entzücken über die Klugheit und Artigkeit dieses großen Herrn. Von mir verlangte er meine ersten Ideen über den Orient zu hören. Sichtlich erfreut durch die Antwort, weil auch ihm dieses Land gefällt, meinte er, ich werde es nächstens nicht blos mehr mit Vergnügen, sondern auch mit nutzbarer Anwendung auf die Zustände meiner Heimath sehen. Das brachte uns auf Oesterreich. Er ließ mich länger darüber sprechen, nur ab und zu einfallend, um Einzelnes noch mehr ausgeführt zu erhalten, und als ich zur ungarischen Frage sagte, daß mir jeder gemeine Hußar eine genügende Widerlegung der Germanisirungshoffnungen sei, zu bemerken: gerade rücksichtlich dieser Streitfrage werde mir hier klar werden, daß es auch andere Wege, als die der europäischen Gewohnheit gebe, die Völker zu ihrem Wohlsein zu führen. Vergleiche ich nun seine gescheidten Bemerkungen mit den albernen Schilderungen, die unsere Zeitungen von diesem Manne brachten, so bestätigt mir das von Neuem die Erfahrung, die ich zumeist nach dem Jahre 1859 in Italien gesammelt, daß, um richtig zu urtheilen, man vor allem den Zeitungen mißtrauen und die Dinge mit eigenen Augen gesehen haben müsse, an dem so gebildeten Urtheile aber mit der Arroganz des unverschämtesten Selbstvertrauens festhalten dürfe. Die Fürstin von Samos hatte dieses Gespräch, das wohl eine Stunde gedauert, unterbrochen. Sie wollte mir an dem offenen Fenster die Mondnacht zeigen. Die Fürstin hat mich übrigens neben Sir Henry Bulwer auf diesem Balle am meisten beschäftigt. Sie ist noch jung und muß einmal sehr schön gewesen sein. Sorgen haben den Jahren vorgegriffen. Sie ist bleich, aber das Auge noch jugendlich feurig. Mit dem ersten Eindrucke erschien sie mir nicht bedeutend. Ihr Wesen ist und gibt sich so einfach, daß ich begreife, daß man sie lange übersehen kann; wer dann aber einmal ihren ganzen Reiz empfunden, den hält sie unlösbar gefangen. Es ist mit ihr, wie mit manchen Blumen, die ihren feinen Duft nur an auserwählte Günstlinge geben. Und wie ihre äußere Art, so ist auch ihr Verstand. Manche unserer Frauen könnten ihn ungebildet schelten, denn ihr Wissen ist lückenhaft; aber eben darum ist er unbefangener und natürlicher, urtheilsfähiger und ergiebiger, und von einer Kraft, daß er die Eitelkeit, von der doch sonst alles Menschliche bemeistert wird, so sehr bezwingen konnte, daß sie, der sich hier Jeder zu empfehlen sucht, immer bestrebt ist, jede Bedeutung, auch die einer ~femme politique~ -- sonst das höchste Ziel weiblichen Ehrgeizes -- abzuleugnen. Sie mußte wissen, daß mir ihre einflußreiche Stellung auf dem hiesigen Platze bekannt sei, und übte doch auch gegen mich dieselbe Bescheidenheit. Was sie ist, gilt ihr nur insoferne es als Vortheil, nicht als es Glanz bringt; eine Klugheit, die bei uns zu Hause keine weitverbreitete ist. Sie rief mich an das Fenster, weil ich ihr früher mein Gefallen an Constantinopel ausgesprochen hatte. Wir setzten uns in zwei Sessel, deren hohe Lehnen uns von dem übrigen Zimmer isolirten. „~Voyez et respirez!~“ sagte sie mir. Der Mond stand voll in einem wolkenlosen Himmel, und sein Spiegelbild ruhte vergrößert auf der regungslosen Fluth des goldenen Horns; das lag tief unter unseren Fenstern, kleine Terrassen und flache Dächer hinab; Stambul, wie eine hohe schwarze Mauer uns gegenüber, und links hinaus in weiter Ferne sogar noch ein silbernes Glimmern des Bosporus. Die liebenswürdige Frau neben mir, dieses Bild vor mir, die verhallende Musik des Tanzsaales hinter mir und die Luft, die ich athmete, das waren Genüsse, wie ich sie schon lange nicht mehr genossen habe. Lichter und Menschen sind mir, wie oft ich mir selbst das auch abzuleugnen versuche, im Grunde unentbehrlich; mischt sich aber wie hier und in Venedig dem Salon noch die Poesie bei, dann bin ich sein doppelt williger Gast. Während ich stumm schaute und nur mit einzelnen Ausrufen mein Entzücken ausdrückte, schilderte mir die Fürstin beredt und lebendig die Reize ihres Heimathlandes, das sie glühend liebt. Sie nannte mir Orte dieser Stadt, die ob ihrer landschaftlichen Schönheit besonders sehenswerth seien; sie sprach von den Sommerabenden auf dem Bosporus, von den Mondscheinnächten auf dem Quai von Bujuk-dere, von den Sonnenuntergängen auf den Prinzen-Inseln und von ihrem Landhause auf Prinkipo, wo ich sie besuchen müsse. „Ja, Sie haben,“ so schloß sie ihre Rede, „Sie haben den rechten Zeitpunkt getroffen; Constantinopel und den Bosporus muß man im Sommer sehen, wenn seine Gärten blühen und seine Hügel grünen, wenn seine Fluthen eben und mit den leichten Booten seiner Bewohner gefüllt sind, die im Abendsonnenscheine von Europa nach den noch schöneren Ufern Asiens hinüber rudern. Ich halte es überhaupt für einen Irrthum, in den die Bequemlichkeit den Nordländer verführt, die Länder des Südens, Italien und den Orient, in den kalten Jahreszeiten zu besuchen; da erstirbt hier so gut als im Norden das Leben, wenn auch nicht in gleichem Grade, so doch verhältnißmäßig. Was der Fremde sieht, ist todt, soweit die Sonne des Südens das Sterben überhaupt zuläßt. Es ist ein Unrecht, das dann mit dem Frühling des Nordens zu vergleichen und zu richten, als sei es das letzte Wort, welches diese Landschaften aussprechen können. Neapel gefiel mir erst, als ich es im Sommer sah, wenn es Alle fliehen; wer den Preis haben will, darf den Schweiß nicht scheuen und muß etwas Hitze aushalten können.“ Es war 2 Uhr nach Mitternacht, als ich nach Hause kam und jetzt, da ich die Feder weglegen will, regt sich der Morgen. Sehen kann ich ihn nicht, denn die Sonne geht hinter dem Hause auf, aber Vögel und die anderen ersten Laute einer großen Stadt künden ihn. Das Fenster neben meinem Schreibtische stand die ganze Zeit über offen; glückliches Land, wo das beste Gut, die frische Luft, immer frei zu uns ein darf. Pera, den 23. Mai. Der Morgen verging in Vorbereitungen zur Abreise nach Brussa. Ich soll nach Asien ehe die Sommerhitze einfällt. Nachmittags setzten wir uns bei Top-Hane in’s Kaik, um durch das Goldene Horn nach Ejub, einer Vorstadt und Begräbnißstätte Stambuls, zu fahren. -- Das Goldene Horn! Wie schön der Name klingt, und wenn man diese Bucht mit werthvollen Schiffen gefüllt und von volkreichen Städten umschlossen sieht, erkennt man ihn auch als berechtigt und durch die Natur der Dinge gegeben. Ueber seinen Ursprung und sein Alter finde ich nirgends eine Nachricht aufgezeichnet; über seine Bedeutung schon bei den alten Schriftstellern die mannigfaltigsten Auslegungen. Dem Einen hieß die Bucht Chrysokeras, weil sie wie ein Füllhorn des Ueberflusses sei; dem Anderen, wie dem Strabo zum Beispiel, weil sie einem Hirschgeweihe gleiche. Dem Füllhorn ist sie, mit einiger Phantasie gesehen, auch heute noch ähnlich; dem Hirschgeweihe nicht mehr, weil die kleinen Buchten, die Aeste, in die sie sich sonst getheilt haben soll und die unter den Kaisern zu den vielen kleinen Hafenanlagen gedient haben mögen, von denen in den byzantinischen Geschichtschreibern die Rede ist, ihr heute fehlen. Die verschiedenen Eroberungen und Zerstörungen der Stadt werden diese Zweige verschüttet und dem Ufer gleich gemacht haben. Ich habe übrigens zu den Vermuthungen und Auslegungen über die Entstehung und die Bedeutung des Chrysokeras meine eigenen selbst erfundenen hinzuzufügen. Seit den ältesten Fabelzeiten war an diesen Küsten der Dienst der Hekate der besonders gefeierte. Das Zeichen dieser Göttin, der Halbmond mit den Sternen, wurde das Wappenbild der Stadt, die Byzaz hier gegründet, und mit ihr das der Römer und der Türken. Liegt es nicht nahe, daß dieser Halbmond, der den Alten so gut als uns Neuen Κέρας, Horn, hieß, nicht auch der ihm so ähnlich geformten Bucht den Namen gegeben und sich wie das Wappen von diesem uralten allen gemeinsamen Ursprunge her durch die ganze Folge der Landeigenthümer bis auf den heutigen vererbt habe? Dieser Vermuthung über die Entstehung des Κέρας steht nun freilich meine sprachliche Auslegung des Wortes entgegen. Indeß da mich nichts zu einer Wahl zwingt, so mögen immerhin beide Deutungen neben einander stehen. Ich finde nämlich, daß das Wort Κέρας den Griechen nicht blos Horn oder Geweih, sondern jede Krümmung überhaupt und so auch ganz einfach den Arm eines Flusses bedeutet habe; dann hätten sie mit Κρυσοκέρας nichts sagen wollen, als der goldene Arm des flußähnlichen Bosporus. Und so ist dieses Stück See und seine Bucht wirklich gestaltet. Wer zu seinen Füßen sich das schwarze Meer denkt und den rechten Arm ausstreckt, der stellt mit seinem Körper ungefähr den Bosporus und das goldene Horn vor. Denn keine der andern Buchten des Bosporus tritt im Vergleiche zu der des goldenen Horns merklich tief aus der Hauptrichtung des Bettes in die Ufer hinein, und das goldene Horn ist im Verhältniß zum Bosporus ziemlich gleich schmal und lang, wie der Arm zum Körper. Auf eine Länge von 4000 Klafter oder 2 Stunden kömmt eine Breite von nur 500 Klafter oder ¼ Stunde, die an einzelnen Stellen noch mehr zusammenschrumpft. Das bildet eine sonderbare Gestaltung, die auch auf der Landkarte gleich als solche auffällt. Ich weiß ihr in allen fünf Welttheilen kein Gegenstück zu finden. Aber nicht blos um seiner Sonderbarkeit, auch um seiner Schönheit und Bequemlichkeit willen ist dieser Golf ohne seines Gleichen in der Welt. Größer und zugleich sicherer ist kein anderer Hafen. Die tiefstgehenden Kriegsschiffe können an den Häusermauern ihre Anker werfen, und der Strom, der aus dem schwarzen Meere kömmt, fegt ihn, indem er seine Ufer im Bogen umkreist, rein von all’ dem unvermeidlichen Unrathe einer großen Stadt. Nie war eine Säuberung, eine Ausbaggerung nothwendig; die Natur und die Menschen helfen zusammen, das Horn zu einem wahrhaft goldenen zu machen. Die zwei Schiffbrücken, die heute darüber liegen, haben es in drei Häfen abgetheilt. Der erste, eigentlich die Mündung des goldenen Hornes in den Bosporus, ist beinahe ausschließlich mit Dampfbooten gefüllt; der zweite, zwischen den beiden Brücken, gehört den Segelschiffen des Handels, die an beiden Ufern in Reihen vor einander ankern, und der dritte, bis nach Ejub und den süßen Wässern, ist der kaiserlichen Kriegsmarine vorbehalten. Nach dem Gedränge in den beiden andern erscheint er stille und leer, denn größere Schiffe liegen nur vor dem Arsenale auf der Seite von Pera. In jedem besorgen besondere Dampfer den Verkehr die Ufer entlang und von einem zum andern hinüber. Nur dem zweiten und dritten Hafen dienen einzelne Dampfer gemeinschaftlich; die legen dann unter der zweiten Hafenbrücke den Rauchfang um. Das Abstoßen, Landen und das Fahren selbst geht weit schneller und behender, als das auf unseren Flüssen und Landseen gewagt wird. Und doch wird dabei so große Vorsicht beobachtet, daß ich Dampfschiffe den kleinen Kaiks ausweichen, plötzlich stille stehen, den Lauf verdoppeln sah, um sie vorüber zu lassen oder zu überholen. Es war, als habe das dampfende Ungethüm nur einer gelenkigen Hand und nicht einer umständlichen Maschine zu folgen. Der Verkehr ist ein ungeheurer und stellt den Volksreichthum dieser großen Stadt recht eindringlich vor die Augen. An den Durchlaß-Oeffnungen der Brücken drängt er sich am auffälligsten zusammen. Jede Brücke hat deren zwei, die eine näher dem Ufer Stambuls für die Fahrt in das goldene Horn, die andere näher dem Ufer Pera’s für die Fahrt aus demselben. Die Sonne war warm, die Wasserfläche glänzend wie Silber und mein Sinn heiter wie der blaue Himmel. Im leichten Kahn zwischen zwei lachenden Ufern auf glattem Wasser dahin zu fliegen, wahrlich es ist ein Bild der Sorgenlosigkeit und gibt sie zuletzt selbst dem Gemüthe. Ich ließ mir wieder die Namen der größeren Moscheen nennen. Es sind die ihrer Erbauer, wie bei unseren Kirchen gewöhnlich die ihrer Schutzpatrone; das waren die Sultane von den großen, die wie Hügel auf den sieben Hügeln Stambuls sich erheben. So haben Mohammed der Eroberer, Bajasid II., Selim I., Soleiman der Große und Achmed I. sich die Unsterblichkeit auch durch die Steine festzuhalten gesucht. Diese größern, die von Kuppeln gedeckt, von Minareten bewacht und von wohlthätigen Anstalten umrungen sind, nennen die Türken ~Djami~, d. i. Versammlungsort; die kleinen, die häufig sogar von Holz, aber nie ohne wenigstens ein Minaret sind, ~Medjid~, Bethaus. Aus dem letzteren mag sich der Europäer das sonst ganz unerklärliche und dem Türken unverständliche Wort Moschee gebildet haben. Indeß was liegt an dem Laute, wenn er nur den Gedanken verdolmetscht. Auf dem Ufer von Stambul, hart am Saume des Wassers, erregte ein Haus mein Erstaunen, das, aus Holz gebaut, mit Latten verschlagen, vier Fenster breit, sich vor den andern ohnedem nicht überaus lothrechten, durch eine solche Neigung nach links auszeichnet, daß seine Querlinien beinahe in die ursprünglich senkrechten gerückt sind. Nicht eine Stunde würde unsere Bauordnung diese Uebertretung ihrer Vorschriften ungestraft und das Haus bewohnt lassen. Hier leben und, wie die Vorhänge verriethen, ganz wohlhabende Leute darinnen, und leben, was das allerärgste ist, seit 25 Jahren unbehelligt und vielleicht sicherer als in einem bauordnungsmäßig construirten Hause. Es erfüllt seinen Zweck und erscheint darum dem Eigenthümer und der Polizei vorwurfsfrei. Bei uns verliert man den gerne in der Sorge um das Nebensächliche, und insbesondere sind es unsere Gesetze, die, um den Beamten Futter zu geben, ganz ähnlich der Martha des Evangeliums, sich viele Sorge und Mühe um das Ueberflüssige machen, und darüber das Eine, was uns Noth that, vergessen. Im Staatswesen könnte eben auch die heil. Schrift öfter zu Rathe gezogen werden, als das der Unglaube unserer Zeit erlaubt. Der Landungsplatz von Ejub war menschenleer, und leer und stille war die eigenthümliche Straße, die sich vor uns aufthat. Der Boden ist mit saubern Steinen gepflastert, und zu beiden Seiten stehen hohe Mauern aus weißem Marmor, die durch Halbsäulen und Rundbogen architektonisch gegliedert, und an den Enden, und ab und zu in der Fronte durch vorspringende Mausoleen unterbrochen sind. In die Rundbogen, die alle offen sind, und in die Fenster der Mausoleen sind vergoldete Gitter eingesetzt; dahinter liegt dichtes, beinahe undurchdringlich verwachsenes Rosengebüsch und darüber das Gewölbe uralter Platanen, Ahorne und Maulbeerbäume. Das ist eine Stadt der Todten, aber ohne jeden Schrecken des Todes, ein Zaubergarten des Schlafes, der in Ruhe und Vergessenheit die Müden beherbergt, bis die Posaunen der Auferstehung sie zu einem neuen aber besseren und endlosen Leben erwecken. In den Grabkapellen, die im Türkischen ~Türbe~ heißen, sah ich hohe Sarggerüste aufgebahrt, kostbare Shawls darüber gehängt, den Boden mit persischen Teppichen belegt und zu Häupten des Gerüstes einen Turban so um einen Pflock geschlungen, wie ihn der Begrabene zu Lebzeiten getragen. Der Leichnam ist in die Erde versenkt, darüber aus Stein oder Ziegelplatten eine Art Sargdeckel gemauert und erst darauf das hohe Holzgerüste gestellt. Um und neben ihm liegen unter kleineren Sarkophagen seine Frau und Kinder. Aber nur die Mächtigsten und Reichsten können sich solche Türbes bauen; die Anderen, und auch unter diesen sind hier Viele, die in der Geschichte dieses Volkes genannt werden, liegen im Freien unter Marmorplatten und Rosensträuchern, manche auch noch durch vergoldete Gitter von ihren Nachbarn getrennt; dann haben sich die Rosen und Blumen daran noch höher geschlungen und die Todten darunter noch tiefer begraben. Wie wenn ich selbst schon in eine andere Welt entrückt wäre, so abgekehrt von allem Gewöhnlichen wurden meine Gedanken, als ich durch diese sonderbare, stille, geheimnißvolle Gasse schritt. Der Duft der Blüthen hatte mich betäubt und ihr blasser Farbenschmelz mich entzückt. Schöner und duftiger als hier habe ich die Rosen nirgends gefunden; der Name Rosenthal, der so oft mißbraucht wird, sollte dem Thale von Ejub ausschließlich gehören. Wir stiegen nun den Berg und dann von rückwärts seine Höhe hinauf. Dort sind dem Laubholze auch Cypressen beigemischt. Wildes Schlinggewächse hat sie unterschiedlos Ast an Ast, Baum an Baum gebunden, und Gräber schlafen auch da unter ihren Schatten. Der Nachmittag war uns heiß geworden, und der Weg steil und beschwerlich. Aber jedes Unbehagen schwand, als das spähende Auge den ersten Ausblick zwischen den Cypressenstämmen über die Gräber hin auf die große Ferne fand. Wie vom Blitze getroffen stand ich da, denn großartiger und freundlicher zugleich hatte ich die Welt nirgends gesehen. Vor mir lag das goldene Horn in seiner ganzen Länge bis zum Bosporus mit Schiffen, mit dem reichen Verkehre dieser Weltstadt bedeckt; auf seinen beiden Seiten die Höhenzüge von Stambul und Pera weit wie zu einer Umarmung hinausgestreckt, und Farben auf Land und Meer so lebensvoll, wie das Roth auf den Wangen rosiger Jugend. Es war das glänzendste, das prächtigste Bild des Lebens voll Luft und Rührigkeit, und um mich, damit ich es ungestört betrachte, die Lautlosigkeit der Gräber. Es ist ein friedebringendes Gefühl, überall Leben zu sehen und keines mehr zu hören; das läßt uns dieser Welt und löst uns doch los von dem Gewichte ihrer Ketten. Wir stehen in aber über ihr, und Zufriedenheit zieht in die Seele ein, wie sie sie sonst nur von dem versprochenen Jenseits hofft. Ob so nicht auch von dort herab der Blick auf unsere Erde fällt? Das wäre ein Mitleben der theuern Abgeschiedenen, ohne ein Mitleiden zu sein. Ich warf mich um zu ruhen auf den grünen Boden nieder. Im Thale unter mir, zurückgezogen in eine Einbuchtung der Hügel, stand die Moschee von Ejub. Nur ihre Kuppel und ihre Minarete langten aus den Baumwipfeln nach dem Lichte und dem Lärmen des Tages hervor. Sie verstecken das Grab eines Heiligen. Denn Ejub, der bei der dritten Belagerung Constantinopels durch die Araber die Fahne des Propheten vertheidigend fiel, soll dort eingescharrt worden sein. Als dann bei der zehnten und letzten Belagerung der Stadt durch die Mohammedaner der Muth der Angreifer eben nachlassen wollte, stärkte sie die rechtzeitige Wiederauffindung seiner Gebeine, und die Erinnerung an den Helden half mit die Stadt erobern. Dem Wunder und dem Helfer zum Gedächtnisse baute Mohammed II. die Moschee dahin. In ihr beginnt jeder Sultan mit der Umgürtung des Schwertes seine Regierung; denn nicht der Schein der Macht, Krone und Scepter, das Schwert, das wirklich trifft und tödtet, ist das Herrscherzeichen der heutigen Kaiser des Ostens. Ringsherum ist Berg und Thal dem Osmanen geweihter Grund, darin zu ruhen der sehnsüchtige Wunsch seines Lebens. Wer die Mittel zusammenbringt, baut sich selbst in Ejub sein Grab. Besonders sind es viele Gelehrte, Gesetzgeber, Männer von der Feder, die das erreicht haben. Von Kriegsleuten, die auch Europa kennt und gefürchtet hat, liegen Sokolli Mohammed Pascha, der Eroberer von Szigeth, und Kara Mustapha, der Eroberer von Cypern, hier. Uebrigens setzen auch in Ejub die Mohammedaner nur eine Tradition fort, die lange vor ihnen begonnen hatte. Immer war sein Boden ein heiliger; unter den Christen dem heiligen Mamas, der Kirche, Kloster, Palast und Rennspiele darauf hatte, und unter den Heiden dem Vater Zeus. Und immer wird er es bleiben, weil das Thal eine jener gottgezeichneten Gegenden ist, die sich der Schöpfer selbst zu seiner Wohnstätte geschaffen zu haben scheint. Zurück gingen wir durch den Ort; lauter niedere Holzhäuser, nicht anders als unsere schlechtesten Dorfhütten; sie sind unten offen, rührige Menschen bei ausdauernder Arbeit darin. Kein träges Zusammenlegen der Hände und neugieriges Aufschauen der Augen, um die Fremden anzustaunen. Wirklich, so hörte ich später, zeichnet sich diese Vorstadt durch besonders fleißige Bürger aus. Auch um ihrer Hunde willen könnte sie berühmt sein; es gibt dieser Wildlinge dort noch mehr, als in andern Theilen Constantinopels. III. Brussa und der Olymp. Reise nach Brussa. Pera, den 24. Mai, 6 Uhr Morgens. Ich stehe früh auf, das Erwachen des Tages zu sehen und die letzten Vorbereitungen zur Abreise zu vollenden. Nebel deckten grau und trübe die Aussicht, als sie sich aber verzogen, erschien der Morgen hell und glänzend, wie ihn der gestrige Abend versprochen. Es thut wohl so sichere Erwartung hegen, dem Himmel vertrauen zu dürfen, daß der nächste Tag sonnig und heiter wie der vorige sein werde. Bei uns verzehrt sich das halbe Leben in Zweifeln und Fragen nach dem Wetter und, da die andere Hälfte von der Sorge für unsere Bedürfnisse gefressen wird, bleiben zum Lebensgenusse nur die sparsamen Augenblicke zufälligen Sonnenscheines übrig. Hier, wo das anders, wo unsere Ausnahme die Regel ist, wo die Sonne nur dann nicht scheint, wenn sie untergegangen, hat das Leben schon darum mehr Raum zu seiner Ausbreitung. Mudania, Nachmittags 2 Uhr. Vor 7 Uhr ritten wir durch die große Galata-Gasse zu der ersten Hafenbrücke hinab. Dort lag der Dampfer für Brussa. Ueber die Verdecke einiger anderer Schiffe, die zwischen ihm und der Brückentreppe ankerten, stiegen wir auf das des unserigen. Der Kawaß und die Diener, die mit uns reisen, schnallten inzwischen den Pferden unsere Sättel und Gepäckstaschen ab und schleppten sie uns nach durch die zudrängende und schreiende Menge. Ein zweiter Dampfer, der ebenfalls nach Bithinien will, fuhr eben ab. Trotzdem fanden wir auf dem unserigen das Verdeck und die Kajüten so mit Passagieren überfüllt, daß wir verlegen waren, Platz für uns selbst und für unser Gepäck zu finden. Das Schiff ist nicht groß und durch zwei Rauchfänge noch mehr beengt. Zwischen diesen liegt die Maschine und darüber von einem Radkasten zum andern eine Brücke, um den Raum für die Reisenden zu vermehren. Auf dieses zweite Stockwerk wies uns ein Cameriere des Schiffes, dem der freigebige Ausdruck unserer Mienen wohl die Hoffnung auf ein Paar leicht zu verdienende Piaster gab. Um diesen Preis verschaffte uns sein Mitleiden sogar einige Strohschemel, denn nicht höher sind die Stühle, welche hier jeder, dem Kissen oder bloße Teppiche zu nieder sind, benützt; da ihnen auch jede Lehne fehlt, verliert das Sitzen darauf gar bald den Charakter einer Erholung. So lange wir noch im Hafen lagen, war unser erhabener Posten ganz angenehm, denn die Sonne brannte trotz der noch frühen Stunde so warm, daß der Luftzug wohl that; draußen aber auf dem freien Meere wurde seiner Kühle dort oben zu viel. Ich mußte die Uebersiedlung auf das untere Verdeck beantragen. Die See war silberblau und der Himmel, der sie doch erst an der Grenze des Horizonts umarmte, ihr so ähnlich, daß die unzähligen Schiffe mit ihren geschwellten Segeln in der Luft zu schweben schienen. Die Prinzen-Inseln stiegen links vor den nikomedischen Bergen in rothen Farben mehr und mehr aus der Fluth in Formen, die die Hand eines erfahrenen Künstlers eigens für dieses Bild gezogen zu haben scheint. Alles strahlte von morgendlicher Frische und sonniger Heiterkeit, wie das Leben selbst so lange es jung ist und nur Hoffnungen verspricht. Wir steuerten von den Küsten weg mehr ins freie Meer hinaus; der Golf von Ismid, wo das alte Nikomedien stand, blieb weit neben und dann hinter uns. Gegen Mittag erst that sich vor uns der Golf von Mudania auf, zur Rechten die malerischen scharfgeschnittenen Felsen der Insel Kalolimni, zur Linken die arganthonischen Berge aus dem Busen des Golfes in sanften Biegungen zum Vorgebirge von Bos-burun abfallend und doch hinter sich schroff und mächtig den Olymp und andere Riesen aufthürmend. Die Insel rechts lag in rosigen Düften wie in ein Wunderreich entrückt, während links die Küste des Festlandes immer näher kam und unterscheidbarer wurde. Dunkles Grün deckt die Hänge, nur unten hat das Wasser den rothen Stein und das rothe Erdreich nackt gewaschen. Das ist eine grelle aber glückliche Nebeneinanderstellung der Farben. Kalolimni war die Insel Besbikus und Bos-burun das Cap Posidium der Alten. Jason hat dort gelandet und sein schöner Gefährte Hylas sich in jenen Bergen und in den Armen reizender Nymphen verloren. Heute noch hat man ihn nicht wiedergefunden, obwohl ihn jährlich viele Jahrhunderte lang ein alter Cultus mit bedeutungsvollen Spielen suchte. Dem Gebirge lasse ich den früheren Namen: Arganthonius, weil der türkische, den meine Karte Samanly Dag angibt, weniger gekannt und mir gar nicht im Gedächtnisse haften will. Der ganze Golf war der Sinus Cianus; Gemleck, wohin der Dampfer weiter steuert, das Cius, welches ein Anderer der Argonauten auf der Rückkehr gegründet und nach sich benannt hat, und welches dann später derselbe König von Bithinien, der den Hannibal bei sich aufnahm, auf seinen Namen Prusias umtaufte. Mudania, oder doch Ruinen nahe bei, waren das Myrlea, welches dieser Prusias nach seiner Gattin, Apamea, nannte. Heute bilden nur wenige elende Hütten den Ort, und doch soll er, seit der Handel hier aus- und einzuladen beginnt, schon volkreicher und wohlhabender geworden sein. Er liegt auf der rechtseitigen Küste ziemlich halb Wegs der ganzen Tiefe des Golfes. Bis zu dem Endpunkte der Bucht, nach Gemleck, braucht der Dampfer noch zwei weitere Stunden. Es scheint gewöhnlich, schon hier für Brussa und andere Gegenden des Innern Asiens den Landweg zu nehmen, denn die meisten Passagiere rüsteten sich mit uns das Boot zu verlassen. Die Teppiche, die Decken und Kissen, auf denen sie geruht hatten, wurden zusammengerollt und gebunden, und die gewaltigen Bündel an dem Borde des Verdecks zu Hügeln übereinandergehäuft. Ein Türke, der mich schon während der Fahrt vor den Anderen beschäftigt hatte, fesselte auch bei diesem Aufbruche meine besondere Aufmerksamkeit. Regungslos hatte er auf einer rosenfarbenen Kattundecke mit untergeschlagenen Beinen gesessen, sein Diener ihm in derselben Position gegenüber und beide hatten Auge und Theilnahme nur für das Meer gehabt. Jetzt erst sprachen sie die ersten Worte, der Herr zum Diener offenbar Befehle, denn dieser reichte ihm darauf verschiedene Kleidungsstücke, sieben Kaftane, die der Herr alle anzog, einen über den anderen; es waren kostbare seidene und schön gestickte, aber auch abscheulich großgeblümte aus englischem Kattun darunter. Ueber alle nahm er zuletzt noch einen Pelz, und das bei einer Temperatur, die wir bei uns auch im Juli eine ungewöhnlich heiße nennen würden. Der Rest seines Gepäcks war nur klein; die Sorge dafür überließ er seinem Diener bis auf einen ganz europäisch gestickten und construirten Nachtsack, den er fest in seiner eigenen Hand behielt. Auf dem Kopfe hatte er einen blendend weißen Turban. Es war eine prächtige Gestalt, hoch und würdevoll, aber ohne jede Beimischung jenes übermüthigen Stolzes, dessen roher Ausdruck schon durch den bloßen Anblick beleidigt, weil Milde und Wohlwollen aus seinen blauen Augen und von seinen rothen Lippen lächelten. Ein kurz geschnittener blonder Bart umfaßte das Gesicht, das frisch und jugendlich war, wie es der ganze Mann zu sein schien; mehr als dreißig Jahre konnte er nicht zählen. Gutmüthig duldete er meine unbescheidene Beobachtung, die ihm nicht entging. Man sagte mir, das sei ein vornehmer, ein größerer Gutsherr aus dem Innern von Asien. Das war die Gestalt, die Kleidung, wie sich unsere Phantasie den Türken vorstellt; nichts Europäisches, keine Entstellung an ihm. Nur so hellblond und blauäugig, wie ich schon so viele gesehen, hatte ich die Türken nicht geglaubt, und gerade diese sind die schönsten. Was uns beim Landen empfing, und was uns nun hier umgibt, ist -- da doch Stambul die Ueberraschung vorbereitet hat -- so plötzlich eine andere, als die gewohnte Welt geworden, daß man an zauberhafte Versetzung glauben könnte. Asien ist es mit allen seinen Eigenthümlichkeiten so vollständig, daß, wenn wir auch noch uns selbst vergessen könnten, jede Mahnung an den Erdtheil, den wir dort drüben jenseits dieses Meeres gelassen haben, vergessen und verloren wäre. Auf der Landungsbrücke kämpfte ein Gedränge zerlumpter Gestalten um den vordersten Platz zunächst dem Dampfer. Noch ehe die Maschine stand und er fest angelegt hatte, sprangen sie wie Tigerkatzen auf den Radkasten, auf das Verdeck herab; diejenigen, die es nicht erreichten, klammerten sich an die Brüstung und krochen daran hinauf. Junge aber auch ebenso alte Leute waren darunter, Jeder wagte sein Leben und das für wenige Paras, die er für das Tragen der Teppichbündel begehren darf. Zweimal in der Woche nur, wenn das Boot von Constantinopel kömmt, bietet sich ihm die Hoffnung auf diesen kargen Verdienst, der doch die acht Tage zumeist erhalten muß, darum der Hunger und der Wettstreit ihn zu erwerben. Ich war auf die Teppichbündel gestiegen und beobachtete von dort die Scene bis der Uebergang auf der Brücke freier und weniger lebensgefährlich geworden war. Wir mußten zunächst in ein Zollhaus. Die Zöllner saßen im alttürkischen Kleide mit unterschlagenen Beinen auf einer Gattung Tribüne, das türkische Schreibzeug auf niederen Pulten vor sich. Schnell und ebenso artig wurden wir von ihnen abgefertigt. Bis die Pferde zur Weiterreise bereitet sind, sollen wir in diesem Gasthofe ruhen, der neu gebaut und für europäische Reisende eingerichtet, in seinen drei Fremdenzimmern zwar nur geweißelte Wände, aber doch Bettstellen bietet. In der Wirthsstube spielt ein türkisches Orchester auf der Tarabuca, einem tamburinartigen Instrumente, auf einigen kleinen Pfeifen und schwach besaiteten Violinen Melodien, die mich durch ihre Ruhelosigkeit, durch das Hinüberziehen des einen Tones in den andern gar sehr an den ungarischen Csardas erinnern. Die Musik ist betäubend. Mir, dem das Plötzliche aller dieser neuen Eindrücke schon den Schwindel gegeben, droht sie die Sinne völlig zu verwirren. Ich flüchte auf die Terrasse, die vor dem Hause in das Meer hinaus gebaut ist; hier finde ich Einsamkeit und athme mit der salzig gewürzten Luft auch die Ruhe, die auf dem Meere den warmen Mittagsschlummer schläft. So fest ist der, daß selbst die Brandung, die doch sonst immer unbekümmert um Windesstille ihre eigenmächtige Sprache fortlispelt, in regungsloses Schweigen versunken, und die Fluth zu meinen Füßen geglättet wie draußen auf der hohen See ist. Dort liegen einige Fischerboote; mit ihren Steuerleuten rasten auch ihre Segel, die schlaff und halb gesenkt an den Masten hängen, von der gethanen Arbeit. So ist Ruhe und Erholung überall, in den Menschen und in den Dingen, lebendig und bewegt nur noch das Licht. Grüne und blaue Farben gleiten wechselnd über das Wasser, und silberne Streifen wellen leuchtend dazwischen. Mir gegenüber, auf der andern Seite des Golfes, glühen die runden Berge in rothen Lichtern, indessen tiefer drinnen, wo die Ufer sich treffen, und man das Land nur noch sieht, weil es bis in die Höhen des ewigen Schnees emporsteigt, versöhnliche Schatten um die schrofferen Formen gehüllt sind, damit sie passender in den heiteren Ton des ganzen Bildes stimmen. Dort ragt höher als alle anderen, wie er auch alle durch Schönheit übertrifft, der Katerlü Dag empor. Der Schlaf einer ganzen Nacht hätte mir nicht mehr Erquickung und Sammlung geben können als das ungestörte Schauen dieser einen Stunde. Wie eine Wechselwirkung spannt sich der Verkehr zwischen uns und der Natur aus. Ich fühle den Frieden, der in ihr ruht, und sie scheint -- so wenigstens meinem Auge, das alles glaubt, was in seinen Vorstellungen gegenwärtig ist -- von Gedanken erregt, wie sie aufwühlend mein Inneres durchziehen. Wer das so erfahren, wird den Orientalen nicht mehr tadeln, wenn er ihn tagelang in stummem Sehen vor solchen Bildern sitzend findet. Müßig mag man dabei seine Hände und Füße schelten, aber nicht seinen Geist; der kann solcher Schönheit gegenüber nicht anders als nach ihrem Schöpfer fragen und ihm danken, daß er sie geschaffen und daß er ihn sie schauen läßt. Derselbe Gedanke wird zugleich Erkenntniß, Anbetung und Opfer, und dieselbe Betrachtung: Offenbarung und Glauben werden. So ist der Orient eben dadurch, daß er die Heimath aller Schönheit, der in der Natur wie in der Kunst gebornen, ist, auch die Geburtsstätte aller edelsten Religionen geworden. An den Ufern des Ganges, wie an denen des Nils und an dem großen griechischen Weltmeere, wie an dem kleinen galiläischen See Tiberias hat die hellere Sonne selbst dem Menschen geholfen, sich den Gott und den Glauben zu finden, der den Völkern und den Jahrtausenden erst ihre Richtung und ihre Würde gab. Solche Entdeckung wieder zu verlieren und zu läugnen, das war nur dem Norden möglich, wo sich Nebel zwischen die Augen und die Gotteswerke legen und Kälte die Gedanken einer warmen Empfindung in jammervolle Hungergestalten erstarrt. Der Atheismus ist keine Pflanze des Südens, sein Boden treibt schönere und nahrhaftere Früchte. Brussa, Hôtel d’Olympe, 24. Mai Mitternacht. Um 2 Uhr stiegen wir in Mudania auf die Pferde; es waren ihrer achte. Die beiden Kawassen voraus und die Packpferde hinten nach zogen wir aus, Einer hinter dem Andern, im sonderbarsten Aufputze, wie ihn sich Jeder als Schutzmittel gegen den Sonnenstich zusammengestellt hatte. Der Jaschmack, ein weißer Schleier, der in dichten Falten um den Kopf des Hutes gewunden wird und dessen Zipfel über den Nacken bis auf den Rücken hängen, fehlte keiner Toilette. Ich verstärkte diese Abwehr noch durch einen weißen Sonnenschirm. Eine Weile geht der Weg über den Strand des Meeres. Eine leichte Brise hatte sich erhoben und trieb die Wellen bis unter die Füße unserer Pferde. Wo sie aufschlugen und zerrannen, da brachen die zurückbleibenden Tropfen in alle Farben des Regenbogens auseinander. Wie ich das und unseren Zug sah, fiel mir ein Gemälde und der Wunsch ein, der mir davor gekommen war; Peter +Heß+ hat es gemalt und König Ludwig es in der neuen Pinakothek zu München ausgestellt: „Griechische Landleute ziehen auf dem Strande des Meeres dahin.“ Das ist so, wie heute unser Ritt war; das Meer so blau, der Strand so bunt und die Luft so klar, wie das Wasser neben, der Boden unter und der Himmel über uns. Und wie ich mir damals gewünscht hatte, heiß, und jedesmal wenn ich das Bild wieder sah begehrlicher, daß ich das auch einmal erlebe, so war es mir nun geworden. Es ist das nicht das erste Mal, daß mir scheinbar Unmögliches, das ich übermüthig begehrt hatte, gewährt worden ist; dem Wunsche, wenn er nur fest und unablässig bleibt, wird selten die Erfüllung fehlen. Eine eigenthümliche Kraft, etwas wie ein elektrisches Fluidum ist in ihm wirksam, das instinktiv unsere ganze Thätigkeit nach dem einen Ziele richtet. Wird dieses dann so wie heute erreicht, dann scheint es mir die Pflicht eines schuldigen Dankes, der glücklichen Stunde und der Veranlassung zu gedenken, die zuerst die Sehnsucht und das Verlangen geboren hat. Vom Ufer weg biegt der Weg rechts in Felder und in Thäler hinein und steigt dann die Berge hinauf. Oliven- und Feigenbäume, Reb- und andere Schlingpflanzen des Südens wachsen im üppigsten Reichthum, die Blätter goldig grün und noch frisch von der ersten Kraft ihrer Jugend. Eine Aloestaude stand hart neben der Straße, saftiger Epheu hat sich um sie geschlungen, aber vorsichtiger als die Liebe, die sich hingebend um das fremde Herz legt und für ihre Umarmung nur Stiche erntet, so gewandt, daß keines der großen Blätter durch die Stacheln verletzt war. Das waren mir lauter neue Bilder, nie hatte ich die Landschaft so gesehen; jedes überraschte mich, und doch war mir auch, als erkenne ich da etwas wieder. Aber wo hatte unsere Bekanntschaft begonnen? Umsonst tastete ich in der Erinnerung herum, in ihrem Zwielichte wollte sich keine Spur finden lassen. Da kam uns eine Gestalt entgegen, die von oben bis unten in ein großes weißes Tuch gegen die Sonnenstrahlen vermummt war. Die war wie eine Erscheinung aus der Bibel. Nun hatte ich es; so wie dieses Land hatte meine Kinderphantasie schon die Erzählungen des neuen Testamentes illustrirt gesehen. So willkürlich verzweigt und in den Weg gebogen hatte ich mir den Feigenbaum vorgestellt, so dichtbuschig und melancholisch den Oelbaum, so wild und weitrankig die wilde Rebe, so hoch und knorrig den Cactus, so stachlig und emporgeschossen die Aloe, so gewellt die Hügel, so schollig den Boden, so wie diese Straße den Weg von Nazareth über Sichem gegen Jerusalem. Der Drang meiner Gefährten wurde mir zu ungeduldig, jeder Schritt meines Pferdes zu schnell, überall wollte ich halten, weil mir jeder Busch, jeder Baum, hier der Einblick in ein Thal, dort der Ausblick von einem Berge hundert neue Erinnerungen der schönsten Zeit, der unbewußt glücklichen Kindheit weckte. So greift die ferne Vergangenheit über breite Zwischenräume weg in die Gegenwart herein, und wirkt belebend und wird zugleich belebt. Da erfährt man, wie werthvoll solch’ ein thatenreicher Boden ist, und wie von den Ländern dasselbe was von den Menschen gilt: interessant und ergiebig sind nur jene, die schwer an Erinnerungen tragen. Ich weiß nicht, ob alle Kinderphantasien sich Asien so vorstellen wie es die meinige gethan; wenn es wäre, dann würde es meine Behauptung bestätigen, daß die freie Einfalt des Kindes das Wahre meistens errathe. Zweimal blickt das Auge zurück auf den Golf. Jedesmal, je höher wir gestiegen waren, ist das Bild größer und schöner. Dann fällt der Weg über zwei Berge in’s Thal von Brussa. Um halb 5 Uhr passirten wir den Nilufer, einen schmalen aber tiefen Fluß, der gegen Westen strömt. Sein sonderbarer Name, der so viel als Lotosblume bedeutet, ist ihm gewiß von jener griechischen Prinzessin geblieben, die Osman, der Gründer des heutigen Sultansgeschlechtes, von ihrem griechischen Hochzeitfeste weg seinem erst vierzehnjährigen Sohne Orchan raubte. Von der Blume selbst, die in ihm wachsen soll, fand ich keine, aber große gelbe Lilien, die aus dem Schilfe aufragen. Das Wasser war schmutzig von lehmiger Erde, welche die Strömung mitgerissen hatte. Auf dem anderen Ufer rasteten wir; es war unseren Pferden nothwendig wie uns selbst. Die Hütte eines Wachtcorps war der Stationsplatz. Vier Pflöcke, ein Dach darauf und eine Wand gegen die Wetterseite genügen der Anspruchslosigkeit dieser Leute und der Milde des Klima’s, um sie gegen seine Unbilden zu schützen. Mehr als mit Bequemlichkeiten waren sie mit Waffen versehen. Die vier Soldaten hatten ein ganzes Bataillon von Pistolen und Säbeln in ihren Gürteln stecken. Uns zeigten sie nur die freundlichen Seiten ihres Amtes und ihres Charakters; Strohschemel, Kaffeeschalen, Nargilehs und Kirschen brachten sie uns so viel sie hatten. Nur Zucker und Brod fehlten ihrem Haushalte und unserem Mahle. Dafür war das Wasser um so köstlicher und der Hunger, welchen wir den ganzen Tag über gesammelt hatten, um so begieriger. Genährt und gestärkt stiegen wir wieder auf die Pferde zu dem Ritte, der immer noch zwei Stunden dauerte. Die Landschaft wechselt das Aussehen. Oben auf den Bergen hatte ich beinahe nur Arbutus, den Erdbeerstrauch, gefunden und den nur an einzelnen Stellen zur Höhe von Bäumen aufgeschossen, aber überall so dicht, daß seitab vom Wege nicht durchzudringen war. Unten im Thale stehen Pappeln, Platanen, zahme Kastanien, Terebinthen und Ahorn in feste Gruppen gesammelt und einzeln über die Wiesen zerstreut. Wo das Gras fehlt, da decken beinahe noch grüner und saftiger die Maulbeerbaumfelder den Boden. Diese Felder sind auf’s sorgsamste gepflegt, die Stöcke gleichmäßig weit von einander gepflanzt, dazwischen alle Unkräuter ausgejätet, damit den Bäumchen nichts von der Kraft des Bodens absorbirt werde. Da man sie sehr nieder und alle gleich hoch hält, fließen ihre Säfte in die Blätter, und sehen die Felder von oben und aus der Entfernung betrachtet wie gesunde, von der Sonne beglänzte Wiesenmatten aus. Wo ein Bauernhaus stand, da saß auch der Friede mit einigen Storchennestern auf dem Dache; ich zählte auf einem einzigen nicht weniger als eilf Nester mit siebzehn Störchen. Keiner kümmerte sich um uns, und so auch jene nicht, die auf den Wiesen und Feldern herumstolzirten. Sie müssen sich bei dem hiesigen Volke heilig wie die Katzen bei den alten Egyptiern wissen. Es kann dort solcher Vierbeiner kaum mehr als hier dieser Einbeiner gegeben haben. Zwei Karavanen überholten wir, jede wohl von 50-70 Kameelen. Mit leichten Ketten und starken Stricken ist eines an das andere gebunden, ab und zu ein Esel dazwischen, weil sie ihm williger folgen. Ein paar Führer leiten und bewachen den langen schwer beladenen Zug. Gravitätisch und mit großen Schritten, die an den Gang der Störche erinnern, und im gleichgemessenen Heben und Senken des Rückens ziehen diese sonderbaren Thiere ihre Straße dahin, gleichgiltig für jedes Rechts und Links, nur immer geradeaus blickend. Dabei ist ihr Auge nicht todt, nicht glanzlos, es ist mehr, als sei ihnen Alles, was sie umgibt, verächtlich, als wüßten sie das einzig Berücksichtigungswürdige in sich selbst. Es verräth eine Episode aus der Geschichte der türkischen Volkswirthschaft, daß das erste Geldmaß seinen Namen von der Kameellast entlehnte. ~Juk~, die Last, hieß die Summe, mit welcher anfänglich gerechnet ward. So gibt das, was einem Volke in seiner Beschäftigung das Wichtigste ist, auch dem Tauschgeschäfte den ersten Namen. ~Pecus~, das Rindvieh, der ~pecunia~ der römischen Hirten. Immer fand ich, daß sich zwischen dem Menschen und seinen zumeist gebrauchten Hausthieren eine gewisse Aehnlichkeit bilde, nie aber sah ich die auffallender, als hier zwischen den Kameelen und seinem Landsmanne ausgeprägt. Beide haben dieselbe Ruhe der äußeren Erscheinung und dieselbe Erregbarkeit der inneren Empfindung; beide sind unterwürfig ihrem Schicksale und folgsam den Sclavendiensten, wenn sie ihnen ihre Bestimmung auferlegt hat; daher denn auch das Verständniß und die treue Anhänglichkeit, die sie einander zeigen. Der Mensch und das Thier sind nicht so scharf geschieden, als dies die wissenschaftliche Definition beweisen will. Ja den ersten Zeiten unserer Culturentwicklung, da unser Hochmuth noch weniger eingebildet und unser Instinkt noch freier ist, tritt das klar zu Tage, und hält es Niemand für nothwendig, Zweifel daran zu legen, um die menschliche Würde zu erhöhen. Es waren dieses die ersten Kameele gewesen, die ich anders sah, als man sie bei uns gewöhnlich der Merkwürdigkeit halber zeigt. Wer sich erinnert, wie oft ihm irgend eine Kleinigkeit, die er aber sonst nur aus der Ferne und so gewissermaßen respectvoll gegen Entrée hatte anstaunen können, in dem Augenblicke, wenn sie als alltägliche Gewöhnlichkeit an ihn herangetreten ist, auch alle die Phantasien lebendig gemacht hat, die er früher daran geknüpft hatte, der wird es begreifen, daß ich mich nun vollends in die Wirklichkeit jener Dichtungen versetzt fühlte, die ich über den Orient gelesen und gedacht habe. Lange noch blickte ich vom Pferde nach dem gleichförmig schleichenden Zuge zurück, der sich wie eine Schlange über die Hügel wand. Erst ein neues Bild vor mir lenkte meine Aufmerksamkeit davon ab. Unter ungeheuren Platanen waren um einen schönen Brunnen bunte Gestalten bei heiteren Spielen versammelt. Griechische Jünglinge übten einen Tanz; Armenierinnen wiegten sich in Schaukeln, die sie von einem Baume zum anderen gespannt hatten; türkische Frauen saßen auf ihren Teppichen zuschauend dabei, ihre Kinder balgten sich; ein Caffeegi bot seine kleinen Schalen und großen Pfeifen aus; Zuckerbäcker hatten ihre tragbaren dreifüßigen Tische aufgestellt; reichgeschirrte Pferde wurden herumgeführt und vergoldete Arabats harrten, um ihre Herrschaften wieder nach der Stadt zurück zu fahren. Wir waren Brussa nahe gekommen. Die Vegetation wurde noch reicher, und die Bäume noch höher und dichter; oben schließen sich ihre Kronen zu festen Gewölben, und unten verengen ihre Zweige den Durchlaß; darum und dazwischen sind wilde Reben, Nachtschatten und andere mir unbekannte Schlingpflanzen in wuchernder Fülle geschlungen, und Brennessel drohen daraus mit mehr als mannshohen Stauden hervor, daß jede Abweichung vom Pfade in die Felder hinein unmöglich oder doch gefährlich ist. Ueber diese natürlichen Hecken strecken wieder Feigenbäume ihre großblätterigen Aeste in die Straße, an denen die Früchte schon Farben der Reife angesetzt haben, und Granatblüthen leuchten mit glühendem Roth in all’ das Wirrniß und Dunkel herein. So dicht und schattig ist das, daß man den Abend schon gekommen glauben könnte, erschiene nicht auf den Hängen der Berge noch das Licht der Sonne; die erheben sich vor uns langgezogen und himmelanstrebend, wie nur irgend eine Kette der Alpen. Das ist der asiatische Olymp, nicht ein Berg, ein Gebirge, das vom Marmora-Meere bis zum schwarzen Meere reicht. Mit einer geraden Linie schließt es vor uns gegen Süden die Ebene unmittelbar aus der Thalsohle aufwachsend, an seinem Fuße grün und frisch wie das Thal selbst, auf seinem Haupte weiß wie das älteste Alter. In großen Feldern liegt dort noch der Schnee des Winters. Die Stadt Brussa steht unten auf dem Fuße dieses Riesen wie bewacht, aber auch wie bedroht, so im Laube verborgen, daß man ihr sehr nahe kommen muß, um mehr als einige Kuppeln und Minarete von ihr zu erspähen. Der Ueberfluß, der unbändigbar aus diesem wunderkräftigen Boden sprießt, scheint ihr über den Kopf gewachsen zu sein. Grüner als den Olymp und das Thal von Brussa habe ich keine Gegend, auch das höchste Alpenthal nicht gesehen; dabei ist es nicht jene einförmige Farbe, die in unseren Ländern den Maler so oft in Verzweiflung bringt. Vom hellsten Gold bis zum dunkelsten Schwarz steigt es in zarten Mischungen alle Abstufungen hinauf; der Schnee der Alpen und die Sonne des Südens sind zugleich Gevatter an seiner Wiege gestanden, und reicher und schöner ist kein anderes Kind beschenkt worden. Nur wer Brussa gesehen, weiß was die Erde leisten kann. Ein Regenbogen stand über dieses Paradies ausgespannt, als wir darein einzogen, das würdige Thor zu solcher Herrlichkeit. Immer glaubte ich das Beiwort „unbeschreiblich“ ein Bequemlichkeitspolster der Faulheit; jetzt, da ich Brussa gesehen, gestehe ich ihm seine Berechtigung zu. Die lebhaftesten Farben in die schönsten Contouren gelegt, und das Bild, das sich die Phantasie gemalt, wird doch arm neben der Wirklichkeit erscheinen, wie sie hier ist. Es war 7 Uhr, als wir vor dem Hôtel d’Olympe von unseren Pferden stiegen. Der Gasthof ist gleich hinter der westlichen Vorstadt in einem der ersten Häuser eingerichtet. Er steht auf dem Abhange des Berges, der nur durch die schmale Straße unterbrochen von ihm wieder tiefer in das Thal hinabfällt. Das liegt bis zur gegenüberstehenden Kette des Katerlü-Gebirges überschaubar vor unseren Fenstern ausgebreitet. Die Zimmer sind rein, sogar europäischer Verwöhnung genügsam; der österreichische Consul, Herr Falkeisen, hat sie uns bestellt. Beim Diner, das nach 8 Uhr genommen wurde, sahen wir, daß der Gasthof noch andere Fremde beherberge. Eine französische Familie fiel mir auf, weil sich Mann und Frau trotz zweier schon ziemlich erwachsener Kinder noch immer Zeichen einer jugendfrischen Liebe erwiesen. Man nannte mir den Namen des Vaters und erläuterte dazu, er sei ein Ingenieur in dem Dienste und in der besonderen Gunst des Sultans, der hierher zur Berathung des kaiserlichen Commissärs, Achmed Veffick Effendi, gesandt worden. Von diesem allgewaltigen Beherrscher dieser Provinz war zwischen den Tischgästen so viel die Rede, daß meine Neugierde bald noch mehr zu hören begehrte. Besteigung des Olymp. Brussa, den 24. Mai. Es war noch völlige Nacht als wir aufstanden; die Pferde ließen warten. In der Stadt regte sich kaum einiges Leben. Wir ritten durch sie über einen Gießbach, der in einer tiefen Felsschlucht vom Olymp dem Thale zufließt. Gleich hinter den letzten Häusern steigt der Weg steil an und wird immer steiler. Der dichte Reichthum dieses üppigen Bodens, Platanen, Eichen, Maulbeer-, Nuß- und Kastanienbäume beschatten ihn. Männliche und weibliche Cypressen, oft beide einander nahe wie zu ehelichem Bunde, bringen mit ihrer dunkleren Farbe Wechsel in das hellere Grün des Laubes. Darunter sprießen in wundervoller Farbenpracht Anemonen, Hyacinthen und Tulpen, und Quellen geben dem geblümten Boden Frische und Kraft, wie das Blut sie dem menschlichen Körper gibt. Wo sie aus der Erde herauswollen und nicht sollen, weil sie weiter geleitet sind, da beweisen Steine, die schützend über die offene Stelle gelegt sind, die Achtung des Türken für dieses Leben gebende Element. Nach beinahe zweistündigem Ritte hatten wir das erste Plateau erstiegen. Blumen fanden wir dort noch mehr und schönere als im Thale unten. Die großen Bäume schrumpfen immer mehr in niedere Sträuche zusammen; die Zwergeiche, früher nur vereinzelt, füllt jetzt beinahe ausschließlich das Feld. Die Kastanie kömmt nur noch in seltenen Büschen vor und auch an diesen sind die Blätter kleiner und in der Entwicklung zurück. Allmälig geschieht diese Wandlung an allem Laubholze, bis es ganz ausbleibt und Nadelholz an seine Stelle tritt; selbst auf solcher Höhe zeigt sich an diesem der Einfluß der wärmeren Sonne. Die Tanne und Fichte ist reicher bezweigt und jeder Zweig reicher mit Nadeln besteckt, so daß die Bäume voller und weicher als die des deutschen Waldes erscheinen. Inzwischen ist der Weg an einzelnen Stellen sogar gefährlich geworden, weil sich zu seiner Rechten ein steiler Abgrund in eine Schlucht senkt, die der Ebene zustrebt mit demselben Goldgrün gefüllt, das auch uns umgab, und das den Blick erfreut soweit er das Land überschauen kann. Getrennt durch solche Schluchten stützen herausspringende kleinere Berge, wie die Strebepfeiler an den gothischen Domen, den Hauptstock des Olymp’s, als müßten sie den Koloß vom Ausweichen und Ausgleiten nach der Stadt, die sich vertrauensvoll zu seinen Füßen gebettet, zurückhalten. Mit der höheren Höhe war auch die Aussicht gewachsen. Schon sahen wir ziemlich das Beste, was der Olymp überhaupt sehen läßt. Im Westen die silberglänzende Fläche des Apollonia-See’s mit einer größern und einer kleinern Insel darauf. Der Spiegel des See’s schließt nach dieser Richtung den Horizont. Im Nordwesten über dem Katerlü-Gebirge den Golf von Mudania, welchen im Osten die Arganthonischen Berge von dem Busen von Ismid trennen, bis sie mit Bos-burun in die offene See fallen, welche darüber hinaus in zarten Düften lag. Die Ferne war überhaupt durch die Schleier, wie sie sich nach den ersten Stunden des Sonnenaufgangs bilden, unkenntlich. So auch ahnte ich mehr den nikomedischen Golf, als daß ich behaupten dürfte, ihn gesehen zu haben. Brussa selbst, das während des Aufsteigens lange und oft mit seinen malerischen Formen und Farben, wie die unterste der Berglilien, womit wir die Höhen des Olymp geschmückt fanden, sichtbar ist, Brussa war und blieb nunmehr dem Auge verborgen. Wir ritten in eine eigenthümliche Welt, in ein wahres Schattenreich der abgestorbenen Natur ein. Lemuren starrten uns von allen Seiten an und streckten uns die kahlen grauen Aeste lebloser Stämme entgegen; Laub und Rinde waren ihnen abgefallen, nur die knochigen Körper aufrecht geblieben. Ganze Wälder umgaben uns in dieser skeletartigen Gestalt. Ein Brand, der vor einigen Jahren durch drei Wochen den Olymp verheert hatte, hat sie so zugerichtet. Abstechend und unvermittelt, so wie das Leben überall neben dem Tode steht, blühten unter diesen saftlosen Gespenstern ganze Felder von Stiefmütterchen, so weit verbreitet und so blau gefärbt, daß es wie Wolkenschatten auf den Abhängen des Berges lag. Die Asche der Bäume hatte die natürliche Zeugungskraft des Bodens noch gemehrt; die Zerstörung des Einen war das Leben des Andern geworden. Es ist derselbe Vertilgungskampf, der auch die Menschenwelt durchzieht. Alles wird und ist nur durch den Tod des Gewesenen. Wie sollte da der Egoismus nicht der vorlauteste Trieb unseres Willens sein? Nach der dritten Stunde kamen wir auf eine ebene Wiese. Zwergtannen, Zwergkiefern begannen den Boden zu überziehen, aber immer noch wuchsen auch baumhohe Nadelhölzer dazwischen. Durch ihre Zweige schimmerte von nahen Höhen der Schnee herab; Felsen stellen sich in den Weg, der eben weiter geht. Da thut sich plötzlich eine Gruppe von Bäumen, die uns aufgenommen hatte, auf, und eingerahmt von riesigen Föhren, hinter einem kleinen Tümpel und einem großen Steinfelde, zeigt sich überwältigend nahe die langgezogene, in Schnee erstarrte Kette der obersten Gipfel des Olymp’s. Schöner als von diesem Punkte aus sahen wir sie nicht wieder. Der Vordergrund, der vom Wasser, von den Steinblöcken, von den Tannen und Büschen vielfältig belebt ist, gestaltet im Contraste mit der ruhigen Einförmigkeit des gewaltigen Hintergrundes das Bild zu einem der außerordentlichsten und stimmungsvollsten. Was Olymp heißt, ist nicht eine Bergspitze, sondern ein starker Gebirgsstock, ein Nebeneinander von Bergen. Keiner hat steile spitze Formen. Von diesem Plateau aus gesehen schwingen sie sich von rechts nach links, d. i. von Nordwest gegen Südost in sechs Rundbogen; dann steigt eine langsame aber beinahe gerade Linie zur obersten Höhe. Auf der anderen Seite fällt sie in einen tief und scharf eingeschnittenen Sattel, und wächst zu einer zweiten aber weniger hohen Kuppe empor. Die Fortsetzung des Zuges verschwindet im Osten hinter niedrigeren aber vorliegenden Höhen. Das der Umriß des Berges. Sein Körper fällt von den beiden obersten Gipfeln in einen großen Kessel hinab, den nur ein niederer Rücken von dem Thale trennt, in dem wir ritten. Schnee lag schon auf jenem Rücken, füllte den Kessel ganz und bedeckte weiter hinauf bis zu den Spitzen den Berg so dicht, daß der Wind, der doch dort ungehemmt genug ist, das Erdreich nirgends hatte zu Tage kehren können. Es ist dieselbe ungeheure weiße Wüste wie auf unseren deutschen Alpen, und wie dort empfand ich auch hier dasselbe Gefühl der Befremdung, des Losgelöstseins von allem irdischen Verbande. Ist man so hoch, dem Himmel wirklich näher, oder ist es nur die freiere Luft, die uns die Sorgen vergessen und in der Vergessenheit einen Vorgeschmack des Jenseits kosten macht? Fremd scheinen sich hier oben übrigens auch die Eingebornen des Landes zu fühlen. Keiner von denen, die mit uns waren, wollte sich zu dem Wagniß hergeben, mich höher hinauf zu führen. Der noch allzutiefe Schnee war der Grund ihrer Weigerung; diesem ungewohnten Elemente gegenüber sind sie ängstlich wie Kinder vor ungekannten Gespenstern. Mir, der an unsere Alpen gewöhnt ist, imponirte dieses Hinderniß nicht und schien die weitere Besteigung leicht möglich. Strebsamer als die Anderen, die auf einem großen Felsblocke gelagert blieben, versuchte ich sie. Nur durch Felsen und Zwergkiefern manchmal aufgehalten und zu Umgehungen genöthigt, im Ganzen aber leichter als bei der Ersteigung unserer Berge ging ich eine Stunde, die mich eine weite Strecke aufwärts förderte. Der letzte Stock des Olymp’s mit den zwei Gipfeln stieg aus der letzten Thalsohle vor mir auf. Ueber Schneefelder, die von buntfarbigen Blumen umkränzt waren, drang ich zu ihm vorwärts, dann wieder hinauf, als mir der Wind schwache Flintenschüsse zutrug, die die Besorgniß meiner Freunde mir nachgesandt hatte. Auch Gewitterwolken, die aus dem Innern Asiens kamen, mahnten zur Umkehr. So mußte ich denn auch das, wie so manches Andere, vor dem letzten Schritte zum Erfolge aufgeben, resignirt zwar, aber doch nicht ohne eine Wolke von Verstimmung. Der Schweiß lastet schwer in der Erinnerung, wenn er an unfertige Arbeiten vergeudet worden ist. Wie hoch ich gewesen und wie hoch der Olymp sei? Ich wage keine Zahl zu behaupten, weil ich auf den Karten und in den Handbüchern zu verschiedene angegeben finde. Vergleiche ich ihn mit anderen Bergen und lasse ich bei dieser Messung nicht außer Rechnung, daß das Thal von Brussa dem Meere nahe und nicht viel über dessen Fläche liegt, so werde ich 8000 Fuß rathen. Viel darüber oder darunter erhebt er sich gewiß nicht. Daß ihm bei einer verhältnißmäßig so niederen Höhe unter so warmer Sonne der Schnee fortwährend wie auf unseren kälteren Alpen liegen bleibt, ist eine Naturerscheinung, die mich schon bei dem Taygetus überrascht hat. Es müssen da Factoren unabhängig von jeder Sonne bestimmend sein. Um 2 Uhr traten wir den Rückweg an. Bevölkert wie das Thal von Brussa mit Störchen und Nachtigallen ist, sind es seine Berge mit Adlern. In Schaaren kreisten sie über unseren Häuptern und ließen sich nahebei auf die Büsche und Bäume nieder. Den Zeus hat der Unglaube und die Weisheit einer anderen Zeit von seinem olympischen Göttersitze herabgestürzt, aber seinen Lieblingsvogel, den königlichen Adler, konnten sie nicht von dieser heiligen Stätte vertreiben. Einen Versuch das zu thun, strafte uns der Olympier mit drohender Donnerstimme. Es kam nicht mehr zu einem zweiten Schusse. Aber so ist der Mensch, immer undankbar; dem Gotte, der uns Sonne und Licht in solchem Ueberflusse gegeben hatte, daß seine besondere Gunst nicht zu verkennen war, wollten wir eines seiner Thiere rauben. Die Lichter und Schatten des Abends schmückten die Gegend noch schöner als sie es des Morgens gewesen war. In ihrem Anblicke wurde das Gefährliche des Hinabsteigens vergessen. An den abschüssigsten Stellen gingen wir aber doch zu Fuße und führten die Pferde. Vom letzten Plateau geleitete man uns einen anderen Weg durch eine andere Schlucht zur Stadt hinab. Wir kamen über eine große Wiese, wo sich Kinder und Frauen, darunter viele Negerinnen, alle in den buntfarbigen, faltenreichen Kleidern des Orients, in der Kühle frischer Quellen und im Schatten mächtiger Platanen mit allerlei Scherzen ergötzten. Es war ein Bild, in seinen Farben, Tönen und Gestalten wieder ganz jenen Eindrücken der Bibel verwandt, und wir selbst, die wir in Schleier und Mantel gehüllt, mit Blumen aufgeputzt den steilen Zickzack des Berges hinabzogen, paßten ganz wohl hinein. Die Stadt betraten wir an ihrem östlichsten Ende. Sie ist dort noch ein weites Trümmerfeld, in das sie das Erdbeben vom Jahre 1855 verwandelt hat. Achmed Veffick Effendi arbeitet seit einigen Monaten eifrig am Wiederaufbaue. Die Straßen sollen breit und gerade und canalisirt werden, wie nur irgendwo im civilisirten Europa. Um 8 Uhr kehrten wir in unseren Gasthof zurück. Die Wanderung auf den Olymp ist nicht immer so sicher und gefahrlos gewesen, wie sie es uns heute war. In den Zeiten des Kaisers Augustus hausten organisirte Räuberbanden in seinen Wäldern; es kam damals so weit, daß sie sich feste Plätze darin bauten und als beherrschende Zwingherren über das niedere Land auftraten. Kleon, einer dieser Räuberhauptleute, war, durch Geschenke gewonnen, der Verbündete des Antonius, bis er das Glück sich von dem ehemaligen Lieblinge der wankelmüthigen Göttin abwenden sah und im aktischen Kriege den Augustus gegen den Antonius unterstützte. Das machte ihn dann vom Räuber zum Fürsten avanciren, ein Sprung, den die Geschichte so oft glücken gesehen, daß der trennende Graben nicht allzu breit sein kann. Glaubt man unseren Journalen, so herrscht auch jetzt noch im Olymp dieselbe Gewaltherrschaft, die die türkische Regierung dulde, weil sie keine Mittel finde, ihr zu wehren. Das ist unwahr oder doch übertrieben. Das Unrecht und die Gesetzlosigkeit wird sich ab und zu in diesen weitläufigen Bergen festsetzen, wie es darin zu Römerzeiten saß, als diese Länder doch übermäßig bevölkert und die Träger einer ausgebildeten Cultur waren, und wie es mitten in unseren civilisirten Städten am Herde der polizeilichen Oriflamme sitzt; aber unangefochten, geduldet, den Verkehr der Geschäfts- oder Vergnügungsreisenden hemmend, lassen es die Türken nicht. Brussa, den 26. Mai. Kein Regen mehr, der die Nacht über gefallen war; aber immer noch Wolken, die den Himmel trüben und die Sonne bergen. Ich blieb und ging den ganzen Tag allein. Im Westen der Stadt, eine halbe Stunde vor ihr, liegt der Ort Tschekirdsche inmitten uralter Platanen, Cypressen und Feigenbäume, hoch von einer Stufe des Berges das ganze Land überschauend. Heilkräftige Schwefelquellen entspringen dort in Menge; Bad ist an Bad mit massiven steinernen Kuppeln darüber gebaut. Bemerkenswerther aber ist die Moschee Murad I. Auch jetzt noch, wo sie beinahe eine Ruine und -- schlimmer als das -- vom Ungeschmacke der Menschen mit Tünche und Farbe entstellt ist, wirken ihre zierlichen Spitzbogen und das Massive des Ganzen im dichten Grün der Platanen auf das gefälligste. Von dem Minarete rief eben der Muezzin zum Gebete. Auf der Terrasse, die davor ist, waren einige wilde Hunde in festen Schlaf und einige Türken in stummes Schauen versunken. Von Ost nach West hatten sie das ganze Thal vor sich ausgebreitet, die Kuppeln kleiner Gräber im unmittelbaren Vordergrunde, einige davon geborsten, alle aber zugleich vom Wetter altersgebräunt und vom Epheu jugendgrün gefärbt. Mich zog’s noch weiter, auch in ungebahnte Wege, in Felder hinein, die von Maulbeer- und Feigenbäumen umgrenzt und durchschnitten, am prächtigsten aber durch Granatbäume geziert sind. Glühenderes Roth in zarterem Grün läßt die Natur an keinem anderen Stamme blühen. Von einem, der besonders reich damit gesegnet war, brach ich so viele Zweige, bis der Kopf meines Strohhutes mit rothen Blumen umflochten war. Scheu und mich umschauend, ob Niemand den Raub bemerkte, hatte ich es gethan und dann mich unter dem Baume niedergeworfen um zu ruhen, zu zeichnen, zu lesen und selbst zu schreiben. Halb in die Arbeit, halb in unthätiges Schauen nach den Wolkenschatten, die hell und dunkel wechselnd über die Fläche des Thales und die Felsenhänge des gegenüberliegenden Katerlü-Gebirges zogen, versunken, fühlte ich mich plötzlich berührt, geweckt. Erschrocken, wie man es durch jedes Unerwartete ist, fuhr ich auf. Ein kleiner Türkenjunge stand vor mir. Mit treuherzigen Augen bot er mir einen Strohschemel zu bequemerem Ausruhen an. Nahebei, hinter den Bäumen und durch sie mir verborgen, war ein Tschiflick, ein Bauernhof. Der Eigenthümer, ein rüstiger Greis, groß und ziemlich wohlbeleibt, in einen gelbseidenen Kaftan gekleidet, war herausgekommen und hatte mich bemerkt. Ich sah ihn in den Büschen stehen, eine Gestalt, so würdig und einladend, wie der alte Abraham, da er im Haine Mamre vor seiner Hütte die drei Männer zu Gaste empfängt. Der Knabe hatte gefunden, daß mir noch ein zweiter Sessel für meine Bücher und Schreibmaterialien nothwendig sei. Ich belohnte seine Gefälligkeit mit einigem Zuckerwerke, das ich gegen plötzlichen Hungerüberfall eingesteckt hatte. Erstaunt sah er mich und dann den Großvater an -- denn das konnte der alte Mann von dem Kinde nur sein -- und lief dann zu diesem, um ihm das Geschenk zu zeigen. Jetzt erst rührte sich der Alte und trat mir näher um zu danken. Indeß ich weiter schrieb, nahm er das Buch, worin ich gelesen hatte, zur Hand und blätterte darin. Es war der dritte Band der Denkwürdigkeiten und Erinnerungen aus dem Orient des Freiherrn von Prokesch. Nach einer Weile, da ich eben wieder sinnend auf das Land blickte, frug er mich, ob darinnen etwas von dem Kriege stehe, der in Europa geführt werde. So hatte mich denn die unglückselige Schleswig-Holsteinische Frage auf dem Olympe wieder eingeholt. Ich habe seitdem gehört, daß Erkundigungen nach den politischen Dingen die gewöhnlichen Gespräche der Eingeborenen mit den Franken sind. Sie halten jeden Europäer für vorzüglich zur Politik berufen, vielleicht daß sie von der Sündfluth unserer Zeitungen gehört haben. Mein Alter wollte noch verschiedenes über den Krieg mit den Dänen wissen, zuletzt auch, ob dieser Krieg nicht der Türkei Schaden bringen könne. „Wie wäre das möglich, da ihr Türken doch gar nichts damit zu thun habt?“ „Nun, weil es doch schon vorgekommen ist, daß ein Dritter ganz Unbetheiligter die Zeche für zwei Streitende zahlen mußte.“ Wie klug von dem unwissenden Manne und wie nahe vielleicht sogar in diesem Falle der Wahrheit! Nachmittags begegnete ich dem Aquarellmaler Pretiozi, der aus Pera hier ist, um Studien zu einem Album von Kleinasien zu sammeln, wie er die von Constantinopel und Kairo in Farbendruck publicirt hat. Die Straße, in der wir uns trafen, ist durch das Grün, das zu beiden Seiten dicht und hoch wie Mauern steht, ein wahrer Hohlweg; darüber schließen sich mächtige Baumkronen zusammen. Uns entgegen auf einem Esel kam eine Türkin, den Kopf in den weißen Jaschmack vermummt, daß nur die schwarzen Augen sichtbar waren, den Körper in einen hellblauen Mantel, den Feredje, gewickelt, vor sich auf dem Halse des Esels ein gesundes aber zart gefärbtes Kind und zu beiden Seiten in zwei Körben zwei kräftige Buben. Ihre Köpfe guckten neugierig aus den Nestern wie junge Störche hervor, und das Mädchen, das die Frau an ihrer Brust hielt, streckte uns ein Mohnblumenbouquet entgegen, so groß, daß es nur beide Händchen halten konnten. Entzückt blieb der Künstler stehen, und rief der Frau zu das Gleiche zu thun. Ohne Erstaunen, gleichmüthig und gutwillig, wie Alles, Wort und Geberde, bei diesem Volke ist, that sie es. In wenigen Minuten war das Bild fertig, eines der glücklichsten, wie es der Meister selbst lobt, das ihm seit Wochen gelungen. „Die Flucht nach Aegypten“ würde ich es nennen, wenn ich ihm für eine Gemälde-Ausstellung den Namen finden sollte. Solche Begebnisse nenne ich die guten Einfälle des Schicksals; sie geben uns mehr, als alles mühsame Suchen. Auf dem Rückwege hielt mich das Grab eines Türken lange auf. Es ist an die Außenwand einer verfallenen Moschee gelehnt und ein Lorbeerbaum wächst aus seinem Hügel empor, so hoch und mächtig, daß er die geborstene Kuppel der Djami überragt und ihre stürzende Mauer auf die Seite drängt. Ein Schwarm lustiger Singvögel nistet in seinen Zweigen, und flog über meinem Kopfe zwitschernd ab und zu. Wie mich das packte, gleich bei dem ersten Blicke, die ganze Bedeutung dieses Bildes, das menschliche und natürliche Kräfte in vereintem Bemühen gestaltet haben; die Ruhe, die da herum war und die leisen Stimmen der Vögel, die sie noch merkbarer machten. Was erst nur blitzartig geweckte, nebelhafte Empfindung war, festigte sich in der Betrachtung zu klaren Gedanken. Ja, ich verstand es dieses Gedicht ohne Worte, das der größte aller Meister, die unbefangen zeugende, die absichtslos waltende Natur hier erschaffen. Verkörpert, wie auch die Sprache ihre besten Gedanken in Bildern gibt, spricht es eines der ernstesten, der entschiedensten Gesetze unseres Weltendaseins aus: daß aus der Verwesung sich das Leben mäste, um selbst wieder die Speise neuer Existenzen zu werden; daß Alles hinfällig und sterblich sei, und daß doch nichts zu sein aufhöre. Es ist nur ein ewiges Auf und Nieder des Werdens, ein endloser Proceß der Wiedererzeugung, in den die Dinge dieser Welt geordnet sind; es ist nicht das Vernichtungs-, es ist nur das Zerstörungsprincip, das sie regiert. Im Grunde lebt alles einmal Geborene ewig fort, und der Gedanke wie die Blume, die vor tausend Jahren blühten, sind heute in der einen oder anderen Form immer noch vorhanden. Der Vielen so schwer faßbare und als übernatürlich verworfene Begriff der Auferstehung spricht also nur ein einfaches und allgemein giltiges Naturgesetz aus. Darum durfte denn auch dieser Lorbeer, das Zeichen der Unsterblichkeit, in das, was wir den Tod nennen, seine Wurzeln heften. Beschattend und beschützend, wie er seine Zweige über dieses Grab breitet, schwebt der Glaube an ihn und seine Bedeutung über allem Ringen und Leiden der Sterblichen. Da ihr Staub und sein Stamm fortdauert, kann das, was belebend und beseelend, kann der Geist nicht endlich sein. Auch der Türke scheint dieses reizende Spiel der Natur als ein bedeutungsvolles Denkmal zu erkennen; ein vergoldetes Gitter ist um den Baum und das Grab gezogen. Den 26. Nachts. Wir unterbrachen Abends, als wir durch die Gassen der Stadt heimkehrten, einen grimmigen Kampf. Schon heute Morgens hatte ich auf meinen einsamen Spaziergängen erfahren, daß der hiesige wilde Hund unfreundlicher und feindseliger, als der von Constantinopel ist. Mit so energischen Anfällen hatten sie mir den Einlaß in Nebengassen verwehrt, daß ich, nachdem sich mein weißer Sonnenschirm als zu schwache Waffe erwiesen hatte, den Rückzug antreten mußte. Ich bezog damals diese übelwollende Gesinnung auf meine fremdartige Kleidung, nun aber sah ich Abends, daß sich diese Stimmung auch gegen Türkisches äußert. Ein junger Türke war mit zwei Kameraden gegen die Mauer eines Thorweges gelehnt gewesen. Ohne Veranlassung, so wenigstens erklärte er nachher, sprang ihm einer dieser Hunde an die Brust. Nur weil er sich gleich über den Hund auf den Boden warf, und die Zähne des Thieres sich in den Stickereien der Jacke verbissen, entging er schweren Verwundungen. So fanden wir die Scene, den Rest des Hundeschwarmes mit wüthendem Bellen gegen die beiden anderen Burschen gestellt, daß sie ihrem Genossen keine Hilfe bringen konnten. Das thaten erst mit schnellem Erfolge die großen Peitschen meiner Freunde, die sie zu solchem Zwecke mit sich führen; von den Pferden aus trafen sie rechts und links die Meute, auch den böswilligsten, der sich mit dem jungen Menschen auf der Erde wälzte, so kräftig, daß sie heulend die Flucht ergriffen und nur aus gesicherter Ferne einen Stillstand und entrüstete Drohung wagten. Der Bursche war bleich und zitternd; so kurz der Kampf, war er doch so erbittert gewesen, daß er alle Kräfte des nicht schwächlich aussehenden Mannes erschöpft hatte. Wir suchten ihn mit einigen Piastern zu trösten und trugen seinen Freunden auf, das Uebrige zu thun. Dieser wilde Hund ist eine ebenso eigenthümliche als häßliche und widrige Beigabe der türkischen Länder. In den Städten kömmt er besonders zahlreich vor, weil ihm die vielen Abfälle der Haushaltungen bequemen Lebensunterhalt gewähren. Einer gleicht dem Andern an Gestalt, wie an Charakter; alle sind mager, daß ihnen die Knochen hervorstehen, haben struppiges blondgelbes Haar, die Augen scheu und kriechend, ohne einen Blick jener Treuherzigkeit, der sonst die Anhänglichkeit des Hundes sprichwörtlich gemacht, und jene faule langsame Gangart mit geducktem Rücken und eingekniffenem Schwanze, welche Jean Paul’s Feldprediger Schmelzle für ein gesetzlich festzustellendes Zeichen der Wuth erklärt. Aus dem Wege gehen sie nur, wenn er ihnen auf energische Weise gewiesen wird; sonst lassen sie Fußgänger und Reiter über sich steigen, vergelten aber jeden unvorsichtigen Tritt mit unwirrschem Knurren, auch wohl mit einem bösgemeinten Bisse. Um mit ihren vielen Geschlechtsgenossen verträglich und in Frieden zu leben, haben sie in den Städten, ganz ähnlich den civilisirten Menschen, ihre angeborene Freiheit gewissen Beschränkungen unterworfen. Genau begrenzte Viertel haben ihre eigenen Bürger, ihre Hunderechte und Hundepflichten; dort kennt und duldet sich jeder Einheimische, aber jeder Fremde wird dafür auch ~viribus unitis~ hinausgebissen. Mag ihn nun Hunger oder Liebessehnsucht in das fremde Gebiet geführt haben, rücksichtslos ruft das Bellen des Ersten, der den Uebertreter bemerkt hat, die ganze Gemeindegenossenschaft zusammen und hat die ihn einmal umstellt, dann gibt es nur eilige Flucht mit zerrissenem Felle oder jämmerlichen Untergang auf einem blutigen und lärmenden Schlachtfelde. Ich habe manche solcher Scenen gesehen, die wahrhaft furchtbar waren. Daß solch ein Uebel ertragen werde, hat seine Ursache in der Achtung des Türken für den Buchstaben seines Religionsbuches. So hat jedes, auch das edelste Bestreben neben seinen guten seine schlimmen Folgen. Der Koran lehrt die Gleichberechtigung des Thieres, und befiehlt die Achtung seiner Rechte; das ist schön und gewiß auch richtig im Principe, und in einigen Fällen, wie bei den Singvögeln, die hier unbelästigt und genußbringend leben, wohlthätig selbst in seiner buchstäblichen Erfüllung; in anderen aber, wie eben bei den Hunden, zeigt sich, daß die Theorie, wenn sie sich in das Extrem verliert, zum Uebel werden kann. Um ihm in Constantinopel abzuhelfen, wo es die Klagen der anders gewöhnten Europäer am grellsten erscheinen lassen, schlug man wiederholt vor, alle dortigen wilden Hunde auf eine Insel zu deportiren, die man ihnen zu ausschließlichem Besitze überlassen würde. Das würde freilich den Ausgewiesenen ein baldiges Ende bereiten -- sie könnten sich nur selbst auffressen -- nicht aber der Hundefrage von Constantinopel. Der Duft seines Gassenunrathes würde bald wieder neue Bewohner in die entvölkerte Stadt aus der Umgebung hereinlocken. Auch ist der Vorschlag nie ernstlich in Ausführung genommen worden; vielleicht versucht dasselbe einmal ein anderer, mehr civilisatorischer, auf das Wohlergehen der Hunde selbst gerichteter. Die Cultur, die alle Welt beleckt, muß sich doch endlich auch auf die türkischen Straßenhunde erstrecken. Brussa, den 27. Mai. Ueber die Geschichte der Stadt finde ich nur Weniges aufgezeichnet. Ihr Alter ist nicht so hoch als das der meisten anderen Städte auf diesem ehrwürdigen Boden, den die Sage schon die Geburt der Menschheit sehen läßt. Erst Hannibal hat sie gegründet, also 200 Jahre vor Chr.; so erzählt Plinius, der sie später als römischer Statthalter verwaltete. Wo heute die Ruinen der Burg die Stadt überschauend und beherrschend stehen, baute sich der Punier vielleicht jenes Schloß, von dem uns Cornelius Nepos schon in der ersten Lateinschule erzählt, daß es auf allen Seiten Ausgänge gehabt, damit dem Verfolgten die weitere Flucht offen bliebe, wenn das geschehe, was dann wirklich geschah. Den Römern war sie nach dem Falle des Mithridatischen Reiches eine gehorsame Provincialstadt. 259 Jahre nach Chr. wurde sie von den Gothen, die vom schwarzen Meere und von der Donau gekommen waren, geplündert und verwüstet, ein Loos, das ihr 941 die Perser wieder bereiteten. Größere Bedeutung aber erhält sie erst durch ihre heutigen Besitzer, als sie die erste Residenz des Osmanischen Reiches ward. Aus ihren Thoren führten die sieben ersten Sultane jene Raubzüge nach dem erstaunten Europa, welche die Christenheit wie Wetterstrahle trafen, und hieher kehrten die Sieger lebendig oder todt zurück, bis der achte des Geschlechtes, Mohammed II., sich und seinen Nachfolgern die stolzeren Gräber auf den byzantinischen Kaiserhügeln bereitete. Was diese Männer ihrem Glauben an Moscheen und die Nachkommen ihrem Andenken an Grabmälern gebaut, das besuchten wir heute. Da die Stadt, die zwar nicht breit, stundenlang um den Fuß des Berges gezogen ist, und diese Bauten weit auseinander liegen, beschlossen wir, ihnen ausschließlich den ganzen Tag zu widmen und den Umgang zu Pferde zu machen. Auf schroffen Felswänden erhebt, oder wahrer erhob sich -- denn seit dem letzten Erdbeben stehen nur noch Ruinen dort, -- das feste Schloß, die Akropolis von Brussa. Mauern und Felsen sind in der jahrhundertalten Verbindung ein Körper geworden; der Epheu hat sie von oben bis unten überzogen, und die Wunden der Zeit und der Gewalt mit seinem heilenden Grün geschlossen. Wo ein Stein aus der senkrechten Neigung vorspringt, da sind Gärten darauf angelegt, da blüht die Rose und der Lorbeer und reifen Nüsse und Feigen. Vor dem Berge und fest um ihn geschlungen sind die Häuser der Stadt, und hinter ihm setzt sich der Olymp fort, aus dem er wie eine Altane zum bequemen Ueberblicke des Thales vorgeschoben ist. Zu allen Zeiten, auch da die Gebäude dort oben noch nicht so malerisch verfallen waren, muß dieser Schloßberg das charakteristische Merkmal der Gegend gewesen sein. Bei der Ankunft und bei jedem Ausgange hatte ich ihn besonders neugierig in’s Auge gefaßt, und so ritten wir denn auch heute zuerst zu ihm hinauf. Oben ruhen die beiden ersten Sultane, Osman und Orchan. Durch alte Thore und Mauern, die aus den Resten einer älteren Zeit gebaut sind, kamen wir auf die Stätte, die ihre Gebeine begraben hält. Bis zum Jahre 1855 stand eine byzantinische Kirche darüber; das Erdbeben hat sie so vollständig niedergeworfen, daß auch nicht eine Mauer, keine Säule mehr aufrecht steht. Der Boden aber ist mit Bruchstücken von Porphyr, Verde antico, Marmor in allen Farben, auch mit Mosaiken so übermäßig und unordentlich bedeckt, daß man sich in der Wildniß eines Steinbruches glauben könnte. Bei näherer Besichtigung fand ich an manchem Blocke den Schmuck zierlicher Sculpturen und beinahe an allen Säulenknäufen das Kreuz in die Zierathen geflochten. So hatten sie sogar hier, wo sie doch die ersten und am höchsten verehrten Fürsten ihres Stammes begruben, das Zeichen eines anderen Glaubens unberührt gelassen! Ich frage die Leute, die in Europa über die Unduldsamkeit der Türken schreien, ob sie, wenn es ihnen glückte, in Moscheen die Messe zu lesen und Predigten zu declamiren, den Halbmond und die Tuhgra so unverletzt lassen würden? Ich sage nicht, daß es der Respect sei, der das Kreuzeszeichen so lange erhalten hat; aber daß der Türke nicht eine Verpflichtung seiner Religion darin erkennt, es zu vernichten, scheint mir des Lobenswerthen genug. Zwischen den Trümmern fand ich eine Menge offener Gräber. Sie müssen ehemals in dem Fußboden der Kirche gelegen haben. Alle sind türkische. Die Construction, die ich genau untersuchte, ist einfach eine Gruft ganz in der Gestalt und Größe unseres Sarges aus Ziegeln in die Erde gemauert, in den Fugen sorgfältig verschmiert und mit einer Lage Tünche ausgefüttert. Aus dem Boden ragt nur der Deckel hervor. Erst über diesen unansehnlichen Bau ist das Holzgerüste gestellt, das ähnlich unseren Katafalken auch mit der Macht und der Bedeutung des Verstorbenen wächst. Solche Gerüste sind denn auch über den Gräbern Osmans und Orchans aufgeschlagen, die einzigen der vielen, die man aus dem Schutte wiederhergestellt hat. Ob man dabei wirklich die Rechten gewählt, wird dem Zweifler freilich zweifelhaft erscheinen können; den Gläubigen aber -- und für diesen sind solche Orte doch zumeist bestimmt -- überzeugt das Gebotene und befriedigt diese Ueberzeugung. Die Tempel, die man darüber an Stelle der kirchlichen Wölbungen errichtet hat, sind ärmlich und geschmacklos. Aus Brettern und in antiken Formen aufgeführt, beleidigen sie durch den Widerspruch des Materials und der Gestalt. Reicher ist der Eindruck ihres Innern. Es ist rein gehalten und mit den kostbarsten Teppichen belegt. An dem Turban Osmans, der so wie er ihn zu Lebzeiten trug an dem Kopfende seines Katafalkes geschlungen ist, hat der jetzige Sultan, als er kurze Zeit nach seinem Regierungsantritte, im Frühjahre 1862, Brussa besuchte, den Osmanije-Orden, welchen er eben erst gestiftet hatte, aufgehängt. Es muß der plötzliche Einfall eines begeisterten Augenblicks gewesen sein, denn er mußte den Orden, weil kein anderer zur Hand war, von der Brust seines Großveziers, Fuad Pascha, entlehnen. Ich erinnere mich, daß die europäische Journalistik, die für alles Türkische nur Verachtung hat, diese That damals mit ihren Witzen begleitete. Und doch, was war sie anderes, als was wir täglich thun, ein Zeichen der Treue und Dankbarkeit und ein Beweis zugleich, daß die Vergangenheit unserem Leben nicht weniger als die Gegenwart ist. Wo aber ist das Volk, -- denn in solchen Fragen zählt nur die Menge, nicht der Einzelne, -- das entartet genug wäre, in solchem Cultus ein Zeichen geistiger Schwäche zu sehen? Auf dem engen Platze vor den Mauern, die diese Grabstätten umschließen, arbeiteten Sträflinge an der Grabung von Canälen; lauter junge Bursche, eifersüchtige Liebe soll die meisten zum Verbrechen verleitet haben. Trotz der Ketten und Kugeln, die an ihren Füßen hängen, schienen sie lebensmuthig und rührig. Sie drängten sich zu, uns die Pferde zu halten, von denen wir abgestiegen waren, und diesen Dienst und schlechte byzantinische Münzen, die sie ausgegraben hatten, mit einigen Piastern vergelten zu lassen; die Aufseher, menschenfreundlicher als ihre Pflicht, ließen das lächelnd zu. In den Kastellmauern, zwischen denen wir weiter ritten, erkannte ich wohl eine Menge römischer Reste, Säulenschäfte und Knäufe, auch Friese auf das unbarmherzigste verwendet, aber nirgends römische Arbeit; Vieles ist sogar erst aus türkischer Zeit, denn der saracenische Spitzbogen steht oft über dem byzantinischen Rundbogen. In die Stadt hinabgestiegen, besuchten wir die Ulu-Djami, d. i. die große, wie sie vor allen anderen heißt. Drei Geschlechter, Murad I., Bajasid I. und Mohamed I., haben sie gebaut. Es war die erste Moschee, deren Inneres ich sah, und mir, wie es überspannten Erwartungen unvermeidlich ist, eine Enttäuschung. Warum? -- ich weiß es nicht; aber meine Phantasie hatte sich Alles größer und prachtvoller vorgestellt als unsere Kirchen sind. Statt dessen fand ich nichts, was nicht von den Domen der romanischen, gothischen, toskanischen und lombardischen Architektur übertroffen würde. Zwanzig Kuppeln in ein Quadrat zusammengestellt ruhen auf dicken viereckigen Pfeilern. Was diese dem Baue noch von Leichtigkeit lassen, nimmt die abscheuliche Malerei, womit die Wände übertüncht sind. Wo sie nicht riesige Schriftzüge hingezeichnet hat, die in dieser Größe und schwarz auf weißem Grunde bedrohlich wie Schlangenwindungen aussehen, sind es Draperien im Style der Fenstergardinen aus der sogenannten Kaiserzeit. Jede Thüre, jeder Bogen, jedes Fenster hat so seine eigenen Vorhänge. Es ist das Unübertrefflichste des Ungeschmackes, das auch den wohlgeformtesten Bau entstellen müßte, und an diesem gefiel mir eigentlich nur der Einfall, die Mittelkuppel, die zwanzigste, ohne Wölbung und offen zu lassen, und darunter einen plätschernden Springbrunnen und ein Wasserbecken so groß wie das ganze Quadrat anzulegen. Sogar Fische leben darinnen; das bringt frische Luft in den Raum, der sonst moderig wie unsere Kirchen wäre. Es ist der glückliche Natursinn des Orientalen, der das erfunden hat. Er weiß, daß kein Kunstwerk so schön gebildet sein kann, daß es nicht durch die Beimischung der natürlichen Gaben noch verbessert würde. An der Form des Baues störte mich, daß sie gleichseitig und daß ihm daher die Tiefe fehle. Diese ist der Moschee wie unserer Kirche nothwendig, weil beide einen Punkt haben, dem sich die Aufmerksamkeit besonders zuwenden soll und dorthin die Augen eher durch die Richtung der Mauern als durch das Kennzeichen des Altars oder des Mihrab gelenkt werden. Uebrigens ist es nicht blos dieser praktische Grund, auch nicht die Anhänglichkeit an die Gewohnheit allein, die mich solche Forderung stellen lassen. Von jedem Baue begehre ich, daß mir schon der Anblick den Zweck und die Bedeutung verrathe. Beim Gotteshause sind diese das Gebet und die Gottesverehrung, und wird sie die weitere Entfernung, die ehrwürdig zwischen dem Eingange und dem Hochaltare, wie ja auch zwischen uns und unseren höchsten Idealen liegt, am deutlichsten ausprägen. Wo solche Verständlichkeit einem Gebäude fehlt, werde ich es auch als ein verfehltes tadeln. Wir Fremde hatten Ueberschuhe angezogen; ein einheimischer Grieche aber, der mit uns ging, wies die Babuschen, welche ihm unsere Kawassen, die ein ganzes Bündel solcher leichter Lederpantoffeln eingekauft hatten, anboten, zurück und patschte in der Einbildung seiner christlichen Ueberlegenheit mit seinen schmutzigen Stiefeln auf die reinen Strohmatten und Teppiche, die der Mohammedaner nur mit abgezogenen Schuhen betritt, weil er bei seinen Gebeten den Boden mit dem Munde und mit der Stirne küßt. Mich juckte die Hand, dem übermüthigen Kerle eine Ohrfeige ins Gesicht zu schlagen. Ist mir jede Rohheit verhaßt, so ist mir doch diejenige die verhaßteste, welche sich gegen den Glauben der Andersgläubigen kehrt. Ich trage über Gott und die Welt meine ganz besonderen Ansichten in mir, habe aber nur Achtung für die der Anderen, wie einfältig und kindisch sie mir auch erscheinen mögen. Das Factum, daß sie sind und einem bekümmerten Gemüthe Trost und Befriedigung gewähren, genügt, um sie als existenzberechtigt meiner Duldung zu empfehlen. Ich habe die Bildung nie erreicht, welche verächtlich auf den Fetischanbeter herabsieht, weil er Hilfe oder Strafe von einem Holzklotze hofft oder fürchtet. Was bürgt uns denn, daß über tausend Jahren die Zukunftstheologen nicht ebenso verächtlich auf unsere Religionen herabblicken werden, wie die heutigen auf die Götzendienste der Griechen und Römer? In Athen und in Rom glaubte sich die damalige Menschheit dem Himmel gewiß nicht ferner, als in Berlin und Paris sich die heutige hinaufgestiegen wähnt. Christliche Ungezogenheiten gleich der, welche vor uns gespielt hatte, kommen im Oriente täglich vor. Kann man sich danach wundern, wenn dem Türken, wie sehr auch die Duldsamkeit seiner Natur und Religion eingebürgert ist, doch manchmal der Faden reißt und er solch Ungezogene zur Thüre hinauswirft, dem Fremden überhaupt aber sie versperrt? Würde der deutsche Bürger es dem Lümmel anders thun, der ihm in seiner Staatsstube die kothigen Stiefel auf das sammetne Canapee legte? Und katholische oder protestantische Christen würden sie den Mohammedaner, der in der Kirche das Fezz oder den Turban aufbehielte, bei ihrem Gottesdienste dulden? Und doch hat die eine Sitte so viele Berechtigung als die andere, ja das Niederwerfen und das Bodenküssen scheint mir bedeutungsvoller, als das Hutabziehen vor dem lieben Herrgott. Hier läßt der Mohammedaner den Europäer mit dem Hute auf dem Kopfe in seiner Moschee herumgehen; er begehrt nicht, daß der Fremde niederfalle und den Boden küsse, und einem fremden Glauben mit fremden Zeichen lügenhafte Verehrung heuchle, er begehrt nur, daß ihm die Stelle, die er mit seinen Lippen berühren muß, nicht verunreinigt werde. Ob wir dem Muselmanne so viel zugestehen, und ob ihn nicht, wenn ihn die Nachsicht des Küsters in die Kirche eingelassen hätte, das ungezogene Erstaunen unseres Pöbels daraus verdrängen würde, ist eine Frage, die ich zur Wahrung christlicher Ueberlegenheit lieber nicht auf die Probe gestellt sehen möchte. Wenn im Oriente ganze Städte, auch ganze Provinzen, wo Jahrzehnte lang Griechen, Armenier und alle übrigen Christen in Frieden neben den Mohammedanern gearbeitet und geschlafen haben, mächtig und reich geworden sind, plötzlich vom Christenhasse erregt werden, so ist die erste Veranlassung nur selten beim Türken zu finden, gewöhnlich irgend ein bübischer Streich jenes sonderbaren Geistes, der die Religion, welche ursprünglich das eifrigste Bekenntniß der Liebe und Demuth gewesen war, in eine Parteileidenschaft des Hochmuths verwandelt hat. Es ist ein Zeichen der Verderbtheit, welche ich dem Menschen angeboren glaube, daß er nichts berühren kann, ohne es nicht auch zu beflecken; das ist der Fluch der Erbsünde, der an unseren Händen haftet. So ist auch der Gedanke gut und rein nur in dem Augenblicke seiner Empfängniß; da gehört er noch Gott an, dem er entstammt, kaum aber für diese Welt geboren und in der Berührung mit neuen Generationen gealtert, wird er seinem Ursprunge und seiner Absicht immer mehr entfremdet. Jeschil-Djami, d. i. die grüne, welche Mohammed I. ziemlich außerhalb der Stadt und auf einem Hügel gebaut hat, war die nächste, welche wir besuchten, und nach der Enttäuschung der Ulu-Djami eine doppelte erfreuliche Ueberraschung. Von innen und außen bildet sie ein köstliches Kleinod mohammedanischen Baustyls. Nicht groß, eher klein, ist ihr Rauminhalt nicht viel mehr, als der einer Capelle. Vor ihr stehen uralte verwitterte Platanen, und zwischen den Stämmen durch sieht das Auge den östlichen Theil des Brussaer Thales. Das Material des Baues ist größtentheils Marmor; die Einfassung, die an jedem Fenster und an der Thüre verschieden ist, sind Arabesken und Schriftzüge, wie in den Stein damascirt, so wenig erhaben und so deutlich. Im Inneren sind drei Kuppeln in einer Linie nebeneinander und, um die Richtung gegen Osten zu markiren, eine vierte vor die mittlere gestellt, so daß man beim einzigen Eingange eintretend und unter der Mittelkuppel stehen bleibend auf jeder Seite und auch vor sich eine Capelle hat. Daß der Boden unter der mittleren Kuppel tiefer als unter den umliegenden sei, ward erst vor wenigen Tagen entdeckt. Aus dem Schutte, der ihn den anderen Abtheilungen gleich gemacht hatte, kam ein Marmorbrunnen in den Formen der Renaissance heraus und so wohl erhalten, daß er gleich wieder frisches Wasser gab. Die Restauration des Baues, der vom Erdbeben stark gelitten hat, ist von Achmed Veffick Effendi angeordnet. Nach und nach, so will es wenigstens sein Plan, soll dasselbe an allen hiesigen Moscheen geschehen, und wird dazu bei jeder derselbe Geschmack und dieselbe Freigebigkeit verwendet werden, so wird Brussa um seiner Moscheen nicht weniger sehenswerth, als um die Schönheit seiner Gegend willen sein. Ich habe kaum irgendwo sonst eine Restaurirung glücklicher projectirt und ausgeführt gesehen, das Ganze entsprechend dem Grundgedanken und jedes Einzelne in Uebereinstimmung mit diesem Ganzen. Nach dem Vielen, was ich von türkischer Unfähigkeit gehört, überraschte mich das nicht wenig. Ich frug nach dem Baumeister. Man stellte mir einen Italiener vor; der Mann erschien jung, aber reich begabt mit dem besonderen Talente, welches seinem Volke für alle bildenden Künste eigenthümlich ist. Er lobte mir die Arbeiter, sie seien genau und folgsam. Allmälig kamen wir auch auf den Bauplan zu sprechen; den habe nicht er eigentlich gemacht. Achmed Veffick Effendi habe namhaften Gelehrten seine Ideen mitgetheilt, die hätten sie zusammengestellt, er in die Pläne wieder hineincorrigirt und so sei das entstanden, was wir nun vor uns sähen. Um jede Kleinigkeit kümmere sich Achmed Veffick Effendi; Jeden, der ihm verständig erscheine, ziehe er darüber zu Rathe, und seine Entscheidungen bewiesen dann eben so viel angebornes Urtheil, als kluge Verwerthung des in Europa Gesehenen. So sei die Idee, das einfallende Licht verschiedenartig zu färben, die so gut zu dem Reichthume der orientalischen Bauformen paßt, ganz sein Eigenthum. Es ist nämlich jede Abtheilung des inneren Raumes in anderen Farben gehalten, unten gemalt und mit Porzellantafeln inkrustirt und oben in der Kuppel durch bunte Scheiben erleuchtet; der Mittelbau weiß, der rechtsseitige grün, der linke orange und der östliche, wo der Mihrab und Minber stehen, roth. Dasselbe anmuthige Spiel wird mit dem Lichte in den Logen des Sultans und seiner Frauen getrieben, die über dem Eingange in der Höhe eines ersten Stockwerkes liegen. Sie sind mit jenen prachtvollen Porzellanplatten austapezirt, deren Fabricationsmethode erst kürzlich wieder entdeckt worden ist. Ebenso geziert sind die zwei anderen, die unten zu beiden Seiten der Thüre, ich möchte sie Parterrelogen nennen, einige Stufen höher, als der Boden angebracht sind. Ein Türke, der zufällig darinnen saß, den Arm auf die durchbrochene Porzellanbrüstung gelegt, fügte sich in das Bild, wie die künstlerisch gewählte Staffage in die Composition eines Malers. Hinter der Djami liegt das Grabmal Mohammed I., ein achteckiger Tempel. Vom Erdbeben gewaltig zerstört und noch in der ersten Restauration begriffen, zeigte uns das Aeußere nicht mehr als Ruinen und das Innere Bretterwände, die schützend gegen den Staub und die Arbeiter um die Särge des Sultans und seiner Familie geschlagen sind. Noch weiter von der Stadt und noch schöner gelegen sind Moschee und Grab Sultan Bajasid I. Das Erdbeben hat sie am ärgsten getroffen. Wie bei allen Moscheen hat es die Minarete geknickt, daß sie gleich geköpften Lilienstengeln aufragen, hier aber auch aus den Wölbungen ganze Blöcke herabgeworfen, daß der blaue Himmel in die verödeten Räume herabsieht. Die heilende Hand hat noch nichts berührt; Herrliches kann wieder hergestellt werden. Die Moschee hat einen Porticus aus weißem Marmor in sarazenischen Formen von solcher Einfachheit, aber so großer Mächtigkeit, daß mein Geschmack sie dessenwegen die schönste von Brussa nennt. Der innere Plan gleicht, wenn erst alle späteren Zwischenwände durchgebrochen sein werden, in so manchem der Jeschil-Djami, daß ich auch hier den ursprünglichen Boden des Mittelbaues wie dort tiefer und einen Brunnen darinnen liegend vermuthe. Im Westen der Stadt, eigentlich in der Vorstadt, ist die Muradje, d. i. die Djami Murad II. und die zehn Grabcapellen seiner Familie. Die Moschee steht auf einer Terrasse erhöht über einem großen Platze. Prachtvolle Cypressen, durch Alter, Größe und Verknorpelung ihrer Stämme die schönsten, die ich gesehen habe, sind davor auf der Terrasse. Die Vorhalle, die zu dem Haupteingange führt, ist aus fünf luftigen Rundbogen und breiten Gewölben so machtvoll gebildet, daß von dem hinteren Theile des Baues nur die Kuppel darüber emporragt. Dieser Porticus mahnt mich an die Feldherrnhalle zu München; der Vergleich enthüllt mir aber auch endlich die Fehler jenes Gärtnerischen Baues, von denen ich immer gehört, die ich aber nie hatte begreifen wollen. Jetzt erkenne ich ihn neben der harmonischen Vollendung des türkischen Kunstwerkes schuldig der Anmaßung in der Absicht und kleinlich in dem, was er geworden ist. Aber so steht in allen bildenden Künsten die Neuzeit neben der Vergangenheit, nicht blos erfindungsarm, auch unvermögend in der Nachahmung und selbst mit türkischer Vergangenheit nicht zu vergleichen. Die Gräber sind neben der Moschee, von dem Platze in einem Hofe abgeschlossen. Ein kuppelgedecktes Thor führt zwischen den hohen Umfassungsmauern hinein; es ist ein Garten lauschig und still, kühl und wohlriechend, wie sie der Koran denen verspricht „so da glauben und das Gute thun“. Große Platanen, größer als die größten, die ich bisher gesehen, beschatten die grünen Wiesen, und blasse Rosen färben und umduften Alles, was ihren Ranken Wände und Stämme bietet; Nachtigallen singen und wiegen sich in den Zweigen, und fromme Männer mit ehrwürdigen Bärten, in langwallenden Kaftanen tragen andächtigen Jünglingen die Lehren des Korans vor. Zwischen den Bäumen und Büschen stehen die Mausoleen, ihre Thüren weit geöffnet, wie die Tempel geheimnißvoller Grade bereit, die Geprüften und Müden zu den seligen Freuden zu empfangen, die sie sich im Kampfe mit dem Leben verdient haben. So gebettet, wenn das Grab selbst schon mit den Reizen der anderen Welt geschmückt ist, wo bleiben denn dann die Schrecken des Todes? Gleich das erste nach dem Thore, wenn man von Mudania in Brussa einzieht, ist dieser Platz der Muradje; die grünen Hänge und Schluchten des Olymps steigen so nahe hinter ihr empor, daß man sie zu ihrem Gräbergarten gehörig glauben könnte. Auf dem Platze vor ihr war das zerlumpte Zelt eines Kaffeegi aufgeschlagen, eine malerische Staffage, die in den Skizzen, welche meine Freunde versuchten, nicht wegbleiben durfte. Sonst war er leer. Ab und zu sammelte sich in den Stunden, die wir dort lagerten, eine gaffende aber niemals unfreundliche Menge um uns. Selbst die Schuljugend war weniger muthwillig, als das sonst ihre Art. Indeß die Anderen mit dem Bleistifte beschäftigt waren, machte ich mir mit der näheren Besichtigung der Gebäude zu thun. Auch diese Moschee ist durch die Folgen des Erdbebens dem kirchlichen Dienste unbrauchbar geworden. Achmed Veffick Effendi ließ eben in der Vorhalle die Gerüste zu den Restaurationsarbeiten aufschlagen. Eines der Gräber ist schon hergestellt; Pracht der Farben, der Steine, des Porzellans und schöner Schriftzüge ist daran auf das großartigste verwendet. An den anderen sah ich, daß bei diesen Bauten nicht blos zu flicken ist, was die Gewalt der Elemente zerstört hat, daß auch weggeräumt werden muß, was der Ungeschmack des vorigen Jahrhunderts, das der Türkei wie unseren Ländern den Zopf angehängt hatte, über das Werk einer früheren Zeit geklext hat. In allen fand ich dieselbe Tünche und dieselbe Malerei, wie sie die Ulu-Djami entstellt. Betrachte ich die Bemühungen, die hier an diesem einzigen Orte in dieser Richtung thätig sind, und erinnere ich mich an den Tadel, der bei uns von dem Verfalle der türkischen Kunstdenkmale erzählt, so fühle ich mich unwillkürlich verpflichtet nach dem zu fragen, was denn z. B. das Kaiserthum Oesterreich für die Restaurirung seiner kirchlichen Bauten gethan habe? Ich finde unter den vielen, denen sie nothwendig wäre, nur den Stephansdom in Wien und die Marcuskirche zu Venedig, die von einer helfenden Künstlerhand berührt worden sind. Das nur jenen Leuten zur Entgegnung, welche die Türkei immer mit Vergleichen richten. An den äußeren Mauern dieser Grabcapellen ist das Baumaterial nackt gelassen. Es sind feste gelbe Kalksteine, abwechselnd mit größeren schwarzen vulcanischen Blöcken zwischen die vorstehenden Kanten rother Ziegel gemauert. Ab und zu unterbrechen diese Zeichnung sechs- und achteckige Figuren durch Ziegel geformt, zwischen welche ein mit Kiesel gemengter Kalk gelegt ist. Oben, unter den vorspringenden Dächern, schließen bunte verglaste Ziegeltafeln friesartig die Mauern ab. Der innere Aufbau gefiel mir besonders bei dem Thore, das in den Gräbergarten führt. Es ist eine viereckige Halle, gekrönt durch einen Tambour und eine hohe Kuppel; den Tambour tragen große Postamente, die in die vier Ecken geschoben sind. Sie sind stalaktitartig wie aus einer Menge kleiner Postamente gebildet. Im Friese sind neben runden Arabesken dreieckige Körper zu Verzierungen gruppirt, die mir vorzüglich wirkungsvoll erfunden und leicht für unsere moderne Bauweise brauchbar erscheinen. Ein alter Türke machte bei all’ dem meinen Führer. Nicht größer als ein Bube gewachsen, war ihm auch noch die Haut bis auf die Magerkeit der Knochen zusammengeschrumpft. Seine Pantomimik, mir alles deutlicher zu erklären, war ebenso komisch als bereitwillig. Was in unserer Zeichensprache ungefähr Rasiren bedeuten würde, das sollte bei ihm eine Frau vorstellen, d. h. die Schleier, mit denen sie sich das Gesicht unter den Augen verhüllt. So sind die Völker nicht nur durch die Sprachen der Zungen, auch durch die der Hände und Mienen verschieden. Die paar Piaster, womit ich ihn schließlich belohnte, nahm er mit so großem Danke auf, wie mir in Europa nie ein Trinkgeld vergolten worden ist. Die Genügsamkeit dieses Volkes hat ihr Rührendes und Angenehmes zugleich. Fasse ich mit zurück- und überschauendem Blicke das Resultat meiner heutigen Wanderung durch die kaiserlichen Moscheen Brussa’s als ein Ganzes zusammen, so finde ich, daß ich zugleich auch einen Cursus durch die erste Periode der mohammedanischen Kunstgeschichte gemacht habe. Die Reihenfolge der Entwicklung, die sie repräsentiren, ist lückenlos und jede Moschee schon durch ihre eigene Eigenthümlichkeit, auch ohne den zeitbestimmenden Namen ihrer Erbauer, auf eine besondere Stufe gestellt. Ulu-Djami, die Große, knüpft beinahe unmittelbar an die ersten Anfänge an, wie sie zu Mekka in dem mit kleinen Kuppeln gedeckten Säulengange um die Kaaba gereiht stehen. Was dort freier Hof geblieben, ist hier mit einem Nebeneinander von Kuppeln gedeckt; ein Rest der ursprünglichen Anlage blieb in dem mittleren offenen Quadrate erhalten. Die Erfindung dieses Planes kann -- da das erste, der hallenumfaßte Hof, einmal erfunden war, -- keine große Mühe mehr gekostet haben. Was dadurch geschaffen ward, ist übrigens auch -- wenigstens für meinen Geschmack -- arm genug geworden. Ich kann an diesem einförmigen, sinnlosen Nebeneinander gleich großer und gleich gestalteter Kuppeln keinen Gefallen finden. Daß es nicht unberechtigt ist diese Verwandtschaft zu behaupten, beweist auch das Aeußere der Moschee; es gleicht ganz dem jener Höfe. Hohe nackte Wände nach allen Seiten und auf jeder, nur auf der gegen Osten gekehrten nicht, eine Eingangsthüre; kein Porticus vor der Hauptfronte, nirgends etwas Außerordentliches. Die zweite Stufe vertritt die Djami Bajasid I. mit ausgebildet saracenischen Formen. So ist wenigstens der Porticus gestaltet mit hohen schmalen Bogen, welche luftig und aufstrebend wirken trotz der lastenden Schwere des festen Baumaterials, das heller Marmor ist. Das Innere hat schon die byzantinische Kuppel aufgenommen; das, was heute so recht eigentlich die Form des mohammedanischen Kirchenthums ist, die breite und nieder gespannte Kuppel, hat es vom Christenthume entlehnt. Freier und selbstständiger ist dann dieses fremde Eigenthum in Jeschil-Djami verwendet worden. Ein eigener Styl hat sich aus dem fremden herausgebildet. Kuppel ist neben Kuppel gelegt, aber so, daß jede über einem auch in dem untern Bau besonders gestalteten Raume liegt, und daher im Eindrucke des Ganzen gleich ihre eigenthümliche Bedeutung erhält. Uebrigens wurde hier wieder der prachtvollen Ornamentirung, wie sie der reiche Orient seit je geliebt, freie Entfaltung gelassen. Auf der letzten Stufe, schon nach Europa die Hand hinüberreichend, steht die Muradje. In Venedig oder Florenz würde sie durch nichts Fremdartiges überraschen. Daß diese Wirkung von dort hierher nach Asien gereicht haben sollte, wie unsere Kunstgeschichte gewöhnlich annimmt, hat mir nichts wahrscheinliches. Es müßte entgegen aller sonstigen Bildungsströmung geschehen sein, die von Asien nach Europa ging. Den späten Abend verbrachten wir in Burnabaschi -- Quellenhaupt -- einem der beliebtesten Vergnügungsorte des Brussaer Volkes. Er ist zwischen die Stadt und die Abhänge des Olymp eingeklemmt. Die Quelle ist so wasserreich, daß sie gleich beim Ursprunge das Bett eines ansehnlichen Baches füllt. In die Felswände, die darum emporsteigen, sind Bänke gehauen, die als auszeichnende Ehrenplätze zu gelten scheinen, denn kaum bemerkt wurden sie uns mit artigen Verbeugungen eingeräumt. Kaffee und Nargileh fehlten nicht lange und bald fühlten wir uns auf den steinernen Sitzen, das Wasser unter den Füßen, ganz heimlich. Nur die Kühle wurde in dem eingeengten Winkel, der auch den Tag über im Schatten bleibt, allzu fühlbar; draußen, wo sonst die Sonne waltet, sind grüne Wiesen und große Bäume darauf. Ein Kameel lagerte dort und bunte Menschengruppen waren darum zerstreut. Ein paar ernste Perser mit ihren hohen Pelzmützen und in der ganzen Besonderheit ihrer Nationaltracht gehörten unter die auffälligsten und schönsten Gestalten, die mir bisher im Oriente begegneten. Die Menschen sind es, die Burnabaschi seinen Reiz verleihen, denn um der Landschaft willen würde ich andere Puncte wählen. Gleich der Friedhof, über den wir dahin ritten, bietet in seiner Umgebung und in seiner Aussicht weit schöneres. Er liegt hinter der Stadt auf den Abhängen des Olymp’s. Zwischen ihm und dem Walde ist keine Mauer, die das Leben von dem Tode abzusperren versuchte; Gräber und Bäume umschlingen sich mit ihren Wurzeln und oben auf der Decke hat die Wildniß, die unter den mächtigen Cypressen den Boden überwuchert, an einzelnen Stellen den besondern Zweck dieses Erdenfleckes schon wieder ausgelöscht. Dieses Zurückgeben des Grabes in den freien Besitz der Natur ist wie das Zeugniß eines instinctiven Verstehens des Bundes, der zwischen allem Menschlichen und Natürlichen besteht. Schon das Begräbniß drückt ihn sichtbar aus, wie er unsichtbar und gefühlt, wenn auch nur selten begriffen, die ganze Lebenszeit über besteht. Was der Natur gehört, die Schlacken unseres Geistes, den irdischen Körper überläßt ihr der Orientale zu ungebundenem Walten. Danach ist die Ordnung seiner Friedhöfe bestellt, die wir oft beinahe feindselig gegen jeden Einfluß der Natur richten. Als wir durch diesen schönen Hain ritten, war er leer. Nur auf einem Grabe saß ein Türke, ein Mann stark und in den besten Jahren, aber das Auge müde und alt; er sah und hörte uns nicht. Sein Ohr war wohl von Erinnerungen betäubt und sein Blick in die weite Ferne verloren. Ueber die Stadt weg, die unter den Bäumen geborgen zu seinen Füßen lag, und über das Thal, das schon die Schatten der Nacht deckten, nach den rothglühenden Felsengipfeln des Katerlü-Gebirges schien er hinzudringen. Ob er dort noch das letzte Leuchten der Sonne bemerkte, ob seinem umdüsterten Leben noch so viel Hoffenskraft geblieben war? Brussa, den 28. Mai. Ich beginne den Tag mit einem türkischen Bade, das ich in Kökürdli nehme. Die Quellen dort sind außerordentlich heiß, so daß man Eier darinnen siedet, und so schwefelhaltig, daß ich die Wände ihrer künstlichen und natürlichen Flußbetten mit gelben Krystallen überzogen und schon nach diesem einen Bade meine Haut und Wäsche schwefelig riechend fand. Es ist etwas ganz anderes das türkische Bad, als ich es nach den vielen überschwänglichen Beschreibungen erwartet hatte; System und Wesen dem russischen Dampfbade sehr ähnlich, von Pracht keine Spur, aber viel Bequemlichkeit und Reinlichkeit darinnen. Rein ist der große Saal, wo man sich entkleidet und nach dem Bade auf Betten ruht; rein sind die marmornen Badehallen und rein ist die Wäsche, die im Ueberflusse und in köstlicher Feinheit gereicht wird. Ueberhaupt enthält der Vorwurf der Unreinlichkeit, den man dem Süden schon an der italienischen Grenze zu machen beginnt, ebenso viel Uebertriebenes als Unbilliges. Ohne Berücksichtigung der angebornen Eigenschaften dieser Himmelsstriche haben ihn nordländische Theoretiker, welche die ganze Welt über den Leisten ihrer Studierstube zu construiren versuchen, erfunden und so lange drucken lassen, bis ihn das ganze allem Gedruckten gläubige Europa unter seine Dogmen aufgenommen hat und nunmehr um so eifriger nachbetet, als der Schmutz, den man vor der Thüre des fremden Hauses zusammenkehrt, das eigene nur um so reiner erscheinen läßt. Daß eine Sonne, die in Feld und Wald die Blüthen und die Früchte schneller reifen und des Menschen Geist und Körper früher zeugungskräftig macht als die unserige, auf die Thierwelt nicht weniger wirksam, und daß diese Wirkung nicht blos auf Kameele, Pferde, Hunde, Krokodile, Schlangen beschränkt bleiben könne, daß sie das ganze große Geschlecht der kleinen Insecten, Mücken, Flöhe und leider auch Wanzen in ihrer Entwicklung und Vermehrung ebenso begünstigen müsse, sind so leichtgreifliche Folgen einer offenkundigen Ursache, daß sie gerade die europäische Gelehrsamkeit, die alles zu wissen behauptet, nicht hätte übersehen und damit einigermaßen erklären sollen, warum der Reisende in Italien und im Oriente mehr vom Ungeziefer heimgesucht werde als im Norden. Bei uns freilich lassen ihn Flöhe und Wanzen ungeschoren, weil das viel zu gescheidte Thiere sind, um sich gleich den Menschen die kostbaren und zu ihrer Existenz so nothwendigen Extremitäten erfrieren zu lassen; ehe es so schlimm wird, verbeißen sie sich in einen Commis voyageur und lassen sich bequem placirt über den Karst oder die Via mala nach dem Süden befördern. Wenn nun bei dem Baue und bei der Einrichtung des Hauses auch noch wie hier im Oriente viel Holz, Tapeten und Teppiche verwendet sind, so macht das diesen Thieren die südliche Existenz noch heimlicher, wärmer und furchtbarer. Bei solchen Umständen sie ganz ferne zu halten ist eine völlige Unmöglichkeit, an der ich die Versuche der propersten deutschen Hausfrauen scheitern sah. Darum aber zu behaupten, daß die Gewohnheiten der hiesigen Völker unreinlicher seien als die der Nordländer, ist ein Tadel, der ebenso unverdient trifft, als das Lob, welches die Tugend einer Frau rühmen will, die nie in Versuchung geführt worden ist. Auf dem Leibe glaube ich den Orientalen sogar reiner, und gerade der Mann der unteren Stände wird bei diesem Vergleiche mit seinem nordischen Genossen am meisten gewinnen. Von den Türken insbesondere kann ich wie Herodot von den alten Aegyptiern berichten, „daß sie es für höher achten rein zu sein als wohlanständig“, wenigstens als das, was unseren Begriffen gewöhnlich als anständig gilt. Denn in Stambul sah ich, wie an den öffentlichen Brunnen der Moscheen Hamale, Surugi’s und andere arme Leute dieser Volksclasse ihre Kleider ablegen und sich vom Kopfe bis zu den Füßen waschen. An dem Brunnen der prächtigen Suleimanije, der zu beiden Seiten der Djami einige Stufen tief aus den Marmormauern hervorquillt, fand ich so die sämmtlichen Pipen besetzt. Bäder laden beinahe in jeder Gasse mit offenen Thüren ein und wo ich eintrat, traf ich Gäste darinnen. Das Herkommen hat diesen Brauch, wie auch bei uns so manchen, längst dem freien Willen entzogen; er unterliegt einem Zwange so gut als ein in gesetzlicher Form gebotener. Die öffentliche Badehalle aber dient Männern und Frauen als Zusammenkunftsort, wo man sich sieht, politischen und andern Tratsch betreibt, wie der Franzose im Salon, der Deutsche in seiner Ressource und der Italiener im Opernhause. Der Eintrittspreis ist, da die meisten wohlthätige Stiftungen sind, so wohlfeil, nicht mehr als einige Para’s, daß sich Jeder dieses Vergnügen gewähren kann, und das geschieht denn auch wenigstens ein bis zwei Mal in der Woche. In Oesterreich kannte ich Dienstboten von solcher Wasserscheu, daß sie ein ganzes Jahr und auch darüber ungebadet blieben. Und so wie die Menschen habe ich im Durchschnitte auch die orientalischen Häuser gefunden; Treppen, Vorsäle und Stuben, wenn sie nur einigermaßen vermöglichen Leuten gehörten, rein und die weißen Strohmatten, die doch so leicht Spuren festhalten, fleckenlos. Daß sie darum auch frei von Wanzen, Flöhen und anderem Ungeziefer gewesen, soll damit nicht behauptet werden; im Gegentheil, ich fand sie überall, weil sie Unvermeidlichkeiten des Klima’s sind. Aber der äußere Anblick der Räume, das, was die Bemühungen der Menschen herstellen können, erschien mir tadellos. Es ist auch im Südländer zu viel Schönheitssinn lebendig, als daß dieses anders sein könnte. Zum Sclaven der Reinlichkeit, wie das der Holländer thut, wird er sich freilich nie degradiren; dazu ist sein Sinn zu maßvoll und auch zu bedacht, daß das, was von Natur aus Mittel ist, nicht durch das Uebermaß der Fürsorge Zweck des Lebens werde. Im großen Ganzen fand ich den Süden sauberer und netter als den Norden. Wollen dem andere Reisende ihre unangenehmen Erfahrungen, die sie in Italien oder im Oriente erduldet haben, entgegen halten, so kann auch meine Erinnerung mit einigen nördlichen Beispielen dienen, die nicht weniger Schmutziges zu erzählen haben. So ist Prag, gewiß eine nordische Stadt, in seinen Gassen und selbst in den Treppenhäusern seiner Paläste das unsauberste, was ich auf meinen Reisen gesehen. Der Gouverneur von Brussa sandte gestern einen seiner Beamten zu unserer Begrüßung in den Gasthof. Wir erwiderten ihm heute die Artigkeit durch unseren Besuch. Seit Achmed Veffick Effendi als kaiserlicher Commissär hier eingezogen, will die Stellung des Pascha’s nicht viel mehr als die eines ausführenden Bureauchefs bedeuten. Alle organisatorischen und schaffenden Maßregeln werden von dem kaiserlichen Commissär angeordnet, dessen Befugnisse noch über ihre nominellen Grenzen geachtet werden, weil er als einer der beliebtesten Günstlinge des Sultans bekannt ist. Er sollte wie die anderen Commissäre, welche nach den Provinzen geschickt wurden, zusehen, in wiefern die kaiserlichen Befehle vollzogen worden seien, und die Vollziehung der dermaligen überwachen. Diesen Auftrag übt er im weitesten Maße. Was seit dem Erdbeben vom Jahre 1855 darnieder lag, und allen kaiserlichen Erlässen zum Trotze liegen blieb, hat er in wenigen Monaten wieder aufgerichtet, oder doch so in Angriff genommen, daß dessen Herstellung gesichert erscheint. Dabei ist sein Eifer dem Nützlichen wie dem Schönen in gleicher Weise zugewendet. Was er für die Moscheen und Gräber thut, habe ich gestern gesehen; heute sah ich, wie er die engen Gassen Brussa’s erweitert, wie er ganze Stadttheile, die in Trümmer gesunken waren, aufbaut, mit geraden Straßen, mit Canälen durchzieht und wie er größere Plätze dazwischen legt, damit dem Verkehre und der frischen Luft mehr Raum zu ihrer Ausbreitung sei. Nach Gemleck baut er eine Straße, die so gerade, so praktisch und leider auch so häßlich wird, als nur irgend eine unserer Chausseen. Bis auf eine kleine in der Mitte liegende Strecke ist sie fertig. Von Brussa nach dem Hafen von Gemleck wird man dann die Waaren nicht mehr auf Kameelen und Pferden, sondern bequemer und rascher auf Wagen transportiren. Für die Beförderung der Personen bildet sich ein eigener Omnibusdienst, den auch Achmed Veffick Effendi unter seinen besondern Schutz genommen. So ist er überall helfend und widerlegt das Vorurtheil, welches die türkische Verwaltung zu jedem energischen und reformatorischen Handeln unbedingt unfähig schildert. In Europa löst vielleicht nur der Präfect von Paris, Herr Haußmann, seine Aufgaben noch schneller. Von ihm hat sich Achmed Veffick Effendi gewiß manches angeeignet, vielleicht auch zu viel von jener Rücksichtslosigkeit, welche, weil ihr ein Einfall nutzbringend erscheint, ohne jede Schonung des Privateigenthums dessen Ausführung betreibt. Achmed Veffick Effendi ist keiner jener unverständigen Reformatoren, die in der Bewunderung für das Fremde die eigenen Eigenthümlichkeiten vergessen und die fremden Schößlinge ohne jede weitere Vorbereitung auf die heimischen Stämme pfropfen wollen; dazu ist er zu strenger Mohammedaner. Er hält fest am Koran und findet nur das zulässig, was mit den Vorschriften seines Glaubens verträglich ist; worauf das Reich, das Volk, die Religion und der Sultan von Alters her stehen, der Boden ihres Wachsthums, muß nach seiner Ansicht vor allem Andern gesichert bleiben. Aber er hat im Auslande gelernt, daß für die Türkei, seitdem sie in den Bund der europäischen Staaten eingetreten, ein schnelleres Weiterschreiten unvermeidlich geworden ist, weil alle Anderen um sie herum in Bewegung sind. Er hat aber auch von den fremden Fortschritten genug gesehen, um sich zu sputen, seinem Vaterlande, ehe es blinde Nachahmungssucht in die fremden Wege lenket, die eigenen nach den selbstgewählten Zielpunkten zu bereiten. Manches mag ihm dazu unbedingt übertragbar, anders nur in so ferne beachtenswerth erschienen sein, als es lehrt, wie mannigfaltig die Mittel sein können, um die Bedürfnisse der Völker zu befriedigen. Seine Grundsätze und Pläne, welche er sich so gebildet hat, scheinen mir gut gemeint, ihre Ausführung aber oft zu überstürzt, zu eigenwillig, zu rücksichtslos zu sein. Wenn ihm jemand mit herkömmlicher Phrase sein Haus zur Verfügung stellt und sagt: „Es ist Dein und des Padischah’s, schalte und walte darinnen nach Belieben!“ -- so dankt er mit dem Befehle, die Fronte des Hauses um einige Schuhe zu verkürzen und zurückzuschieben, damit das nächste Eck nicht so scharf und die Gasse breiter sei. Diese Fälle und ähnliche erzählt man hier viel. Das streift an die Art unserer Bureaukratie, die auch nur die Rücksicht ihres eigenen Willens kennt. In der Türkei, wo die persönliche Freiheit mehr als eine bloße Phrase, wo sie eine Gewohnheit ist, erträgt sich das schwerer als irgendwo anders. Daher mag es kommen, daß Achmed Veffick Effendi mit den besten Intentionen hier so wenige Lobredner seiner Thaten hat. Die Form, die Weise, in der er sie vollzieht, der Ton, der die Musik macht, beeinträchtigen sie; vielleicht schleift das Leben, die Erfahrung diese Schärfe an ihm stumpf. Er ist noch ein junger Mann. Uebrigens hat er sich so auch in seinem Vorleben gezeigt und viel geschadet. Napoleon, dem er als türkischer Botschafter zugesandt worden war, vertrug ihn deshalb nicht und forderte seine Abberufung, und als Minister, wozu ihn Abdul Aziz bald nach seiner Thronbesteigung erhob, dauerte darum sein Amt nicht länger. Man schob ihn aus dem Wege hierher nach Brussa; daß er wieder in das Ministerium treten, sogar das Großvezierat übernehmen werde, ist eine Möglichkeit, welche die europäischen Diplomaten voraussehen und sehr fürchten. Für Europa könnte er Brände entzünden, insbesondere weil er sich zu scharf gegen Rußland kehren, wie er überhaupt den Einfluß der fremden Gesandtschaften zu beschränken trachten würde. Nicht nur die Machtbefugniß, auch der Verwaltungsbezirk dieses außerordentlichen Commissärs ist ein viel weiterer, als der des Pascha’s, der auf das eine Vilayet von Khodawendkjar beschränkt ist. Uebrigens ist auch dieses, das in acht Livas zerfällt, immer noch größer, als manches Königreich der antiken Weltordnung, denn es umfaßt zugleich das bithinische, misische und einen Theil des phrygischen Landes. Brussa, das einmal die Hauptstadt des ganzen türkischen Reiches war, ist es von dieser Statthalterschaft geblieben. Betrachtet man die Stadt von oben und schätzt sie nach dem Maßstabe, den sich das Auge an dem Umfange unserer Städte gebildet, so wird man ihr eine Bevölkerung von weit über 100,000 Menschen zusprechen; verläßliche Mittheilungen geben mir nur 80,000 Einwohner an. Dieses eigenthümliche Verhältniß stellt sich bei allen orientalischen Städten so, weil nicht wie bei uns ein paar Dutzend Miethsleute zusammen in einem Hause wohnen, sondern jeder der Bewohner seiner eigenen Mauern ist und dabei gewöhnlich noch einen Fleck Gartenland besitzt. In den meisten Häusern leben daher nicht mehr als zwei bis fünf Personen; denn der Glaube, daß jeder Türke ein ganzes Balletcorps luftzufächelnder Sclavinnen um sich versammelt halte, ist eine von den vielen Fabeln, die man dem leichtgläubigen Europa aufgebunden hat. Um nur eine Sclavin im Hause halten zu können, muß der Mann wohlhabend sein; den Meisten ist eben wie bei uns ihr einziges Weib zugleich Gattin, Köchin, Dienerin und, was nicht das seltenste ist, Herrin. Denn auch das ist eine Fabel, was wir von der untergeordneten, leidenden Stellung der türkischen Frau glauben. In der ist sie so wenig gebunden, als es die Frau der antiken Welt war, und als dieses überhaupt bei irgend einer Frau möglich ist. Wo ist das Glied des weiblichen Geschlechtes, das sich auf die Dauer und in den Hauptsachen das Regiment im Hause aus der Hand nehmen ließe? und nun gar erst ein ganzes Volk von Weibern, das sich solcher Herrschaft unterwürfe! Der Gedanke ist so naturwidrig, und jeder sieht ihn so oft in seiner nächsten Nähe widerlegt, daß man wahrhaftig nicht erst hierher zu reisen braucht, um Zweifel gegen jene trübgefärbten Schilderungen der türkischen Frauenschicksale zu finden. Es sind da einige Capitel der gegenwärtigen wie der vergangenen Geschichte gefälscht worden, weil man wie so oft Aeußerlichkeiten für das Wesentliche, Symptome für die Sache selbst nahm. Weil die Frauen nicht anders als verschleiert außer dem Hause erscheinen dürfen, weil sie nicht Männer zum Besuche empfangen, nicht Diners, Soiréen, Bälle mit jungen und alten Herren mitmachen, überhaupt nicht mehr mit dem anderen als mit dem eigenen Geschlechte verkehren dürfen, hat man sie geknechtet, ihrer Menschenrechte beraubt und das Land, wo solche Sclaverei üblich, zumeist darum einen Schandflecken der Menschheit genannt. Harems und Nonnenklöster werden als die verschwisterten Feinde des Fortschrittes ausgerufen, und selbst der alten griechischen Republik das Prädicat der Freiheit bestritten, weil sie ihre Frauen in gleicher Knechtschaft abgesperrt hatte. So sehr ist die europäische Mildherzigkeit bemüht, ihre alleinseligmachenden Begriffe in die Weibergemächer aller Nationen zu übertragen! Daß das unerreichbar und, wenn es je erreicht würde, nur zum Uebel wäre, wird nicht geglaubt, weil sich der Eifer, der sich einmal tugendhaft proclamirt hat, auch für unfehlbar hält. So wie die Türkin ist, hat sie in der gesellschaftlichen Ordnung den Platz inne, der für sie der richtige ist: mehr gebührt ihr nicht, und mehr wird das Weib im Oriente nie werden, wie seine dortige jahrtausendalte Geschichte beweist. Geknechtet, unglücklich ist sie darum nicht, ja ihre Rechte gehen in manchem weiter als die der europäischen Frau; jedenfalls thun das die Rücksichten, welche der Mann ihr erweist. Zu fragen, wenn er sie nicht zu Hause findet, wo sie hingegangen, oder in das Harem einzutreten, wenn er Schuhe vor der Thüre sieht und also Gäste darinnen weiß, wäre eine Beleidigung so außer aller Art, daß sie auch den Thäter entehren würde. Daß der Schleier zwischen die Frau und die fremde Männerwelt gehängt, ihr überhaupt der Verkehr mit dieser untersagt ist, das muß Jeder, der in dem Lande selbst gelebt hat, als eine nothwendige Vorsicht gegen die sinnlichere Entzündbarkeit des hiesigen Klima’s erkennen. Ohne nöthigenden Grund würde auch ein für beide Geschlechter so lästiger Zwang gewiß nicht durch Jahrtausende ertragen worden sein. Daß dieser Grund nicht die tyrannische Willkür der Männer und nicht der unwissende Sclavensinn der Frauen, auch nicht irgend eine Caprice der Religion, sondern eben eine Bedingung des anderen Himmelsstriches sei, das hätten selbst in ihren Studirstuben unsere Gelehrten entdecken können, wenn sie in den alten Büchern verzeichnet fanden, wie schon die Königin Vasthi die Trennung von ihrem Gatten, dem Könige Ahasveros, einer Verletzung der strengen Haremssitte, welche er begehrt hatte, vorzog, und wie dann Jahrtausende später im byzantinischen Constantinopel, wo das Christenthum seine eitelsten Pfauenräder schlug, das Eunuchenwesen dieselben Wächterdienste thun mußte, die es 500 Jahre vor Chr. am Hofe des persischen Königs Cambyses gethan hatte. Besondere Klöster bestanden in Aegypten, um gewerbsmäßig für die christliche Kaiserstadt die Knaben zu diesem Dienste zu entstellen und zu erziehen. Von ihr erst hat, als die Sultane griechische Prinzessinen heimführten, das mohammedanische Türkenvolk diese christliche Hofmode unter seine Gebräuche aufgenommen. Was so zu verschiedenen Zeiten aber immer auf demselben Flecke gleich gestaltet erscheint, das kann nicht blos in einem Irrthume, das muß in einem berechtigteren Grunde seine Wurzeln haben. Und angemessen dieser natürlichen Begründung ist heute wieder das türkische Haus constituirt, wie es ehemals das babylonische und das persische und das griechische war. Das ist nicht so, wie man es sich in Europa vorstellt; das ist entsprechend den Verhältnissen und Bedürfnissen des so ganz anders gearteten Landes und Volkes, von denen die richtige Vorstellung uns erst an Ort und Stelle wird. In Brussa übrigens fiel mir auf, daß die Frauen das Verhüllen vor dem fremden Manne noch weit strenger als in der Hauptstadt nehmen. Ich begegnete so häßlichen und alten Weibern, daß sich auch die selbstgefälligste Einbildung nicht mehr verführerisch glauben konnte, und doch setzten sie die Wasserkübel, die sie auf dem Kopfe trugen, nieder, um sich vor dem Fremden, den sie in der Abgelegenheit ihrer Gasse nicht erwartet hatten, mit einem Zipfel ihres Mantels, da ihnen der Schleier fehlte, zu verhüllen oder den Kopf in eine Ecke zu verstecken, weil sie zu schwach waren um davon zu laufen. Eine jämmerliche Alte, deren Lumpen nicht so weit reichten, um ihr auch das Antlitz zu verbergen, rührte mich in ihrer Verzweiflung, womit sie die beiden Arme davor faltete, so daß ich Kehrtum meinen Weg zurück ihr aus dem ihrigen ging. Ein Gebrauch, der sich so heftig ausspricht, ist mehr als die Affectation einer Modethorheit. Was die Erziehung angewöhnt hat, muß endlich ein Glaubenssatz des Gefühles geworden sein. Unnatürlich kann ich dabei nur den Versuch finden, es zu verletzen oder zu beleidigen. Brussa, den 29. Mai. Die 80.000 Einwohner Brussa’s sind zum weitaus größten Theile Türken; Griechen nur ungefähr 6000, Armenier 11.000 und Juden 3000. Die übrig bleibende Zahl der 60.000 beweist, daß es doch auch arbeitswillige und fähige Türken geben müsse, denn die große Menge der Güter, welche Brussa jährlich producirt und die seinen Bezirk zu einem der ergiebigsten des türkischen Reiches macht, kann nicht ganz ohne die Mithilfe jener überwiegenden Volkszahl gewonnen werden. Mannigfach sind die Producte, die es durch gewerbliche und landwirthschaftliche Thätigkeit hervorbringt, und aus den Häfen von Gemleck und Mudania ausführt. Auf dem Felde vor allem der Maulbeerbaum, um das Blatt und die Frucht zu verwerthen, 17.374 Wiener Joche sollen so nutzbar gemacht sein; die Rebe, die Olive, Kastanien; Nuß- und andere Obstbäume; Gemüse und in neuester Zeit auch die Baumwolle. Im Hause beschäftigt die Seidenproduction die meisten Hände, um die Raupen zu erziehen, die Cocons abzuhaspeln, die Rohseide zu zwirnen und zu verweben. Doch sind auch die Kräfte, welche in der Baumwollenproduction zur weiteren Verarbeitung des Rohstoffes thätig sind, keine geringen. Im vorigen Jahre führte es von all’ diesen Producten einen Werth von 108 Millionen Piaster aus, dem nur ein Einfuhrswerth europäischer Waaren von 38 Mill. Piaster gegenüber stand; also eine Handelsbilanz, die den herkömmlichen Begriffen unserer Nationalökonomie als eine außerordentliche Bereicherung des Landes erscheinen muß. Mir, dem auch ein Plus der Einfuhr nicht schädlich erscheint, weil ich glaube, daß es dem Lande nur Güter zuführe, die ihm -- weil gekauft -- nothwendiger sind als jene, welche es dafür bezahlt, mir erhalten diese Zahlen erst Bedeutung in einer Vergleichung mit denen der vorausgegangenen Jahre. Noch 1861 war die Ausfuhr nicht mehr als 49 Mill. Piaster und die Einfuhr 20 Mill. Piaster werth. In beiden Zweigen des Handels hat sich also der Verkehr innerhalb zweier Jahre geradezu verdoppelt. Das beweist eine Entwicklungsfähigkeit, die schneller und kräftiger als das Wachsthum irgend einer andern Volkswirthschaft, beinahe so, als sei auch sie von der wärmeren Sonne gezeitigt, fortschreitet. Was Brussa’s Gewerbe produciren, besah ich heute Morgens in seinen Bazaren, und wie es arbeitet Nachmittags in seinen Fabriken. Der Besestan, denn so und nicht Bazar heißen eigentlich diese Verkaufshallen, muß ehemals um seiner selbst willen sehenswerth gewesen sein. Die wenigen Thorwege, die stehen geblieben sind, besonders ein ungewöhnlich hoher und breiter Spitzbogen, erzählen von der eingestürzten Herrlichkeit, denn auch hier hat das Erdbeben gewüthet. Wölbungen und Kuppeln sind jetzt aus Holz ersetzt; das sieht ärmlich und dunkel aus, weil durch die sparsamen Fenster nur dürftiges Licht einfällt. Zu beiden Seiten der langen bedeckten Gassen sitzen die Verkäufer mit untergeschlagenen Beinen auf niederen Ladentischen, ihre Waaren auf Gestellen an den Wänden hinter sich. In den Vierecken, welche durch die Kreuzungen der Gassen gebildet werden, sind Hane, d. h. Höfe von festen steinernen Gebäuden umschlossen, in welchen die Karavanen ihre Waaren ablagern, fremde Kaufleute wohnen und unten in den Laubgängen die einheimischen ihre Schreib- und Wechselstuben und ihre Magazine haben. Man führte mich in mehrere; in allen waren Armenier die Herren, die hier den Handel beinahe ganz in Händen haben. Man empfing uns artig, Kaffee und Sorbet wurden gleich gereicht, aber jedes Geschäft machte sich auf das langwierigste. Der Fremde wird zu übervortheilen gesucht; der Preis auf das ungebührlichste überfordert und dann schließlich, wenn man weggegangen ohne auch nur ein Stück zu kaufen, die Waare um die Hälfte und auch noch weniger in die nächste Bude oder in den Gasthof nachgetragen. Es ist das noch eine der primitivsten Handelsformen; für den Käufer ebenso lästig, als für den Verkäufer gewiß in vielen Fällen, wo er sich im Eifer unter den Preis des wahren Werthes hinabdrücken läßt, nachtheilig, und für beide verschwenderisch durch den Zeitverlust. Unter dem, was man uns zeigte, gefielen mir Gebetsteppiche aus Kameelhaaren gewoben, mit Arabesken und Schriftzügen in Seide, Gold und Silber bestickt. Als Vorhänge vor Thüren und Fenster und als Divanüberwürfe müßten sie sich, wenn nur erst einmal eingeführt, in der das Fremdartige so sehr liebenden eleganten Welt unserer Salons schnell einen Markt gewinnen. Ich sah sie heute zum ersten Male; der Orientale braucht sie für seine Reisen. Er breitet sie über den nackten Boden um darauf zu den gebotenen Stunden, wo es auch sei, seine Gebetsübungen zu verrichten, und Nachts, wenn ihm nichts besseres wird, zu schlafen. Die Preise stiegen mit dem Werthe der Stickerei von 100 bis zu 500 Piastern. Halbseidenstoffe, schwere für Möbel-Ueberzüge und Tapeten, leichte für Frauenkleider, darunter jene wunderbar feinen, welche wohl die koischen Stoffe der Alten vorstellten und die heute unter dem Namen Brussa-Gaze zu Frauenhemden verwendet werden, waren nur in geringen Mengen vorhanden. Die Dessins sind beinahe bei allen Gattungen Streife; bei den Möbelstoffen meistens rothe und weiße oder rothe und perlgraue, auch braune, nicht schöner als man sie in Europa fabricirt, wenn schon abgestumpfter in den Farben. Der Preis für den Pick, der etwas über 2 Wiener Fuße hält, ist 12 bis 22 und 24 Piaster. Die Kleiderstoffe gefielen mir besonders in blaßgelber Grundfarbe mit leicht lilafarbigen schmalen Streifen, kleine Blumen darinnen, der Pick 15 bis 17 Piaster. Diese Stoffe sind weit geschmackvoller als irgend etwas, das Lyoner Fabriken unseren Weibern auf den Leib hängen und auch ihre Dauerhaftigkeit möchte ich höher schätzen. Ebenso sind die gazeartigen Hemdstoffe von einer Feinheit, Weichheit, Durchsichtigkeit bei aller Dichtigkeit, wie unsere Maschinen das nie produciren werden. Ohne sie zu vergleichen weiß ich diesen letzteren an Originalität des Aussehens nur die bekannten ~Crêpes de Chine~ an die Seite zu setzen. Beide sind gewiß Gewebe von einer uralten vieltausendjährigen Erfindung, die unverändert immer fortgetragen werden. Und dasselbe ist bei den Baumwollstoffen der Fall, den eigenthümlichen wie behaarten Handtüchern, Badetüchern und Bademänteln, mit denen sich die Haut so schnell und so weich abtrocknen läßt. Selbst hierher an die Quelle liefert England Nachahmungen davon. Auf den europäischen Markt hat es damit diesen türkischen Geschmack eigentlich erst eingeführt; aber die englischen Tücher werden steif und spröde schon nach der ersten Wäsche, während die türkischen dadurch nur weicher und schmiegsamer werden. Zu den Fabriken machte Nachmittags ein Franzose, Monsieur Dufour, meinen Führer. Ich möchte den Mann, der sich mir äußerst gefällig erweist, den Mäcenas der Seidenwürmer nennen. Ohne jeden Zwang als den seiner Liebhaberei, hat er diesen Thieren sein ganzes Leben gewidmet. Jahre und jetzt noch immer jährlich einige Monate bringt er hier zu, um in dem Versuchshofe, den er ihnen gebaut und eingerichtet hat, ihre Charakter- und Geschmacks-Eigenthümlichkeiten zu studiren und zu pflegen. Zweck und Vortheil sind ihm dabei nur die Vermehrung seiner Kenntnisse, und in zweiter Instanz die Belehrung seiner südfranzösischen Landsleute. Das letztere hat er durch mehrere Brochüren, die gedruckt erschienen sind, versucht, und wirklich schon so viel erreicht, daß in den Gegenden des südlichen Frankreichs, wo die Seidenproduction zumeist betrieben wird, die Brussaer Züchtungsweise des Maulbeerbaumes und der Seidenraupe Berücksichtigung und Nachahmung auch in den untern Volksklassen gefunden hat. Die gelehrten Gesellschaften und Akademien haben beinahe alle nach langen Zweifeln und Discussionen seine Rathschläge acceptirt und ihn zu ihrem Mitgliede ernannt. Die letzte seiner Schriften hat der Kaiser Napoleon mit der goldenen Medaille ausgezeichnet; sie heißt: ~Appendice aux observations pratiques faites en Orient sur la maladie actuelle des vers à soie pendant les années 1857, 1858 et 1859 par Mr. B. Dufour, Paris~, und verdiente sehr auch von unseren österreichischen Seidenzüchtern gelesen zu werden. Der Weg nach dem Stadttheile, wo die meisten Seidenfabriken stehen, ist von unserem Gasthofe ziemlich derselbe, wie der auf das Schloß. Hinter diesem, im Westen der Stadt, sind sie in einer Schlucht des Olympes zusammengedrängt. Das Thal wie die Gebäude erinnerten mich an einige Industrieorte des Schwarzwaldes, nur daß hier die Farben lebhaft und bunt sind, während dort Alles einförmiges Dunkel ist. Aber die Werkstätten hängen wie in Tryberg an den Thalwänden übereinander, und sind drei, vier Stockwerke hoch aus bloßen Holz- und Riegelmauern aufgeführt. Wir besuchten zuerst die Seidenmühle des Herrn Marschall, eines der größeren Etablissements. Der Eigenthümer, ein Franzose, erschien alsbald, um auf die artigste Weise selbst den ganzen Proceß seines Gewerbes zu erklären. Er haspelt die Seide von den Cocons ab und richtet sie zu, um nach Marseille für die französische Weberei ausgeführt zu werden. Dampf und Maschinen helfen ihm dabei wie nur in irgend einer unserer Fabriken. Als Arbeiter beschäftigt er nur Frauen und, was mich nicht wenig überraschte, meistens türkische. Sie arbeiteten ohne Schleier, verhüllten sich aber hastig, als sie uns Männer gewahr wurden. Ich ließ ihnen dazu einige Minuten, die ich zögernd am Eingange verweilte; die armen Leute, denen es gewiß schon Opfer genug ist, entgegen ihrer bisherigen Gewohnheit in fremden Häusern zu dienen, sollten nicht zu einer weiteren Verletzung ihres Gefühles gedrängt werden. Einige andere Herren mutheten dem Eigenthümer zu, seine Befehlshabermacht und die Abhängigkeit der armen Arbeiterinnen zu gebrauchen, um ihren lüsternen Augen den Anblick der enthüllten Schönheiten zu verschaffen. Das war wohl, damit ich die Art der europäischen Civilisation nicht vergesse. Herr Marschall that, als habe er in dem Gespräche mit mir seine Ohren ganz an meine Reden verloren. Er lobte mir den Fleiß und die Brauchbarkeit dieser türkischen Arbeiterinnen sehr. Die meisten sind jung, doch auch solche von 40 bis 50 Jahren sind dabei. Der erste Einfall, Türkinnen in den Fabriken zu verwenden, kam ihm, als die Armenierinnen und Griechinnen mit dem Entstehen neuer Filaturen ihre Lohnforderungen übertrieben. Anfangs habe er damit viele Mühe gehabt. Es war, was er vorschlug, ein solcher Einbruch in die alte Gewohnheit, welche die Frau in der Gemeinschaft mit ihren Glaubensgenossen und in den Geschäften des eigenen Hauswesens begrenzt, daß auch die emsigste Ueberredung nicht, erst das Beispiel dem Vorschlage Proselyten gewinnen konnte; das lockte denn auch mehr und mehrere, die ihre Nachbarinnen täglich Gelder heimbringen sahen, wie sie ihnen nur für die ganze Woche zur Verfügung standen. Waren die ersten langsam und spärlich gekommen, so bieten sich heute mehr an als zu brauchen sind. Auch ihre Arbeit war anfangs keine gute; sie stellten sich ungeschickt und selbst unwillig an. Aber die Geduld der französischen Lehrmeisterinnen und Aufseherinnen überwand dieses Widerstreben und jetzt, wo jede Anfängerin so viele geübte Genossinnen findet, bringt sie wie anderwärts den Ehrgeiz mit, es ihren Vorgängerinnen gleich zu thun. Die Arbeit ist fleißig und ordentlich geworden, und ihr Product nennt Herr Marschall reinlich und gleichmäßig, und so war wirklich die Seide, die er uns in seinen Vorrathskammern zeigte. Auch die Arbeitslocale fand ich sauber und die Luft darin bis auf den unvermeidlichen Leimgeruch gut. Der Tagelohn steht heute, wie sie finden, nieder, 4 bis 5 Piaster, steigt aber bis zu 10 Piaster. Des Vergleiches halber stelle ich daneben einige Lohnsätze der Baseler Seidenfabriken, die in Europa als außerordentlich niedrige gelten: Einer Weberin wird dort 2 Frcs. bis 2 Frcs. 30 Cents. für den Tag, einer Zettlerin 7 bis 8 Frcs. für die Woche, untergeordnetern Arbeitern auch nur 4½ bis 5 Frcs. wöchentlich gegeben. Die allgemeinen Folgen dieser Verwendung türkischer Weiber im Fabriksbetriebe schildern mir Herr Dufour und Herr Marschall als sehr wohlthätige und weitreichende. Sie haben zugleich die wirthschaftliche Lage und die sociale Stellung der Frau gehoben; das Weib, das sonst nur durch seine Besorgung des Hauswesens galt, gilt jetzt der Familie auch durch den selbständigen und eigenthümlichen Erwerb, den es von außen in die gemeinschaftliche Casse beisteuert. Das erste Verdienst konnte der Mann übersehen, weil der Egoismus der Gewohnheit überhaupt geneigt ist, die Werthschätzung für die täglich wiederkehrenden Dienste zu verlieren; das zweite aber kam ihm so unerwartet, so ganz außer der pflichtigen Ordnung, und kommt ihm jeden Tag in so klingender Gestalt wieder, daß er dafür dem Weibe eine erkenntlichere Dankbarkeit zollen muß. Bis jetzt sind diese Vortheile ohne die Nachtheile geblieben, welche wir sonst beinahe überall der Etablirung von Fabriken folgen sehen, so daß man sich bei uns schon den Trost der Unvermeidlichkeit dafür zurecht gelegt hat. Noch ist die türkische Arbeiterfamilie nicht auseinander gerissen, nicht haus- und besitzlos und verloren in den Interessen eines hungernden Proletarier-Haufens, und die Frau kehrt noch nach den Arbeitsstunden in die Abgeschlossenheit und Sittenstrenge des Harems statt in die Ausgelassenheit und Lüderlichkeit des Branntweinhauses zurück. In einigen Gegenden der Schweizer und Schwarzwälder Berge habe ich das Fabriksleben ähnlich gestaltet gesehen. Erhält sich das, so haben Herr Marschall und seine Gewerbsgenossen mehr für die Befestigung und Weiterbildung der Türkei gethan, als alle europäischen Congresse und Journale, die endlich doch nur einem noch ungewohnten Magen die überfeinerten Speisen ihres Tisches zumutheten. Auf diesen Wegen, auf denen der Arbeit und des Erwerbes, liegt die Umgestaltung des türkischen Volkes, wo sie überhaupt nothwendig ist; und es ist falsch zu behaupten, wie so Vieles, das sich Europa einbildet, daß der Koran diesen Zielen entgegenstehe. Der Koran verbietet so wenig die Arbeit und auch die industrielle nicht, daß er vielmehr vorschreibt, Jeder solle ein Gewerbe treiben und Glied einer Zunft sein. Und haben endlich nicht schon einmal die Araber durch den glänzendsten Betrieb der Gewerbe, Künste und Wissenschaften bewiesen, daß der Mohammedanismus kein Hinderniß zur Verwerthung der menschlichen Fähigkeiten sei? Was Europa von der Grundlage seiner heutigen Bildung nicht den Griechen und Römern zu danken hat, das schuldet es den Mohammedanern des Mittelalters. Da also der Glaube keine Schranke und das Vermögen im Volke vorhanden ist, warum soll ich zweifeln, daß die Türkei im Stande sein werde, auch gesteigertere Bedürfnisse als ihre heutigen zu befriedigen. Ob sie dann glücklicher, wenn sie ihr Leben an hundert neue Nothwendigkeiten festgebunden haben wird, ist eine andere Frage. Leider aber sehe ich ihr die Wahl nicht mehr frei, weil sie mit eingetreten ist in das Regiment der Civilisationsstaaten. Ganz dieselben Uniformen braucht sie nicht anzuziehen, aber die Ruhelosigkeit, das rücksichtslose Weiterdrängen muß jetzt auch ihre Gangart werden. Es geht den Staaten wie dem Einzelnen. Wer in eine jener modernen Gesellschaftsverbindungen eintritt, sei’s durch freien Entschluß des Willens oder durch die unvermeidliche Fügung der Geburt, kann diesen Zuwachs an Hilfe nur durch Aufopferung eines Theiles seiner Selbständigkeit erkaufen. Darum auch in unserer Zeit der Vereine so selten nur mehr originale und sonderbar angelegte Menschen. Das sind die Triumphe der freiheitlichen Gleichheit, die mit despotischem Riesenbügeleisen alle Falten nieder und glatt legt. Duldung, die sonst so viele Eigenthümlichkeiten aufwachsen ließ, gilt nur noch wie eines jener verlorenen Worte aus der Sprache des Nibelungenliedes. Es weiß wohl Jeder, daß es zur Geschichte gehört, aber verstanden wird es nur von den Wenigen, deren Blick rückwärts gerichtet ist auf die Vergangenheit. In den Epochen des Entstehens, des Werdens und Aufblühens ist das anders, da gilt der Einzelne und die Verschiedenheiten vertragen sich. Die Zeit der Civilisation, der Verbürgerlichung, ist die des Verfalles und ihr würdiges Staatskleid die constitutionelle Regierungsform, dieser Nothbehelf der Schwäche, wo die Quantität den Mangel der Qualität ersetzen soll. Nicht der jetzige Sultan und nicht Abdul Medschid, auch Mahmud nicht, der nur ein etwas voreiliges Werkzeug in der Hand des hereingebrochenen Verhängnisses war, hat diese Wahl für das Reich so entschieden; das geschah, als der Türkei die Kraft verloren ging, dem gesammten Europa die Stirne zu bieten. „Gegen mich oder mit mir!“ das ist die Losung der heutigen Civilisation, wie es die jeder übermächtigen, der persischen und der römischen gewesen war. Ein „ohne mich und außer mir!“ wird nicht geduldet. Und wirklich scheint es eines der Gesetze zu sein, welche von Anfang an die Ordnung der Welt bestimmt haben, daß Keiner, so lange er in der Gesellschaft steht, aus der Art seiner Mitlebenden heraustreten dürfe; die Sonderlinge, welche ihrer Zeit vorausgehen oder hinter ihr zurückbleiben wollten, wurden immer gekreuzigt und verbannt. Daher dann auch in den Tagen des äußersten Verfalles das Sehnen der Vielen, die sich edler, aber zu schwach zum Kampfe fühlen, nach Ruhe und Einsamkeit. Der enge Gipfel einer Säule wie die endlose Fläche einer Wüste können zum Paradiese werden, wenn die übrige Welt in eine Hölle der Laster und Verkehrtheit verwandelt ist. Die nächste Seidenmühle, wohin man mich führte, war die des Herrn Prote. Der Arbeitssaal ist noch größer und besser eingerichtet als der der Marschall’schen Fabrik. Was irgendwie emancipirbar ist von der menschlichen Hand, besorgt auch hier der Dampf, und von dem übrigen ein gut Theil die Arbeit türkischer Frauen. Den Eigenthümer, der in Geschäftsangelegenheiten in Frankreich abwesend ist, ersetzte seine Gemahlin. Nachdem wir alle Räume der Fabrik besichtigt hatten, nöthigte sie uns in ihr Wohnhaus einzutreten. Die Frau, die dann für einige Minuten verschwand, um ihre Handwerkskleider gegen eine schlichte aber gut gewählte Toilette umzutauschen, war vor ungefähr 16 Jahren, als sie Herr Dufour hierher verpflanzte, noch eine simple Seidenspinnerin gewesen. Der Vortheil der Vorhand, denn sie und ihr Gatte waren unter den ersten französischen Ansiedlern, ausdauernder Fleiß, dankbare Anhänglichkeit an ihren Wohlthäter Herrn Dufour, und der klare Verstand, an dem ich mich lernend ergötzte, haben ihr und ihrem Manne das gegeben, was sie mir heute mit der behäbigen Zufriedenheit des selbstverdienten Besitzes zeigen konnte: ein großes einträgliches Unternehmen, ausgebreitete Handelsverbindungen, Grundbesitz, einen kleinen Garten und ein wohleingerichtetes Haus, wo sie uns in einem eleganten Salon mit frischem Obst, Cliquots und süßen Weinen bewirthete. Stolz, wie mir die Frau ihr gegenwärtiges Glück gezeigt hatte, sprach sie von ihrer ärmlichen Vergangenheit und daß sie immer noch wie damals dem Herrn Dufour allein die Erziehung der Seidenwürmer in seinem Versuchshofe besorge. Dorthin begleitete sie uns denn auch, um gemeinschaftlich mit Herrn Dufour den ganzen Proceß der Seidenraupenzucht, die Eigenthümlichkeiten der verschiedenen Racen und die Unterschiede der Brussaer Züchtungsmethode von der in Europa üblichen zu erklären. Der erste Unterschied liegt beim Maulbeerbaume. In Europa benutzt man nur den zahmen. Man pfropft den Baum, und erst wenn man sein Blut so weit gebändigt hat, glaubt man seine Blätter diesen empfindlichen Thierchen verdaulich. Hier vertraut man dem wilden Sprößling der Natur, läßt ihn aber, wo er diesem Zwecke dienen soll, nicht zum Baume, nur zum Strauche aufwachsen. Die Zweige werden ihm früher abgebrochen, und das gerade, um sie den Seidenwürmern als Speise zu serviren. Diese Art der Speisung macht den zweiten Unterschied, denn in Europa servirt man den Seidenraupen nur die Blätter, die Stück für Stück von den Aesten gebrochen werden. Diese mühsame Arbeit thut der türkische Bauer für die Seidenraupen nur, so lange sie in ihrer zartesten Kindheit sind. In ihrem ersten Alter tischt er ihnen die Blätter losgelöst und in Bouquetten gebunden auf, in ihrem zweiten, stärkeren, schon an kleinen Zweigen, und in ihrem dritten, entwickelten, an ganzen Aesten; die legt er, je vier Stück in ein Quadrat geordnet, über einander und immer neue darauf, je mehr die Thiere die unteren entlauben und in die oberen hinaufsteigen. Zuletzt kann er die untersten, die nichts mehr als blätterlose Ruthen sind, leicht und ohne die Ruhe der oberen zu stören, unter dem Stoße wegnehmen. Das geschieht auf dem Boden der Zuchtanstalten, die nichts Besseres als die Speicher der Bauernhäuser sind, wie denn der Türke überhaupt eine Menge der Vorsichten, welche wir für diese Thiere unentbehrlich glauben, nicht beobachtet. Man hat längst von dieser Art in Europa gewußt, aber nicht der Prüfung werth gehalten, ob sie nicht doch vielleicht eine andere Ursache als die Faulheit der Türken und eine andere Folge als die Verkümmerung der Thiere habe. Daß man die Blätter mühsam zusammenlese, erschien um so viel fleißiger, daß unsere ohnedies zur Ueberzeugung der Unübertrefflichkeit neigende Einbildung den besten Grund hatte, ihre Art ohne Weiteres für die beste zu halten. Man verurtheilte die Trägheit der türkischen Züchter und bedauerte die schlimme Lage der türkischen Raupen, um mit der Verdammung und dem Mitleiden die Sache auf die bequemste und selbstgefälligste Weise abzuthun. Auch Herr Dufour hat das nachtrompetet und noch Jahre lang, nachdem er an Ort und Stelle die Dinge anders gesehen. Ja er bemühte sich sogar, die Türken zu seiner Fütterungsweise zu bekehren, bis er plötzlich in seinem Versuchshofe die Seidenwürmer-Krankheit hatte, während sie um ihn herum bei den Bauern nicht war. Das machte ihn zuerst zweifelhaft an der Unfehlbarkeit seiner Züchtungsmethode. Er begann in seinem Versuchshofe Thiere auch nach der landesüblichen Fütterungsweise zu erziehen, und siehe da, er hatte die Beschämung, zu erfahren, daß von zwei Proben, die er hart nebeneinander aufstellte, diejenige krank wurde, welcher er die Blätter, und diejenige gesund blieb, welcher er die Zweige zum Fressen gegeben hatte. Das gefunden, suchte er diese Entdeckung durch die Proben einer Reihe von Jahren zu bewähren. Von den Seidenwürmern aller Seidenländer der Welt legte er je zwei Nester an, das eine um sie nach europäischer Weise ausschließlich durch Blätter, das andere um sie nach türkischer Art zumeist durch die belaubten Zweige des Maulbeerbaumes zu nähren. Heute noch sah ich das so eingerichtet, und an den meisten konnte er mir die Bestätigung seiner Entdeckung weisen. In dem einen krabbelten die Thiere beweglich und gesund in den belaubten Zweigen herum, während sie in dem andern träge und beinahe wie schon abgestorben auf den zweiglosen Blättern klebten. Die Erklärung dafür ist ebenso leicht begriffen als gegeben. Der natürliche Zustand dieses Thieres ist der, sich wie jede andere Raupe an dem Baume selbst die Nahrung zu holen. Dazu muß es kriechen, muß von einem Blatte zum anderen sich bemühen, muß Bewegung machen. Diese Bemühung wird ihm erspart, wenn man ihm klein zugerichtet die Speise in Unmasse auftischt; es fehlt ihm dann aber auch die Veranlassung das Genossene zu verdauen und den Appetit zu neuem Genusse zu sammeln. Gefräßig, wie alles Thierische, füllt es, wenn nicht anders gezwungen, die Zeit nur mit dem Fressen aus und überfrißt sich. Der Schaden, den die Menge anstiftet, wird noch schlimmer durch den Zustand der Speise, der meistens ein verdorbener ist, weil die Blätter, die dicht auf einander liegen, leicht in Gährung übergehen. Das veranlaßt dann, wie es unter solchen Bedingungen auch dem Menschen nicht fehlen würde, eine ~indigestion de l’estomac~, die hinwiederum in der Beharrlichkeit, in der sie erhalten wird, die Seidenwürmer-Krankheit erzeugt. So ist denn diese nicht durch das Klima, nicht durch eine üble Einrichtung der Zuchthäuser, nicht durch eine Erkrankung der Maulbeerbäume verschuldet, weil nirgends nachgewiesen ist, daß die Bäume von einer Krankheit befallen sind, sie ist -- wie gezeigt -- allmälig durch die Zähmung des Maulbeerbaumes und durch die Fütterung mit den bloßen Blättern, durch die Wahl und Art der Nahrung also verursacht und befestigt worden. Wo sich der Stoff einmal festgesetzt, da ist die Krankheit, wie das so oft bei zeugenden Organismen geschieht, eine erbliche geworden. Ansteckend hat sie Herr Dufour jedoch nicht gefunden. Die Krankheiten, welche auch in der Türkei während der Jahre 1857 und 1858 herrschten, hatten nach seinen genauen Beobachtungen keine Aehnlichkeit mit den europäischen. Der gesunde Sinn des Orientalen, der dem Natürlichen überhaupt näher geblieben sei, habe -- so meint Herr Dufour -- den Türken in dieser wichtigen Frage das Richtige treffen und dabei beharren lassen, während es in Frankreich Jahre brauchte, um nur einen Zweifel an der Vortrefflichkeit der dortigen Uebercultur glaubhaft zu machen. Er hofft übrigens, daß auch in Italien und in Oesterreich seine Untersuchungen nicht unbeachtet bleiben. In Oesterreich könnten sie sich ganz besonders vortheilhaft erweisen, weil die türkische Züchtungsmethode neben anderen Vorzügen auch den der Wohlfeilheit hat und die österreichische Industrie an zu theueren Productionskosten krankt. Schon die andere Pflege des Maulbeerbaumes begünstigt den Türken mit einem Gewinne von 25 Procent, die ihm der wild und strauchartig gehaltene Baum mehr an Blättern trägt. Weiters enthält das Blatt des Wildlings 30 Procent Nährstoff, darunter 5 Procent Seidenstoff mehr. Zwei Erziehungen derselben Gattung und Zahl von Würmern nebeneinander gestellt, brauchten die mit den Blättern des zahmen Baumes gespeisten 30 Procent mehr als die vom wilden gefütterten. Auch zieht der Wurm den Wildling vor. An Handarbeit werden hier überdies 70 Procent erspart. Alle Vortheile zusammen und in Geld umgerechnet, gewinnt der türkische Züchter durch seine Methode an der Unze Seidenwürmersamen ein Plus von 126 Frcs. 20 Cents. Der Gewinnst steht den europäischen Seidenproducenten zur Verfügung und dazu noch die Ersparniß der kostspieligen und lebensgefährlichen Expeditionen nach Persien und China, die doch resultatlos blieben, weil schon im nächsten Jahre nach der Umpflanzung der neue Same wieder krank geworden war durch dieselbe verkommene Frucht, die man der Raupe wieder zu fressen gegeben hatte. Herr Dufour behauptet übrigens, und er züchtet hier alle Raupengattungen nebeneinander, daß die von Brussa die beste sei, wie ja auch die Brussaer Seide als die beste auf den französischen Märkten gekauft werde. Er räth von hier sich Eier kommen zu lassen, sie nach hiesiger Art zu erziehen, und verspricht, daß dann Europa bald seiner Seidenwürmer-Krankheit ledig und wieder reich an Ernten sein werde. Er machte mich aufmerksam auf die Eigenschaften, welche Dalmatien zu dieser Production angeboren sind. Ganz andere Resultate als die bis jetzt erreichten seien dort leicht mögliche. Diese regsamer anzustreben könne vielleicht die Einführung einer neuen Productionsmethode den Anstoß geben. Den gegeben zu haben, das wäre nun allerdings eine Wohlthat, etwas empfindlicher, als sie bureaukratische Erlässe gewöhnlich sind; denn in Dalmatien, das isolirt außer aller Weltbewegung geblieben, wird jetzt noch die erste Ermunterung von der Regierung ausgehen müssen. Das Land hat Arbeitskraft genug, und es hat das Meer vor seiner Thüre, aber es fehlt ihm die Findigkeit und der Eifer, die eine und das andere zu verwerthen. Kein geschickteres Mittel dazu, als ein großartiger und emsiger Betrieb der Seidencultur, die der Landwirthschaft und Industrie zu thun, der Gesundheit keinen Schaden und dem Handel fortwährende Beschäftigung gibt, weil der Seidenmärkte so viele und so reiche sind, daß die Nachfrage noch lange als eine unerschöpfliche gelten kann. In Brussa sind dermalen 56 Seidenfabriken thätig, im ganzen Bezirke ihrer 90 mit 5400 Kesseln. (In Oesterreich 83 Filanden mit 4000 Kesseln, in Preußen 133 Anstalten für Mouliniren, Haspeln und Zwirnen.) Es sind nicht mehr als 16 Jahre, daß dieses Gewerbe sich hier fabriksmäßig constituirt und so entwickelt hat. Daneben thut immer noch viel die Hausindustrie, wie sie denn allein die Weberei besorgt. Darum aber auch für alle Gewebe Preise, die zur Ausfuhr auf den europäischen Markt zu hohe sind; denn dort, wo die Mode jeden Tag Anderes ordinirt, ist die Dauerhaftigkeit des Stoffes eher ein Hinderniß des Absatzes und nur die Niedrigkeit des Preises eine Empfehlung geworden. Und es ist ganz in der Ordnung und wäre wirthschaftliche Verschwendung, wenn es der Producent anders machte, daß dem veränderten Bedürfnisse veränderte Waare geboten werde. Das Idealziel eines unbedingt besten Productes kennt das Streben des heutigen Gewerbsmannes nicht; ihm ist jede Waare bedingt durch die dermaligen Ansprüche seiner Kunden und diejenige die beste, welche diese Ansprüche am vollständigsten befriedigt. Hier im Oriente, wo sich wie in dem Mittelalter unserer Entwicklung die Prachtgewänder der Eltern mit dem anderen festen Besitze in die Nutznießung der Kinder vererben, sind diese Ansprüche an die Waaren andere, und darf darum auch die Production eine anders eingerichtete sein. Durch dieselbe für den europäischen Markt arbeiten zu wollen, wird ein unglückliches Experiment sein, dem ich nur die wenigen Käufer verspreche, welche die Raritätenpassion zur Nachfrage treibt. Auch zur Uebertragung der europäischen Productionsmethoden in die hiesige Seidenweberei halte ich den Augenblick hier noch nicht gekommen; es fehlt an dem Ueberflusse von Arbeits- und Capitalkräften, der dazu nothwendig ist. Was davon vorhanden und auch das Mehr, welches in den nächsten Jahren vielleicht zufließt, wird vortheilhafter für den Einzelnen und für den Staat in anderen mehr primitiven Productionszweigen angelegt. Ueberläßt man diese Industrie ihrem natürlichen Selfgovernment, so werden türkische Seidenstoffe noch lange, vielleicht ein ganzes Jahrhundert fort, einen großen und ergiebigen Markt nur in ihrer Heimath haben, wo ihnen die Besonderheit des Geschmackes gegen fremde Eindringlichkeit einen gewissen Schutz verleiht. Diese Lage voreilig günstiger, die Grenzen der Consumtion auch für türkische Gewebe weiter gestalten zu wollen, wäre ein widernatürliches Bestreben, das sich zuletzt in den volkswirthschaftlichen Dingen noch schädlicher als in allen Lebensverhältnissen überhaupt bewährt. Ich habe wohl einige Zahlen über die Brussaer und die gesammte türkische Seidenproduction gesammelt, aber nicht auf sie eigentlich, mehr auf die unmittelbare Anschauung des Lebendigen selbst meine Urtheile gegründet. Denn entgegen der allgemeinen Meinung habe ich für statistische Zahlen nur geringen Respect und für die Sache, die sich nur durch sie beweisen läßt, gar keinen Glauben. Ich habe sie zu oft doppelsinnig und dieselbe Zahl in zu vielen Parteilagern gefunden, und muß überdies sogar, weil ich den Leichtsinn, der diese Zahlen sammelt und zusammenstellt, persönlich kennen lernte, diese Vielseitigkeit ihrer Natur gemäß finden. Bestätigen und ordnen das, was die Augen im Leben selbst gesehen haben, das können sie; aber alleiniger und verläßlicher Wegweiser werden sie mir nie sein, und waren sie mir auch hier nicht. Zu den Zahlen, die ich oben schon mittheilte und die mir so wie jene dienten, verzeichne ich noch die folgenden: Brussa erzeugt jährlich an Cocons 600.000 Okas, das sind 13.687 Ctr. Davon führt es 36.000 Okas, das sind 821 Ctr., aus; den Rest verarbeitet es zu Rohseide im Gewichte von 300.000 Okas, das sind 6843 Ctr. (Oesterreich producirte 1863 an Rohseide und Abfällen 18.000 Ctr.) 161.700 Okas, das sind 3688 Ctr., von dieser Productionsmenge von Rohseide überläßt Brussa an fremde Märkte. Seine gesammte Seidenausfuhr beträgt also: Cocons 36.000 Okas = 821 Ctr., Rohseide 161.700 „ = 3688 „ ------------------------------------ Summa 197.700 Okas = 4509 Ctr., im Werthe von ungefähr 8 Mill. Frcs. Daneben stelle ich die Zahlen der Ausfuhrwerthe einiger anderer Seidenländer, mehr um die Bedeutung ersichtlich zu machen, welche dieser Productionszweig in der Weltwirthschaft überhaupt hat, als um einen Maßstab für die Werthbestimmung der türkischen Production zu geben. Denn ein Vergleich, wo die Ausfuhren der einzelnen Länder beinahe mehr durch die Waarengattungen als durch die Zifferngrößen von einander verschieden sind, würde hier zu einer Sünde gegen die Wahrheit werden. Jede Ausfuhr vertritt ein anderes Stadium der Seidenproduction, worin das ausführende Land eben besonders stark ist. Danach geordnet steht allen voran die Türkei mit einer Ausfuhr von größtentheils Cocons, Roh- und Flockseide im Werthe von ungefähr 79 Mill. Frcs.; ihr beinahe gleich durch die Waarengattung Oesterreich mit einer Seidenausfuhr von 15 Mill. fl.; zunächst England, das alles Rohmaterial einführen muß, um es zumeist in Garne zu verarbeiten und in solcher Gestalt einen Werth von 60 Mill. Frcs. auszuführen; endlich auf der dritten Productionsstufe, der der Weberei, der Zollverein mit einer Seidenausfuhr von 27 Mill. Thlr.; die Schweiz mit einer Ausfuhr von 188 Mill. Frcs. und Frankreich mit einer Seidenausfuhr von 494 Mill. Frcs. Werth. Bestochen durch die ungeheueren Summen, welche auf dieser letzten Stufe gewonnen werden, preist man sie gewöhnlich als die der Arbeit lohnendste und das Land, welches sie erklommen hat, als das glücklichste. Insbesondere sind es die Schutzzöllner, die mit solcher Darstellung ihre Grundsätze und Wünsche zu motiviren suchen. Ich halte das für einen Irrthum. Als Ganzes genommen erwirbt die Weberei allerdings größere Summen, als irgend eine der voraus liegenden Productionsstufen; die Arbeit selbst aber, das einzelne Maß ist auf allen durchschnittlich gleich bezahlt. Denn abgesehen davon, daß von den producirten Werthen der Weberei die Kosten abzuziehen sind, welche sie dem Garn- und Rohseidelieferanten gezahlt hat, ist auch in ihr ein größeres Quantum von Arbeit nöthig, als in den früheren Productionsstadien. Das Mehr des Erworbenen gleichmäßig unter dieses Mehr der Arbeitskräfte nach dem Verhältnisse der von ihnen geopferten Zeit und Mühe vertheilt, wird sich schließlich jede einzelne Arbeiterzahl ziemlich mit demselben Betrage wie in der Zwirnerei und Coconszucht belohnt finden. An und für sich ist also die Weberei nicht besonders vortheilhafter; sie wird es nur dort, wo ein größerer Reichthum an Arbeitskräften Beschäftigung und Lohn sucht. Solchen Ländern wird sie, aber das wie jede neue Erwerbsquelle überhaupt, eine Speise für den Hunger sein. Daß sie im rechten Augenblicke das werden, daß sie aufleben und sich ausbreiten könne, wenn die Volkszahl dem Becher der Landesgrenzen überzufließen droht, daß ihr aber einstweilen nur die Wurzel zu diesem künftigen Wachsthume bewahrt werde, das finde ich die eigentliche Aufgabe einer schutzzöllnerischen Politik, wie ich sie verstehe. Was die Schutzzöllner gewöhnlich wollen, die Weberei ohne jede Rücksicht auf das Zeitgemäße, blos weil sie sie bei dem Nachbar glänzend und einbringlich sehen, auch in ihres Volkes Wirthschaft einzuzwängen, das kömmt mir wie die gewaltsame Heranbildung von Wunderkindern vor; die vorzeitige Reife rächt sich durch frühzeitige Verkümmerung. Der größte Theil der türkischen Seidenausfuhr von 79 Mill. Frcs. geht nach England und Frankreich. Nach England 213.400 Okas, das sind 4868 Ctr., für 5 Mill. Frcs., und nach Frankreich 1,258.700 Okas, das sind 28.717 Ctr., für 51 Mill. Frcs. Die französische Seidenspinnerei und -Weberei bezahlt für Rohmaterial überhaupt an das Ausland 181 Mill. Frcs., der Türkei also allein den dritten Theil ihres ganzen auswärtigen Bezuges. Dieses eine Verhältniß scheint mir zu genügen, um die Bedeutung des türkischen Reiches für die französische Volkswirthschaft festzustellen. Uebrigens reden nicht in diesem einen Handelszweige allein so die Zahlen. Im vorigen Jahre hat Frankreich aus der Türkei bei sich eingeführt einen Werth von 138 Mill. Frcs. und nach ihr ausgeführt einen anderen von 114 Mill. Frcs., zusammen also einen Verkehr von 252 Mill. Frcs. Werth mit der Türkei gehabt. Das repräsentirt 5 Procent seines gesammten auswärtigen Handels. Daß in diesem Tausche die Türkei zumeist Rohproducte, Frankreich dafür Manufacte liefere, sagt die dermalige national-ökonomische Lage der beiden Länder. Welches ergiebige Feld der Ernte also für die französische Industrie dieses türkische Reich, das ihr näher als andere überseeische Länder und offen ist, beinahe wie die heimischen Märkte selbst, denn den türkischen Zoll von 8 Procent fühlt der Handel kaum. Und einen solchen Kunden umzubringen sollte Frankreich, wie manche Politiker vermuthen, ernstlich gewillt sein? Die Türken aus der Türkei fortjagen, um Gott weiß wen an ihre Stelle zu setzen, der seine Thüre vielleicht ganz verschließen, gewiß nicht so freihändlerisch offen stehen lassen würde? Es wäre Mord, aber zugleich auch Selbstmord, und den traue ich einer Nation und einer Regierung, die lebenslustig wie die französische ist, nicht zu. Die Pläne der französischen Politik in der Türkei wollen Anderes als die Vernichtung. Das beweisen die vielen Fabriken, womit die Franzosen Kleinasien bevölkern; das die Schulen und die Kirchen, die sie, wo nur der Schein eines Bedürfnisses auftritt, den Christen und Juden zuvorkommend erbauen, mit Geldern und Lehrern dotiren, um sie von Paris aus wie die Dependenzen irgend einer ihrer Präfecturen zu verwalten. Das verpflichtet sie dann, schon scheinbar um der Humanität willen, neue Rechte zum Schutze ihrer Angehörigen zu beanspruchen, und erwirbt ihnen ohne zu erobern die Oberherrschaft über ein Land, dessen Volkswirthschaft insbesondere sie sich wie die einer Colonie unterthänig haben wollen. Dieses sind die Wünsche und Ziele, die ich in den Plänen der orientalischen Politik Frankreichs vermuthe; Glauben an den Zusammensturz der Türkei gebe ich ihr keinen schuld. Den hat sie vielleicht manchmal geheuchelt, um beutegierigen Concurrrenten den kranken Mann als keiner Bemühung mehr werth erscheinen zu lassen, aber ernstlich und dauernd gehegt hat ihn die französische Politik gewiß nicht. Einer der erfolgreichst Getäuschten ist Oesterreich. Dort hat sich der Glaube schon beinahe in den Wunsch nach dem Ableben des kranken Mannes verwandelt; natürlich weil man von seinem wahrscheinlichen Erben, den griechischen Russen, schon so viel Freundliches erfahren hat. Von dort aus regt sich denn auch keine Thätigkeit, um den französischen Händlern Concurrenz zu machen; kein Versuch z. B. mit Glas, mit Eisen, mit Baumwollwaaren in Brussa Seide einzutauschen, wenn auch nicht für die eigene Weberei, weil diese noch nicht entwickelt genug ist, so doch für den ansehnlichen Bedarf (jährlich 34.000 Ctr.) der Züricher und Baseler Fabriken. Der Gewinn an Frachtlöhnen bliebe unseren Schiffen, dem Lloyd, den Häfen von Triest und Venedig und den südlichen Eisenbahnen. Allerdings hemmt gleich bei diesen eine Lücke dermalen noch die Ausführung eines solchen Projectes. Die Eisenbahn durch Tirol nach dem Bodensee ist durchaus nothwendig, um der Schweiz einen Theil ihres Seidebedarfs auf österreichischen Schiffen aus der Levante zuzuführen. Diese Bahn ist gerade mit Rücksicht auf den für Oesterreich so sehr wichtigen Handel mit dem Oriente eine der nothwendigsten. Brussa, den 30. Mai. Gög-Dere -- Himmelsthal -- heißt die Schlucht, welche die Stadt in zwei Theile scheidet, und Gög-Su das Wasser, das darinnen vom Olymp herabkömmt. Oben auf dem Berge ist Gög-Dere wirklich ein Thal, breit und mit reichlichem Grün ausgefüllt; unten im flachen Lande aber stehen seine Wände einander so nahe, daß sie zu überspannen der einzige Spitzbogen einer kühn geschwungenen Brücke genügt. Steil und tief senken sie sich zu dem Wildbache hinab. Felsen springen aus den Uferhängen hervor, scharf und kantig als seien eben erst Stücke davon weggebrochen, und unten im Bette liegen andere glatt und rund vom anprallenden Wasser zugeschliffen. Auf einem solchen Blocke haben wir heute Morgens das Frühstück genommen, die Gäste einer armenischen Familie, die eines der Häuser oben auf dem Ufersaume der Schlucht besitzt. Von einer kleinen Blumenterrasse waren wir schmale Fußsteige und eingehauene Stufen hinab und unten über eine künstliche Brücke auf das Felseneiland geführt worden, wo Tisch und Stühle bereitet waren. Dort sitzend tafelten wir eingeengt wie in eine der himmelhohen Gassen unserer europäischen Hauptstädte, nur daß statt des unruhevollen Menschengedränges das einsame Rauschen des Wassers und statt der häßlichen Häusermauern lebendiges Erdreich uns umgab. Denn Blumen und Schlingpflanzen und selbst ganze Stauden wachsen aus den Uferhängen hervor und verkleiden sie, und wo sich auf einem vorspringenden Felsen so viel Erde gesammelt hat, um einer Wurzel Halt und Kräftigung zu geben, da haben sich sogar Bäume wie auf Postamenten aufgestellt; die neigen sich über und schauen herab, als wollten sie sich im Wasser bespiegeln. Hinter uns, dort wo der Bach mit hüpfenden Fällen herkömmt, war die Aussicht durch eine undurchdringliche Wildniß von Büschen und Schlinggewächsen verschlossen, und vor uns sahen wir unter dem malerischen Bogen der sarazenischen Brücke hinweg in die Ebene, die eingerahmt zwischen den Uferwänden in weiter Ferne wie der Ausblick aus irgend einer Lebensenge auf breitere Hoffnungsfelder erschien. Das ganze reiche Wachsthum der überfließenden Natur hier unten ist das Werk weniger Wochen. Denn jährlich mit dem ersten Frühlinge, wenn die Schneemassen des Olympes geschmolzen zu Thale fließen, nehmen sie auch das Holz mit sich, welches das vorige Jahr in dieser immerkühlen Höhlung geschaffen hatte. Das zeigt recht wie zeugungskräftig dieser Boden ist. Die Hausleute erfreuten sich sichtlich an dem Gefallen, welches ich an dem Orte und an der ganzen Situation fand. Mit ihrer Freundlichkeit entwickelte sich auch ihre Mittheilsamkeit. Weine, Liquere, Caffee, frische Erdbeeren, eingesottene Früchte und Bäckereien wurden herum gereicht, und dazu von dem erzählt, was hier noch immer die Phantasie der Menschen füllt -- so schrecklich muß es gewesen sein -- dem Erdbeben des Jahres 1855. Sie zeigten die Felsen, die es damals aus den Ufern herabgestürzt hat, und die, zu mächtig selbst für die Gewalt des Frühjahrsstromes, immer noch mitten im Flusse liegen, leicht unterscheidbar von den anderen, die als Gerölle von den Bergen herabgespült worden sind, durch ihre scharfen Kanten und Ecken. Von der Brücke erzählten sie, daß sie ehemals bedeckt und von Buden eingefaßt gewesen sei, daß diese aber auch das Erdbeben zu Falle gebracht habe. Zweimal hatten sich die Stöße wiederholt, jedesmal mit solcher Intensität, daß in wenigen Secunden ganze Stadttheile niedergelegt und die festesten Bauten verletzt waren. Wer konnte, rettete sich hinab in die Ebene, um wenigstens geborgen vor den vom Berge herabfallenden Steinblöcken zu sein. Dort lebten Tausende wochenlang unter Teppichen und Decken, die sie in Zelte zusammengeflickt hatten. Insbesondere schien die Frau unseres Wirthes noch unter dem Eindrucke jenes Ereignisses zu zittern. Ein einziger Felsblock hatte vor ihren Augen ihr Haus zerdrückt; sie war dann nach Constantinopel geflüchtet, und hatte ein ganzes Jahr lang nicht den Muth zur Rückkehr finden können. Die schwächeren Erdstöße, die seitdem immer wieder verriethen, daß die Kraft, welche diese Berge geformt, noch nicht zur Ruhe gekommen ist, haben sie in eine fortwährende Aengstlichkeit versetzt, so daß sie jedes Geräusch für das Zeichen eines neuen Erdstoßes hält. Das gab Veranlassung zu manchem Scherze und quälender Neckerei. Dann aber sprachen die Leute auch von dem Glücke ihrer Ehe, von Kindern und Enkeln. Das brachte mich dahin das Begehren auszusprechen, das unseren Besuch eigentlich veranlaßt hatte, das Innere ihres Hauses zu sehen. Das wurde gerne gewährt. Eine breite Holztreppe führt nach dem ersten Stockwerke. Sie läuft dort in die Sala aus, welche hier aber nicht nur in der einen Richtung von vorne nach hinten das Haus durchschneidet, wie in Italien, sondern auch von rechts nach links, so daß in das Quadrat des ganzen Baues ein regelmäßiges gleichschenkliches Kreuz gelegt ist; da an jedem Ende desselben Fenster sind, ist dadurch noch mehr Durchzug und Kühle als in dem italienischen Hause gewonnen. Die vier durch das Kreuz ausgeschnittenen Winkel des Hauses dienen zu den besonderen Gemächern der Familie. In einem sind die Staatsstuben, in dem anderen die Arbeitszimmer des Hausherrn, in dem dritten die Schlafzimmer und in dem vierten die Wohnungen für den Schwiegersohn und die Tochter angebracht. An den Wänden laufen niedere Divane her, die mit einfachem Kattun überzogen sind, wie denn überhaupt die ganze Einrichtung unserer Verwöhnung sehr einfach erscheint, und das bei Leuten, die ihr Vermögen nach Hunderttausenden zählen. Nur der sogenannte Salon macht einigen Anspruch auf größere Eleganz durch die europäischen Canapees, Schaukelstühle und Standuhren, die darin zur Schau gestellt sind. Auf der Treppe stand eine große Marmorvase aus so dünnem Steine, daß er beinahe durchscheinend ist, mit folgender bisher unentzifferter und auch meiner Unwissenheit nicht lesbaren Inschrift: ΕΛΕΥξΙΕCΤξΙΖΙΔ. Die Vase ist in Kutahia, dem alten Cotiaium, einer phrygischen Stadt, zwei Tagereisen von hier gefunden. Ihre Formen sind die rohen einer verkommenen Bildung, welche aber doch noch die Spuren einer edleren Abstammung festgehalten haben. Was bei uns Hof wäre, ist hier als Garten hergerichtet. Die Wege sind geradlinig und schmal, mit blendend weißem Sande bestreut; die Beete klein, von Buchs umsäumt, mit außerordentlich bunten Blumen in symmetrischer Anordnung bepflanzt. Der ganze Eindruck mahnt mich lebhaft an das, was ich auf chinesischen Bildern gemalt gesehen, und in chinesischen Romanen beschrieben gelesen. So auch die Wirthschaftsgebäude, die alle klein und pavillonartig wie das Wohnhaus selbst um den Garten gereiht sind. Der Baustyl der türkischen Häuser überhaupt, wie ich sie hier und in Constantinopel sehe, läßt mich diese Aehnlichkeit finden. Vielleicht, daß er so Asien von einem Ende zum andern allen seinen Völkern mehr oder weniger gemeinsam ist, weil er zu den Eigenthümlichkeiten des Klima’s stimmt. Unter den Wirthschaftsgebäuden ist auch ein türkisches Bad, im kleinen Raume dasselbe was die großen öffentlichen Bäder sind. Auch hier reiner Marmor auf den Dielen und an den Wänden, und kleine spinnwebverdüsterte Fenster in der Kuppel. Keinem nur einigermaßen reichen Hause fehlt diese Anstalt eines unentbehrlichen Luxus! Für den Nachmittag hatte uns unser Consul, Herr Falkeisen, zu einem Feste geladen, das er in seinen Gärten und Kellern auf dem Schloßberge gab. Diese sind natürliche Grotten, wie sie den ganzen Olymp durchwühlen. Einige derselben hat das Erdbeben verschüttet und die Fässer darinnen zertrümmert. Ein riesiger Felsblock, der aus der Wölbung sich losgelöst, hält eine Höhle so fest verschlossen, daß Herr Falkeisen dort heute noch nicht nach dem Schicksale seiner Weine forschen konnte. Vielleicht öffnen erst spätere Jahrhunderte dieses Grab, und finden statt eines wartenden Kyffhäuser diesen anderen auch vergessenen aber saftvoll gebliebenen Geist. Der Schaden war für Herrn Falkeisen ein bedeutender gewesen; zu dem Verluste des Weines kam auch die Auslage, neue Keller graben, die verschütteten ausputzen, vergrößern und stützen zu lassen. Das Ganze dieser Gänge bildet ein kleines Labyrinth, in dem wenigstens Anfangs ein Zurechtfinden ohne Führer unmöglich ist. Er hatte es uns zu Ehren beleuchten lassen, und die tiefe Perspective der sich verlierenden Lichter gab gleich auf den ersten Blick einen Begriff von der Größe dieser Keller, die die Natur ihrem edelsten Bodenproducte selbst geformt hat. Die Weine, welche uns zu kosten gegeben wurden, glichen bis zur Möglichkeit der Verwechslung denen der Mosel- und Rheingegenden. Das ist ein Erfolg der Weinbau- und Kellerzucht des Herrn Falkeisen. Als ich bei einem, der mir dadurch besonders auffiel, mein Erstaunen laut äußerte, rief eine Stimme aus dem Dunkel neben mir: „Ach, Herr Jeses, Sie müssen ja ein Rheinländer sein; Sie reden gerade so!“ „Nun, Sie können auch nicht weit weg von Freiburg sein?“ frug ich zurück. Und so war es. Der Bursche, eine struppige und etwas verwilderte Gestalt, ist von Herrn Falkeisen vor 14 Jahren aus dem Breisgau hierher als Kellermeister verpflanzt worden. In der langen Zeit ist er nicht in seine Heimath zurückgekommen, und auch von seinen Landsleuten hat er hier nicht viel gesehen; seine Freude in mir einen zu finden, war daher unbändig, so recht wie jedes Gefühl, das zehn Jahre lang gehungert hat. In einiger Entfernung bleibt er mein steter Begleiter, und hält, die Hände über dem Bauche zusammengefaltet, die Blicke halb glückselig und halb melancholisch unverwandt nach mir gerichtet. Sein lange nicht mehr gekämmtes Haar steht ihm dazu sonderbar zu Berge. Ich erzählte ihm von der deutschen Heimath was ich weiß und auf der Höhe seines Begriffsvermögens vermuthe, und hielt ihm dann die Predigt gegen das Laster des Trunkes, welche Herr Falkeisen für ihn begehrt hatte. Vergebene Mühe! Wie sollen auch Worte Leidenschaften zähmen, wenn die nur eine Nacht alten Entschlüsse schon am nächsten Morgen wieder derselben Versuchung unterliegen! Dann war auch seine Philosophie nicht ohne Gründe, die er den meinigen entgegenstellte. Er suchte Vergessenheit, Vergessenheit der Gegenwart und der Vergangenheit, die ihm beide unerträglich sind, weil die eine besser als die andere war. Die abendliche Wirthshauspfeife, das Bierglas, das Kartenspiel und die anderen edlen Vergnügungen, die alle diesen uncivilisirten Ländern der Türkei fehlen, hat ihm nichts ersetzt. Wer in der Gegenwart nichts hat, von der Zukunft wenig hofft, dem gibt auch die Erinnerung meistens nur Stiche. Da ist denn Vergessen seiner selbst allerdings der einzige Trost. Ohne Badenser oder Schweizer fand ich übrigens noch keinen Winkel der Welt; das verräth die große Rührigkeit dieser zwei kleinen Völkchen. Ihren Namen und ihr Geld tragen sie hin, wo nur irgend etwas zu erwerben ist. Die jährliche Weinproduction von Brussa soll ungefähr 140.000 Pfunde, das sind etwas über 100.000 Flaschen, betragen. Zur weiteren Ausfuhr verkäuflich ist davon nur das, was Herr Falkeisen producirt. Daß von dem Reste, bei so außerordentlichen Begünstigungen wie sie das Klima und der Boden hier bieten, so wenig ausgeführt wird, liegt zum Theile in dem Verschulden der hiesigen Production, ebenso aber auch in der Abneigung der auswärtigen Consumtion. Die türkische Weincultur ist wenig sorgsam. Man läßt die Reben flach über den Boden wie Unkräuter kriechen und keltert die verschiedensten Trauben in demselben Fasse zusammen. Indeß auch wenn diese Zucht verbessert wird, glaube ich nicht, daß türkische Weine, so lange unser Geschmack so bleibt wie er heute ist, starken Absatz auf den europäischen Märkten finden werden. Darum hätte ich auch kaum den Muth, der Regierung besondere Bemühungen zur Hebung der Weinproduction anzurathen. Man könnte da die Staats- und Privatcassen zu großen Ausgaben verführen, die schließlich nutzlos verschwendet erschienen. Sicherer glaube ich die Hoffnung, wenn die Capitalien zu dem Zwecke der Rosinenerzeugung angelegt sind, wie das viel auf den Inseln des Archipel geschieht. Smyrna führte davon Millionen aus. Wein baut die Türkei den meisten auf Lemnos (1,260.000 Pfunde, das sind 12.000 Eimer), auf Tenedos, der Küste von Smyrna, auf Candia und den besten auf Cypern (21.000 Eimer). Weitere Ausfuhr hat nur dieser letztere und der seit den letzten Jahren auch in sinkenden Quantitäten. Dasselbe Hinderniß, das ich überhaupt der Ausfuhr türkischer Weine entgegenstehend finde, der andere Geschmack des Auslandes, dem sie zu süß sind, hemmt auch diesen. Brussa, den 31. Mai. Schon an einem der ersten Tage nach meiner Ankunft besuchte ich die Moschee Emir Sultans im Osten vor der Stadt, auch wie die Mohammed I. und Bajasid Ilderim’s beherrschend auf einem Hügel gelegen, mit der Aussicht in das fruchtbare Land und das Grab des Fürsten der Heiligen bei ihr in dem weiten Vorhofe. Djami und Türbe sind schön übrigens nur aus der Entfernung; in der Nähe, wo die täuschenden Schleier schwinden, zeigen sie sich als morsche Holzbauten in den verschnörkelten Formen des vorigen Jahrhunderts. Selim III. hat das verschuldet, nachdem ein Brand das frühere Denkmal vernichtet hatte. Das Erdbeben und die Zeit sind seitdem bemüht, bald wieder dasselbe zu erreichen. Emir Sultan ist einer der gefeiertsten Heiligen des Islam und seine Grabstätte einer der besuchtesten Wallfahrtsorte der Mohammedaner. Lebendig und todt ist seine Geschichte mit Wundern durchflochten, wie nur die eines unserer abenteuerlichsten Heiligen. Ein Perser und schlichter Derwisch, proclamirte ihn eine geheimnißvolle Stimme aus der Kaaba als den ersten aller Heiligen, und er wies aus seinem Grabe so wieder Sultan Selim I. zur Eroberung von Aegypten an. Wie der Stern die heiligen drei Könige nach Bethlehem, so führte diesen eine vorausschwebende Lampe nach Brussa. Um aller dieser Wunder willen achtet das Volk diesen Heiligen bis weit in die persischen Berge hinein und zeichneten ihn die Sultane durch die zweimalige Erbauung dieser weitläufigen Djami aus. Als ich aus ihrem Harem heraustrat, erregte ein Bettler meine Aufmerksamkeit durch die Melodie, welche er auf einer kleinen Querpfeife spielte. Sie klingt als wolle sie einen Marsch vorstellen, aber so sonderbar, so durchaus originell, daß ich sie durch keinen Vergleich mit denen in Europa gehörten begreiflich machen kann. Am ersten erkläre ich sie noch, wenn ich sie wie die Begleitung zu dem Gange des Kameeles, zu dem Schleichen der Karavanen schildere, ebenso gleichförmig, ebenso melancholisch und doch auch so ganz das Gemüth erschütternd. Das ist mir gewiß, Meyerbeer hätte um den einen Effect dieser Melodie eine ganze Oper geschlungen, und wenige Wochen nach der ersten Pariser Ausführung das Clavier den Marsch des Bettlers von Brussa bis zu den amerikanischen Hinterwäldern getrommelt. Der Mann saß auf seinen untergeschlagenen Beinen zusammengekauert unter den niederen Zweigen eines blühenden Rosenbusches. In sich gekehrt und der Welt abgewandt, hatte er keinen Blick und keinen Dank für das Almosen, das ich in die blecherne Schüssel neben ihm warf. Ich glaubte ihn blind. Nachdem ich eine Weile zugehört, griff ich, eine Rose zur Erinnerung an den Spieler und seine Melodie zu bewahren, in den Busch, der sich über und um ihn wölbte. Da erst rührte er sich und blickte mit einem Auge, dunkelschwarz, von zündender Blitzeskraft in das meine, daß ich unwillkürlich vor der Berührung zurückwich. Es war nur die Wirkung und die Dauer eines Augenblickes, vielleicht das Aufleuchten einer ehemals herrischen, nunmehr unterworfenen Leidenschaft. Schnell, wie sie geglüht, erlosch ihre Flamme, und das Auge schaute wieder ruhig und ernst, beinahe traurig wie der einsame Bergsee, der noch die letzten Wolken eines überstandenen Gewitters widerspiegelt. So hatte sich mir gleich der Eindruck des ganzen Mannes eingeprägt. Ich brach die Rose dann unbefangen. Seitdem traf ich ihn täglich wenigstens einmal wieder; an heiter bevölkerten oder an still abgelegenen Orten, überall begegnete mir die etwas gebeugte Gestalt im alten grünen Kaftan, einen bunten Turban um den Kopf, und klingt mir das sonderbare Lied mit den nicht eigentlich klagenden und doch so wehmuthsvoll stimmenden Tönen entgegen. Sie ist wie die Erscheinung des grauen Bettlers in Raimund’s tiefsinnigem Verschwender, die abmahnend den leichtfertigen Flottwell durch die fünf Acte seines wechselvollen Lebens begleitet. Schon als Knabe, da ich das Zauberspiel zum ersten Male sah, hatte mich diese verkörperte Mahnung einer schützenden Geisterwelt mit ihrem immer wiederkehrenden so einfachen, aber rührenden Liede ungewöhnlich erschüttert, und nun führt mir hier die Wirklichkeit Aehnliches zu. So gleich sind sich beide Eindrücke, der heutige und der von damals her bewahrte, daß ich zuletzt die fortwährende Wiederkehr des türkischen Bettlers nicht mehr ohne ein geheimes Grauen sehen konnte. Wollte auch er mich mahnen? Bin auch ich der Warnung bedürftig? Das wirkliche Leben wiederholt so oft, was die Phantasie vorahnend im Traume schon erlebt hat. Heute Morgens, da ich vor der Abreise noch einmal meinen Lieblingsweg nach den Granatblüthen von Tschekirdsche gehen wollte, fand ich den Bettler neben einem Brunnen, der an der Straße unter einer überhängenden Hecke sein kühles Wasser gibt und mit verblaßter Goldschrift dem Wanderer Allah’s Segen für seinen Trunk und seine Wege verspricht. Die schwachen Töne der Pfeife, die wieder dieselben waren, berührten mich dieses Mal noch empfindlicher. Ich mußte wissen, was ihre Bedeutung sei: Leichter, als ich besorgt, brachte ich den Mann zum Reden, und bald auch dazu, seine Geschichte zu erzählen. Es ist dieselbe alte, die hier wie bei uns ewig neu bleibt, und türkische wie deutsche Herzen entzwei bricht. Er war, so begann sie, der einzige Sohn ziemlich wohlhabender Bauersleute. Ihr Tschiflik lag einige Stunden von Brussa in der Richtung gegen den Apollonia-See zu. Auf den Feldern bei der Pflege des Maulbeerbaumes und zu Hause bei der Wartung der Seidenwürmer war seine Kindheit vergangen und seine Jugend gekommen. Nun wurde er jedes Jahr ein paar Mal im Seidengeschäfte nach der Stadt geschickt; er fand dort Freunde, lärmende Genossen, und in ihrer Gesellschaft auch eine Dirne, die er bald für besser als ihr Gewerbe hielt. Liebe, die sich in die bloße Sinnenlust gemischt hatte, betrog ihn. Wenn diese Bauernburschen nach Brussa kommen, alle zusammen aus weiter Umgebung, an Tagen, welche ein alter Gebrauch bestimmt hat, dann umlagert Nachts Lärm und Streit, oft auch blutiger Angriff und Todtschlag die Häuser dieser unglücklichen Mädchen. In den letzten Jahren, als der Unfug immer schlimmer wurde, brauchte die Behörde die Vorsicht, für solche Tage die Dirnen oben auf dem Schlosse einzusperren. Mein Jüngling hatte die seinige diesem Leben abgewendet geglaubt. Da führten ihn seine Freunde, die lange schon diesen Glauben durch Spötteleien zu entwerthen suchten, in einer dunklen Nacht vor das Haus des Mädchens. Er glaubte immer noch, auch da er mehrstimmiges Geräusch hörte, wo er die lautlose Stille der Einsamkeit vermuthet hatte. An die Thüre gelehnt, erkannte er es; das war die Stimme eines Mannes. Auf die Schwelle gebettet, wo er sich niedergelegt hatte, starrte er, eine endlose Nacht, hinauf in den wolkenschweren Himmel, der schwarz und sternenleer wie seine Zukunft war. Die Anderen schleppten indeß Reisigbündel, Holz und was sonst von Brennbarem zu Handen war, vor die zwei einzigen Fenster. Ohne Lohe drang der Rauch durch die springenden Scheiben in die Stube; aber erst die Flamme, als sie züngelnd die Zimmerdecke erfaßte, weckte die Schuldigen. Vom Feuerschein verwirrt, vom Rauche wohl auch betäubt, rettete er, der Unglückliche, sich allein zur Thüre. Er riß sie an sich, stürmte hinaus, fiel aber über einen Körper, der regungslos davor lag, und war im selben Augenblicke eine Leiche durch ein langes spitzes Messer, das ihm von unten herauf in den Unterleib gestoßen worden war. Nicht ein Schrei war erklungen, auch den Fall hatte man nicht gehört, weil ein Lebendiger den Todten in seinen Armen aufgefangen hatte und das Feuer eben lauter aufprasselte. Es füllte den Raum schon wie einen glühenden Ofen; die Balken knisterten und neigten zum Einsturz: da kam durch die Gluth das Weib gewankt. Sie hatte tastend die Thür gefunden, die Schwelle erreicht, als sich eine junge kräftige Gestalt -- sie muß die Züge in dem rothen Lichte erkannt haben -- vor ihr aufrichtete; die faßte sie und stieß sie mit erbarmungslosem Blicke, mit unwiderstehlichem Stoße in das Zimmer zurück. Das gab den einzigen Schrei, der in dieser schauerlichen Nacht gehört worden ist. Der Rächer verschloß die Thüre. Er war der Einzige, den die Wache, als Hilfe nach der abgelegenen Gasse kam, auf der Brandstätte fand. Das hölzerne Häuschen war schon eine Ruine, aber der Schutt noch zu warm, als daß man ihn vor dem nächsten Tage untersuchen konnte. Da grub man daraus zwei Leichen hervor, die eine so verkohlt, daß man kaum mehr ihr Geschlecht bestimmen konnte, und die andere die eines Mannes. Mein Bursche gestand nichts und gegen ihn trat kein Zeuge auf; aber das Urtheil schickte ihn doch für den dritten Theil seines Lebens auf die Galeere. Seine Füße mußten Ketten und Kugeln ziehen und seine Hände Arbeiten thun, wie ich neulich oben auf der Burg vor den Gräbern Osman’s und Orchan’s die Sträflinge Canäle graben sah. Seine Eltern sah er nicht wieder; sie starben kurze Zeit ehe ihm die Freiheit wurde. Den Hof, der nun sein Eigenthum war, schenkte er dem alten Vater des jungen Menschen, dem er in jener grausen Nacht den Messerstich versetzt hatte. Der Bursche hatte oft für Lohn neben ihm in den Maulbeerfeldern des Tschifliks gearbeitet und war sein Freund gewesen. Dem alten Manne fehlte mit dem Sohne die Quelle, die ihn in den letzten Jahren genährt hatte. Er hatte wieder arbeiten und zuletzt, da ihm das Alter auch diese Kraft genommen, betteln gemußt. Der entlassene Sträfling aber gesellte sich dem Derwische, der den Anfangs starren und eigensinnigem bei Gott und der Welt die Ursache seiner Schuld findenden Charakter zum Selbstbekenntnisse des Fehlers gedemüthigt hatte. Mit ihm wanderte er die weite sandige Pilgerstraße nach Mekka, und erst als sein Herz den letzten Groll getilgt und dem Todten völlig verziehen hatte, folgte er seiner Sehnsucht zurück nach den Bergen seiner Heimat. Seitdem lebt er hier von Almosen, mit sich und der Welt so im Frieden, daß die unmittelbare Stätte seiner Leiden und seiner Verbrechen keine Dornen mehr für ihn hat. „Diese Welt ist, damit wir den Willen Gottes kennen lernen, die andere wird ihn uns erst zu verstehen geben,“ schloß er, sich selbst über die Härte des irdischen Geschicks tröstend, die Geschichte seines Lebens. Das Volk, das sie nicht kennt, und dem er als ein Fremder zurückgekehrt ist, verehrt ihn als einen jener Gottgesegneten, denen vorzeitig der Geist genommen und in den Himmel versetzt worden ist, so daß hier nur mehr ihr Körper herumwandelt. Es nennt sie Abdahls und hält so alle Irren, Blöd- und Schwachsinnigen und die sich zurückziehen von dem Verkehre mit der Welt, besonderer Rücksicht und Achtung werth. Keine Gegend des türkischen Reiches ist mit solchen muselmännischen Anachoreten bevölkerter als die waldige Umgebung Brussa’s und von hier aus wandern sie, Apostel ihres Glaubens, bis in das ferne Indien, an die Ufer des brahmanischen Ganges. Das mohammedanische Klosterleben des asiatischen Olympes hält dem griechischen des beinahe gegenüberliegenden europäischen Berges Athos das Gleichgewicht. Gemleck, den 31. Mai, Mitternacht. Wer, dem das Reisen Gewohnheit ist, hat es nicht schon erfahren, daß ihm eine Trennung von geliebten Menschen, die er lange wie etwas Unerträgliches gefürchtet, im letzten Augenblicke beinahe ungefühlt vorübergegangen ist, so daß er sich nachher herzlose Undankbarkeit vorwerfen mußte? So ist es mir mit dem Abschiede von Brussa geworden; im Augenblicke des Aufbruches war er leichter, als mir dieses jetzt möglich erscheint. Die Geschichte des Bettlers, die all’ mein Denken und Fühlen beschäftigte, endlich auch die Geschäfte der Abreise, die ich zuerst hinausgeschoben, dann vergessen hatte, und die zuletzt doch gethan werden mußten, hatten alle Wolken des Schmerzes zerstreut. Das aber weiß ich heute schon: wo ich auch den bloßen Namen Brussa hören werde, die Mahnung wird immer ein freundliches Lächeln in die Erinnerung zurückrufen und die Möglichkeit einer Rückkehr mich überall willig finden. Mir ist jetzt, wenn ich zurück denke an das Grün und die Blüthenpracht, an die schneeigen Berge auf der einen und an die rothen Felsen auf der anderen Seite, als biete das Thal von Brussa auch in der schlechtesten seiner Hütten die Erfüllung aller irdischen Wünsche, als sei dort das letzte und verdiente Ziel mühsamer Lebenspilgerschaft zu finden, bis mir mein Bettler einfällt und mich mahnt, daß Schuld und Sorge überall und daß Ruhe und Zufriedenheit nicht an den Wänden eines Thales und eines Hauses, sondern tief im Gemüthe des Menschen haften. Dem Glücklichen kann die Lüneburger Haide dasselbe Paradies sein, wie mir das Thal von Brussa. Erst nach 4 Uhr verließen wir das Hôtel d’Olympe. Gewitter drohten, wichen und gaben uns endlich doch einigen Regen; dann aber blieben nur Wolken mit kühlendem Schatten. Auch daß der Staub festgelegt war, priesen wir als eine Wohlthat. Wir durchritten das Thal in seiner ganzen Breite über zwei Stunden; die neue Straße durchschneidet es, eine häßliche gerade Linie, die ich bedauerte, weil sie zuerst mir wieder Europa und seine Civilisation in’s Gedächtniß brachte. Wir lenkten bald von ihr ab auf kürzere Pfade zwischen die Berge hinein und dann hinauf und über diese. Die Landschaft wird dort ausgestorben, einsam, auch völlig unbebaut, beinahe wild in ihrer Leerheit. Sie mahnt mich durch die Kahlheit ihrer Hügel und den gerundeten Fall ihrer Linien an das, was ich von den griechischen Inseln gesehen. Eine gewisse Poesie bleibt dem Wege immer eigenthümlich, und zurück hat man lange den Blick frei auf Brussa und die mit der Entfernung immer mehr aufsteigende Höhe des Olymps. Seine Abhänge erscheinen nach dieser Seite viel wilder und seine Schneefelder, die sich gegen Osten zu ziehen, viel größer als nach der Straße von Mudania zu. Den letzten Blick gab er uns auf das kostbarste geschmückt. Ich hatte lange nicht mehr zurückgeschaut, als ein plötzlicher Stillstand meines Pferdes das zufällig veranlaßte. Ein Schrei der Ueberraschung hielt alle meine Gefährten auf. Da lag unter uns in tiefem Schatten, so dunkel, daß dort schon die Nacht sein mußte, das Thal von Brussa und über ihm goldig und roth glühend das weiße Haupt des Olymps. So intensiv und farbenprächtig habe ich das Alpenglühen früher nur einmal gesehen; das war in Tirol auf der Höhe des Passes Thurn, und damals unter mir der sumpfige Pinzgau und mir gegenüber der Hohe Tenn und das Wiesbachhorn in so wunderbarem Violett, als sollte dort für andere Geister eine verklärte Welt erstehen. Heute aber stand ich auf asiatischem Boden, und Lorbeer, Arbutus, Clematis, Nachtschatten und Myrthen blühten und dufteten bis zur Betäubung um mich, und weiche, warme Luft quoll wie stärkender Balsam in die erschöpfte Lunge. Ich war wie verwandelt, zugleich zurückgeführt in die Erinnerung und doch auch weit voraus durch Alles, was die Eindrücke Neues brachten. Den ersten Halt machten wir in dem Lager einer Caravane. Lange hatten wir gestritten, was die vielen schwarzen Punkte vor uns auf dem Bergrücken, über den wir mußten, sein könnten. Mitten unter ihnen stehend erkannten wir sie als Kameele, die, wohl ein Hundert, einzeln weit von einander zerstreut lagen, daß wir eine Viertelstunde lang durch ihre Lagerstätte ritten. Alle hatten ihre Lasten auf den Rücken behalten; nur einige reckten die langhalsigen Köpfe in die Höhe, die Luft nach den Fremdlingen prüfend, die meisten blieben in Schlaf und Ruhe versenkt. Nirgends war eine Vorkehrung, den Thieren das Entweichen zu wehren; es scheint in ihrem eigenen Willen zu liegen, das Zusammenhalten bei den Wandergenossen und Führern. Diese waren Kurden, wilde, schwarzbärtige Kerle, Hosen und Jacken roh aus abgenützten persischen Teppichen zusammengeflickt, den Schädel in einem ungeheuern Shawl verborgen. Ihre Umgangsweise hatte aber nichts von dem Bedrohlichen ihrer äußeren Erscheinung. Mit Sprüngen und Späßen umringten sie uns und suchten sich mit kleinen Diensten Almosen zu erwerben. Bis auf die Höhe des Berges klang ihr Jubelgeschrei und leuchteten uns ihre Zeltfeuer nach. Bei einem Chan dort oben, wo wir rasteten und aßen, fiel die Nacht völlig ein und so dunkel, daß wir uns Einer hinter dem Anderen halten mußten, um den Weg nicht zu verlieren; der fällt nun meistens bergab der Seeküste zu. Einmal noch bei einer Wachthütte hielten wir; zwei Leute, darunter ein Neger, bildeten ihre Besatzung. Ohne auch nur ein Wort des Auftrages zu erwarten, übernahmen sie gleich die Besorgung unserer Bedürfnisse. Es liegt in der Sitte dieser Länder, daß die Gendarmen auch zugleich die Wirthe sind. Jeder weitere Augenblick auf diesen Reisen bringt neue Eindrücke, und wem die Phantasie nicht ganz erstorben ist, der stellt sich Bilder und ganze Gemäldesammlungen daraus zusammen. Belebt werden sie durch die ausdrucksvollen Köpfe der Menschen, und Farben gibt selbst die Nacht hier reichere, weil die Augen glühender und die Kleider bunter als in unseren Ländern sind. Unser Lager sah ich als ein solches Bild. Wir, müde auf dem Boden ausgestreckt; der eine Soldat beschäftigt, uns den Caffee zu serviren und die Pfeifen mit Kohlenstücken zu entzünden, der andere das Feuer anzublasen, das schwarze Gesicht grell von der Flamme beschienen; die Pferde an die Pfähle der Hütte und eines an das andere gebunden, und Diener, Kawassen und Führer bemüht, das eine, das sich losgerissen hatte, einzufangen. Die zwei Leute der reitenden Courierpost kamen noch dazu gesprengt und lagerten sich zu uns. Der Eine, den wir den Conducteur nennen würden, mit langem grauen Barte, in buntgestickter blauer Jacke, einige Dutzend Ellen rothen Zeuges als Gürtel um den Bauch gewunden und silberbeschlagene Pistolen darinnen, weite blaue Pumphosen und gestickte Gamaschen an den Beinen, auf dem Kopfe einen grünen Turban, also ein Abkömmling des Propheten, ganz eine jener würdevollen anständigen Gestalten, die mir jetzt schon als die schicklichen Vertreter des ganzen Volkes erscheinen. Wir brachen erst später hinter den Eiligen auf. Vor einer halben Stunde sind wir hier eingetroffen. Der Ritt hat also sieben Stunden gedauert. Wieder fühle ich mich wach und ohne Müdigkeit; die Neuheit der Lebensart und der Eindrücke hält Alles in mir rege. Der Körper erliegt nur, wenn das geistige Fühlen und Denken erschlafft. Und das thun nicht die Mühen der Arbeit, sondern die hundert kleinen Nadelstiche unserer gewöhnlichen Verhältnisse; darum das Aufleben in der Fremde, in der Freiheit, und nun gar erst, wenn sie getrennt und losgelöst von aller europäischen Sclaverei wie hier in Asien ist. Gemleck, den 3. Juni. Ich habe diese letzten Tage ausschließlich zu dem Studium der Baumwollcultur verwendet, die in der Türkei jetzt vorwiegend die Hände und Interessen beschäftigt. Im weiten Umkreise, bis nach Ismid hin, durchzog ich das Land, um auf den Feldern selbst zu prüfen, wie die Erfolge, von denen man mir erzählte, möglich geworden. Da überraschte mich zuerst die Gestalt der Pflanze, weil, wie so oft, ein Mißbrauch unserer Sprache eine irrthümliche Vorstellung in mir festgesetzt hatte. Von Baum sollte nicht die Rede sein, denn das, was die vielbegehrte Wolle spendet, ist eine Staude, nicht mehr und nichts Größeres. Die nächste Ueberraschung war die Arbeit der Bauern, die ich eifrig und sogar beim Gebrauche der Maschinen geschickt fand. Die Einführung dieser Maschinen soll beinahe überall, wenigstens an den Seeküsten, wo der Transport nicht zu kostspielig, leicht und schnell gegangen sein, erzählen Missude Bey und die Engländer, junge Söhne von Liverpooler Handlungshäusern, welche sich hier um die Baumwollcultur besonders verdient gemacht haben. Nothwendig war nur, daß sie die Maschinen, welche ihnen englische Dampfer gebracht hatten, auf ihren Zimmern zusammensetzten und zuerst selbst bei dem Handwerke erprobten. Schon am ersten Tage meldeten sich dann Bauern mit dem Antrage, ihnen die neuen Werkzeuge gegen Abschlagszahlungen zu überlassen. Und auch der große Haufe habe bald die Vortheile der Neuerung begriffen. Nicht in England und nicht in Amerika würde diese Einsicht und diese Uebung so schnell gekommen sein, behaupten diese Engländer, die in allen drei Welttheilen gelebt und gearbeitet haben. Der türkische Bauer sei unter den Factoren, welche bei der Einführung dieser Cultur behilflich sein müssen, der bereitwilligste und anstelligste; zögernd nur vor dem ersten Versuche, überrede ihn zu diesem am leichtesten das Beispiel; einmal sein Glaube gewonnen, fehle auch sein Wille nicht lange. So wollen es diese Geschäftsmänner eher mit dem hiesigen als mit dem Bauer ihrer Heimath zu thun haben. Die Geschichte der kleinasiatischen Baumwollcultur gleicht in sehr vielem der des Landes selbst. Wie diese ist auch sie ein fortwährendes Auf und Nieder von weltbeherrschender Blüthe zum Verfalle in beinahe völlige Vergessenheit. Zwei-, dreimal im Laufe der Jahrtausende standen die kleinasiatischen Staaten allen anderen voran, und ihre Schicksale schienen die der Welt zu sein. Dazwischen liegen lange Perioden der Verwüstung und Unbedeutendheit, wo kaum ihre Ruinen übrig blieben. Und ähnlich so ist das, was heute der Baumwollpflanze hier wird, die Wiederholung einer glänzenden Rolle, die sie schon einige Male nach Zwischenfällen völliger Vernachlässigung auf diesen Feldern gespielt hat. Die Heimath der Baumwolle ist vielleicht für die Production der ganzen Welt, jedenfalls aber für die kleinasiatische, Indien. Dort, so erzählt zuerst Herodot, trugen schon zur Zeit, als Indier dem ersten Darius Tribut brachten, also ungefähr um das Jahr 523 v. Chr., die wilden Bäume als Frucht eine Wolle, die an Feinheit und Güte weit über die Schafwolle kam; wie denn auch die Indier von diesen Bäumen ihre Kleider hatten. Daß Herodot hiebei unterläßt, diese Neuigkeit durch eine Hindeutung als auf etwas seinen Landsleuten auch schon Bekanntes zu erläutern, beweist, daß auch später noch, da er schrieb, 450 Jahre v. Chr., die Baumwollenstaude und das Gewebe daraus in Griechenland und Kleinasien unbekannt gewesen sein müsse. Der Handel hat also den Griechen die feinen indischen Stoffe, welche dann ebenso wie heute als etwas Außerordentliches geschätzt wurden, erst in verhältnißmäßig neuer Zeit zugeführt. Indische Schiffe brachten sie nach dem Hafen Moscha, dem heutigen Maskat auf der arabischen Küste, und phönicische Kaufleute weiter nach den kleinasiatischen, ägyptischen und europäischen Märkten. Den Geweben wird, da sie erst einmal diese große Nachfrage gefunden hatten, die Pflanze und die Productionsmethode bald nachgefolgt und so die Baumwollencultur in Kleinasien heimisch geworden sein. Babylon, das im Alterthume die größten und geschicktesten Webereien hatte, lieferte der ganzen damaligen Welt Baumwollenstoffe und realisirte dabei Gewinne, welche die Phönicier, die ursprünglich nur den Handel besorgt hatten, auf den Gedanken brachten, in ihren syrischen Küstenstädten die Production selbst nachzuahmen. Später, besonders in der Glanzzeit des römischen Luxus, war die Insel Kos um ihrer feinen Baumwollengewebe berühmt. Im byzantinischen Constantinopel bestanden förmliche Baumwollenfabriken und andere in den griechischen Küstenstädten des mittelländischen und des schwarzen Meeres. Wo im Innern des Landes diese Production den Kriegen erlegen war, da frischten sie die Araber wieder auf; die bauten, spannen, woben und färbten die Baumwolle noch fleißiger als die Griechen, und suchten ihren Anbau nach Spanien, Sicilien und Italien zu verpflanzen. Aber auch diese Blüthe zerstörten wieder Kriege, die blutigen, langen, welche Europa und Asien um den Glauben und die Weltherrschaft kämpften. Doch muß im vorigen Jahrhundert noch so viel davon übrig gewesen sein, daß der Orient außer seinem eigenen Bedarf, den bedeutendsten Theil der damals freilich sehr kleinen Nachfrage der europäischen Industrie mit seiner Baumwollenproduction decken konnte. 1784 wurde sogar aus Smyrna der Same zu der heute weltüberschwemmenden Produktion nach Amerika gebracht. Völlig ausgerottet, oder doch beinahe so gut als das, hat erst das laufende Jahrhundert die Baumwollstaude aus dem hiesigen Boden. Nur an wenigen Orten erhielt sich kümmerlich eine dürftige Production, um der inländischen Manufactur den Rohstoff zu liefern, und auch an diesen nur so lange, bis die englischen Garne erschienen, und mit ihren wohlfeileren Preisen die türkischen Spinnereien zu Grunde richteten. So z. B. in Syrien, wo vor zwanzig Jahren die Baumwollcultur mehr als 2 Millionen Pfunde Rohstoff producirte und sie die jüngsten Wiederbelebungsversuche von der englischen Einfuhr erdrückt, auf eine Production von nicht 700.000 Pfunden herabgesunken fanden. In anderen Theilen Kleinasiens überlebte nicht einmal so viel den Verfall, ja kaum die Erinnerung an die Möglichkeit in diesem Boden die Pflanze zu erziehen; daß einmal hier die Baumwolle geblüht und reiche Frucht getragen, war aus dem Gedächtnisse der meisten Menschen entschwunden. Unglauben und Zweifel antworteten daher den Vorschlägen, welche beim Ausbruche der Baumwollkrisis auch auf Kleinasien als auf einen möglichen Helfer wiesen. Unter den rührigsten, welche so riethen, war Missude Bey, von Geburt ein Belgier, durch dienstlichen und religiösen Verband aber ein Türke. Schon zur Zeit der ersten Londoner Industrie-Ausstellung, der er als türkischer Regierungscommissär beigewohnt, hatte er in einer ausführlichen Rede den Liverpoolern die Wahrscheinlichkeit eines Ausbleibens der amerikanischen Baumwolllieferungen und die Möglichkeit, für diesen Fall einen Ersatz in den türkischen Ländern vorzubereiten, vorgehalten; damals ohne jede Theilnahme. Ein ganzes Decennium später, da er eben in Bagdad mit der Einführung der Dampfschifffahrt auf dem Euphrat beschäftigt war, schickten ihm einige Engländer, die sich an seine prophetischen Rathschläge erinnerten, das Anerbieten nach, dem englischen Publicum dieselben noch einmal vorzutragen. Die türkische Regierung bewilligte ihm den Urlaub, ernannte ihn sogar förmlich zu ihrem Bevollmächtigten in dieser Sache. In Liverpool hatte Missude Bey nichts zu thun, als seine frühere Rede vorzulesen, an seine Prophezeiung zu erinnern und den Antrag zu wiederholen: es solle sich eine eigene Gesellschaft bilden, um den Anbau der Baumwollstaude in den türkischen Ländern anzuregen, und den Einkauf und die Ausfuhr des türkischen Productes als kaufmännisches Geschäft im Großen zu betreiben. Im Namen der türkischen Regierung konnte er deren eifrige Unterstützung versprechen. Eine Stunde nach dem Schlusse seiner Rede war eine solche Gesellschaft gebildet und das Unternehmen durch die Subscriptionen verwirklicht. Jede Actie zahlt nur so viel von ihrem Nominalwerthe ein, als der Betrieb des Geschäftes erfordert. Das war bis jetzt so wenig und der Ertrag des Unternehmens ein so reichlicher, daß die bisherigen Einzahlungen den Actionären bald durch die Superdividenden zurück erstattet sein werden. Missude Bey wurde zu einem der Bevollmächtigten der Gesellschaft ernannt; Andere wurden aus England gesandt, meistens junge Leute, die sich früher in Amerika bei demselben Geschäfte umgethan hatten. Die türkische Regierung blieb dabei nicht gleichgiltig. Rasch und ohne die erste Kraft des Entschlusses in dem Scheindienste büreaukratischer Begutachtungen zu erschöpfen, mehr durch individuelle Initiative ordnete sie ein ganzes System zusammengreifender Maßregeln an, die alle Organe der Verwaltung in derselben Richtung thätig und alle Stadien der Production begünstigt sein lassen. Sie gewährte jenen Grundstücken, die früher brach gelegen und künftig zum Baumwollbau verwendet werden, für die fünf ersten Jahre ihrer neuen Cultur Freiheit von der Grundsteuer. Sie überläßt den ihr eigenthümlichen Boden der unentgeltlichen Benutzung zur Baumwollproduction. Sie verwandelt bei dem zum Baumwollbau verwendeten Boden den Zehenten, welchen er bisher vom Ertrage hatte abgeben müssen, in eine feste Grundsteuer, welche dem räumlichen Umfange des Feldes nach seinem Durchschnittserträgniß der letzten sechs Jahre zugemessen wird, und verspricht diesem Zugeständnis eine zehnjährige Dauer. Sie vertheilte 90.000 Okas, das sind 205.625 Pfunde Baumwollsamen gratis unter das Landvolk. Sie ließ in allen üblichen Landessprachen Broschüren schreiben, drucken und unter das Volk ausstreuen, um Belehrung über die Baumwollcultur, die Wahl des dazu tauglichen Bodens, die Bestellung der Felder, der Aussaat, die Pflege der Pflanze, über die Ernte und den Gebrauch der Maschinen zu verbreiten. Sie selbst ließ Maschinen als Modelle für die Ackerbauer und die Fabrikanten kommen, und die, welche die Privaten einführen, befreit sie von jeder Zollpflichtigkeit. Sie reducirt den Ausgangszoll der jetzt so sehr verfeinerten Baumwolle auf den Werth der früher viel weniger guten und auch diese Gewährung mit zehnjähriger Giltigkeit. Sie hat endlich an allen Hauptproductionsorten Commissionen aus Eingebornen und Fremden mit dem Auftrage eingesetzt, die wirksamsten Mittel zur Förderung der Baumwollcultur zu finden und vorzuschlagen. So haben sich staatliche und privatliche Bemühungen die Hände gereicht. Ihren Erfolg erzählt das letzte Capitel der Geschichte kleinasiatischer Baumwollcultur mit den Zahlen, die ich hier im Folgenden gebe: 1861, wo nach langem Winterschlafe die ersten Wiederbelebungsversuche gemacht wurden, betrug die türkische Baumwollproduction nicht mehr als 171.000 Ctr. im Werthe von ungefähr 1,300.000 Pfd. Sterling. 1863 brachte sie schon 890.000 Ctr., und in diesem Jahre 1864 erwartet man wenigstens 2,000.000 Ctr. und blos für die Ausfuhr einen Werth von 15 Mill. Pfd. Sterl. In diesen summarischen Zahlen steht unter den einzelnen Posten die Ausfuhr von Smyrna als der überraschendste Erfolg da; 1860 nicht mehr als 42.750 Ctr., war sie 1863 300.000 Ctr. und wird sie in diesem Jahre 500.000 Ctr. im Werthe von 4 Mill. Pfd. Sterl. sein. In Macedonien bestand 1861 keine Production; 1863 führte sein Hafen Salonik 125.468 Ctr. und der andere, Kawala, 13.784 Centner Baumwolle aus. Ebenso bedeutend ist die Entwickelung in Syrien. Nur in Rhodus, dessen Erde die ersten Versuche der ~Cotton supply association~ als sehr geeignet zur Baumwollproduction erwiesen hatten, verfällt sie, weil Hände zu ihrer Bestellung fehlen. Die Productionszahlen der Jahre 1861 und 1864 nebeneinander gestellt, 171.000 Ctr. Baumwolle neben 2 Millionen Ctr., zeigt das einen Fortschritt, der in drei Jahren die Production verzwanzigfacht hat, und der seines Gleichen nur bei der ägyptischen Baumwollproduction findet, die 1860 für 2,770.000 Francs, 1863 für 234 Mill. Frcs. und in diesem Jahre für wenigstens 400 Mill. Frcs. ausführt, denn selbst Amerika, das Land der Sieben-Meilenstiefel, kann nichts Aehnliches daneben setzen. Auch in Oesterreich nahm die Regierung die Einführung der Baumwollproduction unter ihre Pläne auf. Bis heute sind aber im Banate und in Dalmatien nur jene Stauden gepflanzt worden, durch welche versuchsweise die Tauglichkeit des Bodens und des Klimas bewiesen worden ist. Desto ansehnlicher sind die Resultate, welche durch diese Proben für die Archive erreicht wurden; Handelskammern, Bezirksämter und Statthaltereien haben ihnen und den Aktenwürmern mit „erleuchteten Gutachten“ und „gefälligen Meinungsäußerungen“ ein reichliches Futter geliefert. Ueber die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, die Nützlichkeit oder Schädlichkeit einer dalmatinischen Baumwollcultur sind alle Zweifel gehört und entschieden worden. Daß dem armen Dalmatiner damit eine neue Erwerbs-, dem Staate eine neue Steuerquelle flüssig gemacht werden könne, gestanden die meisten Federn zu; aber gethan ist darum nichts worden. Jedes Jahr schloß mit der Ausrede ab, daß es zu spät war, um mit der Ausführung der Absichten zu beginnen. Das muß überall so sein, wo statt der Willenskraft eines egoistischen Interesses die Uneigennützigkeit einer Maschine eingestellt ist. In der Türkei ist das Räderwerk nicht immer so gut geschmiert, auch nicht so künstlich construirt wie bei uns und es bleibt mehr dem Willen und der Einsicht des Leitenden überlassen, so daß, wenn dieser faul ist, allerdings überhaupt nichts geschieht, aber auch das allgemeine Interesse nicht durch das geistlose Weiterarbeiten rein mechanischer Kräfte geschädigt wird; wenn aber der Machtbegabte geistig stark und willenskräftig ist, dann werden auch die staatlichen Dinge mit jener ausschließlichen Rücksichtnahme auf praktische Vortheile gethan, welche sonst nur den Bestrebungen des Privatlebens eigen ist. Unsere Amtsleute halten indeß immer die Theile in der Hand, lassen auch nicht ab sie zu kutschiren, es fehlt ihnen leider nur oft das geistige Band. Ich will übrigens nicht behaupten, daß der Verlust, der Oesterreich durch diese Verzögerung wird, ein sehr schwerer sei, weil ich nicht daran glaube, daß die Baumwolle in Oesterreich eine glückliche Heimath finden werde. Ich wollte nur an einem Beispiele zeigen, wie unsere officiellen Schreibstuben die Volkswirthschaft betreiben, und wie nicht alles Türkische schlechter als das Europäische sei. Wer so wie ich eben erst von dorten kömmt, die Mängel der Heimath immer erkannt und auch noch frisch im Gedächtnisse hat, so daß er nicht den selbst erfundenen Maßstab eingebildeter Vollkommenheit mitbringt, der wird gewöhnlich dieses günstigere Urtheil für die fremden Dinge haben. Mir will es scheinen, daß er damit nicht nur der Billigkeit, sondern auch der Wahrheit näher stehe als diejenigen, welche bei ihrer Kritik die längere Bekanntschaft der Dinge ihm voraus, aber vielleicht auch den Nachtheil haben, die Uebelstände ihrer ehemaligen Heimath zu vergessen, und alles was hinter ihnen liegt als rosige Felder des Blühens und Gedeihens zu betrachten. Dazu neigt die Natur des Menschen. Mit der Gegenwart immer unzufrieden und auch von der Hoffnung nur selten völlig getröstet, weil selbst der Leichtsinnigste die Zweifel der Ungewißheit nicht ganz überwindet, vergoldet er sich die Erinnerung um so verschwenderischer, damit er wenigstens ein Feld habe, sich Blumen für die steinige Wanderung des Lebens zu pflücken. Denn selbst das Unangenehme, das ihm dort erzählt wird, klingt eben, weil es von dem Siegerbewußtsein des Ueberstandenen begleitet ist, versöhnlich und trostreich. Die Wehmuth, und sie ist ja dieses schmerzliche Fühlen der Erinnerung, wird die blasse Rose in diesem Blumenstrauße, die weit aufgeblüht und dem Entblättern nahe immer noch sticht aber auch durch balsamisch lindernden Wohlgeruch heilt. Ich mußte meine europäischen Landsleute, die hier in den Diensten der Türkei leben, an die vielen Unerträglichkeiten ihrer früheren Vaterländer erinnern, und wie sie ja gerade durch den Kampf mit diesen in das Exil getrieben worden seien, um ihr Urtheil über die türkische Regierung gerechter und ihre Klagen über das Traurige ihrer Lage weniger unzufrieden zu machen. Es war das große Wort des großen deutschen Dichters Franz Bacherl, den ich blos um dieses Einen willen unter die Ersten unseres Stammes reihe, das ich ihnen zurief: Ja! So sind sie! So ist ihr Verlangen! Was sie wirklich schon haben, das wollen sie nicht; Was sie dünkelhaft wollen, das haben sie nicht! Wie ein Donnerschlag hatte mich das einmal aus der heiteren Komik einer Trauerspielsvorstellung des Münchener Schweiger-Theaters geweckt, als Thusnelda mit hochtragischem Pathos diesen Vorwurf dem Häuptlinge Narisko, dem Repräsentanten der Deutschen, entgegenschleuderte, und seitdem klingt er mir aller Orten wieder, ähnlich den Sprüchen der sieben Weltweisen, welche die Griechen ja auch überall hin mit sich trugen. Dieselben Männer, welche sich in Europa nicht mit dem Zuviel des Regierens vertragen hatten, klagen hier über das Zuwenig, über den Mangel des Eingreifens und der Hilfe. Indessen scheint leider wirklich das alte Lied, wo es auch hier über den kleinlichen Sinn, den nationalökonomischen Unverstand der Bureaux jammert, nicht immer ganz im Unrechte zu sein. So soll die Regierung z. B. nicht zu bewegen sein, derjenigen Baumwolle, welche zur weiteren Ausfuhr durch Dampfpreßmaschinen zusammengedrückt werden muß, weil die englischen Dampfer der Raumersparniß wegen sie nur in diesem verminderten Volumen aufnehmen, die zollfreie Ausschiffung im Hafen von Constantinopel, wo diese Maschinen aufgestellt sind, zu gestatten. In nationalökonomischen Dingen mehr als in allen anderen ist zu wirklichen Erfolgen ein oberster, leitender Grundsatz Bedingung. Um seinen Kern muß sich die ganze Politik krystallisiren, so daß er allem Ursprung, daß seiner Rücksicht jede andere untergeordnet werde. Es ist das keine zu herrische Forderung, weil zuletzt doch nur auf der wohlbestellten Wirthschaft das Haus und die Familie sicher steht. Die absolute Monarchie ist zumeist darum der Geduld der Völker unerträglich und der Zukunft der Staaten unmöglich geworden, weil sie es versäumt hat, ihre Wirthschaft durch ein solches Princip leiten, Ordnung durch dasselbe in ihren Haushalt und Zweckmäßigkeit in ihre Politik bringen zu lassen. An den nationalökonomischen Irrthümern geht eine Staatsform nach der anderen unter, soweit wir in der Geschichte zurückschauen können. Taucht die demokratische aus diesen Trümmern immer am öftesten und mächtigsten wieder hervor, so ist das, weil in ihr vermöge ihrer vielköpfigen Bildung ein Vergessen und Verläugnen der volkswirthschaftlichen Interessen schwerer als in jeder anderen ist. Die Nationalökonomie duldet eben wie der Magen kein Verkennen der angeborenen Rechte; sie verlangt Nahrung und die richtige, damit der Körper des Staates und des Volkes lebe. Daß die türkische Regierung solche Forderungen nicht immer genügend befriedige, haben Andere und hat sie selbst erkannt, und hat sie darum auch einige der Rathschläge, welche ihr verschieden von Engländern und Franzosen, als Leitsterne ihrer wirthschaftlichen Politik, gegeben wurden, versucht, aber immer mit dem übelsten Erfolge. Natürlich, denn nichts als fremder Eigennutz hatte sie gerathen. Das hat die Türken mißtrauisch gemacht, und nicht zu ihrem Nachtheile. Der Europäer glaubt den Türken sein geborenes Opfer. Bei sich selbst sollen die Türken das Princip ihrer Politik suchen. Der Entschluß, der aus der eigenen Erfahrung aufwächst, ist immer der nutzbringendste, und gerade die letzten Erfahrungen bei der Baumwollcultur sind dazu geeignet, einem solchen als Material zu dienen. Sowohl die überraschenden Erfolge, als die Maßregeln, wodurch sie errungen worden, aber auch die Klagen, welche die Producenten und die Handelsleute immer noch erheben, weisen die Wege. Was erreicht, was angeordnet worden und was begehrt wird, liegt alles in der Richtung der Rohproduction, und dort liegt auch der Keim der Kräftigung und der nächsten Zukunft der Türkei. Diesen Gedanken wird die türkische Regierung zum Principe aller ihrer Handlungen erheben, ihm in der äußeren wie in der inneren Politik alle anderen Absichten unterordnen müssen. Ist das einmal klar verstanden, dann werden sich von selbst die Aenderungen anmelden, die in allen Zweigen der Verwaltung nothwendig sind. Der türkische Volksgeist wird sie bald verträglicher erkennen mit den Grundlagen seines Glaubens, als dieses die Unformen Mahmud’s und seiner im Respecte vor allem Europäischen erzogenen Nachfolger waren. Die Pflege des Ackerbaues, der Viehzucht und des Handels, überhaupt der Production, liegt so sehr im Willen des Korans, den ja ein Kaufmann gegeben hat, daß kaum von irgend einer Maßregel, welche die Wirthschaft des Volkes zu unterstützen beabsichtigt, Widerspruch gegen die Lehre der Religion zu befürchten ist. Einiges wird vielleicht im Schulwesen nothwendig sein, das meiste aber im Steuer- und Zollwesen. Im Steuerwesen wird eine gleichmäßigere Vertheilung der Lasten und die Einhebung des Zehnten in eigener Regie, oder doch wenigstens bessere Wahl der Steuerpächter nothwendig sein. In den Städten werden die Häuser mehr zur Steuerpflichtigkeit verhalten werden müssen. Straßen und Wege sind nach Möglichkeit im Stande zu halten und neu anzulegen. An vielen Küstenpunkten müssen die Häfen sorgfältiger gereinigt und sicherer angelegt werden. Die Erwerbung des Grundbesitzes muß möglichst erleichtert und, was ich für das Nothwendigste halte, dem Fremden, d. i. dem Europäer, frei gestellt werden. Das wird die meisten Capitalien in das Land hereinbringen, und nicht blos wie im Handel zu flüchtigem, nur vorübergehendem Arbeiten, sondern zu fester, bleibender Anlage. Das Capital zieht sich dort am meisten hin, wo ihm Sicherheit in unzerstörbar körperlicher Gestalt zugleich mit Gewinnen geboten wird, wie sie sonst nur die precären Speculationen der Börse, der Industrie und des Handels geben. Das bietet ihm dermalen noch die Landwirthschaft der Türkei. Es kann ihr daher eine massenhafte Einwanderung europäischer Capitalien aus dem übersättigten, an einzelnen Stellen oft nicht mehr drei Procente tragenden europäischen Boden versprochen werden, wenn nur erst der Einlaß geöffnet und der unbewegliche Besitz gesichert sein wird. Daß dieses geschehe, liegt aber nicht blos in der Hand der türkischen Regierung, auch in der Befugniß der übrigen Großmächte, denn die sogenannten Capitulationen, die Verträge, durch welche sich die europäischen Regierungen die Exemptionen ihrer Unterthanen von allen türkischen Pflichtigkeiten zugestehen ließen, sind das Hinderniß. Sie bilden einen Staat im Staate. Alle diese Franzosen, Engländer, Oesterreicher, Russen u. s. w., und darunter sind Viele, die zu den reichsten Leuten der Welt gehören, genießen neben anderen außerordentlichen Vortheilen auch den der völligen Steuerfreiheit. Ihrem betreffenden Vaterlande zahlen sie keinerlei Staats- oder Gemeinde-Abgaben, weil sie nie dort leben und nichts dort besitzen, und hier, wo sie leben, wo sie erwerben und besitzen, sind sie befreit davon durch den Schutz einer Regierung, der sie keinen Dank, keinen Zoll dafür leisten. Unter dem Deckmantel dieses Schutzes eigneten sie sich nach und nach immer bedeutendere Besitzstände an, in den Städten: Häuser, auf dem Lande: Felder, Waldungen, Bergwerke u. s. w., bis der türkischen Regierung der Steuerentgang allzu fühlbar wurde. Es war und ist ein Zustand ähnlich dem der Steuerexemption des französischen Adels und Clerus vor der großen französischen Revolution. Die türkische Regierung antwortete endlich der fremden Anmaßung, die diese Rechte überdies nur durch eine willkürliche überspannte Auslegung der Verträge behaupten kann, mit dem Gesetze, daß zum Erwerbe jederlei festen Eigenthumes die türkische Unterthansschaft nothwendig sei. Darüber erhob und erhebt man noch ein gewaltiges Geschrei, beschuldigt die Regierung einer Unduldsamkeit, die den Fremden nicht im Lande haben wolle. Und doch, was blieb ihr übrig der Anmaßung der fremden Unterthanen und der Widerspänstigkeit der fremden Regierungen gegenüber? Wo ist der Staat, der sich auf die Dauer eine solche Schmälerung seiner Einkünfte, seiner Machtbefugnisse über einen zahlreichen Theil seiner Bewohner gefallen ließe? Man hält der türkischen Regierung immer Aegypten als Muster vor und daß dort der Islam den Verkauf der festen Güter an Fremde nicht hindere. Als ob nicht Millionen Griechen und Armenier und auch andere Christen Grund und Boden unter dem Scepter des Sultans besäßen, und als ob die türkische Regierung überhaupt ein Muster brauche das Wünschenswerthe zu finden. In Aegypten ist der Fremde nicht steuerfrei; er leistet dem Staate so gut wie jeder Eingeborene die Pflichtigkeit, welche an der Scholle haftet. Von seinen fremden Staatsbürgerrechten geht ihm darum keines verloren. Wollen die europäischen Großmächte, welche immer schöne Reden für das Wohlergehen des kranken Mannes im Munde führen, wirklich sein Bestes, so sollen sie vor Allem von den Forderungen ablassen, die sie aus den Capitulationen geltend machen. Türkische Justiz ist nicht mehr wie früher, war vielleicht auch für ehrliche Leute, was eben nicht alle fränkische Kaufleute sind, nie so wie man sie verläumdet hat, und steht heute jedenfalls so sehr unter dem Machtbereiche der europäischen Großmächte, daß ihr, so gut als den Gerichtshöfen anderer Staaten, die Fremden überlassen werden können. Die türkische Regierung wird ihnen dagegen den Eigenthumserwerb aller Gattungen von Gütern zugestehen; ein Zugeständniß, das, wenn man es nach dem Lärm mißt, womit es begehrt wird, auch in seinen Folgen für die Fremden als ein nicht unvortheilhaftes geschätzt werden darf. Das wäre eine der erfolgreichsten Maßregeln in jener Richtung, in welcher ich die Wirthschaftspolitik der türkischen Regierung thätig zu sehen wünsche. Ein anderer demselben obersten Grundsatze entspringender Entschluß müßte das Zollwesen umgestalten. Das ist in der Türkei beinahe ohne eigene Absichten, mehr zufällig durch die von außen kommenden Forderungen der Handelsverträge gebildet worden. Das der Türkei Eigenthümliche daran haben engherzige Vorurtheile veranlaßt, welche die Zölle nur vom fiskalischen Standpunkte ansahen. Daß sie diesen heute noch nicht überwunden habe, glaube ich in der Bemerkung zu lesen, womit der Finanzminister bei der Vorlegung des Budgets für 1863-1864 dem Großvezier das Zurückbleiben der Zolleinnahmen hinter dem Voranschlage durch das jährliche Herabsinken des Ausfuhrzollsatzes erklärt und hierbei kein Wort dafür hat, einen Ersatz dieses Ausfalles aus dem reichlicheren Ertrage der anderen Steuern zu versprechen, denn die Production, der die Ausfuhr erleichtert wird, kann nicht müßig auf dem früheren Flecke bleiben. Die Handelsverträge aber, welche die Großmächte mit den Türken abgeschlossen haben, sind immer die schamlosesten Ausbeutungen gewesen, wie sie sich nur Wucherer bei ihren hilflosesten Gläubigern erlauben. Ganz einseitig, d. h. nachtheilig für die Türkei, gestehen sie den europäischen Waaren an den türkischen Grenzen beinahe völlige Zollfreiheit zu, lassen aber die türkischen Waaren von den europäischen Märkten ausgeschlossen sein, in einigen Ländern, wie bis vor kurzem in Frankreich, durch offen eingestandene Prohibition, in anderen wie dermalen noch in Frankreich und Oesterreich durch angebliche Finanzzölle. Die Türkei, die aber als der Wärwolf aller Barbarei, aller Finsterniß und alles Zurückbleibens in der Cultur geschildert wird, ist der einzige Staat der Welt, der an der Natur der Dinge, am Freihandel festgehalten hat; wahrscheinlich unabsichtlich und unbewußt ihrer Verdienstlichkeit, auch hier mehr als eine Folge des dem Orientalen angeborenen Natursinnes, aber darum nicht weniger zum Vortheile der Anderen. Das türkische Zollsystem hat keine anderen als Finanzzölle, d. h. die Zölle, welche die Türkei einhebt, beabsichtigen nichts, als eine Einnahme für den Staatssäckel. Nach den Waaren, von denen sie erhoben werden, sondern sie sich in Eingangs-, Ausgangs- und Durchfuhrszölle. Als Eingangszoll erhebt die Regierung von dem Werthe jeder eingehenden Waare acht Procente; sie gleichen die Steuer aus, welche die heimische Production an den Staat zu leisten hat. Schutz wird der türkischen Production damit keiner gegeben. Aber diese hat vor der fremden Einfuhr den Vortheil des so sehr verschiedenen Geschmackes voraus, den besonders bei den kostbareren Waarengattungen selbst die Bemühungen der Belgier, Schweizer, und Engländer nicht ganz befriedigen können. Dadurch erhält sie sich auf dem Standpunkte, der späteren Zeit, wenn das Volk den Fortschritt zum Großbetriebe der Gewerbe machen kann und will, die Findigkeit, die Arbeitstechnik, überhaupt das Vermögen zu solcher Leistung zu überliefern. Denn für alle Zeiten soll die Türkei nicht auf den Fleck gebannt bleiben, auf dem sie heute steht. Es liegt kein Hinderniß vor, daß sie nicht einmal, so gut als ihre Vorgänger auf diesem Boden, Europa mit Manufactur- und Kunstprodukten versehe. Nur so lange sie ist, was sie heute ist, soll sie ihre Kräfte nicht an solche Wagnisse verschwenden; Capitals- und Arbeitskräfte, deren Ueberfluß einem Großbetriebe der Industrie ganz unentbehrlich ist, fehlen ihr dazu viel zu sehr. Sie muß diesen Mangel durch die angemessene Benutzung des anderen Ueberflusses, den sie einstweilen noch hat, des freien Productionsfactors der Naturkraft ersetzen. Ob dann in späterer Zeit, wenn das Volk diesen wirthschaftlichen Fortschritt macht, nicht auch das türkische Zollsystem in dem Theile, welcher diese achtprocentigen Eingangszölle normirt, eine Umwandlung benöthigen wird, das zu beurtheilen, muß jener Zeit überlassen bleiben. Jede hat so eigenthümliche Bedingungen und Bedürfnisse, und es arbeiten so wechselnde Elemente an der Bildung ihrer Verhältnisse, daß es mir immer als die allerunsinnigste Ueberhebung erschienen ist, allen Zeiten voraus, indem man das sogenannte absolut Beste aufstellt, ihre Gesetze und Formen dictiren zu wollen. Das, was im Augenblicke das Brauchbarste und Mögliche ist, wird immer auch das Beste sein, denn das Wünschenswerthe wird, bei der Unvollkommenheit aller irdischen Zustände, immer vom Besten unterschieden werden müssen. Den Ausgangszoll haben die Verträge der Jahre 1861-62 in der Weise festgesetzt, daß die türkischen Zollämter von jeder ausgehenden Waare ursprünglich acht Procente des Werthes, seitdem aber mit jedem Jahre um eines weniger einheben, bis diese Minderung bei dem letzten Procente angelangt sein wird, welches fortwährend als Beitrag zu den zollämtlichen Kosten bestehen soll. In diesem Jahre ist die Scala des türkischen Ausgangszolles schon auf fünf Procent herabgesunken. Bei diesem Theile des türkischen Zollsystems beginne ich die Sünden zu finden, um deren Willen ich oben seine Umgestaltung verlangte zu Gunsten der türkischen Volkswirthschaft und ausgehend von jenem Principe, welches ich oben ihrer Politik als oberstes und leitendes angerathen habe. Ausgangszölle belasten mit einer besonderen Steuer den Theil der Production, der sich das Verdienst erwerben will, im Auslande Güter einzukaufen, welche dem heimischen Bedürfnisse nothwendiger und werthvoller sind, als der unverwendbare Ueberfluß der daheim erzeugten. Ist es nun schon an und für sich grundlos, die Producte je nach dem Orte ihrer Bestimmung verschieden zu besteuern, so erscheint diese Ungerechtigkeit noch unbilliger, wenn man die ausgeführten Güter auf den fremden Märkten neben den dort producirten ohnedies schon durch die weiteren Transportkosten und die fremden Eingangszölle ungleich belastet sieht. Die Unklugheit, welche aber auch darin liegt, die Ausfuhr, d. h. die Entwicklung der eigenen Production zu schädigen, zeigt sich hier in der Türkei bei den hiesigen Ausgangszöllen am allerauffälligsten. Denn sie treffen meistens Waaren, welche beim Transporte nicht nur durch die Kosten für die weitere Entfernung an und für sich, sondern auch durch das schwerere Gewicht benachtheiligt werden, und welche dabei doch ziemlich die einzigen sind, die dem türkischen Volke zur Verfügung stehen, sich die Mittel einer verfeinerten Gesittung einzutauschen. So vereinigen sich alle Rücksichten einer wohlmeinenden Politik, die der Gleichheit, der Billigkeit, der Gerechtigkeit und Klugheit, um die Abschaffung dieser Zölle zu befürworten. Dafür sind keine anderen, als die des Staatssäckels anzuführen, und das sind irrthümliche, in der Unwissenheit über jede Nationalökonomik aufgefundene. Denn was dem Zolleinnehmer durch den Wegfall der Ausgangszölle entgeht, das fließt schon nach einigen Uebergangsjahren dem Steuereinnehmer durch höhere Zehnten und andere Steuer-Erträgnisse, endlich auch durch den Eingangszoll verdoppelt zu. Die zum Zwecke der Ausfuhr gesteigerte Production bringt sich selbst und auch dem Staate neue Gewinne, und die größere Ausfuhr muß mit einer neuen Einfuhr bezahlt werden, die statt dem einen Procent des Ausgangszolles die acht Procente des Eingangszolles abliefert. Im Wirthschaftsleben producirt der Mensch nur um zu kaufen; an der Production aber wie an dem Verkaufe hindern ihn Ausgangszölle. Ihre Politik wirkt gerade wie das Erziehungsmittel eines Schulmeisters, der den Fleiß statt der Faulheit bestrafen wollte. Und dasselbe gilt gegen die Durchfuhrzölle, welche die Türkei auch vermöge ihrer Verträge dermalen noch mit zwei Procent, vom Jahre 1869 nur mehr mit einem Procent vom Werthe jeder ihr Gebiet passirenden Waare einhebt. Sie werden, wenn einmal aufgehoben, durch die Vortheile des gesteigerten Verkehres bald ersetzt werden, besonders wenn die Türkei einmal größere Eisenbahnen gebaut haben wird. Am allerdrängendsten erhebe ich aber meine Einwendungen gegen die Zwischenzölle, welche noch immer die einzelnen Provinzen der Türkei trennt. Die schädigen die Production zum Nachtheile des ganzen Staatswesens. Es ist mir immer ein Räthsel geblieben, wie es eine Zeit geben konnte so blind für den offenkundigen Vortheil, daß alle Staaten in einer Fesselung der Natur ihr Wohl zu fördern glaubten. Zu einer solchen Umgestaltung ihres Zollsystemes wird die Türkei -- wenn sie sich nicht schon eigenmächtig hierzu berechtigt glaubt -- leicht die Zustimmung der Vertragsmächte erhalten, weil England, Frankreich, Oesterreich und Italien nur Vortheile aus dem Wegfalle der türkischen Ausgangs-, Durchfuhr- und Zwischenzölle zu erwarten haben durch den billigeren Bezug der Rohproducte, die, wie die Baumwolle und Seide, ihren Industrien unentbehrlich sind. Sollten einige indeß doch widersprechen und die Türkei ihnen dazu aus den Verträgen wirklich die Berechtigung einräumen, so könnte vielleicht im Jahre 1868, wo das Recht zur Revision des Zolltarifes einfällt, das Zugeständniß zu solcher Umgestaltung vor Ablauf der 28 Jahre, für welche lange Dauer die Handelsverträge abgeschlossen sind, erlangt werden. Sind aber jene Verträge abgelaufen, oder bricht sie vor ihrer Zeit der eine oder andere Zufall, dann soll die Türkei ja keine neuen mehr schließen. Dann regle sie frei und ungebunden, nur nach den Forderungen ihres eigenen Bedarfes ihr Zollwesen, gleich für Alle, wenn sie es nämlich sich noch immer angemessen glaubt, am Freihandelsprincipe festzuhalten. Will die Türkei aber dann doch wieder, oder ist sie durch Verhältnisse genöthigt, ihre Handelsbeziehungen mit den einzelnen Staaten durch Verträge zu regeln, so thue sie dieses wenigstens nur gegen das Zugeständniß der vollen Gegenseitigkeit. Wer ihr seine Glas-, seine Eisen-, seine Calicot-Waaren zollfrei zuführen will, der lasse auch unter denselben Bedingungen nicht nur türkische Rohproducte, die ihm ohnedies unentbehrlich sind, sondern auch Smyrnaer Teppiche, damasische Seiden-, Brussaer Gazestoffe und jene weichen Hand- und Badetücher, die alle der Luxusgebrauch in Europa so sehr liebt, in seine Grenzen. Und wer ihr das weigert, wer sie fort und fort mit Zöllen von 20, 30 und 50 Procenten von sich weist, dem schließe sie eben so zu Gunsten des gerechteren und billigeren Nachbars die Thüre. Es wäre eine verdiente Beschämung für Europa, wenn auf diese Weise die uncivilisirte Türkei der wirksamste Apostel des Freihandels würde. Die Möglichkeit, daß sie das mit Repressaille-Maßregeln erlange, liegt nahe, weil unseren überindustriellen Staaten die Ausfuhr nach dem großen und reichen Becken des Orientes immer unentbehrlicher wird. England und die Schweiz konnten ihre freihändlerische Duldsamkeit nicht zu demselben Zwecke verwenden, weil beide daheim keine Käufer, nur Concurrenten der anderen Industrien auf den auswärtigen Märkten sind. Der Türkei aber gegenüber sind alle Industrien ausfuhrsfähige; ihre Bedingungen haben daher einen gewissen Zwang. Wie neulich in Brussa die Seidenproduction, habe ich auch hier die Baumwollproduction mit besonderer Rücksicht auf Oesterreich betrachtet. Oesterreich brauchte für seine Baumwollmanufactur 1861 = 879.196 Ctr., 1862 = 386.105 „ 1863 = 305.442 „ Davon hat es in jedem Jahre den weit überwiegenden Theil auf dem Landwege eingeführt, also meist durch den indirecten Bezug von Zwischenhändlern aus Hamburg und Bremen, nämlich 1861 = 662.051 Ctr., das sind ⅔ des ganzen Bedarfes, 1862 = 285.009 Ctr., das ist nur mehr etwas über die Hälfte, 1863 = 219.157 Ctr. In Zahlen ausgedrückt stellt das ein Stück der letzten Geschichte der Baumwollcultur dar. Die österreichische Einfuhr hängt mit der Production des Orients zusammen. Je mehr jene den Seeweg wählt, desto ergiebiger entwickelt sich diese. Dem österreichischen Consumo lieferte 1861 die Türkei nur 9.533 Ctr., Aegypten 31.456 „ ------------ der gesammte Orient also 40.989 Ctr. Baumwolle. Das war nur der fünfte Theil der österreichischen Seeeinfuhr und der einundzwanzigste der ganzen österreichischen Einfuhr. 1862 lieferte: die Türkei 20.592 Ctr., Aegypten 31.850 „ ------------ der Orient also 52.442 Ctr. Baumwolle. Das war mehr als die Hälfte der österreichischen Seeeinfuhr und der siebente Theil der ganzen österreichischen Baumwolleinfuhr. 1863 lieferte: die Türkei 20.598 Ctr., Aegypten 55.847 „ ------------ der Orient 76.445 Ctr. Baumwolle. Das war beinahe die ganze österreichische Seeeinfuhr und der vierte Theil der gesammten österreichischen Baumwolleinfuhr. Das sind erfreuliche Resultate, die auch nach dem Vergleiche mit dem, was die anderen Hauptbaumwollen-Consumenten von der Türkei bezogen haben, ansehnliche bleiben. Denn England hat 1862 nicht mehr als 37.334 Centner und Frankreich 77.270 Ctr. türkische Baumwolle gekauft, das läßt hoffen, daß der österreichische Handel sich endlich wieder in seine natürlichen ihm nächstliegenden Wege finden und sie fleißiger benutzen werde. Es kann nur mit dem besten Erfolge für die österreichische Schifffahrt, die Kaufmannschaft und die Industrie geschehen, denn endlich müssen solche Bezüge türkischer Rohproducte durch österreichische Waaren bezahlt werden. Und so hat denn wirklich auch Oesterreich den dritten Theil seiner ganzen Baumwollwaaren-Ausfuhr der Türkei verkauft; an kein anderes Land auch nur annähernd so viel. Diesen auswärtigen Absatz zu vermehren liegt ganz im freien Belieben und Fleiße der österreichischen Producenten, der allerdings im Genusse eines sicheren und einbringlichen inländischen Marktes kein allzu williger und angestrengter ist. Aufmerksam muß ich auch machen, daß Oesterreich ebensoviel Gelegenheit und Veranlassung habe wie seinem eigenen Consumo, so dem Süddeutschlands und der Schweiz die Baumwolle zu liefern. In diesem Zwischenverkehre könnten seine Rheder, seine Handelsleute, und selbst seine Industriellen, denn auch diese Bezüge könnten der Türkei mit österreichischen Producten bezahlt werden, schöne Gewinne verdienen. Allerdings ist auch hierzu wieder die direkte und kürzeste von Triest durch Tirol zum Bodensee hinführende Eisenbahn Bedingung. Sie würde dort die fabriksreichsten Cantone: Glarus, St. Gallen, Appenzell, Zürich und selbst Basel zu Hinterländern des adriatischen Meeres machen. So lange diese Bahn nicht ist, werden die Schweiz und Süddeutschland fortwährend Marseille als ihren Einfuhrshafen halten. Ein neuer Grund, wie ich einen schon neulich bei dem Seidenhandel gefunden, daß die österreichische Regierung ihrem Handelsstande gegenüber diesen Gefälligkeitsdienst thue. An Bord des Dampfers „Brussa“, 4. Juni, Mitternacht. Um 11 Uhr haben wir uns eingeschifft. Jetzt höre ich das Brodeln der Kessel, das Zeichen, daß sich die Abfahrt vorbereite. Um mich herum auf den Divans und in den Schlafstellen, und über mir auf dem Verdecke ruht Alles. Eine Stunde war ich oben, aber auf einem Flecke stehend, nicht auf und ab gehend, weil der Raum für meine Sohle der einzige war, den ich frei fand. Was ich bisher von türkischer Ungenirtheit gesehen, so in Constantinopel, wenn die Officiere und Beamten in voller Uniform, wie sie aus den Bureaux zu den kleinen Localdampfern kommen, selbst das Gemüse, den Salat und das Fleisch nach Hause tragen, wird weit durch das überboten, wie man sich auf dem Verdecke gebettet hat. Der Türke kennt nur eine Ordnung seiner Lebensweise, die erlaubt ihm, sich jede +mögliche+ Bequemlichkeit auch zu gewähren. Die hundert Rücksichten einer oft geradezu unschicklichen Schicklichkeit, womit wir unser Leben binden, bestehen für ihn nicht, und das ~qu’en dira-t-on~? hindert keine seiner Launen. Was ihm genehm und von dem Gesetze erlaubt ist, das sind die einzigen Grenzen seiner Lebensart. Nach diesem Grundsatze haben die Passagiere das Verdeck des Dampfers umgestaltet. Da liegt einer neben dem anderen in seinem besonderen Bette, entkleidet und in buntfarbige Nachtkleider angethan. Das Bett ist verschieden, je nach dem Stande des Reisenden, aus Decken und Polstern oder nur aus Teppichen, aber auch ganz ordentlich aus Matratzen und allem Zugehör gebildet. Der Eine hält die Decke fest bis an die Nase heraufgezogen, daß man, da sein Kopf unter dem Turban verschwindet, zweifeln kann, ob etwas Lebendiges unter diesem Kattunbündel sei; ein Anderer hat sich so dicht eingewickelt, daß er wie ein Schlangenleib erscheint, und ein Dritter, offenbar in der Erregtheit eines Traumes, denn er schnarcht, daß man ihn über die Länge des ganzen Schiffes hört, die Hüllen vollständig abgeworfen, unter denen zu oberst eine rosenfarbene Nachtjacke zum Vorscheine kömmt. Diese freundliche Farbe scheint überhaupt für diese Gewänder die beliebteste zu sein, denn die meisten Schläfer sind darein gekleidet. Ein Theil des Hinterdeckes ist, wie das hier auf den meisten Dampfern üblich, durch eine Bretterwand für die Frauen abgesondert; die schlafen dort gerade so wie die Männer gebettet. Ueber das ganze Lager ist zeltartig ein Segel gespannt, so nieder, daß ich nur gebückt darunter durchkomme; beleuchtet ist es von dem matten Lichte einer Laterne, die in halber Manneshöhe an dem hinteren Mastbaume festgebunden ist. Neben der Lampe hängt ein Käfig; der Vogel, der darinnen, hat den Kopf unter die Flügel gesteckt, und schläft fest, wie die übrigen Passagiere. Ich habe selten eine originellere Scene gesehen. Ein Genremaler, der wie der Niederländer Peter van Schedel auch die Lichteffecte sucht, fände hier endlich einen anderen Gegenstand als die ewigen „nächtlichen Marktscenen im Lichte einer Laterne“ und den effectvollen Namen: „die Nacht auf einem türkischen Dampfer“ -- dazu. Constantinopel, den 5. Juni. Bei nichts mehr als beim Schlafe ist die Qualität im Stande, die Quantität zu ersetzen. Vier Stunden der heutigen Nacht gaben mir nach ermüdenden Ritten die ganze Körper- und Geisteskraft wieder. Schon um 5 Uhr verließ ich meine Cabine, die -- denn auch das muß ich zur Rettung türkischer Reinlichkeit anmerken -- frei von Flöhen und Wanzen war. Auf dem Verdecke war das Nachtlager im Aufbruche begriffen, großer Lärm und gewaltthätiges Zusammenschnüren des Bettzeuges und der Teppiche; an seiner Stelle ließen sich Kaffeetrinker und brodelnde Nargilehsraucher nieder. Ich entwich dem allen nach vorne auf die Prora des Schiffes, um den Morgen zu genießen, der voll Frische und rosigen Lichtes war. Von dort aus sah ich auch unsere Einfahrt in den Bosporus und in das goldene Horn. So beleuchtet ist es das herrlichste, das farbenprächtigste Bild und der Augenblick, der es gibt, der glückseligste. Wir schwammen in einem glatten silbernen Meere einem Halbkreise in die Arme, der mit Gebäuden bedeckt so groß ist, daß er zuletzt an seinen Endpunkten in der Undeutlichkeit der Entfernung verschwindet. Daß links Europa und rechts Asien, kann das Auge nicht unterscheiden, und sagt man es ihm, so wird es doch wieder ungläubig, weil es nirgends die Spur einer Trennung findet. Zwei Welttheile scheinen zusammengewachsen zu sein und zu dem Feste ihrer Vereinigung den kostbarsten Schmuck angelegt zu haben. Erst wenn man schon zwischen ihren Ufern, zu seiner Linken Stambul mit dem Cypressenwalde seiner Minarete und dem Olympe seiner Kuppeln, der allgewaltig überragenden Aja Sophia, die kleine Irenenkirche davor und ganz zu vorderst die smaragdgrün geschmückte Seraispitze hat, zur Rechten Skutari mit seinem dunkeln Gräberhaine und den einsiedlerischen Pinien vor der großen Caserne Selims: erkennt man die Täuschung und auch vor sich noch die dritte Küste, die Spitze von Top-Hane, die dort aus dem goldenen Horne und aus dem Bosporus kommend ausläuft. Noch einige Ruderschläge der Schaufelräder weiter, thut sich rechts zur Seite der Bosporus auf, von Häusern und Gärten eingefaßt, als wolle die ungeheuere Stadt sich auch dorthin endlos fortsetzen. Dann werfen wir inmitten all der Pracht, der grünen Hügel, der vergoldeten Kuppeldächer, der buntangestrichenen Häusermauern und des Lebens, das sich lärmend und drängend auf den Schiffen und Ufern regt, den Anker in die Fluth, die auch hier rein und blau wie der Himmel über ihr ist. Es lagen so viele Dampfer an der ersten Hafenbrücke, daß es unmöglich war, uns dort auszuschiffen. Da unser Dampfer ohne Seitentreppen ist, wurde das auf freier See keine erquickliche Aufgabe. An Stricken ließ man uns und unser Gepäck neben den Schiffswänden in die Boote hinab, die sich unter unseren in der Luft schwebenden Füßen den Platz und die Passagiere streitig machten. Das Geschrei und Gedränge unterhielt mich; es ist hier alles trotz überschäumender Lebendigkeit ohne jene grobe Rohheit des Nordens, die vom Menschen nur das Thierische fühlbar macht. Mittags ging ich in die Peragasse, Einkäufe zu machen. Ich fand sie von bunten Schleiern überspannt, mit Teppichen behängt und von türkischem Militär, das Spalier bildete, besetzt. Dann kam die Procession, und die Soldaten im türkischen Kleide, den grünen Turban auf dem Kopfe, präsentirten die Waffen vor dem Allerheiligsten. Man wage mir jemals wieder ein Wort über Unduldsamkeit des türkischen Volkes und Unbildung seiner Regierung! Dieses eine Beispiel will ich dem gesammten Europa entgegen halten, und sehen wo ein ehrlicher Christ ist, der nicht beschämt an die Brust schlüge und ~mea culpa, mea maxima culpa!~ eingestünde. IV. Constantinopel. Constantinopel, den 7. Juni. Ehe ich in das Innere der Stadt eindringe, das ich nun systematisch durchforschen will, begehrte ich einen Um- und Ueberblick darauf zu thun. Gestern führte man mich auf den Thurm des Seraskeriates und heute um die alten Stadtmauern. Ganz ist aber weder das eine noch das andere zu erreichen. Die Weite der Entfernungen und auch Berge und Thäler, die trennend dazwischen liegen, hindern den Ueberblick, und das Meer, welches sich überall einbuchtet, den ununterbrochenen Umgang. Die Stadt ist ungeheuer, weit größer als das schon durch die Menge ihrer Einwohner bedungen ist. Die letzte Zählung ergab deren 1,075.000, darunter 480.000 Mohammedaner, 250.000 Armenier (orthodoxe und 30.000 unirte), 220.000 Griechen, 55.000 Juden und 40.000 Angehörige aller Nationen; über diese feste Bevölkerung hinaus noch eine wechselnde von 15.000 Soldaten. Die Tausende von Fremden, die aus allen Welttheilen fortwährend zu- und abströmen, konnten in die Berechnung nicht mit aufgenommen werden, weil sie zu keiner Meldung durch Paß oder sonstige Legitimationspapiere verpflichtet sind. Das heutige Constantinopel ist eigentlich ein geographischer Begriff für eine Menge von Städten. Auf drei Landzungen liegen sie, in Gruppen zusammengebaut, zum Theile Europa, zum andern Theile Asien angehörig. Ehemals galt der Gesammtname nur für das, was heute Stambul heißt. So richtete es Kaiser Constantin ein, als er im Jahre 330 n. Chr. das frühere Byzanz zur Hauptstadt des römischen Weltreiches erhob; so war es, als die Kreuzfahrer am 6. Mai 1204 hier den Grafen Balduin von Flandern zum ersten lateinischen Kaiser wählten; und so fand es Mohammed II., als er am 29. Mai 1453 die Stadt eroberte. Erst später unter den Türken dehnte sich der Name auch auf die umliegenden Städte aus. Man erzählt mir, der eigentliche Kern der Stadt, dieses Stambul sei auf sieben Hügeln gebaut, ähnlich ihrer italienischen Vorgängerin im Imperium. Möglich, aber ich sehe nur einen, so sehr sind die Berge und Thäler durch die vielen Bauten ausgeglichen. Nur wenn ich zwischen diesen wandle, werde ich der Unebenheiten des Bodens gewahr. Pera, welches Stambul gegenüber auf dem anderen europäischen Ufer liegt, besteht aus den Vorstädten Sudlische, Piri Pascha, Haß-Köi, Kaßim Pascha, Galata, Pera selbst, St. Dimitri, Top-Hane, Fündykly und Dolma-Bagdsche (Kürbisgarten). In den allerältesten Zeiten, als aber Byzanz doch schon eine gealterte Stadt war, lag dieses Ufer des goldenen Hornes unbewohnt. Man nannte die Gegend Sykae, bei dem Feigenbaume. Erst als die gegenüberliegende Stadt des Constantin die zuströmenden Menschen nicht mehr fassen konnte, scheinen einige hier hinüber gezogen zu sein und dann im sechsten Jahrhundert dem großen Kaiser Justinian zu Ehren die neue Ansiedlung Justiniana getauft zu haben. So wenigstens nennt sie im fünften Capitel die 59. seiner Novellen. Dort findet man auch, daß das goldene Horn den damaligen Anschauungen weit breiter als den heutigen erschienen sein muß, denn jene Novelle bezeichnet diese Gegenden als ~transmarini~, überseeische; περαμασι ist das griechische Wort, welches an jener Stelle gebraucht wird. Aus ihm hat sich durch Abkürzung und Mißbrauch das jetzige Pera gebildet, welches sonach nichts als überseeisch, jenseitig bedeutet. Es ist irrthümlich, wie das gewöhnlich geschieht, Pera und Galata als zwei, dann in der Folge scharf geschiedene Städte zu schildern; Pera als die Stadt der Venetianer und Galata als die der Genuesen. Wenn auch beide Namen besonders für die zwei wirklich getrennten Stadttheile bestanden, so hat doch auch der von Pera immer zugleich für beide zusammen gegolten. So liest man es heute noch in den Inschriften der Mauern und Thürme von Galata. Alle reden nur von Prätoren der Stadt Pera. Die Genueser und Venetianer, die man gesondert in diesen Städten wohnen läßt, haben wohl abwechselnd nach- aber nie nebeneinander darüber geherrscht. Zuerst die Venetianer schon im sechsten Jahrhundert unter dem Kaiser Justinian. Sie zählten damals zu den Einheimischen und genossen bedeutende Vorrechte zu Gunsten ihres Handels. Dieses Verhältniß währte bis zur Einnahme Constantinopels durch die Lateiner im Jahre 1204; diese machte sie zu den eigentlichen Herren auf den beiden Ufern. 1261 mit der Rückkehr der Griechen verloren sie aber mehr noch als sie damals gewonnen hatten, denn der Paleologe setzte die Genuesen, welche ihm beigestanden waren, als Erben in den ganzen Nachlaß der flüchtigen Venetianer ein. Von nun an herrschte Genua hier und von hier aus weiter gegen Osten zu über die Meere und Küsten des ehemals römischen Reiches. 1446 muß diese Herrschaft noch aufrecht bestanden haben, denn eine Inschrift des Galata-Thurmes von jenem Jahre nennt ausdrücklich „Galata von Byzanz und Pera an dem Bosporus“ berühmte Colonien der Genuesen. Und als solche übergaben sie sich auch, abgesondert von der übrigen griechischen Stadt, an Mohammed den Eroberer. Dieser verlieh ihnen zwar, als er am fünften Tage nach der Einnahme der Stadt auch in Pera feierlich einzog, einen Schutzbrief, aber ihre Rechte als unabhängige Colonie gingen nun doch verloren. Erst von jener Zeit an wurde es den Venetianern möglich neben den Genuesen hier zu leben; aber Herren des Ortes waren beide nicht mehr. Sie wohnten eben nur wie heute die Unterthanen aller europäischen Staaten auf türkischem Boden. Von ihren Nachkommen ist noch manches übrig, wie ich denn überhaupt -- was ich schon einmal angemerkt zu haben glaube -- hier gar manche Aehnlichkeit mit den italienischen Stammländern finde. Von dem äußerlichen Erscheinen des besonderen Charakters dieser Stadt sind die schwarzen Ringmauern und Thürme die letzten Ueberbleibsel. 12 Thore und 24 Thürme schließen sie ein, die Hälfte der letzteren gegen die Seeseite gekehrt. Sie sind nicht so alt als man sie gewöhnlich glaubt. Zwar schon im Jahre 1296, nachdem die Venetianer am 29. Juli Galata überfallen und verwüstet hatten, war den Genuesen vom Kaiser Andronikus Paleologus erlaubt worden die Stadt zu befestigen, aber die Mauern und Thürme, welche wir heute sehen, bauten sie erst im 14. und 15. Jahrhundert; das liest man auf den eingemauerten Gedenksteinen. 1344 scheint der Um- oder Neubau begonnen zu haben; 1387 setzte ihn ein ungenannter Prätor von Pera fort; 1404 that dieses der sehr ehrenwerthe Johannes Sauli, 1435 der oberste Beamte Stephan von Marini, 1441 Antonio Spina, 1443 Borneia de Grimaldi, 1445 und 1446 der besonders thätige und darum auch auf allen Steinen vorzüglich gelobte Balthasar Marufo, bis 1447 der Prätor Johann von Famo den Bau vollendete; so wenigstens möchte ich die Anmaßung deuten, die er auf einem Steine ausspricht: das ganze Werk allein gethan zu haben. Alle diese Herren nennen sich Prätoren der Städte von Galata und Pera, und diese, Colonien der Genuesen. Es scheint unter die freiwilligen Verpflichtungen dieses Amtes gehört zu haben, bei der Errichtung der Stadtmauern behilflich zu sein. Den großen Thurm von Galata, der jetzt als Feuerwächter so nützliche Dienste thut und auf jeder Ansicht des Ortes kennzeichnend hervortritt, hat Balthasar Marufo hergestellt. Er hieß damals der Christusthurm und eine Inschrift versetzt den Marufo ob dieses edlen Werkes unter die Götter. Die Restaurationen, welche seitdem nach großen Feuersbrünsten Selim III. 1794 und Mohammed II. 1824 daran vorgenommen, können nur wenig verändert haben. Zwischen den beiden Ufern von Pera und Constantinopel fanden oftmals blutige Kämpfe statt. Von Pera aus bekriegten im Jahre 559 die Venetianer den Kaiser Justinian und später die Genuesen durch fünf Jahre den Kaiser Cantakuzenos. Fünfmal erschien die venetianische Flotte in dem goldenen Horne, ihre Waffen gegen das genuesische Pera zu kehren und jedesmal im Bunde mit dem griechischen Constantinopel (in den Jahren 1296, 1302, 1328, 1349 und 1351). So nahe kann man sich benachbart sein und doch so feindselig in seinen Schicksalen. Auch der dritte Stadttheil, Skutari, das auf dem asiatischen Vorgebirge liegt, war lange in seiner Geschichte von den übrigen getrennt. Als es Chrisopolis hieß, rastete Xenophon sieben Tage dort. Seine Soldaten verkauften indeß die persische Beute; der Ort war wohl damals schon ein günstiger Markt für die Waaren, welche die Karavanen aus dem Innern von Asien brachten. 626 n. Chr. lagerten die Perser dort, Constantinopel bedrohend, das auf der Landseite die Avaren umschlossen hatten; 669 begehrten von dort aus die aufständischen Truppen des Kaisers Constantin IV., des Bärtigen, daß er zur Nachahmung der heiligen Dreieinigkeit seine beiden Brüder neben sich auf den Thron setze und 1402 belagerten die Tataren des Tamerlan, der eben bei Angora das junge türkische Reich niedergeworfen hatte, die asiatischen Ufer des Bosporus. -- Skutari soll wie Constantinopel auf sieben Hügeln gebaut sein. Das äußere Aussehen gibt auch dort keine Bestätigung dieser Behauptung. Zwischen den Ufern dieser drei Städte zu treiben auf glatter ruhiger See, den Blick rechts und links hinüber frei und die Erinnerung mit Bildern der Vergangenheit gefüllt, ist eine Fahrt, wie sie sich nirgends schöner und eindrucksvoller bietet, denn Rom selbst ist nicht denkwürdiger vom Schicksale gekennzeichnet. Sage und Geschichte knüpfen seit den allerältesten Zeiten bis zu den neuesten die Menschheit mit ihren entscheidendsten Erlebnissen an diese Stelle fest. Erst die letzten Jahre zeigten wieder, daß in dem Knoten der orientalischen Frage die Fäden aller Politik zusammenlaufen; die ganze heutige Weltordnung ist durch den Krimkrieg gestaltet worden. Und wie damals die Staaten des westlichen Europa mit Rußland, so haben hier immer die jeweiligen Weltmächte um den Vorrang in der Herrschaft gerungen; so die Griechen mit den Persern, die Athener zuerst mit den Lacedämoniern, dann mit den Macedoniern, die Römer mit den Persern, die Byzantiner mit den Franken, die Genuesen mit den Venetianern und endlich die Mohammedaner mit den Christen. Unter den vielen war eine der blutigsten Entscheidungen die der Nacht vom 13. auf den 14. Februar des Jahres 1352. Sie ist nur wenig gekannt und auch mir wohl nur im Gedächtnisse, weil ich die venetianische Geschichte eine Zeitlang als Lieblingsstudium betrieben habe. Venetianer und Genuesen standen sich gegenüber auf einer wildbewegten See. Vom Hafen bei Kadi-Köi durch den ganzen Bosporus bis hinaus zum Schwarzen Meere zog sich der Kampf; die Nacht war so finster und der Sturm so wüthend, daß an eine festgegliederte Schlacht nicht zu denken war. Unterschiedslos vernichteten sich Freunde und Feinde. Von 139 großen Galeeren fehlten am nächsten Morgen 39; sie waren verbrannt oder versunken. Der Venetianer Nicolo Pisani, der doch das Uebergewicht der Zahl -- 75 Schiffe -- für sich gehabt hatte, räumte am nächsten Tage dem Pagano Doria das Marmora-Meer ein und mit ihm den Genuesen für eine lange Zeit den ausschließlichen Handel nach den Küsten des Schwarzen Meeres. Es war dieses derselbe Pisani, der dann einige Monate später, beinahe im Angesichte von Genua, bei dem italienischen Vorgebirge Cagliari seine Niederlage so furchtbar rächte, daß die genuesische Seemacht vernichtet und die stolze Stadt gezwungen war, ihre Freiheit an den Tyrannen von Mailand, den Erzbischof Giovanni Visconti, zu verkaufen. Aber schon zwei Jahre darauf wurde Pisani gefangen in das neuerdings triumphirende Genua eingebracht, nachdem ihm Doria am 2. November 1354 bei der Insel Sapienza, derselben, an der ich vorübergefahren, den Sieg und die Flotte abgewonnen hatte. So fest mir diese Erinnerungen eingeprägt sind, es gab Augenblicke, wo sie alle untertauchten in der Herrlichkeit des mich umgebenden Meeres und Himmels. Rosenfingerig, so wie es die Göttin Homer’s ist, war der Morgen, lächelnd als habe ihm Eos ihren ganzen Liebreiz auf die Lippen gelegt und die Farbe ihrer Hände dem Meere und den Wolken beigemischt. Es gibt Augenblicke, und das sind die auserwählten des Glückes, wo nur ein Dichterwort den Eindruck des Geschauten und Empfundenen ganz wiederzugeben vermag. Wer die Morgenluft nie so lau geathmet und das Morgenroth nie so versöhnlich gesehen hat, wie ich heute Morgens, der wird jene homerische Sprache nicht verstehen; wer das aber einmal erlebt, dem wird das einzige gut getroffene Wort auch das ganze Bild malen. Um 5 Uhr war ich zum Kaik nach Top-Hane hinabgestiegen. Osman und seine zwei Gefährten erwarteten uns. In weite Pumphosen und feine Hemden schneeweiß gekleidet saßen sie vor uns, die nackten Füße aufgestemmt und mit den Armen zu den Ruderschlägen weit ausholend. In den intelligenten Gesichtern bemerkte ich freudige Theilnahme an meinem Entzücken; der Südländer, und besonders der Mann der unteren Stände, ist immer dankbar für die Bewunderung, die man seinem Lande zollt. An großen Dreimastern vorbei, die vor der Seraispitze ankerten, den Südwind erwartend, der sie in den Hafen treiben sollte, ruderten sie uns. Alles war dort stille als walte noch die Nacht. Nur einige kleine Remorquere dampften herum, geschäftig den fremden Schiffen ihre Dienste anzubieten und wirklich auch einige in das goldene Horn zu schleppen. Andere Segler strebten schon auf dem freien Meere den Dardanellen zu, denn der Ausfahrt war der Wind günstig. Das Meer, die Prinzeninseln, die Bithinischen Berge, den weißglitzernden Olymp zu oberst, hatten wir zu unserer Linken; zur Rechten die altersgrauen Mauern der Stadt, ausgewaschene Klippen davor, und hinter und über den Mauern die bunten Häuser der Stadt, Thürme und Kuppeln und Bäume, die zwischen ihnen stehen; vor uns das Schloß der sieben Thürme, dem wir näher gekommen waren. Dunkle Schatten markirten die Unregelmäßigkeiten der Mauer. Oft hielten wir an und ließen das Boot willenlos treiben, um die Stunde und die Fahrt zu verlängern. Wie auf der Sehne eines Bogens, den hier die Stadtmauern bilden, war unser Weg. Zuerst sieht man die Aja Sophia, unmittelbar vor ihr die lange Linie des Universitätsgebäudes, das im Jahre 1845 die Türkei auf Befehl des englischen Botschafters Sir Stratford Canning bauen mußte. Alle Bildungsanstalten sollten darin unter der Hofmeisterschaft des Staates vereinigt werden; einer der unmöglichsten unter den vielen Rathschlägen, welche Europa der Türkei gegeben hat. Zwang läßt sich der Türke bei der Erziehung seiner Kinder weniger noch als bei irgend etwas anderem gefallen. Während des Krimkrieges diente der kostbare Bau den Franzosen als Spital, so daß das viele Geld doch nicht ganz vergebens ausgegeben worden war. Das Nächste dann den vier Minareten der Sophien-Moschee sind die Kuppeln und sechs Minarete der Achmedje, die Ruinen des ehemals goldenen Obelisken und der verbrannten Säule, die Nuri-Osmanjie, die Bajasid-Moschee und dahinter auf der Höhe des Hügels der Thurm des Seraskeriates. In weiterer Fortsetzung die Schah-Sadeh Djami (die Moschee der Prinzen), Daleli Djami (die Tulpen-Moschee) Murad Pascha Djami und in hohen grünen Bäumen versteckt die Moscheen Daud Pascha’s und Mustapha Pascha’s. Die sieben Thürme erst endigen die Reihe dieser stattlichen öffentlichen Gebäude; die Holzhäuser aber ziehen sich am Strande noch eine Strecke weiter als die Mauern. Es sind das die Vorstädte der Fleischer, welche Mohamed II. angelegt hat. Mitten unter den Fleischbänken stiegen wir aus dem Kaik und auf die Pferde, welche wir uns dorthin bestellt hatten. Durch das Dorf und an dem Friedhofe vorüber, der von hier an in beinahe ununterbrochener Fortsetzung die Stadtmauern bis zum goldenen Horne begleitet, ritten wir zu dem Schlosse der sieben Thürme. Durch das erste Thor mußten wir in die Stadt hinein. Auf einem einsamen von Platanen beschatteten Platze ließen wir die Pferde. Zu Fuß unter einem niederen Thorbogen hindurch traten wir in den Hof des berühmten Schlosses; der zeigt nichts von dem Schauerlichen, das die Sage von diesen Räumen erzählt. Sein Boden ist grün bewachsen, Bäume stehen darauf, an einzelnen Stellen ist er ungleich, beinahe hügelig, wohl von dem zusammengestürzten Schutte früherer Gebäude. Ein einziges steht heute noch wohlerhalten, ein Medschid (Bethaus) mit einem kleinen Minarete. Eine ewige Lampe brennt davor. Warum sie angezündet worden gleicht ganz dem Grunde, der das Lichtlein an der Markuskirche auf der Seite, welche der Piazetta zugekehrt ist, unterhält; frommer Wahn, der einen Justizmord sühnen will. Wir stiegen auf die Höhe der Mauern und gingen dort von einem Thurme zum andern. Alles ist dicht mit Sträuchern und blühenden Blumen bewachsen; der See zu liegen unmittelbar vor dem Schlosse Gartenanlagen und Weinpflanzungen, dann die alten Stadtmauern, vielfach vom Erdbeben zerbrochen und in Trümmern. Es ist ein Irrthum, die Zerstörungen, die heute an den Stadtmauern sichtbar sind, so ausschließlich den feindlichen Angriffen Schuld zu geben; weitaus das Meiste hat die Gewalt der Natur gethan. Gleich hinter diesen Resten ist das Meer. Regungslos lag es in goldener Sonne, der Ausblick frei bis zu den fernen Bergen. Es brauchte lange bis ich mich so weit gesammelt hatte, um in dem Genusse der Gegenwart nicht die Erinnerung an die Vergangenheit zu vergessen, einer Vergangenheit, welche so tragisch in diesen Ruinen gewesen. Das Schloß, wie es heute steht, ist ein Werk Mohamed II. Nur Einzelnes in den Mauern weist noch auf die Zeit als es Cyklobion hieß, und mit den beiden andern kaiserlichen Palästen auf der Seraispitze und im Viertel der Blachernen die Winkel des Dreiecks sperrte, welches Constantinopel bildet. Damals schon diente es nicht als Wohnstätte der Herrscher, sondern eben nur als befestigte Pforte der Stadt; als solche war sie aber unter allen übrigen die vornehmste, der Triumph zog von hier aus nach der Sophien-Kirche und dem kaiserlichen Palaste. Wer die Karte ansieht, der findet, daß heute noch sein Weg erhalten ist. Die Gassen werden damals ziemlich dieselbe Richtung wie heute gehabt haben, und auch ihr äußeres Aussehen kein wesentlich anderes gewesen sein. Sie werden schmal und ungleich sich zwischen niederen verschlossenen Häusern durchgewunden haben und, wenn auch auf langen Strecken von Säulenhallen eingefaßt, im Ganzen doch nicht viel prächtiger erschienen sein als das die heutigen türkischen. Es heißt den Begriffen eine ungebührlich zurückwirkende Kraft geben, wenn man, weil wir das so zur Verschönerung unserer Residenzen verlangen, sich die Städte der Alten mit breiten endlos geraden Straßen vorstellt. Damals verstand man seine Bedürfnisse besser, und so auch noch im Mittelalter. Das sehen wir in Rom und in unseren alten deutschen Kaufmannsstädten, wo die Häuser enge einander gegenüberstehen, daß im Sommer und bei festlichen Gelegenheiten Teppiche dazwischen und über den freien Raum ausgespannt werden konnten. Was in Deutschland gebaut wurde, hatte italienische Muster, und das Alterthum, das den Italienern als Vorbild gedient, hat sich am unverändertsten in der conservativen Luft des Orientes erhalten. Wenn der Triumphzug der griechischen Kaiser von dem Marsfelde durch die goldene Pforte in die Stadt eingetreten war, dann machte er den ersten Halt bei dem Kloster des Studius, der heutigen Mir-Achor Djami. Bis dorthin ging der Kaiser zu Fuße, weil das wunderthätige Bild der wegweisenden Mutter Gottes unmittelbar vor ihm getragen wurde. War er zu Pferde gestiegen, so ordnete sich der Zug neuerdings. Die Soldaten mit den eroberten Trophäen und Gefangenen voran; dahinter der ganze Hofstaat, die Eunuchen darunter, alle in goldenen Kleidern, große Hellebarden in den Händen, der Kaiser in goldenem Waffenrocke, eine dreifache Krone auf dem Haupte und das Scepter in der Hand auf einem prächtigen Pferde, dessen Zaumzeug und Decke mit Juwelen geschmückt waren. Die Glieder der kaiserlichen Familie und die Senatoren schlossen die Procession. Durch die Bäder des Zeuxippus, die zwischen dem Hippodrome und der Sophien-Kirche lagen, zog sie auf das Forum Augusteum; dort in der Mitte desselben unter dem Thorbogen des goldenen Meilenzeigers, wo heute ein Conglomerat schmutziger Häuser steht, stieg das Gefolge des Kaisers von den Pferden, der Kaiser selbst erst an der Seitenthüre der Aja Sophia, durch die er gewöhnlich den Dom betrat. Auch in den ärmsten Zeiten fehlte dieses Ceremoniell und diese Pracht dem Kaiser nicht. Der letzte, der seinen Einzug damit feierte, war der Paleologe Michael, nachdem sein General in der Nacht vorher, vom 24. auf den 25. Juli 1261, die Stadt durch einen kühnen Handstreich den Lateinern abgenommen hatte. Die goldene Pforte scheint ein außerordentlich hohes Thor, oben durch eine Kuppel gedeckt, gewesen zu sein, wohl Babi-Humajun, dem ersten Thore des Serai’s, ähnlich. Die Kuppel wird, wie so viele in Constantinopel, mit goldener Glasmosaik ausgefüttert gewesen sein, daher der glänzende Name. Daß die Pforte schon 989 zugemauert worden sei, um den Lateinern den Einzug zu wehren, glaube ich nicht; es marschirten noch nach diesem Jahre zu viele Triumphzüge hindurch. Jetzt ist sie mit Trümmerresten von byzantinischen Kirchen geschlossen, und mag in der Gestalt, wie sie dasteht, ziemlich das einzige Ueberbleibsel des vormohammedanischen Baues sein. Als wir wieder in den Hof hinabgestiegen waren, fanden wir unseren Kavassen im Streite mit dem Wache habenden türkischen Officier, weil er Fremde ohne Erlaubniß in dieses feste Schloß geführt habe. Daß wir keine bösen Menschen seien, glaubte der Beamte erst, als er einiges von österreichischer Gesandtschaft u. s. w. gehört hatte; dann aber zeigte sich seine Gefälligkeit auch eben so eifrig als es seine Wachsamkeit gewesen. In Winkel und zu Felswänden führte er uns, worin verschiedene Gefangene ihre Namen hatten einmeiseln lassen. Ungarische und venetianische fand ich darunter; die Geschichten, die uns der Türke dazu zum Besten gab, hatten eben so viel Schauriges und Glaubwürdiges als die anderer berühmter Schlösser. Warum die türkische Regierung übrigens dieses durch eine feste Besatzung schützt, ist nicht wohl zu begreifen; zu vertheidigen ist es nicht und zu bewachen ist nicht viel. Wir kehrten auf die Straße außerhalb der Stadtmauern zurück. Der Cypressenhain mit den Gräbern läuft unausgesetzt zur Linken neben der Straße her; dem Thore von Silivri gegenüber bogen wir in denselben ein. Es war Balikli, das griechische Kloster mit den wunderbaren Weißfischen, das wir suchten. Wie sie heute in dem Bassin herumschwimmen, so sollen sie bei der letzten Eroberung der Stadt schon geröstet einem Mönche aus der Pfanne gesprungen sein. Und warum nicht? Der Glaube ist das auf Erden allein entscheidende. Die Griechen halten die Fische und den Ort in hoher Verehrung. An einzelnen Festtagen pilgert alles Volk hierher, und selbst heute fand ich viele Fromme, die ihre Wachskerzleins über dem Becken aufsteckten und dafür von dem heiligen Wasser mit nach Hause nahmen. Die Stiege, die zu einer unterirdischen Kapelle hinabführt, war so damit begossen, daß man Gefahr lief, auf den Marmorstufen auszugleiten. Die große Kirche nebenan hat der Sultan den griechischen Christen gebaut; ich höre, daß er den katholischen einen Friedhof schenken will drüben in Asien bei Skutari. Sind das vielleicht Zeugnisse der Christenverfolgung, von der unsere Zeitungen seit den griechischen Freiheitskriegen so viel zu erzählen wissen? -- Das Innere der Kirche ist in dem überladenen Style einer verkommenen Renaissance ausgeschmückt, der gleich der steifen Haltung ihrer Bilder den Griechen religiöser Typus geworden zu sein scheint; nur daß die Pracht der früheren Mosaiken und Marmortäfelungen nunmehr durch Oelanstrich und ärmliche Vergoldung vorgestellt werden muß. Mit vieler artiger Lebendigkeit machten zwei Geistliche unsere Führer. Auch sie waren Ueberbleibsel einer längst vergangenen Zeit mit ihren langen Bärten, wie man sie im alten Byzanz als elegante Mode getragen hatte. So sehr scheint das ein Kennzeichen des Griechen gewesen zu sein, daß sich die Venetianer einmal bei einer ihrer vielen Fehden mit den Byzantinern das Kinn scheeren ließen, um ja den verhaßten Gegnern in nichts zu gleichen. Es ist übrigens nicht blos dieses äußere Merkmal, was sich an griechischen Geistlichen aus der Vergangenheit erhalten hat. Ihr ganzes Wesen ist starr und unverändert wie der Typus ihrer Heiligenbilder, und so ist es eigentlich das ganze Volk und auch der Glaube, zu dem es sich bekennt. Mehr als von irgend einer Religion gilt von der griechischen, daß sie die eine und dieselbe geblieben sei, vor allem Volksreligion, erst in zweiter Instanz eine christliche. Es war gleich nach den ersten Anfängen, daß sich die Griechen des Christenthums bemächtigten; das läßt die Apostelgeschichte deutlich erkennen. Die Philosophen nahmen es wie alles Neue, das sich ihrem nicht mehr schaffenden, sondern nur noch sammelnden Eifer vorstellte, unter ihre Studien auf, formten und dogmatisirten es und das Volk warf sich ihm in die Arme wie einem Tröster in seiner Armuth und Glaubenslosigkeit. Denn der feste Bund von Brüdern bot ihm Hilfe in seinen wirklichen Leiden, und das mächtige Wort von dem einen und unsichtbaren Gotte, dem einzigen, der sich ihm bisher noch nicht gefühllos gezeigt hatte, versprach ihm Belohnung durch ein anderes besseres Leben. So fest ist der Glaube in die Welt eingepflanzt, daß er nie leichter als in der Zeit völliger Glaubenslosigkeit zu erwecken ist. Immer, und das gilt von dem Einzelnen wie von den Völkern, geht aus dem Zustande des völligsten geistigen Verfalles das wärmste Gottesvertrauen hervor. Die Verfolgungen des Christenthumes, wo sich das Volk daran betheiligte, waren bei den Lateinern viel blutiger als bei den griechisch redenden Römern. Das gab dem Christenthume seine erste Gestalt, und lange ehe es Constantin zur Staatsreligion erhob und dann später das entscheidende Wort der Spaltung ausgesprochen ward, war eine griechische Kirche. Sie war schon eins mit den Sitten geworden und über den ganzen Orient verbreitet. Vielleicht war es das instinctive Errathen dieser Lage, das Constantin, als er die Stärkung seines Thrones im Christenthume suchte, bestimmte, den Sitz seiner Regierung von den sieben Hügeln der Tiber auf die des Bosporus zu verlegen. Rom war schwach und dort opferte man im Senate noch den Göttern; die deutschen Völker standen drohend gegen das Römerthum gekehrt. Was sollten ihm die Einen und die Anderen? Stärke, Reichthum und Blüthe sah er nur im Oriente, und dort war das Christenthum glänzend und herrschend durch den Einfluß des Griechenthums, dem es sich in die Arme geworfen hatte, nicht ärmlich und verachtet wie in Rom, wo es immer noch eine Religion der Dürftigen und Sclaven war. So lösen sich vielleicht die vielen Fragen und das Erstaunen, das bis zur Stunde immer noch diese ungeheure That erregt, die für Jahrhunderte den Lauf der Geschichte rückwärts gewendet und die doch kein deutliches Wort der Zeitgenossen erklärt hat. Die Verlegung der kaiserlichen Residenz von Rom nach Byzanz mußte die Sonderstellung und die Eigenmacht der griechischen Kirche sehr fördern. Es lag das wohl nicht in den Absichten des Kaisers; aber wer den Samen streut, der erntet auch die Frucht. Wie sollten sich die Griechen, den Kaiser in ihrer Mitte, dem römischen Papste unterwerfen, sie, die selbst in den Zeiten ihres tiefsten Falles, als Sulla Athen geplündert hatte, auf die geistigen Arbeiten der Römer als auf Barbarenwerke herabsahen, und die auch später wieder sich als die Lehrer und Bildner des Christenthums rühmen durften? Denn es war in griechischen Redner-Schulen und an der griechischen Literatur, daß sich Hieronymus und Chrysostomus vorwiegend gebildet hatten. Nicht die Dogmen und die Politik schieden die beiden Kirchen zuerst, die geistige Bildung der Völker that es. Als dann die Spaltung entschieden war, vereinigten sich die griechischen Geistlichen nur um so fester mit ihren Pfarrkindern. Sie hatten nicht wie die Päpste über alle Völker der Welt zu verfügen, sie hatten nur das einzige zugleich nationale, welches ihnen zur Obsorge unterstand; von dem schied sie nichts, auch die Sprache ihres Gottesdienstes nicht. Je mehr innere Noth und äußere Feinde sie bedrängten, desto fester knüpfte sich das Band. Der griechische Geistliche wurde der Helfer gegen den feindlichen Soldaten wie gegen den einheimischen Fiskalbeamten, und als dann später ein fremder Glaube und ein fremder Stamm im Lande herrschend wurden, ward der Priester auch der Amtsträger der ehemals kaiserlichen Machtstellung und Gewalt. Allmälig ging beiden die literarische Bildung verloren, die sie einmal in so hohem Grade besessen hatten; aber da es gleichzeitig bei dem Volke und bei seiner Geistlichkeit geschah, trennte sie auch das nicht. Die griechische Kirche hat heute nichts Achtungswerthes und Anziehendes, aber auch das griechische Volk nicht, wenigstens nicht im Vergleiche mit den Mohammedanern, in dem ich sie hier beständig sehe. Indessen glaube ich nicht, daß das die Folge eines fortwirkenden Verfalles, einer stätigen Degenerirung sei; ich glaube, daß Volk und Kirche gleich bei ihren Anfängen dasselbe waren, was sie heute sind, und halte es für einen großen Irrthum, auf die entgegengesetzten Anschauungen, wie das im Abendlande zuweilen geschieht, die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung zu gründen. Vor den Mauern des Klosters ist ein armenischer Friedhof. Statt der Cypressen, die auf den türkischen Friedhöfen sind, stehen Platanen und Maulbeerbäume darauf. Die Grüfte sind durch große Steinplatten geschlossen. Zwei Löcher in jeder derselben sammeln das Regenwasser für die Vögel. Ein Caffegi hatte mitten unter den Gräbern seine Wirthschaft aufgeschlagen; Schalen und Pfeifen fanden wir schon für uns vorgerichtet. Nackte Kinder und wilde Hunde drängten sich zu, von dem Zuckerwerke und dem Brode zu naschen, das wir den umstehenden Händlern abkauften. Das Brod ist in großen kreisrunden Reifen gebacken, als Zöpfe geflochten, reich mit Sesam bestreut. Ich fand es gut und wohlfeil. Der weitere Ritt um die Mauern ward immer schöner. Es kömmt eine Stelle, wo man den Hügel hinauf muß und von oben herab eine Moschee mit ihrer Kuppel und dem Minarete über die Mauern heraussieht, die ein fertiges Bild für den Maler bietet. Die Mauern sind dreifache, jede innere höher als die davorliegende; durch runde und eckige Thürme, Bogengänge und Fensternischen, und jetzt auch durch die Breschen der Zeit sind sie vielfältig unterbrochen. Nicht nur Schlingpflanzen, Jahrhundert alte Bäume haben darin Wurzel gefaßt und stehen an einzelnen Stellen so dicht, daß die Stadt und alles Mauerwerk dahinter verborgen bleibt. Ziegen, Schafe und andere Hausthiere weiden friedlich dazwischen und steigen die herabgestürzten Mauerblöcke hinauf, als seien es grüne Hügel wie die draußen im freien Lande. Ab und zu lagern ein paar Hirten, meistens kleine Buben, so daß alles zur Ländlichkeit stimmt. Der Graben vor den Mauern, der nie sehr tief gewesen sein kann, ist an einzelnen Stellen durch Gartenanlagen ausgefüllt. Der Gräberhain zur Linken der Straße zeigte dunkle, schattige Tiefen. Jeder Schritt wechselte die Bilder, und beinahe jedes verdiente die Hand eines geübten Künstlers. Ich kenne wenige Wege, welche stimmungsvoller sind, Stimmungen die traurig und düster waren, denn Gräber liegen ja rechts und links von dem Wanderer. Darüber leuchtete die Sonne des Orients, hell und warm wie sie das hier um die Mittagszeit nicht anders kann. Die Mauer dem Hafen entlang ist nur schwach und einfach, wie denn dort auch die Stadt am öftesten erobert wurde. Ich bemerkte viele Inschriften und häufig den byzantinischen Adler, dieses sonderbare Wappen, das sich die Griechen ähnlich ihren Heiligenbildern durch Entstellung der Natur geschaffen hatten. Erstaunlich ist mir, daß bisher so Weniges von den Inschriften und Denkmälern dieser Stadt gesammelt und veröffentlicht worden ist; für die Geschichte dürfte Manches wichtig wie das zu Rom Gefundene sein. Im Augenblicke finde ich Professor Dethier, Lehrer an der österreichischen Schule, und Nordtmann, den Chronisten der Einnahme Constantinopels, mit dem Sammeln beschäftigt. Constantinopel, den 8. Juni. Erwartungsvoll, wie man jedem ersten Anblicke des Größten und Schönsten, dem Meere und den Alpen, der Sixtina des Rafael und der Venus von Milo gegenüber tritt, ritt ich heute hinüber nach der Sophienmoschee. „Gott hat sie gegründet, und sie wird nicht erschüttert werden; Gott wird ihr beistehen im Morgenroth!“ hat ihr Justinian in die Ziegel brennen lassen, und die Sage bestätigt, daß statt des Teufels, der sonst bei übermenschlichen Bauten geholfen, der Christengott selbst gekommen sei und den Bauplan vorgezeichnet habe. So ist von allem Anfange an eine Geschichte, ehrfurchtgebietender als die jedes anderen Baues, an diese Mauern geheftet. Es ist überhaupt bemerkenswerth wie viel von dem Leben eines Volkes in seinen Kirchen spielt; so recht ein Zeugniß für die Allgiltigkeit des Gebetes. Man hatte mir immer erzählt, daß die Marcus-Kirche zu Venedig nur eine Wiederholung im Kleinen der großen Sophien-Kirche sei. Da ich das nun nicht fand, warf diese Ueberraschung zuerst meine Sammlung aus dem Sattel. Nichts hinderlicheres als Vorurtheile. Wäre ich unbefangen gekommen, so würde ich schnell die Grundzüge des Planes aufgenommen haben, so verlor ich damit viel Zeit. Vor der ganzen Breite des Innenraumes liegen zwei Gänge, die Vorhallen, wie sie in jenen Zeiten allen Kirchen zum Aufenthalte für die noch unwürdigen Christen nothwendig waren; der erste ist schmucklos, der zweite mit Marmor getäfelt. Aber auch dieser hat etwas Leeres und Langweiliges und beinahe Unförmliches in seiner unverhältnißmäßigen Länge, welche die Breite nicht zur Geltung kommen läßt. 16 Thüren sind die einzige künstlerische Ausschmückung und Unterbrechung der einförmigen Wände. Die Pforten mahnen durch ihre gegen oben verengte Oeffnung an ägyptische und durch die einfache Cannelirung ihrer Thürstöcke an griechische Bildung. Wirklich reicht das eine wie das andere aus jener früheren Zeit herüber und ist in Constantinopel wieder typisch feststehend geworden. An öffentlichen Gebäuden wenigstens scheinen so die Pforten hier in byzantinischer Zeit immer gestaltet worden zu sein. Wer unbefangen sieht, muß diese Form als die wohlgefälligste anerkennen, wie sie auch die natürliche ist. In den Flügeln der neun Thüren von der Vorhalle nach dem Inneren der Kirche sah ich noch das gleichschenklige griechische Kreuz in dem Erze erhalten; durch die mittlere trat ich ein. Was mich nun da am meisten überraschte, war das Fehlen jedes kirchlichen Eindruckes, und es sind nicht die Mohammedaner, die das verschulden. Außer einigen großen Schriftzügen, die sie oben in der Kuppel angeheftet, haben sie nicht viel verändert. Nein es liegt in der ursprünglichen Anlage des Baues. Bis auf die bei solchen Dimensionen verschwindende Differenz von 25 Fuß, welche die Länge mehr als die Breite mißt, ist er viereckig; der Eindruck der weihevollen Tiefe fehlt. Auch die im Verhältnisse zum Ganzen nur kleine Apsis kann den nicht geben. Sie zeigt eher wie wenig tauglich ihrem Zwecke diese Bauform ist. Ein unentbehrliches Hilfsmittel des Gottesdienstes ist sie, bei der Basilika entlehnt, ganz willkürlich der einen Flachwand des vierseitigen Kuppelraumes zugeflickt. Zugleich mit diesem Mißbehagen fühlte ich mich enttäuscht, das Innere der Kirche nicht so groß wie den Eindruck des Aeußern zu finden. Man muß erst auf den oberen Galerien stehen und von dort herab die Menschen klein zu Pigmäen zusammenschrumpfen und über sich noch immer weit und hoch die Wölbung gehoben sehen, um den ganzen Inhalt des Raumes zu begreifen. Es ist nicht das Gefühl, das ihn findet, der Verstand muß ihn erst messen. So ist es mit allem Unmäßigen und das die Strafe für die Anmaßung; wer sich selbst erhöhet, wird erniedrigt werden! Die kleinen griechischen Tempel erscheinen anders, größer als sie wirklich sind. Und ist diese Verschiedenartigkeit der Wirkung nicht auch ein Hinweis auf die Grenzen, welche dem menschlichen Können gesteckt sind? Wo es sich bescheidet und bei dem ihm Zustehenden bleibt, da wird es das Angestrebte übertreffen; wo es das Unbändige will, gar oft nur das Mittelmäßige erreichen. Man soll wohl bei seinem Schaffen große Vorbilder haben, aber es ist unklug sie durchscheinen zu lassen. Das fordert zu nachtheiligen Vergleichungen heraus; so hier bei der Aja Sophia, wo das Vorbild des Himmelsgewölbes unverkennbar ist. Die Kuppel ist flach, sie steigt nur an ihrem Horizonte etwas auf; kein Tambour trägt sie, und kein Mittelpunkt verliert sich in entfernteres geheimnißvolles Dunkel; 40 Fenster sind in sie eingeschnitten. Vier Rundbogen, von machtvollen Pfeilern gestützt, tragen sie. Auf den Seiten sind diese Bogen ausgefüllt, nach vorne und nach hinten, dort wo die Apsis und der Eingang liegen, offen. Je eine niedrigere Halbkuppel und um diese gereiht je drei kleinere Vollkuppeln decken dort die Räume, und vier andere schwächere Pfeiler tragen diese Decken. Säulen von Verde antico, von Porphyr, Marmor und Granit helfen mit bei diesem Geschäfte in einem Ueberfluß der Dienste, denn hundert sind im unteren Raume, sechzig oben auf den Galerien vertheilt. Das Centrale des Kuppelbaues tritt in allem hervor; unter den Kernpunkt des großen Kreises ist das hauptsächliche Viereck und unter kleinere Kreise sind die Details des Nebensächlichen gelegt. Diese flache, nieder gewölbte Kuppel ist die wesentliche Erfindung der byzantinischen Kunst. Von ihr übernahmen sie die Araber, durch Gewohnheit und durch den Koran darauf vorbereitet. Ihr Wanderleben hatte keine andere Decke als das Firmament gekannt, und der Prophet ihnen gesagt: „daß Gott ihnen zum Teppiche die Erde und den Himmel zum Gewölbe ausgebreitet.“ Wo sie dann höher und enger gebildet worden, wie in Aegypten bei den Mameluken und auch in unseren sogenannten romanischen Domen, da geschah das durch eine Ausartung des ursprünglichen Gedankens. Die oberen Wände der Aja Sophia sind mit Mosaikbildern verkleidet. An einzelnen Stellen leuchten sie unter der Tünche hervor, welche die Türken darüber gestrichen. So am deutlichsten das Muttergottesbild mit dem Kinde zwischen den Knieen auf dem Hintergrunde der Apsis. Wenn die Sonnenstrahlen darüber zittern ist es, als träte eine übernatürliche Erscheinung, so recht also das, was es vorstellen soll, aus Nebeln heraus; in dem Wechsel des Schattens und Lichtes scheint das Bild lebendig und bewegt. Die Rechte des Kindes ist aufgehoben, ich weiß nicht ob zur Drohung oder um Zeugniß zu geben; die Gestalt weiß bekleidet, die Gesichtszüge sind furchtbar ernst. Ich habe nie etwas Wirkliches gesehen, das einem Traumbilde ähnlicher gewesen wäre. So muß Christus dem Kaiser Constantin erschienen sein, nur milder, nicht so gewaltthätig drohend, ein Heiland, was er ihm ja sein wollte und ward. Mir war, als grolle er mit der erhobenen Hand und mit den großen Augen zu den Türken hinab, die dort unter der Mittelkuppel der Moschee im Kreise um einen Ausleger des Korans gereiht lagen. Nicht lauter als ferner Wellenschlag drang das Wort des fremden Lehrers zu unseren Ohren; aber es klang doch eben genug, um die Mahnung an den Wechsel der Dinge nicht zu überhören. Wäre ich Sultan, dieses Rachegespenst dürfte nicht so fortwährend vor meinen Augen bleiben. Uebrigens muß die Wirkung dieses Bildes immer eine außerordentliche gewesen sein. Sie liegt schon in der Concipirung der übermenschlichen Gestalten. Die byzantinische Kunst hat ihre Heiligenbilder nach ganz eigenthümlichen Gesetzen gezeichnet. Sie durften nicht mehr wie die Götter der Griechen und Römer menschenähnlich sein, sie mußten eher wie die der alten Aegyptier etwas Menschenfeindliches haben. Ich glaube nicht, daß das, wie man gewöhnlich behauptet, nur Folge technischen Unvermögens gewesen, ich glaube, daß es so vom Anfang an in der Absicht gelegen. Lange hatte das Christenthum nichts als symbolische Zeichen für seinen Gott gehabt; als man es endlich wagte, sich von ihm ein körperliches Bild zu formen, suchte man es gleich von den lebenswahren Darstellungen der Heiden zu unterscheiden. Daher denn diese unmöglichen Gestalten, die eher wie Schemen zu einem erst zu erschaffenden Menschen, als wie Abbilder des fleischgewordenen Christus und seiner Mutter Maria erscheinen. Dem Volke aber stellte man sie gerade als solche -- ~vera icon~ -- vor, um ihnen größere Achtung und längere Verehrung zu sichern. Und wirklich, so wie er hier in der Aja Sophia hingezeichnet ist, lebt der Erlöser in der Phantasie jedes Griechen fort. Es hat dieses unabänderliche Festhalten eines Götterbildes viel für sich; wie bei den Dogmen schützt es vor manchen Verirrungen. Wir sehen an den Werken einer späteren Kunstthätigkeit, daß in Griechenland und Aegypten dasselbe zur Rettung der Religion versucht ward. Und die Bestrebungen unserer Schule der Nazarener, Overbeck und Veit, wollen sie Anderes? Das Abendland, das seine Kunst von diesem religiösen Zwange emancipirt hat, müßte den ersten Bekennern des Christenthumes weit heidnischer als das heutige Morgenland erscheinen. Das Wesentliche dabei ist, daß das Heidenthum tief dem menschlichen Fleische eingeboren ist, und daß alle Völker, die hochgebildeten Aegyptier wie die wilden Indianer in Mexiko, mit dem Glauben an den einen Gott begonnen und mit der Vielgötterei geendigt haben; eine Entwicklung, der überall die religiösen Bilder behilflich waren. Das christliche Constantinopel hatte einen Cultus der Vielgötterei so ausschweifend, als ihn nur Rom in den Tagen seiner tiefsten Verkommenheit gehabt. Nicht genug, daß eine wegweisende und eine stadtbeschützende Mutter Gottes und jede mit ihrem besonderen Publicum und ihren eigenthümlichen Wunderthaten da war, man verehrte auch Götterbilder aus der früheren Zeit des Heidenthumes. Die Statue des Glückes der Stadt stand in mannigfaltigen Abbildungen auf den öffentlichen Plätzen, bewahrt und mißhandelt von dem Aberglauben der Bürger, je nachdem sie sich ihren Schicksalen günstig oder ungünstig zeigte. So fest haftete die alte Gewohnheit, daß noch im 15. Jahrhundert ein ausgezeichneter Bürger ~diis divus~, göttlich unter den Göttern, genannt ward. Der Stein, der diese Inschrift trägt, ist mit der Jahreszahl 1446 an einem Thore von Galata eingemauert. Kann man solchen Beispielen gegenüber das Verbot, welches der Koran gegen die Bilder gesetzt hat, tadeln und es unverzeihlich finden, daß die Türken die Mosaikbilder der Aja Sophia übertüncht haben? Gewiß, diese Enthaltsamkeit ist ihnen kein geringeres Opfer, als es uns das wäre, die vier Wände unserer Stuben nackt und bilderlos zu lassen. Um das Aeußere der Moschee liegen auf drei Seiten Höfe; frei ist sie nur auf der vierten, in welcher die Apsis steht, und die dem Seraiplatze zugekehrt ist. Der Erdboden rings herum ist wenigstens um zwei Klafter höher als der marmorne des Inneren. Das zeigt sichtbar genug, wie hoch der Schutt über dem alten Constantinopel gehäuft liegt. Wie vieles mag darin noch begraben sein, hoffentlich wie andere Todte zu künftiger Auferstehung. Säulenschäfte und breite Capitäle ragen daraus hervor, die heute den Obst- und Tespiehhändlern zu Tischen für ihre Waaren dienen. So wachsen aus Trümmern die Berge wieder auf. In dem Hofe zur Linken, dem nordöstlichen, steht ein Grabmal, das die Gebeine Mustapha I. und des Sultans Ibrahim bewahrt; schönere Grabcapellen stehen in dem rechtsseitigen Hofe, dem südwestlichen. Sie sind aus Marmor gebaut und ihr Inneres reich mit bunten Porzellantafeln und edlen Steinen verkleidet. Blasse Rosen in mattblauem Grunde ist die Zeichnung, die am häufigsten vorkömmt. Kostbare Teppiche decken den Boden und persische Shawls die Grabhügel. Alle Mausoleen standen offen, und in den säulengetragenen Portiken saßen Beter, die zum Heile der Todten in dem Koran lasen, denn der Mohammedaner glaubt wie wir und übt diesen Glauben sogar in einem weit reichlicheren Maße, daß man den Todten die ewige Seligkeit durch die Fürbitte des Gebetes erkaufen oder vergolden könne. Große Maulbeerbäume stehen um die Capellen herum und trennen mit schattiger Abgeschiedenheit den Ort von der Straße, die sich draußen so nahe und so lärmend zudrängt. Selim II., Murad III., Mohammed III. und neben ihm seine 17 Brüder, die er selber hatte hinrichten lassen, sind es, die hier bestattet liegen. Der eigentliche Vorhof, schon in griechischer Zeit das Proauleion, der Harem der Mohammedaner, ist vor dem Haupteingange auf der West-Nord-Westseite. Von alten Holzhäusern umgeben, voll Gerümpel, verkümmerter Bäume und ärmlichen Gemüsepflanzungen, macht er den Eindruck des Verfalles und der Vernachlässigung. Nichts als ein kleines verstecktes Holzpförtchen führt zu ihm. Ich ließ mich auf einem alten Marmorblocke nieder, mit den Karten und der Magnetnadel die Lage der Aja Sophia zu bestimmen. Bald sah ich mich von einem schaulustigen Publicum, Diener, die zur Moschee gehören, umrungen. Eine Weile schauten sie mir schweigend zu; dann, als sie wohl das Verständniß der Karten gelernt hatten, begehrten sie, daß ich ihnen die kaiserliche Moscheen und Serais darauf zeige. Daß die Aja Sophia doch die schönste unter Allen sei, war der Schluß jeder ihrer Reden; mir vergalten sie die kleine Gefälligkeit mit schwarzem Caffee. So finde ich das Volk überall dankbar und freundlich. Die Lage der Aja Sophia glaube ich auf den Karten irrthümlich gezeichnet; die Handbücher verlegen, selbst wenn ihre Verfasser das Richtige wußten, der Kürze wegen den Haupteingang gegen Westen, die Apsis gegen Osten, die beiden Flügelseiten gegen Süden und Norden. Statt dessen durchschneidet die Magnetnadel als Diagonale das ganze Quadrat, so daß der Haupteingang West-Nord-West, die Apsis Ost-Süd-Ost, die linke Seite Nord-Ost-Nord und die rechte Seite Süd-West-Süd liegt. Die beste künstlerische Schilderung des Baues hat Salzenberg geliefert. Was Hammer darüber gibt, ist mit so vielen handgreiflichen Unwahrheiten vermischt, daß mir auch das rein Geschichtliche verdächtig geworden ist. Kugler bringt nicht mehr als klingende Phrasen, weil ihm die eigene Anschauung fehlte; sehen ist aber zum Urtheile über architektonische Kunstwerke nothwendig wie das Hören bei der Musik. Bei beiden Künsten ist die Stimmung der vom Künstler beabsichtigte Erfolg; die aber empfinden wir bei beiden nur dann, wenn Mauern und Säulen um uns aufragen und die Töne uns im Ohre liegen. Constantinopel, den 9. Juni. Ich setzte die Wanderung nach und durch die Moscheen fort. Die Achmedjie hatte ich bisher nur von Außen gesehen. Weithin auf das Marmora-Meer leuchten ihre Minarete, und die Bäume ihres Vorhofes beschatten den Schutt auf dem ehemaligen Hippodrome. Einen kleineren Hof vor dem Haupteingange umschließen hohe Säulenhallen. Ihre breiten Spitzbogen sind nach der Mitte des Vierecks geöffnet, wo unter säulengetragener Kuppel der schönste aller Moscheenbrunnen steht. Die Säulen der umliegenden Hallen sind aus dunklem Steine, die Capitäle aus weißem Marmor stalaktitartig gebildet. Solche hallenumschlossene Vorhöfe haben alle größeren Moscheen; sie sind eine edle Eigenthümlichkeit des orientalischen Kirchenthums. Ihre stille Abgeschiedenheit trennt und vermittelt zugleich den Uebergang von dem geschäftigen Lärm der Gasse zu der Insichgezogenheit des Gebetes. Die Waschung, die der Gläubige darin vornimmt, ist nur ein sinnliches Zeichen der Läuterung, die seine Seele reinigen soll. In vervollkommneter Gestalt sind sie ein Ueberbleibsel aus jener früheren Nomadenzeit, als der Tempel nur ein tragbares Zelt und Keinem zugänglich war als dem dienstthuenden Priester. Alle Völker haben dieses Entwicklungsstadium durchgemacht und so auch alle Religionen. Der conservative Orient allein hat die Spuren davon festgehalten. Im Inneren der Achmedjie sind das Auffälligste die vier kolossalen Säulen, 36 Ellen im Umkreise, wohl die umfangreichsten der Welt. Wie viel sie auch zu sein affectiren, sie +sind+ im Grunde doch nur maskirte Pfeiler. „Setz’ deinen Fuß auf ellenhohe Socken, du bleibst doch immer was du bist!“ Auch sie zeigen mir wieder, wie feindlich jeder künstlerischen Wirkung das Unmäßige ist. Die schöne Form der Säule ist in dieser Uebertreibung degradirt, und statt zu heben und zu steigen, lastet und erniedrigt sie. Die Decke bildet eine Gruppe von Kuppeln; in der Mitte eine größere, um sie vier Halbkuppeln und in den freigebliebenen Ecken des Quadrates vier kleinere Vollkuppeln. Auch an den Innenwänden laufen Bogengänge herum, nur die eine, dem Haupteingange gegenüber, wo der Mihrab steht, ist frei davon geblieben. In mehreren Reihen über einander sind dort Fenster in die kahle Wand geschnitten, die geben dem Raume allzuviel Licht; den Kuppeln fehlt dadurch der rechte Effect, den ihr oberirdisches Licht in das unterirdische Dunkel bringen sollte. Auch tritt durch diese Erhellung die gegenüberliegende Wand dem Eintretenden noch näher, als sie dieses wirklich schon ist; das Quadrat des Baues dehnt sich in die Breite, und jeder Eindruck der Tiefe fehlt. Vom At-Meidan führt eine von Buden eingefaßte und von Menschen voll gedrängte Gasse nach dem Eski-Serai, dem alten, d. i. dem ersten Schlosse, welches sich die türkischen Herrscher hier gebaut haben. Aus einem gelbangestrichenen Wachthause dieser Gasse ragt die verbraunte Säule auf; von Feuersbrünsten verkohlt ist der Porphyr beinahe schwarz geworden. Dort, wo die einzelnen Blöcke aufeinander aufliegen, sind Lorbeerkränze um den Schaft gelegt, um die Fügungen zu verkleiden. Einmal standen solcher Blöcke mehr als zu dem Doppelten der heutigen Höhe übereinander, und doch ragt sie immer noch über alles Andere hinaus, auf das Meer und in das Land weithin sichtbar. Auch der große Platz vor dem Eski-Serai ist von Buden umsäumt und von Handel treibendem Volke gefüllt. Da der Besestan (der Bazar) mit seinem großartigen Verkehrsleben daran grenzt, ist die Bajasid-Moschee, welche hier steht, die besuchteste unter allen. Der Sohn und ebenbürtige Nachfolger des Eroberers hat sie gebaut; das Volk aber nennt sie Taubenmoschee, weil in ihrem Vorhofe hunderte von diesen Thieren durch eine fromme Stiftung erhalten werden. Hohe Thore erschließen diesen Vorhof. Er ist nur klein; nicht mehr als drei säulengetragene Bogen zäunen jede Seite ein, aber in dem engeren Raum erscheinen sie nur um so kühner und höher gehoben, wie die Bäume, die um den Brunnen herum stehen. Der einen Cypresse, vom Blitze getroffen, ist nichts Lebendiges am verknorpelten Stumpfe geblieben als ein einziger Zweig; der ist wieder so groß geworden, daß auch er über Mauern und Kuppeln hinaussieht. Mehr Schatten als das Laub dieser Bäume geben die Strohdecken und Leinwandfetzen, welche die Verkäufer von Tespiehs, Büchern und anderen frommen Waaren gegen die Tauben ausgespannt haben. Ueber Stricke und Latten sind sie von einem Aste zum anderen gelegt; durch die Löcher brechen Lichter durch, warm und farbig, die das Bild für den Maler noch tauglicher machen. Staffagen sind die Käufer und Verkäufer, Männer und Weiber, die meisten im alttürkischen Kleide, die dort handeln und sich eilig durchdrängen, oder auch stumm zuschauend mit untergeschlagenen Füßen auf den Stufen der hohen Säulenhallen sitzen. Auch im Innern beschäftigte ich mich hier mehr mit dem Publikum als mit der Betrachtung des Baues. Die Moschee war mit Andächtigen gefüllt. In kleinen Kreisen lagen sie um die Ausleger des Korans herum. Die saßen auf atlassenen Pfühlen, Pergamentblätter des heiligen Buches auf niederen, kostbar mit Elfenbein und Perlmutter ausgelegten Schemeln vor sich. Ihr Vortrag war frei und so laut, daß mir Einer den Andern unverständlich zu machen schien, und das Geschrei Aller betäubend von den Wölbungen bis in die zurückgezogensten Winkel wiederklang. Weniger gebildete Gläubige, gemeine Soldaten und andere Leute der untersten Stände, traten dazwischen um ihre Gebete zu verrichten. Sie blieben wie der Zöllner im Evangelium am Eingange stehen, kreuzten die Arme über der Brust, breiteten sie dem Himmel entgegen und warfen sich auf den Boden nieder seinen Staub zu küssen. Nur in den Seitengängen, die sich rechts und links weit in die Nebenräume ausdehnen, war es einsam und stiller. Der Mittelbau ist durch eine Voll- und zwei Halbkuppeln der Länge nach gedeckt. Dadurch erscheint er tiefer als die anderen Moscheen. Was mich besonders erfreute, war die große Reinlichkeit trotz der Menge der Besucher. In den nächsten Gassen traf ich reges Treiben der offenen Kaufläden und breitkronige Bäume, die über die Garten- und Friedhofsmauern heraushängen; die sonderbarst verzweigte Platane vor der Schah-Sadeh Djami. Aus niederem Klotze streben wie Arme, die im Ellenbogen gebogen sind, zwei mächtige Stämme auseinander. Ein Zaun, der darum gelegt ist, beweist, daß auch Andere den Baum bewundern. Der Baumeister Sinan, der geschickteste, den die Türken hatten, baute diese Moschee. Zwei Söhne begrub der gewaltige Sultan Suleiman in dem Garten hinter der Moschee; daher ihr Name, die Moschee der Prinzen. Im Innern liegen um die Hauptkuppel vier Halbkuppeln, aus welchen wieder ein System von je drei kleineren Halbkuppeln herauswächst, deren mittlere indessen nur über dem Haupteingange ausgeführt ist, über den drei anderen Seiten in flachen Wänden abbricht. In den vier Ecken wie gewöhnlich vier kleinere Vollkuppeln. Vier Hauptpfeiler stützen dieses Gewölbe, in den Ecken auch noch Säulen. Die Moschee ist dunkler als andere; das schien sie mir auszuzeichnen. Aber auch bei dieser ist es das Aeußere, das mir am besten gefällt. Dort sind die Seitenwände nicht wie an den anderen gewöhnlich durch zweistöckige Galerien, sondern durch Bogen, die hoch und schlank vom Boden bis zum Dache reichen, verkleidet. So stehen ihrer neun auf jeder Seite, oben spitz zulaufend, auf zierlichen Säulen. Je zwei sind durch Mauerfelder von der nächsten Gruppe geschieden, und der mittelste ist erhöht, daß die Stufen unter ihm hinaufsteigen können und der Eingang gleich erkennbar sei. Diese Ordnung gibt dem Baue etwas Aufstrebendes, während die zweistöckige Bogenstellung bei aller Zierlichkeit in die Breite zieht und erniedrigt. Aus dem Thale, in dem Schah-Sadeh Djami geborgen liegt, ritten wir durch geradlinige Gassen über die Rücken der Hügel der Wasserleitung entlang. Rechts in den Seitengassen sahen wir ihre tropfenden Bogen, hinter uns aber das Meer und die Inseln, denn zu solchem Ueberblicke steigt die Straße auf bis zur Moschee Mohammed II. des Eroberers, die herrschend über der Stadt thront, wie das Geschlecht ihres Erbauers über den Völkern des alten Griechenreiches. Schon die Lage des Ortes verräth, daß hier immer bedeutungsvolle Denkmäler gestanden haben müssen, und die Geschichte erzählt, daß hier schon Constantin den zwölf Aposteln eine Kirche und sich das Grab gebaut hatte. Zweihundert Jahre später erneuerte die Kaiserin Theodora, die lüderliche Gemahlin des großen Justinian, den Bau. Auch ihr halfen dabei wie dem Kaiser bei der Sophien-Kirche Traumbilder und himmlische Erscheinungen. Am 28. Juni 550 konnte die neue Apostelkirche eingeweiht werden. Lange ruhten die griechischen Kaiser in ihren Grüften und neben Julian Apostata der heilige Gregor von Nazian, bis sie die Lateiner, die christlichen Kreuzfahrer, aufweckten. Sie erbrachen die Sarkophage und streuten die geplünderten Gebeine in die Luft. Das Volk der Franken war eben damals schon bemüht, in derselben Weise wie es heute Nanking und Peking zerstörte, die Civilisation nach dem Osten zu tragen. Auf der Stelle baute dann Mohammed seine Moschee, aber etwas nördlicher als die Kirche. Ein Grieche, Christodulos, war sein Baumeister dabei, und erhielt als Lohn das Eigenthum einer ganzen Gasse geschenkt. Sonderbar, daß trotz solcher Gegenbeweise die Erzählungen von der Unduldsamkeit dieses Eroberers entstehen und fortwährenden Glauben finden konnten. Im Vorhofe ist auf der Seite des Einganges zu dem Innern der Moschee der Säulengang höher als vor den drei übrigen Wänden; das stört, wo die Bogen in den Ecken zusammentreffen, die Harmonie des Baues. Das Innere finde ich durch Tünche und Malerei entstellt, gerade so geschmacklos in den Zeichnungen und eintönig in den Farben, wie ich es in Brussa an der großen Moschee so sehr getadelt habe. Die Mittelkuppel ruht auf vier Pfeilern; auf jeder der vier Seiten sind drei Halbkuppeln um sie gelegt; die vier Ecken des Baues, welche dabei noch übrig bleiben, sind durch besondere kleinere Vollkuppeln gedeckt. Von Außen gesehen steigt dieses System kleiner und niederer Kuppeln zu größeren und höheren auf, wie ein Gebirge von seinen vorliegenden Hügeln. Ein ungeheurer freier Platz breitet sich darum aus; das ist die Ebene, die zu den Gebirgen hinführt. Der Boden ist ihm durch mächtige Unterbauten gesichert, Quaderfügungen, die vielleicht nach dem Muster der Fundamentirung des Hippodroms gebaut worden sind. Alte Bäume wurzeln darin. Unter ihrem Schatten hatten einige Verkäufer von türkischem Schreibzeug auf verwahrlosten Säulenknäufen die Rohrfedern, Pergamentblätter und das übrige Studirmaterial zum Ankaufe für die Studenten der umliegenden gelehrten Stiftungen ausgebreitet. Solche Schulen, Armenküchen, Spitäler, Brunnen und andere Stiftungsgebäude, alle gleichförmig und mit bleiernen Kuppeln gedeckt, bilden eine weitere, die äußerste Schutzwehr um die Moscheen. Auf der einen Seite schaut das Auge über sie weg weit in die Tiefe und in die Ferne hinein; die Häuser der Stadt und der Hafen liegen dort, und darüber hinaus der Bosporus und die Berge des pontischen Asiens. Solch’ ein Bild stellt uns die würdigsten Gedanken vor die Seele und ist die tauglichste Vorbereitung zu dem Eintritte in das Gotteshaus, daß sich der Hochmuth niederwerfe vor der göttlichen Herrlichkeit, die so viel erschaffen konnte. Ebenso günstig hat auch Suleiman seine Moschee gestellt. Länger als eine Stunde saß ich vor ihr auf dem niederen Mauersockel, der den Platz an dem Abfalle des Hügels umzäunt, rücksichtslos für die Pracht des Baues hinter mir, das Auge und die Gedanken nur auf das Leben in der Stadt und im Hafen drunten und auf das wechselnde Spiel der Lichter gerichtet. Es war schon Abend und der Verkehr darum im goldenen Horne und im Bosporus am regsten. Ganze Gewölke von Dampf legten sich aus den Rauchfängen der ab- und zugehenden Dampfer momentan über die Landschaft; ein scheidender Sonnenstrahl färbte sie glühend purpurn und dann im Verblassen dunkelblau, bis sie der Abendwind auseinander jagte, noch ehe ihr angebornes Grau sichtbar werden konnte. Der Spiegel des Wassers, der am längsten das Licht festhielt, erschien jedesmal nach solcher Entschleierung nur um so strahlender. Kein Laut drang herauf. Wer die Augen schloß oder im Denken das Sehen vergaß, konnte mitten im Herzen der ungeheuren Stadt sich in die stille Einsamkeit einer Wüste versetzt glauben, und wie auf den hohen Bergen kam auch hier jene Vorahnung von der sorgenlosen Betrachtung aus einer anderen Welt auf die hier unten über mich. Zuletzt fühlte ich mich wie die Geister-Erscheinungen in den Raimund’schen Zauberspielen, die bequem in ihren Wolkensitzen über die untergeordnete Erde wegschweben. Man braucht eben nur einen Augenblick außerhalb der Welt zu stehen, sich ganz in sich selbst zurückzuziehen, um mit der Gleichgiltigkeit auch das Bewußtsein der Herrschaft über sie in sich erwachen zu fühlen; ein deutliches Zeichen von der höheren Art des Geistes und von dem Vorübergehen seiner irdischen Verbindungen. Der Erde gehört nur, was der Tod ihr läßt: der Körper, diese wandelbare Hülle. Zwischen dem Vorhofe und dem Friedhofe steht die Sulimanjie, frei auf dem freien Platze, kein Haus und keine Bude, die ihr wie bei unseren Kirchen den Zugang und das Licht verstellen. Diese Freiheit weiß der Mohammedaner, seinen Gotteshäusern auch in den beengtesten Stadttheilen zu bewahren. Das Thor zu dem Vorhofe steigt hoch und gewaltig zwischen den festen Umfassungsmauern auf, als solle es eine Festung vertheidigen. Eine Nische, stalaktitartig gebildet, wölbt sich über dem Thorwege und feine Schriftzüge und Arabesken sind in die Stirnkrone darüber damascirt. Drei Stockwerke hoch ist die Thormauer und neben der Thüre setzt sie sich in dieser Höhe noch zwei Fenster breit fort. Dann fällt sie ab und hat zur weiteren Umfassung des Vorhofes nur mehr die Höhe von zwei Stockwerken. Die oberen Fenster sind blind, die unteren allein offen, aber stark vergittert. Die beiden Seitenfronten der Moschee gehören als Ganzes und durch ihre Details zu dem Schönsten der mohammedanischen Baukunst. In zwei Stockwerken stehen Spitzbogen übereinander, im oberen sechzehn kleinere, alle gleichförmig, im unteren neun, von diesen jedoch zwei viel niedriger und schmäler als die sieben übrigen, so daß die drei mittleren von zwei Endgruppen gesondert sind. Auch die Farben der Marmorsäulen helfen bei dieser Abtheilung. Hinter den Bogen laufen breite offene Gänge her. Der Eindruck mahnte mich an das, was ich in Venedig gesehen, geradezu der Dogenpalast fiel mir ein. Am hinteren Ende des Gebäudes, wo sich der Friedhof anschließt, wechselt diese zweistöckige Bogenstellung mit einer einfachen ab. Es sind drei große Spitzbogen von zwei Säulen getragen, durchbrochene Marmorbalustraden dazwischen, unter denen sieben Stufen zu Nebeneingängen in die Moschee hinauf führen. Wie Bruchstücke aus den Seitenansichten der Schah-Sadeh Djami entlehnt, so erscheinen diese reizenden Loggien. Und wirklich hat derselbe Meister beide Moscheen gebaut. Sinan begann die Suleimanjie zwei Jahre nach jener im Jahre 1550 und vollendete sie schon im Jahre 1555. Von dem Inneren behauptet man, daß es, nach dem Muster der Aja Sophia gebaut, die Absicht diese zu übertreffen erreicht habe. Ich sehe wohl die Nachbildung, aber nicht, daß das Muster übertroffen worden. Vier starke Pfeiler tragen wie in der Aja Sophia die Decke und zwischen ihnen auf beiden Seiten je zwei Säulen die obere Galerie. Auch das Gewölbe ist wie dort ein System von Halb- und Vollkuppeln um eine größere Centralkuppel gelegt. Aber das Licht, das in der Aja Sophia so wenig vorhanden ist und dessen Mangel den Bau so stimmungsvoll dunkel macht, ist in der Sulimanjie verschwendet, und die byzantinischen Rundbogen sind hier in spitzige emporgezogen. Eben das ist das wesentlichste Merkmal der Unterscheidung. Das eine nach dem anderen sieht sich an, wie sich die Uebersetzung eines dichterischen Werkes liest; es sind wohl dieselben Gedanken, aber es ist doch nicht dasselbe Gedicht. Von der einen Porphyr-Säule unter den Galerien erzählt Gylles einen offenbaren Irrthum. Sie soll mit der Statue des Kaisers Justinian auf dem Platze zwischen der Aja Sophia und dem kaiserlichen Palaste, dem Augusteon, gestanden haben. Nun saß aber Kaiser Justinian, wie man in einem Werke der Seraibibliothek diese Statue abgebildet sieht, auf einem Pferde. Gylles selbst fand noch Bruchstücke von diesem Thiere vor; die Hufe allein waren ungeheuer. Wie könnte das auf dem schmalen Durchschnitte einer Säule Platz gefunden haben? Ein Reiterstandbild auf einer Säule aufzustellen ist überhaupt ein Gedanke, der wohl kaum irgendwo verwirklicht worden sein dürfte. Hinter der Moschee liegt wie gewöhnlich der Garten; so nennt der Mohammedaner die Grabstätten seiner Todten. Was der Koran ihnen erst für die andere Welt verspricht, sucht er ihnen schon auf dieser zu bereiten, und wirklich blühen Rosen und Akazien um die Gräber Suleiman’s und Roxelane’s, seiner blutdürstigen Geliebten. Schöner und kostbarer noch als die der Muradje zu Brussa sind sie, mit Marmor- und Porzellanplatten, im Innern sogar mit Edelsteinen verkleidet, und dabei doch in ihrem Erscheinen bescheiden und ohne eitle Anmaßung, ernst und feierlich, so wie es sich für Grabstätten geziemt. Die innere Wartung war sorgsam und rein, als seien noch der erste Schmerz und junge Trauer die Wächter und Pfleger des Ortes. Den Rückweg nahmen wir durch das Seraiskeriat nach der Moschee Sultans Osman III., Nuri-Osmanjie, die Lichte ob der Menge ihrer Fenster genannt. Sie ist ein Werk der Rococozeit und zeigt ihren Styl. Schon früher, als Achmed III. die Gärten an den süßen Wässern anlegte, machte dieser die Rückwirkung Europa’s auch im Oriente geltend. Auch diese Moschee, hart auf der Kante eines Hügels, über dem gedrängtesten Quartiere der ganzen Stadt, dem Besestan, stehend, hat von einer festen Quaderterrasse den Ausblick frei nach den Bergen und dem Bosporus. Weiter kamen wir, weil ich es so nach der Karte wählte, an der Moschee Mahmud Pascha’s vorüber, in enger steil absteigender Gasse ein malerischer Bau. Halb verfallen decken ihn mächtige Bäume. Vorne vor der Eingangsthüre liegt eine Loggia aus schön gewölbten Bogen. Constantinopel, den 10. Juni. Schon um 6 Uhr Morgens ritten wir aus, hinüber nach Stambul und vom At-Meidan die Hügel hinunter und unten den Seemauern entlang, durch die das blaue Meer herein sieht, nach der kleinen Aja Sophia. An die große mahnte sie mich eigentlich nicht, wohl aber an den Dom zu Aachen. Unsere Schulbücher lehren zwar, daß der sein Muster in Ravenna an San Vitale gehabt habe, ich aber glaube, seitdem ich Kütschük Aja Sophia gesehen, daß er es hier gefunden. Bei den vielfältigen Verbindungen Karls des Großen mit dieser Stadt und bei der Weltstellung des damaligen Constantinopel hat es auch nichts Außerordentliches. Justinian baute diese Kirche; sie stand also schon zweihundert Jahre, als Karl der Große seinen Baumeistern den Auftrag gab, ihm eine Pfalz und eine Domkirche in Aachen zu errichten. Das war lange genug, daß der Ruf der byzantinischen Bauten auch auf den schwierigsten Verkehrswegen bis an das andere Ende der damaligen Culturwelt gedrungen sein konnte. Die Architekten mögen selbst in Constantinopel das Vorbild gesehen, oder ihre Bildung von Lehrern erhalten haben, die dort gewesen. Für die Malerei gibt man, weil anderen Behauptungen die Beweisstücke entgegenstehen, diesen unmittelbaren Einfluß zu; bei der Architektur glaubt man eine Zwischenstation machen zu müssen. Nun war aber Italien damals ohne Geltung, die Städte im Verfalle, Rom beinahe nur ein Dorf, das ganze Land eben nur eine Provinz des oströmischen Kaiserthumes. Dorthin waren suchend alle Augen gerichtet, und von dort kamen alle Künstler, Handwerker und Gelehrte. Byzanz war im achten Jahrhundert unserer Zeitrechnung immer noch die tonangebende Macht und bei dem gänzlichen Fehlen anderer Concurrenten in der damaligen Mode vielleicht sogar herrschender als es heute Paris ist. Das können nur jene Geschichtschreiber außer Acht lassen, welche sich die Berührungen und Communicationen der früheren Zeiten weit seltener und mangelhafter vorstellen als sie wirklich waren. Neben der Kirche stand einmal das Haus, in welchem Justinian 45 Jahre als Privatmann gelebt hatte. Nach seiner Thronbesteigung widmete er den Palast des Hormisdas, so hieß es, den frommen Zwecken eines Klosters. Die Kirche wurde als nothwendiges Zugehör dazu gebaut. Die späteren Kaiser pilgerten dann immer am dritten Osterfeiertage hierher in feierlicher Prozession, den ganzen Hofstaat hinter sich vom Triklinium des Justinians aus über den Hippodrom. Die Kirche war dem heiligen Sergius geweiht und wahrscheinlich auch dem heiligen Bacchus; das lassen wenigstens die Trauben und die Rebenblätter in den Verzierungen vermuthen. Die Inschrift, welche um den inneren Rundkreis läuft, nennt zwar nur den heiligen Sergius, aber die byzantinischen Geschichtschreiber sprechen mit Beharrlichkeit das Patronat auch dem anderen Heiligen zu. Diese Inschrift ist voll von Lob für die Tugenden der Kaiserin Theodora; wollte Justinian, der zugleich als Erbauer genannt wird, seiner Frau, oder wollte man dem Kaiser durch solche Lügen schmeicheln? Jetzt steht in der Apsis der Mihrab. Wesentliches ist nichts an dem Baue verändert. Sein Grundplan ist ein Viereck; seine Höhe ist in zwei Stockwerke getheilt; acht Pfeiler tragen darüber die Mittelkuppel, aus ihr kommen vier Halbkuppeln als Decke der vier Ecken. Zwischen diesen liegen verbindend vier Tonnengewölbe. Unten und oben auf den Galerien sind zwischen die Pfeiler je zwei mittragende Säulen aus rothem und grünem Steine gestellt. Außer diesen Säulen ist alles Uebrige übertüncht, doch scheint das Darunterliegende noch genug hervor, daß man die Bildhauerarbeiten als rohe verurtheilen darf. Mosaik entdeckte ich nirgends, vielfältig aber Marmor. Die Verhältnisse des Baues sind von schöner Harmonie, daß es wohl that eine halbe Stunde betrachtungsvoll in so edlen Räumen zu weilen. Dem Aeußeren drängen sich die Bäume so zu, daß die Luft darum und darunter kühl und feucht war. Ueberhaupt ist der ganze Ort versteckt abgelegen und still einsam. Auch die Moschee des Ebul Wefa, eines Heerführers in der Armee des Eroberers, wird als eine ehemalige Kirche gezeigt. Ein reicher Adeliger soll sie im vierten Jahrhundert erbaut haben. Jener frühen Zeit können höchstens die Seitenmauern des heutigen Baues entstammen; Vorhalle und Kuppeln sind sicherlich Werke türkischer Hände. Auch jetzt wieder bessern sie daran; Gerüste füllen den Bau bis in die Wölbungen hinauf. Die Mauern zeigen fußbreite Sprünge. Der Bau hat nur Besonderheiten aber nichts Schönes; mehr noch als die anderen ist er nämlich in die Breite gezogen. Nebeneinander liegen drei große Kuppeln über ihm; sie sind beachtenswerth durch ihre hoch aufstrebende Kühnheit. Unter jeder ist der Grundplan in ein besonderes Viereck gegliedert, und in jedem derselben tragen vier Rundbogen das Gewölbe. Die Ecken sind wie durch eingeschobene und die Kuppel tragende Postamente abgeschnitten, nur in den vier äußersten des ganzen Planes sind sie durch kleine Halbkugeln ausgefüllt. Dem Eingange gegenüber liegt der mittleren Kuppel eine kleine Halbkuppel für die Apsis vor. Schön ist die äußere Umgebung; Bäume schließen die Moschee ein, und ein kleiner alter Friedhof ist hoch darum gelegt, daß sie zwischen den Grabsteinen selbst wie in ein Grab eingesunken erscheint. Auf einem Platze nahebei, dem des Scheichs Ebul Wefa, saßen unter weitschattigen Platanen vor einem kleinen Kaffeehause ein paar Türken bei ihren Schalen und Wasserpfeifen. Sie mochten unser Handwerk an dem neugierigen Sehen unserer Augen erkannt haben; unaufgefordert boten sie sich an uns das Grab des letzten römischen Kaisers zu zeigen. Durch elende Weberhütten führten sie uns in einen engen Hof zu der Stelle, wo neben altem Kehricht, zerbrochenen Holzlatten und weggeworfenen Lappen der tapfere Constantin ruhen soll. Kein Baum breitet sich darüber, der doch sonst keinem orientalischen Grabe fehlt; auch die Lampe brannte nicht, deren ewiges Licht Mohamed II. hieher gestiftet, und durch welches eben, wie man deducirt, die Wahrheit der Stätte bezeugt werden soll; nur ein alter zerbrochener türkischer Grabstein war als Merkmal an die Wand gelehnt. So ärmlich das Ende, was so allmächtig an der Tiber begonnen hatte. Wir pilgerten weiter zu Gräbern, die ganze Geschlechter von Kaisern beherbergt hatten. Kilisse Djami, die Kirchen-Moschee, steht klein und versteckt aber kuppelbedeckt auf steilem Hügel, der am herrschendsten über alle anderen constantinopolitanischen emporragt. Darum setzten sich auch die Kreuzfahrer dort oben in dem Kloster des Allherrschers, Pantokrator, wie die Kirche ehemals hieß, fest. In den Grüften wurden die Kaiser begraben, seitdem die Apostelkirche nebenan auf dem nächsten Hügel mit Leichnamen überfüllt war: So ruhten hier die meisten der Komnenen und Paleologen. Von all’ dem ist nichts mehr übrig als ein einziger Sarkophag aus Verde antico, der unverletzt auf dem kleinen Platze vor der Moschee steht. Neben ihm schaut ein Säulenstumpf aus dem Schutte auf, wie um anzuzeigen, daß einmal diese Gräber durch Säulenhallen gedeckt waren. Aber selbst dieser Sarg dient nicht mehr seinem ursprünglichen Zwecke; was den Tod bergen sollte, ist eine Quelle lebendigen Wassers geworden; die Türken haben die Asche und die Gebeine hinausgeworfen und die Hülle in einen Brunnen verwandelt, eine Verwendungsart solcher Monumente, die im Oriente häufig vorkömmt. Ich möchte behaupten, daß es verrathe, um wie viel weniger schrecklich der Tod den Menschen hier erscheine. Andere ganz gleiche Sarkophage, auch wie dieser mit einem giebelförmigen Deckel geschlossen, der dem Dache des altgriechischen Tempels ähnlich ist, nur aus Granit und Porphyr gebildet, werden in dem ersten Seraishofe neben der Irenenkirche bewahrt. Man will die Beweise dafür haben, daß nach dem neunten Jahrhundert kein Sarkophag mehr aus Verde antico, dem thessalischen Marmor, und schon nach dem sechsten Jahrhundert keiner mehr aus ägyptischem Porphyr gebildet worden ist. Es ließe sich also allenfalls für den aus Porphyr gemeißelten im Vorhofe des Serais befindlichen behaupten, daß er wirklich einmal die Gebeine des großen Constantin oder doch die der Eudoxia umschlossen habe. Es ist diese schwerlastende, giebelgekrönte, sonst alles Schmuckes kahle Form der byzantinischen Sarkophage weitaus die würdigste für ein Grabmal, die ich kenne. Für uns, die wir nicht weiter zurückschauen, steht das erste Beispiel ihres Ursprunges in den ägyptischen Grabkammern, und von dort aus scheint sie zugleich mit dem Serapiscultus nach Rom eingewandert zu sein. Mir kam heute die Vermuthung, daß die Türken auch dieses griechische Muster für ihre Bedürfnisse benutzt haben. Die Holzgerüste, die sie über ihren Gräbern aufzimmern, gleichen wenigstens auffällig diesen monumentalen Särgen. Die Moschee hat von den 46 Kuppeln der früheren Kirche nur wenige behalten. Trümmer liegen noch sichtbar weit herum, andere mögen unter den späteren Neubauten begraben sein. Aufrecht stehen noch ein doppelter Porticus und hinter ihm zwei je dreischiffige Basiliken, die durch ein siebentes besonderes Schiff von einander getrennt sind. Denn so erkläre ich mir die sonderbare Anlage dieses Baues. Vielleicht deckten die heute fehlenden Kuppeln andere ganz gleich geformte Kirchen, die im Anschlusse an diese in einem Vierecke um einen Hof gestellt waren? Es hat dann wohl jede einem anderen Kaiser als Grabcapelle gehört. Die eine Seite, die ich jünger als das andere Mauerwerk finde, und die gewiß einmal offen zu weiterer Fortsetzung war, bringt mich insbesondere auf diese Vermuthung. Neun Thüren führen in den Porticus und ebenso viele von ihm in das Innere der Kirche. Sie sind in denselben Formen und mit demselben rothen Marmor wie die der Aja Sophia gebaut. Die kleinen Kuppeln, die den Porticus decken, sind mit Mosaiken verkleidet; aber keine Menschenbilder, nur Laubgewinde und Blumen sind darin dargestellt. Im Inneren ist nur türkisches Machwerk. Als Erbauer der Kirche gibt die Geschichte den dritten Komnenen an. Kaiser Johann war dann auch der Erste des Geschlechtes, der hier begraben wurde. Das war jener milde und verzeihende, dabei doch starke und kräftige Herrscher, der im Auslande das Gebiet des Reiches vermehrte, und daheim schon im zwölften Jahrhundert das Ideal unserer heutigen Menschenfreunde verwirklichte, indem er für die 25 Jahre seiner Regierung die Todesstrafe abschaffte. Das Gegentheil all’ seiner Tugenden war der letzte des Geschlechtes, der hier begraben wurde, Andronikus I., der auch der letzte Komnene auf dem Throne von Constantinopel war. Seine Lebensgeschichte ist eine so abenteuerliche, daß wer sie heute in der Regelmäßigkeit unserer Zustände liest, kaum mehr den Glauben für so bunt zusammengewürfelte Schicksale hat. Vor seiner Thronbesteigung abwechselnd der Vertraute und der Verräther seines Vetters, des damals regierenden Kaisers Manuel I., lebte er bald im Glanze und Wohlleben des Hofes zu Constantinopel, bald auf der Flucht durch Wälder und Steppen, bei Türken und Persern, bei Polen und Russen, und auch bei diesen wieder je nach dem Werthe seiner Handlungen als Fürst und Freund erhöht oder als Feind und Flüchtling in den Kerker geworfen, bald Christ und Mohammedaner, alles was der Tag und der Vortheil von ihm begehrte, treu nur in einem, in der Verführung und in der Untreue gegen die Frauen. Ueberall, wo er gewesen, von allen Nationen, bei denen er Gastfreundschaft genossen, hatte er eine entführt und verlassen. Als er dann den Sohn des Manuel, den zwölfjährigen Kaiser Alexius II., erdrosselt und sich dadurch die Krone erworben hatte, kam er hieher an das Grab seines Vorgängers, des Kaisers Manuel. Seine Begleiter wies er zurück, sie glaubten weil er sich seiner Reue und Buße schäme. Er aber murmelte statt der Gebete nur Verwünschungen, nur Flüche, Worte des Triumphes und der Rache über den Sarkophag, denn selbst dem Todten verzieh er es nicht, daß dieser der Einzige im Stande gewesen, seine Zügellosigkeit zu bändigen. Da ihm die Macht allein überlassen war, mißbrauchte er sie zu solchen Grausamkeiten, daß ihm zuletzt das empörte Volk Augen, Haare, Zähne und Arme ausriß, und den immer noch lebenden Körper auf einem räudigen Kameele durch die Stadt trieb, bis ihm zwischen zwei Pflöcken aufgehängt ein paar barmherzige Schwerthiebe die Qual verkürzten. So wild und kräftig, so maßlos in allen Eigenschaften waren die Glieder dieses Geschlechtes. Von Italien leitete es seinen Ursprung ab, von Asien, wohin es übergewandert, war es gekommen. Sechs Kaiser setzte es auf den wankelmüthigen Thron von Byzanz, die meisten schön und groß durch die äußere Bildung ihrer Gestalt und auch riesig durch den Werth ihrer Thaten. Dann setzte das vertriebene Geschlecht seine Herrschaft drüben in Trapezunt fort, bedeutungs- und wechselvoll wie sie in Constantinopel gewesen, daß seine Fürsten mehr als andere zu den abenteuerlichen Zwecken von Romanen und Dichtungen brauchbar sind. Neben Kapiteln, so blutig und bewegt wie die der byzantinischen Geschichte, verblassen selbst die Schicksale der rothen und der weißen Rose. Den Mord der Brüder des thronbesteigenden Prinzen, den die Türken bis zum letzten Sultan als dynastisches Hausgesetz ausgeübt, fanden sie wie anderes, das sie nach der Eroberung unter ihre Sitten aufnahmen, fertig und zur Regel geworden in Constantinopel vor. Die Willkür überhaupt, welche so lange die türkische Thronfolge erschütterte, mögen sie nach dem vorausgegangenen Beispiele gebildet haben. Kahrjie Djami in der Nähe der Landmauern, zwischen dem Thore von Adrianopel und dem ehemaligen Viertel der Blacherner, soll noch eine der 24 Kirchen sein, welche Justinian in Constantinopel erbaute. Die Mauern mögen so alt sein, die Ausschmückung muß längst erneuert worden sein. In der Vorhalle wenigstens fand ich Mosaiken von so trefflicher und freier Zeichnung, daß ich sie in eine jüngere Zeit als die älteste der Marcus-Kirche versetze. Eine schreitende Figur des Erlösers und in der Kuppel der linken Halle aufrechte Gestalten unterschied ich deutlich. Die Kuppeln sind muschelförmig eingefalzt, ihrer drei über der Vorhalle, die in drei Vierecke abgetheilt ist, nebeneinander. Thür- und Fensterstöcke sind in denselben Formen wie in der Aja Sophia gearbeitet. In dem Kreuzgange, der später angebaut ward, sind Malereien so entwickelter Art, daß man bei dem Erlöser kaum mehr die Spur des alten byzantinischen Typus findet. Die Kuppeln, die ganze Vorhalle und auch das Innere sind nur klein; die byzantinischen Kirchen scheinen sich überhaupt nicht durch Größe ausgezeichnet zu haben, wenigstens macht unter den übrig gebliebenen nur die Aja Sophia hiervon eine Ausnahme. Die Menge derselben muß den Rauminhalt der Einzelnen ersetzt haben. Es kann ihrer nicht weniger, als heute in Venedig sind, gegeben haben. Gleich auf dem Rückwege, den wir direct zur Gül Djami suchten, auf dem wir uns aber verirrten, fanden wir in der Nähe der Mohammedje, abseits gegen den Hafen zu hinab, Ruinen, welche einmal einer altbyzantinischen Kirche angehört haben müssen. Ich finde sie auf keiner Karte und in keinem Handbuche verzeichnet. Die Kuppeln sind herabgestürzt und auch die Seitenmauern geborsten; die abgefallene Tünche stellt es außer Zweifel, daß seitdem eine Moschee hier gewesen. Die Verwüstung kann nicht alt sein, denn noch hat sich nirgends das in diesem Klima so rasche Grün um die Ruinen gelegt, und verursacht scheint sie durch eine Feuersbrunst zu sein, weil das ganze Stadtviertel ringsherum aus noch unangestrichenen Latten neu aufgebaut ist. Wie vor anderen stand auch vor dieser Kirche eine mit drei Kuppeln gedeckte Vorhalle. Eine Hauptkuppel scheint die Kirche selbst, eine zweite kleinere den Altarraum gedeckt zu haben; das unterscheidet man heute noch. Wie lange wird diese Spur dauern? Schon schleppt man Steine fort zu weltlichen Neubauten; so werden allmälig aber fortwährend auch die Ruinen der Vergangenheit ausgejätet. Kann man sich, wenn zuletzt alles Sichtbare fehlt, noch wundern, daß das Frühere der Nachwelt unverständlich wird? Gül Djami (Rosen-Moschee), die wir endlich, aber erst mit Hilfe der Magnetnadel fanden, liegt so tief in einem Thale, daß wir an Gassen kamen, die so steil abwärts führen, daß wir, um nicht zu fallen, von den Pferden steigen mußten. Die Rosen-Moschee zeigt sich als byzantinisches Bauwerk trotz späterer türkischer Veränderungen. Sie scheint besonders fest zu sein und der Zeit zu trotzen. Von einem unterirdischen Gewölbe, welches Hammer erwähnt, wollte keiner der Moscheediener und der Umwohnenden, die in Menge herbeigekommen waren, etwas wissen. Nach Galata hinüber ritten wir über die zweite Hafenbrücke. Eine eigenthümliche Beleuchtung wurde uns von dort aus durch das Abendlicht geboten. Der ganze Hafen war so von Nebeln und von dem Rauche der Dampfer bedeckt, daß er und die Stadt unsichtbar waren. Die untergehende Sonne färbte diese Wolkenmassen roth und blau, nur das Thürmchen der Seraispitze sah daraus hervor, aber scheinbar in die Ferne gerückt, als lägen viele Meilen zwischen ihm und uns. Schon Morgens hatte ich die Nebel beobachtet; sie zogen so dicht über die See, daß außer der Seraispitze Alles in ihnen verschwand, selbst die Körper der Schiffe. Zuweilen nur ragten die Masten und die geschwellten Segel, welche die Schiffer dem Südwinde ausgespannt hatten, daraus hervor, daß es aussah, als hätten die Wolken Segel vorgelegt, ihren Flug noch mehr zu beschleunigen und mir die eilenden Wolken, die Segler der Lüfte verwirklicht erschienen, welche die gefangene Maria Stuart grüßend an ihr Heimathland sandte. Constantinopel, den 11. Juni. Ich schreibe den ganzen Vormittag. Gewitter drohen und hindern eine gemeinsame Fahrt im großen Boote nach Bujuk-Dere. Ich aber wage mich Nachmittags allein im Kaïk um die Seraispitze in’s freie Meer hinaus, die Mauern der Stadt auf dieser Seite genauer zu untersuchen. Es ist herkömmlich, auch diesen Theil der Bollwerke als einen übrig gebliebenen Vertheidiger des Christenthums gegen den Mohammedanismus zu ehren. Ich brachte den Mauern dieselbe Glaubensstimmung entgegen und die Inschriften auf der Seeseite unterstützten diesen Wahn. Hört man nur sie, so baute schon Kaiser Theophilus, derselbe, welcher auch den kaiserlichen Palast so reichlich verschönerte, also 830 oder doch nahe daran diese Mauern. Erst als ich ihre Fügung, die Steine und ihre Bearbeitung prüfte, begann dieser Glaube zu zweifeln. Das Werk kann nicht das Product eines Jahrhunderts sein, das für Byzanz die Blüthezeit aller Künste und Wissenschaften war. Und wäre es das gewesen, so konnte es in dieser Gestaltung nicht dem Wogendrange und dem Wettersturme eines ganzen Jahrtausends widerstehen. Die schlecht gefügten Ziegellagen und der Mörtel zeugen gegen eine solche Alterslast. Nur tief in dem unteren Theile, der noch unter Wasser steht, sind es sorgfältiger gefügte Quadern; darüber liegen Säulenschäfte geschichtet, dicht und hoch wie Klafter Holzes, Gesimsstücke und andere Bautenreste dazwischen, Alles Zeugen der Prachtliebe einer früheren und der Barbarei einer späteren Zeit. So baut eine jede mit den Werkstücken wie mit den Ideen ihrer Vorfahren. In Aegypten schon trieben sie es nicht anders und wir treiben es wie es hier geschehen. Welch’ eine Stadt muß das gewesen sein, die der Säulen so viele hatte, daß man einmal ihre Mauern daraus aufrichten konnte! Dieses Später kann aber nicht schon die Zeit des Theophilus gewesen sein. Es ist nicht anzunehmen, daß er, dem die Verschönerung des Palastes und der Stadt so sehr im Sinne lag, so viel zerstört, und selbst wenn er damit seinen Neubauten Platz schaffen wollte, daß er das kostbare Material der früheren nicht entsprechender verwendet haben sollte. Daß aber auch die anderen Byzantiner nach ihm diese Grausamkeit nicht geübt haben, beweist mir eine andere Einwendung, die ich mir gegen den griechischen Ursprung dieser Mauern in diesen Tagen gefunden habe. Hier hinaus gegen das Marmora-Meer zu öffnete die Stadt ehemals drei, vielleicht sogar vier Häfen. Der erste zunächst der Seraispitze, wahrscheinlich ziemlich unterhalb der Achmedjie, welcher der des Palastes, auch der des Bukoleons hieß; von ihm westlich und westlich neben der kleinen (Kütschük) Aja Sophia, dort wo der Platz heute noch Kadriga-Liman d. h. der Galeeren-Hafen heißt, der zweite, der julianische, und wenn man diesen nicht denselben mit dem nächsten glaubt, was nach den byzantinischen Schriftstellern streitig erscheinen kann, noch tiefer in den Halbmond der Küste hinein, dort wo heute noch Steintrümmer eines Molo’s im Meere den Mauern vorliegen, vielleicht bei Kum-Kapu, dem Sandthore, der dritte, der der Kaiserin Sophia, so daß dann der theodosianische zunächst dem Schlosse der sieben Thürme der vierte gewesen wäre. 1422, also nur 31 Jahre vor der Eroberung der Stadt durch die Türken, besuchte sie ein Florentiner, Christof Bondelmonti, der von der Stadt unter Anderem auch einen Plan geliefert hat. Auf dem ist z. B. der erste Hafen noch deutlich eingezeichnet und vor ihm sind zwei weit in die See vorspringende Molo’s markirt; er nennt ihn ~portus palatii~. So ist noch Manches anders dargestellt als es heute auf diesen Küsten aussieht. Nahe der Seraispitze stand eine Kirche der wegweisenden Mutter Gottes (Hodegetria), dann eine des heiligen Georg, von denen heute keine Spur mehr übrig ist. Kann das Alles in den 31 Jahren vor der Eroberung weggeräumt und umgewandelt worden sein, in einer Zeit vollkommener Entkräftung und leichtsinniger Sorglosigkeit? Das ist nicht nur unwahrscheinlich, das ist unmöglich. Uebrigens beschreibt uns auch ein noch späterer Reisender, der sogar erst nach der Eroberung durch die Türken Constantinopel besuchte, 1550, noch immer manche dieser Uferstellen anders als sie heute sind. Es können also, wenigstens auf der Seeseite der Stadt, nur die Türken die heutigen Mauern errichtet haben. Murad IV. 1635, vielleicht sogar erst Achmed III. 1721, werden als Wiederhersteller der Stadtmauern gerühmt. Die alten Grundlagen mögen sie benutzt haben, daher unten im Wasser die stärkere Quaderfügung, auch einzelne Thürme in den Neubau mit aufgenommen haben. Daß frühere Inschrifttafeln in den Mauern haften, ist kein Beweis für das Zeitgenössische ihres Werdens. Die Türken mauerten sie, so gut als man das früher schon that, und als man es heute wieder thut, an den Stellen ein, wo sie sie fanden. Die Reste alter Bauten legten sie dazwischen und erst darüber ihre schlechten Ziegel. Man stelle sich nur vor, wie viel fallen mußte, bis der Raum zu dem heutigen Serai frei ward. Unter den Resten, die sie so verwendet haben, sind auch drei Fenster gleich neben dem ehemaligen Leuchtthurme eingemauert; ihre Formen sind die ägyptisirenden wie an den Thüren der Aja Sophia, die allen byzantinischen Bauten gemein waren. Seitab und höher oben erscheint ähnlich befestigt eine kleine Häuserfronte, zwei Löwen zu ihren beiden Seiten. Es kann das nicht der natürliche Platz dieses Baustückes sein; auch dieses muß hierher erst übertragen worden sein; so wie es da steht wäre es ganz sinnlos. Vielleicht daß es das oberste Stockwerk eines kleinen Palastes gewesen und die Löwen frei daneben standen? Gylles nennt es ein Ueberbleibsel vom Palaste des Leo Marcellus, nicht vom Bukoleon, wie Hammer ohne weiteren Beweis behauptet. Dann wären auch diese Trümmer eine Bestätigung für meine Vermuthung von der äußeren Unscheinbarkeit der byzantinischen Bauten. Sie haben nichts Großes und verrathen keinen großen Sinn; sie sind klein und manchmal auch unförmlich, wie Vieles in Kütschük Aja Sophia, Kilisse Djami und Kahrije Djami. Die große Aja Sophia ist die einzige und darum auch so sehr gepriesene Ausnahme. Denn selbst von dem Kaiserpalaste glaube ich nicht, daß er etwas unseren oder den römischen Bauten Aehnliches gehabt habe; er wird wie noch die heutigen Paläste der Orientalen aus einer Summe von Pavillons bestanden haben, über ein weites Gebiet die Hügel hinab und durch Gärten zerstreut. Kein Theil war höher als einstöckig und die Pracht daran nur im Innern. Wilde Hunde lagen vor den Mauern auf Steinen, die dort den Anprall der Wellen aufhalten. Ab und zu wechselten Kinder mit ihnen ab, die auf jenem gefährlichen Punkte wohl nur im Genusse verbotener Frucht waren. Vom freien Meere her und von den rothen Inseln drohten dunkle Wolken mit neuem Regen und finsterer Verhüllung der Ferne, wie sie schon die Sonne verbargen. Bei Psamatia Kapu hieß ich das Kaïk landen. Ich ging von dort in das Innere der Stadt nach der nahe dem Strande gelegenen Moschee des Oberststallmeisters (Imrachor Djami). Der Bau ist ein Rest, und bei näherer Prüfung ein überraschend wohlerhaltener, des einst so berühmten Klosters des Studius. Es war das ein Patricier und Consul, der im sechsten Jahre der Regierung Leo des Großen, auch des Fleischers genannt, also im Jahre 463 den Nichtschläfern diese Kirche erbaute. Die christlichen Lateiner verwüsteten sie, und erst Andronicus der Jüngere schützte sie wieder mit einem Dache. Das Kloster spielte in der byzantinischen Geschichte eine große Rolle; Leben und Sterben vieler Kaiser sind daran geknüpft. Einige wurden dort erzogen, denn die Mönche waren gelehrt und gebildet; Andere wurden dorthin in die Einsamkeit und Büßung verwiesen, und wieder Andere unter dem Paviment der Kirche begraben. Hier stationirten zum erstenmale die Züge, welche der Stadt vom goldenen Thore aus zum kaiserlichen Palaste hin den Sieg brachten. Alles was dieser Bau war, ist bei ihm leichter als bei anderen aus den vorhandenen Resten herzustellen. Das Trümmerfeld von Säulenstümpfen, welches Hammer rings herum gebreitet sah, ist entweder seitdem weggeräumt, oder er hat es überhaupt nicht gesehen. Es muß ihm so jedenfalls mit dem Mihrab dieser Moschee geschehen sein. Denn hätte er diesen gerade so wie bei der Aja Sophia und bei allen anderen Moscheen, welche ehemals Kirchen waren, schief in die Apsis gestellt gesehen, so hätte er dadurch allein, wenn auch sonst durch keine andere der markanten Eigenthümlichkeiten des Baues, auf die Vermuthung kommen müssen, daß er es hier mit einer ehemaligen Kirche zu thun habe, und nicht drucken lassen dürfen, daß diese Djami ein Werk des großen Baumeisters Sinan sei. Die Stätte und die Mauern sind heute noch dieselben, welche einmal den gottesdienstlichen Zwecken der griechischen Christen dienten. Ein kleiner Porticus, getragen von zwei alten Säulen, führt in den Friedhof, der hier ausnahmsweise vor der Moschee liegt. Die Gräber zu beiden Seiten liegen höher als der Weg. Frisches Grün sproßt dazwischen, und Rosen ranken sich darüber. In dem Marmorpflaster des Weges fand ich einen Stein, der das Monogramm trägt: [Symbol 1]; ich lese es als den Namenszug des Stifters. Steine mit anderen Zeichnungen sind mannigfaltig sichtbar. Vor dem Baue der Basilika in ihrer ganzen Breite öffnet sich eine freie Halle. Vier Säulen korinthischer Ordnung mit reichem aber geschmacklosem Capitäl tragen ihre Decke. Gesimse mit Verzierungen desselben Styles treten überall aus der Tünche hervor. Zwei Bogen trennen die Vorhalle in drei Abtheilungen; heute ist nur noch die linke offen, die rechte zugemauert. Aus jeder scheint ehemals eine Thüre in das Innere geführt zu haben, also im Ganzen ihrer drei; auch davon ist nur noch eine, die mittlere, übrig. Das Innere ist lang, breit und hoch und durchaus im glücklichen Zusammenstimmen der einzelnen Theile. Zu klein zum Ganzen ist nur die heutige Apsis. Steht sie auch genau an der Stelle der früheren, so daß der Mihrab schief in sie gestellt werden mußte, so halte ich sie doch für ein Flickwerk der Türken. Das Mittelschiff wird auf beiden Seiten durch eine Säulenreihe von den Seitengängen getrennt. Ueber diesen Gängen und auf den Säulen ruhend liegen offene Galerien. Kleinere und enger zusammengeschobene Säulen zäunen diese ein und stützen die flache Decke; die beiden Seitenschiffe sind an ihrem Kopfende durch flache Wände, nicht durch Nischen, wie das sonst wohl üblich, geschlossen. Die Thüren, die ehemals dort offen waren, und die Karniese darüber sind heute zu- und eingemauert; ebenso die fünf Bogenfenster, welche einmal durch jede der beiden Langwände das Licht gaben. Unter ihnen treten neun Tragpfeiler aus der Wand hervor, vermuthlich um das Gebälke oder doch um querüber verbindende Balken zu tragen. Von den 14 Säulen, je sieben auf beiden Seiten des Mittelschiffes, sind sechsen die prachtvollen Schäfte aus Verde antico übrig geblieben; den anderen achten sind sie aus Mauerwerk, aus Tünche und aus grüner und weißer Farbe nachgemacht worden. Und aus demselben Stoffe hat man auch jenen sechsen wohlerhaltenen die prachtvollen Capitäle mit einer Maske verkleistert, um sie dem rohen Kopfputze der acht anderen Schwestern ähnlich zu machen. Es fehlte den Späteren das Geschick und die Liebe der Kunst, sich zur Fertigkeit der Früheren zu erheben, und so degradirten sie die Vergangenheit zu dem Ungeschmacke der Neuzeit. Die Säulen der Galerien oben sind aus Holz und ganz jung. Wie alle Moscheen ist auch diese rein gehalten. Hügel umgeben sie, wohl Gräber des einstmals Gewesenen, und Saatfelder ziehen sich darüber. Hinter der Kirche, dem Meere zu und wo der Blick darauf frei und unbegrenzt ist, fand ich eine unterirdische Capelle und daneben eine Cisterne. Zwei starke Säulen tragen das Gewölbe der Ersteren, drei Nischen schließen sie; sie ist breiter als tief; ihr Mauerwerk einfach und alt. In der Cisterne sind die Säulencapitäle in Blumenformen gestaltet. Nicht weit von diesen unterirdischen Bauten ist ein Ziehbrunnen in die Erde eingelassen. Ein Stein, den ich hinabwarf, verrieth nur wenig Wasser darinnen, aber ansehnliche Tiefe. Zwei starke Feigenbäume wachsen aus seiner Mündung hervor mit dichtem Blätterschmucke und wilden Früchten. Alles um dieses Gemäuer haben Bäume, Schlinggewächse und Blumen malerisch geziert, und weiter hinaus über die Mauern weg schaut das Auge die blaue See, Schiffe, welche der Einfahrt in den Bosporus harren, und links hin die Prinzeninseln. Auf dem Rückwege nach Psamatia Kapu fand ich in der Straße, die eine weite Strecke mit dem Ufer in gleicher Richtung läuft, nur durch die Stadtmauer von ihm geschieden, Säulenschäfte und ein mächtiges Capitäl, das byzantinische Kreuz darauf. Sie liegen herren- und dienstlos, zeigen aber, was ehemals hier gestanden haben muß. Die Straßen waren leer, wie ausgestorben, ein furchtsamer Hund das einzige Lebende, welches ich begegnete. So förderte Alles die Stimmung schwermuthsvoller Betrachtung. Constantinopel, den 12. Juni, Sonntag. Gewöhnlich suchen die Fremden drüben in Skutari den Gottesdienst der von ihnen sogenannten heulenden Derwische kennen zu lernen. Es ist dort ein Tekke schon in Erwartung solcher Besuche hergerichtet, und man befindet sich wie in einem europäischen Theater des bloßen Zuschauens wegen. Ich begehrte heute nach einem anderen, von jeder Europäisirung möglichst abgelegenen Bruderschaftshause geführt zu werden. So kamen wir nach Kaßim Pascha, einer der ärmlichsten unter den vielen elenden Vorstädten dieser kaiserlich schönen über zwei Erdtheile ausgespannten Weltstadt. Neben Pera liegt Kaßim Pascha auf demselben Ufer des goldenen Hornes. In dem ersten Tekke, wo wir Einlaß begehrten, waren die Uebungen schon zu Ende. Es liegt in einem Garten anmuthig hinter Rosenhecken versteckt, ein dürftiger kleiner Holzbau. Der einzige Derwisch, der noch zu Hause war, saß in einer Laube, in einen weißen Kaftan gehüllt und so in die Träumereien seiner gottesdienstlichen Betrachtungen oder seines Nargileh’s versunken, daß es einer Weile bedurfte, bis wir von ihm die Auskunft erhielten, wo allenfalls in der Nachbarschaft seine Glaubensgenossen mit ihren religiösen Uebungen an diesem heißen Nachmittage noch nicht zu Ende gekommen sein könnten. Das Tekke, wo er uns hinwies, liegt nicht so poetisch, ist zwischen den anderen Häusern eingeklemmt, selbst eine Hütte und in nichts von diesen verschieden. Unten eine kleine Eintrittshalle; in sie einmündend die Vorzimmer, wo wir Stöcke und Schuhe ablegten; aus ihr hinaufsteigend eine schmale hölzerne Stiege und oben im ersten Stocke ein mäßig großer Saal, bedeutend länger als breit, die eine Langseite von kleinen nach dem Saale zu offenen Stuben eingefaßt, die eine Schmalseite durch Fenster nach dem goldenen Horne zu geöffnet, die schöne Aussicht hereinzulassen, die andere durch das Gitter der dahinter liegenden Frauentribüne geschlossen. In der Ecke, die gegen Osten zu gekehrt ist, ist aus Teppichen und Fahnen der Mihrab aufgebaut. Das ist die ganze Herrlichkeit, und sie ist nur aus ungedielten rohen Brettern fabricirt. Aber ausgezeichnet ist die Aermlichkeit durch außerordentliche Reinlichkeit. Daß man sich auf die Vließe von Schafen niederläßt, geschieht nur, weil es die Ordensregel so gebietet, denn der Zustand des Bodens bedingt nicht diesen Schutz. Ein Diener breitet gleich jedem Ankömmlinge das seinige aus. Man sitzt natürlich mit untergeschlagenen Beinen darauf. Die Zuschauer waren zahlreich und aus allen Ständen gemischt; mir fielen die vielen Soldaten auf. Alle beobachteten jenen Anstand, der dem Türken angeboren ist und ihn dem ersten Eindrucke als ein Wesen höherer Ordnung erscheinen läßt. Uebrigens folgten auch ihre Mienen andächtig dem Cultus. So sitzt ungefähr eine Menge bei uns in einem Trauerspiele, nicht in einer Kirche, denn dort ist leider selten so viel Aufmerksamkeit zu Hause. Nur den Kindern war es gestattet, ungebunden und sich um nichts bekümmernd mitten durch die Reihen der Sitzenden und auch durch den ehrfurchtsvoll der Ceremonie leer gelassenen Mittelraum des Saales zu laufen. Diese Rücksichtnahme der Türken auf die Natur der Jugend hat etwas Rührendes; sie steht ihnen offenbar über jedem Menschengesetze. Es liegt etwas von dem evangelischen „Lasset die Kleinen zu mir kommen, denn ihrer ist das Himmelreich“ darinnen. Der Orden muß eigentlich der der Rifa’yjah-Derwische genannt werden, da der neuerliche Gebrauch die Derwische nicht mehr wie früher nach ihren Statuten und Glaubensregeln, sondern nach ihrem Stifter bezeichnet und dieser Ahmed Rifa’y hieß. Er stammte, wie alle die wesentlichsten Ordensgründer, aus Persien, der Provinz Ghilân, und starb 1182 in den Buschwäldern zwischen Bagdad und Bassora. Im ganzen Orient gilt er als ein besonders heiliger Heiliger, der sagen durfte, „sein Fuß stehe auf den Nacken aller Heiligen Allah’s.“ Die Derwische, die sich zu den Uebungen versammelt hatten, standen an der anderen Schmalseite des Saales, den Fenstern gegenüber, in einer Linie nebeneinander gereiht. Die Meisten warfen im Verlaufe der Ceremonie ihre Oberkleider weg und legten weiße Kaftans an, so wie ihn Der getragen, den wir vor dem ersten Tekke in der Rosenlaube sitzend gefunden hatten. Der Vorbeter allein, der vor ihnen stand, trug einen Kaftan aus grünem Stoffe, die auszeichnende Farbe des Propheten und der Mantel selbst ein Symbol dessen, den Mohammed getragen hatte. Sie sprachen dem Scheich nach und sangen dann eine Weile selbständig fort. Der Körper folgte in gleichmäßigen Schwingungen von rückwärts nach vorwärts der Stimme, anfangs langsam, nachher aber mit dem Gesange so an Schnelligkeit zunehmend, daß das Auge ihnen kaum mehr folgen konnte. Dabei ward der Tact der Bewegung wie der des Gesanges keinen Augenblick gestört. Sie glauben und wollen durch diese Beweglichkeit den Körper so ermüden, daß sich die Seele von ihm loslösen und mit dem einzigen fortwährend wiederholten Begriffe „Gott“ verschmelzen könne. Einige behaupten, dieses Mittel begeisternder Absorbirung so erfolgreich erprobt zu haben, daß sie in ihrem Herzen sogar die freilich nur dem geistigen Auge sichtbaren Buchstaben des Wortes Allah durch die vielmalige Wiederholung eingeprägt tragen. Nicht lächerlich, aber doch wie eine Verirrung des menschlichen Geistes erschien mir dieser Gottesdienst; daß er religiös und daß er wahrhaftig gemeint sei, verkannte ich nicht. Darum, so sehr mich die Raserei, denn das wurde er zuletzt, entsetzte, ich mußte doch immer dem Wahne Achtung zollen. Das Geheul verlor den Ton der Menschlichkeit, und die Bewegung der Kette beinahe den Grad des denkbar Möglichen. Einzelne schwangen im Wahnsinne nicht mehr den Oberkörper, nur noch den Kopf, so waren sie erschöpft; zwei fielen nieder, denen der Schaum auf den Lippen stand; man trug sie ohnmächtig hinaus. Andere arbeiteten aber gleich rüstig weiter, als habe die Uebung eben erst begonnen. Die Turbans, die sie verloren, wurden von Vorbetern unter dem Schutze des Mihrab’s aufgehäuft. Die Greise, welche betend dort standen, durch grüne Kaftane ausgezeichnet, legten zum Zeichen heiliger Waschungen, die das vorstellen soll, die Hände vor das Gesicht, banden sich dann wechselseitig mit Gebetsprüchen rothe Schürzen um, und die, welche sich so bedient hatten, reichten sich grüßend die Hände. Es war etwas außerordentlich Würdevolles in der Ruhe dieser alten Männer, das durch den Gegensatz des Lärmens und der Unruhe der Heuler noch erhöht wurde. Ein Kopf unter den Heulern mit wegstehenden Haaren und roth gewordenem Gesichte haftet unvergeßlich in meiner Erinnerung. Ein junger Matrose ebenfalls; dieser war ganz Ruhe, trotz der Hast seiner Bewegungen, jener sichtbar auch innerlich ein förmlich Rasender. Zuletzt übermannte mich das Gefühl, daß das Alles über mich herstürzen und mich, den einzig Ungläubigen der zugegen, erschlagen werde. Ich floh, wie von einem Traumgespenste gejagt, und auch unten noch in der freien Luft dauerte es eine Weile, bis ich meine Sinne wieder in das Gleichgewicht gebracht hatte. Unwillkürlich versuchte ich es auf dem Heimwege, mit den empfangenen Eindrücken die Würdigkeit des Mohammedanismus zu messen. Ich wollte ihn eben verurtheilen, als mir noch rechtzeitig die Springprocession von Echternach bei Luxemburg am St. Veitstage einfiel, die von den vorwärts gethanen Schritten immer wieder einige zurückspringt. Mit dieser Erinnerung kamen mir eine Menge anderer in den Sinn an die ascetischen Gebräuche meiner Religion. Ich ließ also von der hochmüthigen Verurtheilung ab und suchte lieber die Gründe zu finden, welche die Menschheit in solch’ wenig angenehme Sitten verführt haben mögen. Da war wohl am mächtigsten jenes ewig uralte Naturgesetz von dem Kampfe zwischen dem Geiste und der Materie, der Seele und dem Fleische, das sich als ungelöstes Problem durch die ganze Geschichte der Menschheit von ihrem adamitischen Anfange bis zu ihrem einmaligen seligen Ende hinzieht. Warum sollten davon die Kirchen und ihre Gebräuche unberührt bleiben? Alle haben die Spuren davon aufgenommen; die orientalischen, weil die Phantasie dort am lebendigsten ist, sind mit den erniedrigendsten Büßungen und den strengsten Kasteiungen ausgerüstet. Sonderbar ist es, wie die Religionen, obwohl sie sich oft mit ihren Grundsätzen so feindlich entgegenstehen, ihre Gebräuche geliehen haben. Solche Gebetsübungen, wie die der Rifa’yjah-Derwische, die sich nur in der völligen körperlichen Erschöpfung genügen, finden sich bei uns Katholiken wie bei den Mohammedanern, und auch das endlose ~La ilâha illâ-llâh~ (es ist kein Gott außer Gott), welches diese Beter heulen, ist unsere Gebetsform der Litanei. Der ganze mohammedanische Kirchengesang hat diese Formen; es sind Exclamationen, welche zum Lobe des Allerhöchsten in die Luft ausgestoßen werden: „O Fürsprecher! o Geliebter! o Seelenarzt! o Auserwählter! o Fürsprecher am Tage des Gerichtes, wo die Menschen rufen werden: O meine Seele! o meine Seele! und wo Du sagen wirst: O mein Volk! mein Volk!“ Der Koran selbst spricht ganze Seiten hindurch in dieser einsilbigen Sprache. Es ist dieses offenbar eine alte Formel des Orients, und der Katholicismus setzt nur eine Tradition fort, die vor Jahrtausenden begonnen hat. Nicht anders ist es mit den Waschungen vor den Kirchen, die bei den Mohammedanern sich noch erhalten, im kalten Abendlande aber sich in das weniger erkältende Bespritzen mit dem Weihwasser modificirt haben. Ich finde in diesem gleichmäßigen Benutzen derselben Gebräuche durch so verschieden gedachte Religionen ein Zeugniß dafür, daß die Welt ärmer an äußerlichen Zeichen denn an Gedanken ist, und in der That selten gleichen sich zwei Menschen durch ihre geistigen Fähigkeiten, aber alle arbeiten mit den Händen und Füßen. Wir ritten zurück durch Gassen, durch die wir gekommen waren, gefüllt mit solchem Schmutze, daß er selbst in Constantinopel überraschen durfte. Die Pferde gingen in Mitte zweier ungefähr vier Fuß erhöhter Trottoire in dem Kothe der Gasse, der an einzelnen Stellen flüssig, an anderen zu festem Brei getrocknet war. Mich unterhielt es mehr, als daß es mich verdroß; nur die allwärts gleiche Geschminktheit unserer Gassen ist mir zuwider. Constantinopel, Montag, den 13. Juni. Mehr aber als alles Uebrige interessirt mich immer wieder das Straßenleben. Wenn man von Pera an der französischen und österreichischen Gesandtschaft vorüber zur ersten Hafenbrücke hinabsteigt, kommt man unten am Hügel, wo rechts die Ecke nach der großen Galatagasse hinüberbiegt, an ein tscherkessisches Kaffeehaus. Ein ebenerdiges Häuschen, die rauchige Stube nach der Gasse zu offen, daneben ein kleiner Garten, die Umzäunungs-Mauer von Bäumen überragt: das ist der Sammelpunkt all der Unglücklichen, welche russisches Culturträgeramt aus der angestammten Heimath vertrieben hat. So oft ich hier vorbeikomme, immer finde ich neue Gruppen dieser elenden edlen Gestalten, Reiche und Arme, -- wenn bei Heimathslosen von solchem Unterschiede die Rede sein kann -- Vornehme und Geringe, unterschiedslos zusammengemischt. Es scheint, daß ein alter Brauch, vielleicht durch eine Kunde begonnen, die den Ruf dieses Kaffeehauses über das schwarze Meer in die kaukasischen Berge getragen, jeden neuen Ankömmling dieses Stammes zunächst hierherführt, um durch den Rath seiner Landsleute Leitung durch die verwirrende Fremdartigkeit dieser großen Stadt zu gewinnen. Freunde und Verwandte, die sich in der Heimath verloren hatten, mögen sich da wiederfinden; die Fremde und der Zufall gibt oft wieder, was schon aufgegeben war. Es sind große stolze Männer, die dort hinter ihren Wasserpfeifen auf den Strohschemeln sitzen, ausgestreckt auf dem Boden liegen, oder mit gekreuzten Armen an der Gartenmauer lehnen. So ruhig ihre Blicke, keiner ist geistlos; Alle, der ärmlichst wie der reich Gekleidete, haben, wie sie schmächtig und in die Höhe gezogen sind, auch etwas Aufrechtes und Gerades in ihrer Haltung und in ihrem Gange, wie das bei uns nur den Männern eigenthümlich ist, welche gewohnt sind, auf den Höhen des Lebens zu stehen. Keinen sah ich, der den Kopf mit dem adelig langen Oval des Gesichtes anders als hoch erhoben mit frei in die Welt hinausschauendem Blicke auf dem länglichen Halse getragen hätte. Die Schultern fallen stark abwärts, ganz das, was man in Frankreich ~une belle chute d’epaule~ nennt. Stierköpfig und breitschulterig habe ich keinen Tscherkessen gesehen. Es wird ihre Körperbildung überhaupt von einem das Kolossale Liebenden getadelt werden. ~Svelte~ ist das einzige Wort, das ihre Erscheinung und ihre Bewegung wiedergibt; ihre Knöchel sind es und ihr Gang ist es. Es ist ein Volk, als ob es von Göttern abstamme; vielleicht weil ihre Berge so hoch in den Himmel hinaufragen. Bekleidet sind sie gewöhnlich auf dem Kopfe mit einer hohen spitzen Pelzmütze, auf dem Leibe mit einem langen engen Rocke, von einem Stoffe, den wir hären nennen würden, und der schmutziggrau aussieht. In den beiden Brustseiten des Rockes sind fünf bis sechs Röhren für die Patronen gesteppt, ähnlich den Cigarrentaschen, die man vor Kurzem bei uns trug. Ein Gürtel hält den Rock zusammen, zwei Dolche stecken darin; die weiten Hosen unter dem Rocke, die aber kaum sichtbar werden, sind in die hohen Stiefel gesteckt. Der größere Reichthum macht wenig Unterschied in dieser Kleidung, wenigstens erscheint er nicht. Ich sah die ärmlichsten Fetzen mit solcher Hoheit getragen, daß das Kleid geadelt war, und das Sprichwort im umgekehrten Sinne galt. Man versuche einmal bei uns für diese Behauptung ein Beispiel zu finden. Vor dem Kaffeehause ist ein kleiner Platz. Mehr als irgendwo sonst liegen auf ihm wilde Hunde herum; gehe ich Nachts diesen Weg, so stolpere ich gewiß immer hier über eine dieser unangenehmen Bestien. Die Abfälle einiger Fleischerbuden mögen sie hierher locken. Der Geruch, den diese Gewerbe jetzt in der Hitze verbreiten, ist empfindlich und treibt mich über diesen Platz immer mit größerer Eile. Zu Pferde gelingt mir das auch; bin ich aber zu Fuße, dann halten mich die Surugis auf, die hier ihren Standpunkt haben und ihre Pferde an den Mann bringen möchten. Auf dem Ufer zwischen dem goldenen Horne und der langen Galatagasse, der einzigen, welche eine so weite Strecke gerade fort läuft, steht der Stadttheil, welcher alle ärgste Liederlichkeit und Verworfenheit Constantinopels an sich gezogen hat. Auch wer an das Schlimmste unserer europäischen Hauptstädte gewöhnt ist, wird hier noch überrascht werden. Man hat mich gewarnt, dieses Stadtviertel zu betreten, und zur Nachtzeit mag es allerdings ein Wagniß sein. Ich will auch diesen Theil des hiesigen Lebens kennen lernen, und treibe mich dort öfters beobachtend und betrachtend herum. Hart an dem Wasser, so nahe daran, daß kein verbindender Kai davor herführt, stehen die Häuser der verschiedenen Dampfschifffahrts-Compagnien. Der anständige Zugang zu ihnen ist zu Wasser, zwischen den in dichten Reihen davor liegenden Schiffen durch, der rückwärtige führt durch die Höfe, Thorwege, Gäßchen und Winkel eben jenes verrufenen Viertels. Einen Wirrwarr der Wege wie dort habe ich nirgends sonst gefunden, und ebenso nicht anderswo einen ähnlichen Schmutz. Von den Kohlen der verschiedenen Dampfschifffahrts-Depôts ist der Boden seit langem ein schwarz gefärbter; darauf werden aus allen Häusern die Abfälle geworfen, und die Gossen, die darüber zusammenrieseln, haben das Ganze in eine dunkle nachgiebige Masse verwandelt. Die Häuser selbst zu beiden Seiten sehen nicht viel appetitlicher aus. Ihre Wände sind auch geschwärzt vom Kohlenstaube, hängen nach vorne oder auch der Seite über, Thüren und Fenster sind zum Theile eingeschlagen, mit Papier verklebt, wenn nicht gar ihre Fassung aus der Mauer theilweise herausgebrochen. Beinahe bei allen sieht man offen und frei in das Innere des Hauses und dort in rauchigen hölzernen Stuben die Inwohner mit den scheußlichsten Lastern beschäftigt. Spiel, Trunksucht, alle Gattungen von schlechten Ausartungen, auch Raub, Mord und Todtschlag sind hier die gewöhnlichen und Allen sichtbaren Beschäftigungen. Schreitet die türkische Polizei in diesem Sodoma nach irgend einem gar zu grellen Falle ein, so sind gleich die europäischen Gesandtschaften zur Hand, sich vertheidigend vor ihre verleumdeten Schützlinge zu stellen, und die gesammte europäische Presse trommelt hinter ihnen den Sturm gegen türkische Unduldsamkeit, gegen muhammedanischen Christenhaß und barbarische Civilisations-Feindseligkeit. Der italienische und französische Gesandte sind hierbei gewöhnlich die bereitwilligsten. Die meisten der ständigen Bewohner dieses Quartieres sind Italiener, Griechen, Malteser, die Fremden meistens englische und italienische Matrosen und Flüchtlinge aller Nationen. Ich beobachtete heute eine solche Scene, die mit ihrer Schilderung andere vertreten mag. Aus einem Freudenhause führte ein jüngerer Matrose seinen älteren Genossen. Beide waren Engländer, der ältere mit beinahe weißem Haare so besoffen, daß er keinen Schritt ohne die Unterstützung des jüngern vorwärts thun konnte. Der war ein hübscher Bursche, nicht älter als 22 Jahre; das Haar stand ihm wirr zu Berge, die Mütze hatte er vergessen. Sein Gesicht, stark geröthet, lachte fortwährend, wenn er zurückblickte. Dort sahen aus jedem Fenster, eine über die andere gelehnt, geschminkte Dirnen heraus; unten in die Thüre trat eine, die hatte nichts an als ein blendend weißes mit Stickerei eingesäumtes Hemd, falsche Rosen in dem schwarzen Haare und ebenso falsches Roth krustendick auf den Backen. Ihr, als sie erschien, winkte der junge Matrose zu, indeß er mit der rechten Hand, die er über die Schulter des älteren gelegt hatte, hinter dessen Rücken diesem drohend eine Faust ballte. Das schien als Scherz gemeint, der auch den lohnenden Beifall des ganzen Mädchen-Chores erntete. Ich zweifle nicht, daß auch bei den Türken das Laster in mannigfaltigen Arten heimisch ist, aber in so schamloser und öffentlicher Gestalt sah ich es bei ihnen nie auftreten. Wohl zur Bewachung dieser Räuberhöhle ist in der Galata-Gasse das Wachthaus so stark mit Polizeimannschaft besetzt. Die Seite dieser Gasse, welche mit der Rückwand ihrer Häuser in dieses eben beschriebene Stadtviertel sieht, ist beinahe durchgehends von offenen Schreinerwerkstätten eingefaßt. Dort arbeiten sie jene Truhen, in welchen der Türke seine Schätze in der Moschee hinterlegt oder auf Reisen mitnimmt. Aus Cypressenholz gezimmert, duftet die ganze Gasse danach. Dann werden sie gewöhnlich grün angestrichen und zuletzt mit goldenen Nägelköpfen beschlagen. Die andere Seite der Gasse ist in ihren unteren Geschossen ebenso beinahe ausschließlich von einem Gewerbe besetzt; es sind Schusterbuden, nur daß sie ihr Handwerk nicht so offen zu Jedermanns Schau ausstellen. Civilisirter als die Schreiner haben sie Auslagekästen, und zeigen darin Producte, die wirklich den Wettstreit mit den besten französischen, italienischen und wiener Waaren nicht zu scheuen brauchen. Die Kaufläden weiter unten in der Gasse, wo man der Brücke näher kömmt, und in denen weiße Sonnenschirme, fertige Sommeranzüge, Handschuhe und andere Kleidungsstücke verkauft werden, gleichen ganz unseren hölzernen Meßbuden, nur daß hier über der offenen Auslage noch ein oder zwei Stockwerke eines Hauses stehen. Ist das Gedränge schon weiter zurück in der Galata-Gasse dicht, so wird es hier oft beinahe stockend und einige Schritte vorwärts, wo die Gasse um ein scharfes Eck zu dem Brückenkopfe umbiegt, undurchdringlich. Sieben Gassen münden dort in die eine schmale zusammen, alle aus den belebtesten Stadttheilen herauskommend. Den Berg herab über vielfältige Absätze und Stufen steigen zwei, darunter eine an dem Feuerthurme von Galata vorüber, der Hauptverbindungsweg nach Pera hinauf. Die bedeutendsten englischen Waarenmagazine liegen in oder an derselben, wo man Alles und zuweilen, nach dem Eintreffen großer Sendungen, Manches recht gut und sogar wohlfeiler als bei uns kauft. Die anderen Gassen münden links aus dem liederlichen Stadtviertel und rechts aus jenem Theile Galata’s ein, in welchem die größten Waaren-Depots der europäischen Produktion und auch das ist, was hier die Börse vorstellt. Das Aergste, was man von dem Gedränge unserer europäischen Hauptstädte in der Erinnerung hat, verschwindet neben dem Knäuel, der hier zusammenläuft. Dort sind es doch immer Wagen, welche die Mitte der Straße besetzt und diese dadurch wenigstens scheinbar frei halten; hier ist Alles, die Seitenwege an den Häusern wie die Mitte der Gasse mit Menschen gefüllt. Ob Reiter oder Fußgänger, das ist gleichgiltig und unterschiedslos zusammengemischt. Wagen kommen selten, beinahe nie vor, dazwischen aber die um Platz schreienden Hamale mit ihren ungeheuren Lasten, Pferde und Esel mit Thürmen von Ziegeln oder mit Balken auf dem Rücken, deren eines Ende ihnen dort aufliegt, das andere weit abstehend auf dem Boden nachschleppt. Sie passiren die Menge wie Mauerbrecher oder Schneepflüge. Wer die Vorstellungsgabe hat, der stelle sich das nun Alles zusammen; hat er es jemals gesehen, so wird ihm durch das wieder erschienene Bild auch das Geschrei und der Lärm lebendig werden, welche die Ohren betäuben, und die Buntheit der Farben, welche die Augen verwirren. Wie oft ist es mir nicht schon geschehen hier auf dieser Seite der Brücke oder drüben auf dem Stambuler Brückenkopfe, daß, wenn ich zu Fuße war, mir eine Pferdsnase plötzlich über die Schulter weg ins Ohr pustete, oder wenn ich zu Pferde ritt, eine fremde Hand in die Zügel griff, um das Thier gemächlich aufzuhalten, bis sich der Fußgänger daran vorüber gequetscht. Auf der Brücke ist der Raum etwas freier; die Menge strömt nach den beiden Seiten auf die Localdampfer ab. Links liegen die, welche hinaus in den Bosporus, nach Scutari und den Prinzeninseln gehen, rechts die, welche den Verkehr nach dem inneren Hafen besorgen. Durch diese Raumerweiterung wirkt die Brücke wie eine Erholung, ähnlich einer Mozart’schen Beruhigungssonate nach einem Wagner’schen Dissonanzen-Gedränge. Es ist auch die Freiheit des Bildes, die sich nach beiden Seiten auf die spiegelglatte Fläche des goldenen Hornes und vor sich auf die kuppelgekrönten Hügel Stambuls aufthut, welche zu dieser Stimmung beiträgt. Außer diesem Wohlgefühle lohnt die Brücke auch noch durch andere Reize allein die Reise nach Constantinopel. Wer nur sie und sonst nichts von dieser Großstadt gesehen, hat immer noch mehr gesehen, als ihm das ganze übrige Europa zeigen kann. Ich bin oft halbe Tage hier, auf und ab wandelnd, oder mich wie die anderen Müßigen und die Bettler auf die erhöhten Balken der Trottoire setzend. Da ziehen denn Türken und Griechen, Perser und modische Franken, Kurden und Armenier, Tscherkessen und Neger, beinahe alle Völker der Welt, Männer und Weiber, zu Fuß und zu Pferd und die elegante Europäerin in der Portantine an mir vorüber, und das Alles so bequem zu sehen, als sei es eigens wie die Wandeldecoration einer Ausstattungsoper zu meinem Vergnügen hergerichtet. Auch ein Wagen kam so an mir vorbei, ein ungedeckter Karren auf vier hohen plumpen Rädern, in dem eine zahlreiche Tscherkessenfamilie saß, Weiber und Kinder und all’ ihr flüchtiges Hausgeräth mit darinnen; die Männer gingen treibend neben den Pferden. Eines der Mädchen, das weniger dicht als die anderen Frauen in alte Schleier und Lumpen verhüllt war, zeigte ein classisch-schönes Gesicht; Augen dunkel, wie ihr rabenschwarzes Haar, aber Hunger und Kummer um die Lippen eingegraben und die Gleichgiltigkeit des abgestumpften Elends in den Blicken. Eine herrliche Gestalt lehnte neben mir, ein Araber in weiße Gewänder und in einen Burnus weißlich gelb mit violetten Streifen gehüllt, um das edle herrische Gesicht ein Bart schwarz wie Ebenholz. Besonders aufmerksam sah er den Dampfschiffen zu und den Passagieren, die hinabstiegen. Die meisten waren Soldaten, Officiere und Gemeine, die kommen aus den Aemtern, um mit den Dampfern nach ihren entlegenen Wohnsitzen zurückzukehren. Fällt mir irgend Jemand auf, das Fezz auf dem Kopfe aber sonst in unsere Kleider gekleidet, weil sein Anzug besonders gewählt, seine Hose besonders weit und seine Cravatte übertrieben bunt ist, so ist das, wenn ich ihm dann von vorne ins Gesicht sehe, immer ein Neger und gewöhnlich ein Eunuche. Die Neger und Eunuchen sind hier die Dandys der Gassen, das was man in Wien die feschen Kerle nennt; sie tragen Moden und Farben am auffallendsten. Alles ist sehr eilig, und der herumlungernde Faulenzer, als welcher gewöhnlich der ganze Orient geschildert wird, erscheint hier wenigstens nur in vereinsamter Ausnahme. Was mich aber am meisten befremdet, ist die absolute Gleichgiltigkeit dieser Leute für einander. Nicht der beturbante Alttürke und nicht die modische Dame, nicht der zerlumpte Kurde und nicht der stutzerhafte Eunuche sehen sich neugierig an. Es ist die Stadt der schärfsten Gegensätze, aber zugleich die der vollkommensten Ausgleichung und darum mehr als jede andere eine Groß- und eine Weltstadt. Das sieht sich hier auf der Brücke aus dem Völkergedränge als Ganzes und aus jedem einzelnen Gesichte im Besonderen heraus. Drüben in Stambul, wo die Brücke aufliegt, ist der Platz weiter und freier. Dort halten sich darum auch die meisten der Hausirer auf, solche, die fest hinter ihren Körben stehen, in denen von Laubkränzen umwundene Südfrüchte ausgeboten werden, und andere, die aufdringlicher ihr Wasserglas mit dem gellenden Rufe „Saka! Saka!“ zum Munde des Vorüberwandelnden hinhalten, oder den weißleinenen Sonnenschirm auf den Sattelknopf des Reiters legen. Verstummen der Augen und des Mundes ist das sicherste Mittel sich ihrer zu erwehren. Reite ich ruhig weiter ohne Blick nach rechts und links, den Sonnenschirm unberührt liegen lassend, dann ist der Kerl bald wieder da, um ihn schweigend zurückzunehmen. Das ganze Geschäft macht sich, als ob es nicht geschehen wäre. Ein Wort der Zurückweisung aber verschafft ihm den Sieg; er antwortet, und je gröber man wird, immer humoristischer und artiger, daß man zuletzt, blos um Ruhe zu haben, ihm seine dreißig Piaster hinwirft. Die stumme Sprache ist diesen Leuten die einzig imponirende; es liegt auch nur in ihr die wahrhaftige Würde. Die meisten dieser Sonnenschirmverkäufer sind Armenier. Buben tragen Zündhölzer, Cigarrettenpapier; einzelne alte Türken Pfeifenköpfe und papierne Cigarrenspitzen; Griechen reichlich überzuckertes Backwerk. Alle schreien, aber am lautesten die Wasserverkäufer. Unmittelbar der Mündung der Brücke gegenüber ist ein großer Obst- und Gemüseladen; nie kam ich ohne Aufenthalt an seiner appetitlichen Auslage vorüber. Aus den absichtlich umgestürzten Körben strömen Erdbeeren, groß wie unsere Pröbstlinge, hellrothe Kirschen, weiße Maulbeeren, gelbe Mispeln, kleine weiße und große dunkle Feigen, duftende Melonen, frühreife Trauben und Artischoken groß wie Kinderköpfe, der weiche Blumenkohl und die Perle aller Gemüse, die köstliche Melensane, heraus. Um die Oeffnung jedes Korbes ist ein buschiger Lorbeerkranz gewunden, und Büsche frischen Laubes, die Fliegen abzuhalten, sind um die ganze Bude gesteckt und werden von dem immer geschäftigen Verkäufer, der dahinter steht, zu ihrer Abwehr geschwungen. Der hat, wie alle Leute dieses Standes, möglichst wenig an, eine Jacke über der Brust zusammengezogen, den Shawl um den Bauch, kurze Pumphosen, Arme und Beine nackt, einen dünnen Turban auf dem Kopfe. Aber der Mann ist artig und zuvorkommend; jedesmal hat er ein anderes freundliches Wort für mich; gebildet möchte ich ihn nennen, wie das bei uns die Menschen durch die Erziehung werden, wie sie es im Süden durch die Natur sind. Wenige Schritte links von diesem Laden in der Gasse, die parallel mit dem Ufer des goldenen Hornes zu dem Serai führt, ist die Treppe hinauf zu der Jeni Djami, der Moschee der Sultanin Valide, der Sultanin-Mutter Achmed III., welche, zum Unterschied von einer in der Mitte der Stadt auch von einer Valide erbauten Moschee, die neue (Jeni) genannt wird. Die Treppe ist eine doppelarmige. Zwischen den beiden Aufgängen liegt ein Brunnen; die Stiege ist nur schmal, und da über sie der kürzeste Weg zu den Bazaren und dem heutigen Montags-Markte in den Außenhöfen der Jeni Djami hinaufführt, ist sie immer menschengefüllt. Auf dem Markte sind die Ersten, wenn man von dieser Seite kommt, die Verkäufer der Jacken, welche die Hamale, Surugi’s, Saka’s, die Kaïkgi’s, die Schiffer, Matrosen und andere Arbeitsleute der unteren Stände tragen. Die meisten verschieden in der Farbe, je nach dem Stande, dem sie bestimmt, dunkelbraun, grau, schwarz aus haarigem Kotzentuche, aus einem Gewebe von Kameelhaaren, weiß aus grober Leinwand, bei Allen die Nähte mit wollenen Borden, bei den weißen mit schwarzen Litzen besetzt. Dazu die kurzen Pumphosen aus grobem weißen und blauen Zwillich, die in ihrer freien Entfaltung, wenn sie der Verkäufer mit ausgestreckten Armen dem Käufer zum verlockenden Angebote entgegenhält, ein sonderbares, zu ihrer späteren Verwandlung unbegreifliches Viereck bilden; die rothen Binden um den Leib, die Shawls und die Fezz für den Kopf, die gestickten Westen und die feinen mit Seiden-, Gold- und Silberstickereien verzierten Schnupftücher, das liegt in Thürmen aufgeschichtet, hängt über Stricken und wird den Vorübergehenden mit derselben Beflissenheit wie unten die Sonnenschirme auf der Brücke aufgedrungen. Ein niederer Thorbogen, unter dem man bei weiterer Wanderung durchgeht, ist ganz mit solchen Waaren austapezirt. In den zweiten Theil des Hofes hängen aus dem abgeschlossenen Garten, dem Friedhofe der Moschee, ein paar prächtige Bäume herüber; ein Feigenbaum lehnt sich weit über die Mauer hinab. Der dritte Theil des Hofes, der neben der anderen Langseite der Moschee, hat seine eigenen Bäume; Platanen, alt, hoch und breit, geben kühlen Schatten. Zwischen den zackigen Blättern zittern einige Sonnenstrahlen hindurch; um auch sie abzuwehren, sind von einem Stamme zum anderen Zelttücher gespannt. Hier ist das geschäftliche Treiben am lebhaftesten; die Trödler haben noch weit werthloseren Tand ausgebreitet, als man ihn auf den Tandelmärkten von Wien und Graz sieht. Obst- und Gemüsehändler sind in großen Mengen vorhanden, auch bewegliche Garküchen. Eine ganze Gasse von Zeltbuden verkauft gefälschte Tabaksorten. Quacksalber tragen in offenen Kistchen ihre Heilmittel herum; zu ganz unglaublich hohen Preisen finden sie willige Käufer. Scheerenschleifer, aber auch Barbiere treiben offen unter freiem Himmel ihr Geschäft; Rasirmesser und Seife sind die einzigen Erfordernisse ihres Gewerbes. Als Sitz für seine Kunden benutzte der eine, den ich heute beobachtete, die Wurzeln einer Platane. Er rasirte einem sonnenverbrannten Perser das Kinn und den Schädel; der Perser fuhr, als die Operation vollendet, wohlgefällig prüfend über die Kopfhaut, dann setzte er die gestickte Mütze darauf und wickelte sie sich mit einem weißen Turban fest. Der Mann sah mehr als ärmlich aus, seine Kleider waren nur Lumpen, aber sein Körper erschien reinlich. Ich beobachte ihn nun seit drei Montagen; jedesmal sitzt er auf demselben Platze, hat dieselben Eisenreste, verbogene Nägel und zerbrochene Messerklingen vor sich liegen, spricht aber mit keinem Nachbar ein Wort, als gälte es Juwelen zu bewachen. Zog ich mich dann aus dem Gedränge nach dem Harem, dem inneren Vorhofe der Moschee zurück, so fand ich dort im erquicklichen Gegensatze geachtete Ruhe, die abgelegenste Einsamkeit. Hohe Säulenhallen umfassen ihn auf allen Seiten und in Mitte seines Viereckes den nie fehlenden Brunnen. Eine Tscherkessenfamilie hatte in dem Winkel des Säulenganges, wo sie zusammengedrängt saß, mehr als ich, nicht blos die Ruhe und Erholung, geradezu die Unterkunft gesucht. Was ihr der habgierige Czar genommen, verlangten sie von dem lieben Herrgott. Die Männer allein gingen ab und zu, wieder Gestalten von jenem wunderbar leichten elastischen Schritte, den Kopf mit dem schönen Profil, der freien Stirne und den offenen Augen stolz tragend, und herabschauend als hätten sie keine Sorge, keine Kümmerniß. Es ist ein eigenthümlicher Typus, der mich an Menschen mahnt, wie sie sonst nur die Phantasie sieht. Die Weiber dagegen erschienen gedrückt und getroffen von der Schwere ihres Schicksals. Eine Alte saß da, den Kopf und den Körper in ihre Schleier gehüllt, den Ellenbogen auf das Knie und das Kinn in die hohle Hand gestützt und den Blick stumpf vom erlittenen Kummer wie die Hekuba, die gleichgiltig ist für Troja’s Fall und den Mord der Ihrigen, auf dem erschütternden Bilde des Cornelius, dieses einzigen Riesen der Gegenwart, in den Marmorsälen der Münchener Glyptothek. Ich habe unter den tscherkessischen Frauen, die russische Barbarei von ihrem Herde vertrieben hat, noch nicht ein sorgloses Gesicht gesehen. Alle scheinen karg an Worten aber erfüllt von trauernden Gedanken zu sein. Wie sie da saßen, alt und jung, neben jener Aeltermutter an die Mauer des prächtigen Säulenganges gelehnt, in elende abgeblaßte Fetzen gehüllt, konnte ich nur an die Juden denken, die von den Ufern des Euphrat Seufzer an die Heimath sandten. Zwei Kinder, ein Bube und ein Mädchen, spielten dabei, heiter und zufrieden mit der Gegenwart, durch die Vergangenheit nicht bedrückt und unbesorgt um die Zukunft. Mit einem alten Fetzen verfolgten sie sich, schlugen sich, wenn das Eine das Andere erreicht hatte, und unterhielten sich als sei es das kostbarste Spielzeug. Daß ihnen dabei die weiten Pumphosen fortwährend herabfielen, sie zum Stillestehen zwangen, machte mich lachen; den Alten blieb es gleichgiltig, die Väter verwiesen sie wohl auch noch zur Ruhe. Als ich mich einigermaßen erholt hatte, trat ich wieder hinaus vor den Harem. Eine Marmortreppe führt auf den Platz hinab. Auf ihren Stufen stehend überschaute ich das ganze Bild. Neben mir, an die Mauer der Moschee gelehnt, lag eine wilde, sonnenverbrannte Gestalt; sie war beinahe nackt. Der Mann schlief. In den äußeren Arcaden der Djami saßen Gelehrte, die studirten. Wie deutsche Professoren schienen sie in der Gesellschaft ihrer Gedanken das Augenmerk für die Außenwelt verloren zu haben. An den Brunnen, die aus dem Sockel der Moschee herausfließen, wuschen sich Soldaten und andere Bursche der unteren Stände die Füße; Scheerenschleifer drehten emsig die Räder, und auf den Wurzeln der Platane wurde eben ein Derwisch barbiert. Nur mit mühsamer Ueberwindung riß ich mich von dieser Beschau zu weiterer Wanderung los. Sie ging durch die enge Gasse hinter der Moschee hinauf zu den Hallen des Besestan. Dieser Hohlweg dient als Gemüsemarkt. Es war heute dort vielleicht das undurchdringlichste Gedränge von Constantinopel. Wie in einem Theaterparterre stand ich Momente lang, ohne einen Schritt vor- oder rückwärts thun zu können. Der Boden ist weich wie eine Matratze durch die aufgehäuften Gemüseabfälle, auf welchen man geht. Der Besestan von Stambul ist größer als der von Brussa; im Vergleich mit diesem auch schöner, aber auch nur im Vergleiche, denn ich möchte damit keine Vorstellungen von Tausend und Einer Nacht geweckt haben. Alle Gänge, die alten wie die neuen, sind rauchig, winkelig, meistens niedrig, dunkel, ohne Schönheit der Architektur und offenbar ohne die Absicht gefälliger Wirkung nur für den praktischen Gebrauch gebaut. Amerika könnte sich nicht realistischer erweisen, als das hier der oft als so überschwänglich verschriene Orient gethan. Ueberhaupt, je mehr ich mich umsehe, die Länder des Südens sind die des eigentlich praktischen Wirkens. Auch die Staatsverfassungen sind hier gesünder, so lange man sie nicht mit dem Gifte der europäischen Cultur zersetzt. Die Unnatur läßt sich eben nur in nordischen Studirstuben aushecken. Wie einer dieser Träume um den anderen schwindet und der Orient mir immer realistischer erscheint, so würden mir wohl auch, wenn ich mich auf einmal in so weite Vergangenheit zurückversetzen könnte, die Gassen des alten Rom und Athen ähnlicher den heutigen orientalischen erscheinen, als sie uns unsere Schulmeister vorzeichnen. Der Besestan ist gewiß nur ein ausgearteter Abkömmling der berühmten Kaufhallen des byzantinischen Constantinopel. Die Chroniken schildern sie als säulengetragen und prächtig über allen Vergleich; aber ich finde allen Grund, wenn ich das Uebriggebliebene mit ihren Schilderungen vergleiche, diesen Chronisten zu mißtrauen und von ihrem Worte einiges abzustreichen. Schildern nicht so auch die türkischen Geschichtschreiber ihre Bazare? Europa, das sich so viel auf seine Fortschritte zu gute thut, wiederholt doch nur in den glänzendsten Sammelpunkten seines Lebens, was der Orient schon lange vor ihm besessen. Die Passagen und Markthallen in Paris sind nur etwas kleiner als die Bazare und Besestane von Constantinopel. Der hiesige Besestan füllt eigentlich ein ganzes Quartier der Stadt. Von der Jeni Djami zieht er sich mit einem Arme nach rechts neben dem goldenen Horne hin, mit einem anderen steigt er gleich vom Marktplatze der Moschee die Hügel hinauf. Oben in dem Dreiecke zwischen der Nuri-Osmanjieh, der Bajasid Moschee und dem Seraskeriate liegt sein Hauptkörper. Vom Thurme des Seraskeriates gesehen ist er ein ganz unerklärliches Durcheinander von kleinen Bleikuppeln und langgestreckten Wölbungen; unten, wenn man in ihn eintritt, ein Labyrinth von Gängen, in dem ich mich ohne Führer lange nicht zurechtfand. Allmälig unterschied ich drei Theile; das Alter ihres Bestandes scheint sie abgesondert zu haben. Der finsterste und wohl auch der älteste ist der, wo die Waffenhändler ihre Magazine haben, das gesuchte Ziel aller persische Dolche, Streitäxte, Morgensterne und andere Raritäten liebender Fremden, der Engländer insbesondere. Es ist das ein ziemlich regelmäßiges Viereck, die hohe Halle von Pfeilern getragen, die Wände geschwärzt vom Zeitschmutze, der Boden festgetretene Erde, die aber feucht ist von der eingesperrten Moderluft. An den Wänden hoch hinauf stehen alte Schränke übereinander; in ihnen hängen die Waaren. Auch durch die goldigste darunter kann diese finstere Höhle nicht freundlicher werden. Mir erschien dieses Schatzhaus persischer und türkischer Kostbarkeiten wie eines der unterirdischen Verließe unserer Ritterburgen. Der Waffen-Besestan hat, was die anderen Theile des Besestan nicht absondert, seine besonderen Thore. Einer alten Sitte zufolge werden sie um die Mittagsstunde schon gesperrt. Der zweite, der jüngere Theil des Besestan, ist auch der größere; die Gassen laufen neben einander her und kreuzen sich. Gedeckt sind sie mit niedrigen Gewölben, die wenig Licht einlassen, und auf beiden Seiten mit Arcaden eingefaßt. Dort sitzen die Verkäufer mit untergeschlagenen Füßen auf ihren Auslagstischen, die Waaren hinter sich in den Gestellen an der Wand, das Bessere aber in der kleinen Stube verschlossen, die keinem Stande fehlt. Der vornehme Fremde wird dort hinein gezerrt, mit Kaffee und Zuckerwerk tractirt und dann von redlichen Griechen und Armeniern geprellt. Wer hier nicht bis auf die Hälfte herabhandeln kann, mag das Bewußtsein nach Hause tragen, betrogen worden zu sein. Die meisten Gewerbe sind in gesonderten Quartieren vereinigt. So gibt es Quartiere der Schuster, der Buchhändler, der Juweliere u. s. w., jedes mit vielen Gassen. Das Princip der Arbeitstheilung ist also in dieser Beziehung hier weiter ausgebildet als selbst England es zu Stande brachte. Mich ziehen die Buchhändler immer am meisten an. Gewöhnlich drängt sich eine begierige Menge davor; sitzend oder stehend ist Jeder aufmerksam in ein Buch oder Manuscript vertieft. Komme ich nach Stunden wieder, so stehen immer noch dieselben Gestalten dort. Es zeigt das einen eifrigen Willen zum Studium und auch eine andere Art des Buchhandels, als sie bei uns üblich ist; sie erinnert an die, wie sie in Italien ehemals gepflegt wurde und wie sie auch Goethe schildert. Statt sich die Bücher zur Einsichtnahme zuschicken zu lassen, geht man hin und sucht sie sich. Die Frucht wird nicht gleich in den offenen Mund gesteckt, man muß sie sich erst pflücken; vielleicht genießt man sie dann auch etwas bedächtiger. Der Orientale wenigstens liest sein Buch öfter, er hat deren nur einige, aber die wandern durch sein ganzes Leben. Es bleibt erst noch die Frage, welche Gattung von Studium nutzbringender ist: europäische Vielleserei oder orientalische Sparsamkeit. Was ich den dritten Theil des Bazars nenne, nach dem Alter seiner Herstellung, sind größere, breitere Gassen, von gerader, in weite Ferne sich verlierender Länge, auch höher und lichter. Hier passiren auch Wagen und Pferde. Der Verkehr ist am lebendigsten in der so gestalteten Verbindungshalle zwischen der Nuri-Osmanjieh und der Bajasid Moschee. Das Gedränge schiebt und hält zugleich auf. Die Lastträger gehen hier durch und die Hausirer schreien auch hier ihre Waaren aus. Vor einer Bude stand ein Brougham, die Pferde ganz gemächlich ausgespannt, weil die darin sitzenden türkischen Frauen seit ein paar Stunden sich unterhielten, Stoffe und die Vorübergehenden anzusehen. So polizeiwidrig unseren Begriffen ist hier der Verkehr geordnet. Ein anderer Wagen, ein altmodisch vergoldeter, der wackelig in den Federn hing, kam hinter mir her, langsam von den Pferden geschleppt; der Kutscher ging daneben her und Weiber und Kinder sahen aus den Fenstern heraus. Auf mich zu aus dem Dunkel der Entfernung, das nur stellenweise durch die Lichtstrahlen der Kuppelöffnungen unterbrochen ist, kam auf einem Esel ein silberbärtiger Greis. Zurück nahm ich den Weg durch die lange gedeckte Gasse den steilen Hügel hinab zu dem Besestan der Specereien, der Gewürze, der Farbehölzer, der Rosenöle, der Ambra, der Tamarinde, des Sandel- und Aloeholzes, der Henna und all’ des Duftenden, was sonst noch die gesegneten Stammländer der heil. Drei Könige uns senden. Liegt auf dem oberen Markte gar manches europäische Product zu Kauf, wie es bei der Herrschaft, welche das Fremdländische sich über alles Einheimische anzumaßen weiß, nicht anders möglich ist, so ist hier unten Alles dem Heimathslande der ausgebotenen Waaren getreu. Die Verkäufer sind ausländisch in Kleidung und Wesen. Ich bewunderte das Geschick, womit sie den unförmlichsten Gegenstand zierlich aufstellen. Vor und in den Buden steht Alles in großen Körben so appetitlich hergerichtet, daß jeder Korb dem Gaumen eine Versuchung wird. Eine solche Wanderung, die sieben Stunden dauerte, gibt deutlicher als alle statistischen Zahlen einen Begriff von dem Handelsumfange dieser Stadt. Lebhafter habe ich nirgends ein Bild des menschlichen Treibens gesehen. Constantinopel, Dienstag, den 14. Juni. Um die Eindrücke aneinander zu reihen, weil mir die der heulenden Derwische noch frisch im Gedächtniß stehen, besuchte ich heute ein Tekke der tanzenden. Der Stifter dieses Ordens war der große mystische Dichter Mewlânâ Galâl addyn Rumy, der zu Balkh in Persien geboren, 1273 starb. Nach ihm wird der Orden auch heute von den Eingebornen benannt. Die Mewlewijjeh-Derwische bewahrten sich der Richtung ihres Gründers getreu, die sich scharf gegen die Glaubensenge des arabischen Islamismus kehrte, einen rein türkischen Charakter. Auch haben die Araber ihnen nirgends ein Tekke errichtet. Der Saal des Ordenshauses neben dem kleinen Campo, in das ich trat, ist achteckig. Säulen tragen eine breite Gallerie mit den Logen des Sultans und der Frauen; unter ihnen ist der offene Gang für die männlichen Zuschauer. Das Material ist Holz; der Anstrich grell in den Farben, neu, aber nicht ohne Uebereinstimmung der Töne. Das Ganze mahnt mich wieder an den Eindruck chinesischer Bilder. Dem Eingange gegenüber, gerade gegen Südost, ist die Gallerie unterbrochen für den Mihrab. Rechts und links sah durch die offenen Fenster die blaue Fluth und das rothe Hügelland des Bosporus herein, ein wundervoller Anblick und eine stimmungsvolle Decoration zu dem, was sich im Saale begab. Im Achtecke, das in der Mitte des Saales frei blieb, drehten sich auf dem, eine Stufe tiefer liegenden, glatt gewichsten Boden sechzehn Derwische; vierzehn gewöhnlich einen äußeren weiten Kreis bildend, zwei, manchmal auch drei in seinem Centrum einschließend. Von den Hüften hängt ihnen ein weites, langes, weißes Kleid, ähnlich einem Weiberrocke; der Stoff ist Wolle. Unten ist etwas wie eine Schnur eingenäht, das den Rock beim Stillestehen niederzieht, beim Tanze ihn aber aufschwellen macht. Die Füße unter dem Rocke sind nackt, die Beine in weiße Hosen gekleidet. Den Oberkörper tragen sie in einer Jacke aus demselben Stoffe wie der Rock; den rechten Zipfel der Jacke in den Gürtel gesteckt; unter der Jacke ein buntgestreiftes Hemd; auf dem Kopfe die bekannte cylinderförmige Mütze aus Kameelhaaren, Kulah genannt, die nach dem Muster der Vase geformt sein soll, welche die Seele des Propheten vor ihrer irdischen Geburt in der Geisterwelt enthielt. Denn der mit indischen Schwärmereien vermischte Glaube der Mewlewijjeh-Derwische stellt sich die Seele als ein immer existirendes Licht dar, das aber, weil es körperlos ist und das Auge nur die Eigenschaften eines Spiegels hat, dem Menschen unsichtbar bleibt. Als der Tanz begann, hoben die Derwische die Arme langsam von dem Gürtel und breiteten sie wie Flügel aus. Die rechte Hand strecken sie mit der Fläche nach aufwärts, die linke mit der Fläche abwärts. Den Kopf lehnten einige hinüber zum rechten Arme, was ihrem Tanze etwas besonders Zierliches gab, an Tänzer auf antiken Vasengemälden erinnernd. Den Tanz selbst möchte ich die Ruhe in der Bewegung nennen. Man sieht eigentlich nur das Umkreisen der eigenen Person und merkt kaum das Bewegen nach vorwärts, und doch legen sie in kurzer Zeit den Weg um den ganzen Saal zurück. Mit gleitenden Schritten geben sie den rechten Fuß über den linken und schieben sich so weiter. Eine eigenthümliche Musik, die unsichtbar über mir herabtönte, Flöten, Tamburin und ein Triangel, gab den Tact dazu; nicht schnell und nicht lärmend. Störend in dem beinahe märchenhaften Eindrucke, den das Ganze auf mich machte, war nur der Gesang, der von Zeit zu Zeit einfiel. So ganz individuell ist das Ohr der Völker gebaut. Sie fanden gewiß dieses Gekneife nicht weniger bewundernswerth, als der selbstgefällige Held in Hofmann’s Kater Murr seine Arien. In gemessenen Pausen unterbrachen die Derwische ihren Tanz durch einen gravitätischen Umgang, der mir den Chor in Schiller’s Kranichen des Ibikus in die Erinnerung zurückbrachte. Vor dem Scheich verneigten sie sich jedesmal. Es waren alle Altersstufen unter ihnen vertreten, auch ein bildschöner Knabe von höchstens zwölf Jahren. Der älteste war der Scheich. Er stand in dunkle Gewänder gehüllt, einen grünen Turban um die Derwisch-Mütze geschlungen, innerhalb der Umzäunung des Mihrab; ein würdiger kleiner Alter mit langem Silberbarte, der die Verehrung, welche ihm die Jüngeren zollten, schon durch sein Aussehen zu verdienen schien. Assistirt ward ihm von einem anderen, der zum Schlusse die weitärmeligen Arme erhob und ein Gebet sprach. Die Tänzer fielen dabei nieder und lauschten dem Gebete mit zur Erde geneigtem Haupte. Ein Diener warf ihnen dunkle Kaftans um, offenbar um die sehr Erhitzten vor einer Erkältung zu bewahren. Früher als ich es erwartet hatte, war die Ceremonie zu Ende. Man hat sie viel commentirt und durch die mannigfaltigsten Hypothesen zu erklären gesucht. Ich wage keine Deutung und erinnere nur an die vielen Gebräuche in beinahe allen Religionen, die ihren Ursprung verloren haben, aber gewiß einmal wesentlich durch denselben waren und es heute durch ihr Alter geworden sind. Wer sie abschaffen will, der versteht eben nur sich und nicht den Geist des Volkes, der meistens historischer denkt als die bloßen Rationalisten es begreifen können. Und der Einzelne selbst, der Hochgebildete, der sich erhaben glaubt über all’ solchen Albernheiten der Menge, wie viele solcher Gebräuche schleppt er nicht widerstandslos durch sein Gesellschaftsleben? Man übt sie eben, weil es nun einmal Sitte, und weil sich in der Sitte, wenn auch undefinirt, doch ein wirkliches Gefühl ausspricht; der erste Anfang mag sich verloren haben, aber der Gedanke, der ihn geweckt, wirkt noch fort. Es ist wie mit jenen wunderbaren Seepflanzen, die aus endloser Tiefe kommend auf dem Meere mit ihren Blättern und Blüthen herumschwimmen und deren Wurzeln nicht zu finden sind. Mir hat der Tanz der Derwische nur andächtige Eindrücke geweckt und ich sah nicht ein Gesicht unter den Tanzenden, das von anderen als gottesdienstlichen Gedanken bewegt sein mochte. Man übersetzt das Tekke der Türken, wie hier diese Uebungshäuser der Derwische heißen, in den europäischen Sprachen durch das Wort „Kloster“ und gibt damit zugleich auch einen irrigen Begriff von der ganzen Art und von der Lebensweise der Derwische. Die Derwische gleichen weit mehr unseren Bruderschaften, denn wie diese leben sie auch außer dem Hause, jeder in anderen Lebenskreisen und seinen Berufspflichten nachgehend. Der Scheich allein residirt in dem Tekke und überläßt die Sorge für seinen Unterhalt der Vorsehung. Von den 200 Klöstern in Constantinopel sind nur 50 genügend mit Unterhaltscapitalien versehen. Die Derwische treten nur periodisch zur Uebung ihrer religiösen Gebräuche zusammen, und was ihre Versammlungsorte betrifft, so finde ich diese unseren Theatern ähnlicher als unseren Klöstern. Man sitzt dort ohne unmittelbare Theilnahme nur als stummer Zuschauer und läßt den Eindruck auf sich wirken. So war auch der Ursprung unseres Theaters und der jedes Theaters überhaupt: eine religiöse Wirkung, die durch das bloße Zuschauen und Zuhören erzielt werden sollte. Es war der sinnliche Theil des Menschen, den man für die Religion auf diese Weise fassen wollte. Im entfernteren Oriente lebt auch wirklich noch das Theater mit diesen Absichten und Formen fort. In Persien ist es mit der Darstellung der traurigen Schicksale der Aliiten in den Unglückstagen von Kerbella ein wesentlicher Behelf des Cultus. Es ist eine Gattung Charwoche, die sich dort auf der Bühne vor den erschütterten Zuschauern abspielt und das ganze Volk lebt diese Charwoche wieder mit. Auch die äußeren Räume des persischen Theaters geben die Anknüpfungspunkte, um die Aehnlichkeit mit dem altgriechischen zu behaupten. Und diese Tänze der Derwische, ich halte sie für nichts anderes als die Ueberbleibsel solcher religiös-theatralischen Darstellungen. Unbegreiflich ist es mir, wie ich jetzt Abends die ganze Ceremonie wieder überdenke, daß sich unser Theater, das doch so lüstern nach den Eigenthümlichkeiten fremder Völker ist, diese Effectscene noch nicht angeeignet hat. In einem Ballette müßte solch’ ein Tanz der Derwische, begleitet von der gehörigen Musik, einen ganz unwiderstehlichen Eindruck machen. Pera, den 16. Juni. Ich speiste gestern mit dem Fürsten Cousa; ein großes Diner von einigen dreißig Personen in der österreichischen Internuntiatur. Nach dem Essen war allgemeiner Empfang, zu dem viele Diplomaten erschienen: Moustier, Bulwer, Brassier u. a. Fürst Cousa ist ein mittelgroßer, starker, breitschulteriger Mann. Der Kopf, welcher ihm in den Schultern steckt, ist nicht schön; die Nase unedel spitz geformt. Ein spitzer Knebelbart entstellt ihn beinahe. Aber die Augen sind scharf; sie scheinen zu lauern und zu lauschen, so lange er schweigt, bis sie plötzlich zugleich mit einem kecken Worte in das Gespräch blitzen. Wie der Fürst gerne den Charakter des Soldaten herauskehrt, so trägt er auch meist die militärische Uniform; dann steckt er die Hände in die Seitentaschen der weiten Beinkleider und stellt die Füße breitspurig auseinander. Schon der Eindruck seiner äußeren Erscheinung läßt an dem Manne nichts Geschliffenes, aber viel Derbheit, ein muthiges Nichtbeachten der gewöhnlichen Formen erkennen. Und so ist auch seine Rede, sein ganzes Wesen. Der Fürst wagt es, kräftige Gedanken, die sonst die Heuchelei der guten Erziehung zu verschlucken zwingt, offen auszusprechen. Er erstürmt mit einer Frage seinen Zielpunkt, zu welchen Andere mit überflüssigen Winkelzügen herankriechen. Dadurch überrascht er und wirft Menschen, die solch’ kurzes offenes Verfahren nicht gewohnt sind, noch ehe er sie eigentlich angegriffen, aus dem Sattel. Es ist dies ein Vortheil, den die meisten Eingebornen der hiesigen Länder uns gegenüber voraus haben, vielleicht gerade, weil sie weniger „erzogen“ sind. Fürst Cousa kam zumeist, um ein neues Wahl- und Verfassungsgesetz für die Donaufürstenthümer zu erlangen. Das wird ihm, wie ich schon weiß. Er brachte im Uebrigen nicht die übertriebenen Hoffnungen, mit denen ihn die Wiener Blätter hierher reisen ließen. Er verlangte allerdings zuerst mehr als er erlangt hat; aber was er erlangte, ist gewiß mehr als er gehofft. Die Türken, viel zu klug, um nicht zu erkennen, daß der Mann sie mehr brauche als sie ihn, und daß er eben dadurch ihr Werkzeug werden könne, empfingen ihn auf das freundlichste. Die Versuche Frankreichs und Italiens, den unterthänigen Fürsten feindlich gegen seinen kaiserlichen Herrn zu stellen, scheiterten an der Klugheit der beiden Orientalen. Alle bis zur Kriecherei gehenden Huldigungen des französischen Botschafters, der im preußischen Gesandten einen immer helfenden Genossen findet, vermochten nicht den Fürsten Cousa zu verblenden, daß er die richtigen Mittel zu seinen Zwecken übersehe. Noch kann der Fürst die Pforte nicht entbehren; ein Zwiespalt mit ihr würde ihn schneller als der Zusammenbruch irgend einer seiner anderen Stützen stürzen. Gewählt und erhoben aus unbekannter Unbedeutendheit -- er war einfacher Oberst -- hat ihn nicht die Neigung und Macht einer Partei, sondern die Uneinigkeit und Eifersucht aller. Keine wollte der andern zur Wahl ihres Führers helfen und keine war stark genug, selbständig den ihrigen durchzusetzen. Cousa war also ohne Partei und muß sich erst eine bilden. Unter den geborenen Großen des Landes, zu denen er nicht gehört, wird er sie kaum finden. Jeder dieser Herren glaubt, weil einmal seine Familie das Fürstenamt ausgeübt, immer noch Rechte darauf zu besitzen. Auch sucht Cousa seinen Halt mehr in den Mittelständen. Weil diese aber schwach sind dem eingewurzelten ererbten Einflusse der Bojaren gegenüber, muß ihm jede von außen kommende Unterstützung willkommen sein. Von Rußland kann er diese nicht erwarten, weil der Czar als oberster Glaubensherr gegen ihn für die confiscirten griechischen Klostergüter auftreten muß. Diese Lage, ist sie nicht der Türkei günstig? und ist sie es nicht auch Oesterreich? Ein neuer Fürst von willenskräftigem und muthigem Charakter, fähig, die Pflichten seines Amtes zu üben, streckt hilfsbedürftig die Hände zu seinen Nachbarn aus. Ist’s da klug, ihn ohne Weiteres abzuweisen, und zur Abweisung auch noch, wie es die Wiener Presse thut, den Stachel des Spottes zu fügen? Und das nur, weil er ein ~homo novus~, ein Abenteurer ist, und weil er wünscht, die neu erworbene Würde für seine Nachkommen erblich festzuhalten. Sind die Stirbey, die Ghika weniger Abenteurer als der Oberst Cousa? und haben nicht auch sie schon nach der souverainen Krone getrachtet? Mit hochmüthigen Witzeleien über Nachäffung des 2. December u. s. w., wie sie z. B. die „Ostdeutsche Post“ brachte, thut man den Mann nicht ab. Mir scheint es klüger, da er einmal Fürst ist und ihn zu Gunsten einiger seiner Landsleute zu stürzen kein österreichisches Interesse gebietet, zu prüfen, ob nicht Umstände denkbar sind, wo uns seine Hilfe nützlich sein könnte und ihn bis dahin durch zuvorkommende Gefälligkeit zu gewinnen und zu künftigem Dienste zu verbinden. So auch hat wohl Baron Prokesch die Lage gefaßt und ausgebeutet. Pera, Freitag, den 17. Juni. Den Morgen sah ich Aquarelle bei dem Maler Pretiozi an, und Nachmittags suchte ich ihre Originale in den Gassen. Unten in Galata führt eine dem Hafen parallel nach Dolma-Bagdsche. Kaufläden säumen sie rechts und links ein; dazwischen fällt ein und das andere Mal von einem freien Platze der Blick auf das Meer. Unmittelbar vor dem großen, der vor den hohen Thoren des sultanlichen Schlosses liegt, ist die Gasse noch mehr eingeengt. Rechts ragen die zierlichen, wie aus Zucker gebauten Minarete der Moschee Abdul Medschid’s empor, links hinter einer hohen Mauer und über sie herabhängend Cypressen, Platanen und buschiges Goldgrün mit rothen Granatblüthen darin. Die Minarete stehen im lichten Sonnenglanze, die Bäume und Gebüsche im tiefen Schatten. In der Gasse, die dunkel ist, kommt mir ein Engländer mit blauem Schleier auf dem Hute zu Pferde entgegen, und hinter ihm auf langsamem Eselein ein alter Türke; Matrosen dazwischen in ihrer sauberen Uniform, weiße Hosen und weißes Hemd mit Roth eingesäumt und besetzt; Soldaten, Albanesen und vermummte türkische Weiber: das Bild war fertig, wie ich es bei Pretiozi gesehen hatte. Auf dem großen Platze vor Dolma-Bagdsche saßen hunderte von türkischen Weibern, erhöht auf einer Stufe, die sich dort über den ganzen freien Raum hinzieht. Sie schauten auf’s Meer hinaus und feierten so ihren Sonntag. An dem Strande schiffte man eine Menagerie aus, die ein Dampfer aus Aegypten dem Sultan als Geschenk des Vicekönigs gebracht hatte. Die Giraffe war eben in’s Meer gefallen und stolzirte gar seltsamlich auf ihren hohen Füßen durch die Felsen des Ufers hindurch. Der Löwe brüllte noch auf dem Schiffe. Ich stieg den Hügel hinauf durch den großen Friedhof. Von oben, zwischen den Cypressen hindurch, ist der Blick beinahe schöner als irgend ein anderer auf das Meer, den Bosporus und die Seraispitze. Die See lag tiefblau. Auf den Hängen der asiatischen Küste hoben sich beherrschend einige Pinien hervor. Zwei Kinder saßen nahebei auf einem Grabe, die Füße in die Oeffnung hinabhängen lassend, die das religiöse Sittengesetz jedem Mohammedaner in der deckenden Steinplatte anzubringen befiehlt. Es war als seien sie die Engel Nakyr und Monkar, die der altüberkommene Aberglaube der Mohammedaner dort zu dem Verhöre der Todten ein- und aussteigen läßt, damit sie, wenn der Todte ihrer inquisitorischen Frage mit dem muselmännischen Glaubensbekenntnisse antwortet, ihm das Grab um 70 Ellen erweitern und ihn so bequemer gebettet ruhig bis zur Auferstehung fortschlafen lassen, wenn er aber diesem Gerichte ausweicht, sie ihm die Erde fester um den Leib schlagen, daß ihm die Rippen brechen und er gepeinigt bis zum jüngsten Tage liege. So ist überall hier neben dem blühendsten und prachtvollsten Leben Mahnung an den Tod. Pera, Sonntag, den 19. Juni, 3 Uhr Nachts. Ein schwüler Tag. Der Telegraph brachte erfreuliche Nachrichten aus Europa; das und die Hitze hielten mich im Hause fest. Abends nahmen wir den Thee im Garten und betrachteten durch das Teleskop die Sterne. Dadurch ward schon meine Sehnsucht von der Erde weggewendet. Nach 11 Uhr stieg ich in Top-Hane in’s Kaïk und ließ mich um die Seraispitze herum in’s mondbeglänzte Meer rudern. Eine Nacht, ruhig, friedsam, selig wie das bewußtlose Gemüth eines Kindes. Mir wurde wohl und heiter, wie ich die Ruhe und den Frieden auf dieser Erde nicht mehr wieder zu finden erwartet hatte. Gegenwart und Vergangenheit mischten sich im betrachtenden Geiste, in der fühlenden Seele und verloren ihre Unterschiede; das ganze Leben ward ein Augenblick ohne Reue und ohne voraussichtiges Hoffen. So vielleicht wird auch einmal das Dasein in jener andern Welt, die das große Fragezeichen aller unserer irdischen Bestrebungen ist. Der Maßstab der Zeit muß erst verloren sein, damit das Leben ein ganz sorgenloses werde; die Erinnerung so gut als das Hoffen ist zeitlich und in dieser Welt geboren. Wer also sie mit in die andere nehmen will, der stellt sich diese als auch mit dem Staube unserer Erde behaftet vor. Die See war glatt, unbewegt, von mattem Silberglanze übergossen und in der Entfernung wie in die Tiefe abfallend, als sei in meinem engen Gesichtskreise schon der Einfluß der Kugelgestalt merkbar. Nur am Horizonte lag stärkeres Licht. Zuweilen hob sich links neben dem Boote, wo das freiere Meer war, ein Delphin, und dann glänzte in der silbernen Fassung des Wassers sein Rücken goldig. Die Bäume rechts auf dem Ufer standen regungslos wie die Steine und Mauern, die sie auch in der Nacht noch gegen das Licht beschatteten. Auf den Hügeln wuchsen die Aja Sophia und die Achmedjie empor, auf dem Ufersaume hart neben mir der Leuchtthurm. Vor mir lagen hohe Segelschiffe, zwischen ihnen schweigsame Fischerboote. Sie erwarteten den Morgen und die Sonne, die einen um ihr Geschäft zu beginnen und in den Hafen einzufahren, die anderen um es zu enden und mit der eroberten Beute heimzukehren. So gibt jede Stunde Jedem anderes; dem Einen die Mühe und die Arbeit, dem Anderen den Lohn und den Schlaf. Weit draußen, undeutlich und doch erkennbar, lagen die Prinzen-Inseln. Dünste des warmen Tages lagerten um sie; aber es war, als tauchten sie abwechselnd hervor und verschwänden wieder in der Fluth. Ich lag lange draußen auf der ruhigen See; die Ruder ruhten und das Boot trieb wie es wollte. Es war nicht, als sei die Natur erstorben, aber es war, als schlafe sie, und schlafe so fest, daß sie nicht einmal träumen könne. Die Rückfahrt ging noch näher der Seraispitze gegen die starke Strömung. Mit ihr auf und nieder schaukelte sich der überhängende Schatten einer Pinie, die dort hart am Meere steht. Unter ihrem Dome, dem Cypressen wie Minarete der Moschee gesellt sind, bemerkte ich eine weiße Gestalt, den Kopf turbangekrönt, die sich hob, die Arme ausbreitete und dann wieder niederfiel um die Erde zu küssen. Es war ein Muselmann, der den Ruf des Muesin gehört und ihm hier, zwischen den Mauern und der See eingeklemmt, gehorchte, und mit dem Auge Mekka suchte. Der Mond stand im Osten, so konnte es scheinen, als richte der Beter seine Worte an ihn. Und was wäre es gewesen, wenn er es gethan? Gottlosigkeit, weil er in seiner Einfalt der Gabe schon gegeben, was erst dem Geber gebührt? Gott ist milder und verständiger; Er findet den Glauben, wo er +ist+. Soldaten schauten vom Ufer mich und die See an; sie hatten die Wache dort bei den Batterien. Im goldenen Horne zogen sie Handelsschiffe durch die geöffnete Brücke in den Bosporus. Es war das erste Leben, das ich wieder hörte. Gespensterhaft ragten die Schiffe auf und gespenstisch war ihre Bewegung, leise und ohne die nothwendigen Segel. Und wie ich jetzt ans Fenster trete, sehe ich das Alles wieder; nur der Mond steht etwas tiefer und ein leichter Wind zieht über das Ganze hin. Es ist der Morgen, der sich kündet. Und da gibt es Menschen, die im 19. Jahrhundert die Poesie aus der Welt geschwunden glauben! Ueberall und immer ist sie; über und um uns, nur nicht in uns, wenn wir sie nicht sehen und nicht fühlen: „Das ganze Leben ein Gedicht!“ Prinkipo, Montag, den 20. Juni. Immer reizender erschienen sie mir, diese Inseln. Meine Neugierde wurde zuletzt ganz unzähmbar. Was ich so oft gesehen hatte, das Land verklärt im Sonnenglanze, oder wie heute Nacht entrückt in zweifelhaftes Mondlicht, wollte ich auch einmal selbst betreten. Nachmittags stieg ich an der Hafenbrücke mit einem Freunde auf ein türkisches Dampfboot, das den Dienst hieher besorgt. Das Schiff war, wie die Localboote hier gewöhnlich, menschenüberfüllt; die Meisten, Griechen, in europäischer Kleidung, weil die Inseln beinahe ausschließlich von diesen bewohnt sind. Einen einzigen Türken sah ich in seinem Nationalkleide. Schon ehe das Schiff abstieß, hatte er seinen Platz eingenommen, den er unbeweglich durch das Stoßen und Drängen der Kommenden festhielt. Er schrieb; Tinte und Feder nahm er aus dem Gürtel, das Papier hielt er auf der linken Hand ausgebreitet. Es war ein Brief, den er schließlich in unserer gewöhnlichen Form zusammenlegte und in ein Couvert steckte. Sorgsam und selbstgefällig, wie wenn es ihm Vergnügen mache seine Hand schaffend zu beobachten, zog er die Buchstaben. Und so wie ihn, sah ich alle Türken dieses Geschäft betreiben; malen wäre dafür vielleicht rechtmäßiger gesagt als für Manches, was sich dafür ausgibt. Schnell schreiben sah ich nie einen Türken; das Geruhigbleiben ist auch hierbei sein oberstes Gesetz. Dieses Wohlgefallen an der Schrift und an dem Schreiben selbst ist ein Theilstück seiner Natur, angeboren nicht erworben; es entspringt dem Formgefühle des Orientalen. Und daß sie doppelt wirke, die Schrift, zugleich durch den Gedanken den sie ausspricht, und den Linienzug den sie zeigt, lag von Anfang an in ihrer Absicht. Ich weiß, daß man das bestreitet, daß insbesondere Kugler behauptet: die Schrift wolle ihrem wesentlichen Zwecke nach nicht formal wirken. Der Mann hat schlecht gesehen. Schon die Stelle, wohin man sie gewöhnlich malt, und die sorgsame Weise, womit man das thut, sie in den Marmor meißelt, in Talismane gräbt, wie man sie zur Auszierung der Waffen, der Kleider und Teppiche verwendet, zeigt diese Absicht der formalen Wirkung. Und ist nicht auch bildlich, wie es die Schriftzeichen sind, die Sprache gestaltet? „Gott hat ihr Herz und ihr Ohr versiegelt!“ drückt sich der Koran aus, um die Ungläubigen zu bezeichnen, die das Wort des Propheten hören, aber ihm nicht folgen. Und so wie Schrift und Sprache, so ist der ganze Mensch des Orients; der Gemeinste hat ein feines Gefühl für die Formen. In Haltung und Kleidung tritt das immer hervor, dem Vornehmsten begegnet er mit der Sicherheit des angeborenen Anstandes und ist darum nie verlegen. Daher denn auch in dem Lande, das nach unseren Begriffen durch die Sclaverei das der entwürdigten Menschheit ist, die äußerlich wenigstens würdigsten Vertreter unseres Geschlechts. Der Beduine, den ich neulich auf der Brücke so sehr bewunderte, und der den Kopf so aufrecht und den Burnuß in so schönen Falten trug, war ein Mann der unteren Stände. Ich will das übrigens nicht blos auf den Mohammedaner oder gar nur auf den Türken beschränken, es gilt im weitesten Sinne von allen Völkern, welche im Oriente entstanden und ihm noch mit einem Theilchen ihres Wesens angehören. Sie Alle schreiben mit Zeichen, die wie bei den Aegyptiern eine ursprüngliche Bilderschrift wahrscheinlich machen. Um wie viel schöner erscheint z. B. die hebräische Schrift neben der lateinischen? In China ist das Schönschreiben eine Kunst der höchsten Gelehrsamkeit. Eigene Professoren bestehen dafür, und die chinesische Sprache selbst nennt es malen, wie denn der Pinsel ihr Instrument dazu ist. Ich erinnere mich eines Romanes -- aus dem Chinesischen übersetzt, ~les deux jeunes filles lettrées~ -- der schildert den Wettstreit zweier junger Mädchen mit den berühmtesten Gelehrten des himmlischen Reiches im Schönschreiben. Sie siegen, und der Kaiser selbst zeichnet zuletzt ihren Sieg durch seinen Beifall aus. Wie sehr übrigens dieses Formengefühl eine angeborene Eigenschaft der Menschheit ist, das beweist jedes Kind; Schreiben und Malen sind ihm Begriffe, die es lange nicht auseinander halten kann. Einen Brief malen und einen Buben schreiben, so drückt es sich so lange aus, bis ihm erst die Erziehung eine andere Sprache eingebläut hat. Es ist eigentlich nur die Nacht, die wir hier zubrachten. Aber welche Nacht! würdig, der gestrigen so nahe zu sein. Nicht Wochen des ungetrübtesten Sonnenlichtes gebe ich für ihre Finsterniß. Gleich nach dem Essen stiegen wir im Mondscheine die Berge hinauf. Unter Pinien rasteten wir. Dann weiter in eine wilde Region von Felsen und Strauchgewächsen; Alle athmeten Gerüche aus, daß die Luft, selbst in dieser Nähe des salzigen Meeres, balsamisch gewürzt war. Gegen Osten, wo wir hinschauten, fällt der Berg steil und zerklüftet ins Meer. Die Kaninchen-Insel liegt vor; ein unbewohnter Felsen, gerade so groß wie sich meine Kinder-Phantasie einmal die Inseln überhaupt vorgestellt hatte. Tiefer hinein zieht sich die Bucht von Ismid. Mondlicht ruhte darauf. Von Constantinopel herüber flackerte auf und erlosch wieder das wechselnde Licht des Leuchtthurmes. Es war 11 Uhr, als wir auf der Kuppe des Berges anlangten. Eine Stunde um die andere verstrich, und immer noch hielt uns der Zauber fest, der vom Himmel herabgestiegen war, der die Luft verwandelt hatte, der aus dem fernen Zittern des Meeres sprach und sich sympathisch über unsere Seelen legte. Seit dieser Nacht weiß ich, wie einem Verzauberten zu Muthe ist, und glaube ich an solche Geisterbannungen, denn ich selbst fühlte mich so. Lange sprachen wir von Heine, recitirten uns auch das eine und das andere seiner Gedichte, das durch die Aehnlichkeit der Situation geweckt ward; dann aber lehnten wir, auf einen Felsblock gebettet, lautlos. Das eigene Denken war Jedem genug. Um 3 Uhr erst kamen wir ungebahnte Wege und mannigfaltig verirrt nach dem Städtchen Prinkipo hinab. Um nach unserem Gasthofe zu gelangen, der außerhalb des Ortes auf einem anderen Theile der Küste liegt, mietheten wir in einem Caffeehause, das in die See hinein gebaut ist, und wo noch Menschen bei Limonade und Gefrorenem saßen, ein Boot. Es ruderte uns weit in das Meer hinaus, das hier finster und nächtig durch die Schatten der Inselberge war. Der Leuchtthurm von Constantinopel leuchtete das einzige Licht, und von Chalki herüber klang ein einsames Lied. Constantinopel, den 21. Juni. Wo sich die Vorstadt Eyub an das heutige Constantinopel anschließt, dort springt aus der geraden Richtung der theodosianischen Mauer die Stadt mit einem Quartiere hervor, das in dem Ganzen des Stadtplanes wie einer jener runden Thürme erscheint, die zur Vertheidigung in die Mauern gestellt sind. Ohne Zweifel ward dieser Theil der Mauern erst später gebaut, um in die Hauptstadt eine Vorstadt einzuschließen, die sich allmälig dort gebildet hatte, ähnlich dem, wie sich heute wieder Eyub vor den Thoren fortsetzt. Die theodosianische Mauer und nun gar die constantinische machte ursprünglich diesen Umweg gewiß nicht. Sie war, und erscheint auch noch heute so, von der Pflugschaar des Stadtgründers und nicht von der regellosen Hand des Bedürfnisses gezogen. Ein Palast der römischen Kaiser soll dort von allem Anfange an gestanden haben. Die Sage geht, daß ihn Constantin erbaute, vielleicht als Landhaus oder auch als Jagdschloß, ähnlich den mittelalterlichen Schlössern, welche unsere Fürsten ursprünglich auch außerhalb der Stadtmauern anlegten, und die heute von den Häuserfluthen unserer Stadtmeere verschlungen sind. Und so wie bei diesen, mag auch jenem byzantinischen Schlosse sich nach und nach eine feste Bevölkerung darum gesammelt haben, die, zuerst angezogen durch den Aufenthalt und die Prachtliebe des Fürsten, später ihre eigenen Interessen erhielt. Um diese und den kaiserlichen Palast vor den Anfällen der Hunnen und Avaren zu schützen, die in jenen Zeiten häufige und unerwartete waren, umzog Kaiser Heraklius, der aus Afrika herüber gekommen war, das Reich von dem Usurpator Phokas zu befreien, diese Vorstadt mit einer Mauer und wies sie der Hauptstadt als ein besonderes Viertel, das der Blachernen, zu. Das geschah 635. Ueber die zweite Hafenbrücke und durch den Fener, ein Stadtviertel der Griechen, ritten wir heute dorthin. An den Mauern der Hafenseite zeigte man mir neben einem Thore ein Hautrelief, das ich noch nicht bemerkt hatte. Wohl gearbeitet und gut erhalten stellt es eine wegschreitende Frauengestalt in faltenreichem Gewande vor, die vielleicht als eine Siegesgöttin dem Sieger entgegenkommend gedacht war. Wieder vor der Stadt, dort, wo sich eben Eyub an sie anschließt, stiegen wir von den Pferden, um den Mauern näher zu treten, denen meine besondere Aufmerksamkeit heute gelten sollte. Durch einen Stall, dessen Boden mit Säulendurchschnitten gepflastert ist, traten wir auf eine Wiese, von der die Mauern und Thürme höher als an irgend einer anderen Stelle aufragen. Ehemals standen Mühlen davor und an sie angelehnt; jetzt hat sie das Feuer weggebrannt und dadurch den Raum so groß, frei und günstig zur Besichtigung gestaltet. Trümmer aus alter und aus junger Zeit liegen über dem grünen Boden zerstreut. Ich fand darunter Ziegel mit Inschriften, die den Ruhm der Erbauer erhalten sollten. Einen, der die Zeichen [Symbol 2] trägt, die offenbar nur durch die Schuld des nicht darauf eingerichteten Stempels umgekehrt und eigentlich Petronos zu lesen sind. Er war ein berühmter Architekt, welchen Kaiser Theophilus zu seinen Bauten aus Kleinasien hatte kommen lassen. Ein anderer zeigt das gleichschenklige Kreuz, und man behauptet, daß dieses der erste, welcher mit solchen Zeichen gefunden worden. In die Mauern sind Säulenschäfte und kostbare Steinblöcke verwendet; einer aus Porphyr erregte mein besonderes Mitleiden. Auch Inschriften sah ich darin eingelassen, andere herausgeschlagen. Dabei sind die Steinlagen hier wie an anderen Orten durch bandförmig gelegte Ziegel sauber abgetheilt, daß das Ganze trotz seiner Rauhheit noch etwas Gefälliges erhält. Grün hat sich überall in den Lücken festgenistet und Bäume und Büsche keimen darauf und hängen die Mauern herab. Am schönsten aber schmückt eine Cypresse, die, auf die Mauer aufgepflanzt, auch die Thürme noch mit ihrer Höhe überragt: ein Wache haltender Riese, der zugleich die Vergangenheit bezeugt und die Gegenwart abwehrt. Die Gewitter, welche die Nacht und auch den Morgen über gedauert hatten, haben das Laub frisch abgewaschen, daß das Grün noch wirkungsvoller erschien. Auf dem höchsten Thurme ragen in horizontaler Lage aus dem senkrechten Gemäuer ein paar Säulenschäfte hervor. Kinder hatten sich darauf gewagt, ritten und spielten darauf. Mir schwindelte bei dem Gedanken an dieses unbemessene Gottvertrauen. Und wie ganz anders mögen diese Säulen sonst gedient haben! So läßt die Zeit die Dinge ihre Zwecke wechseln. Auch dieser Thurm war einstens anderem Dienste bestimmt. Er hatte damals als eines der berüchtigtsten Gefängnisse byzantinischer Gewaltherrschaft entthronte Kaiser und Kronprätendenten abwechselnd beherbergt. Die ganze Gruppe dieser Ruinen scheint einmal einen ähnlichen Abschluß gebildet zu haben, wie drüben an der anderen Ecke der Landmauern das Schloß der sieben Thürme. Nicht weit von ihnen ist ein heute vermauertes Thor, das sonst in die Stadt hinein geführt haben muß; darüber sind drei Brustbilder, ~en face~ gezeichnet, eingelassen. Nur an einem ist der Kopf erhalten, den beiden anderen sind sie herausgeschlagen. Vielleicht ein Zeichen des Sieges, der Verachtung und der nachträglichen Rache. Wo die Mauer des Heraklius und die des Theodosius auf einander stoßen, dort bildet sich, nach außen zu offen, ein rechter Winkel. In diesen eingeschoben ist ein armenischer Friedhof. Auf die Mauern stützen sich hier jene Reste eines Palastes, von denen die Griechen behaupten, daß es der ehemalige des Constantin gewesen sei, um welchen sich eben das Blachernen-Viertel angesammelt habe. Man ist eine bedeutende Höhe hinan gestiegen und befindet sich nun auf einem Hochplateau, das mit gräbergefüllten Cypressenhainen der Türken sich weit in das Festland hineinzieht. Einmal diente auch das ganz anderen Zwecken. Hier exercirte und manövrirte das Heer, und hier empfing der römische Kaiser die Huldigungen seiner slavisch-germanischen Truppen. Es war das Marsfeld des oströmischen Kaiserreiches. Der siebente Meilenzeiger und die Marmortribüne standen hier, auf der sich der Kaiser den Soldaten vorstellte. Eine der tragischsten Scenen der Geschichte spielte auf diesem Boden. Das Heer des Gainas kehrte nach Constantinopel zurück, und Rufin, ein Minister, ehrgeiziger und fähiger als irgend einer, welcher einem Fürsten gedient, wollte sich am 29. November 395 auf diesem Flecke von den rückkehrenden Soldaten als Mitkaiser des Arkadius ausrufen lassen. Statt dessen bohrten sie ihm ihre kurzen Schwerter in den Leib, daß der Nichtsahnende seinem Herrn und Kaiser entseelt in den Schoß fiel. Die Standarten und Adler, die die kaiserliche Tribune umwehten, sahen das gleichgiltig geschehen wie so vieles Blutige, das unter ihren Fittigen geübt worden ist. So endete ein Schustergeselle, dessen Leben in Gallien am Fuße der Pyrenäen begonnen und der unter zwei Kaisern die Welt regiert hatte. Ein Schicksal, nicht weniger erschütternd als das bekanntere des Corsen, der auf einer kleinen Insel ärmlich geboren Europa beherrschte und dann wieder, im Meere vor Anker gelegt, elend zu Grunde ging. Von dem Palaste der Blachernen an bis zum goldenen Thore ist die Mauer eine dreifache; bis dorthin, also die, welche der Kaiser Heraklius gebaut haben soll, ist sie einfach und auch ohne vorliegenden Graben. Die Abstände messen durchschnittlich 22 Fuß, und jede hintere ragt über die vordere empor. Aber die Zwischenräume sind so mit Schutt, mit herabgestürzten Thürmen gefüllt, daß man an den meisten Stellen bequem von der Fläche weg über die vorderen auf die letzte Mauer hinaufsteigen kann. Gleich neben dem armenischen Friedhofe thaten wir es, und gingen nun auf ihr fort so weit sie es nur immer erlaubt. Aus dem Gemäuer sprossen mächtige Bäume auf, die mit ihren Wurzeln ganze Mauerblöcke eingeschlossen und emporgehoben haben; die Natur überwindet auch hier das Menschenwerk. Andere Bäume ragen mit ihren Kronen aus dem vorliegenden Graben und von der Stadtseite aus den Gärten der Häuser herauf, die sich fest an die Mauer angelegt haben; Blumen und Schlinggewächse wuchern dazwischen und in der Kühle der eingestürzten Thürme schattige Feigenbäume. Ein Granatbaum, den ich so in einem Verließe gefangen fand, trug feurige Blüthen; es sah aus, als sei hier ein Rubinschatz verborgen gehalten worden. Keine Stelle dieser Mauer, die todt ist. Und weiter hinaus die Cypressenhaine, welche mit ihren Gräbern die Stadt einfassen, und frohe Menschen, die der gekühlte Tag in’s Freie lockt. Nach der Stadt zu die bunte Menge der Häuser, getrennt durch das überall ausgestreute Grün; die blaue Fluth und die Schiffe des goldenen Hornes, des Bosporus und der freien See; die letzte Ferne von den Inseln und den asiatischen Bergen begrenzt. Es war ein Anblick, der mich nicht zur Besinnung kommen ließ. Wieder verging mir im Schauen alle Reflexion. Es ist das der schönste Spaziergang der Welt, und so scheinen ihn auch die Umwohner zu schätzen, denn aus den Häusern und Dachluken heraus sind Brücken auf die Mauer gelegt, um zu jeder Stunde des Tages diesen Ausblick genießen zu können. Besonders in den Abendstunden soll dieses reichlich geschehen, und dann hier oben ein förmlicher kleiner Corso abgehalten werden. Manches ergötzliche Genrebild bot sich auch in den Häusern, in die man meistens hinein sieht. Die Pferde hatten wir vorausgeschickt, um dann im Innern der Stadt möglichst wieder neben diesen Mauern nach Hause zurück zu reiten. Auch auf diesem Wege eine Fülle wechselnder Bilder; die engen Gassen im tiefen Schatten, nur wo eine kleine Moschee oder ein zerfallener Brunnen den Platz erweitert, ein paar eindringende Sonnenstrahlen, die die Gipfel der umstehenden Bäume goldig färben. Dort fehlt es auch gewöhnlich nicht an ein paar Menschen, die dem Bilde Leben geben, denn sonst sind diese Gassen leer und stille wie ein ausgegrabenes Pompeji. Es war schon Nacht und die Lichter glitzerten auf dem etwas bewegten Wasser des Hafens, als wir über die zweite Brücke wieder nach Pera zurückkamen. Constantinopel, Mittwoch, den 22. Juni. Man staunt die Katakomben Roms als unterirdische Weltwunder an. Unbegreiflich ist mir, wie man bisher nicht mehr Lärm über etwas Aehnliches, die Cisternen Constantinopels, machen konnte. Es sind das Räume, groß genug zu einer zweiten Stadt, um ihre Häuser und auch ihre Thürme aufzunehmen. Ich selbst besuchte deren schon sieben. Die Stolpe’sche Karte gibt ihrer in jedem Stadtviertel einige an. Wahrscheinlich aber sind derer noch weit mehr, die unentdeckt, manche noch unbenutzt im Boden ruhen; dem Herkommen folgend, mögen die Hausleute ihre Eimer in den Ziehbrunnen hinablassen, ohne zu wissen, woher ihnen das Wasser kömmt. So verborgen vermuthe ich eine in den mächtigen Quaderunterbauten des Hyppodroms, und eine andere +ist+ in den Fundamenten der Aja Sophia; die Stadt ist also nicht blos meerumgeben, sie ruht auch eigentlich auf dem Wasser. Es sind hohe säulengetragene Gewölbe, bis zu drei Stockwerke übereinander, die das Wasser sammeln müssen, das vom Himmel herab und in den Leitungen aus den kühlen Wäldern von Belgrad kommt. Dem übermüthigen Sinne der Kaiser, der sich an den Außerordentlichkeiten Roms gebildet hatte, erschien nichts unmöglich, und so auch nicht diese Riesenbauten, die nicht der Eitelkeit, die dem praktischen Nutzen gewidmet waren. Wir Kinder des 19. Jahrhunderts müssen sie darob ganz besonders anstaunen. Mir übrigens geben sie deutlicher als alle Schilderungen des purpurgeborenen Chronisten von der Pracht, die in den byzantinischen Kaiserpalästen geherrscht haben soll, und die in der Aja Sophia noch übrig ist, eine Vorstellung von dem, was auf der Erde gestanden haben muß, wenn man in sie tausende von Säulen in Nacht und Finsterniß begrub. Dabei sind die Säulen und die kleinen sich darüber wölbenden Kuppeln sorgsam, die Capitäle sogar mit einem Versuche sie zu schmücken gearbeitet. Man nennt diese byzantinische Welt eine verkommene; um wie viel mehr enthielt sie aber noch von der römischen Größe als die heutige, und wie bewundernswerth mußte sie erst dem damaligen übrigen Europa erscheinen. Neulich, bei einem wiederholten Besuche der Kilisse Djami, der zerstörten Grabstätte der Komnenen, suchte ich eine Cisterne, die dort in der Nähe liegt, und der Stolpe den Namen des ehemaligen Klosters „zum Allherrscher“ (Pantokrator) vindicirt. Der Muesin der Djami erbot sich zum Führer; aber auch mit seiner Hilfe hielt es schwer den Eingang zu finden. Er liegt versteckt; kleine, enge Gassen, den Berg hinauf und endlich in einem Garten, wo wir uns den Eintritt erbetteln mußten. Es waren türkische Weiber, die uns aufsperrten und mein Trinkgeld in Empfang nahmen. Der Garten steht auf einer Terrasse und steigt eine zweite und dritte höher hinauf. Einzelne Rosenbüsche, ein paar Granat- und Feigenbäume waren das einzig Gepflegte in einer sonst gräulichen Verwilderung. Aber über das Unkraut, die Hecken und eingestürzten Mauerzinnen weg hat man einen entzückenden Blick auf die Stadt und den unten liegenden Hafen. Der Ort in seinem Verfalle und mit der geheimnißvoll dahinter versteckten Cisterne wäre recht geeignet, ein Märchen aus der romantischen Zeit Constantinopels dort spielen zu lassen: vielleicht wie dort eine türkische Frau ihren griechischen Liebling empfängt, und ihn dann in der Zeit der gegenseitigen Verfolgung, als die Griechen auf den Inseln die Türken niedermetzelten, und in Constantinopel der Patriarch an jenem blutigen Ostertage in seinem Prachtgewande an seiner Kirchenthüre aufgehängt und dann von dem jüdischen Pöbel durch die Gassen geschleift ward, vor der Eifersucht des Gatten und der Glaubenswuth ihrer Stammgenossen in der Cisterne verbirgt. Die Mauern, welche den Garten gegen die aufsteigende Hügelseite zu abschließen, sind mächtig als wären sie ehemalige Bastionen eines Befestigungswerkes. Möglich, daß ihnen Reste beigemischt sind aus der Zeit, als die Lateiner in dem Kloster Pantokrator ihren Sitz über dem eroberten Constantinopel aufgeschlagen hatten. Ein Theil diente unzweifelhaft dem Kloster als Unterbau, und in ihm wird auch schon von allem Anfange an die Cisterne geborgen gewesen sein. Wir fanden den Zugang in einem Mauerwinkel hinter einem Misthaufen. Ein paar verfallene Stufen hinauf und dann durch einen kurzen Gang traten wir vor die Wasserfläche. Fledermäuse flogen auf und störten das schauerliche Dunkel; es brauchte eine Weile, bis sich das Auge daran gewöhnte und auch nur die nächste Umgebung unterscheiden konnte. Ich zählte nicht mehr als sechs Säulen, wenigstens reichte der Blick nicht weiter. Uebrigens glaubte ich mir gegenüber eine abschließende Wand zu erkennen; indessen will ich das nicht behaupten, es kann eine Täuschung oder auch nur eine vorspringende Mauerecke gewesen sein. Die Cisterne, welche gewöhnlich besucht wird, und von der die Opfer der Lohndiener allein zu erzählen wissen, ist ~Bin bir direk~ -- Tausend und eine Säule -- in der Nähe des At-Meidan. Der türkische Name kömmt ihr von der Menge ihrer Säulen. „Tausend und eins“ ist ein Mehrheitsbegriff, welchen der Orientale braucht wie wir unser leichtsinniges „zahllos“ und „unendlich“. Hammer erzählt, daß die Cisterne im Auftrage des ersten Constantin von einem Senator Philoxenos gebaut worden sei, der mit dem Kaiser von Rom hieher zur Stadtgründung übersiedelt war. Mir fehlt die Zeit, seine Beweise zu prüfen. „Tausend und eine Säule“ ist inzwischen ausgetrocknet; wie ein ausgewundener Schwamm liegt es da. Seine Zellen füllt die Luft, und Sonnenstrahlen fallen durch die zerbröckelnden Gewölbe in das unterirdische Dunkel; das veranlaßt glückliche Lichteffecte, wenn durch die Finsterniß solch ein Lichtstrahl herabzüngelt, hier eine Säule und dort gar eine Menschengruppe streift, denn in dem weiten Raume ist eine Seilerwerkstätte eingerichtet. Anfangs unterscheidet man gar nichts; ich trat in die aufgespannten Fäden, stolperte gegen die Spinner, hörte nur das betäubende und in solcher Umgebung wahrhaft spukhafte Geräusch der Räder. Erst später, da ich lange darin blieb, wurde mir Alles deutlich, und ich wanderte zuletzt zuversichtlich wie im Sonnenlichte der Oberwelt herum. Hammer behauptet, daß eben so viele Säulen, als heute frei seien, noch in doppelter Ordnung unter der Erde stehen und glaubt, daß der Boden nur festgewordener Schlamm des früheren Wassers sei. Mit den Lichtern, welche ich anzünden ließ, untersuchten wir die Säulen. Wir fanden auf den meisten das ~KN~ und daneben [Symbol 3] eingegraben; Monogramme, die eben das erste als Constantin und das zweite als Philoxenos gelesen werden. Auf anderen ist besonders oft ein Φ und ein Θ und auf einer, links vom heutigen Eingange ziemlich in der Ecke, eine Erdkugel mit dem Kreuze darauf. Es ist die vollständige Abbildung unseres Reichsapfels, wie er bei der deutschen Kaiserkrönung gebraucht wurde. An dieses Bild, und daß es hier gefunden worden, ließen sich manche Folgerungen knüpfen. Vielleicht beweisen die Russen noch einmal, gestützt auf dieses Denkmal, daß sie durch den Besitz von Constantinopel auch die rechtmäßigen Erben des römischen Imperiums geworden seien. Es mag diese Säule in späterer Zeit bei einer Restauration eingesetzt worden sein, und der Werkmeister sie absichtlich im Gegensatze zu den übrigen Zeichen mit diesem christlichen geschmückt haben. Die Herrschaft der Welt spricht es in jedem Falle an. Daß auf vielen Säulen die Buchstaben verkehrt stehen, erkläre ich damit, daß sie daheim in der Werkstätte vom Arbeiter schon eingemeißelt wurden und der Schaft dann unten ohne Rücksichtsnahme darauf eingesetzt ward. Ganz ohne Zeichen ist keine Säule. Es verdiente wohl ein eigenes Werk, worin diese Monogramme gesammelt und ihre Erklärung versucht würde. Professor Dethier thut sich auch hier eifrig um; eine Arbeit darüber könnte zur Erklärung der byzantinischen Hof- aber auch der Kunstgeschichte Manches beitragen. Heute Morgen zog ich schon um 5 Uhr aus, um die umfangreichste aller bisher entdeckten Cisternen aufzusuchen, die auch erwiesenermaßen noch immer die ihr anfänglich aufgetragenen Dienste thut. ~Jeri batan Serai~, „der versunkene Palast,“ nennt sie der poetisirende Türke, und stellt damit vielleicht die Tradition her, welche Hammers Ansicht bestätigen würde, daß darauf einmal das Haus des römischen Senates gestanden. Beinahe erwiesen scheint mir, daß solche Wasserbehälter vorzüglich in den Unterbauten großer öffentlicher Gebäude angelegt wurden. Es verdient einmal versucht zu werden mit diesem Gedanken, auf Grundlage der noch vorhandenen Cisternenreste einen Stadtplan des alten Constantinopel anzufertigen. Wir brauchten lange, bis wir den versunkenen Palast fanden, und noch länger um uns in den Hof, der den Eingang birgt und zu diesem selbst den Einlaß zu verschaffen. Man hob ein paar Platten auf, die im Pflaster liegen, und durch das Loch hinab, jeder ein Licht in der Hand, wurden wir an Stricken auf den lehmigen Grund eines schmalen Ufers gelassen. Vor uns lag ein weiter See, der in der Täuschung der Finsterniß endlos erschien. Säulenschäfte ragen daraus hervor, die schwere Capitäle mit korinthisirenden Verzierungen und darüber flach gespannte Kuppeln tragen. Ab und zu fällt durch die zerstreuten Oeffnungen der Ziehbrunnen ein Sonnenblick herab, der dann den Strick zeigt, an dem der Schöpfeimer hängt, und um uns glitzerten, durch die feuchte Luft nur etwas matt geworden, unsere Kerzenlichter im Wasser. Es ist ein gespensterhaftes Bild, das mich mit Schrecken und Grausen erfüllte. Wie ohnmächtig fühlte ich mich, und erst am Tageslichte kam mir der rechte freie Lebensathem wieder. So fest ist mir der Eindruck geblieben, daß ich mich noch immer fragen muß, wie es möglich sei, daß Menschen von einem Wasser trinken, das mir so schaurig erschien. Lethe muß so ausgesehen haben, und das Ganze ist ein Bild der acherontischen Fluth. Ehemals, so erzählen mir meine Führer, soll ein Kahn auf dem Wasser geschwommen sein, und man konnte eine Fahrt darauf thun. Seit einem Unglücke, das dabei geschehen, ist er zerschlagen worden, und der See liegt wieder geheimnißvoll, bis ein anderer Columbus die nächste Entdeckungsfahrt darauf wagt. Seine Geschichte scheint überhaupt eine traurige, denn schon aus dem neunten Jahrhundert kömmt eine Sage, die erzählt, wie dieser See seine Opfer begehrt und sie grausam auch genommen habe. Es war, als der Kaiser Leo V. regierte, ein armenischer Soldat, dem der Phrygier Michael zum Throne verholfen hatte. Was Michael gemacht hatte, das wollte er, als er würdenbedeckt war, bald selbst werden: Kaiser. Seine Verschwörung ward entdeckt, der Verschwörer eingesperrt. Man vermuthete Mitverschworene; Michael weigerte sich sie anzugeben, ließ aber den Genossen seiner Absicht sagen, daß er sie verrathen werde, wenn sie nicht die Mittel fänden ihn zu befreien. Die meisten der Bedrohten hielten sich schon lange seit der Verhaftung des Michael verborgen. Einer, der am schuldigsten erscheinen mußte, weil er immer zwischen der Stadt und dem Lager die aufrührerischen Botschaften des Michael hin- und hergetragen hatte, der Officier Stephanos, ward von seiner Geliebten, einem Freudenmädchen, in den Gewölben dieser Cisterne verborgen. Ihr Vater war der Hüter derselben. Stephanos hatte Zoe in den Tagen seines Glückes kaum einen Wunsch abgeschlagen, wenn er ihm nur irgendwie erfüllbar gewesen; jetzt vergalt sie ihm seine Güte durch eine Treue, die sonst keine Bedingniß ihres Gewerbes ist. Sie schifften sich in dem Kahne ein, womit der Vater die Ueberwachung der Cisterne besorgte, und der Alte ließ ihnen die tägliche Nahrung in dem Eimer eines Ziehbrunnens hinab. So steuerten sie lange auf der Fluth herum, sicherer als irgendwo anders vor der Entdeckung und insbesondere vor der Ergreifung. Am 25. December 820 sollte Michael in dem Feuerofen der kaiserlichen Bäder lebendigen Leibes verbrannt werden. Nur auf Bitten der Kaiserin Theophana wurde das schauerliche Urtheil über die Weihnachtsfeier hinaus vertagt. Da ließ der Verzweifelnde noch einmal die Drohung des Verraths an seine Mitschuldigen ergehen, und wirklich am Morgen des Weihnachtstages, in aller Frühe, als um 3 Uhr die Thore der Schloßcapelle den harrenden Geistlichen geöffnet wurden, stahlen sich die Verschworenen als Mönche verkleidet hinein, und als der Kaiser den ersten Psalm anstimmte, fielen sie mit Dolchen und Schwertern über ihn her. Ein wüthender Kampf entbrannte; der Altar, wohin Leo sich geflüchtet hatte, war der Hauptschauplatz. Auf seinen Stufen stand der Kaiser und vertheidigt sich mit einem großen Crucifixe, das er von dem Tische des Herrn genommen hatte. Ein Hieb zerschmetterte ihm zuletzt, nachdem er schon eine Menge Wunden empfangen hatte, die rechte Schulter und auch einen Arm des Kreuzes. Er fiel nieder und ein anderes Schwert spaltete ihm den Schädel. Michael der Aufrührer stieg aus dem Feuerofen auf den Thron; noch hingen die Fesseln an seinen Füßen, da er schon die Krone auf dem Haupte trug. Die aufgehende Weihnachtssonne sah ihn als Michael II., dem die Geschichte auch den Beinamen des Stammlers gegeben. Als man Stephanos, den man nicht mehr die Zeit gehabt hatte, von dem letzten Plane zu unterrichten, suchte, fand man in der Cisterne kein Boot mehr. Der Eimer des Ziehbrunnens kam unberührt mit den Speisen, wie sie hinab gelassen worden waren, wieder hinauf. Zoe und Stephanos waren nicht mehr, und alles Rufen und Forschen des unglücklichen Vaters blieb unbeantwortet. Tage lang, Wochen lang, zuletzt den ganzen Rest seines Lebens saß der Alte an der Stelle, wo sonst der Kahn gelandet war, starrte auf die schwarze regungslose Fluth, immer noch hoffend, daß sie, die doch hoffnungslos ist, ihm das Verlorene wieder zurückgeben werde. So harrend fand man ihn eines Tages todt auf dem Ufer dieses acherontischen Sees, er selbst nun ein Pilger für diese Schattenwelt seiner Lieben. Es scheint, daß das Boot mit Zoe und Stephanos an einer der Säulen scheiterte. Vielleicht überließen sich beide zugleich dem Schlafe, und der Kahn, so ohne Führung, stieß an eine Säule, schlug um, füllte sich mit Wasser und mag so gesunken sein; oder es stieg auch das Wasser durch rasche Zuflüsse plötzlich und die zusammengepreßte Luft kann die Unglücklichen erstickt haben. Pera, den 23. Juni. Ich rudere dem Lloyd-Dampfer „Neptun“, der aus Triest kommt, entgegen, umkreise ihn und fahre dann mit ihm zurück in das goldene Horn ein. Bei dieser Gelegenheit nehme ich das ganze ungeheure Bild des hiesigen Hafenverkehres wieder in mein Auge auf. Größer aber noch als durch diesen Anblick wird es durch eine Prüfung der Zahlen. Es zeigt sich dann, daß sich z. B. Frankreich nur mit dem Gesammtverkehre aller seiner Häfen mit dem hiesigen messen darf, und daß selbst England nur mit sechs Millionen den Tonnengehalt der hier ein- und ausgelaufenen Schiffe übertrifft. 48.938 Schiffe mit 7,432.362 Tonnen Gehalt liefen im Jahre 1864 in Constantinopel ein. Ich habe diese Zahlen seitdem für die damals eingestellten des Jahres 1863 aufgenommen. In allen englischen Hafen 54.723 Schiffe mit 13,515.011 Tonnen Gehalt, in den französischen 47.619 Schiffe mit 7,550.972 Tonnen Gehalt. In dem Verkehre des goldenen Hornes ist Oesterreich mit 3220 aus- und eingegangenen Schiffen von 1,131.850 Tonnen Gehalt betheiligt. 504 darunter waren Dampfer von 297.006 Tonnen Gehalt. Und auch als ein fortwährend und rasch steigender Verkehr zeigt sich der des goldenen Hornes. 1841 gingen hier nur 8251 Schiffe mit 1,093.466 Tonnen ein und aus; 1846 schon 15.770 mit 2,637.994 Tonnen und 1861: 29.141 mit 6,101.401 Tonnen. Es sind diese Zahlen auch Illustrationen zur orientalischen Frage und erklären, warum so begehrlich einerseits, warum so eifersüchtig andererseits die Blicke der Großmächte hierher gerichtet sind. Eine Nacht in den Ruinen des byzantinischen Kaiserpalastes. 24. Juni. Schon vor drei Wochen besuchte ich in dem Winkel Constantinopels, der aus der ursprünglichen Richtung der theodosianischen Mauer hinausgedrängt sich am meisten der innersten Bucht des goldenen Hornes nähert, die Ruinen eines Palastes, der auf der Höhe gelegen von dem Namen des Ortes auch den seinigen erhielt. In alter Zeit hieß dieser Hügel Hebdomon; damals lag er vor der Stadt und die Mauer ging hinter ihm den Berg zum Hafen hinab. Das Stadtviertel, das hier entstand, anfangs wohl nur als Vorstadt, die später erst Kaiser Heraklius 635 durch seine erweiterte Mauer mit in die eigentliche Stadt einbezog, hieß das der Blachernen und der kaiserliche Palast darinnen bald der der Blachernen, bald einfacher nach dem Hügel: das Hebdomon. Die Türken nennen ihn heute Tekfur Serai (das Schloß des Gouverneurs), und die Griechen behaupten, daß er, so wie er da stehe, das Magnaurum des Kaisers Constantin sei; den Fremdenführern, denen das Alles nicht interessant genug ist, gilt er als das Haus des Belisars. Die Erinnerung, die mir von dem ersten Besuche geblieben, war nur ein fortwährender Stachel der Neugierde, die Ruinen noch einmal und dann sorgfältiger zu besichtigen. Darum nahm ich einen gelehrten Freund mit, der sollte mir das Alter, die Bedeutung, womöglich die ganze Geschichte des Baues erzählen. Groß war unser Erstaunen, als wir vom Hafen die steilen Gassen hinauf die Höhe erklommen hatten, Alles ringsherum ein weites Trümmerfeld zu finden. Wo wir noch durch enge Gassen geritten, da war nun rechts und links hinüber die Aussicht frei; nichts als Schutthaufen, rauchende Kohlenfelder und ab und zu ein Baumstamm, der wie Hilfe flehend seine versenkten Arme in die Lüfte streckte. Eine Feuersbrunst hatte diesen Stadttheil niedergelegt und wir davon nichts erfahren. Es gibt auch das einen Begriff von der Größe dieser Stadt. Die Häuser hatten dem Feuer nicht widerstanden, sie erliegen hier gewöhnlich völlig seiner Gluth; nur die Bäume schienen mit ihrem eigenen Safte den Brand wenigstens einigermaßen gelöscht und sich ihre Skelette gewahrt zu haben. Zerlumpte Gestalten krochen über den Schutt, die Geier, die nach der Schlacht nach dem Aase wühlen. Abgeschlossen wird das Bild in seinem Hintergrunde durch die geschwärzten Mauern der Stadt und des Palastes. Das Feuer hat darum und darinnen mit derselben Heftigkeit gewüthet. Ausgebrannt ist die Stätte und wie ein Todtenschädel liegt sie da, die ich neulich noch bewohnt von einer Menge Hütten, bevölkert wie einen Ameisenhaufen gefunden hatte. Spanische Juden hatten sich darin eingenistet mit Hintansetzung jedes Respectes für die Historie. Der Hof und so auch die ebenerdige Palasthalle waren mit Häusern besetzt, und zu dem oberen Stockwerke führte aus dem Hofe an der Frontmauer eine Holzstiege hinauf, um auch ihn bewohnbar zu machen; das Ganze war eine Colonie elender Hütten und ebenso elend waren die Bewohner, die darin hausten. Ich machte damals den Versuch in sie einzutreten, um die Construction des Baues zu studiren, aber die Fülle des Unrathes, die mir entgegenstarrte, war eine solche, daß auch der eifrigste Wille davor erlahmte. Alles das hat nun allerdings die Feuersbrunst ausgefegt, aber die Gluth, die dabei entzündet worden, war eine solche, daß auch der Bau darüber zu Grunde ging; der Mörtel wurde zu Pulver und die nicht mehr verbundenen Ziegel stürzten herunter. Selbst der Granit und der Marmor der Säulen, welche die Gewölbe tragen, konnte dem Feuer nicht widerstehen; wir schälten sie wie Rinde, die man vom Baumstamme löst, und die akantusgeschmückten Capitäle fielen tropfenweise vor unseren Augen in Stücke. Ein einziger Sonnenstrahl drang durch die ausgebrannte Leere der oberen Stockwerke in das rauchige Dunkel des Erdgeschoßes. Er leuchtete uns zu unserer Arbeit, die trotz der stürzenden Blöcke in den Trümmern nach Resten zierlicher Bildhauerei suchte. Ich nahm einige Stücke mit, die fein geschlungene Arabesken und massige Akantusblätter zeigen. Die Hitze des Bodens erschwerte das Suchen; länger als einige Secunden konnten es die Sohlen auf keiner Stelle aushalten. Den Zugang hat die Polizei zumauern lassen; sie befürchtet den Einsturz des ganzen Baues und durch denselben die Beschädigung allenfällig Anwesender. Wir mußten auf weiten Umwegen über Balken, Gewölbe und Mauern uns einen Eingang zu dem Hofe suchen. Der Palast ist zwischen und auf die Stadtmauern gebaut. Sie dienen auf drei Seiten seinen beiden unteren Geschoßen als abschließende Wände und seinen oberen als Lehne, von wo aus herab er die ganze Stadt, den Hafen und das ehemalige Marsfeld vor den Mauern der Stadt überschaut. Die Mauern stehen hier 55 Fuß auseinander, sonst nur 22. In dem Raume zwischen den Mauern liegt auch der Hof, oder das, was ich eben so benenne, und dorthin sieht auch die Hauptfronte des Gebäudes, die seiner Langseite, welche allein eine durchgängige architektonische Gliederung zeigt. Zu unterst steht eine nach dieser Seite zu offene Halle, darüber ein Zwischengeschoß und erst in bedeutender Höhe der eigentliche Saalbau. Ein Pfeiler, von unten bis zum zweiten Stockwerke aufsteigend, theilt die Fronte. Ihm correspondirend, aber in die Stadtmauern verbaut, steigen zu beiden Seiten zwei andere auf; zwischen diese drei ist auf jeder Seite des mittleren Pfeilers je eine aber nur bis zum Mittelgeschoße reichende Säule gestellt. Darüber, wie auch über den Pfeilern, wölben sich Rundbogen, welche die Frontmauer tragen, und in sie wieder sind die Fenster eingeschnitten, ebenfalls runde Bogen, im ersten Stockwerk sechs und im zweiten darüberstehenden sieben ziemlich gleichförmig gestaltete. Die Säulen wiederholen sich in der Tiefe der unteren Halle, um die kleinen Gewölbe zu tragen. Das ist eine reiche und schöne Anordnung und auch in den Einzelheiten findet sich manches Geschmackvolle. Vorspringende Canellirungen, bandförmig gereihte Ziegellagen und zwischen den Bogen der Fenster mosaikartig zusammengefügte bunte Thon- und Glasstücklein geben dem Ganzen etwas sorgsam Ausgedachtes, zierlich Gegliedertes und außerordentlich Heiteres. Die Motive der Verzierung wiederholen sich nur selten und stehen sich nirgends in sclavischer Regelmäßigkeit gegenüber. So sind auch die Capitäle der Säulen nur in ihrer Grundform gleich: dem byzantinischen Würfel, in ihrer sculpturlichen Ausschmückung vollkommen verschieden. Man hat aus der Verschiedenartigkeit der Capitäle folgern wollen, daß diese aus früheren Bauten hierher übertragen und aus solchen Resten dieser spätere Bau aufgeführt worden sei. Das kann möglich sein, und in so ferne man die Capitäle nicht genau zu den Säulenschäften passend gefunden haben will, auch begründet; aber die Gründe, welche auf die bloße Verschiedenartigkeit basirt sind, verwerfe ich. Die byzantinische Baukunst scheint überhaupt nicht ihr Ideal in einer alles Spiel der Ideen ausschließenden Symmetrie gefunden zu haben; symmetrisch sind kaum die großen Grund- und Umrißlinien der Bauten gezogen, alles übrige dazwischen liegende, der Schmuck der Wände und der Säulen ist mit der ideenvollsten Willkür erfunden und gemacht. Ich erkenne eben darin ein Element, welches die Geburtsstätte des Orients beweist; hier sind die Phantasien viel zu zügellos, viel zu angeregt und viel zu ergiebig, um sich in beengende Regeln zwingen zu lassen. Es ist eben hier in künstlerischer wie in religiöser, staatlicher und in jeder anderen Beziehung die wahre Freiheit allein zu Hause, die Freiheit, welche Jedem möglichst die Bethätigung seines Willens läßt, nicht jene der tyrannisch herrschenden Phrase. So sind auch die Tragsteine an der äußeren Fronte des Palastes, die, welche die Balcone und Erker tragen, ganz ohne jeden Anspruch auf Regelmäßigkeit gestaltet: bald Widder, bald Adler- und Löwenköpfe. Gerade an diesen Steinen wird mir auch wieder offenbar, daß die wilde Zügellosigkeit, die Mannigfaltigkeit der Gothik, welche man als ihr selbsterfundenes Eigenthum bewundern will, ihren Anfang nicht in sich, sondern in den byzantinischen Mustern genommen hat. Was man bei uns die Romanik nennt, diesen Stationspunkt in Italien leugne ich. Italien war in jenen Zeiten viel zu verkommen, um Lehrer zu geben; Fachschule der Kunst und der Mode war Byzanz, das sein Erbrecht der römischen Weltherrschaft in allen Beziehungen geltend machte. Diese Fronten nach der Stadt und die letzte, die vierte, auf das Marsfeld hinaus, sind ohne jeden Anspruch auf äußerliche Schönheit gestaltet. Es ist das schon dadurch veranlaßt, daß bis zum dritten Stockwerke hinauf die rohe kahle Wand der Stadtmauer reicht. Ein viereckiger Thurm schneidet die eine Ecke ab, und Salzenberg meint in seinem schönen Werke über die altchristlichen Bauten Constantinopels, daß in demselben einmal eine Stiege und daß der Balcon, der darauf gelegen, von einem zeltartigen Baldachin überdeckt gewesen sei. Solche Stiegen, die in den Mauern versteckt waren, scheinen überhaupt eine Liebhaberei der byzantinischen Häuslichkeit gewesen zu sein. Auch in dem weitläufigen Kaiserpalaste an den Ufern des Marmora-Meeres gab es deren eine Menge. Vom achtseitigen Thronsaale führten deren allein zwei hinauf zu der Gallerie der Kuppel. Es wird damit zugleich auch ein Theilstück der byzantinischen Geschichte verrathen, welche die Heimlichkeit für ihre so oft schauerlichen Thaten brauchte. Venedig, das in seinen Palästen gleichfalls diese Vorliebe für die ~escaliers dérobés~ zeigt, hat vielleicht auch diesen Gebrauch wie so manches andere seiner Gewohnheit von hier sich geholt. -- Zur Idee des Baldachin überdeckten Balcons fügt mein Begleiter die Erklärung, daß sich dort herab der neugewählte Kaiser das erste Mal dem in der Stadt versammelten Volke zu zeigen pflegte, und dann von einer an der anderen Palastecke gelegenen Altane auf das Marsfeld hinaus dem dort aufmarschirten Heere. In diesem Stadttheile soll nämlich, wie heute noch in dem nahen Ejub, der erste Theil der Kaiserkrönung vollzogen worden sein. Der Erker, der weiter in der Mitte der gegen die Stadt zu gekehrten Langseite liegt, kann nur inneren, nicht nach Außen gerichteten Zwecken gedient haben. Er wird wohl, wie der purpurgeborene Chronist die Apsiden des goldenen Saales im „heiligen Palaste“ am Marmora-Meere schildert, dem abgesonderten Bedürfnisse des Gebetes oder der Toilette gedient haben. Durch eine Thüre oder einen Vorhang waren solche Cabinette von dem größeren Raume geschieden. Ihren Anfang haben sie gewiß in den Apsiden der Basiliken genommen, und wurden von dort als ein bequemes Mittel der jeden Augenblick zur Verfügung stehenden Abgeschiedenheit zuerst an die ebenerdigen Häuser und dann, als man höher baute, an die darüber liegenden Stockwerke angeflickt. Ihre weitere Fortsetzung haben sie dann in den Erkern der Gothik gefunden. So ist auch dieses Mittel der häuslichen Bequemlichkeit, welches man ganz speciell als ein durch die deutsche Sitte und das deutsche Klima in Deutschland erfundenes bezeichnet, von Constantinopel zu uns gewandert; nur daß wir den Zweck verändert, ihn unserer Liebhaberei gemäß mehr in das Sehen nach Außen, als das Zurückziehen nach einem noch intimeren Innern gelegt haben. Die Gedanken erlaubten sich eben auch ohne die Telegraphen und die Eisenbahnen des 19. Jahrhunderts ihre Reisen um die Welt zu machen. Noch vollkommen erhaltene Beispiele solcher byzantinischer Erkerbauten, die also auch für deren Verpflanzung von dort nach Deutschland zeugen, finden sich in der Burg Carlstein bei Prag. Sie ist zweifellos von byzantinischen Künstlern gebaut, wie sie denn auch mit byzantinischen Mosaiken und mit in die Wand eingelassenen Gemälden der byzantinischen Malerschule geschmückt ist. Ganz Böhmen zeigt in den Anfängen seiner Kunst die Abstammung von der griechischen Mutter am Bosporus. Die Giebel des Gebäudes sind auch heute noch nach dem Brande erhalten, die Zwischengeschoße aber seitdem eingestürzt, oder stürzen doch fortwährend ein. Der oberste Saal, der offenbar das Hauptstück des Gebäudes war, erinnerte mich lebhaft an einen anderen nicht weniger bedeutungsvollen, den im festen Schlosse zu Eger, welchen Barbarossa gebaut, und die todtgeweihten Wallenstein’schen Generale zu ihrem Henkersmahle benutzt haben. Auch jener Saal ist im selben Style des Rundbogens gebaut und scheint mir überhaupt, so wie er mir in der Erinnerung blieb, diesem hier in gar Vielem ähnlich. Solche Vergleiche werden durch Gegenstände der entlegensten Länder geweckt. Ganz von dem Menschen hervorgerufen können sie nicht sein; es muß den Dingen etwas Gemeinsames zu Grunde liegen. Es ist als ob dieselbe Seele von dem einen Orte zu dem anderen nur hinüber gewandert wäre und als ob der ahnende Geist sie dort wieder erkenne. Luft, Geruch, Töne und alle übrigen Reizungsmittel der Sinne tragen dazu bei, diese Erkenntniß zu wecken. Es wäre zu bedenken, ob dieses häufige Finden von Aehnlichkeiten nicht auch als ein Unterstützungsmittel für die Lehre von der Seelenwanderung zu verwenden wäre. Der Palast, wie er heute steht, ist offenbar nur ein Theilrest von dem früheren, größeren Ganzen. Er wird durch Gänge, die vielleicht auf und in den Stadtmauern fortliefen, mit den übrigen Pavillons verbunden gewesen sein; denn entsprechend dem orientalischen Geschmacke war gewiß auch diese Palastanlage keine massig zusammengeballte, sondern eine über weite Räume mit zwischenliegenden Höfen und Gärten zerstreute. Die Fenster und Thüren, welche man heute noch in der äußeren Ansicht der Stadtmauer eingemauert sieht, mögen Reste aus jener Anlage sein. Daß sie aber derjenige Palast sei, welchen Constantin ~fouri le mure~ angelegt und den zu schützen Kaiser Heraklius 635 die erste Stadtmauer um das Viertel der Blachernen gezogen habe, ist wenig wahrscheinlich. Dann wäre wohl die Mauer etwas weiter +um+ den Palast und jedenfalls nicht +unter+ ihn gebaut worden. Ich glaube vielmehr, daß dieser Palast ein viel späteres Product ist, daß er nicht die Restauration der Stadtmauern unter Leo dem Armenier (813-820) gesehen, daß er frühestens seinen Ursprung dem neunten Jahrhundert verdankt. Das ganze festungsartige Aussehen deutet darauf hin; auf eine Zeit, welche sich auch gegen das Innere der Stadt zu schützen hatte. Man irrt eben, wenn man annimmt, daß die spätere Kunst der Byzantiner nicht mehr im Stande gewesen sei, ein Bauwerk wie das hier stehende aufzustellen und herzurichten. Ich behaupte gerade dagegen, daß sie noch im 12. und auch im 13. Jahrhundert die geschickteste und auch die mustergiltigste gewesen; wie ich denn auch behaupte, daß das Reich der byzantinischen Mode weit mehr in die neuere Zeit hinüber gedauert habe, als man gewöhnlich annimmt, und daß sie den Verfall der oströmischen Macht weitaus überlebt habe. Wir selbst leben heute noch im byzantinischen Zeitalter, und eine spätere Zeit, die mit größeren Zahlen rechnet, wird dieses anerkennen. Das Wahrscheinlichste ist sogar, daß diese Reste eines byzantinischen Kaiserpalastes, wie sie uns überliefert worden, von der Restauration herrühren, welche der große Komnene Manuel (1143 bis 1180) documentarisch erwiesen an dem Palaste auf dem Hebdomon vornehmen ließ. Von da an ward dieser Palast auch die Hauptresidenz der byzantinischen Kaiser, und all die grausen Schicksale der Komnenen wie der Paläologen, die Einnahme der Stadt durch die Lateiner wie die durch die Türken spielten hier ihre traurigen Epiloge ab. Die Räume, die ich durchwanderte, sind so geweiht genug von dem Geiste der Geschichte. Meinem Begleiter aber erschien dieses nicht so. Er suchte ihren Stammbaum bis auf die Römer zurückzuführen, und erklärte mir: daß in diesen Mauern der erste Constantin schon gehaust, und in jenem dach- und bodenlosen Saale die Gesetzgebungscommission des Justinian getagt habe. Lange währte unser Streit über diesen Fragepunkt, und da wir früher viele Zeit an die Besichtigung, nicht weniger lange an die Abconterfeiung der Ruine gewendet hatten, so kam die Nacht mit so später Stunde über unsere unvollendeten Arbeiten herein, daß wir beschlossen, gar nicht nach Pera zurück zu kehren, sondern in diesem Stadttheile den nächsten Tag zur Vollendung unserer Projecte abzuwarten. Aus einem benachbarten Caffeehause ließen wir uns Kaffee bringen, Brod und einige Früchte fanden sich ebenfalls, Plaids hatten wir mitgebracht, und so genährt und versorgt bereiteten wir uns das Lager in den Ruinen des byzantinischen Kaiserpalastes. Mir wurde die Nacht eine gräßliche. Lange konnte ich nicht schlafen; die Hunde bellten, und meiner Phantasie klang es wie Schakal- und Hyänengeheul. Der Mond ging auf und die Sterne verdüsterten sich; dann als die Luft kühler wurde, zog sie mit leise bewegten Tönen durch die leeren Hallen des Palastes. Seine Fenster ließen das Mondlicht, das nun auch vom Winde getrieben wurde, flackernd in das regungslose Dunkel der Schatten einfallen: es war als sei Alles darin lebendig geworden und Geister wieder auferstanden, die in Blut und Mord zu Grunde gegangen. Es muß in diesem Stadium gewesen sein daß ich einschlief. Ein Traum befiel mich, -- denn anders kann ich es doch nicht glauben, was mir heute Morgens in der Erinnerung ist, -- der wohl an die Gespräche anknüpfte, die ich mit meinem Begleiter so lebhaft über den Werth oder den Unwerth des justinianeischen Rechtes für die europäische Welt geführt hatte. Ich leitete von dem römischen Rechte alles Unheil ab, welches uns seitdem betroffen hat: die Dogmatisirung unseres Glaubens und die Verbureaukratisirung unseres Staatswesens. Der römische Geist war seit jeher ein mit Vorliebe in die spanischen Stiefel der Rechtsgelehrsamkeit eingeschnürter; er zersplitterte und zerspaltete, secirte und theilte jeden nur irgend möglichen Gedanken, daß zuletzt von dem Ganzen, von dem natürlich Gegebenen, nur Worte übrig blieben, die er dann in Paragraphe zusammenstellte und denen er einen beliebigen Begriff beilegte. So ist das römische Recht oder so erscheint es mir wenigstens. Von der Natur der Dinge, vom Rechte, das mit uns geboren ist, ist nur gar selten ein Körnchen übrig geblieben, und seitdem bei uns diese fremde Pflanze eingepflanzt worden ist, ist auch in Deutschland der gesunde Menschenverstand und seine Berechtigung zu den Todten gegangen. Durch das Studium grauser Fictionen wird er in den jungen Köpfen erstickt, und wo er sich noch in einigen ungebildeten Seelen erheben will, da wird er als revolutionär und ungesetzlich niedergeschlagen. Unser ganzes irdisches Leben ist von diesem Geiste der Wortspalterei und der Unnatur zu Grunde gerichtet. Das Gefühl gilt nichts; damit aber das Wort Alles entscheide und ein solches System der Bevormundung geübt werden könne, brauchten die Fürsten, die durch das römische Recht erst Alleinherrscher wurden und es darum herüber nahmen, ihre Helfershelfer, und diese sind die Beamten. So haben wir diese Drachensaat erhalten, die zuerst Kaiser Maximilian in den deutschen Boden säete. Wohl heißt er mit Recht der +letzte+ Ritter, aber er selbst war es, der das Ritterthum und alles das, was die juristenfreundliche Welt der Neuzeit dem Geiste der heutigen Cultur feindselig glaubt, zu Grabe getragen. Und nicht nur auf dieses Gebiet beschränkt, auch auf dem religiösen zeigte das römische Recht seine übeln Folgen. Sobald sein Geist die Köpfe unserer Religionslehrer erfaßte, galt das formlos gegebene Wort Christi weniger seiner Meinung als seinem Buchstaben nach. In den Schulen römischer und griechischer Rhetoren wurden unsere Kirchenväter gebildet, und wenn sie ihr Glaube auch rein von der Beimischung heidnischer Philosophemen bewahrte, so konnte er es doch nicht vor der Ansteckung schönrednerischer Dialektik. Die griechischen Kirchenlehrer insbesondere sind diesem Geiste der Wortgiltigkeit völlig erlegen. Sonderbar, daß man im Oriente selbst die eigentliche Sprache des Orientalen, welche eine mehr durch Bilder und Zeichen als durch Begriffe redende ist, so verkennen konnte, und daß gerade in Constantinopel das römische Recht, diese Justiz der bloßen Förmlichkeit, seinen äußersten Triumph, seine Alles beherrschende Constituirung feiern konnte. So abseits von der ursprünglichen Heerstraße des Bildungsganges eines Volkes gehen zuweilen seine Wege und so nahe stehen sich dann die Gegensätze gegenüber. Erst der Mohammedanismus kam wieder auf die alte Sprache zurück; darum aber auch seine so raschen und so weitgehenden Erfolge in diesen Ländern des griechischen Christenthums. Er brachte, was eigentlich in dem Sinne der Leute lag, die Freiheit des Denkens und des Glaubens und die Ungebundenheit der Sprache. „Es ist nur ein Gott und Mohammed sein Prophet,“ die einzige Grenze seines Gesetzes, gestattet jede Philosophie und weitere Abartung. Die vielen Secten des Mohammedanismus sind nur deshalb weniger auffällig als die des Christenthums, weil sie geduldet und nicht mit Feuer und Schwert verfolgt werden. Den schwersten Trumpf, die Anklage ob der Verdrehung unserer Religion, hatte ich zum Schlusse unserer Unterredung gegen das römische Recht geschleudert. Vielleicht wollten sich dafür Justinian und Tribonian, die Väter dieses Rechtes nach unseren Vorstellungen, an mir rächen und erschienen darum in meinen Träumen. Ich sah die ganze Gesellschaft, die 17 Männer, Tribonian an ihrer Spitze, die vier gelehrten Professoren, Theophilus und Cratinus von der Universität zu Constantinopel, Dorotheus und Anatalius von der zu Berytus unter ihnen, mit ernsten, bedächtigen Köpfen um einen großen Marmortisch sitzen; hörte wie Jeder sein bestimmtes Quantum an Excerpten, die er aus dem Ueberflusse der römischen Quellen ausgesogen hatte, näselnd vorlas; hörte dann wie Tribonian verwarf oder approbirte, wie endlich Justinian mit mächtiger Stentorstimme eine vertheidigende Lobrede gegen mich gewendet hielt, die zuletzt in Drohungen ausartete, den Gegner bestrafen und züchtigen zu wollen und sah, wie sie darauf Alle aufstanden, sich gegen mich kehrten, die Fäuste ballten -- dann wie Alles in der Bewegung über und unter ihnen zusammenfiel, die Mauern und die Säulen, daß mich das Geräusch aufweckte und ich wenige Schritte vor mir einen gewaltigen Quaderblock, der aus der obersten Giebelmauer herabkam, in den unten schon gehäuften Schutt einschlagen sah. Grauer dämmernder Morgen war um mich. Verscheucht durch die Träume und noch mehr durch das letzte Ereigniß war jeder Schlaf unmöglich. Ich stieg auf die Stadtmauer hinauf und von dort aus, die baumlosen Friedhöfe der Armenier und die cypressenbewaldeten der Türken unter mir, sah ich den Tag kommen, der rosig und sonnig hinter den bythinischen Hügeln des Bosporus aufstieg und bald mit seiner Wärme alle Schrecken und alles Grauen der letzten Nacht verscheuchte. -- So habe ich eine Nacht in den Ruinen des byzantinischen Kaiserpalastes zugebracht. Constantinopel, den 25. Juni. Schon mehrfach sind mir Aehnlichkeiten zwischen den heutigen türkischen und den früheren byzantinischen Landessitten aufgefallen. Vielleicht hat sie nur die natürliche Nachahmungssucht des weniger gebildeten Nachfolgers, vielleicht aber auch der allgemein giltige Einfluß des Klimas veranlaßt. Pflanzen und Thiere modeln sich nach den Bedingungen ihres jeweiligen Bodens, warum sollte der Mensch allein von diesem Gesetze ausgenommen sein? So ist die Menge der sultanlichen Lustschlösser wie eine Erbschaft aus byzantinischer Zeit und daß sie immer noch wie damals gebaut werden, wohl ein Beweis für jene allgemein giltige Wirkungskraft des Klimas. Es sind keine großen, massigen Palastanlagen mit himmelhohen Stockwerken und endlosen Fronten wie unsere Herrschersitze, sondern kleine, niedere Pavillons, die in den Gärten zerstreut liegen, nur ab und zu durch Gallerien verbunden; selten sind oder waren sie höher als ein Stockwerk. Ihr Material ist vielfältig Holz und war, wenn auch gerade nicht dieses vergängliche der Türken, so doch gewiß nicht der unverwüstliche Stein, der in Rom und Athen so viele Reste gelassen hat. Die Verwüstungen, welche dort über den Boden gegangen sind, waren nicht weniger versengend als hier, und doch ist in Constantinopel nichts übrig geblieben von all den prächtigen Palastanlagen, die Constantin Porphyrogenetus in seinem Lehrbuche der byzantinischen Hofceremonien schilderte, als die einzige des Hebdomon, und auch diese sah ich gestern erst, berührt von einem einzigen Gluthauche, vor meinen eigenen Augen „stürzen über Nacht“. Ihre Mauern sind eben die lebendigen Zeugen für die lockere Bauweise auch der Byzantiner; Ziegel und nur ab und zu Steine beigemischt, war der hauptsächliche Stoff ihrer Gebäude. Und wie durch den Styl und die Bauweise, so gleichen sich auch durch die Lage die heutigen und die früheren Kaiserpaläste; Türken und Byzantiner beweisen dadurch wie sehr ihr Auge empfänglich für die Schönheit der Natur ist. Denn die meisten dieser Paläste zeichnen sich dadurch vor den Häusern anderer Sterblicher aus, daß sie den weitschauendsten und den begünstigsten Ausblick auf das Marmora-Meer, das goldene Horn, die süßen Wässer von Europa und Asien, den Bosporus oder das schwarze Meer haben. Dieser Ueberfluß an Wohnhäusern erscheint übrigens um so befremdlicher als alle, oder doch die meisten derselben, zugleich dem Bedürfnisse des Stadt- und des Landlebens genügen. So insbesondere Dolma-Bagdsche, das dem Einfahrenden vom Marmora-Meere her gerade gegenüber auf der Küste von Europa erscheint und dem der jetzige Sultan doch einen Rivalen auf dem jenseitigen Ufer von Asien in dem insbesondere bunten Marmorpalaste von Beylerbey erbauen läßt. Die Paläste bei Ejub im Hintergrunde des goldenen Hornes, bei den süßen Wässern von Europa, das Serai und auch die beiden reizenden Köschke auf dem europäischen Ufer hinter Pera in einer Schlucht versteckt, die sie den großen und kleinen Flamur nennen, habe ich schon früher besehen; heute ward mir gelegentlich des Sultansfestes dasselbe mit Dolma-Bagdsche zu Theil. Der Sultan feiert nämlich heute und mit ihm das ganze Reich seinen Geburtstag. Zur Verherrlichung dieses einzigen officiellen Festes der Türkei empfängt er in den Vormittagsstunden das gesammte diplomatische Corps. Die erste Ceremonie, die wir durchzumachen hatten, war an dem äußersten Palastthore, die Begrüßung durch einen jungen Officier; groß und schlank gewachsen, im türkischen Kleide, blau und roth, reich mit Gold gestickt, stellte er sich ganz passend in die Phantasiebilder von orientalischer Pracht, welche wohl Jeder mit hieher in dieses Sultansschloß bringt. Auch die Wache hinter ihm ließ sich in diese Erwartung einfügen, lauter schön gebildete und reich gekleidete Bursche. Der Officier sprach vortrefflich Französisch. Mit verbindlichen Geberden geleitete er uns durch die Gärten des Palastes zu den Marmorstufen, welche in das Erdgeschoß hinaufführen. Chiamil Bey, der Ceremonienmeister, eine kleine, lächerliche Figur, nahm uns dort in Empfang. Ein großer Salon, rechts daneben ein kleiner und endlich ein drittes größeres Zimmer waren die zur Versammlung des diplomatischen Corps geöffneten Räume. Wir waren die ersten; die Preußen, die Franzosen die nächsten; dann eine endlose Folge der Vertreter der anderen Mächte, Bulwer mit den Engländern die letzten. Der Blick von Dolma-Bagdsche aus dem Fenster des dritten Salons, an dem ich mich aufgestellt hatte, dringt zwischen Asien und Europa durch auf das Marmora-Meer, reicht bis zu den Prinzen-Inseln und dem Olympe, schließt links Skutari, rechts die Seraispitze und die Mündung des goldenen Hornes ein und hat unmittelbar vor sich den Strom des Bosporus mit den Dampfjachtflottillen des Sultans, den Stationsdampfern der fremden Gesandten und den Handelsschiffen aller Nationen. Er ist so schön, daß man die Köschke des Serais beinahe ohne Bedauern verwaist liegen sieht. Es war gewiß, wie auch die Uebertragung des russischen Herrschersitzes vom Kreml nach dem Petersburger Winterpalaste, ein Act der Reformationspolitik, welcher Mahmud die Schauerstätten der Seraispitzen mit diesem noch unbefleckten Boden des Bosporus vertauschen ließ. Das Serai in seiner Verlassenheit ist ein Stück der abgespielten türkischen Geschichte, wie es für Frankreich Versailles ist, und St. Cloud und Compiegne -- wer weiß wie bald schon -- sein werden. Die Menschen prägen eben auch der Erde wie ihren Gesichtszügen den Stempel ihrer Leidenschaften auf; mehr oder weniger deutlich trägt Jeder, der Einzelne wie der Ort, das ~travaux forcés~ seiner Schicksale in seinem Fleische eingebrannt. Dolma-Bagdsche ist ein weitläufiges Gebäude; ein höherer Mittelbau steht zwischen zwei Seitenflügeln, die durch ebenerdige Gallerien mit ihm verbunden sind. Wohlgepflegte Gartenanlagen und blendend weiße Kieswege umziehen das Ganze. Auf drei Seiten führen freistehende, hohe Thore, prächtig als sollten sie Triumphpforten vorstellen, zu ihm; auf der vierten, gegen Süden gekehrt, hat er das Meer, feste Marmorquais und ein vergoldetes Gitter, das ihn dort abschließt, vor sich. Nur der rechte Flügel dient dem Privatgebrauche des Sultans, der linke gehört den Frauen und der Mittelbau den Zwecken der staatlichen Repräsentation. Dieser erhebt sich zu der Höhe venetianischer Paläste. An Venedig überhaupt mahnt der ganze Palast durch seine Lage, aber auch durch seinen Baustyl, den eines geschmackvoll ausgebildeten Rococo. Noch ähnlicher finde ich ihn dem Dresdner Zwinger und so insbesondere seine drei Thore. Es scheint, daß dieser Styl, verbannt aus den Geschmacksregistern des heutigen Europa’s, nunmehr der Liebling der türkischen Sultane geworden ist. Die meisten ihrer neueren Bauten sind darin gebaut. So jene beiden Flamure, der große und der kleine, welche ich eben ob ihrer Zierlichkeit belobte; so der kaiserliche Köschk bei den süßen Wässern von Asien; so der Köschk in Top-Hane, die Moschee daneben, die Moschee Abdul Medschid’s neben Dolma-Bagdsche, und so wird eben der prachtvollste aller neueren Paläste, der in Beylerbey, gebaut. Und das ist wahr, besser als hierher paßt dieser wollüstige Styl nirgends hin und ihm wieder dienen der hiesige Sonnenglanz, die Farbenpracht der Blumen und das Meer, das spiegelnd vor seinen Mauern ausgebreitet liegt. Es ist als habe der Orient in endlicher Entwicklung seiner Kunst die ihm vom Anfange an bestimmte Form endlich gefunden und Europa im vorigen Jahrhundert nur entlehnt, was eigentlich hierher gehört. Im Inneren des Palastes sind die prachtvollsten Theile das Bad, die Treppe zu den Privatgemächern des Sultans und der große Ceremoniensaal, welcher allein für sich den ganzen Mittelbau füllt. An der Treppe kamen wir vorüber, als man uns zur Audienz nach jenem Saale führte. Weiße Krystallgeländer fassen sie ein und rothes Glas deckt ihre Kuppel, so daß die Stiege wie aus Rubinsteinen gehauen erscheint. Sie überrascht wie der erste Anblick einer besonders schönen Balletdecoration. Es ist der glückliche Gedanke, den man hier vorzüglich loben muß, denn das Weitere in der Ausführung ist dann ziemlich einfach. Und am glücklichsten ist dabei die Beschränkung, welche das Treppengeländer und die Stufen weiß ließ; dadurch wechselt das Roth in ihm, je nachdem das Sonnenlicht heller oder gedämpfter durch die gefärbte Kuppel einfällt, scheint wie mit eigener Kraft aufzuflammen und jetzt wieder auszulöschen. Das ist etwas von „Tausend und eine Nacht“, und ebenso ist es auch der Thronsaal. Divansaal müßte man eigentlich sagen, denn auf der Stufe, wo bei uns der Fürstenstuhl steht, ist hier ein breiter Divan aufgestellt, mit rosenfarbener Seide überzogen und in purem Golde gefaßt. Der Saal ist eigentlich viereckig, erscheint aber länglich, weil auf den zwei Langseiten vorspringende Säulenstellungen die Breite für das Auge vermindern. Auf allen vier Seiten sind Fenster; durch die, welche sich auf den Breitseiten gegenüber liegen, schaut man auf der einen Seite die blaue Fluth des Bosporus und die rothen Hügel Asiens, auf der anderen Seite das Grün der sorgsam gepflegten Gartenanlagen. Eine mächtige Kuppel deckt den Saal; vier Bogen, die aus ihr herabfallen, tragen sie; absteigend niedriger gereiht schließen sich Halbkuppeln und zuletzt Nischen daran, in welchen die 12 Fenster angebracht sind. Auf den Langseiten sind je zwei Säulen tragend zwischen die Fenster gestellt, auf den Breitseiten nur je eine. Von der Kuppel hängt ein Krystall-Luster für 10.000 Kerzen herab, und in den vier Ecken stehen auf bunten Marmorsockeln riesige Kandelaber, die beinahe bis zur Höhe eines Stockwerkes aufwachsen. Vier andere aus Silber mit Lilienkelchen, um das Licht zu bergen, stehen neben dem Divan und ihm gegenüber am anderen Ende des Saales. Das ist die einzige Möblirung. Der Kronleuchter ist derselbe, welchen ein Windstoß auslöschte, als der Sultan hier in diesem Saale zur Feier des Friedensschlusses nach dem Krimkriege den Vertretern der Großmächte ein großes Bankett gab. Ein ominöses Zeichen, welches auch damals unheilvoll gedeutet ward. Heute standen im Kreis an den Wänden herum die hundert Garden: Kurden, Tripolitaner, Araber, Albanesen, Griechen, Türken u. s. w., junge Leute aus den besten Familien, die in dem reichsten Schmucke ihrer Trachten dem Sultan die Unterthänigkeit ihrer Heimathländer repräsentiren sollen. Die meisten sind von edler Gesichts-, alle von großer, starker Körperbildung. Durch Glanz der Gewänder, der Gaze-, Sammt- und Seidenstoffe, der Juwelen und Goldstickereien gefielen mir die Fürstensöhne von Tripolis am besten. Wer diese Garden nicht in ihren Galakleidern gesehen hat, hat keinen Begriff, bis zu welchem Klimax die Verschwendung der Toilette hinaufsteigen kann. Auch das kann so nur einmal im Alterthume gewesen sein, und ist wohl aus jener Zeit bei diesen weniger vergänglichen Völkern ein Ueberbleibsel der Mode. In Byzanz muß dieser Luxus fortgedauert haben; bei uns gestattet die Sitte heute auch der schönsten Frau eine solche Gold- und Farbenpracht nicht, man würde sie geschmacklos schelten und doch verlangt das Auge eigentlich Farben. Die Kanonen der türkischen Flotte, der Landbatterien, der fremden Stationsschiffe donnerten. Der Himmel, der bis dahin umwölkt gewesen, klärte sich, voller Sonnenschein fiel hell und leuchtend in den Saal. Der Sultan, so vom Himmel und der Erde zugleich begrüßt, trat neben dem kaiserlichen Divan durch eine Seitenthüre ein, rasch, mit festem Schritte. Klein, breitschulterig, von gedrungenem, starkem Körperbaue, in dunklem, militärischem Ueberrocke, stach er auffallend von dem Glanze ab, der um ihn gelagert war; ein Orientale würde sich ausgedrückt haben: wie der Erdball, dem das Sonnenlicht huldigen muß. Sein schwarzes Auge blickt heftig. Leidenschaftlicher als dieses ist vielleicht nur noch der Schluß seiner Lippen. Die Mundbildung überhaupt ist verrätherisch für die Geheimnisse des Charakters. „Ein angenehmer Mund“ ist darum eine Bemerkung, womit ich Männer oft bezeichne, und „ein gemeiner“ eine, die ich von mancher berühmten Schauspielerin schon behauptet habe. Dem Sultan wagt sich in den Augenblicken seiner Erregtheit nur seine Mutter in die Nähe. Ihr Einfluß ist ein großer und hinwiederum der aller Frauen, welche Zutritt zu ihr haben. Man muß alle diese Fäden kennen, um die Politik der türkischen Minister, aber auch um die oft winkelziehende Diplomatik der fremden Gesandten zu verstehen. Wer hieher kömmt mit unseren landläufigen Ideen vom Nichtsgelten der türkischen Frauen, wird die feingesponnenen Fäden nicht zerreißen, aber gar bald darin sich gefangen sehen. Der Sultan, der die alte Etiquette wieder hergestellt, spricht mit den Vertretern der fremden Mächte nur durch den Mund eines Dolmetsch. Ali Pascha übersetzte ihm die Glückwünsche der Botschafter und Gesandten und ihnen die Antworten des kaiserlichen Herrn; doch erkannte man an dem beifälligen Lächeln, womit er schon in der französischen Auflage die poetische Begrüßung des österreichischen Internuntius aufnahm, daß er diese Sprache verstehe. Dieser Diplomat war auch der einzige, mit dem er sich länger und aus den Formen der Etiquette heraustretend unterhielt. Es ist ein Irrthum den Sultan für geistig unbedeutend zu halten. Abdul Aziz hat vielleicht gerade durch seine Liebhabereien dem türkischen Volke mehr genützt als irgend ein heute regierender Fürst dem seinigen. Er will die Umkehr zu dem Alten, wenigstens zu dessen Ausgangs- und Zielpunkte: dem Koran und dem Glauben, ohne deswegen zur Fahrbarmachung des zwischenliegenden Weges die neuen Mittel der Civilisation zu verschmähen. In diesem Sinne hat er den türkischen Soldaten ein Nationalkleid wiedergegeben; und hat er den Muth, ihnen in dem Augenblicke der Gefahr auch den alttürkischen Glauben wieder frei zu lassen, dann wird es mit der Eroberung Constantinopels durch moskowitische Ränke doch etwas länger dauern, als die europäische Journalistik prophezeit. In seinem Volke muß er den besten Theil seiner Kraft suchen, und wird sie finden, wenn er dem Volke nur wieder erlaubt das zu sein, wozu es erschaffen ist. Wer seine Anfänge verleugnet, geht zu Grunde, denn jeder Baum lebt nur durch seine eigenen Wurzeln; und wirklich glitten seine Vorgänger abwärts, seitdem sie die Stütze der europäischen Großmächte annahmen. Darum finde ich es ein hoffnunggebendes Zeichen, daß Abdul Aziz den fremden Botschaftern unzugänglicher geworden ist als es Abdul Medschid war. Den Schluß des Tages verherrlichte Ali Pascha mit einem Balle, den er in seinem Landhause zu Bebek am Bosporus gab. Schon um 8 Uhr führten Dampfer in seinem Dienste die Gäste von der Hafenbrücke aus dorthin. Ich wollte auch die Fahrt in ihrem ganzen Werthe bei völlig herabgesunkener Nacht genießen, langsam und ungestört; darum setzte ich mich um 9 Uhr bei Top-Hane ins Kaïk und ließ mich gemächlich aus dem goldenen Horne in den Bosporus rudern. Und so herrlich das Fest, diese Fahrt war der schönere Theil der Nacht. Die Hügel von Stambul, von Skutari, von Galata und Pera, und bis zum schwarzen Meere hinaus die Ufer des Bosporus waren beleuchtet. Die Moscheen trugen Lampenkränze; die Thürme waren von oben bis unten mit Lichtern überzogen, am schönsten der Leanderthurm, weil er abgetrennt von allen übrigen auf seiner Insel, wie feurig aus dem Meere geboren, vereinsamt schwamm. Um die Quais von Top-Hane waren lichte Bogengänge gewunden, an sie schlossen sich die Paläste an, welche hart am Meere stehen, alle mit Lichtern in mannigfaltigen Formen bedeckt. Ueber ihnen standen beherrschend die großen Linien der Kasernen. Auf dem Wasser schwammen Flöße, von denen Feuerwerke in die Luft stiegen, in weiterer Entfernung leuchteten elektrische Sonnen und das so hell, daß für Augenblicke die entlegenste Ferne näher und deutlicher als selbst in dem Tageslichte erschien. Musik klang von den Ufern aus den Harems der Paschas heraus; über mich weg donnerten die Breitseiten eines Linienschiffes, an dem ich eben vorbei fuhr; dann, als wieder Ruhe und Dunkel sich um mich gelagert hatten, kamen mir die weichen Molltöne eines türkischen Liedes begleitet von den rauhen Schlägen der Tarabuca entgegen. So war Freude und Lust überall, ein Volksfest im wahren Sinne des Wortes, von den unserigen aber merkwürdig dadurch unterschieden, daß sich eine Million Menschen und diese sogar Türken, Griechen, Armenier, Juden, alles untereinander, längs dem Gestade bewegte oder in tausenden von Booten den Bosporus befuhr, ohne die leiseste Unordnung, ohne ein unfreundliches Wort, ohne Haß, Zank und Streit. Kein Besoffener war zu sehen, keine Frau, kein Mädchen hatte Unanständiges zu gewärtigen; nirgends Soldatenrohheit, nirgends Polizei -- aber überall angeborene Sitte, und darin liegt es. In der Nähe des Landhauses wurde die Fahrt weniger bequem, durch die vielen ab- und zugehenden Dampfer sogar gefährlich. Masten und Taue trugen sie zwar mit Lichtern umwunden, aber das Licht selbst hinderte durch die Blendung am Sehen. Wohl eine halbe Stunde brauchte es, bis wir uns durch die Menge der vorliegenden Boote den Weg zu der Landungsbrücke durchgebohrt hatten; zuletzt gelang es uns nur durch die commandirende Beihilfe eines türkischen Officiers. Das Haus und die dahinter liegenden Hügel glänzten mit tausenden von Lichtern. Das Innere, Vorplätze, Treppen und Salons, klein und einfach eingerichtet, war nur die Folie zu dem Eindrucke, welchen der Garten machte, wenn man auf die Brücke trat, die vom ersten Stocke zu ihm hinüber reicht. Ausgebreitet lag ein weites Parterre von Lampen, die bunt in allen Farben zur Nachahmung von Blumen in Beeten gesammelt und geordnet waren. Aus dieser Fläche stieg Terrasse über Terrasse die Höhe hinauf, bis zum höchsten Punkte reichlich beleuchtet. Auf Gerüsten zu architektonischen Verzierungen vereinigt, in den Cypressen und Pinien, Lorbeer- und Granatbüschen vertheilt hingen die Lichter, Dunkel und Helle auf das glücklichste wechselnd; dazwischen in Transparentschrift der Namenszug des Sultans und das übliche: „Er lebe tausend Jahre!“ -- Auf der zweiten Terrasse empfing ein prächtiges Zelt die Gäste. Zwölf Säulen, aus Gold gewunden, trugen die Decke aus blauem Atlas mit Edelsteinen und Gold gestickt; in breiten Falten fiel sie auf drei Seiten herab. Suleiman der Große soll schon vor Szigeth unter diesem Juwelendache gehaust und getafelt haben. Ueber das Zelt herab neigte sich von der oberen Terrasse eine Reihe machtvoller Pinien. Das grelle Licht, das von unten hinauf in ihre Kuppeln stieg, ließ sie wie in rosige Schleier gehüllt erscheinen. Diese Pinien zogen mich am meisten an; bei ihnen war Ruhe und Einsamkeit und doch zugleich auch der Anblick der ganzen Herrlichkeit. Von Asien herüber leuchteten die Landhäuser, und rechts und links auf europäischem Boden die beiden Arme der Bucht entlang bis nach Rumili Hißar und dem anderen Vorgebirge, und in ihrem Becken selbst war Alles licht und glänzend. Nur der Bosporus weiter draußen blieb dunkel und nächtig; seine Breite bezwang kein Licht. Ab und zu trat aus dem Schatten der Laubgänge eine der prachtvollen Gestalten der hundert Garden in weiße Brussa-Stoffe oder rothe Sammt-Mäntel gehüllt; langsam, abgemessenen Schrittes und ohne mich zu beachten, gingen sie vorüber. Einmal so auch der Sultan, vermummt in die Kapuze seines Militär-Mantels mit einem einzigen Begleiter. Man hatte mir früher gesagt, daß er so anwesend sei, um das Fest seines Ministers mitzugenießen, weil ihm die Etiquette den öffentlichen Besuch eines Hauses seiner Unterthanen verbietet. Ich habe nie eine Situation erfahren, die mehr als diese gestimmt zu einem Abenteuer gewesen wäre, und so sehr ging ich selbst in dieser Stimmung auf, daß ich mit jeder schwindenden Minute nur um so fester an dessen Kommen glaubte. Aber das, was dazu nothwendig ist, schöne Frauen, die fehlten beinahe gänzlich. Es war von der Gesellschaft Pera’s nur ein geringer Theil erschienen, die meisten waren Fremde und diese nicht eben des jugendlichsten Alters. In jedem anderen Punkte übertraf dieses Fest unendlich das, was Europa bei solchen Gelegenheiten bietet. Manches Widerspruchsvolle lief freilich mit unter. So standen die Diener, welche in dem gold- und juwelengestickten Zelte Suleiman des Großen das Gefrorene servirten, ganz gemächlich in den Hemdärmeln, die Aermel sogar hinaufgerollt, daß der bloße Arm zum Vorschein kam und mit weißen vorgebundenen Schürzen da. Hier störte dieses Niemanden; Jeder fand dieses Costüme wohl dem Geschäfte angemessen, mich aber -- ich will es nur gestehen -- verletzte es, und das Gefrorene wollte mir nicht schmecken, welches von diesen entkleideten Lakaien dargeboten wurde. So bringen wir es eben gerade in Kleinigkeiten nicht über unsere Gewohnheiten hinaus. Einen ähnlichen Gegensatz zu dem Gewohnten bot die Rückfahrt, die ich auf einem Dampfer wählte, um schneller heimzukommen. Die Damen kamen auf das Schiff, die Röcke hoch hinaufgehoben, einige die sie über die Schultern gezogen hatten, andere sogar über den Kopf, weil sie in der Garderobe ihre Mäntel und ihre Kapuzen nicht gefunden hatten; die Herren saßen in den goldgestickten Uniformen, die Cigarren im Munde, hart an sie angedrängt, ungenirt schlafend, den Kopf auf die Schulter ihres Nachbarn gelehnt, bis ein unfreundlicher Stoß, oder der Fuß des Caffegi, der sich, schwarzen Kaffee anbietend, durchdrängte, sie aufweckte. Wer diesen ~retour d’un bal~ nicht mitgemacht, der kann sich keinen Begriff von der Groteskheit, der Buntheit und der Ungenirtheit dieser Bilder machen. Im Harem Ali Pascha’s hatte Lady Bulwer vorgetanzt. Sie konnte mir nicht genug die Grazie und den Anstand rühmen, womit die Frauen die Lanciers tanzten. Der Eingang zum Harem war neben dem Rauchzimmer auf dem Gange, nur durch ein paar spanische Wände und Eunuchen verstellt, so daß die europäischen Damen immer frei ab- und zugehen konnten. Im Herrenhause machte die Fürstin von Samos die Honneurs. Ali Pascha ist ein kleiner, langsam und bescheiden sich vorbei schiebender Mann, die unansehnlichste Figur seines ganzen Festes, in Allem das gerade Gegentheil seines Collegen und Vorgesetzten im Amte, Fuad Pascha’s. Der Großvezier ist eine hohe, breitschulterige, beinahe athletische Gestalt, heftig im Gange und in der Bewegung, und so auch im Worte, in seiner Denk- und Handlungsweise. Ali Pascha ist milde und versöhnlich, ein verkörperter Gedanke des Korans; Beide ergänzen sich und ihr Wirken. Der Orientale hat eine Selbstverläugnung der Eitelkeit, deren ich kein europäisches Volk fähig glaube; ihm ist mehr um das Wesen, als um den Schein zu thun. Man sehe sein Haus an, außen verfallene, ungehobelte Dielen, drinnen -- wenigstens im Frauengemache, das kein Fremder betritt -- kostbare Divane und Teppiche, und nun vergleiche man das mit unseren anmaßungsvollen Bauten! Das Haus ist der Mann, und so sich zu bescheiden in seinem Aeußern wie jenes weiß der Türke. Der Sultan hatte unmittelbar nach seiner Thronbesteigung, veranlaßt durch französische Umtriebe, Fuad Pascha entfernt. Nach kurzer Zeit sah er die Nothwendigkeit ein, ihn wieder in das Amt zu berufen. Fuad erklärte, daß der Sultan in den Augen seines Volkes nicht Unrecht haben und es auch nicht eingestehen dürfe; er trat also in das Ministerium ein unter einer Puppe von Großvezier, bis genug Zeit seit dem letzten Ministerwechsel vergangen war, daß der Sultan anständigerweise ihn auch wieder mit dem Range der obersten Würde bekleiden durfte. Constantinopel, den 28. Juni. Keine Stadt der Welt, Rom und Athen nicht ausgenommen, war reicher an öffentlichen Denkmalen, als das alte Constantinopel; alle hatte es bestohlen, um sich damit zu schmücken. Keine ist ärmer, als das heutige; so wird erniedrigt, wer sich selbst erhöht. Außer den drei Resten auf dem Hippodrome und dem Stumpfe der verbrannten Säule in der Gasse von dem At-Meidan nach dem Platze der Sultan Bajasid Moschee sind nur noch drei Säulenschäfte und der Sockel übrig, den man für den Unterbau der Reiterstatue des Justinian hält. Man gibt gewöhnlich diese Verwüstung dem Einfalle der Türken schuld; das aber ist ein Irrthum. Das Constantinopel, welches sie eroberten, war schon ein zerstörtes, halb niedergebranntes, seit der Plünderung durch die Kreuzfahrer nie wieder ganz erholtes. Nicht als ob nach dem Jahre 1261 die Bewohner der Stadt nicht wieder an Reichthümern zugenommen hätten; der Boden ist ein so günstig gelegener und so fruchtbarer, daß hier schneller als an jeder anderen Stelle der Welt Vermögen, die verloren waren, wieder gewonnen werden. Die Natur selbst hilft dazu; mit unwiderstehlichen Strömungen zwingt sie von beiden Meeren die Schiffe zum Einlaufen in den Hafen, so daß er mit gutem Grunde das goldene Horn heißt. Aber der Kunstsinn, oder wenn man das zu schmeichelhaft für die Byzantiner glaubt, wenigstens die Kunstliebe war nicht wiedergekommen. Nichts trieb die Paläologen an, die umgestürzten Säulen und Statuen wieder aufzurichten. Auch hatten die Lateiner das Meiste so zerstört, das Metall eingeschmolzen, um Waffen daraus zu schmieden, die Vergoldungen abgekratzt, den Stein zerschlagen und verbaut, daß nicht einmal das Rohmaterial mehr übrig war. An tugendhaften Vorwänden zu diesen Grausamkeiten fehlte es ihnen nicht; bald war es ein Theodosius, den sie fällten, weil er einem Bellerophon ähnlich an das Heidenthum mahnte, bald wieder die Schuld des griechischen Glaubensbekenntnisses, die der Marmor oder das Erz verantworten sollte. Nie ist eine Stadt furchtbarer verwüstet worden als Constantinopel durch die christlichen Glaubensbrüder seiner Bewohner; vielleicht hat erst unser Jahrhundert das Gegenstück dazu geliefert, die Franzosen in Pecking. Was die Türken später thaten, war unbedeutend im Vergleiche zu diesem Vorhergeschehenen. Sie richteten sich schon den Tag nach der Eroberung häuslich ein, und da man in seinem Hause in Ordnung zu leben wünscht, bestätigten sie den Fremden ihre Vorrechte und verliehen den Griechen diejenigen, die sie bis heute als festgegliederte Körperschaft in Religion und Nationalität ungeschmälert bestehen ließen. Die Türken eroberten eben mit dem Gedanken und mit dem Willen an dauernden Besitz; die Lateiner hatten im Grunde ihres Herzens nie etwas Anderes gewünscht, als sich zu bereichern und mit dem Raube, jeder Einzelne für sich, in die Heimath zurückzukehren. Darum dieses unverständige Belasten des Volkes mit den Institutionen eines Fremdlandes; sie zeigten sich als unfähige Colonisatoren, wie sie sich auch später wieder in Amerika und Afrika bewährt haben. Wer gegen die Unduldsamkeit der Türken schreit, soll nur diese beiden Eroberungen derselben Stadt mit einander vergleichen und dann zusehen, auf welche Seite hin die Gerechtigkeit den Stein des Vorwurfes schleudern muß. Der einzige Fehler der Türken ist, daß sie von den ihnen übrig gelassenen Denkmälern nichts erhalten, wenn es nicht ihrem Cultus dienstbar ist; was verfällt, das lassen sie fallen. Aber wie lange ist es denn her, daß wir es anders machen?! Den Sockel zu der Reiterstatue des Kaisers Justinian zeigte man mir zwischen dem At-Meidan und der Aja Sophia. Das entspricht der Lage, welche die alten Schriftsteller diesem Denkmale anweisen. Noch Gilles, der die Trümmer der Statue in der Gießerei sah, sagt: daß sie an der Ecke der Sophienkirche gestanden habe, welche gegen Westen schaut. Man steigt heute zu dem Würfel hinab, ungefähr gerade so tief, wie zu dem Boden der Aja Sophia; ein Brunnen ist darin angebracht, Häuser stehen darauf; ringsherum liegt die Erde in derselben Höhe wie auf dem Hippodrom und um die Aja Sophia aufgeschichtet. Trotzdem habe ich meine Zweifel, daß dieser Steinwürfel wirklich der gewesen sei, der die Statue des Pandekten-Kaisers getragen. Ein anderes dieser Denkmäler, das ich erst heute besah, ist bei der Laleli Djami vorbei, die gerade Gasse weiter, einem großen Brunnen vorbei, im Viertel Awret-Bazar, die sogenannte Säule des Arkadius. Es sind dieses eigentlich nur mehr der Sockel und die untersten Blumengewinde der Säulenbase, aber sie verrathen schon, wie ungeheuer und weitbeherrschend dieses Denkmal gewesen sein müsse. Weit hinaus übersahen wir von der Höhe Meer und Land; ein türkisches Linienschiff, von der Schraube bewegt, dampfte eben in den Bosporus. Eine Weile ließ mich der Ausblick alles Andere vergessen. Die Mauern und die Treppe darinnen sind aus Marmorblöcken gefügt von überraschender Größe; sie brechen auseinander. Der Stein ist geschwärzt und verkohlt, wie die Säulen im Palaste der Blachernen; ein Zeichen, daß zuletzt wenigstens das Feuer an der Zerstörung der Säule gearbeitet haben muß. Kein Wunder, denn außen herum sind Holzhütten gebaut und im Innern des Sockels hat ein Schmied seine Werkstätte eingerichtet. In dem Plafond des Treppenabsatzes ist ein großes gleichschenkliches Kreuz ausgehauen und in den vier Ecken, die seine Arme ausschneiden, ein Alpha und Omega; so wenigstens übersetzt Professor Dethier die zwei Zeichen Α und ω. Man hat das zweite früher als ein zufällig schief gestelltes E gedeutet und dazu Arkadius und Eudoxia ergänzt, so daß der Beweis fertig schien, daß dieses die Säule des Arkadius gewesen, welche ihm für seine Siege über die Gothen aufgestellt worden war. Ein ganzer Theil des byzantinischen Stadtplanes wurde um diese Entdeckung aufgebaut; so leichtgläubig und behende sind die Archäologen. Ihre Wissenschaft ist mir beinahe gerade so verdächtig, als die der Statistiker. Um einen ausgegrabenen Stein mit wenigen sinnlosen Buchstaben darauf bauen sie ein ganzes Gebäude, um das Gebäude eine Stadt; das einmal Aufgestellte wird dann durch Jahrhunderte geglaubt, verwirrt alle Vorstellungen und hindert die weiteren Forschungen. Gerade hier in Constantinopel, je mehr ich mich umsehe, erkenne ich die Nothwendigkeit, ~tabula rasa~ mit den Vorstellungen des bisher Erforschten zu machen. Vielleicht würde sich dann auch der bisherige Name dieser Säule als ein ungerechter beweisen. Ich glaube viel eher, daß er der crenelirten mit dem reichen korinthischen Kapitäl in den Gärten des Serais zukomme. Die dortige Inschrift macht es wahrscheinlich: „dem Besieger der Gothen“; das war Arkadius vor Anderen besonders. Die Angabe Pouqueville’s, die ihm Hammer als ein Mißverstehen des Gilles rügt, dürfte mit meiner Vermuthung auf der Wahrheit beruhen. In dem ehemaligen Stadtviertel der Janitscharen suchte ich das letzte der altconstantinopolitanischen Denkmäler, das mir noch zu besichtigen übrig blieb, die Säule des Marcian. Die Türken nennen sie Kistasch, Mädchenstein, und glauben, daß darauf einmal die Statue der Venus gestanden, von der die Tradition wie die Chroniken erzählen, daß sie die Jungfrauschaft der Vorübergehenden durch das sonderbare Mittel geprüft habe, ihnen die Röcke auffliegen zu machen, wenn sie eine nicht mehr ganz reine war. Ich möchte auch diese Tradition nicht unberücksichtigt gelassen sehen, wenn wieder einmal die Herstellung eines Stadtplanes des alten Constantinopels versucht wird. Trotz der Inschrift, welche alle Zweifel zu verbannen scheint, wer weiß denn, was früher und was später auf dieser Säule gestanden und ob das Wort des Volksmundes nicht ein Körnchen davon festgehalten hat? Hammer hat sie jedenfalls nicht richtig gesehen; der Schaft ist nicht von weißem Marmor, wie er erzählt, sondern von Granit. Die Säule steht eingesperrt in dem engen Hofe eines türkischen Hauses, ein kleines Gärtchen davor und so hinter Mauern versteckt, daß, da wir schon von den Pferden abgestiegen waren, ich ihrer noch immer nicht gewahr wurde. Es brauchte viele Versprechungen, bis uns ein altes Weib das Gartenthor öffnete. Durch einen Laubgang traten wir ein; Alles klein in dem Garten, aber sorgsam gepflegt, voller Schlingrosen und Granatblüthen. Die Alte zog sich schnell zurück und ließ uns als die Herren des Raumes; ihr mußte schon der kurze Verkehr mit fremden Männern als sündhaft erscheinen, und nur das reichliche Trinkgeld und ihre Armuth mochten sie dazu bestimmt haben. Den Hof, der nur wenige Schritte groß, so daß nirgends recht ein Standpunkt zur übersichtlichen Würdigung der Säule zu finden ist, verengen auch noch Erd- und Misthaufen, doch ist der Sockel soweit frei, daß man unterscheidet, hier, wie auch bei der sogenannten arkadischen Säule, ausnahmsweise zugleich mit dem Denkmale unmittelbar auf der Erdschichte des alten Constantinopel zu stehen. Das zeigt nur, welche Masse von Verwüstungen die Gegend des Hippodroms und der Aja Sophia heimgesucht und welche Menge von Stoff für die Zerstörung dort gestanden haben muß. -- Bis auf die Statue ist die Marcians-Säule in ihrer ursprünglichen Höhe erhalten. Sie ist niedrig und überragt nicht wie die anderen Denkmäler des alten Constantinopel die Bauten der Neuzeit. Auf der einen Seite hat auch sie das Feuer verletzt; Sockel, Schaft und Kapitäl sind dort verkohlt. Vielleicht daß das ein Rest der furchtbaren Feuersbrunst ist, welche gelegentlich der Janitscharen-Vertilgung dieses Quartier niederlegte. Wahrscheinlich standen damals die Holzhäuser noch näher darum. Die Arbeit an der Säule ist zierlich, ohne edel zu sein; das Kapitäl, korinthisirend, ist nicht geradlinig über den Sockel, sondern mit seinen vier Kanten über die Ecken des Sockels gelegt. In dieser Weise [Symbol 4]. Ob das der Einfall des ersten Erbauers oder erst später durch einen Zufall so gestellt worden ist, ist nicht zu entscheiden. Dem Kapitäl liegt ein Würfel auf, dessen Ecken von Adlern abgeschnitten sind. Im Sockel sind auf drei Seiten Kränze um ein Kreuz ausgehauen, auf der vierten zwei Genien neben der Inschrift. Marcian, dem sie geweiht, war der niedrig gebotene Thracier, den die jungfräuliche Pulcheria nach dem Tode ihres Bruders Theodosius II. zum Scheingemale erhob, damit das Reich nicht ohne männlichen Kaiser sei. 6½ Jahr regierte er, von 450-457. Diese Mode, sein Bild auf eine Säule hoch über andere Mitgeborene hinauf in die Lüfte zu stellen, wie das hier in Constantinopel und in dem Rom der Kaiserzeit üblich war, beweist mehr als alles Andere den Hochmuth und den Ungeschmack der Zeit. Das Naturgemäße, das, was dem Zwecke entspricht, ist, die Statue dem Beschauer gegenüber zu stellen, damit er ihre Züge und das Detail der Arbeit erkenne. So hatten die Griechen ihre Kunstwerke aufgestellt und zu solcher Beschauung die griechischen Künstler sie gearbeitet. Kein Bau ist bei ihnen so hoch, daß nicht das freie Auge daran die bildhauerische Ausschmückung unterscheiden könnte. Erst als die Kunst verfiel, wuchs sie ins Riesenmäßige aus; die Quantität sollte ersetzen, was die Qualität nicht mehr gab, und als dann im selben Grade mit dieser geistigen Verschwächung -- wie das nun immer geschieht -- die Einbildung der Menschen stieg, da stellte die Kunst ihre schlechter verfertigten Werke den Vögeln zur Nachbarschaft und Anschauung aus. Vielleicht glaubten sich auch dort oben die Kaiser sicherer, als sie es unten gewesen wären vor den Beleidigungen und Steinwürfen der Unglücklichen, die sie mißhandelt hatten; denn die meisten errichteten ja sich selbst diese Denkmale. Keines dieser Götzenbilder steht mehr auf seinem luftigen Platze, ja keines lebt mehr. Die älteren, bescheideneren Statuen, die sich auf der Erde hielten, zeugen wenigstens noch, aufgehoben in irgend einem Museum, von der Kunstfertigkeit der Meister, die sie geliefert haben. Stellten die Griechen einmal Denkmäler in die Lüfte hinauf, wie die siegmeldenden Dreifüße in der Tripoden-Straße zu Athen, um wie vieles geschmackvoller, mit welch’ richtigerem Sinne für die Verhältnisse formten sie ihnen dann den Unterbau! Aus breiter Basis wuchs eine reiche Blüthe empor, die sich oben nach allen Seiten entfaltet. So das Denkmal des Lysikrates, wie es noch heute erhalten ist. Ich kenne nichts widersinnigeres und mir in der Erscheinung widerwärtigeres, als solch’ eine spindeldürre, hungerleiderische Säule, die auf ihrer Endlosigkeit ein kleines Männlein trägt, von dem unten geschrieben steht, daß es diesen oder jenen berühmten Helden vorstelle. Wenn es sonst gesetzlich ist, daß der Zweck das Mittel rechtfertige, so ist hier diese Lehre beinahe in umgekehrter Weise angewendet, denn das Männchen scheint mehr der Säule wegen da als sie seinetwegen. Der ernstliche Zweck einer Säule ist zu tragen, aber eine Last zu tragen, nicht dieses quintchengroße Pünktchen. Und die geistige Bedeutung des Mannes -- wie wohl auch behauptet werden könnte -- wenigstens symbolisch mit zu stützen, das kann doch unmöglich als die ernstliche Aufgabe einer so durchaus körperlichen Erscheinung, wie es eine Säule ist, gemeint sein. Von allen Mustern, die uns das Alterthum hinterlassen hat, ist keines öfter als dieses geschmacklose nachgeahmt worden, und Paris, die Hauptstadt der Civilisation, ging allen anderen Sündern mit dem fleißigsten Beispiele voran. Constantinopel, den 29. Juni. Wo man auch hier steht und wie fest man den Entschluß mitgenommen, immer wieder vergißt man im blos genießenden Anschauen der Gegenwart den lehrreichen Rückblick auf die Vergangenheit. Meine gestrige Wanderung zu den Säulen des alten Constantinopel hatte mir den Gedanken gegeben, einen übersichtlichen Plan der ehemaligen Stadt zu gewinnen. Ich wollte dazu vor allem die Natur des Ortes reden und den Augenschein entscheiden lassen. Der günstigste Standpunkt, wie eigens zu diesem Zwecke geschaffen, ist der Thurm des Seraiskeriats. Mit seiner Höhe überschaut er die ganze Gegend, läßt ihre natürlichen Bedingungen und Vortheile erkennen, und mit seiner Lage -- beinahe mitten in der Stadt -- gibt er dem Auge ziemlich weithin den Faden durch das Labyrinth der Gassen und Gäßchen. Aber alle mitgebrachten Absichten waren vergessen, als ich erst oben vor der ausgebreiteten Landschaft stand; wie Nebelbilder, weggeblasen von einem einzigen Windstoße, löschte sie der erste Blick aus. Der Himmel war wolkenlos und die Luft so durchsichtig, daß das Auge auch noch unmögliche Entfernungen zu sehen wähnte. Die Felsen der Prinzen-Inseln warfen der scheidenden Sonne rothglühende Lichter zurück, so prachtvoll, daß es klar wurde, warum der liebe Gott sie gerade dort aus der blauen Fluth der Propontis hatte auftauchen lassen: Spiegel, das letzte Sonnenlicht aufzufangen und dem Tage das Leben noch um einige Augenblicke zu verlängern. Segel deckten das Meer so reichlich, daß es aussah, als habe der himmlische Sämann den Samen weißer Lilien in diesen flüssigen Acker gestreut und gingen jetzt seine Blüthen auf, die der Wind mit leiser Bewegung begrüßte. Wo das Auge hinblickte, fand es Beweise der Herrlichkeit dieser Erde, unvergleichliche, wie ich sie wenigstens herrlicher auf keinem anderen Erdenflecke noch gesehen. Ungeheurer als jemals erschien mir der Umfang und die Bedeutung der Stadt, besonders des gegen die Landseite gelegenen Theiles. Im goldenen Sonnendunste verschwanden dort ihre Grenzen. Es dauerte eine gute Stunde, bis ich mich so weit gesammelt hatte, um auf die mitgebrachten Pläne zurückzukommen. Gewöhnlich nimmt man an, daß der Raum, welchen das alte Byzanz bedeckte, genau der des heutigen Serai gewesen sei, und daß dann später auf dieser Stelle der Palast der römischen Kaiser gestanden habe. Das sind für die Stadt, welche auf dem unausweichlichen Stationspunkte einer der wichtigsten, wenn nicht sogar der hauptsächlichsten Handelsstraßen der damaligen Welt stand und welche beinahe tausend Jahre alt war, als sie Constantin zu seiner Residenz erwählte, zu enge Grenzen. Doch auch die weiteren, welche ihr Hammer zieht, halte ich für irrige. Gleich zu Anfange seines Werkes „Constantinopel und der Bosporus“, wo er den Umfang der Stadt bespricht, behauptet er: daß diese vor der Zeit des Constantin durch eine Mauer von Tschatlady Kapu (dem geborstenen Thore) auf der Seeseite quer über den Rücken der Hügel hinauf, an der verbrannten Säule vorüber, nach der Hauptmauth auf dem Ufer des goldenen Hornes hinab abgesperrt gewesen sei. So heißt es Seite 60 und später wieder S. 166 des ersten Bandes; S. 155 verengt diese Grenze auf den Platz vor dem großen Serai-Thore, Baby Humajum, und S. 174 und 180 vergrößert sie wieder und diesesmal sogar bis zu dem Platze des Seraiskeriates. Das sind also in demselben Buche für dieselbe Stadt drei Grenzen, und das nur, weil die Flüchtigkeit der Arbeit weder den Ort zu sehen, noch die alten Schriftsteller zu lesen verstand. S. 60 nennt den Platz der verbrannten Säule das Forum Constantini; S. 127, wo die Plätze der Stadt aufgezählt werden, trennt dieses Forum von dem des Augusteon bei der Aja Sophia; S. 150 läßt aber beide wieder eins sein. Dadurch kömmt z. B. der goldene Meilenzeiger zugleich auf den Platz bei der Aja Sophia und auf den der verbrannten Säule zu stehen; denn S. 154 erklärt, daß der Meilenzeiger auf dem Augusteon (nach Hammers Ansicht dem Platze vor dem heutigen Serai), S. 155 an der Stelle des ehemaligen Stadtthores gestanden habe. Dieses aber stand nach S. 60 auf dem Forum Constantini an der Stelle der heute verbrannten Säule. Mit solchen Widersprüchen, die zugleich durch die noch heute sichtbare Natur der Dinge, aber auch durch die eigenen Behauptungen des Verfassers widerlegt werden, ist das Buch gefüllt. Wer hier die Dinge anschaut, oder auch nur das Buch vergleichend liest, d. h. eine Seite zurückschauend auf die andere, der muß sie mit Leichtigkeit finden. Unbegreiflich bleibt es mir, wie man so lange dieses Buch leichtgläubig excerpiren und seine Fehler abschreiben konnte. Hammer war ein fleißiger Forscher, aber offenbar ein unordentlicher Haushalter. Die Excerpte seiner Forschung scheint er gegenstandlos untereinander gemengt und ohne Rücksicht auf einen Grundgedanken in den Text seines Werkes aufgenommen zu haben. Es scheint ihm mehr um das Forschen, als um das Beweisen zu thun gewesen zu sein. Dadurch allein ist erklärlich, wie er gegentheilige Behauptungen in demselben Buche aussprechen konnte. Mir sind, ich gestehe es aufrichtig, nach diesen Erfahrungen, die ich an dem einen Werke gemacht, auch die zehn Bände seiner osmanischen Geschichte verdächtig geworden. Noch schwächer denn als Historiker, erscheint er als Topograph. Die wirklichen Dinge zu sehen scheint er sich gar nicht bemüht zu haben. Den ägyptischen Obelisken auf dem At-Meidan läßt er an der Stelle der Schlangensäule stehen, diese dort; die verbrannte Säule läßt er dorischer Ordnung, die des Marcian aus weißem Marmor und die Kyaneeischen Inseln nur eine Klafter hoch sein. Das läßt übrigens das andere Verdienst dieses Mannes unangegriffen, uns den Orient überhaupt erst erschlossen zu haben. Dieses „Sesam, öffne Dich“ hat ihn unter die Heroen der Wissenschaft gestellt. Vergleiche ich nun den Dio Cassius und die Schilderung, welche dieser uns von der Stadt Byzanz gegeben, mit dem Blicke, den ich heute vom Seraiskeriatsthurme herab auf Land und Meer geworfen habe, so möchte ich die Stadt des Byzaz überhaupt nicht so sehr ~à cheval~ auf dem Terrain der heutigen Seraispitze, als vielmehr von jenem Vorgebirge aus tiefer in das goldene Horn hinein, vom Strande die Hänge der Hügel hinauf gebaut denken, so wie Neapel, Genua und Triest auf ihren Bergen um ihren Golf stehen. Die festen Quadermauern, welche Dio Cassius so sehr bewunderte, werden dann auf den Kämmen der Hügel hinter der Stadt fortlaufend, östlich neben der Aja Sophia, das Terrain des heutigen Serais berührt haben, und dort zu dem Canale des Bosporus hinabgestiegen sein. Dadurch war der Stadt der Rücken gegen die damals in den Begriffen der Menschen noch unwirthliche See gedeckt und doch hatte sie die günstige Lage an einem Meerbusen und auch die andere vorschauende und beherrschende auf dem Vorgebirge, das eine Seestraße sperrt. Die Stadt mag in dieser Stellung bis zu der heutigen zweiten Hafenbrücke gereicht haben. In diesem Plane auch nur finde ich die Möglichkeit, die beiden Häfen anzubringen, von deren Vorhandensein in dem Ufer Dio Cassius berichtet. Das ganze Vorgebirge der Seraispitze, worauf man sich gewöhnlich diese erste Stadtanlage denkt, bietet keinen Punkt, der einmal zu einem Hafen tauglich gewesen wäre. Der Bosporus schoß dort immer mit derselben Strömung wie heute vorüber, und seine Wirkung ist es wohl, die diese Küste so gleichmäßig abgerundet hat. Der Raum oben auf den Hügeln, der Platz vor dem Serai, der der Aja Sophia, der At-Meidan und die Gasse der verbrannten Säule gehörten schon zu dem Lande außerhalb der Thore, das Constantin dann zur Anlage seiner Neustadt benutzen konnte. Ein Thor mag auf der Stelle des heutigen Seraiskeriates, dem ~forum tauri~ der constantinischen Zeit, gestanden haben. Erst die Erweiterung des späteren Bedürfnisses drängte die Stadt auf der anderen Seite der Hügel zum Marmora-Meere hinab. Uebrigens concentrirt sich heute noch auf den Uferwänden des goldenen Hornes das meiste Leben. Nichts im Dio Cassius berechtigt zu der Vermuthung, daß die Stadt schon zu seiner Zeit auch an der Propontis gelegen habe. Er schildert nur, daß der Bosporus, aus dem Pontus Euxinus kommend, sich an einem Vorgebirge breche, mit einem Theile seiner Wasser in den Busen und die Häfen der Stadt einbiege, mit dem größeren Theile aber an der Stadt vorüber in den Propontis hinaus ströme. Also an ihr +vorüber+, aber nichts davon, daß die Stadt auch von den Fluthen der Propontis benetzt werde; im Gegentheile, die ganze Darstellung verweist sie mit ihren Häfen mehr in den Busen des goldenen Hornes, was auch das Naturgemäße, das durch die Forderungen der damaligen Schifffahrt mehr noch als durch die der heutigen Gebotene war. So sehr bin ich von der Naturnothwendigkeit dieser Lage überzeugt, daß ich nicht einmal das zugebe, daß der erste Keim, der Anfang der Stadt auf der Seraispitze gelegen habe. Dort mag zu Vertheidigungszwecken, wie bei allen Städten des Alterthums, auf der Höhe die Akropolis angebracht gewesen sein und unten auf der Landspitze nach griechischer Sitte der Tempel irgend einer Meerfahrt beschützenden Gottheit. Aber die erste Anlage der Häuserstadt war gewiß unten auf dem ebenen Felde bei der heutigen Hauptmauth, wo sie in einem kleinen Seitenhörnchen des großen goldenen Hornes ruhiges Seewasser vor sich und Windstille im Rücken hatte. Heute noch ist auf diesem Flecke die größte Geschäftigkeit gesammelt, als solle ein fortlebender Zeuge beweisen, daß dieses in der That die Altstadt, die City sei. Nach und nach wird sie sich nach rechts und links hinüber ausgebreitet haben, so daß die Stadt, welche Septimus Severus bekriegte, die ganze Seraispitze mit demselben Gedränge enger Gassen erfüllte, welches den Städten des Alterthums mehr noch als unseren Bürgerstädten des Mittelalters eigenthümlich war. Es ist eine irrige Meinung, welche behauptet, Septimus Severus habe die Stadt, die er erobert, zerstört; er behandelte sie nur wie ein Dorf, d. h. er nahm ihr die städtischen Rechte und Privilegien. Seine Soldaten mögen bei der Plünderung manchen Bau und manches Denkmal verwüstet, viele Bürger niedergemetzelt haben; aber daß sie oder ein späterer Befehl des Kaisers die Stadt, wie das im Alterthume öfters geschah, dem Erdboden gleich gemacht und die Einwohner gefangen weggeführt hätten, um eine andere Stelle des Reiches zu bevölkern, steht nirgends geschrieben. Im Gegentheile der Kaiser selbst stellte die Stadt wieder her und muß dabei sogar die Absicht gehabt haben, sie noch zu verschönern, denn vor ihren Mauern kaufte er ein freies Feld und begann ihr dort eine Rennbahn zu bauen, groß und fest, wie sie nur Rom besaß. So fand Constantin die Stadt und ihre Umgebung, als er den Entschluß faßte, hierher seine Residenz zu verlegen. Aber auch wenn Septimus Severus weniger großmüthig gehandelt hätte, so mußten doch die 129 Jahre, die vom Jahre 196 bis zum Jahre 325 nach Chr. vergingen, die Wunden der Eroberung wieder geheilt haben. Auch ohne jedes besondere menschliche Zuthun, die blos natürlichen Verhältnisse des Ortes, die Gunst seiner Lage und die Fruchtbarkeit des Bodens mußten das zustande bringen. Es gibt Erdenflecke, die nicht steril zu legen sind. Constantin fand eine ansehnliche und volkreiche Stadt schon vorhanden und -- mag nun die Anschauung recht haben, die sie auf den ersten Hügel, den Umfang des heutigen Serais, beschränkt, oder die meinige, die sie von diesem Vorgebirge weg dem goldenen Horne entlang nur auf der einen Seite der Hügel gebaut denkt -- in jedem Falle auch von ihr die Stätte des heutigen Serais besetzt. Dort stand die Akropolis und um sie wahrscheinlich ein Stadttheil, der gedrängt und bevölkert, alt und eben darum werth in der Erinnerung der Eingeborenen war. Daß Constantin alle diese Gefühle, daß er alt angesiedelte Existenzen wegrasirt haben sollte, um an ihre Stelle auf das Vorgebirge des Serais seinen Palast zu bauen, wie Hammer behauptet, das ist bei aller Rücksichtslosigkeit, welche den damaligen Machthabern zugeschrieben wird, doch nicht anzunehmen. Er kam, um eine Stadt zu vergrößern, nicht um eine zu zerstören. Der Eindruck des heute Bestehenden hat da in einen Irrthum verführt, der durch nichts sonst zu rechtfertigen ist; denn auch die späteren Pläne und Beschreibungen der Stadt zeigen uns auf dieser Landspitze nichts, welches dem kaiserlichen Palaste ähnlich befunden werden könnte. Es sind Bad- und Kirchenanlagen, und immer wieder die Akropolis, welche dort erscheinen. Und mehr noch, ich möchte sagen, die Gegenwart selbst zeugt gegen diese Vermuthung. Was sollte die schöne korinthische Säule, welche in den Gärten des Serais steht, in den Räumen des alten Palastes, dessen sonst doch so eingehende Beschreibungen ihrer nicht erwähnen? Es scheint mir das ein gewichtiger Grund, den Hammer übersah, und den auch La Barte zu Gunsten seiner Behauptung, daß der Palast neben dem Hippodrom, dort, wo heute die Achmedjie, den Hügel hinab bis zum Meere gelegen habe, nicht verwerthete. Den Hippodrom fand Constantin begonnen; der machtvolle Quaderunterbau, der die Fläche der Hügel verlängert, war vollendet, ein Theil der Sitzreihen und das nördliche Kopfende standen, er hatte nur den südlichen Halbkreis abzuschließen, die Stufen fertig zu bauen und die innere Einrichtung herzustellen. Was konnte ihm bequemer sein, als neben das Theater, das damals schon wie ein Haupterforderniß so auch der hauptsächlichste Schauplatz des römischen Lebens war, sein Haus hinzubauen? So kam der neue Wohnsitz der römischen Kaiser auf den Hügelabhang östlich vom At-Meidan mit der Aussicht auf den Propontis zu stehen. Wenn jene Zeit Städte gründete, einen Palast und ein Theater baute, dann baute sie auch eine Kirche, und besonders Constantin mußte das, der ja des Glaubens wegen hierher übersiedelte. Wie obdachlos wären die heutigen Gläubigen, wenn nicht die Vorfahren unseren religiösen Bedürfnissen vorgesorgt hätten. Die Basilika der h. Weisheit, ein Langbau mit dem üblichen hölzernen Dache, entstand in der unmittelbaren Nähe des kaiserlichen Palastes und der Rennbahn. Der Platz, der zwischen diesen Neubauten frei blieb, bildete sich von selbst als Forum, das wie die zu Rom von Säulenhallen umfaßt war. Man hat immer besondere Schwierigkeiten, sich diese ~fora~ vorzustellen, und doch existirt eines und ist heute noch in praktischem Gebrauche, das sie in genauer Nachahmung fortsetzt. Der Marcusplatz ist offenbar wie das Meiste des altvenetianischen Lebens nur eine Copie des zu Constantinopel Gesehenen. Von den vielen ~foris~ und von den Gassen, die mit Hallen eingefaßt, diese Plätze untereinander verbunden haben, mögen die Säulen herrühren, die zu Scheiterhaufen geschichtet in den Stadtmauern liegen. Die ganze Gebäudegruppe, der Palast, der Hippodrom und die Basilika der h. Weisheit, womit Constantin seine Stadtgründung begann, lag also unmittelbar vor den Mauern der Altstadt, theilweise vielleicht sogar auf dem Grunde dieser Mauern selbst, da sie gewiß niedergerissen worden waren. Es war das die beste Lage, die gewählt werden konnte, denn sie gab zugleich den Neubauten beliebigen Raum zu ihrer Ausbreitung und stellte sie doch in den Mittelpunkt des Verkehrs, weil sofort die Neustadt sich ringsherum fortpflanzte. Wer diese Lage des römischen Kaiserpalastes bezweifelt, weil sie ihm weniger vortheilhaft und weniger schön als die des heutigen Serais erscheint, dem antworte ich, daß sie immer noch schöner und vortheilhafter, als die jedes anderen Fürstenschlosses ist. Er steige nur auf einen der Minarete der Achmedjie, und sehe vor sich, und rechts und links hinüber unten das Marmora-Meer, die Prinzen-Inseln, die Küsten von Europa und Asien wie zur Umarmung ausgebreitet, und im Hintergrunde die röthlichen Gebirge von Nikomedien und Bithinien, den schneebedeckten Olymp zu oberst, aufsteigen: ein Bild, so prachtvoll, daß er gewiß in der Betrachtung das Verlangen nach einem prächtigern verliert. Ueberdies ist es mir wahrscheinlich, daß der Grund und Boden des heutigen Serai, damals verstellt durch enge und schmutzige Gäßchen, Niemanden die entzückende Aussicht ahnen ließ, die er heute bietet. Anfangs stand der kaiserliche Palast gewiß ausschließlich oben auf der Höhe, etwas tiefer zwar als der Hippodrom, denn eine Stiege führte von jenem zu diesem hinauf, aber doch immer auf der obersten Stufe des Hügels. Der Grund davor, bis zum Meere hinab, wird dem kaiserlichen Eigenthume vorbehalten geblieben sein. Gärten werden sich den Hügel hinab gezogen haben, und unten vielleicht damals schon der ~portus palatii~ (Palasthafen) angelegt worden sein. Erst die späteren Kaiser füllten diesen weiten Raum mit immer neuen Gebäuden. Der Palast selbst zerfiel dann, als er einmal so angewachsen war, in drei Hauptabtheilungen. Die beiden, welche Chalke und Daphne genannt wurden, hatte schon Constantin erbauen und Justinian nach dem Brande beim Aufstande der Nike wieder herstellen lassen. Die dritte Abtheilung, der heilige Palast, das spätere eigentliche Wohnhaus der Kaiser, verdankt sein Werden zumeist Justinian II., dem prachtliebenden Theophilus und Basilius dem Macedonier. An diese Hauptkörper setzten sich eine Menge Nebenbaulichkeiten an, Kirchen, Gallerien, Säulengänge, Arkaden, auch eine Privat-Rennbahn. Zuletzt baute noch Kaiser Theodosius II. unten auf den Strand einen vierten Palast, den sogenannten Bukoleon, welchen Nicephorus Phocas im 10. Jahrhundert in eine befestigte Burg verwandelte. Nicht als ein massiges zusammenhängendes Ganze muß man sich diesen Wohnsitz der römischen Kaiser vorstellen. Er war kein Louvre und keine Tuilerien, er war ein versteinertes Zeltlager, so recht in jener Art des Orients gebaut, die der Boden und das Klima hervorgebracht haben und die alle Völker unter diesem Himmelsstriche wiederholen. Und wie der Grundriß, so war auch die Ausschmückung des Baues getreu dem orientalischen Geschmacke, kostbares Gold, Mosaikgebilde, Marmortäfelung und Metallbekleidung. Musivische Bilder bedeckten die Kuppeln und die Wände bis zu wenigen Fußen über dem Boden. Unsere Gobelins sind nur eine ärmliche Nachahmung dieser Mode. Dem oströmischen Kaiserhofe galten Teppiche auch noch für den Boden zu schlecht; in den kaiserlichen Gemächern wurde dieser mit Goldsand bestreut, den ein regelmäßig eingeführter Schiffsdienst aus Afrika brachte. Vielleicht ist dieser byzantinische Hof das einzige Beispiel, welches all’ die Vorstellungen von orientalischer Pracht verwirklichte, die unsere Kinderphantasie so sehr beschäftigen. Verlassen ward der Palast und vertauscht gegen den Wohnsitz im Stadtviertel der Blachernen erst im 12. Jahrhundert. Ich glaube, daß dieses, wie auch die Uebersiedelung der Sultane von dem Serai nach Dolma-Bagdsche mit einem Wechsel des Regierungssystemes zusammenhing. Das oströmische Kaiserthum ging von einer constitutionellen, wenigstens scheinbar noch immer durch den Senat gebundenen Form zu der einer unbeschränkten Monarchie über; die heuchlerische Maske, nur der erste Beamte des Senates zu sein, welche Augustus angenommen hatte und die seine Nachfolger fortwährend festhielten, ward offen abgelegt und der Kaiser zeigte sich nun auch aufrichtig in der Form als der Alleinberechtigte, als der Alleinwillige und der Alleinentscheidende, als der Allherrscher, wie er es in der That schon längst war. Es war das Herüberwirken des Occidentes, das diesen Wechsel verursachte; nach und nach war auch der Orient in feudale Formen gekleidet worden. Dazu aber brauchte der Kaiser noch mehr persönliche Sicherheit als bisher und die Vertheidigung mehr gegen die innere Stadt zu gekehrt als gegen außen, weil er gegen den inneren Feind allein stand, gegen den äußeren aber doch gewöhnlich die Hilfe seiner Mitbürger hatte. Aus diesem Grunde mag schon Nicephorus den alten Palast befestigt und die Uferburg des Bukoleon erbaut haben, und deshalb übersiedelte dann Manuel der Komnene ganz in den festen Palast der Blachernen. Der constantinische Palast war schon seines Umfangs wegen nicht zu vertheidigen, und hatte er früher manchen Aufständen widerstanden, so waren jetzt die Angriffswaffen andere geworden. Einmal verlassen, erlagen seine Mauern schnell dem Einflusse der Zeit. Sie waren gewiß wie alles Byzantinische zumeist Ziegel, der sich in Staub auflöst, und was daran Stein gewesen, mag der Rohheit der späteren Zeit geradezu als Steinbrüche gedient haben. Christof Bondelmonti, der 30 Jahre vor der Eroberung der Stadt durch Mohammed II. hier gewesen, sah nicht einmal mehr Ruinen; man kann also diese Zerstörung nicht den Türken Schuld geben. La Barte (~le Palais imperial de Constantinople, Paris 1861~) hat die vollständige Restauration dieses Palastes auf dem Papiere versucht. Sein erster Gedanke trifft gewiß das Richtige, in der weiteren Ausführung geht er, wie alle Entdecker, zu weit; er baut Einzelnes auf, das jeder Architekt als unmöglich verwerfen wird und das in dieser Regelmäßigkeit auch dem Geiste des Zeitalters und der Bauweise dieser Himmelsstriche zuwider ist. Der Obelisk des Theodosius, der heute noch auf dem At-Meidan steht, und von dem man weiß, daß er auf der Mitte der Spina stand, ist der Ausgangspunkt seiner Arbeit. Zwischen dem Kaiserpalaste und der Aja Sophia denkt er sich das Forum Augusteon. Auf diesem stand unter anderen das große Reiterstandbild des Justinian, und zwar, wie der Augenzeuge Gilles angibt, an der westlichen Ecke der Sophienkirche. Ist der Brunnen, den man mir als den Sockel dieser Statue zeigte, richtig, dann müßte die Lage dieses Platzes in Uebereinstimmung mit diesen historischen Angaben als unwidersprechlich bewiesen gelten. Daß Hammer, der das Augusteon zwischen die Aja Sophia und die heutige Serai-Mauer, also östlich von der Kirche verlegt, auf diesem Forum aber das Reiterstandbild des Justinian und diesen westlich gelegenen Brunnen als den Sockel desselben behauptet, ist ein anderer Beweis von seiner wenig sorgfältigen Darstellung. Will man gegen die Lage der constantinischen Kaiserpaläste auf den Hügelhängen neben dem Hippodrom die Frage einwenden, wie dann später das Serai auf die Stätte des alten Byzanz gekommen sei, wenn ihm nicht schon früher der römische Kaiserpalast dort den Platz vorbereitet hätte? so antworte ich, daß die fürchterlichen Feuersbrünste, welche unter den Lateinern beinahe wochenlang die Stadt durchwütheten, gerade dort am ärgsten hausten; daß sie einen großen Theil jener ältesten Stadt niederlegten; daß die Bevölkerung, die fortwährend abnahm, diese Stellen nicht mehr sehr bebaut haben mag, jedenfalls nicht mit Gebäuden, die ähnlichen Feuersbrünsten widerstehen konnten. Ganz Constantinopel war, als es Mohammed eroberte, mit Ruinen durchzogen, mit Ruinen, die aber weit älter als die Wunden dieser letzten Belagerung waren. Wem das unwahrscheinlich klingt, der erinnere sich an das Rom, wie es ihm nach den Kriegen des Belisar und noch später in seinen mittelalterlichen Zuständen geschildert wird. Uebrigens, da Mohammed nicht gleich auf die Seraispitze sein Haus baute, sondern sich zuerst auf dem Forum tauri einrichtete, wo ehemals der prachtvolle Triumphbogen des Theodosius II. stand und wo ich heute von dem Feuerthurme des Eski Serai (des +alten+ Schlosses) meine Vogelschau hielt, entfällt der Beweis, der sich darauf stützen will, daß die directe Nachfolge des Serais für die frühere gleichartige Benutzung des Bodens zeuge. Erst später, nachdem er sich schon in der Constantins-Stadt eingelebt hatte, baute sich Mohammed eine Gattung von Lusthaus auf die Seraispitze. Der eigentliche Sultanssitz aber blieb bis zu des großen Soliman Zeiten das Eski Serai, das in der Mitte der Stadt auf der Hügelhöhe gelegen. Es mag daher rühren, daß sich dort nebenan der Besestan etablirte. Soliman war der erste Sultan, der mit Weibern und Kindern vollständig in die Köschke der neuen Seraigärten übersiedelte, sowie seine Nachfolger nun heute nach Dolma-Bagdsche ausgewandert sind. Das Eski Serai wurde Witwensitz der sultanischen Frauen. Heute stehen Kasernen hier und es bildet eine Art Castell, hat übrigens nichts mehr von den Bauten Mohammed des Eroberers übrig. Der Boden dieser Stadt ist wie gedüngt mit dem Staube fürstlicher Paläste; an sechs Orten standen ihrer[A], und doch sind nur die spärlichen Ruinen im Blachernen-Viertel und die verwilderten Gärten des neuen Serais noch übrig. [A] 1. Der heilige des Constantin neben dem Hippodrome; 2. das Bukoleon unten am Meere; 3. der auf dem Hebdomon im Blachernen-Viertel; 4. Pantokrator bei Kilisse Djami, der Wohnsitz der lateinischen Kaiser; 5. Eski Serai; 6. Jeni Serai. V. Die Prinzen-Inseln. Prinkipo, den 30. Juni. Es zog mich neuerdings nach den Inseln. Die Fahrt machte ich diesesmal in einem Boote, einem sechsruderigen Kaïk; der Reis steuerte quer durch die zwischenliegende See auf Proti zu und dann Antigone, Pytys und Chalki entlängs direct zur Landungsbrücke des Hôtel Giacomo auf Prinkipo hin. Um 8 Uhr Abends stiegen wir dort aus, nicht mehr als zwei Stunden auf der See. Weich und schwer wie Oel legte sie sich in dicken, runden Wellen unter den Kiel und troff in langen Tropfen von den Rudern; die Luft war warm und doch frisch, lau und lind, wie sie die Dichter von diesen Küsten rühmen. Schiffe überall und Farben, dunkelroth an den nahen, violett an den fernen Inseln, so Oxia und Plati. Die Berge des Festlandes aber lagen in weichen blauen Schatten, die sie gerundeter erscheinen ließen, als ihre Körper es an und für sich schon sind; der Boden, die Luft und die Sonne dulden hier nichts Scharfes, Eckiges, Alles soll ausgeglichen, versöhnt sein, nichts verletzen. Der Blick fällt nicht, er gleitet die Berge herab, und auf halber Höhe, wo sie sich wie zu einem Schooße abstufen, sind hell schimmernde Ortschaften geborgen, die Ueberbleibsel kriegerischer Zeiten, als der Bauer sich vor den landenden Arabern von dem Ufer die Berge hinauf flüchten mußte. Für das Auge sind es Länder des Friedens, des Segens; man genießt, ohne zu arbeiten. Solch’ ein müheloser Genuß war diese ganze Kahnfahrt, belebender, erfrischender und poesievoller, als ich jemals eine gemacht. Man empfindet den Orient und saugt die Luft des Seelenfriedens ein, daß man sich zuletzt ein eingeborenes Kind dieses Landes glaubt. Prinkipo, den 1. Juli. Schon um fünf Uhr Morgens frühstücken wir im Freien auf der Terrasse vor dem Gasthofe, eine Platane über uns, die See goldig im frischen Frühkleide des Morgens vor uns. Alles noch klar, daß wir Fener-Bagdsche, die Leuchtthürme, die Minarete und die Kuppeln der kaiserlichen Stadt erkennen, gesammelt und gehäuft wie die Blüthen in einem großen Blumenkorbe. Zur Rechten sind die Berge des Festlandes in reinen Linien vom blauen Himmel abgehoben, unmittelbar vor uns Chalki, dessen Felsen und Cypressen noch näher erscheinen als sie wirklich sind. Zwischen dem Sattel, den seine Berge bilden, und links durch die Straße, welche die beiden Inseln, die unsere und Chalki, trennt, schaut das freie Meer mit Farben, frisch und geröthet wie die Wangen eines Kindes, das eben erwacht ist, herein. Prinkipo ist mir die liebste dieser Inseln, weil sie diesen Aussichtspunkt hat, und dieser Punkt mir auf Prinkipo der liebste, weil er nahe dem Anspülen des Wassers, dem ich so gerne lausche, zugleich die anderen Inseln, Asien und Europa, die weite See und das geliebte Constantinopel sehen läßt. Europa, das alte, gewohnte, erscheint nur noch wie eine entfernte Erinnerung, die man liebt und hätschelt, weil das Herz eigentlich ohne Sorge doch nicht sein kann, und das Uebelste, wenn es +gewesen+ ist, uns den Stolz läßt, es überstanden zu haben. So hilft auch hier die Eitelkeit zu guten Zwecken. Gegenwart, wie sie uns im gewöhnlichen Leben wird, unangenehme und von kleinen Nadelstichen zerrissene, haben diese Inseln keine, wenigstens für mich nicht. Man lebt wie auf einem Schiffe, das sich ruhig auf hoher See vor Anker gelegt hat und dem nichts Irdisches beikommen kann. Es ist ein Paradies, in das von der Erde nur die Sehnsucht mit eingewandert ist. Wie verabredet rudern wir um 7 Uhr nach Chalki hinüber. Durch den Ort und dann rechts um den Berg stiegen wir nach dem Kloster St. Nikolaus hinauf. Pinien wölben ihre Schatten über uns; Pytys und Antigone, zwei andere Inseln, scheinen hart unter unseren Füßen zu liegen. Links hinab thut sich eine reizende kleine Bucht auf, einsam, still und friedlich wie ein Hafen, an dem Odysseus gestrandet, und sich aus bekannter in eine fremde zauberische Welt versetzt fand. Ich selbst glaubte mich so, da ich dort hinabstieg. Oliven und Pinien, aus den Mastixsträuchern emporstrebend, decken die Hänge der Thalschlucht; unten liegt weit hinein bunter Kiesel auf dem flachen Ufer. Ein paar Fischerhütten künden dort das einzige Menschenleben, und zwei vereinzelte Pinien, so nahe dem Meere, daß ihre Schatten die Brandung kühlen, stehen wie Zeugen da, als stelle auch die Natur nach durchdachten Schönheitsgesetzen ihre Werke auf. Wie um den Frieden vor einem plötzlichen Ueberfalle zu schützen, streckt sich das Land mit zwei felsigen Armen weit in das Meer hinaus. Mich hielt’s in diesem Thale unwiderstehlich fest, länger als an irgend einem anderen Orte. Geschieden und losgelöst von der übrigen Welt lagerten wir den ganzen Tag unter einer Pinie, uns, einer mit dem andern abwechselnd, Schopenhauer’s Farbenlehre vorlesend. Es ist sonderbar, daß man was er und Göthe lehren so wenig glaublich findet. Nicht die Dinge sollen die Farben haben, sondern erst dadurch, daß sie gesehen werden, sollen sie ihnen kommen. Und ist es denn überhaupt mit irgend einer Sache in der Welt anders bestellt? Jedes Object wird erst durch sein Subject, und das Urtheil wieder wechselt mit jedem Standpunkte und jeder Minute. Das Subjective ist das allein Entscheidende in der Welt. Auf dem Rückwege, den wir erst Abends nahmen, hatten wir immer die See zur Rechten unter den Felsen, auf denen wir weiter stiegen. Das Wasser tief blau, die Felsen braunroth und die Cypressen dunkelgrün, die auf dieser Seite der Insel in langen, himmelhohen Reihen stehen, mahnten mich an Bilder, die ich von Poussin gesehen. In später Nacht und da es stockfinster war, ging ich noch auf Prinkipo spazieren. Eine Melodie, die eine einfache Harmonika spielte, grub sich mir unauslöschlich in’s Gedächtniß ein und wird mir immer den Tag und seine Glückseligkeit wieder lebendig machen. Es ist überhaupt wunderbar, wie unvergeßlich uns Töne werden, die wir in einem bedeutungsvollen Augenblicke gehört haben und wie ein Laut davon angeschlagen uns die ganze Erinnerung aufweckt. Prinkipo, den 2. Juli. Nachmittags zogen wir, eine heitere Gesellschaft, die Männer zu Fuße und die Frauen auf Eseln, die Höhen hinauf, zuerst über kahles Erdreich, dann unter Pinien hin, den Sonnenuntergang von einem übersichtlichen Standpunkte aus zu genießen. Thüren und Fenster der vielen Landhäuser, an denen man vorüberkömmt, stehen vertrauensvoll offen; es gibt das einen erfreulichen Eindruck, als gehöre dies Alles communistisch einer Gemeinde und halte hier doch Jeder das Eigenthum des Andern wirklich heilig. Gewöhnlich liegt zu unterst und in der Mitte des Hauses der Speisesaal. Kehrt man dann nach Sonnenuntergang zurück, so sieht man durch die offene Thüre, wie dort der Tisch zu der Hauptmahlzeit gedeckt ist und die Lampe eben darauf gestellt wird. Das weckt eine hungerige Sehnsucht möglichst bald dieselbe Bequemlichkeit zu genießen, besonders wenn man sich müde gegangen hat durch einen stundenlangen Spaziergang und aus dem Naturgenusse -- dem Schauen in die Landschaft und dem Athmen der frischen stärkenden Seeluft -- einen fröhlichen Sinn mitbringt. Man kehrt nie lieber in die Stube zurück, als wenn die Nerven gesund sind. Die Essensstunde der Orientalen wechselt mit dem Tagesende; je nachdem die Sonne früher oder später untergeht, speisen sie um 5 oder auch erst um 9 Uhr Abends. Sie fassen das Essen in der That als den Lohn für die gethane Arbeit. Mir fiel ein, wie sich Christus, als es Abend geworden war, mit den „Zwölfen“ zu Tische setzte und wie uns der Ausdruck Abendmahl geblieben ist. Der conservative Sinn des Orientalen hat sich auch diese Sitte erhalten. Wir lagerten uns oben, seitab von dem Georgskloster, in einem Pinienwäldchen. Sechs der neun Prinzen-Inseln, darunter Chalki mit der Seite, die es uns zukehrte, im vollen Schatten, hatten wir unmittelbar vor uns. Das Wasser zwischen den Inseln war goldig, sie selbst wie in Purpur getaucht; der Türke nennt sie ihrer Natur getreuer „die rothen Inseln“ (Kisil Adalar), denn es ist nicht blos das ihnen erst gegebene Sonnenlicht, das sie so färbt, der röthliche Farbenschimmer geht von ihnen selbst aus durch das viele Eisen, das ihrer Erde beigemischt ist. Einmal wurden hier auf Prinkipo bedeutende Erzbergwerke betrieben, und auf Chalki fand ich gestern förmliche Blöcke grünen Kupfers. Die ganze Gruppe dieser Inseln ist im Zusammenhange mit dem Festlande das Product einer vulkanischen Hebung. In feurigen Wolken versank die Sonne und wie entzündet blieb der Himmel noch lange. Während wir schauend dort ruhten, gesellte sich ein Fremder, ein Grieche, der anständig gekleidet war und sich durch seine Reden bald als einen Seemann kund gab, zu uns. Der Mann überraschte durch das Verständige seiner Bemerkungen und durch die Poesie, womit er sie gab. Auf einmal aber und ohne jeden Zusammenhang mit dem Vorausgegangenen begann er zu behaupten, und dabei schnell hintereinander mit stierem Blicke dieselben Worte wiederholend, es drohe uns ein Gewitter. Zuerst lachten wir ihn aus; der Himmel über uns war klar, die Luft nicht schwer und die Temperatur eher gekühlt; woher sollte uns diese Störung kommen? Als wir aber merkten, daß der Mann ein Narr sei und dieses seine fixe Idee, stimmten wir ihr bei. Er beruhigte sich, sobald er uns überzeugt sah und seine Höflichkeit kehrte zurück; er empfahl sich nach einer Weile und verschwand in dem Kloster. Später erfuhren wir, daß er einer der zahmen Narren sei, die dort verpflegt werden und denen das Ausgehen gestattet ist. Der Unglückliche sah in einem Sturme an den kyaneeischen Inseln, draußen vor dem Eingange des Bosporus aus dem Schwarzen Meere, sein Schiff scheitern und sein junges Weib mit dem erst einige Monate alten Kinde vor seinen Augen ertrinken. Er selbst klammerte sich an den Mastbaum und fristete so durch anderthalb Tage in tobender See das Leben. Man fand ihn, da man ihn auffischte, körperlich gesund und geistig sogar heiter, so daß zuerst die Erklärung und Entschuldigung dafür fehlte. Erst nach und nach erkannte man, daß dem Armen gleich in den ersten Augenblicken seines Unglücks der Verstand verloren gegangen sein mußte; schon als ein Wahnsinniger scheint er sich durch den bloßen lebenswilligen Instinkt das Dasein gerettet zu haben. Dieser unschädliche Wahnsinn blieb ihm; sein Bestreben geht sogar dahin, mit den kargen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, Gutes zu thun. Wo er einen Armen sieht, da gibt er ihm. Nur ab und zu brechen seine fixen Ideen gewaltsam hervor, die dann immer von Sturm und Gewitter phantasiren. Was uns heute wie mit Grauen erfüllte, war, daß wir kaum getrennt von dem Narren auf halbem Heimwege von einem furchtbaren Orkane überfallen wurden. Zuerst rabenschwarze Wolken, die sich gerade über uns sammelten; ein tosender Wirbelwind, der sich successive in einzelnen Riesentropfen, dann in strömenden Güßen und in zuckenden Blitzen löste. So schnell folgten die Donnerschläge auf die Blitzesstrahlen, daß wir oft nicht drei dazwischen zählen konnten, ein Zeichen, wie nahe uns das Unwetter auf den Fersen saß. Die Frauen mußten von den Eseln absteigen, weil die Thiere zu unsicher wurden und die Kinder mußten getragen werden. Triefend und bis auf die Haut naß kamen wir nach dem Gasthofe zurück. Bei dem Essen, das uns später servirt wurde, gab es nun ein allgemeines Fragen, wer eben der Genarrte gewesen sei? wir, die Ungläubigen, oder unser Prophet? Offenbar hatten seine sensitiver gewordenen Nerven das Gewitter geahnt. Prinkipo, den 3. Juli. Die ganze Nacht hindurch dauerte das Gewitter und heute den Vormittag über löst eines das andere ab. Die See wechselt die Färbung mit jeder Minute. Ihrem Grollen und Branden lauschte ich mit Wohlbehagen; zuweilen in den ärgsten Güßen eilte ich auf die Terrasse und von dort die Treppen zu dem Felsenufer hinab. Die übrige Zeit saß ich an dem offenen Fenster, abwechselnd beschäftigt hinaus auf das wogende Schauspiel zu sehen, mit der eigentlichen Absicht aber, in einem Geschichtswerke, das ich mitgenommen habe, die Schicksale dieser Inseln zu lesen. Sie gleichen außerordentlich denen, welche die Klippen im Tyrener Meere gehabt haben. Auch jene liegen im Angesichte des verlorenen Glückes und waren, wie die Prinzen-Inseln, Verbannungsorte für die gestürzte Herrrschergröße: wahre tantalische Felsen, die die Qual der Entbehrung um so unerträglicher machten, als die begehrte Frucht schon einmal gekostet worden war. Unbegreiflich bleibt es, wenn man einmal von diesen Inseln aus Constantinopel gesehen, wie sich die byzantinischen Usurpatoren einbilden konnten, daß ihre Opfer mit diesem Bilde vor Augen sich zur Ruhe geben würden; Eva im Paradiese wurde durch den Apfel nicht mehr versucht. Und so brach denn auch einer nach dem andern der vielen entthronten Fürsten, die hierher verwiesen worden waren, aus seinem lieblichen Gefängnisse wieder hervor, um sich die herrliche Stadt noch einmal zu erobern. Dann kamen sie mit ausgestochenen Augen, mit abgeschnittener Zunge, ohne Nase und Ohren, mit abgehackten Händen wieder zurück, oder sie schickten, wenn sie glücklicher wurden, den, der sie zuerst vertrieben, in solch’ verstümmeltem Zustande hierher, in einem der Klöster seine Usurpation abzubüßen. Keine der Inseln außer Chalki, die selbst diesen Wütherichen zu schön für solche Henkerdienste zu sein schien, blieb von diesem traurigen Amte verschont. Es gab Epochen in der byzantinischen Geschichte, wo ganze Reihen von Kaisern einer um den andern in dieser unnatürlichen Weise den Thron quittirten. Alles Spätere, was die Türken auf diesem Boden an Blutthaten in der Herrscherfamilie begingen, reicht nicht hinauf zu dem, was ihre Vorgänger verbrochen. Das Verbrechen war zur Gewohnheit geworden und hatte seine Scham und seine Schrecken verloren. Keine andere Geschichte ist so mit Mord und Blut gefüllt als die der oströmischen Kaiser, und wenn man bisher die der italienischen Fürsten als unübertrefflich in dieser Beziehung citirte, so war das nur ein Irrthum der Unwissenheit. Hätte Macchiavelli die Chronik des kurz vor seiner Geburt erst verstorbenen byzantinischen Hofes so gekannt, wie sie uns seitdem Gibbon und Lebeau beschrieben haben, das Urbild seines Prinzen wäre gewiß ein noch gräßlicheres als das des Cäsar Borgia geworden. Eine der kraftvollsten Gestalten, aus dieser Reihe mörderischer Regenten hervorragend durch Macht des Willens und durch Grausamkeit des Herzens, war ein Weib, die Kaiserin Irene. Daß sie von der griechischen Kirche als Heilige verehrt wird, blos weil sie den Bilderdienst unterstützte, könnte den Glauben an alle Kirchensatzungen erschüttern. Dieses furchtbare Weib ließ ihrem Sohne, Constantin VI., beide Augen ausstechen, nur aus dem Grunde, weil er, ihrer Vormundschaft müde, Versuche gemacht hatte, selbst die Leitung des Reiches in die Hand zu nehmen. Der Sohn siechte vergessen und verachtet dahin; die Mutter regierte noch eine Weile weiter, neben dem deutschen Kaiser Karl und Harun al Raschid die größte Erscheinung des Jahrhunderts. Die zeitgenössische Geschichte erzählt sogar von einem Plane, der bestanden, den Osten und den Westen Europa’s wieder zu einem Weltreiche durch die Heirath Irene’s und Karl des Großen zu verbinden. Eben als die deutschen Gesandten in Constantinopel waren, brach eine Palastrevolution aus, welche die Kaiserin Irene ihres Thrones entsetzte. Vielleicht glückte sie gerade darum dem Großschatzmeister Nicephorus, weil an dem Hofe Manche waren, die eine solche Vereinigung mit dem Westen ihren persönlichen Interessen wenig günstig erachteten. Dieser Plan ist mir immer als einer der großartigsten in der Geschichte erschienen, von dessen Bedeutung weitaus nicht genug gesprochen wird. Er zeigt, wie lebendig noch immer in den Leuten der Gedanke von der Zusammengehörigkeit des Westens und des Ostens des römischen Reiches war, wie sehr der Begriff dieses Reiches noch immer den Glauben der Menschheit für sich hatte, und wie Karl der Große, trotz der Salbung durch den Papst, sein Kaiserthum doch wenig begründet und der Ergänzung durch den byzantinischen Kaiserreif bedürftig hielt. Es kann sich eben Keiner von dem Ueberkommenen ganz loslösen, so daß auch unwillkürlich schon von den Vätern über einen Theil der Zukunft ihrer Kinder verfügt wird. ~Tabula rasa~ in den Begriffen hatte nicht einmal die Völkerwanderung zu Stande gebracht, und in Amerika, wo zuerst die Einwanderer sie herstellten, ist heute schon wieder Alles durch Burgen und Erinnerungen gebunden. Daß die Kaiserin Irene im Stande war einen solchen Gedanken zu fassen, und bereit war ihm einen Theil ihrer Unabhängigkeit zu opfern, an die sie doch den Mord des eigenen Kindes gewagt hatte, nöthigt uns einen gewissen Grad von Achtung für dieses sonst so verächtliche Weib ab. Die Größe besticht eben selbst im Gewande des Verbrechens. Eben hierher nach Prinkipo wurde sie von dem neuen Kaiser in die Verbannung geschickt. Nicephorus I. meinte, sie solle das Kloster bevölkern helfen, das sie hier erbaut. Später verwies er sie von diesem Elba auf ein entlegeneres St. Helena, die Insel Lesbos im ägäischen Meere. Wahrscheinlich war ein Landungsversuch nach der früheren Herrschaft die Veranlassung zu dieser Strafverschärfung. Glücklicher als der Prometheus des 19. Jahrhunderts überlebte sie ihren Sturz nur um ein Jahr; sie hatte sich das tägliche Brod während dessen durch Spinnen verdienen müssen, so wenigstens will es die Sage; 803 starb sie. Das Grab gönnte ihr Nicephorus auf Prinkipo, und ich war heute Vormittags auf der Stelle, die man mit dieser Erinnerung geschmückt hat. Auch diese Geschichte ist schon Fabel, so zerbröckelnd ist alles Byzantinische. Nachmittags hörte der Regen zwar auf, der Sturm aber tobte fort und jagte graue, drohende Wolken über den Himmel. Am meisten begehrte ich, seitdem wir hier sind, nach einer Umfahrung der Insel. Wir wagen sie mit raschem Entschlusse. Die See ging hoch; die Wellen brandeten weit hinauf an den gelben Uferwänden, sie leckten sich dort in die ausgewaschenen Höhlen hinein, daß die Fluth erst nach einer Weile wie mit Wasserfällen in die See zurückstürzte. Die Bootsleute konnten nur mühsam einen bestimmten Cours und die nothwendige Entfernung von den Felsen behaupten. Außerhalb der Straße, die zwischen Prinkipo und Chalki liegt, wurde der Wogendrang noch ärger; die freie See stürmte mit vollen Breitseiten auf uns ein. Ruhig und unbeängstigt blieb nur der Steuermann; in seinem rothen Prachtkleide, mit Gold gestickt, einen bunten Turban auf dem Haupte, saß er hinten beim Steuer auf einem Teppiche, mit seinem befehlenden Auge gleichmüthig ernst, als sei kein Unterschied zwischen der heutigen Sturm- und der neulichen ruhigen Abendfahrt. Ich fand zuletzt ein außerordentliches Behagen selbst an der Gefahr der Situation. Sie weckte aus der Trägheit, von der sich sonst auch die sogenannten bewegten Augenblicke unseres gewöhnlichen Lebens nicht ganz loswinden; Schläge sind nothwendig, der einen oder der anderen Art, damit die Menschheit vorwärts komme; statt zu erniedrigen heben sie vielmehr das menschliche Gefühl. Erst da wir wieder in eine Straße, die zwischen Prinkipo und der Insel Niandro, eingelaufen waren, wurde die Fahrt etwas ruhiger, und so blieb sie es auch, als wir die Südspitze von Prinkipo umschifft hatten und der Insel auf ihrer Ostseite entlang ruderten, wo diese nach dem Innern des nikomedischen Meerbusens zugekehrt ist und ihr die Kaninchen-Insel Antirobidus vorliegt, weil der Sturm aus Süden kam und wir nach dieser Seite gedeckt waren. Gerade dort, wo uns die See am ärgsten angefallen hatte, ist die Insel am felsigsten. Oben auf den Bergen, die beinahe senkrecht zum Meere hinabfallen, steht das St. Georgskloster; unten herum liegen weit in die See hinaus Klippen, die einmal wohl von diesem höheren Stocke abgebrochen sein mögen. Der Stein ist gelb und zerwaschen, kein Lebenszeichen der Menschen weit umher. An der anderen Küste, die in den Busen hinein und der Kaninchen-Insel gegenüber, ist sie wirthlicher, und auch Menschen leben dort. In einer Thalschlucht, wo sie auf das Ufer mündet, liegt das Kloster des heil. Nikolaus. Wir landeten in der Nähe, um selbst etwas zu ruhen und der Mannschaft des Bootes Erholung zu gewähren. Die Mönche des Klosters nahmen uns freundlich auf; ein Tisch ward schnell im Freien gedeckt, uns vor Allem Cliquot servirt, und indeß man Fische und Salat bereitete -- es war heute einer der vielen griechischen Fasttage -- wurden wir in die Kirche geführt, ein häßlicher, außen nackter, innen überladener Bau. Gräberplatten sind um ihn in die Erde eingelassen, und manchen Namen zeigte man uns darauf, den man als einen berühmten der griechischen Kirche rühmte, der sich aber hierher zurückgezogen, um Ruhe und Frieden und zuletzt das Grab zu finden. Hohes, verwildertes Gras wächst darum, und der Wind blies in die langen Halme, daß sie sich wie Wellen darüber legten. Einmal stand hier ein großes Dorf; diese Gräber sind die letzten Spuren davon. Das ganze Thal war finster; der Abend hatte schon begonnen; die Sonne, die hier hinter den Bergen untergeht, kann um diese Tageszeit hierher kein Licht mehr geben und war heute auch noch umwölkt. Die dunkeln Hügelwände mit ihren Pinien und Oelbäumen darauf machten die Landschaft noch düsterer; unsere Stimmung aber war heiter; das Ueberstandene freute uns; der Appetit war groß und daß wir tüchtig zugriffen, erfreute die Wirthe. Nur weil die Nacht schon kam, schieden wir. Wir setzten die Fahrt um die Insel weiter fort, an dem Orte Prinkipo vorüber und landeten gegen 10 Uhr an der Treppe des Hôtel Giacomo. Das Klösterchen von San Nikolo steht mir in der Erinnerung wie die fröhlichen, welche Walter Scott so anschaulich gezeichnet hat. Die sämmtlichen Prinzen-Inseln werden nur von Griechen bewohnt und sind von den Türken diesen wie zum ausschließlichen Eigenthume überlassen. Es ist kein Gesetz, welches das so regelte, es ist die Gewohnheit, die seit Alters her das so ließ. Bujuk-Dere, den 4. Juli. Auf Prinkipo sah ich von meinem Bette die Sonne aufgehen. Wunderbare Ruhe. Weiße Segel zogen durch die blaue Fluth. So müssen die Gottesgedanken über die Welt hingleiten, und so auch sind unsere Erinnerungen, leidenschaftlos und friedlich. Daß einstens Jammer und Gram sie bewegten, merkt man ihnen so wenig an, als jenen Segeln, daß dort Menschen arbeiten, mühsam und qualvoll vielleicht arbeiten, und daß ein Herrenwort sie zu solchem Dienste befiehlt. Die Entfernung ist die eigentliche Schöpferin des Trostes und der Poesie; in der Nähe besehen sind die Dinge reiz- und poesielos und der Schmerz wird unerträglich. Die Inseln strahlten in allen Farben; roth, blau und goldig schillernd wie Chamäleons. Die See war noch bewegt von dem gestrigen Sturme und die Sonne hatte vom Himmel noch einige Wolken zu vertreiben. Um 8 Uhr fuhren wir fort. Die Luft war frisch, beinahe kühl, der Wind gegen uns; das Boot flog auf und ab. Wir hatten einen Band der Gedichte Lermontoff’s bei uns, die wir uns abwechselnd vorlasen, so daß wir gar bald in eine andere Welt entrückt waren. Die Fahrt bis Top-Hane dauerte vier Stunden, den Bootsleuten viel zu lang, mir vergingen sie wie ein Augenblick. So eingeschifft auf ruhig wogender See sollte das ganze Leben vergehen. Es gibt eine Melodie, die in Weber’s Oberon, wenn Hüon mit seiner Geliebten im Kahne liegend an der Wandeldecoration vorüberziehen, die wie naturgeschaffen dazu erklingen müßte. Den Nachmittag rasteten wir in Pera und des Abends setzten wir die Fahrt hierher durch den Bosporus fort. Alles schien bewegt uns zu erfreuen, während wir im Boote kaum der eigenen Bewegung gewahr wurden. Die Bucht von Bujuk-Dere erinnert mich an die Schweizer Landseen, am meisten an den von Zürich, nur daß hier die Farben etwas glühender und doch nicht so scharf contrastirend sind. Die Luft ist köstlich frisch, Abends 10 Uhr nach dem Essen im Gegensatze zu der perotischen Hitze so angenehm kühl, daß ich einen Ueberrock umnehmen muß. VI. Der Bosporus. Den 5. Juli, Dienstags. +Bujuk+ = groß, +Dere+ = Thal, Großthal heißt das Dorf, dem der Name von der Gegend her geworden ist. Er ist ein altgebräuchlicher und von den Türken nur übersetzt worden, denn schon die Griechen nannten Dorf und Thal ~megas agros~. Das Thal erstreckt sich weit in das Land hinein, wie eine Fortsetzung der Bucht, die nur emporgehoben aus dem Meere ist. Wiesen liegen darin, Felder hinter diesen und Büsche zwischen sie gemischt. Ein Bach kömmt durch das Thal zur See herab, und vorne, wo er mündet, beschattet ihn die große Platane; die Wasserleitung des Sultans Mahmud sperrt den letzten Hintergrund. Die hohen riesigen Bogen dienen der Wirkung des Bildes, von wo aus man es auch sehen mag, auf das vortheilhafteste. Gestern Abend, da ich sie zum ersten Male sah, verschwanden sie halb in dem glühenden Golddunste der gerade dahinter untergehenden Sonne. Die Bucht vor dem Thale ist nächst der des Goldenen Hornes die größte des Bosporus. Da sie nahe seiner Mündung in das schwarze Meer ist, dient sie immer einer Menge von Schiffen als Hafen, die hier vor dem Auslaufen in die See die letzte Rast oder nach dem Einlaufen die erste erquickliche Erholung suchen. Besonders Abends finde ich sie voll gefüllt; gestern und heute zählte ich nicht weniger als 90 Segelschiffe, die hier vor unsern Fenstern die Anker geworfen hatten. Da die See gleich am Strande eine bedeutende Tiefe erreicht, so liegen die Schiffe bis nahe an das Land; das gibt besonders Nachts, wenn die Körper sich gespenstig ausdehnen, die leeren Maste sich hin- und herwiegen, ein schwerer Ruderschlag in’s Wasser fällt und der Schiffshund dem abstoßenden Boote nachbellt, poetische Effecte. Die größten Seedampfer können, wenn sie im weiten Bogen in die Bucht eingefahren kommen, um die Posten der Gesandtschaften mitzunehmen, hart vor den Botschaftspalästen anlegen. Das Dorf liegt nicht, wie man es erwarten sollte, im Schooße dieser Bucht; es hat sich den engsten, aber wenn man erst einen Tag hier gewesen begreift man das, trotzdem den bequemsten Platz der Bucht ausgesucht. Vom schwarzen Meere fallen fortwährende Nordwinde in den Bosporus herein; die hat das Dorf von Bujuk-Dere in seinen Rücken genommen und diesen deckt ihm der Kabatasch Dag, ein steiler Berg von 770 Fuß Höhe, der höchste auf den Ufern des Bosporus. Gar oft sieht man von Bujuk-Dere aus die Wasser des Bosporus in wilder Bewegung und wie die gegenüberliegenden Hügel vom Sturme förmlich abgekehrt werden, während man bei sich daheim und in dem Meere unmittelbar davor auch nicht einen Luftzug empfindet. Dabei entbehrt man doch nicht der Kühle, die dadurch in die Luft gebracht wird. Heute Abends z. B. mußte ich nach dem Essen, das war um 10 Uhr, den Ueberrock umnehmen; in Pera auf der Terrasse würden wir nur nach Luft, mehr Luft geschnappt haben. So hat das Dorf von Bujuk-Dere alle Vortheile des Bosporus, ohne einen seiner Nachtheile zu haben. Nur eines fehlt ihm, der Blick auf’s freie Meer, auf die Oeffnung in den Pontus Euxinus, der Therapia und Kiredsch Burun so reizend macht. Der Ort zerfällt in zwei Hälften, in das eigentliche Dorf, das wohl auch der erste und älteste Theil desselben ist, und in die Häuserreihe der Fremden und Reichen. Das Dorf steht näher dem Mittelpuncte der Bucht, ist klein und winklicht, ärmlich und schmutzig, voller Hunde und schreiender Verkäufer, die Gassen von offenen Verkaufsbuden eingefaßt, von Leinwandfetzen überspannt; Reben, die sich wild emporschlingen, und die ruhigeren Häuser, zwei und auch drei Stockwerke hoch, um die Aussicht zu gewinnen, hinter diesem Gedränge schon den steilen Berg hinauf. Nur wenige Villen der Vornehmen liegen in diesem Ortstheile, und diese alle so, daß die Hausthüre unmittelbar auf die See hinaus geht, darunter die, welche der österreichische Internuntius gewöhnlich bewohnt. Die anderen Landhäuser der Reichen stehen in weiterer Fortsetzung von dem Dorfe auf dem Quai, der sich der Bucht entlang bis zu ihrem Vorgebirge hinzieht, wo sich Bujuk-Dere an Ssaryjeri, eine andere Ortschaft des Bosporus, anschließt. Diese Landhäuser haben ein freundliches, wenn auch für unsere Begriffe kein prächtiges Aussehen, denn auch sie sind aus Holz gebaut, die meisten weiß angestrichen. Das Schöne daran sind die Gärten; die ziehen sich hinter den Villen mit Cypressen- und Pinien-Alleen, mit Lorbeer- und Rosenhecken, mit Terrassen und Fontainen hoch den Kabatasch Dag hinauf. Eines der schönsten Landhäuser gehört der russischen Regierung; außer ihr und Oesterreich wohnt keine europäische Großmacht in Bujuk-Dere. England und Frankreich sind in dem gegenüberliegenden Therapia angesiedelt und Preußen wohnt dort zur Miethe in den wenigen Stuben eines Gasthofes. Von dem Quai aus hat man die Aussicht auf den anderen Arm der Bucht, wo die Hügel von Kiredsch Burun und das Vorgebirge von Therapia sich erheben, auf das Ufer von Asien mit seinem Riesenberge und dem Vorgebirge von Chunkiar Iskelessi, wo das verlassene Schloß einer ägyptischen Prinzessin immer am längsten mit seinen Fensterscheiben das rothglühende Licht der untergegangenen Sonne festhält, und auf den Bosporus, der dazwischen liegt, an keiner Stelle breiter als hier, und dessen Wasser an diesem Punkte selten anders als in wogender Bewegung sind. Stündlich gehen und kommen Dampfer nach und von Constantinopel. Abends, wenn die Leute ihre Geschäfte in der Stadt abgethan haben, ist dieser Verkehr besonders lebhaft; dann kommt jede Viertelstunde ein Dampfer und auch wohl auf einmal zwei und drei Schiffe, die letzten tragen beleuchtete Lampen auf ihren Masten und gewöhnlich auch ein paar Musikanten, das wirkt dann -- laue linde Luft, Licht und Musik um uns -- südländisch poetisch. Den 6. Juli. Um 7 Uhr Morgens landen wir in dem Hafen von Skutari, um von dort aus den Bulgurlu-Berg zu besteigen. Meine Absicht geht dahin, wie ich das sonst bei Städten von einem Thurme aus thue, bevor ich in Detailzügen den Bosporus durchforsche, von einem überschauenden Standpunkte die Geographie seines Laufes zu studiren. Wir ritten; der Weg, der außer der Stadt eine breite, neu angelegte Straße ist, ward schattenlos. Die Aussicht links hinunter ist immer frei nach der Enge des Bosporus, und, wenn man sich umwendet, nach den weit ausgedehnten Feldern von Constantinopel. Das Marmora-Meer und die Prinzen-Inseln sieht man erst von Dschamlidscha aus, einem reizenden Oertchen, das schon nahe dem Bergesgipfel unter hochsäuligen Pinien liegt, die ihm auch ihren Namen (Pinienwäldchen) gegeben haben. Seitab von den Häusern entdeckte ich den Punkt, wo man gerade unter dem kuppeligen Schatten einer der größten Pinien den Blick frei hat zugleich auf die buntbelebten Ufer und den Strom des Bosporus, auf dem eben mehrere große Dampfer hinter einander dem schwarzen Meere zu steuerten; auf Pera, Galata, Skutari und das dazwischen liegende, schiffegefüllte Goldene Horn; auf das weite Feld der ehemaligen Goldstadt Skutari, wo am 10. September 323 der große Constantin dem mitregierenden, christenverfolgenden Licinius die Alleinherrschaft über die römische Welt abgewann; auf das blaue Meer in endloser Ferne sich verlierend, und auf die rothen Inseln, die wie Juwelen daraus hervorleuchteten. Näher aber noch, unmittelbar zu meinen Füßen, sah ich ein stilles grünes Thal zwischen den abschließenden Höhen eingesargt; Pinien, Cypressen, Feigen-, auch blühende Granatbäume ragen daraus empor, und auf den Feldern arbeiteten die Bauersleute. So liegen der Norden, Westen und Süden entfaltet, nur der Osten ist durch die höhere Kuppe des Bulgurlu-Berges verdeckt. Von jener Höhe herab ist darum der Ausblick noch reicher; Asien wird dort eigentlich erst recht gesehen. Aber es fehlt der Vordergrund, das freundliche Thal und auch die Bäume, die sich unmittelbar über dem Beschauer wölben. Der Ausblick vom Bulgurlu ist belehrender, aber der aus dem Pinienwäldchen von Dschamlidscha malerischer. Daher bauten sich denn auch nach dem letzteren die byzantinischen Kaiser ihre Lustschlösser und Jagdhäuser. In der ganzen Zeit ihrer Herrschaft, so lange dieser Boden der ihrige war, pflegten sie hier einen Palast zu erhalten. Kaiser Arkadius übernachtete gewöhnlich in demselben, wenn er seine Reise zum Sommeraufenthalte nach den Bergen von Ancyra machte. Und die heutigen Herren der Gegend folgen diesem alten Beispiele. Die ganze Umgebung, auch die Hohlwege weit in das Gebirge hinein sind mit Landhäusern besetzt. Eines der sorgsamst gepflegten, das mir eben dadurch auffiel, besitzt im Augenblicke Omer Pascha. Wohl eine Stunde lagerten wir unter +meiner+ Pinie, +mein+, weil ich ihre Verdienste entdeckt zu haben behauptete. Wie die Sonne ihren Schatten wandern machte, wechselten auch wir den Platz, aber immer blieben wir unter ihr. Das Bild wollte uns gar nicht mehr loslassen; mit syrenischen Reizen hielt es uns, die uns nur um so besser gefielen, je länger wir sie genossen; und was mich dabei am meisten entzückte, ja wie gewöhnlich förmlich von der übrigen Welt entrückte, das war der Eindruck der völligen Ruhe, die Lautlosigkeit alles menschlich Geborenen -- nur das Leben der Natur, der Vögel, der ziehenden Wolken, des Lichtes und der leise schwankenden Bäume. Und diese Stille trotz des Blickes auf die ungeheure, beinahe grenzenlose Weite! Der Blick, den ich hinabwarf, gab mir einen Begriff von der Anschauungsweise, die Gott für unsere Welt haben muß. Klein und unbedeutend muß sie ihm erscheinen, und nichtig und gleichgiltig das einzelne Menschenleben. Der Mensch kann sich nur so lange für werthvoll und bedeutend halten, als er mitten unter Seinesgleichen steht; erhoben über sie, muß er sich gedemüthigt fühlen. Schon Anfangs Juni, bei einem früheren Besuche des Bulgurlu, hatten wir die Cistusrose (~cistus salvifolium~) in Blüthe gefunden; jetzt trafen wir mit der bescheiden schönen Blume, deren blaßviolette Rose mit dem gelben Staubbüschel darinnen, wenn einmal gebrochen, nur mehr Minuten sich frisch und aufrecht erhält, den ganzen Boden, besonders die Kuppe des Berges bedeckt. Dazwischen blühte der Sternklee (~trifolium stellatum~), auch der einblumige (~trifolium uniflorum~) und in höheren Sträuchern ragt die stachlige Steineiche (~quercus ilex~), daß zu Fuße an einzelnen Stellen kaum durchzudringen war; tiefer, wo einzelne Bäume stehen, ist es der wilde Oelbaum (~oleaster~), auch Mandelbäume (~phyllirea~) und in den Hecken mancher Lorbeerbusch. Die ganze Vegetation des Bulgurlu und seiner Umgebung ist eine vollkommen südliche, und das mit der der Prinzen-Inseln in weit vorgeschrittnerem Grade, als auf irgend einem anderen Puncte dieser Ufer. Ich möchte die Gelehrten fragen, ob dieser Unterschied nicht auch neben der Begünstigung der gedeckten Lage dem Gehalte des Bodens zuzuschreiben sei? Hinunter ritten wir gegen Kadi-Köi zu, bald durch eine Fülle von Gärten und Landhäusern, dann in den Cypressenwald von Skutari hinein. Was sind alle Wunder der Baukunst gegen diesen Waldfriedhof! Doch hat auch an ihm die Kunst mitgearbeitet, denn die erste Anlage gab ihm die Hand des Menschen, die Natur pflanzte dann später ihre Setzlinge dazu, wie sie auf die Ebene Sand streut und daraus einen Hügel formt. Nur den Pyramiden ist diese Grabstätte zu vergleichen, die eine wie die andere ein Tempel der Ruhe und des Friedens, und die Ebene von Haider Pascha darum ausgebreitet, nackt und sandig, wie in Aegypten die Wüste um jene Fragezeichen der Geschichte. Bei einer Quelle unter Bäumen in der Bucht von Kadi-Köi stiegen wir von den Pferden und ruhten. In jener Gegend muß das prächtige Landhaus des Rufin, des ersten Ministers des Arkadius, gestanden haben, das die Vorstadt der Eiche von Chalcedon so einschloß, daß sie gemeinhin nur Rufinopolis hieß. Mit porphyrnen Säulengängen und ihrem goldenen Dache beherrschte sie weithinstrahlend die Meerenge, und galt bis zu dem tragischen Tode ihres Besitzers, der drüben auf dem Marsfelde vor dem Hebdomon fiel, als das Wunder des Jahrhunderts. Gedanken an diese untergegangene Größe begleiteten mich auf der Rückfahrt, die durch den Bosporus bis Bujuk-Dere ging. Wir hatten die untergehende Sonne zu unserer Linken, Asien allein war noch von ihrem freundlich vergoldendem Lichte erleuchtet. Dort glänzten die Fenster wie Diamanten, hier regten sich schon einige Lichter, die man zur Abendmahlzeit auf die Tafel stellte. Bujuk-Dere, den 7. Juli. Schon vor 5 Uhr Morgens stieg ich in das Boot, heute vom Riesenberge aus auch das nördliche Ende des Bosporus zu überblicken. Es ist ein Irrthum, den Berg, wie das oft geschieht, ob seines Namens für den höchsten unter seinen hiesigen Kameraden zu halten. Er ist nur 540 Fuß hoch und der auf europäischem Lande ihm gegenüberliegende Kabatasch Dag 770 Fuß. Den Namen gab ihm eine andere Ursache, das Grab, welches oben auf seinem Plateau erhalten wird. Dieses soll nach dem altgriechischen und so auch wieder nach dem heutigen türkischen Volksglauben einen Riesen beherbergen, wie Hammer behauptet den jüdischen Josua, der auch damit den türkischen Namen des Berges, Juscha Dag, erklärt. Die Griechen ließen in dem ungewöhnlich großen Grabe den Herakles begraben sein. Das Wahrscheinliche ist, daß es mit der Geschichte des Berbycer Königs Amycus zusammenhängt, der in dem benachbarten Bejkos ansässig war und als ein riesiger Faustkämpfer der Urzeit von der Sage gefeiert wurde. Der Riesenberg springt mit einem weiten Vorsprunge aus dem asiatischen Uferlande dem europäischen entgegen, so daß es aussieht, als wolle er diesem die große Bucht von Bujuk-Dere ausfüllen. Auch bin ich überzeugt, daß beide Ufer gerade an dieser Stelle ehemals vereinigt und der heutige asiatische Juscha Dag damals nur ein Ausläufer des europäischen Kabatasch Dag gewesen ist. Erst der spätere Ausbruch des Pontus Euxinus mag sie, wie er denn auch die beiden Welttheile hier schied, getrennt haben. An dem Fuße des Riesenberges liegen jetzt schöne Kalksteinbrüche zu Tage; da sie mit Eisenkrystallen durchzogen sind, so wirkt das Roth auf dem Weiß, wenn nur ein irgendwie günstiger Sonnenschimmer darauf fällt, auf das prächtigste; am schönsten im Abendlichte, wenn der Purpur mit dem noch tieferen Blau des Bosporus contrastirt. In der Bucht neben dem Riesenberge südwärts gegen Constantinopel zu leben die Bewohner des kleinen Ortes Ümürjeri von dem Brennen dieser Kalksteine. Ich landete an einsam abgelegener Stelle unter ein paar großen Terebinthen, einen wenig gebrauchten Weg kerzengerade den Berg hinauf zu steigen. Die Aussicht ist eigentlich bei diesem Aufsteigen schöner als oben angelangt dort selbst. Man hat bei dem Hinaufsteigen eine fortwährende Entwicklung der besonders hier recht deutlichen Windungen des Bosporus, ohne dann von oben hinab, wie man es erwartet, das ganze Bild zu sehen. Das Grab des Josua maß ich 50 Fuße lang und 7 Fuße breit, also jedenfalls ein Riese, wer auch darinnen ruhen mag. Es ist sorgsam gepflegt, Buchsbaum, Cypressen und Rosen keimen aus seinem Hügel; eine grün angestrichene Mauer faßt es ein; zu Füßen steht die Säule, am Kopfende der Marmorstein mit der Inschrift, wie sie der Türke auf jedes Grab setzt. Und so auch seinem Gebrauche getreu liegt davor eine kleine Moschee. In den drei Häusern, die dabei stehen, leben die Derwische, denen die Hut des Grabes anvertraut ist. Um den Hügel hingen an den Staketen kleine Fetzchen abgerissener Kleiderstücke, die der Aberglaube hierher gestiftet hat, um den Körper von einer Krankheit, von irgend einem Uebel zu befreien; das sind die wächsernen Füße und die kranken Herzen, die die fromme Einfalt nach Kevlaar am Rheine trägt, und die Kerzleins, die früher das griechische und römische Heidenthum auch hilfesuchend auf den Altären seiner Götter ansteckte. Nun gehe ich vom Riesenberge auf gut Glück ungebahnte und ungekannte Wege hinüber nach dem Genueser Schlosse. Wo ich oben auf der Höhe bin, da erschließt sich der Blick immer freier und schöner; das schwarze Meer tritt immer größer in den Gesichtskreis und einmal auch, was man mir im Voraus abgestritten hatte, das Marmora-Meer, Kadi-Köi, die Nikomedischen Berge, die Kuppen der Prinzen-Inseln und von dort bis zu dem andern Endpunkte das blaue Band des Bosporus zwischen den grünen und rothen Hügeln von Europa und Asien. Es war der schönste Moment meiner heutigen Wanderung, weil er überraschend kam, vielleicht auch, weil er etwas Schmeichlerisches hatte, wie der jeder Entdeckung. Eine Wildniß von Blumen bedeckt den Boden, am auffälligsten darunter die gelbe fünfblätterige Blüthe des Johanniskrautes (~hypericum calycinum~). Ich pflückte die Blume, die mir gleich ganz außerordentlich gefiel und trug sie in großen Büschen mit mir. Um und unter ihren hochschossigen Sträuchern keimte und blühte eine große Menge der Lavendel (~lavendula stoechas~), des Tausendguldenkraut (~Erythraea centaurum~), und eine kleinblätterige Gattung der Narde (~micropus erectus~). Bäume, meistens Granat- und Feigenbäume, und größere Büsche, Arbutus insbesondere, fand ich nur in den Schluchten, wo gewöhnlich ein kleines Bächlein abwärts rinnt. Dort aber hat sich dann auch um dieses spärliche Wasser ein festes Dickicht urwäldlichen Wachsthums zusammen gesponnen. Es ist dort kühl, sumpfig, oft beinahe fieberig schattig, daß ich jeden Augenblick eine geheimnißvolle Schlange oder sonst irgend ein giftiges Ungethüm aus den Büschen heraus auf mich zuschießen zu sehen erwartete. Stundenlang ging so meine Wanderung fort, verlängert durch mannigfaltige Verirrungen. Dem Schlosse kam ich auf seiner Rückseite zu über das Plateau, das sich dort sanft ansteigend in das Innere des Landes hineinzieht. Sein verlassener Begräbnißplatz liegt unmittelbar vor dem Thore, von Cypressen und Platanen beschattet, eine Wildniß, die nur noch von der Natur gehütet wird. Ruinen überall; Gräber, die den Menschen beherbergen, und Thürme, die ausgestorben sind, und das hart und unvermittelt neben einander, nur die Natur, die sich versöhnend und fortwährend verjüngt dazwischen und darüber hinschlingt: Epheuranken auf den Mauerthürmen, die sie wie mit Pelzwerk gegen das Unwetter überziehen, und Rosenbüsche auf den Gräbern. Der Wind glättete die Epheublätter, daß sie sich alle wie Haare schmiegsam nach einer Seite hin legten. Rechts und links neben dem Schlosse vorbei sieht man auf die blaue Fluth des Bosporus hinab. Das Schloß steht auf dem Rücken eines Vorgebirges und steigt mit ihm zur See hinab. Gegenüber sind die finstern, beinahe schwarzen Felsen der europäischen Küste und über diesen das Hochland, das sich dort viele Stunden weit wüste und unbebaut hinzieht; das sind Küsten, wie sie dem einstmals ungastlichen (Axinos) Pontus gebühren. Neben mir, gegen das schwarze Meer zu, wo ich lagerte, geht es schauerlich steil in eine Bucht hinab. An den Felsen, die unten zerstreut liegen, brandete die blaue Fluth heftig an und warf weißen Schaum. Schiffe, von Remorqueurs gezogen, trieben dort unter mir so nahe der Küste vorbei, daß ich den Blick auf ihr Verdeck frei hatte, wie ihn sonst nur der Vogel sieht. Fil Burun, das Elephanten-Vorgebirge, schließt für den Blick von hier aus wie diese nächste Bucht, so auch den Bosporus. Europa mit seiner Küste thut dieses -- für diesen Standpunkt wenigstens -- mit Karybsche Burun, denn die bläulichen Cyaneen, diese fabelhaften Eilande, die kamen und dann wieder gingen, und die ich auf meiner Wanderung mehrere Male erblickt hatte, sah ich von hier aus nicht mehr. Die Mündung, die dazwischen beinahe dunkelblau zum scharf contrastirenden goldenen Spiegel des schwarzen Meeres hinausfließt, hieß den Alten die Heilige (Hieron). Das wohl von den vielen Götterbildern, die den Schutz- und Hilfeflehenden zur Darbringung der Bitt- und Dankopfer für glückliche Fahrt auf den beiden Ufern aufgestellt waren. Aus der Rede des Cicero gegen den Verres wissen wir, daß darunter eine der drei berühmtesten Statuen des Jupiter Urios (des Gottes der Winde) war, und der Name, der dem nur von den Franken so genannten Genueser Schlosse im hiesigen Volksmunde geblieben ist, Jaros Kalessi, ist vielleicht ein Beweis, daß der Tempel und das Bild dieses Gottes wirklich auf dieser Stelle gestanden haben. Aus ältester Zeit hat man hier kürzlich ein Basrelief von edler und entschieden griechischer Arbeit gefunden, das durch seine Inschrift von diesem Götterdienste und dem Alter der Niederlassung Kunde gibt: „Die Schiffer, die Jupiter Urios um eine glückliche Fahrt durch die steilen Cyaneen und in die ägäische See bitten, die gefüllt ist mit einer ausgestreuten Schaar von Riffen, werden sie haben, wenn sie vorher dem Gotte, dessen Standbild Philo Antipater hier aufgestellt hat, damit es den Schiffern Hilfe und gutes Vorzeichen gebe, ein Opfer darbrachten.“ Uebrigens ist selbst das Schloß, dessen Ruinen heute noch stehen, älter als es sein Name glaublich macht. Es sind überhaupt viele Irrthümer, die dieser Name großgezogen hat, der nur die letzten christlichen Besitzer nennt. Das waren allerdings die Genuesen, aber durchaus nicht von so alter Zeit her, als man gewöhnlich annimmt. Bis tief in das vierzehnte Jahrhundert gehörte es, so gut wie das gegenüberliegende europäische Schloß, den byzantinischen Griechen, die das eine wie das andere auch gebaut hatten. Wenn es nichts bewiese, so zeugte dafür das byzantinische Wappen, das Kreuz in dem Halbmonde, das groß auf zwei Steinen dargestellt in beiden runden Thorthürmen eingemauert ist. In den vier Ecken der beiden Steine sind je zwei Buchstaben ausgemeißelt. Hätte ich mehr archäologisches Talent, so würde ich aus diesen ~donnés~ eine vollständige Schloßgeschichte herauslesen. Uebrigens auch das Gemäuer verräth unzweifelhaft byzantinische Zeit: Quadersteine, die mit wohlgeschichteten Ziegellagen bandförmig abwechseln. So auch die Thürpfosten und Thürbalken in byzantinisch antikisirenden Formen, nur fehlt die Neigung der Pfosten nach Innen, oben pyramidal. Ueber der Thüre sind zwei kleine Rundbogen zugemauert. In dem Gemäuer saß eine Eule; ich hielt sie für todt, so regungslos war sie, und griff nach ihr; das nahm sie übel; die Augen gingen weit auf und schoßen zwei giftige Blicke auf mich, mit sträubendem Gefieder verkroch sie sich tiefer in die Steine hinein. Es war dies der einzige Bewohner dieser Stätten, den ich gewahr wurde. „Eulen nach Athen tragen“ ist übrigens ein Sprichwort, das auch am Bosporus das Ueberflüssige bezeichnen könnte; die ganze Gegend hier scheint voll von diesen Vögeln. In Bujuk-Dere höre ich jeden Abend den krächzenden Ruf eines derselben; mir der unangenehmste Laut, den die ganze Natur hat. Durch ein Seitenthor ließ man mich in das Innere des Schlosses. Es ist ein Unsinn, den ganzen ungeheuren Raum, der von den hohen Ringmauern eingezäunt ist und von der Höhe des Vorgebirges terrassenförmig zum Meere hinabfällt, so zu nennen. Schloß war nur das Oberste, das, was mit den hohen Thorthürmen zum Theile noch erhalten steht; das Uebrige war mit der Stadt angefüllt, die zuerst und darum wohl am dichtesten sich unten auf dem Ufer angesiedelt haben mochte, und von dort aus, als ihre Bevölkerung an diesem wichtigen Verkehrspunkte wuchs, die Ufer hinauf gestiegen sein wird, wo sie von der Akropole gedeckt ward. Deshalb dort die festen Pylone, vielleicht schon um Ueberfälle der Gothen, später der Perser, der Saracenen und Türken abzuwehren. Unten auf dem Ufer mag auch jener Tempel des Jupiter Urios gestanden haben, wie denn heute die Ortschaft sich wieder hart am Meere angesiedelt hat. Viele tausend Einwohner können in dem abgegrenzten, beschützten Raume gewohnt haben und es war eine volkreiche Bergstadt, die lebhaften Handel trieb, die die Durchfuhrzölle des Bosporus für die Griechen des Alterthums, des Mittelalters und später für die eindringlichen Genuesen in Empfang nahm; ein Ort in seiner Lage, Form und Bedeutung Syra ähnlich, wie wir es heute im ägäischen Meere sehen. Heute lebt eine Wildniß von Bäumen und Sträuchern auf der ausgestorbenen Stätte, viele Feigenbäume und ab und zu auch eine Cypresse. Der Boden scheint sehr fruchtbar zu sein; ich habe nie die Artischoke größer und prächtiger violett blühen sehen als auf dem Schutt und Moder der alten und neuen Griechen. Man findet mehrere Cisternen, Säulenschäfte, Kapitäle und Basen vielfältig in die Mauern eingefügt, und wenn man nur weiter suchen und graben dürfte und könnte, würde man gewiß noch Manches entdecken, was unwiderleglich meine Behauptung von der Existenz einer ehemaligen Stadt bewiese. Wie ich oben auf dem linken Thorthurme stand, baute sich mir die ehemalige Stadt wie von selbst wieder auf. Man sieht die Terrassen, die angelegt wurden, um die einzelnen Stadttheile aufzunehmen. Wozu auch ein Schloß, eine Festung von diesem Umfange? Es hätte der Vertheidigung nur Schwierigkeiten geboten. Ich möchte auch behaupten, daß die Thore, welche an anderen Stellen aus diesen Mauern führten, Beweise für die Stadt sind. So prächtig und hoch, so mit der sichtbaren Absicht des Gefallens baute man kaum für eine Festung. Ziemlich nahe dem Strande, auf einem der letzten Absätze des Berges, gleich hinter der heutigen Ortschaft, wo man steil den Berg hinauf zu steigen beginnt, hängt noch die Hälfte einer Thurmkuppel zwischen den hohen Pfeilern; die andere Hälfte liegt gleich einem Felsblocke auf dem Abhange; Bäume und Sträucher nisten in der gestürzten Muschel. So fest ist der Stein mit dem Kalke verschmolzen, daß ich keinen davon losschlagen konnte; daher hielt das Mauerstück auch so unverletzt den hohen Fall aus. Die Kuppel war nur klein; die Pfeiler sind unverhältnißmäßig hoch; das Ganze gleicht unverkennbar dem goldenen Thore in dem Schlosse der sieben Thürme zu Constantinopel, das ich mir nun nach diesem hier auch geöffnet deutlich vorstellen kann. Vielleicht war auch bei diesem des Genueser Schlosses einmal die Innenfläche der Kuppel vergoldet; ich wenigstens kann mir, sei es nun, daß mir das Gesehene die Einbildung verstellt hat, oder daß es wirklich zur Natur dieser Kunst gehört, keine byzantinische Kuppel mehr anders als mit goldener Mosaik ausgeschmückt denken. Nirgends sah ich den Lorbeer in größeren, in schöneren und in duftenderen Büschen grünen als hier um diese Ruinen. Es ist als fühle er sich der Aufgabe bewußt, die Erinnerung einer ganzen Stadt zu bewahren. In dichten Hecken, in Laubgängen zieht er sich, daß man gedeckt und beschattet von ihm weite Strecken des Berges hinauf steigt; die Luft ist von dem balsamischen Wohlgeruche seines Blattes erfüllt. Die dichterische Bedeutung dieses Strauches hält man hoch, aber seine äußere Gestalt schätzt man nicht nach Gebühr. Mir ist er, was die Pinie unter den Bäumen, der liebste unter den Sträuchern. Mit seinen aufwärts gekehrten Zweigen, denen wiederum jedes einzelne Blatt insbesondere nachstrebt, hat er etwas Hilfeflehendes, etwas Bittendes, versinnbildlicht den Moment seiner Erschaffung und erinnert mich an das Bild einer mythologischen Gallerie, das meiner Jugendzeit vorgelegen hatte. Es war nur ein schlechtes Kupferwerk, und jeder einzelne Stich entstellt durch Zeichenfehler und durch jene Geschmackslosigkeit der Unwahrheit, welche zu Anfange dieses Jahrhunderts bei der Auffassung der Antike üblich war. Aber die spröde Daphne, welche, ermüdet von der langen Flucht, dem Himmel die Arme entgegenstreckt, flehend, daß er sie erlöse von dem zudringlichen Liebhaber oder ihre schöne Gestalt vernichte, und deren Finger Zweige wurden und Blätter zu treiben begannen, indessen die Füße wurzelten in dem Boden neben dem Flusse, aus dessen Wasser das Haupt des Vaters Penäus auftauchte: dieses Bild hatte so vieles von dem unverwüstlichen Grundelemente der Sage behalten, daß die Phantasie des Kindes dadurch für die ganze Lebenszeit bestochen wurde. Das Bild steht wie in meinem zehnten Jahre vor mir, und wie man mir nun auch künftig die Geschichte der Daphne erzählen mag, für mich wird sie immer in der Weise geschehen sein, wie ich sie in meiner Jugend gesehen, und der Lorbeer bekränzt mir, wie er es soll, die Vergangenheit. Wunder nimmt es mich übrigens, daß nicht auch der Meißel die Darstellung der Fabel versucht hat. Die hilfeflehende, ganz nach Aufwärts gerichtete Daphne: Blick, Hände und Mund den Gott suchend, wäre eine herrliche Aufgabe für den Bildhauer, und der Baum selbst hat schon etwas Statuarisches, das die Wege hätte weisen können. Durch Granatbäume, Feigen und Cypressen an einem Friedhofe vorüber, durch ein äußerst malerisches Dickicht stieg ich nach Anatoli Kawak, der heutigen Ortschaft, hinab. Im kühlen Schatten riesiger Platanen sind Hütten und allerlei Verkäufer geborgen. Sie haben sich hier um und zu dem Zwecke der Verköstigung der militärischen Besetzung gesammelt, welche die Batterien und die Befestigungen zu bedienen hat. Die ganze „heilige“ Mündung des Bosporus ist mit diesen Göttern des neunzehnten Jahrhunderts besetzt. Ich habe kein Urtheil, um zu behaupten, ob sie so, wie sie sind, im Stande sein werden, das Einlaufen ungebetenen Gästen zu wehren. Mit dem Boote, das ich mir hierher bestellt hatte, fuhr ich nach Bujuk-Dere zurück. Bujuk-Dere, den 8. Juli, Freitag. Von 5 Uhr bis 8 Uhr Abends ging ich auf den Felsen der europäischen Küste neben dem Bosporus dem schwarzen Meere entgegen. Wo das Meer, dort ist auch das Ziel meiner Sehnsucht. Ihm zu wandere ich leichter und frischer, und das nicht nur, wenn es weite Reisen gilt, auch bei jedem Spaziergange. Wolken umzogen den Himmel und trübten zugleich auch den Spiegel der hier am engsten eingeengten See. Den Pfad deckten mir schon die Schatten der Nacht; so war die Beleuchtung. Von unten herauf scholl das gleichmäßige, mir so verständliche Sprechen des Meeres. So wurde durch Licht und Töne meine Einbildungskraft mit Vorstellungen der Schaurigkeit und Düsterniß gefüllt. Nur in weiter Ferne spiegelte die Fluth einen Sonnenblick, und das war der einzige Lichtblick in meinen Phantasien voll Mord und Gewaltthaten. Es lag übrigens nicht blos in der Beleuchtung, der Ort an und für sich ist wie geschaffen zu Gräuelthaten, und wenn ich jemals einen Roman schriebe, der in diesen Gegenden spielte, auf diesem Küstenwege nach dem schwarzen Meere zu müßte die blutige Katastrophe geschehen. Ich kam an eine Stelle, weiter als die Ruinen des europäischen Schlosses der Byzantiner, das hier von der Höhe herab mit den Resten einer Mauer mündet, wo prächtige Cypressen stehen, eine darunter eine weibliche. In der sonst völligen Nacktheit der Gegend keimen sie wie Gottessegen einigen Gräbern zum Denkmale, die verfallen mit umgestürzten Grabsteinen darunter liegen. Ein paar türkische Frauen saßen darauf wort- und beinahe regungslos, auf ihre besondere Weise den türkischen Sonntag zu feiern. Ich setzte mich etwas seitab, um auch von hier aus meine gestrige Vermuthung an dem gegenüber liegenden Genueser Schlosse zu prüfen. Es ist klar, daß dort eine Stadt zu Grunde gegangen ist, und daß die weitgezogenen Mauern, die heute noch stehen, einmal viele tausende von Bürgern einschlossen. Auch in Ssaryjeri und Jeni Mahalla, den beiden nächsten Orten neben Bujuk-Dere, feierten die Leute den Abend. Vor ihren Häusern, auf den Gassen und Plätzen saßen sie rauchend und Kaffee trinkend, den Blick auf den Bosporus gewendet. Die beiden Dörfer sind beinahe ausschließlich von Armeniern bewohnt. Noch aus älterer Zeit der Eroberung sondert sich hier alles nach Nationalitäten ab, recht im Geiste des neuen Kampfprincipes der Gegenwart. Bujuk-Dere, 9. Juli. Der liebste Punkt aber zum Blicke auf den Bosporus ist mir Kiredsch Burun, das schwarze Vorgebirge, gegenüber von Bujuk-Dere. Es sperrt die Bucht, und um seine Ecke herum beginnt das Gebiet von Therapia. „Schlüssel des Pontus“ hieß ehemals diese Stelle, und dieser Name war schicklicher als ihr heutiger, denn es ist ihr hervorragendster Vorzug, daß, wer von Constantinopel gegen das schwarze Meer zu schifft, von hier aus zum ersten Male die freie See erblickt. Immer, zu welcher Tageszeit man auch komme, am meisten aber Abends, liegen Schiffe in der Mündung; gewöhnlich auch der Rauch einiger Dampfer, der in gewundenen Säulen aufwärts steigt. Rechts und links sperren die Felsen des Bosporus den Strom; wie Coulissen treten sie einer hinter dem andern vor. Rechts, auf der asiatischen Seite, zu vorderst und Kiredsch Burun gerade gegenüber, der Riesenberg mit seinen lichthältigen Kalksteinbrüchen; auf der europäischen Seite die grüne Wand des Kabatasch Dag, Bujuk-Dere mit seinen Villen in einer langen Zeile an dessen Fuße. Das Ganze gleicht einem Theater; die Bucht von Bujuk-Dere stellt die Bühne dar; Riesenberg, Genueser Schloß, Bujuk-Dere selbst und die übrigen Ausläufer der Ufer die Coulissen; das offene Meer die hinterste Courtine und die eilenden Wolken die Souffiten. Für den Beschauer von Kiredsch Burun aus scheint das asiatische Ufer des Bosporus mit dem Vorgebirge des Genueser Schlosses zu endigen. Was weiter draußen liegt von anderen Buchten und Vorgebirgen zieht sich hinter dieses mehr vorgestreckte zurück; dem Bilde, von diesem Standpunkte aus gesehen, erweist es damit einen Dienst. Es läßt sich kein schönerer Abschluß des Bosporus denken, als dieses Cap von Anatoli Kawak. Zu oberst das Schloß mit seinen zwei gewaltigen Thürmen, dann fällt der Hügel in einen Sattel ab, hebt sich zu einem neuen nur niedrigeren Höcker, und steigt von diesem gewellt, zuletzt steil hinab zur See; die Felsen, die überall aus ihm hervorspringen, sehen wie Ruinen aus und sind in dieser Entfernung von den wahrhaftigen nicht zu unterscheiden. Beinahe den ganzen Tag über erfreute ich mich an diesem Bilde. Links von Kiredsch Burun, in der Bucht, ist ein geheiligter Quell; große, riesige Bäume darüber, Platanen, Terebinthen und Ahorne. Ein Kaffeegi hat seine Wirthschaft dabei aufgeschlagen; dort setzte ich mich nieder, ein Werk Fallmerayer’s mit mir. Neben mir lagerte auf Teppichen und Matrazen, die sie mitgebracht, eine Gesellschaft vornehmer Türken; das Boot, welches sie hergeführt, lag unten auf den schaukelnden Wellen; Rauchen, Kaffeetrinken und Schauen in die freie Natur hinaus war die Vergnügung ihres ganzen Tages. So bereitet man sich hier, was wir einen guten Tag nennen. Nur ab und zu störte die allgemeine Schweigsamkeit ein Reiter, der zu Pferde oder Esel den Landweg von Therapia nach Bujuk-Dere ritt. Den Sonnenuntergang wollte ich von übersichtlicherem Standpunkte aus schauen, und so stieg ich Abends die Höhe hinter diesen Bäumen auf den Gipfel des „schwarzen Vorgebirges“ hinauf. Das Bild von dort aus gesehen gewinnt noch an Werth. Die Bucht erscheint größer, wie mit offenen Armen der Strömung des schwarzen Meeres aufgeschlossen; die rothen Felsen sind wie Bänder um die blaue Fluth gewunden, und das Meer, das noch die Sonne völlig festhielt, erschien wie ein Spiegel, der all’ dieser Schönheit zum Selbstgefallen vorgehalten wird. Geschwellte Segel, die der Nordwind schon draußen auf der offenen See weiter trieb, fuhren darüber. Kein Meer hat eine malerischere Pforte; wild und zerklüftet ist sie so recht ein Thor des Nordwindes, der hier ewig hereinfällt. Es hat etwas Geheimnißvolles dieses Thor eines so ungeheuren abgeschlossenen Meeres. Immer muß ich meine Phantasie ganz besonders anstrengen, um mir begreiflich zu machen, daß dieser schmale Einschnitt wirklich der Eingang dazu ist. Kiredsch Burun und die Hügel rings herum sind wie abgekehrt vom Nordwinde; nur langes Gras und vereinzelte Sträucher wachsen darauf. Fuad Pascha versuchte den Punkt zu civilisiren. Er wollte ein Dorf dort anlegen und ein paar Häuser sind noch übrig. Umsonst aber der Versuch; Niemand hielt die Unbilden des Nordwindes aus, der an warmen Tagen sehr angenehm, an aber nur etwas rauhen hier gleich den Charakter des verzehrenden Sturmes annimmt. 12. Juli. Aus dem Thale von Bujuk-Dere stieg ich heute den Kabatasch Dag hinauf. Er ist der höchste unter den Bergen, welche unmittelbar aus dem Bosporus aufragen und der einzige, welcher einen vollkommenen Ueberblick zugleich über die beiden Meere, das von Marmora und das schwarze, gewährt. Die Höhenrücken von Constantinopel, die Kuppeln und Minarete darauf, die weiße Linie der Caserne von Daud Pascha hinter den Mauern treten sehr bezeichnend in das Bild. Daneben, gegen Osten, sind sämmtliche Prinzeninseln, die ganze Kette der argantonischen Berge und sogar der bithynische Olymp sichtbar. Das schwarze Meer läßt nur Luft und Wasser sehen und die einförmige Horizontslinie, wo sich die beiden Elemente vereinigen. Die Windungen des Bosporus sind übersichtlich sichtbar; immer ein Vorgebirge, das in eine gegenüberliegende Bucht einspringt, so daß man deutlich die Weise erkennt, wie sich das Wasser den Weg durch das widerspänstige Element gebahnt hat. Es ist ein stolzer Blick, so die beiden Meere verbunden zu sehen, wie eine Illustration zu der Handelsgeschichte, die von der fortwährenden und von der Jahrtausende alten Bedeutung dieser Meere für das Werden und Gedeihen der Menschheit erzählt. Keine andere Stelle der Welt, wie hoch und umschauend auch ihre Höhe sein mag, bietet einen herrlicheren und erhebenderen Ausblick. Kiepert gibt auf seiner Karte des Bosporus die Höhe des Kabatasch Dag mit 770 Pariser Fuß, was mit dem Maße von 250 Meter übereinstimmt, das ich an anderen Orten verzeichnet fand. Der Stein, der zu Tage tritt, ist meistens ein weißer Kalkstein, an einzelnen Stellen von Eisen roth gefärbt, ähnlich dem gegenüber an den Steinbrüchen des Riesenberges, eine Höhe, die eben von dieser nur durch den Durchbruch des Bosporus getrennt worden ist. Doch ist auch Thonschiefer sichtbar, dunkelgrau wie der von Kiredsch Burun. Die Vegetation ist außer an dem Saume, wo die Gärten von Bujuk-Dere liegen, auf der Seite, wo ich heute hinaufstieg, meistens eine dürftige, niedrige, oben sogar beinahe alles nackt lassende. Es ist, als habe auch dort wie drüben in Kiredsch Burun der Wind alles ausgerottet. Das größte, was ich auf dem Abhange fand, waren Sträuche von Steineiche (~quercus ilex~); viel Arbutus; an Blumen auch hier das Johanniskraut (~Hypercium calycinum~) in überreichlicher und in prachtvoller Blüthe. Aus der Kuppe blühten nur ganz kleine Kräuter, ~Stachys lanala~, eine wollige Gattung Roßmünze, ~centaureum calcitrapa~, Tausendguldenkraut und ~filago arvensis~. Alles andere war kahler Fels. Heftiger Sturm wehte oben, so daß ich Mühe hatte, mich aufrecht zu erhalten, und mich an einzelnen Stellen hinter die Felsen drücken mußte, um nicht den Abhang hinabgeschleudert zu werden. Nach beiden Seiten geht es steil in den Abgrund. Dieser heftige und fortwährende Wind, der erkältet aus den Steppen Rußlands kömmt und auf dem schwarzen Meere noch mehr abgekühlt wird, läßt es auch allein zu, daß ich solche Promenaden wie die heutige in den Mittagsstunden eines Julitages machen kann, und das unter dem Breitegrade von Rom. In Deutschland wäre es mit bedeutendem Ungemache verbunden, und hier thue ich es zu meinem Vergnügen. Die Luft ist hier niemals trocken heiß, niemals lastend, immer, auch in ihren wärmsten Stunden, leicht bewegt, wie angefächelt und selbst wieder kühlend. Zwischen Constantinopel und hier ist immer ein Unterschied von einigen Graden Réaumur, um die das Thermometer dort höher steht. Der Südwind, der die Athmung so sehr belästigt, reicht in seiner Wirkung in den Bosporus nicht weiter als bis Jeni-Köi; dort kann man oft das sonderbare Schauspiel beobachten, nebeneinander nordwärts und südwärts geblähte Segel zu sehen, bis sie sich auf einer Demarcationslinie begegnen, wo dann die Leinwand schlaff zusammenfällt und von den Schiffern zu dem ursprünglich angestrebten Ziele nicht mehr benutzt werden kann. 13. Juli. Die andere Seite des Kabatasch Dag, die Bujuk-Dere entgegengesetzte, dem schwarzen Meere zu liegende, fällt in das Thal von Kastanjesu (Kastanienquelle) ab. Durch die Gärten des russischen Palais und des Baron Hübsch stieg ich von Bujuk-Dere die Höhe des Berges hinauf und auf der anderen Seite von oben in das Thal hinab, so daß ich es zuerst in seiner ganzen Ausdehnung übersah. Schlucht müßte man es nennen, wenn man es mit Worten deutlich zeichnen wollte, so nahe stehen sich seine Wände und so schmal ist sein Bett. Ein paar Bauern bestellten unten das Feld. Die rothe Erde war von dem Lichte des Sonnenunterganges noch blutiger gefärbt. Die einzelnen Aecker sind durch Hecken von Feigen- und Granatbäumen geschieden. Was aber das charakteristische Zeichen und wohl auch der Hauptreiz dieses Thales ist, das ist der Contrast seiner Wände, die auf der einen Seite, wo der Kabatasch Dag sich hinabsenkt, überaus bewachsen; auf der anderen so kahl und dürre sind, daß dort nicht einmal Moos die Farbe der Steine verkleidet. Es sind das die Kupferbergwerke von Ssaryjeri, die einstmals stark ausgebeutet, heute kaum mehr benutzt werden. Die Hügel sind auch von außen von dem Schwefel gelb, von dem Eisen roth, und von dem Kupfer jenes wunderschönen Himmelblau’s gefärbt, das den Türkis so sehr auszeichnet. Das Ganze gleicht einer jener sonderbaren Landschaften, die aus Email geformt, in Schmuckcabineten gezeigt werden. Sonderbar wie die Farbe ist auch die Formation des Bodens, es sind lauter Blasen, die neben einander aufgestiegen sind, dazwischen fließt ein langer gelblicher Streifen Erde hinab, die aus dem Bergwerke herausgeschafft wurde. Dieser Wand gegenüber steht der Kabatasch Dag, grün und bewachsen, als sei er einer der schönsten Gärten des Bosporus. Arbutus und Lorbeer sind bis zu Bäumen emporgeschossen. Am üppigsten ist auch hier die Fruchtbarkeit in den Gräben, die das Wasser von oben herab in die Bergwände gezogen hat. An einzelnen Stellen ragen große Kalksteinblöcke aus dem Erdreiche hervor, die das Wasser rein gewaschen hat; sie gleichen jenen Burgenresten, die wie Vogelnester an den Bergen des Rheins und des Neckars kleben. Das Grün hängt in dichten Schleiern über sie und stürzt in breiten Fällen zu Thale. Durch diese Schluchten stieg ich abwärts, die Burgen und die Wasserfälle neben und über mir. Ziemlich unten im Thale ist der Quell, den sie das Kastanienwasser heißen. Versteckt und geborgen durch allerlei dichte Bäume, ist der schönste und der edelste darunter ein mächtiger Kirschlorbeer (~prunus laurocerasus~). Das Blatt ist dick und fest wie Leder, länglich, groß und von einem prächtigen Dunkelgrün, wie es kein anderer Baum hat; der Zweige sind nur wenige, aber diese sind groß und hoch, und auch wie die des gewöhnlichen Lorbeers hilfeflehend nach aufwärts gestreckt. Das Wasser ist milde, so recht wie es der Orientale liebt, aber für meinen rauhen Geschmack zu weich. Ein Türke reichte mir mit artiger Sitte den Kaffee, und ein Gespräch, das sich darauf mit ihm entspann, zeigte mir wieder, wie diesem Volke die Unwissenheit kein Hinderniß zu verständigem Urtheilen ist. Auf dem Rückwege passirte ich das Dorf Ssaryjeri; es ist das Thor in dieses Thal. Ein Friedhof mit hohen Cypressen liegt schon dahinter und in dem Thalbette. In den Gärten, durch die ich schritt, blüht eben die Myrthe (~myrtus communis~) und ein wunderschöner Acazienbaum (~acacia julibrissin~), was sie hier mit Festhaltung der Wortlaute Gülbersüm übersetzen. Seine Blüthen sind rosenfarbene Staubbüschel, die die Zweige über und über bedecken. Der Baum ist so schön, daß er eigentlich nur dem Paradiesvogel zur Herberge dienen sollte. Den 14. Juli. Um fünf Uhr Morgens im Kaïk nach Rumili Kawak. Es ist das Schloß der Türken, welches sie im Anfange des 17. Jahrhunderts unten auf dem europäischen Gestade, dem Schlosse von Asien gegenüber, bauten. Ein Dorf, Casernen und Batterien haben sich seitdem darum gesammelt. Prächtige Platanen keimen dazwischen, beschatten einen kleinen Platz, einen kühlen Brunnen und die Schankstätte eines Kaffeegi. Ich ruhte auf dem Rückwege eine Weile dort, erschöpft und ermüdet von dem weiten Gange, und daß ich ein Glas um das andere von dem köstlichen Wasser begehrte, ließ die Leute noch freundlicher als gewöhnlich sein. Die Mauern und Thürme des Schlosses, obgleich verhältnißmäßig jung, sehen altersgrau und gebleicht aus. Schlechte Bauart scheint das Meiste zu diesem raschen Verfalle gethan zu haben. Wie auch Ssaryjeri, steht dieser Ort auf der Mündung eines engen Thales an dem Saume des Bosporus. Die übrige Küste ist hier so steil, die Berge fallen so plötzlich in die See ab, daß sich nicht mehr, wie weiter südwärts gegen Constantinopel zu, die Menschen in fortwährender Reihenfolge darauf ansiedeln konnten. Ich ging von Rumili Kawak in das Thal hinein, das, wie alle diese Schluchten, ein kleines Bächlein zum Meere leitet. Auf seinem linken Ufer schreitend, hatte ich es bald tief unter mir. Felder ziehen sich die Abhänge hinauf; einzelne Bauern arbeiteten darauf. Dann aber verlor ich den Weg; Arbutus und anderes Gestrüppe, darunter auch dorniges, umgaben mich. Ich wollte auf der kürzesten Linie aufwärts, vergebens; ich sah zwar mein Ziel vor mir, aber der Durchgang war undurchdringlich. Es sind nicht die Riesen, die kleinen Geister stellen sich uns meistens am hinderndsten in den Weg. Tannen hätten mich durchgelassen, diese Zwerge zwangen mich, den ganzen Weg, den ich gekommen, zwei Stunden lang, wieder zurück zu machen. Erst von Rumili Kawak fand ich den richtigen, gleich rechts von dem Dorfe, unmittelbar aufwärts zu dem älteren Schlosse der Byzantiner, welches ich suchte. Duftige Hecken säumen den Steig ein; die Sonne brannte glühend. Oben fand ich gestürzte Mauern und nur drei Gewölbebogen, die der Sturm der Zeit aufrecht ließ. Die Mauern, meistens nur mehr wenige Fuße hoch, sind schön gefügt und so sorgsam gebaut, daß die herabgestürzten Blöcke fest zusammengehalten, nicht als seien sie mit Mörtel von Menschenhand zusammengeleimt, sondern durch die Triebkraft der Natur zusammengewachsen. Weithin über das ganze Plateau und den Berg hinab sind die Ruinen zerstreut. Lorbeer wächst dazwischen und darum in hohen versteckenden Büschen. Einer hat sich in die Wölbung einer herabgestürzten Kuppel eingenistet. Er sitzt darin wie in einem Blumentopfe: der Ruhm, der aus dem Moder der Vergangenheit sein Leben nimmt. Sonderbar immerhin ist dieses wie bedachtsame Schaffen der Natur, das um Ruinen und um Gräber den meisten Lorbeer wachsen läßt. Ich fand keine andere Stelle dieser Küsten reicher mit diesem Strauche gesegnet, als die der alten Byzantiner Schlösser drüben in Asien und hier in Europa. Solche Erscheinungen machen es erklärlich, warum gerade dieser Baum der Liebling des Dichtergottes Apollo ward. Gräber und Ruinen waren es ja zu allen Zeiten, die die Dichter besonders liebten und durch ihre Gesänge ehrten. Die Akropole dieser Befestigung stand auch einmal, wie drüben in Anatolien, hier oben auf der Höhe der Küste. Von ihr zog sich die Ansiedlung zum Ufer hinab. Die Umfassungsmauer steht heute noch fortlaufend bis zum untersten Rande in ihren emportauchenden Fundamenten. In die Burg flüchteten sich dann die Bewohner der Ortschaft, wenn Ueberfälle von der See aus sie bedrohten. In ähnlicher Weise wird damals der ganze Bosporus bewohnt gewesen sein; freie offene Dörfer, oder gar abgetrennte Villen wie heute können in einer Zeit nicht möglich gewesen sein, als auch der stärkste Arm nicht die Waffe hatte, rohen ungezähmten Völkern, wie sie die Ufer des schwarzen Meeres beherbergten, den Einfall zu wehren. Denn die Kette, die bereit gehalten wurde, von hier aus nach Asien hinüber den Eingang zu sperren, konnte nicht immer so rasch gespannt werden, als es die Ruderschiffe der scythischen Russen waren. Manches Synope der byzantinischen Kräfte ist hier schon erlitten worden. Erst die gewechselte Kriegskunst, die durch immer bereite, rasch abgefeuerte und weittragende Geschosse die Städte und Länder vertheidigt, gestattete auch hier eine freiere Lebens- und Bauweise. Die Batterien, die heute unten auf dem Strande stehen, sprechen freilich noch immer dieselbe Sprache der orientalischen Frage wie die Ruinen oben auf dem Berge, die mir in dichterischen Lauten von einem Ueberfalle des noch unbekehrten Ruriksohnes Igor lispelten, der mit 2000 Booten den purpurgebornen Constantin aus seinen Studien weckte und ihm die Hauptstadt und die Umgebung in Blut taufte. Nahe dem Schlosse fand ich einen riesigen Quarzblock mit eingesprengtem Eisen zu Tage liegen; das Eisen so geschmolzen, daß es wie Schlacken einer Fabrik aussah. Das können nur Ueberbleibsel einer verhältnißmäßig jungen vulkanischen Thätigkeit sein. Auch Jaspis, Schwefel, die ich später fand, machen dieses Phänomen wahrscheinlich. Das Land ringsherum ist öde und unbewachsen; es liegt 600 Fuße hoch über dem Meere, eine nur leicht gewellte Ebene. Wege nach Kilia, nach Fanaraki (dem Leuchtthurm von Europa) und ein näherer nach Karybsche Kalessi, einer Batterie auf dem letzten Vorgebirge, ehe sich der Bosporus in das Meer weitet, führen darüber. Ich ging weiter zu einem Thurme, der schon drüben von Asien her meine Neugierde erregt hatte, und der auch heute das eigentliche Ziel meines Planes war. Hammer nennt ihn ~Turris Timaea~ und behauptet, daß es derselbe sei, welchen Dionysius beschreibt. Die Byzantiner hätten ihn als Leuchte benützt, und von dort aus mit Fackeln den Schiffern Leitung und Warnung gegeben. Hammer muß auch ihn nicht in der Nähe gesehen haben. Der Thurm ist rund, hat 87 Fuße im Umfange, ein niederes Holzdach deckt ihn; sein Mauerwerk ist ein elendes, sogar die Byzantiner können das nicht gebaut haben. Es muß später und wohl türkisches Handwerk sein. Mehr als eine Warte, ein „Lug ins Meer“ wird der Thurm wohl auch nie gewesen sein. Der Stall einer Heerde ist nebenbei; Hirte und Schafe waren nirgends zu sehen, alles herum leer und verlassen. Hundert Schritte weiter von dem Thurme sah ich die ganze Fläche des schwarzen Meeres zu meinen Füßen ausgebreitet; ein riesiges Bild, wie ich kein Meer je größer gesehen habe, und zugleich der weiteste Blick in den Osten. Das Festland und die Berge ziehen sich gleich Anfangs beim Austritte des Bosporus in die See auf beiden Seiten in gerade Linien zurück, nicht busenförmig, wie sonst die Ufer dem Meere geöffnet sind. Himmel und Meer sind daher gleich das Einzige, was das Auge sieht, und seine Grenze der langgezogene Horizont, wo sich beide vereinigen. Die Sonne hatte viel Dünste auf das Wasser gelagert, es blendete, und der Ueberfluß an Licht löschte die Farben. Alles war goldig und glänzend, seltener Weise nirgends ein Schiff, auch nicht einmal ein Remorqueur, die allenfalls ankommenden zu erwarten. Neben und hinter mir sah ich hinab auf die Windungen und Buchten des Bosporus und über die Berge weg bis nach Stambul. Ich habe an keiner Stelle mehr als an dieser das Nahen und Sichaufthun einer neuen Welt empfunden, keine hat aber auch eine kleinere und unmerklichere Pforte als diese des Bosporus, und eben darum ist der Blick auf das große Feld des schwarzen Meeres so überraschend, so eindrucksvoll. Man sieht auf den Karten den Pontus Euxinus so eingerahmt, so umschlossen, daß man sich nun diese unbändige Endlosigkeit gar nicht in seine Vorstellungen einpassen kann. Noch immer kostet es mir Mühe, mir zu erklären, daß diese schmale Spalte, die sich das Wasser zwischen Asien und Europa gegraben, wirklich den Eingang zu einem anderen Meere bilde und daß dieses groß und mächtig sei. So steht der Mensch verwirrt und betäubt vor neuen Wahrheiten, so die ganze Menschheit ungläubig vor neuen Lehren, und so der hinübergegangene Geist wohl auch einmal vor den Geheimnissen der Ewigkeit. Es hat eben jede Vorstellung ihr Amerika, das erst entdeckt sein will. Auf dem Rückwege legte ich mich unter einem Feigenbaume nieder. Meine Wanderung hatte Stunden, beinahe den ganzen Tag gedauert. Ich war müde und schlief ein. Als ich erwachte, fand ich neben mir unter anderen Büschen zwei Soldaten der türkischen Marine gelagert. Man hatte mich in letzter Zeit gewarnt, meine Spaziergänge nicht allein, und wenn ich das durchaus nicht anders wolle, wenigstens nicht unbewaffnet zu machen. Gerade diese Burschen der Flotte hatte man mir als die gefährlichsten, als die raub- und mordlustigsten geschildert. Natürlich fielen mir bei dem Anblicke meiner Lagergenossen diese Warnungen ein; ich entdeckte auch gleich in ihren Blicken und in ihren Gesten einiges Verdächtige, das sich sichtlich mit mir beschäftigte. Mein Schicksal hielt ich für entschieden; die wenigen Piaster in meiner Tasche, die Uhr und die goldene Kette, vielleicht mein Leben selbst für verloren. Schon machte ich mir Vorwürfe, daß ich nicht mehr an Geldeswerth zu mir gesteckt, das Leben mir damit zu erkaufen, als der eine aufstand, in die Büsche hinter mir ging und dort verschwand. Ha! dachte ich, der Plan ist vorsichtig, ich soll in dem Rücken gefaßt und mir zugleich die Flucht abgeschnitten werden. Den Widerstand hielt ich für nutzlos; einer gegen zwei, und die einzige Waffe dieses Hilflosen, ein weißer Sonnenschirm, mußten erliegen. Die Kerle hatten weiße Leinwandhosen an, die roth eingefaßt waren, und eben solche Jacken; auf dem Kopfe trugen sie das Fezz. Da kam der eine der Mörder, der, welcher aufgestanden und in die Büsche verschwunden war, von rechts herüber und auf mich zu. Er ging vorsichtig und langsam, in den Händen trug er etwas, das er mir darreichte; es war ein Lederbecher, gefüllt mit Wasser. Meinem Gesichte hatten sie die Ermattung angesehen, und da sie von früheren Wanderungen eine versteckte Quelle kannten, was im Oriente immer als der besondere Schatz einer Gegend gilt, so dachten sie, damit mich aufzurichten. Das war das einzige Attentat, das sie auf mich machten, und als ich das Wasser getrunken und es mit einem Trinkgelde vergelten wollte, wiesen sie die Münze mit dem Bedeuten zurück, daß man des Herrgottes freie Gaben sich nicht bezahlen lassen dürfe. Um etwas Anderes baten sie: daß ich ihnen erlaube, mein Skizzenbuch anzuschauen. Und so sind alle Erfahrungen, die ich hier mache: eine um die andere entgegen den Behauptungen, welche gewöhnlich erzählt werden. Bujuk-Dere, 17. Juli. Ein Engländer, der die ganze Erde bereist hatte, nannte, da er vom schwarzen Meere gegen Constantinopel kam, den Bosporus die schönste Straße der Welt und siedelte, weil er behauptete, der nähere Augenschein müsse diesen aus der Ferne geschöpften Eindruck zerstören, von einem auf den andern Dampfer über, um auf- und abgehend Constantinopel zu sehen. Der Mann hatte Unrecht. Wer nur die Schönheit in etwas anderem versteht, als in seinen vorgefaßten Meinungen, der wird auch hier in der Nähe noch manches Reizende sehen. So ist neben der Natur, die verschwenderisch ihre Gaben ausgeschüttet, auch die Kunst nicht unthätig geblieben. In den Gartenanlagen hat sie Wunderwerke geschaffen, die von keinen andern auf irgend einem Ufer übertroffen werden. Beinahe ununterbrochen von Constantinopel bis zu den rauhen Vorgebirgen des schwarzen Meeres ziehen sie sich zu beiden Seiten des Bosporus. Landhäuser, Köschke sind dazwischen gepflanzt, zuweilen einzeln, meistens aber in dichten Gruppen gesammelt, so daß sie ein ganzes Dorf (Köi) bilden. Es ist, als ob sich die Stadt ins Endlose fortsetze. Diese Gärten sind nach zwei Arten angelegt; entweder unten am Saume des Meeres nur als eine schmale Terrasse, oder in weiterer Ausdehnung parkartig die Hügel hinauf; immer aber steht das Landhaus (Jalli) hart am Wasser, die ganze Ausschau den Bosporus hinauf und hinunter und den ersten Anprall der Kühle zu genießen. Der Werth solcher Besitzungen, besonders der der letzteren Art, welche so viel Terrain einschließen, steigt bis auf einige Millionen Piaster. Ali Pascha hat z. B. die seinige bei Bebek, wo er kürzlich das prächtige Sultansfest gab, zu diesem ungeheueren Preise angekauft. Ich besuchte heute zwei Gärten, je einen nach diesen verschiedenen Anlagearten; das Landhaus eines griechischen Großen, des Logotheten Aristarchi in Jeni Köi, und das Jalli des türkischen Großveziers Fuad Pascha in Kandlische. An beiden Orten wurde ich mit außerordentlicher Artigkeit empfangen. Bei dem Griechen waren nur Frauen zu Hause; sie geleiteten mich durch den Garten, der zu beiden Seiten des Hauses mit blühenden Büschen, mit Blumen und seltenen Bäumen gefüllt ist. Das Schönste darin sind riesige Magnolienbäume mit Blumen bedeckt. Bei uns erhebt sich diese Pflanze, die Villa Carlotta am Comersee ausgenommen, nicht über die Höhe eines Strauches, und blüht im Frühjahre, wenn die Zweige noch kahl sind; hier schimmern jetzt schon und von haushohen Stämmen die großen weißen Tulpen aus dem Dickicht der großen lederartigen Blätter hervor, und ihre langen gelben Staubfäden verbreiten einen Duft bis weit auf das Meer hinaus. Das ist das Verdienstliche der Vegetation des Bosporus, daß sie immer noch das uns Bekannte, aber vergrößert in’s Zwei- und Dreifache sehen läßt. Mit Leitern mußten hier die Blumensträuße gebrochen werden, die mir die Frauen zum Abschiede gaben. Gegenüber, auf der Küste von Asien, liegt das Jalli des Großveziers. Das hat eine der Gartenanlagen, die sich in weiter Ausdehnung den Berg, der dahinter liegt, hinaufzieht. Das Haus ist prächtig eingerichtet und geräumig. In dem Garten fiel mir das Bemühen auf, Pflanzen zu erziehen, die im Grunde diesen Klimaten fremd sind; die Fichte ist neben die Palme und die Tanne neben die Cypresse gestellt. Sie wollen auch hier also wieder, was sie nicht haben und weiter schweifen in die Ferne. Ueberhaupt hat die ganze Gartenanlage viel Europäisches. Verschlungene Wege, Rasenplätze, die trotz allen Begießens nicht gedeihen, versteckte Seen und andere Liebhabereien der englischen Parkanlagen. Was sie Eigenthümliches hat und was jene englischen Phantasien mit allem Nachahmen der Natur nicht erschaffen, das ist dieser Blick in die reizendste Ferne der Welt. Wo man auch steht, auf welcher Terrasse oder in welchem Dickicht, überall fällt das Auge, gezogen durch den glitzernden Sonnenschein, auf den blauen Spiegel des Bosporus, auf die bunten Berge und die breite Bucht von Bejkos. In Tschibukly, einem lauschigen Dickicht der Ufer dieser Bucht, brachte ich den Rest des Abends zu. Aus den grünen Wäldern des Alem Dag kömmt dort ein süßes Wasser dem Bosporus zu. Wie gewöhnlich decken seine Mündung große schattige Bäume, riesige Platanen darunter. Unter ihnen sammelt sich das Wasser in einem viereckigen, in Steinen gefaßten Becken. Griechen, Türken, Armenier saßen darum und, was dem Bilde am meisten Farbe gab, eine Menge türkischer Frauen mit ihren Kindern; die bunten Trachten leuchteten in dem Dunkel der Bäume gar auffällig. Obst-Zuckerwerkverkäufer boten auf ihren dreifüßigen Tischen ihre süßen Waaren aus; Andere trugen Wasser, Malebi, Gefrorenes herum; ein Kaffeegi war auch dort, und eine armenische Musikbande im Dienste eines Vornehmen erheiterte ihren Herrn und die Menge. Ganz anders war die Art, wie diese ihr Vergnügen kund gab, still und zuhorchend, nicht schreiend, lärmend und streitend, wie es bei uns geschieht, wenn die Fiedel streicht. Die Instrumente waren zwei einsaitige Geigen, eine Flöte, die Tarabuka und als wichtigste Klangwirkung ein ganz eigenthümlich gestaltetes ziemlich großes Hackbret. Die Melodie, die sie spielten, erinnerte mich wieder an die Weisen der Ungarn, und ich behaupte, daß Musik und Poesie mehr als alles Andere den Zusammenhang der Völker verrathen. Unter die Kinder vertheilte ich Zuckerwerk. Zuerst erstaunt und verlegen, holten sie sich erst die Erlaubniß ihrer Mütter, es anzunehmen. Als diese mit zuwinkenden Blicken ihnen ward, drängten sie sich zu, und die freundlichen, dicken, runden Gesichter waren nun die Vertraulichkeit selbst. Es gibt nichts lieblicheres, als türkische Kindergesichter; wie die Modelle der musicirenden Engelsknaben auf den heiligen Conversationen des Bellini sehen alle aus. Zwischen all’ dem fiel das Auge immer wieder auf die glitzernde Fläche des Bosporus, wo ein Segel um das andere leise vorbeizog und große und kleine Dampfer rauschend das Wasser aufwühlten. Zuletzt ging die Sonne unter und ließ die weißen Felsen von Chunkiar Iskelessi und das Schloß der ägyptischen Prinzessin, das dort steht, wie in einem Brande auflodern. So erquicklich und so friedlich vergeht hier ein Sonntag; nichts von Berauschten, von Wein und Bier, und von Rohheit wie daheim in der gebildeten Heimath. Bujuk-Dere, den 19. Juli. Niemand wird auf dem Bosporus fahren, ohne zu fragen, wie dieser Strom entstanden, was im Laufe der Zeit die Verbindung zwischen dem schwarzen Meere, dem von Marmora und dem Mittelländischen hergestellt habe. So sonderbar ist diese Bildung, daß diese Frage beinahe eine unausweichliche genannt werden kann. Auch das Auge des ungeübtesten Laien in der Geologie sieht, daß hier etwas Ungewöhnliches zu Tage liegt, und begreift, daß es so nicht von allem Uranfange an gewesen sein könne. Zu vergleichen ist es nur den Erscheinungen, die in den Alpen vorkommen, wenn sich ein tüchtiges Bächlein oder ein schon Fluß gewordenes Wasser in zwei, drei Thalniederungen plötzlich für einige Zeit heimisch niederläßt; wie z. B. die Aar in dem Brienzer- und Thunersee, die Traun in den drei Grundelseen, dem von Hallstadt und später dem von Gmunden. Die drei Meere liegen hier ähnlich nebeneinander und ähnlich wie dort durch Flußbetten verbunden. Und wer heute die Bildung eines Flußbettes beobachtet, der wird im Werden dieselben Formationen sehen, die hier gehärtet und gealtert in festen Formen vor ihm stehen. Wenn an einem Meere mit weithin ausgestreckten sandigen Ufern die Fluth schwillt und das Wasser von einer Sandgrube zur andern strömt, oder wenn Kinder an einem Bächlein mit reißendem Gefälle ein Loch in die Ufer bohren, um das Wasser in irgend eine neben liegende Pfütze zu leiten, dann sehen wir es dahin nicht auf gradem Wege, sondern im Zickzack mit den sonderbarsten Biegungen und Willkürlichkeiten schweifen; wie in dem Thun des Menschen wird das kleinste Hinderniß die Ursache für das Abweichen von dem erstgemeinten Ziele. Eine solche Bahn der Willkür hat auch das schwarze Meer bei seinem Ausbruche in die Tiefenthäler des weißen verfolgt. Die Erfahrung hat auch ihm gelehrt, daß es besser sei, ausweichend an den Vorgebirgen vorüber und in die ruhigen Buchten hinein zu gleiten, als auf den geraden Wegen der Schulmeisterweisheit den Kopf an dem allzuharten Gestein sich zu zerstoßen. Unter allen Vermuthungen, die über die Bildung des Bosporus aufgestellt worden sind, erscheint mir als die wahrscheinlichste diejenige, welche ehemals das schwarze Meer an dieser Stelle durch einen Vulkan geschlossen und diesen Vulkan durch eine Eruption zertrümmert, das Meer dadurch geöffnet sein läßt. Noch zeigt das ganze Dreieck der europäischen Küste, das Vorgebirge von Ssaryjeri bis nach Kilia hin die Spuren feuriger Thätigkeit; die Erdoberfläche ist dürr und nackt, kaum von niederem Gestrüpp und Grase überwachsen; meistens liegen Basalte, Eisensteine und Schlacken von so junger Bildung offen zu Tage, daß man an ehemalige Fabriken glauben könnte. Jung nenne ich diese Producte im Verhältnisse zu dem großen Maßstabe der Natur, denn unser Alter ist ja weniger als eine Secunde in dem Leben der Welt. Will man diese Hypothese mit dem Allzuwenig der Spuren widerlegen, die von jenem ehemaligen Thorschlusse des schwarzen Meeres nur noch übrig sind, so verweise ich auf die außerordentliche Demolirungskunst der Natur. Nicht nur das Erschaffen, auch das Zerstören ist ihre berufsmäßige Aufgabe; aus dem Einen geht das Andere hervor, und so nicht blos bei den Wesen die wir lebendige nennen, bei den Thieren und bei den Menschen, auch bei den unbelebten Pflanzen und noch mehr vielleicht, nur weniger beobachtet und verstanden, bei den Steinen und Felsen, bei den Bergen und bei der ganzen morschen Erdkruste. Die ganze Natur ist in einem fortwährenden Zerstörungsprocesse begriffen; die Berge kommen zu Thale und die Ebene baut sich wieder zu Bergen auf. Wer daran zweifelt, der soll sich im Thale von Chamouny davon überzeugen; die Aiguilles, die Nadeln, die den Hauptreiz jener Gegend ausmachen, sind nichts als zertrümmerte Montblancs. Ursprünglich waren sie Dome, wie der des Gouté und der des Hauptstockes heute noch; zuerst schmolz ihnen der Gletscher ab und dann zerbröckelte sie der Zahn der Zeit, der Regen und das Unwetter. Aehnliche Gebilde, nur nicht so himmelstürmerisch wie jene der Alpen, zeigen hier die Küsten des Bosporus bei seinen Mündungen in die beiden größeren vorliegenden Meere: die Prinzen-Inseln und die Cyaneen, die beiden Inselgruppen, die wie durch bedachtes Schaffen der Natur symmetrisch vor die Eingänge dieses Länder und Meere verbindenden Stromes gesetzt sind; die einen, die Prinzen-Inseln, mehr zur Rechten vor das Vorgebirge von Asien, die anderen, die Cyaneen, mehr links vor das Ufer von Europa geschoben. Man kann die einzelnen Felsengipfel, wie sie dem Wanderer auf der weiten Fläche des Meeres als Vorläufer des Festlandes erscheinen, den Obelisken vergleichen, die die Aegyptier als stimmungsvoll vorbereitende Herolde vor die Pylonen ihrer Tempel stellten. Heute Nachmittags 4 Uhr schiffte ich hinaus in das schwarze Meer, um auch die bläulichen Eilande der Fabel -- wie ich die rothen der Propontis schon gesehen hatte -- in der Nähe zu besehen. Nach 1½stündiger Fahrt legte das Kaïk an ihren Felsen an; das europäische Ufer, dem wir uns besonders nahe hielten, hat schon lange vorher solche wilde basaltische Formen. Einzelne Felsen ragen daraus hervor, spitz und thurmartig, als sollten sie Denksäulen vorstellen, welche der Fahrt und den Sagen der Argonauten errichtet worden sind. Die Steine liegen schichtenweise übereinander, sichtbar gehoben, dunkelblauer Basalt und rothes Eisen wie in geschmolzenen Massen, graugrüne Ockererde als verbindender Mörtel dazwischen. An einer Stelle sieht es aus, als rinne die flüssige Lava eben erst aus dem Felsen über den Strand in die Fluth. Allerlei Vögel, mit denen der Bosporus reichlich bevölkert ist, nisten in den Höhlen. Es ist ein absonderlicher, mit nichts zu vergleichender Anblick dieser Küsten, den man so bald gewiß nicht vergessen wird. Die Cyaneen sind weit höher als ich sie mir vorgestellt. Hammer behauptet sie nur eine Klafter über dem Meere erhaben. Das zeigt, daß er sie nicht einmal von den umliegenden Höhen gesehen, viel weniger an Ort und Stelle gemessen haben kann. Sie sind wenigstens 150 Fuß hoch. Ich sehe nur zwei, nicht fünf inselartige Felsen, wie sie Andere beschreiben. Was sonst herumgestreut liegt, erscheint mir als nicht zu zählender Abfall von den beiden Hauptstämmen, und diese wieder halte ich nur für Ueberbleibsel der ehemaligen Küste. Einmal trat diese mit einem Vorgebirge bis hierher und vielleicht auch noch weiter in den Pontus vor. Seitdem hat dessen ewig stürmende Wellenmasse sich zwischen ihnen und dem Festlande, und sodann auch wieder zwischen den einzelnen Felsen selbst durchgewaschen. Man muß, selbst an ruhigen Tagen, gesehen haben, welchen Sturm und Drang das Wasser hier fortwährend übt, und welche Mühe es macht, an diesen Ufern zu landen, um an solche Zerstörung glauben zu können. Die beiden Felsen sind immer noch, wie sehr auch das Unwetter daran genagt, ziemlich gleich hoch mit der Küste des Festlandes. Das Wasser löst und bröckelt an den großen wie an den kleinen, die herumgestreut liegen; das Erdreich kömmt ihm hierbei außerordentlich zu statten. Es sind, wie ich schon vorher bei der Vorüberfahrt an der Küste bemerkt, schwarzblaue Basalte von metallischem Glanze, zusammengeknetet durch lehmige Erde; nirgends ein größerer Block von widerstandsfähiger Kraft. Ich stieg auf den obersten Gipfel; die Hände müssen den Füßen helfen, aber schwierig, wie sie in vielen Reisebeschreibungen geschildert, finde ich die Besteigung doch nicht. Oben steht ein Altar aus weißem Marmor; Kränze, die von Stierköpfen gehalten werden, sind der Schmuck, der darum gemeißelt. Oben auf der Fläche sind vier faustgroße Löcher eingehauen, offenbar um die Füße des metallenen Opfergefäßes festzuhalten. Unter dem Altar ist der Boden ungleich, so daß ich mit der Hand darunter durchgreifen kann. Ueberhaupt ist er wenig mit dem Boden verwachsen; das gibt mir doch Zweifel an dem Alter der Aufstellung, das behauptet wird. Der Fels ist mit rothgelbem verbrannten Moose überzogen; einiges Schilf, ~Arundo donax~, wurzelt in den Spalten. Der Blick umfaßt weithin Meer und Land. Gerade gegenüber, auf der europäischen Küste, steht der Leuchtthurm und eine ansehnliche Ortschaft. Die asiatische Küste tritt gleich hinter ihrem Vorgebirge in eine Bucht zurück; der Leuchtthurm dort, die Batterien und Häuser von Poiras sind das letzte, was man sieht. Der Bosporus erscheint diesem Standpunkte wie geschlossen. Wer seinen Eingang nicht kennt, kann zweifeln, daß er überhaupt vorhanden, so schieben sich, wie sie ehemals zusammengeheftet waren, das europäische und asiatische Ufer ineinander. Bei dem Eintritte in dieses Meer, von seinen immer bewegten Wellen lange hin- und hergeworfen, hielten die Argonauten diese Felsen für die Bewegten, indeß sie selbst es waren. Für den nahe der Küste Schiffenden, wie es die damalige Unerfahrenheit wohl mußte, scheinen diese Klippen wie abwehrende Wächter entgegengestellt zu sein. Oder sollte das ganze Märchen von den zusammenschlagenden Inseln nur ein Restchen jener Tradition sein, welche von der vulcanischen Veränderlichkeit jener Küsten erzählt, wie Deukalion von der großen Fluth? Auf der Rückfahrt ward der Himmel plötzlich ganz verändert; eben noch blau und sonnenklar, lagerten sich hinter uns auf dem Pontus und vor uns auf dem Bosporus dichte verdunkelnde Wolkenschleier; der Süd hatte sie zusammengetrieben. Vor der Stunde ward der Tag nächtig, und der Mond, der wie eine blaßrothe Scheibe in Blut getaucht hinter dem Riesenberge heraufstieg, gab ein beinahe schon nothwendiges Licht. Groß wie heute habe ich ihn nur in Venedig gesehen, und darum begrüßte ich ihn auch wie einen lange entbehrten Freund. Bujuk-Dere, den 20. Juli. Es gibt Orte, die wie aus einer Naturnothwendigkeit ihre Namen führen, und die wie miterschaffen ihnen anhaften. Solch’ ein bezeichnungsvoll genannter Winkel ist hier „das Paradies“, eine Thalschlucht, die hinter Bujuk-Dere den Kabatasch Dag hinaufsteigt. Alles, was der Mohammedaner sich von jenem seligen Aufenthaltsorte verspricht, erfüllt sie. Kühle Wasser, die von der Höhe darin zum Meere fließen, schattiges Dunkel und blumige Gärten; die Hänge sind mit zahmen Kastanien, mit Feigen, mit Gülbersümen (~Acacia julibrissin~) bedeckt. Mächtige Lorbeerbüsche streben dazwischen auf, blaue Hortensien bekränzen das Plateau vor der dürftigen Holzhütte des Kaffeegi, und nur aus der Entfernung von einem der benachbarten Hügel herüber mahnen Cypressen an den traurigen Ernst des Lebens. Es hatte die ganze Nacht über geregnet. Ein Gewitter war dem anderen gefolgt, und Morgens noch ließ ich, in jenem Paradiese geborgen, eines der schlimmsten über mein Haupt und über die See, die antwortlos für solche empörte Sprache ruhig in dem Busen des Festlandes lag, dahinziehen. Es ist etwas unendlich Förderndes, sich solcher beschaulicher Trägheit des Orientalen hinzugeben. Bei der Eile unserer Länder ist sie vielleicht nur auf der Höhe unserer Berge möglich, wo man entrückt dem civilisirten Leben ist. Angeregter und begabter als bei uns nach tagelangen Studien stehe ich hier von solchen Stunden der Faulheit auf. Von meiner heutigen Ruhe aus stieg ich den Berg hinauf, die weitere Aussicht auf die beiden Meere, das schwarze und das von Marmora, zu gewinnen. In einem Hohlwege begegnete mir ein Esel, und in welchem Aufputze das verrufene Bild der Dummheit! Lorbeerzweige zu den beiden Seiten seines Kopfes in das Saumzeug gesteckt, und der Führer einen dritten in der Hand, womit er sich und dem Thiere barmherzig die Fliegen abwehrte. So spielt der Zufall mit den Bedeutsamkeiten des Lebens; es war der passendste Gegenstand für einen Genremaler, der die Contraste nahe bei einander haben will. Die Gewitter währten den ganzen Tag. Abends, nach dem Essen, da wir auf die Terrasse heraustraten, sahen wir die See immer noch in geisterhafter, beinahe beängstigender Ruhe liegen. Oben am Himmel jagten schwere schwarze Wolken; erst der Mond scheuchte sie und gab der See und den Schiffen, die zahlreich in der Bucht geborgen liegen, das Licht wieder. Mondlandschaften gleichen den Bildern unserer Erinnerung; beide mahnen mehr die Einbildungskraft zum Selbstschaffen, als daß sie Erschaffenes geben. 21. Juli. In dem Thale von Bujuk-Dere, das sich als Fortsetzung der Bucht zwischen den Hügeln bis zur darüber gespannten Wasserleitung des Sultan Mahmud zurückzieht, stehen hart am Meere ein paar mächtige Terebinthenbäume und etwas weiter zurück im Lande eine riesige Platane, von der heute die Sage erzählt, daß Gottfried von Bouillon mit einem Theile seines kreuzfahrenden Heeres unter ihrem Schatten geruht. Anna Comnena, die verläßliche Chronistin, dementirt dies zwar und läßt hier nur den weniger bekannten französischen Grafen Roul lagern, aber warum dem Baume die poetische Weihe nehmen? Was gewinnt die Wahrheit dadurch und wieviel verliert nicht das Gefühl?! Mir kömmt solche historische Wahrheitsliebe wie das barbarische Abschlagen der Hände und Füße an antiken Statuen vor, das auch Alterthumsfreunde und Forscher üben. Das Werden der Sage ist auch ein gottgewordenes und gottgewolltes Werk, und wie vor allen Werken göttlichen Ursprungs soll man auch vor diesem mit einer gewissen Zurückhaltung der Achtung stehen. Oftmals wandere ich zu diesen Bäumen und setzte mich mit einem Buche Fallmerayer’s oder Finlay’s unter die Platane Gottfrieds von Bouillon: die Schatten der Geschichte über mir und ihr Licht in meiner Seele. Heute hatte ich Finlay’s Chronik des mittelalterlichen Griechenlands mitgebracht. Es ist ein verzehrender Boden, dieses schöne, reiche Land am Bosporus. Salz scheint darein gestreut, daß das Leben der Menschen aussterbe; kürzer, als es anderswo bemessen ist, dauert es hier für die beherrschenden Völker. Wüste und öde, sowie es die Umgebungen dieser sonst so farbenprächtig umgebenen Stadt in das Festland hinein sind, ist die Geschichte der Nationen, die hier ihren Sitz aufgeschlagen haben; kein Gedeihen, immer nur rascher Untergang nach einem Leben, das seine Blüthe schon anderswo gehabt hatte. Volk um Volk kömmt mit frischen Kräften gezogen, unterwirft sich das Bestehende und geht wie dieses nach kurzer Zeit zu Grunde. Es ist als sauge ihnen der wollüstige Boden die Kraft aus. Die Menschen verlieren hier den Sporn der Thätigkeit; nicht der Ueberfluß an Sonne wie im äußersten Süden, der alles verdorrt, und nicht der Mangel an Wärme wie im Norden, der die Reife hindert, zwingen sie, das Zuviel und Zuwenig der Natur durch ein Einsetzen ihrer Kräfte auszugleichen. So recht in der glücklichen Mitte gelegen gibt der Boden Alles von selbst, und was ihm fehlt, führen die von allen Seiten hier zusammenlaufenden Wasserstraßen auf das müheloseste und wohlfeilste zu. Frisch und rege hat sich kein Volk lange auf diesen Küsten erhalten; wie Schichten der Erdbildung liegen sie übereinander, die Griechen, die Römer, die Gothen, Slaven, Bulgaren, Albanesen, die kreuzfahrenden Lateiner, die Byzantiner und heute auch schon beinahe die Türken. Die Griechen erhielten sich am längsten, eigentlich die Byzantiner, denn sie sind anders als die alten Hellenen. Wie eingewurzelt und fertig in seiner Weise der Culturzustand dieses Volkes war, sein Rechts-, Moral- und Religionswesen, beweist am besten, daß es trotz seiner Verkommenheit und Schwäche ihn gegen die Mischung der hereinströmenden Elemente zu bewahren wußte. Nichts vom Feudalsystem der lateinischen Ritter nahmen die Byzantiner an; fremd wie am ersten Tage konnte diese Pflanze, auch nachdem sie zweihundert Jahre in dem eroberten Lande gewuchert hatte, keine Wurzel greifen. Das Feudalsystem zeigt sich überall als das am meisten exclusive. Es weiß sich nirgends Fremdes zu assimiliren oder sich dem Fremden zu verbinden; es ist eine vorzüglich französische Institution und schon als solche nicht zur Colonisirung tauglich. Wie heute in Algier, so im 13. Jahrhundert in Byzanz, Attika und dem Pelopones zeigen sich gerade die Franzosen, welche die Anmaßung haben, die Culturträger der Welt zu sein, als die am wenigsten zur Colonisationsarbeit Befähigten. Sie bilden sich die anderen Völker nicht zu und bilden sich nicht nach ihnen. So kömmt es, daß diese Länder, die sie eroberten, heute wieder sind, was sie schon so oft waren, Uebungslager der Colonisation, die jedem Abenteurer offen stehen, ihm Glück verheißen. Es kommt nur darauf an, daß er die Seefahrt wage, Widerstand der Regierung findet er keinen und der Einwohner nur geringen. Die Länder des ägeischen Meeres, der Propontis waren der mittelalterlichen Welt, was der Neuzeit Ostindien, Amerika und Australien sind; nur daß die Lockung damals noch größer war, weil das oströmische Kaiserthum die Reste der alten Kunstwelt und die Reichthümer eines schon lange bestehenden Handels besaß. Der Vorwand ward, wie er es schon den alten Hellenen gewesen und heute den Beutegierigen wieder ist, das Culturträgeramt von dem Westen nach dem Osten hin. So wiederholen sich selbst in der Geschichte der Einzelländer die Dinge, und das „Ist Alles schon da gewesen“ des Rabbi Ben Akiba findet nicht blos in dem Weltgang, auch in dem engeren Kreise der Specialgeschichte seine Bestätigung. Man begreift oft kaum, warum der dazwischen liegende Tod und neue Geburten erfolgen mußten, so ähnlich sieht eine Fortsetzung der anderen. Nur ein mikroskopisches Auge erkennt die kleinen Unterschiede, welche wir dann selbstgefällig Fortschritte nennen, und um deren Willen all’ der Brand und Untergang erfolgt sein soll. Solche fortschrittfeindliche Gedanken entstanden und begleiteten mich auf meinem Spaziergange in das Innere des Thales. Glühende Sonnenhitze trieb mich von dem offenen Wege in die Felder hinein, wo ein Wäldchen, Kühlung versprechend, steht. Ich vermuthete Wasser als die Ursache des dort vereinzelten und so reich blühenden Wachsthums, und hinter Bäumen und Büschen fand ich in der That einen mäßig großen Teich versteckt. So dicht steht das Grün, daß man kaum dem braunen Wasser zudringen kann, und auch aus dessen Mitte ragen silbergraue Weiden auf, die Stämme tief in das Wasser versenkt, die Aeste oben in die benachbarten Wipfel verflochten, die wie eine Laube über den ganzen Tümpel gebreitet sind. Lebendes und Abgestorbenes: Lianen, die dürr vom vorigen Winter sind, und andere, die im Reichthume des heutigen Sommers prangen, Alles steht und hängt wild und ungebunden, wie es die freie Hand der Natur geordnet hat. Prächtige Kastanienbüsche mit ihrem frischen Goldgrün drängen sich vor, überhängend in den Teich, dazwischen Feigenbäume mit der humorvollen Krümmung ihrer Aeste, und Alles umschlungen, verbunden, vermählt durch hochaufstrebende wilde Reben, durch blasse Nachtschatten und anderes Schlinggewächs, das betäubend duftet und in allen Farben blüht. Und damit kein Mensch die Einsamkeit entweihe, steht Schilf in Manneshöhe abschließend an den Ufern. Schildkröten, klein wie eine Hand und andere mäßig groß, schwammen im freien Wasserspiegel, die Füße aus der Schale herausgestreckt und den Kopf luftschnappend in die Höhe gereckt. Sobald sie mich gewahr wurden, tauchten sie unter, zuerst den Kopf hinabsenkend und dann, wie mit einem Purzelbaume, den übrigen Körper ihm nach. Es ist ein Winkel, so still, regungslos, lauschig und kühl, als hätten ihn die Götter der altgriechischen Mythologie sich eigens erschaffen, um dort eines ihrer verliebten Abenteuer zu feiern. Bujuk-Dere, den 22. Juli, Freitag. Ich fuhr Nachmittags nach Asien hinüber, bei Chunkjar Iskelessi (der Landungstreppe des Sultans) anlegend. Es ist dort jene Bucht, auf deren einem Vorgebirge das Schloß der Aegyptierin steht, mit seinen weißen und rothen Marmorwänden das Abendsonnenlicht haltend, und auf deren anderem Vorsprunge jener Obelisk die Erinnerungen bewahrt an die Hilfe, welche 1833 russische Truppen dem Sultan gegen einen Glaubensgenossen, den aufständischen Vicekönig von Aegypten, geleistet haben. ~Timeo Danaos dona ferentes~, so sollten die Türken diesen Warnungsfinger lesen. Ich sehe ihn seinen Schatten auf die Uhr der Zukunft werfen. Die große Bucht von Bejkos, berühmt als Lagerplatz der französischen und englischen Flotten während des letzten Krimkrieges, liegt hart neben der von Chunkjar Iskelessi. So nahe stehen in dieser sonderbaren Welt des Wechsels die Contraste oft nebeneinander: hier die Russen als Freunde, dort ihre Gegner den Türken verbündet. Gleich beim Ufer empfangen prachtvolle Platanen-Alleen den auf Chunkjar Iskelessi Landenden. Es sind herrliche, uralte Bäume, und unter ihnen und weit bis zu den Bergen hingezogen grüne saftige Wiesen. Einen der Bäume hat der Blitz getroffen; es steht nur noch der ausgehöhlte Stumpf, kaum viel mehr als Manneshöhe, die Rinde hat sich oben kegelförmig zusammengezogen, und aus ihr wie aus den weitverbreiteten Wurzeln sproßt das immer noch rege Leben mit hundert neuen Zweigen und grünen Trieben. In dieser befiederten Hütte hat ein Kaffeegi seine Werkstätte aufgeschlagen, und vor ihr sitzend trank eine Gruppe Türken den schwarzen Kaffee, rauchte und spielte Lange-Puff. Schon durch seine Seltenheit wäre dieser in ein Zelt umgewandelte Baumstamm eine wirkungsvolle Staffage für ein Bild. Ein Bach schlängelt sich durch die Wiesen hart an dem Fuße des hier in das Thal abfallenden Riesenberges her. Weiber saßen auf seinen Ufern, bunt in ihren türkischen Kleidern und dicht gereiht, als seien es Weiden, die das Wasser einfassen. Kinder tummelten sich auf den Wiesen und ein paar Zuckerbäcker hatten ihre tragbaren Waarenlager auf den hier üblichen Dreifüßen aufgestellt. Langsam und beschwerlich kamen mir vergoldete Arabats entgegen, von Ochsen gezogen und mit verschleierten Frauen überfüllt. Sie stiegen vom Riesenberge herab, wohin man mit solchen Mitteln die Ausflüge zu machen pflegt. Gerade so müssen die Wagen der Alten ausgesehen haben, die von Aegypten nach Babylon die große Landstraße befuhren. Ich ging immer dem Bache entlang, tiefer in das Thal hinein, auch an Feldern und Meierhöfen, einer Tenne vorüber, wo das Getreide in antiker Weise gedroschen ward und die Lehre Christi ihre Befolgung fand: denn dem Viehe, welches darauf herumlief, war das Maul nicht verbunden. Die Hügel zu beiden Seiten des Thales sind dicht und mannigfaltig bewaldet. Der Wald hat in seinem äußeren Ansehen sogar etwas Feuchtes, Undurchdringliches. Je weiter man kömmt, desto enger wird das Thal und desto fruchtbarer sein Wachsthum. In Tokat, einem lieblichen Punkte, sind riesige Bäume über ein Wasserbecken geneigt. Türken und auch ein Neger ruhten in ihrem Schatten. Einer, da die Gebetstunde gekommen war, breitete den Teppich aus und verrichtete sein Gebet, gegen Mekka gewandt sich niederwerfend und den Boden küssend. So stille sind die Vergnügungen dieses Volkes; wie dort am Bache die Frauen, so hier die Männer: Sitzen, Schauen und Schweigen; nirgends ein Streitender und nirgends ein Betrunkener. Es ließe sich nach diesem Eindrücke auch „Ein Tag des Herrn“ dichten und sich zum Gegenstücke des Reinick’schen „Sonntag Morgens am Rheine“ -- das Lied „Ein Feiertagsabend am Bosporus“ nennen. Da ich zurück ging in werdender Nacht, lag die Wiese von Chunkiar Iskelessi schon ganz im Schatten der nachbarlichen Berge; nirgends ein Lichtlein mehr und kein Lebendiges auf der weiten Flur, -- da befiel auch mich ein „süßes Grau’n, geheimes Weh’n“, und anbetend das Uhland’sche Sonntagslied murmelnd fuhr ich über den Bosporus. Bujuk-Dere, den 23. Juli, Samstags. Seit mehreren Monaten hat der Sultan sieben- bis achttausend Mann seiner Truppen ein Lager bei Maslak beziehen lassen. Es ist das ein Meierhof ziemlich halbwegs auf der Landstraße von Constantinopel nach Bujuk-Dere. Er selbst besucht es wöchentlich mehrere Male, gibt seinen Soldaten dort Feste, und erst neulich sahen wir den Himmel von einem Feuerwerke erleuchtet, das dort abgebrannt wurde, als der Sultan die Nacht in seinem Zelte zubrachte. Er sieht es gerne, wenn Fremde das Lager besuchen, und so fuhren wir heute auf dem Landwege dorthin. Die Straße ist schlecht nach unseren Begriffen, gut nach den hiesigen. Von der Wiese, wo der französische Graf Roul gerastet, steigt sie steil aufwärts, läuft dann oben auf den Höhen der Hügel eben fort; rechts und links eine gelbrothe Sandwüste, die sich scheinbar endlos in das Innere des Landes fortzieht. Es ist wie die Campagna di Roma; das Tageslicht leuchtet erfolglos darauf, aber die Farben des Sonnen-Auf- und -Unterganges erglühen um so lebhafter auf dieser leblosen Unterlage. Dabei ist der Boden nicht unfruchtbar; wo ihm etwas eingepflanzt ist, trägt er Früchte und lohnt reichlich. Es fehlt nur die Hand, die sich darum bemüht. Sonderbar, daß die großen Schicksalsstätten der Geschichte, Rom, Jerusalem und Constantinopel, alle -- obwohl noch immer fortlebend -- von solchen Friedhöfen der Natur umgeben sind. Will der Mensch dort die Geschichte begraben sein lassen und sollen wir diese Städte als ihre Denkmale achten, oder verliert er dort nur in dem sonst so verzehrenden Leben den Trieb zur Arbeit? Ab und zu, wenn eine der höchsten Höhen des wellig auf- und niedersteigenden Weges erreicht ist, fällt der Blick zurück auf das schwarze Meer und einmal auch zugleich vorwärts auf die Kuppeln und Minarete von Constantinopel; noch öfters zur Seite hinab links auf eine der Buchten des vielgewundenen Bosporus. Θάλαττα! Θάλαττα! ruft dann das ausgetrocknete Auge, das vom Staube und Widerscheine der Sonne ermüdet ist. Auf einer dieser Höhen stiegen wir aus. Vor uns ausgebreitet in den Thälern, die sich dort hinabziehen, liegt das Lager; grüne und weiße Zelte, die weißen kleinen um die Gewehre zu bewahren. Je 10 Mann schlafen in einem Zelte. Wir sahen uns das Ganze aus dem Zelte des Sultans an; herbeigerufene Officiere machten artig die Erklärer. Das Meiste der Mannschaft, Cavallerie, Artillerie und Infanterie, hatten wir früher schon auf Uebungsmärschen begegnet und beobachtet. Die Leute sahen gut aus. Bestaubt, beschmutzt und sonnenverbrannt schien ihnen nichts zu fehlen, als der zündende Funke, das kriegerische Spiel in Ernst zu verwandeln. Ich zweifle, daß ohne diesen Funken, der nur der religiöse Fanatismus ist, die türkische Armee je wieder etwas Weltbewegendes wird leisten können. Diesen Funken aber anzufachen halte ich jeden Augenblick möglich, denn der Glaube ist hier reger, als ihn das ungläubige Europa glaubt. Es gilt also, damit die Türkei wieder werde was sie einstens war: eine erobernde und jedenfalls nicht erbebende Macht, nur, daß ihre Machthaber den Muth haben, sich der europäischen Strömung zu widersetzen. Seit Mahmud richten Reformationen und die Beihilfe der Großmächte die Türkei zu Grunde. Es war ein im Wesentlichen richtiger Gedanke, als Mahmud die Vorschläge des Wiener Congresses zurückwies, in das Concert der europäischen Großmächte einzutreten. Die Türkei ist nur groß und mächtig, wenn sie auf ihren eigenen Füßen steht, aber rechts und links wich man von diesem Grundsatze ab und folgte, ohne das Entgegengesetzte ganz zu ergreifen, in den Details fremden Rathschlägen. Das sind die Abwege, auf die man geräth, wenn man die Ursachen seines Anfanges verleugnet. Kein Staat hat sich noch ungestraft von der ihm ursprünglich gesteckten Aufgabe abgewendet, und nicht fraglicher als für die übrigen europäischen Völkerfamilien erscheint es mir für die türkische, ob ihr von dieser Verirrung eine Umkehr zu sich selbst möglich sei. Der Anblick der vielen tausend Wohnstätten lebender Menschen in dieser dürren, unfruchtbaren Gegend eigens aufgerichtet, mahnte mich an die Zeit, wenn erobernde Schaaren in diesen Gegenden belagernd hausen werden. Auch das wird kommen, wie ja Ilion sank und die ewige Roma. Ehe wir wieder in den Wagen einstiegen, führte man uns zu unterirdischen Gängen, die man eben jetzt bei den Lagerbauten entdeckt hat. Es sind breite, hochgewölbte Corridore, die in größere Hallen münden und sich dort mit anderen Gängen kreuzen. Es scheint ein ganzes unterirdisches System geheimer Wege oder Canäle zu sein. Späteren Forschern bleibt es vorbehalten, ausfindig zu machen, wozu sie gedient und wohin sie geführt; die Hirten, die einstweilen darinnen nisten, erzählen, bis nach Constantinopel, und sie mögen wohl das richtige errathen. Ist es so, dann dürfen diese unterirdischen Wege des byzantinischen Constantinopel als wirkungsvolles Lösungsmittel in dem Romane nicht fehlen, der einmal den Glanz und den Untergang des oströmischen Reiches schildern wird. Denn byzantinisch ist dieses Gemäuer jedenfalls; es stellt dieselbe sorgsame Ziegelfügung dar, wie an der hohen Pforte des Genueser Schlosses. Der aufgehäufte Unrath der Heerden und die Stickluft, die unsere Fackeln löschte, hinderten weiteres Eindringen. Der Sultan baut gerade darüber ein Landhaus, und die Sage geht, daß dort in alten Zeiten schon ein fürstliches Schloß gestanden habe. Ein paar hochstämmige Pinien, die um den viereckigen Platz stehen, könnten vielleicht als Zeugen von verschwundener Pracht citirt werden. Dann haben die Canäle auch von der kaiserlichen Villa nach der Stadt geführt. Bujuk-Dere, den 24. Juli, Sonntag. Nachmittags, da noch die Sonne warm am Himmel stand, fuhr ich im Schatten der europäischen Küste hinaus nach dem schwarzen Meere. Dort wendeten wir und ruderten zur roth beglänzten asiatischen Küste hinüber. In einer kleinen Bucht legten wir an. Ein schmales Thal mündet dort; Monastir Deressi heißt es von den Klosterruinen, die versteckt darin hinter Büschen und Schlinggewächsen liegen. Ich hatte sie schon öfters bei der Fahrt nach dem schwarzen Meere bemerkt und mir einen Besuch hier vorgenommen. Es sind nur ärmliche Ruinen aus spät byzantinischer Zeit; aber das Ganze ist durch die Umgebung, durch das Grün, das darüber wuchert, und durch die Einsamkeit eine Idylle geworden, wie sie poetischer und malerischer keine rheinische Ritterburg und keine altdeutsche Sage darstellt. Wer mag in der Kirche gebetet, wer in dem Kloster gelebt, gefühlt und vielleicht geliebt und dann auch gelitten haben? Es brauchte nur eines kühnen Sinnes, der das erfände, um diesen Ort zu einem Wallfahrtsort der Romantiker zu machen. Was von dem Baue heute noch steht, wird wohl die Kirche mit einer Kuppel und der Apsis gewesen sein; das Kloster lag dort, wo an der linken Thalwand die Mauerreste aus dem Boden hervorquellen. Auch diese Ruinen der Vergangenheit kränzt der Lorbeer. Vor dem Eingange der Kirche wölbt sich ein Hügel von Schlinggewächsen; ich vermuthe einen Haufen Mauertrümmer darunter, wie sie einzeln weitum zerstreut liegen. Der Arbutus steht in hohen Sträuchen und bedeckt mit runden Früchten; daneben blühende Erika in weit über Manneshöhe ragenden Stauden, und Sparti, der seine gelben Sporen aus dem Grün herausstreckt. Das Schlinggewächs ist an einigen Stellen undurchdringlich und wehrt mit stacheligen Dornen ab, als lägen dort besondere Schätze begraben, die ihm ein Zauber zu hüten aufgetragen. In goldig wolkenlosem Abende rudern wir zurück, mein Sinnen vollgefüllt mit Phantasiebildern der Vergangenheit. Dienstag, den 26. Juli. Es ist ein altes Beiwort, das den Bosporus fischreich nennt. Ein ähnliches sollte seinen Ufern von der Menge der Vögel geworden sein. Wo ein schattiger Busch und ein kühler Quell, dort schlägt auch die Nachtigall, und das Käuzchen wartet hier nicht einmal den Verfall und die Einsamkeit ab, in die belebtesten Ortschaften wagt es sich und stört die Nacht durch seinen prophetischen Ruf. Aber nicht blos das Land, auch das Wasser des Bosporus ist in solcher Weise befiedert und bevölkert. Ein sonderbarer Vogel, den ich nirgends sonst sah aber der Schwalbe verwandt glaube, wenigstens gleicht er am meisten durch die Flugart dieser, belebt den Tag über in großen und dichten Schaaren den Strom. Nie sah ich ihn einzeln, nie auch bei Nacht, und gewöhnlich so dicht über dem Wasser schwebend, daß es den Anschein hat, als streife er es und tauche von Zeit zu Zeit darin ein. Sein Flug hat etwas elektrisch zitterndes, die Flügel hastig auf- und abschlagendes, bis er plötzlich wieder regungslos gespannt eine Strecke weit wie ein abgeschossener Pfeil dahin gleitet; immer ist er so schnell, daß kein menschliches Auge im Stande ist, dem Körper die Form und Farbe abzumerken. Man sieht ihn nie auf den bewohnten Ufern des Bosporus einkehren und es ist mir auch nur eine unerwiesene Sage, die die Kaïkgi’s erzählen, daß er in den schwarzen, rauhen Felsen, an der Mündung des Stromes in den Pontus Euxinus, niste. Endlos und ruhelos, wie zur ewigen Bewegung auf dieser kurzen Straße verurtheilt, erscheint sein Flug und seine Existenz, daß der Name, den man hier diesen Vögeln gibt, gar wohl als ihnen angeboren gelten kann. ~Ames damnées~, arme Seelen, nennt man sie und läßt damit vielleicht nur den uralten Wahn wieder aufleben, der die Vögel als Bewahrer der Geister der Verstorbenen verehrte. Die Aegyptier setzten jeder Mumie einen kleinen thönernen Vogel auf die Brust, die sich heute noch so in ihren Särgen wiederfinden, und die Mohammedaner, die es den heidnischen Arabern zuerst wehren wollten, das Käuzchen für einen Todtenvogel zu halten, der auf dem Grabe des Erschlagenen schreiend die Blutrache fordert, lassen heute die Seelen frommer Moslims in den Kehlen grüner Vögel aufbewahrt den Tag des jüngsten Gerichtes erwarten. Der Aberglaube participirt eben auch an dem allgemeinen Gute der Unsterblichkeit, und wie oft ihn die sogenannte Aufklärung ausgerottet zu haben behauptet, es taucht immer derselbe wieder auf. Bujuk-Dere, den 27 Juli. Der heutige Abend war noch schöner als sie hier alle sind. Ich ging, um ihn völlig zu genießen, nach dem russischen Gesandtschaftsgarten. Dort tritt man zuerst durch ein Blumenparterre ein, in dem der Orangenduft betäubend die Luft versüßt, dann unter acht Pinien hin, den hochstämmigsten und breitkuppligsten die ich je gesehen. Sie stehen im Kreise, und fügen sich zusammen wie das Gewölbesystem einer der sultanischen Moscheen auf den sieben Hügeln Stambuls. Auf ihren Kronen leuchtete noch das Sonnenlicht; unter ihnen lagen schon abendliche Schatten. Und so auch in den Eichen- und Kastaniengängen, die ich jetzt hinaufstieg über moosige Marmorstufen und feuchtes Erdreich zu der ~Allée des roses~, einer herrlichen Terrasse, die schon den Bosporus überschaut. Ich aber drängte höher hinauf, um auch nach dem schwarzen Meere den Blick frei zu haben. Ich kam durch eine Pinien-Allee; der Boden ist von jenem eisenhältigen Erdreiche, das hier so oft verrätherisch für die ursprüngliche Bildung dieser Gegenden zu Tage tritt, und in den Wipfeln lag auch nicht mehr das Gold des Sonnenglanzes, sondern das Roth des geschiedenen Tageslichtes. Es war als sei Alles, Boden und Himmel, von jenem Purpur übergossen, dessen Farbe die Alten so sehr rühmten und dessen Fabrication uns verloren gegangen ist. Eine feierliche Stimmung übermannte mich. Noch einige Schritte aufwärts und bis zum schwarzen Meere hinaus lag der Strom des Bosporus vor mir. Schiffe über Schiffe, die hinaus und herein wollten, der Abendwind trieb sie und blähte ihre Segel; dazwischen mächtige Dampfer, Schraubenschiffe, die weit ihre Rauchwolken nach sich zogen. Ein großer russischer fuhr hart unter mir her. Ich dachte, was Alles diese Straße gegangen und welche Schicksale noch darüber hinwandeln würden. Meine Rückschau stieß auf Jason, den ersten, der der Menschheit diesen Weg gebahnt hat. Ein sonderbarer Einfall kam mir dabei, den ich meine Phantasie fortspinnen ließ, bis es tiefe Nacht geworden war, daß ich dann mühsam und vielfältig verirrt zwischen gespenstigen Lorbeerbüschen hindurch den Rückweg nach Hause suchen mußte. Jason ist das Kind eines Königsgeschlechtes der Minyer, die lange über Thessalien herrschten; das ist die verbürgte Ueberlieferung der ältesten Sage. Die Thessalier galten von allem Anfange an als eine seegeübte, meerliebende Nation. Der Handel hatte sie reich gemacht und darum nannte man sie „von Poseidon gesegnet“ und ihre Landschaft von ihm besonders beschützt. Das benachbarte Lemnos hatten sie frühzeitig besetzt und durch das ägäische Meer nach dem asiatischen Troja ihre Fahrten ausgedehnt, wahrscheinlich aber auch in das mittelländische bis zur phönicischen Küste und dem reichen Sidon sich gewagt. In jener allerersten Zeit, als die Welt der griechischen Vorstellungen noch gar klein war, muß ihnen schon das schwarze Meer als ein außerordentlich lohnendes Gebiet ihrer Gewinnsucht, zugleich aber auch ihrer Ungeübtheit durch seine Ungeberdigkeit als ein unfreundliches Feld (~axenos~) ihrer Schifffahrt erschienen sein. Dorthin zu dringen mag ein sehnsüchtiger Wunsch aller Abenteurer gewesen sein, so wie im 15. Jahrhundert die längst geahnte, immer aber noch nicht erreichte Fahrt um das Cap der guten Hoffnung und die noch sehnsüchtiger begehrte Entdeckung der fabelhaften Insel Atlantis. Ganze Jahrhunderte werden von solchen Wünschen bewegt und von den Versuchen sie zu realisiren erfüllt. Das Vorahnen ihrer Erfüllung liegt in der Luft, wie das Kommen des neuen Frühlings schon in einem warmen Februartage. Man lasse diese Entdeckungen in einer uns ferner liegenden Zeit geschehen und nicht gleichzeitig damit die alles feststellende Buchdruckerkunst erfunden worden sein, und wir würden sie wohl heute in Fabeln nicht weniger kraus und bunt als die des Phrixos und des Jason verkleidet sehen. Phrixos ist einer der vielen Abenteurer, die vor dem glücklichen Jason diese Entdeckung gesucht, die Anknüpfung von Handelsverbindungen zwischen dem Mutterlande und dem reichen Kolchis angestrebt haben. Da er nicht zurückkam, mag sich die Phantasie, die sich nun einmal von ihren Plänen nicht abbringen lassen wollte, über sein Schicksal mit den Bildern von dem glücklichen Wohlleben getröstet haben, das er in Kolchis fand. Vielleicht brachten auch wirklich Abkömmlinge von ihm die Kunde von der behäbigen Existenz des Vaters nach der Heimath zurück. Danach scheint der Wunsch, neue und regelmäßige Verbindungen nach jenen Küsten anzuknüpfen, ein immer regerer, ein unwiderstehlicher geworden zu sein; ganz Griechenland wurde davon erfaßt und betheiligte sich an der Expedition, die das thessalische Königsgeschlecht ausrüstete. Thessalien, das nach jenen Himmelsgegenden hin jedenfalls die geübteste Schifffahrt hatte, behielt nur die Führung. Und daß diese Argofahrt wirklich als ein weltumgestaltendes Ereigniß betrachtet ward, beweist der Name, der ihrem Führer entweder vor- oder nachher beigelegt ward: Jason, der nichts geringeres als unser Jesus, der „Helfer und Erlöser“ bedeutet. Also erlöst vom bisherigen Zwange und eingeführt in eine neue Welt hat er sein Volk und darum diese Auszeichnung und die Glorification in der Sage. Daß sein Wagniß wirklich bleibende Verbindungen anknüpfte, das schwarze Meer für alle Zeiten erschloß, beweist der Euxinos, in welchen sich der Axenos, der ungastliche Pontos mit seiner Fahrt verwandelte. Die verschiedenen Landungen, die die Sage den Jason an den Küsten der Propontis und des Bosporus vornehmen und wo sie ihn regelmäßig einen seiner Gefährten verlieren läßt, mögen die Colonien bedeuten, die dann in späterer Zeit durch diesen Handelszug auf diesen Küsten von den gewinnsüchtigen, weltdurchstreifenden Griechen errichtet wurden. Bekannt ist, daß dort nirgends ein Ort, wo nicht heute noch Spuren ihres Seins zu finden wären. Erst kürzlich die Münze wieder, die, auf dem Sigäischen Cap gefunden, unter dem eingeborenen ΣΙΓΕ (~Sige~) die Eule von Athen und -- was die Verbindung nach der anderen Seite hin notirt -- daneben den Halbmond, auf der Rückseite den Kopf der kolchischen Artemis zeigt. Das goldene Vließ, das Jason holte und heimbrachte, ist nur das Sinnbild jenes Wollhandels, der für die damalige Industriewelt dieselbe Bedeutung hatte, wie für die heutige der Baumwollhandel mit Südamerika; das Palladium der Macht und der Stärke Griechenlands war nur der angeborenen Natur des Volkes gemäß ein etwas poetischeres Symbol als der Wollsack des englischen Lord Oberkanzlers, der auch das bedeutet, was England war, ist und sein wird. Die Wolle hatte damals schon wie heute noch ihre berühmtesten Züchter im Innern von Asien, in seinen bergigen Theilen. Von dort ging sie ursprünglich auf der alten Karavanenstraße über Babylon und Ninive nach dem industriereichen Phönicien und Aegypten. Tyrus und Sidon hatten die berühmtesten Tuch- und Teppichfabriken. Für die Griechen mußte es von unberechenbarem Vortheile sein, diesen Landhandel abzuschneiden und zur See auf kürzeren Wegen den Phöniciern ihr Rohmaterial wohlfeiler und rascher zuzuführen. Im Zwischenhandel waren sie immer groß und wußten dabei ihre besten Gewinne herauszuschlagen. Daß Kolchis aber ein reiches Culturland gewesen, beweist schon die Abstammung seiner Völker, welche die griechische Sage von den Assyriern und Herodot gar von den Aegyptiern herrühren läßt, also von den Völkern, welche der heutigen Wissenschaft, unzweifelbar Griechenland alle seine Bildung und Erziehung gegeben haben. Kolchis lag, wie Trapezus später und Trapezunt heute noch, geborgen in seinen dichten Wäldern auf dem Endpunkte der Handelsstraße, die dort, vom Inneren Asiens kommend, nordwärts ausläuft. Es ist dieses Motiv, welches ich der Argofahrt unterschiebe, kein Grund, daß nicht zugleich mit der Wolle von Kolchis aus auch jener religiöse Cultus nach Griechenland gekommen sei, wegen dessen Jason nach der bisher gewöhnlichen Anschauung allein das Wagniß unternommen haben soll. Im Gegentheil, das gemeinsame Kommen der beiden Culturelemente ist das Wahrscheinlichste; materielle und geistige Früchte bringt der Handel gewöhnlich zugleich von seinen Entdeckungsfahrten heim. Kolchis war ein berühmter Sitz des Artemis-Cultus; dorthin war er wohl mit den übrigen Culturelementen aus dem Inneren von Asien eingewandert. Der Mond- wie der Sonnendienst stammt aus jenen alten Ursprungsstätten der Menschheit, wo die Astrologie ihre eifrigsten Verehrer hat und immer hatte. Dem Alterthume galt das Gebiet des Pontos als die Heimath der jungfräulichen Artemis, der mondsüchtigen Hekate, der ~Diana phosphora~, und von dort soll ihr Dienst nach dem lichten Griechenlande gekommen sein. Der ganze Bosporus, die Bahn dieser Wanderung, war mit den Standbildern der geheimnißvollen Göttin besetzt. Gleich das erste seiner asiatischen Vorgebirge, das noch in das schwarze Meer hinaussieht, trug eines; ein anderes das „heilige“ Cap, das zu Füßen des heutigen Genueser Schlosses liegt; ein drittes die stille, bewaldete Bucht von Bebeck, und auf der Landzunge des goldenen Hornes selbst stationirte dieser Cultus lange. Der mächtige Halbmond auf der Aja Sophia ist heute noch ein Ueberbleibsel jener uralten Vergangenheit; er wurde von der Stadt her das Wappen des Reiches und die Türken haben nur den aufgehenden Morgenstern darein gesetzt. Medea, die Gattin, das gelehrte, in geheimen Künsten vielerfahrene Weib, das Jason mitbringt, vertritt in der Sage das wissenschaftliche Element, wie die andere Frucht der Reise, der volkswirthschaftliche Erfolg, in dem goldenen Vließe vertreten ist. Ein späterer Theil der Sage greift durch das Kind der Medea mit dem attischen Aegeus wieder nach dem Oriente zurück. Jener Knabe hieß Medes und soll der Stammvater des medischen Königsgeschlechtes geworden sein, sowie Perseus mit dem Perses seiner Andromeda das persische Fürstenhaus gezeugt haben soll. Orient und Occident erscheinen so in fortwährender Wechselbeziehung. Die Befreiung der Andromeda, kann sie nicht die Erlösung irgend eines asiatischen Reiches aus einer großen Gefahr gewesen sein? Man wird mich steinigen, weil ich solch’ handelspolitische Auslegung einem bisher so poetisch verehrten Mährchen zu geben wage. Aber ich frage: ist die eine Deutung nicht die andere werth? Worin liegt der Grund, daß die, welche Alles auf einen Naturdienst, auf eine Personification der Naturkräfte zurückführen will, mehr Wahrscheinlichkeit für sich habe, als diese, welche einen Hauptcharakterzug der Griechen zu Hilfe nimmt, ihre Handelsliebe, ihre Weitschweifigkeit, die zu allen Zeiten ihr materielles und ihr geschichtliches Leben zumeist geregelt haben? Man hat überhaupt in der bisherigen Weise des Vortrages der alten Geschichte den Handel nicht hoch genug gewerthet. Daß er mit Allem was darum und daran hing nicht verachtet war, beweist der Glaube der Phönicier, der sich den Herakles als den Erfinder des Purpurs vorstellte. Ueberhaupt kein orientalisches Volk wird den Handel und die übrigen Industriezweige geringe achten; sie sind durch die Natur ihres Himmelsstriches viel zu sehr auf die praktische Richtung des Lebens angewiesen. Ganz unpraktische Leute gibt es nur im Norden. Bujuk-Dere, den 28. Juli. Ich machte in Therapia einen Besuch. Ein Theil der europäischen Gesandten wohnt dort. Es ist kühler, aber auch stürmischer gelegen als Bujuk-Dere, weil es den vollen Windanprall aus der Mündung des schwarzen Meeres erhält. Der schönste Garten dort ist der der französischen Botschaft. Durch hohe Alleen im Style des ~le Notre~ steigt man zu einer Terrasse empor, die pinienüberdeckt den herrlichsten Aussichtspunkt des ganzen Bosporus gewährt. Zwischen den vorgeschobenen Bergen der beiden Welttheile durch sieht man auf das schwarze Meer hinaus; heute zogen finstere Wolken darüber und das Meer selbst lag dunkel fast wie sein Name. Ich dachte wieder an Jason und wie er vielleicht bei solchem Wetter die erste Ausfahrt hatte wagen müssen. -- Unmittelbar vor mir peitschten die Wellen den weißen Schaum in langen Zungen den Quai und die Häuser hinauf, und weiter draußen im Bosporus erschütterten die Wogen sogar den Gang der Dampfer. Die Heimfahrt im kleinen Kaïk wurde ein förmliches Wagestück. Bujuk-Dere, den 29. Juli, Freitag. Die „süßen Wasser von Europa“ sind mir vor Wochen, da ich sie besuchte, als eine vollständige Enttäuschung ihres Namens erschienen; dürr, kahl zwischen sandigen Hügeln an einem dürftigen Wasser gelegen, fand ich nichts sehenswerth als das Treiben der Menschen, das aber nicht buntfarbiger erschien als hier an allen Orten. Um so gleichartiger ihrem Namen fand ich die süßen Wasser von Asien, Göcksu, das Himmelswasser. Es ist ein Thal, das hinter einer Bucht des Bosporus gelegen diesen Namen führt; Constantinopel näher als Bujuk-Dere, muß man, wenn man von dem letzteren kommt, an den beiden Schlössern des Bosporus vorüber. Sie bleiben von Göcksu aus immer im Bilde. Anatoli Hissar, das Schloß von Asien, krönt das rechtsseitige Vorgebirge, Rumili Hissar das europäische. Die Bucht selbst wird auf dem einen Arme durch Anatoli Hissar, auf dem anderen durch Kandili, ein großes Dorf mit blühenden Landhäusern, begrenzt. In ihrem innersten Busen rinnt Göcksu, das Himmelswasser, zum Thale und zur salzigen Meerfluth herab, noch eine Menge Grün zeugend, ehe es diese gemeine Mengung eingeht. Ein köstlicher Köschk des Sultans, wie aus Zucker gebaut, ein Schlößchen, das sich in die Fabeln von Tausend und Einer Nacht fügen läßt, steht an seiner Mündung. Wie eine Perle aus der Muschel der Venus, die das leichtsinnige Meer dorthin geworfen, erscheint es dem Vorüberschiffenden, und der Bewohner sieht -- ein prächtiges Bild -- aus seinen Fenstern auf die gegenüberliegenden Hügelgärten der Villa Ali Pascha’s zu Bebeck. Der letzte, der in diesem Hause die Gastfreundschaft des Sultans genoß, war Fürst Cusa; einer seiner Vorgänger der heutige König der Belgier. Auf dem Ufersaume von Göcksu saß eine buntgekleidete Menge, die vornehmsten Türkinnen darunter, zwei von außerordentlicher Schönheit in wahrhaft verschwenderischen Luxus gekleidet. Schöner noch erschien mir später eine Frau, die in einem mit Tigerfellen überdeckten Kaïk an uns vorbeiruderte. Jede dieser Damen hatte ein zahlreiches Gefolge dienender Weiber hinter sich; die breiteten, wo sich die Herrin niederlassen wollte, Teppiche und Polster aus, saßen dann aber ungeschieden mit ihr zusammen. Die Kinder spielten vor der Gruppe, Eunuchen hielten die Wache, die Niemand bedroht, Bärentreiber, Zuckerverkäufer, Obsthändler drängten sich zu, boten ihre Waaren an; einige Geigen fiedelten, und das orientalische Jahrmarktsfest zu Plundersweilern war fertig. Doch muß ich anmerken, daß ich hier zum ersten Male etwas von der Coquetterie europäischer Festplätze sich beimischen sah. Es war ersichtlich, derselbe Trieb zu gefallen waltete hier wie dort. Noch mehr Vergnügen als der Spaziergang in dem Thale von Göcksu bot die Rückfahrt auf dem Bosporus. Die Sonne sank hinter den europäischen Hügeln, die grau und düster waren; den asiatischen ließ sie Farben von solcher Gluth, daß selbst hier, wo die Augen doch an Buntes gewöhnt worden sind, Staunen sie erregen mußte. Wie in Flammen aufzulodern schienen die Felsen, und von den Pinien troff es wie Blutstropfen. Die Landhäuser leuchteten wie Edelsteine und überall thaten sich die vergoldeten Gitter auf, daß man von der See aus den Einblick in die reiche Häuslichkeit hatte; die niederen Tische wurden gedeckt und Lichter hereingebracht; ruhend auf den Stufen, die zu dem Wasser hinabführen, saßen rauchende Neger, die Diener der reichen Häuser. Und über dem allen lag ein Gottessegen und ein Genießen, das durch jede Pore des Körpers in die Seele drang. Bujuk-Dere, den 31. Juli. Ich hatte den Abend im russischen Gesandtschafts-Palais zugebracht. Es war Mitternacht längst vorüber als ich aus geistvoller Gesellschaft allein auf den Quai trat. Die Nacht war noch wärmer als es der Tag gewesen, wie mit körperlicher Schwere lastete die Luft auf den Sinnen. Aus den Gärten drang der Orangenduft und kein Luftzug entführte ihn auf die See hinaus; der Bosporus lag schwarz und unbeweglich. Eine Menge Menschen drängte sich noch auf dem Quai und die ärmliche Musikbande des Ortes spielte ihre italienischen Melodien. Die Frauen, die meisten sehr elegant und viele ausdrucksvoll schön, trugen den Kopf frei oder nur einen Schleier übergeworfen; sie betrachten den Quai als zu ihrem Hause gehörig. Das Ganze in dichte Finsterniß gehüllt, die nur in der nächsten Nähe zu sehen erlaubt oder wo die Papierlaternen eines Limonade- und Gefrornes-Händlers einigen Lichtschein verbreiten. Da, plötzlich flammte von der gegenüberliegenden Küste ein Feuerwerk auf; in Therapia feierten sie das Namensfest irgend eines griechischen Heiligen. Man hatte diesen Effect erwartet, und nun ging der Lärm der Stimmen noch mehr los als er bisher schon gewesen. Das ist der ~Quai de Bujuk-Dere~, der in der Schätzung der Levantiner nicht weniger gilt als die ~Grande rue de Pera~, und so sieht er aus beinahe jeden Abend, wenn Gott ihm einen wolkenlosen Himmel oder gar einen vollen Mondenschein gibt. Diese Abende freilich sind hier reizend, aber noch schöner sind sie, im einsamen Boote hinaus in die See zu fahren. Bujuk-Dere, den 1. August, Montag. Es war eine Wallfahrt der Ritt, den ich heute nach Belgrad machte. Lady Montague schrieb dort zwei ihrer reizenden Briefe, und ich habe die Frau, seitdem ich diese ~Letters written during her travels in Europe, Asia and Afrika~ gelesen, auf den Parnaß meines literarischen Glaubens erhoben. Es gibt wenige Bücher, die so wie das ihrige mit zarter Frauenhand geschrieben, die Dinge wahrheitsgetreu gesehen, unbefangen aufgenommen, muthvoll dem Vorurtheile der ganzen übrigen Welt gegenüber bekannt und ausdrucksvoll geschildert haben. Dabei gibt sich das Ganze als etwas Einfaches, in so bescheidener Form, daß man nicht nur das Buch, daß man auch den schöpferischen Geist, der dahinter steht, lieb gewinnt. Man muß sich erinnern, was die Türkei und die Türken zu Anfange des vorigen Jahrhunderts in den Begriffen der öffentlichen Meinung waren, wie sie noch weit mehr, als dies heute bei Vielen noch immer der Fall ist, als Vertreter aller Barbarei, Rohheit und Unduldsamkeit galten: um vorgeschrittene Briefe wie den 29. und 30. der Sammlung nach ihrem ganzen Werthe zu schätzen. Dem landläufigen Glauben entgegen schildert eine Frau hierin die Türken als andere denn bloße Christenfresser und ihre Weiber nicht als jene freudelosen Sklavinnen, als welche sie von dem ganzen weiberfreundlichen Europa bedauert werden. Besonders wirkungsvoll in dieser Beziehung ist der Brief vom 1. April aus Adrianopel, der in die Schilderung eines türkischen Frauenbades die richtige Bemerkung eingeflochten hat, „daß, wenn wir den ganzen Körper unbekleidet ließen, man das Gesicht kaum mehr bemerken würde“. Das ist zierlich und anständig gesagt, in reiner Sprache, daß ich diese Briefe blos als Stylmuster in unserer stylverwilderten Zeit immer wieder lese. So sind auch noch von ganz besonderer Vollendung der 36. und der 41. Brief, der letztere in Pera, der erstere in Belgrad geschrieben, beide über die Sklavenfrage eine Freundin in artiger Weise belehrend, daß nicht alle türkischen Griechen Sklaven aber die meisten türkischen Sklaven im Durchschnitte besser gestellt seien als europäische Dienstboten. Wie mundtodt die Wahrheit sein kann, beweist der Umstand, daß dies heute noch dem „gebildeten Europa“ als eine Neuigkeit erzählt werden muß. Die Stätte, die man mir als Wohnort der Lady wies, zeigt heute kaum mehr Trümmer; nur die Fundamente eines Hauses ragen noch stellenweise aus der Erde hervor, das Meiste ist durch Feigengebüsche verborgen. Ich nahm ein Blatt mit, es als Reliquie in das Buch der Engländerin zu legen. Belgrad ist ein kleines hölzernes Dorf, heute von ärmlichem Aussehen, zwar grün und still gelegen, aber der Wunsch, getrennt vom Bosporus zu leben, zu wissen, daß er so nahe vorüberfließt, ohne daß man ihn sieht, wird mir immer unbegreiflich sein. So schön diese runden, dichtbelaubten Hügel das Becken von Belgrad umschließen, schönere Bergformen gibt es anderswo, und das Grün von Brussa z. B. ist ein tausendfältig reicheres, den Bosporus aber hat die Welt nur einmal und das Meer ist nirgends schöner als dort, wo es durch die Ufergelände von Europa und Asien nach Kiredsch Burun hereinsieht. Erreichbar nahe diesen Gestaden und doch davon geschieden zu sein, erscheint mir jeder andere Aufenthalt wie ein Ort der Verbannung. Streckenweise in starkem Regen war ich nach Belgrad hinausgeritten. Die Mischung mit dem nassen Elemente hatte die rothe Erde noch röther gefärbt; wo die Sonne sie durch das Dickicht der Bäume traf, glühte sie wie Purpur. Das Laub war durch den Regen grün wie im Frühling geworden und das der Kastanienbäume, leicht im Winde bewegt, leuchtete dazwischen wie flüssiges Gold. Rechts von der Straße ab liegen die Bends, große Wasserbehälter, welche die Cisternen von Constantinopel speisen. Ich kann nicht die Bewunderung theilen, welche für diese Schöpfungen der Sultane herkömmlich ist. Es sind Thäler vom Buschwerke umspannt, aber in ihrer Höhlung davon gereinigt und beim Ausgange von einer Mauer gesperrt, welche das Regenwasser sammeln und es theils oberirdisch durch Viaducte, theils unterirdisch durch Röhrenleitungen nach der Hauptstadt abführen. Ich kann sie nicht besser bezeichnen, als wenn ich sie künstliche Seen nenne, und so gehörte denn auch nicht viel Erfindungsgeist dazu, um diese Wasserspeisungsmittel zu erschaffen. Die Mauern aber, sowohl die, welche die Thäler sperren, als die das Wasser zur Stadt tragen, sind durch die Bauwerke unserer Eisenbahnen längst übertroffen. Den Rückweg nahm ich nicht über Baghtsche Köi, ein Dorf, das umringt von diesen künstlichen Seen steht und woher ich gekommen, sondern rechts auf den Höhen nach einem Punkte, der ~quattro stradi~ heißt, weil dort vier Pfade zusammenlaufen. Von diesem Kreuzungspunkte, der ziemlich hoch gelegen, sieht man zugleich Constantinopel und das schwarze Meer, eine der schönsten Aussichten, die ich hier wenig gekannt und gewürdigt finde. Alle diese Höhen, die man dann passirt, sind mit niederem Buschwerke überzogen, meistens Steineiche, Arbutus, Kastanie, ab und zu auch ein hilfeflehender Lorbeerstrauch, wie denn hier nirgends, selbst in dem jungfräulichen Walde von Belgrad nicht, der mit den härtesten Strafen gegen Holzschläger geschützt ist, der Baum sich hochstämmig auswächst. Dienstag, den 2. August. Schon da ich neulich in der tausendsäuligen Cisterne des großen Constantin das Bild des römischen Reichsapfels, das Kreuz auf der weltbedeutenden Erdkugel, in einem Säulenschafte eingemeißelt fand, signalisirte ich die Drohung, es könnten einmal aus dem hiesigen Besitzstande die Russen auch Ansprüche auf das Imperium über die anderen Theile des ehemals römischen Weltreiches ableiten. Heute fand ich noch einen anderen Titel für diese neue Gefahr der orientalischen Frage. Wie beinahe alltäglich ließ ich mich Morgens über die Bucht von Bujuk-Dere hinüberrudern, um unter den Platanen von Kiredsch Baron, die ich zu meiner Studirstube ernannt, einen Beitrag zu der Geschichte dieser Gegenden zu lesen. Ich nahm heute „Des Freiherrn von Wratislaw merkwürdige Gesandtschaftreise von Wien nach Constantinopel“ mit mir, ein wirklich bemerkenswerthes Buch, das von einer früheren Zeit der Ottomanen die Sitten beinahe mit derselben Anschaulichkeit schildert, wie die nur etwas graziösere Feder der Lady Montague die türkischen des 18. Jahrhunderts. So wie diese Nachfolgerin und der noch spätere Fallmerayer, ging auch dieser ältere Fragmentist die Donau hinab nach Constantinopel. Seinem eigenen Berichte nach hatte er kaum aufgehört Kind zu sein, und war, noch ein Knabe von 16 Jahren, dem Herrn Friedrich Kregwitz als Page in das Gefolge gegeben, das dieser als außerordentlicher Gesandter Kaiser Rudolf II. 1591 zu dem türkischen Sultan Amurath III. führte. Bei einem Dispute, welchen Wratislaw von dem Vorgänger im Amte des Herrn Kregwitz mit dem Großvezier berichtet, läßt er diesen den Kaiser einen Wiener König nennen und macht hierzu die folgende Bemerkung: „Der Großvezier nannte nach dem Gebrauche aller Türken mit Bedacht den römischen Kaiser einen Wiener König, weil die Türken darauf beharren, daß nur blos ihrem Großsultan der Titel eines römischen Kaisers wegen der Eroberung von Constantinopel, als wohin das römische Kaiserthum übertragen worden wäre, gebühre.“ -- Also die Türken hatten das ~imperium mundi~ bei der Eroberung der Hauptstadt der constantinischen Weltordnung aufgegriffen und festgehalten; die Tradition dieses Rechtes lebte Ende des 16. Jahrhunderts noch bei ihnen; lebte nicht nur, sondern war im Gebrauche bei +allen+ Türken und wurde +mit Bedacht+ von den Ministern gegenüber den fremden Diplomaten hervorgekehrt. Mir scheint das ein historisches Factum der größten Bedeutung zu sein, welches ich bisher nirgends genug hervorgehoben und gewürdigt fand. Wenn nun andere künftige Eroberer auf diesem Schauplatze erscheinen, werden sie bescheidener in ihren Ansprüchen sein und sich nicht auch mit diesen Rechtstiteln schmücken? Liegt es in der Art derer, die wir fürchten, sich zu bescheiden, und ist es nicht zu fürchten, daß, wenn sie einmal hier stehen, sie auch die Mittel haben werden, sich die Unterlagen zu diesen Titeln zu erkämpfen? Der Drang der Russen wie der der Deutschen geht fortwährend gegen den syrenisch verlockenden Süden. Wie mit der Kraft eines jener Naturgesetze, die den einmal in’s Fallen gekommenen Körper nicht mehr zur Ruhe gelangen lassen und die Meteore zur Erde hinabzwingen, treibt er sie südwärts, die beiden sonst in Allem so verschieden gearteten Völker durch diesen einen Wunsch ähnlich erscheinen lassend; und wenn sie dort auch zunächst getrennte Zielpunkte haben, die Einen Rom und die Andern Constantinopel begehren, so bleibt doch ihr letztes, äußerstes Ziel ein gemeinsames und darum, um die Herrschaft der Welt wird endlich der unausweichliche Vernichtungskampf zwischen Germanenthum und Slaventhum entbrennen. In Europa leidet heute schon Oesterreich, das wie ein Keil zwischen diese beiden Elemente geschoben und durch die Ungunst dieser Lage, wie durch den traditionellen Fingerzeig seiner Geschichte nach den beiden Stationspunkten dieser Ehrgeizigen, zugleich zum Besitze und zur Vertheidigung nach Constantinopel und Rom gezogen und gewiesen ist, unter dem Fluche und dem Verhängnisse dieses vorausbestimmten Geschickes; in Asien bereitet sich der Streit um die Oberherrschaft über das reiche Indien mit den Engländern als eine Episode dieses Weltkampfes vor, und Amerika, das noch nicht den Bann der weiteren Zukunft ahnt, der auch es zu einem Existenzkriege mit den Russen verurtheilt, rüstet sich, durch seine Beihilfe seinem künftigen Gegner zum Siege zu verhelfen. So wird überall, in großen wie in kleinen Dingen die Zukunft um vorübergehender Vortheile willen an die Gegenwart verkauft, damit sich die Geschicke erfüllen, so wie Gott ihnen von allem Anfange an die Würfel geworfen hat. VII. Athen. Rückfahrt und Rückblicke. Mittwoch, den 3. August, Abends 9 Uhr, an Bord des Dampfers „Sinai“ im Hafen des goldenen Hornes. Das Verhängniß selbst scheint mich hier festhalten zu wollen, ein Verbündeter meines der Abreise so sehr abgeneigten Willens. Seit 5 Uhr bin ich an Bord des Schiffes, das der Gesellschaft der Messageries Impériales gehört. Ich sah die Sonne untergehen und nahm in meinem Wahne den letzten Abschied von dem Zauberbilde der drei Städte Constantinopels. Noch einmal glänzte die gläserne Fronte der Caserne Selims in Skutari, wie ich sie so oft gesehen, wenn ich von einem Ritte heimkehrend oben in Pera an meinem Fenster stand und dem Sonnenuntergange zusah. Die Pinien der Seraispitze warfen wie in jener Zaubernacht, da ich geistig betrunken hinaus in das Marmorameer ruderte, schwarze Schatten von dem Vorgebirge Stambuls herab auf den vorüberfluthenden Bosporus, und auf den Höhen von Pera flammten die Cypressen der Friedhöfe in einem rothen verklärenden Feuerscheine. Es war ein wunderbares Abschiedsfest, das meine Phantasien feierten, leuchtender als alle Beleuchtungen des Beiram. Wir warteten die Post des französischen Botschafters ab. Als sie endlich gekommen war und der große Dampfer rückwärts der Spitze von Asien zu dampfte, um die Wendung zur Ausfahrt außerhalb des Schiffsgedränges zu machen, brach das Steuer; die Anker, die uns nun wieder festhalten sollten, erwiesen sich einer um den andern in ihren Ketten zerrissen. Willenlos trieb der Koloß eine Weile auf den Wellen, von der Strömung auf der Breitseite erfaßt und so in die Quere gestellt, in das Marmorameer hinaus. Dort fuhr er ein Segelboot nieder, das offenbar den Grund unserer sonderbaren Bewegungen nicht errathend, sich auf die größere Manövrirbarkeit des Dampfschiffes verlassen und den Cours nicht rechtzeitig aus unserem unberechenbaren Wege genommen hatte. Die Mannschaft rettete sich an unseren Bord, das Schiff sahen wir umgestürzt in der Nacht verschwinden. Ein Remorqueur, welcher kam uns zurückzuschleppen, erwies sich als zu schwach; aber wenigstens half er durch neue Ankerketten und auch durch Schmiede, die er brachte und die nun mit großem Lärm an der Arbeit sind. Das ist die französische Seetüchtigkeit, die schon im Hafen Schiffbruch leidet. Was morgen mit uns geschehen wird, darüber weigert man die Antwort; als das Wahrscheinlichste höre ich die Umladung auf ein anderes Schiff besprechen. Donnerstag, den 4. August, an Bord des Dampfers „Sinai“. Dazu kam es nicht; die ganze Nacht über arbeiteten sie an dem Steuer mit solchem Lärm, daß Niemand schlafen konnte. Morgens ist es wieder hergestellt und schon um 6 Uhr höre ich, daß wir auf dem Schiffe die Reise fortsetzen werden. Um 7 Uhr ist Alles fertig, aber erst um 8 Uhr setzen wir uns in Bewegung. Fortwährend haftet mein Auge an den Thürmen der geliebten Stadt; der Abschied wird mir schwerer als irgend einer. Als ich vom Frühstück auf das Deck hinauf komme, ist sie verschwunden. Wir sind um halb 11 Uhr auf der Höhe von Bujuk-Tschekmedje. Um 11 Uhr thut sich rechts in dem europäischen Festlande der Busen von Silivri auf, und links sehe ich die schön und mäßig gezogenen Formen der Insel Kalolimni, dahinter den Busen von Mudania und hinter uns die letzten Mahnungen an Constantinopel, die Prinzen-Inseln. Vor uns allein freie, weite See. Ich schaue nach Asien; die Bergformen sind dem Herzen bekannt, denn Brussa lebt in seiner Erinnerung. Daß damals heute wäre! Die europäischen Ufer sind flach und kahl; sandiges Gelb deckt sie, dem nur ab und zu ein vorüberziehender Wolkenschatten Wechsel der Farbe und scheinbar auch der Gestalt gibt. Um 2 Uhr sind wir auf der Höhe der Halbinsel Cyzikus. Ueberraschend hoch und wild erhebt sich ihr gewaltiger Kapu Dag, der Berg Artace der Alten. Um 3 Uhr passiren wir die Insel Marmora, die lange wie hindernd vor uns gelegen. Mächtige Felsmassen, leicht röthlich gefärbt wo der Stein vortritt; Bäume fehlen gänzlich, selbst das Zwerggestrüpp ist selten; Spuren von Menschenleben sehe ich nirgends. Links von der Insel Marmora und zwischen ihr und Cyzikus gelegen erscheinen kleiner und niedriger die Inseln Rabby und Liman Pache; rechts von der Marmora tritt später ganz nahe an uns der zerklüftete Felsen Adaces heran, und zwischen ihm und Marmora, aber weiter zurückgeschoben, mit langgezogenen Linien das Eiland Katali. Eingefaßt hält dieses zerstreute Inselvolk die in wundervoll ebenen Contouren abfallenden Berge der asiatischen Küste. In einem weiten Bogen zieht sie sich hier in das Festland zurück. Immer noch streben meine Blicke rückwärts, als könnten sie wenigstens für einen Augenblick wieder das verlorene Constantinopel zurückbringen. So muß dem Liebenden und so dem Verbannten zu Muthe sein, den das Schicksal fort von dem Heimathsorte seines Glückes stößt. Trost wäre es mir gewesen, die Stadt nicht blos scheinbar, sondern wirklich und für ewig in den Wellen untergehen zu sehen, damit Keiner genieße, was ich entbehren muß. Um 4 Uhr sind wir auf der Höhe des Cap Karabua; seit 2 Uhr der asiatischen Küste näher als der europäischen, an die sich zuerst das Schiff gehalten. Jetzt aber tritt auch diese wieder zu uns heran und plötzlich mit mächtigen hohen Gebirgsmassen, darunter Kuru Dag, der Mons Sacer der Alten, und später wie sich diese Umtaufe bei geheiligten Bergen gleichlautend so oft vollzog, der des heiligen Elias. Sollte die ursprüngliche Bezeichnung nicht mit dem Grabmale der Helle zusammenhängen, das ja, wie Herodot (7. Buch 58. Cap.) erzählt, hier errichtet worden war? Wo der Gebirgszug die See berührt, sind auch die oberen Linien wie zerhackt und steile Wände, vielfältig eingeschnitten, fallen ab, als habe sie die eben durchgebrochene Fluth ausgewaschen. Um 5 Uhr begegnete uns der Schnelldampfer des Lloyd. Ich glaubte den „Neptun“ zu erkennen. Die Sonne sinkt aus einem wolkenlosen Himmel hinter die Landenge des thrakischen Chersoneß in ein anderes Meer, den saronischen Busen. Ihr Licht und ihre Farben läßt sie uns noch lange. Um 8 Uhr fahren wir beim Leuchtthurme von Gallipoli vorüber. Ihm gegenüber, auf asiatischer Küste, leuchtet ein anderes schützendes und warnendes Feuer, und eine Stunde später, in der Straße der Dardanellen, ein vernichtendes, das weithin Meer und Land erhellt; ein Wald brennt in Asien, und Hügel und Thäler wogen in Flammen. Wie zur Abschiedsfeier mir eigens angezündet erscheint dieser Brand. So muß Rom ausgesehen haben, das Nero in Flammen setzte, und so Moskau, als die Russen die Brandfackel ihrer Freiheit hineingeworfen hatten. Um 10 Uhr ankern wir bei den Dardanellenschlössern und um 11 Uhr fahren wir weiter. Freitag, den 5. August, an Bord des „Sinai“. Morgens 8 Uhr. Uns zur Linken liegt Chios, vor uns Ipsara, und weit hinter uns, mehr zu ahnen als noch zu sehen, Mytilene, eine langgestreckte niedere Linie. Aber Chios steigt hoch auf zu zackigen Massen, Ipsara mehr klotzig in eine nur stumpf zulaufende Spitze. Der Cours des Schiffes ist auf den Paß zwischen Andros und Euböa gerichtet; der Himmel ist wolkenlos, die See tiefblau aber nicht ohne Bewegung; die gestrige Ruhe fehlt ihr. Mir sind Luftstimmungen mächtige Wecker der Erinnerung. Ein schöner duftquellender Frühlingstag ruft mir Eindrücke meiner Studienzeit zurück, die eben dadurch ausgezeichnet war; und ein kalter schneegedeckter Wintertag, an dem aber die Sonne scheint, solche, die zu den traurigsten meines Lebens gehören. Vielleicht wirkt diese selbe Macht der Wiederanklänge auch noch in Perioden, die länger als unser Leben dauern, und besonders empfängliche Gemüther werden dann von einem Tone der Erinnerung berührt, der ihnen -- ohne daß sie die Ursache bemerken -- Bilder, Eindrücke, Stimmungen weckt, die verwandt sind mit Ereignissen einer weit hinter ihnen liegenden Vergangenheit. So erkläre ich mir, daß mir manche historische Momente, die mir sonst unbegreifliche gewesen waren, an dem Orte ihrer Geburt ganz greifbar gegenständlich geworden sind, und daß ich heute fühle, als sei ich mit demselben jugendkräftigen Windzuge in Gesellschaft der Homeriden schon einmal über dieses bewegte Meer unter dem wolkenlos reinen tiefblauen Himmel einhergefahren. Um 2 Uhr passiren wir Capo d’oro und treten in den Canal, den Euböa mit Andros bildet; rechts und links die Küsten wüst und steinig, ohne Spur, daß die Natur oder Menschen dort schaffen. Euböa lag schon seit 11 Uhr mit ungeheuren Bergen vor uns, die obersten Gipfel hoch, scheinbar wie die Alpen, zerklüftet und eingesägt. Der höchste gegen Nordost ist wohl der Delphi-Berg. Der Nordwind hat die See höher erregt; die Wellen treffen die rechte Seite des Schiffes und machen es gewaltig rollen; allmälig steigen sie bis zum Verdecke hinauf, und jetzt kehrt eine um die andere es ab. Zu dem Dampfe haben wir auch noch alle Segel vorgespannt und so geht die Fahrt ungewöhnlich rasch. Vor 3 Uhr umfahren wir die Insel Inglese (Myrtos der Alten); ein ganz nackt gewaschener Felsen, der sich in zwei Spitzen hebt. Hinter ihm steigt die Küste Euböa’s zum hohen Gipfel des Elias-Berges auf. Der Hafen Karysto öffnet sich im schönen, leicht geschwungenen Bogen, geschlossen durch das Cap Karysto. In weiter, unbestimmter Ferne liegt Isola Macronisi und dahinter hoch und mächtig attisches Festland. Links hinüber im weiten Halbkreise scheint Alles vor uns geschlossen. Zea wohl unter dem Inselvolke. Um 6 Uhr passiren wir Cap Sunium, unter den Tempelsäulen so nahe herfahrend, wie nur auf dem Rheine unter den Burgruinen. Wie sonst die Berühmtheit, geben sie heute dem Vorgebirge den Namen: Cap Colonne. Gelblich weiß stehen zuvorderst neun nebeneinander, einige andere in zweiter Linie, alle dorischer Ordnung und von jener wunderbaren Farbe angehaucht, die Prokesch so treffend „Zeitgelb“ genannt hat. Sie glänzen im Sonnenlichte und mir klingt’s wie Sprache aus einer andern Welt, daß mich Rührung erfaßt, wie sie mich inniger vor keinem anderen Denkmale der Vergangenheit befallen hat. Vielleicht aber auch steht keines so einsam, so schön und so großartig zugleich wie diese Ruine des Tempels der Athene Pronoia, den der Schiffer zuerst sah, wenn er heimkehrte nach attischem Festlande. Unten sind die Felsen der Küste nackt ausgewaschen, weißer Schaum peitscht weit hinauf. Schon ist die See wundervoll rosig, die Berge, die kahl sind, flammen in rothem Lichte, daß sie durch den Schnitt der Linien und die Färbung ein Bild der höchsten Schönheit darstellen. Um 7 Uhr fahren wir an Aegina vorüber. Auch dort ein Monte Elia, aus breitem Fuße zu scharfer Spitze hoch aufsteigend über die sonst lang und flach gestreckte Insel. Die Berge des Peloponnes, Korinth’s, Megara’s, alle in den reinsten und schönsten Linien dahinter. Und Farben auf Meer und Land, die die untergehende Sonne malt: glühendes Gelbroth und dunkelndes Purpurblau. Aegina zur Linken, Salamis vor mir, rechts den Hymettus und goldschimmernd die Akropolis, und was ich sonst sehe, Namen und Bilder, die Jahrtausende vor mir gehört und gesehen haben. Wer fühlte nicht sein Nichts vor solcher Vergangenheit! Ich stehe auf dem äußersten Bug des Schiffes an ein Tau gelehnt, das ich umschlungen halte; Matrosen kauern neben mir auf dem Verdecke und singen französische Volkslieder, ein junger Tenor darunter mit zartem Ton, der sich wie zugehörig der weichen Luft verschmilzt. Aller Wind ist erstorben, die Segel hängen schlaff, die See liegt ruhig und der Kiel muß sich beinahe mühsam wie durch dichtes Oel durcharbeiten; in schweren Tropfen fällt das Wasser, das er aufgewühlt, in den glatten Spiegel zurück; der Salzgehalt scheint vermehrt, man schmeckt ihn auf den Lippen und fühlt ihn in den Haaren. Die Wärme des Südens ist in der Luft, den Farben, der ganzen Stimmung der Natur, und die Poesie des Augenblicks faßt mich wie mit Blitzesschlag. Verloren wie in dieser Stunde, aber im Genusse verloren, habe ich mich noch nie gefühlt. Ein Grieche trat zu mir, mit dem ich schon manches Wort während der Fahrt gewechselt. Er gehört seinem ganzen Aussehen und Gebahren nach der gebildeten Classe der Gesellschaft an. „~N’est-ce pas que la soirée est belle?~“ redete er mich an. „~Vraiment,~“ antwortete ich ihm, „~je n’en ai pas éprouvée une plus délicieuse; l’air est balsamique et quand on pense que c’est là, où nous sommes, que l’Asie et l’Europe se sont livrés leur plus grande bataille et qu’ici une des premières scènes de cette longue question de l’Orient avait été décidé par la défaite de l’Asie, alors aussi un sentiment de respect s’unit à celui du délice et de la jouissance corporelle.~“ -- „~Mais comment donc,~“ unterbrach er mich, „~ici l’Asie et l’Europe se sont combattus? mais quand donc? racontez le moi.~“ -- Und ich mußte dem Manne von Xerxes, von Themistokles und von der Schlacht bei Salamis erzählen, und er hörte mir aufmerksam wie ein Schulbube zu. Dabei hatte derselbe Mensch in früheren Stunden mir die griechische Geschichte des Mittelalters, die ganze Liste der byzantinischen Kaiser in einer bis in die verstecktesten Details dringenden Genauigkeit erzählt. Damit gebe ich den europäischen Politikern den innersten Kern der griechischen Frage und zugleich den Baiern, die von Hellas vertrieben worden sind, den Grund der Abneigung, der ihnen überall zum Lohne für ihre Aufopferung wurde. Der moderne Grieche versteht nicht das Bestreben, das ihn wieder anknüpfen will an die Helden seines grauen Alterthumes; für ihn gibt es nur ein Interesse, und das ist die Wiederherstellung des byzantinischen Reiches, dort leben seine Erinnerungen und dorthin streben seine Hoffnungen. Wer an die einen nicht denkt und an die anderen nicht glaubt, der ist nicht sein Mann und kann zurückgehen zu den Studirstuben deutscher Alterthumskunde. Mit diesem Denkzettel an die neugriechische Frage fuhr ich ein in den Piräus schon bei finsterer Nacht, Abends 9 Uhr. Mein neuer Schüler in griechischer Alterthums-Wissenschaft machte den Cicerone bei den Ausschiffungs-, Douane- und anderen Umständlichkeiten und enthob mich jeder Last. Er führte mich auch in seinem eigenen Gefährte nach Athen hinein, wo ich in dem Hôtel d’Angleterre absteige. Auf der staubigen Landstraße, die von dem Piräus nach der Stadt führt, begegneten uns mehrere Reitertrupps, die den Weg sicher vor den Räuberbanden halten sollen. So sieht das +freie+ Griechenland aus. Athen. Wer Athen zum ersten Male im Tageslichte sieht und das Auge unbefangen mitgebracht hat, der muß auf den ersten Blick erkennen, warum die Baiern von hier fortgejagt worden sind. Die Straßen sind breit und lang gezogen, daß der Staub sich darin nirgends vor dem Winde verkriechen und der Schatten dem Sonnenlichte keinen Raum abgewinnen kann. Die baierische Eitelkeit, welche sich aufbläht und München für das Ideal der Welt hält, hat den Maßstab der Isarhauptstadt, der dort schon allzu groß ist, in die hiesigen noch kleineren Verhältnisse übertragen. Gibt es Augenblicke, da in München in der Ludwigsstraße streckenweise nur ein Mensch sichtbar ist, so geht hier in der Aeolus- und Hermesstraße oft stundenlange keiner vorüber; Wagen sieht man ganze Tage hindurch nicht. Die 35.000 Bewohner Athens können eben doch nicht blos des Schauspieles wegen den ganzen Tag über spazieren gehen, und so viele gehören wenigstens dazu, um diese Gassen und weit gedehnten Plätze zu füllen. Umsomehr thut dieses das Sonnenlicht; das liegt den ganzen Tag breit und unaufhaltsam gebettet auf dem staubigen Pflaster. Kleine Oleanderbäume, welche die vertriebene Königin zum künftigen Schutze der Vorübergehenden angepflanzt, sind gleich, ehe sie ihre Aufgabe beginnen konnten, von der Hitze und dem Staube verkrüppelt worden, und dienen nur mehr als verrätherische Zeugen, daß man seinen Fehler eingesehen, nur leider zu spät, da er schon unverbesserlich war. Das Muster der orientalischen Städte nachzuahmen und das fortzusetzen, was man schon vorfand, kleine, enge und gewundene Gäßchen, die dem Winde und dem Sonnenlichte keinen Einlaß geben, es aber zulassen, daß man von einem Hause zum anderen eine schützende Decke für die Vorübergehenden spanne: das verbot der gebildete Hochmuth, den man aus eingebildet fortgeschritteneren Verhältnissen mitgebracht hatte und den so selbstvernichtend unter den Europäern insbesondere der Deutsche mit auf seine Reisen nimmt. Und so wie die Gassen und öffentlichen Plätze construirten sie das Innere der Häuser. Statt der breiten Treppe und der luftigen Sala, die das Haus in zwei Theile theilt, selbst einen kühlen Raum schafft und allen darein mündenden Gemächern Kühlung zuführt, enge, gewundene Stiegen, kleine Vorzimmerchen, winzige Speisesäle, Schlafkammern und Salons, aber Alles baierisch, münchenerisch hergerichtet, und darum wohl nach den Begriffen der Eingewanderten unübertrefflich, obwohl in auffälligem Widerspruche mit den Anforderungen des atheniensischen Klimas und der griechischen Bedürfnisse. Wer als Fremder sich diesen Anforderungen fügen will, der wird selbst von den längst Eingewanderten als Sonderling betrachtet; so wenig hat selbst die Zeit diesen Vorurtheilsvollen die Einsicht in die Vortheile der eingeborenen Sitte oder auch nur die Frage danach gegeben. Nein, der Horizont ihres Verstandeskämmerleins ist derselbe enge geblieben, wie ihn sich der Hochmuth in Baiern ausgebildet hatte, und nach demselben übertragenen Maßstabe wurde dann in weiterer Fortsetzung das ganze öffentliche und private Leben der Griechen umgebaut; aus sich heraus, aus der eigenen Wurzel, aus dem vaterländischen Boden und der heimischen Sitte nichts erschaffen. Zuletzt hatten diese Griechen in ihren Gassen, Plätzen, Häusern, in ihren Schulen, Gesetzen und Militärvorschriften ein förmliches System von Torturanstalten, in dem ihre Gewohnheiten bald breit und lang, dann wieder schmal und kurz geschlossen wurden. Nun kann man wohl mit der Folter den Willen des Einzelnen beugen, entweder stirbt er oder er ergibt sich, aber der Wille eines Volkes ist durch solche Mittel nicht besiegbar; für jeden Kopf, den man ihm abschlägt, wachsen wie bei der Hydra zwei andere nach. Dieses baierische Mißverstehen der griechischen Gewohnheiten, wovon ich die monumentalen Zeugen hier in Athen sehe, und das Nichtererkennen der griechischen Wünsche, wovon mir die byzantinische Geschichtskenntniß meines Bekannten auf dem französischen Dampfer Zeugniß gab, halte ich für die vereinten Ursachen, welche das Ende der baierischen Herrschaft auf hellenischem Boden herbeiführten. Uebrigens muß ich gleich hier zur Entschuldigung der Baiern sagen, daß ich nicht glaube, daß es irgend eine andere europäische Macht auf hiesigem Boden zu einem bleibenden Erfolge gebracht hätte. Ich zweifle überhaupt, daß diesen noch rohen und doch auch schon verkommenen Völkerstämmen der illyrischen Halbinsel durch eine Mischung mit unserer auch nicht mehr gesunden Cultur aufgeholfen werden wird. Sie so wenig als die amerikanischen Ureinwohner sind erfrischungsfähig durch europäische Einflüsse; sie leben entweder aus sich heraus und in ihrer Weise, oder sie leben gar nicht mehr, d. h. sie gehen langsam unter der Faust eines fremden Eroberers und in der Vermischung mit seinen Knechten zu Grunde. Nachdem man sie dem zweiten Falle sich hatte entwinden lassen und sie befreit von den Türken waren, hätte man sie auch dem ersteren vollständig und mit allen seinen Consequenzen überlassen sollen. Capodistria war für diesen Fall, wie ihn auch der Fürst Metternich wollte, der schickliche Regent, und nicht zu leugnen ist, daß unter seiner Verwaltung Griechenland verhältnißmäßig die glücklichste Periode seiner selbstständigen Existenz durchgemacht hat. Das was die Großmächte statt seiner anordneten war eine Halbheit und gab den Griechen nur den Titel in die Hand, die Schuld ihrer Mißerfolge den Fremden zuzuschieben. Gelingt es auch der zweiten Dynastie nicht, sich einzuwurzeln, so wäre es immer noch an der Zeit, die Griechen sich selbst zu überlassen. Und wenn sie sich auch unter einander auffressen, so möchte ich fragen, welcher Verlust daraus für die Menschheit entstehen sollte, daß solche Unruhestifter von der Welt vertilgt werden? Theilnahme der anderen Mächte wäre überhaupt nur zulässig, um jede einzelne von der Einmischung abzuhalten. Ein Cordon, der wenigstens moralisch gedacht um das ganze Griechenland gezogen würde, könnte diesen Zweck erfüllen. Uns kann das Zusehen nichts schaden und den Griechen doch vielleicht einmal nützen. Dieses aus dem politischen Theile meiner atheniensischen Betrachtungen. Zu den Denkmälern machte ich meine erste Wanderung gleich an dem Morgen nach meiner Ankunft schon um 5 Uhr. Der Tempel der Winde ward mir eigentlich eine Enttäuschung; ich hatte mir seine Reliefs vorzüglicher vorgestellt. Aber der weitere Weg zur Akropolis führte mich zurück in die geweihte Stimmung. Aloe und andere Stauden des Südens säumen ihn ein; zwischen zerfallenem Gemäuer und über Trümmer steigt man aufwärts, daß mir Goethe’s Wanderer gegenwärtig ward. Noch lag der Morgen wie in halbem Lichte, obwohl die Sonne schon auf war; die attische Ebene und das fernere Meer erschienen in bleichen Farben. Zunächst unter mir rechts hinab, nachdem ich das erste Thor passirt hatte, sah ich das Theater des Herodes, das, weil nur der Musik geweiht, Odeon hieß. Größer hatte ich mir dieses Theater vorgestellt, und daß dieses 8000 Menschen fassen konnte, will ich nicht recht begreifen. Ganz anders ergeht es mir bei den Propyläen, sie übertreffen meine Vorstellungen. Riesenmäßig erscheinen sie mir, und selbst der kleine Tempel der ~Nike apteros~ größer als seine Maße. Es liegt die Ursache wohl in den richtigen Verhältnissen bei diesen Bauten. Wer nicht mehr will als er kann, bringt nie sein Unvermögen zur Erkenntniß und erscheint schon darum mächtiger als andere gestürzte Phaëtone. Wie einer der Wallfahrer im panathenäischen Festzuge schritt ich zwischen diesen Säulenhallen und über die Schwellen hin, welche in die Marmorpflasterung des Bodens für die aufwärts glimmenden Opferthiere eingehauen worden waren und die heute noch so erhalten wie damals sind. Vor kurzem erst hat man sie aufgedeckt. Nirgends ist mir die Vergangenheit gegenwärtiger geworden als hier durch diese Schwellen. Es sind eben auch in der Weltgeschichte die gemeinen Detailzüge, die das Bild oft mehr erläutern als alle großen Zeichen. Die dorischen Säulen der Propyläen erschienen mir wie alte Bekannte, und doch sah ich sie zum ersten Male; aber ich hatte das Vorgefühl von ihrer Schönheit gehabt, und hier gilt auch, daß nur versteht wer fühlt. Begreifbar ist Alles leicht bei diesen Gebäuden, weil jeder Dienst und jede Last mit ihren Pflichten und mit ihren Rechten klar zu Tage tritt, und weil die großen Linien des Ganzen nicht durch das Detail gestört und zerstreut werden; die Schönheit aber muß empfunden werden. Darin auch gleichen sie der Natur, daß sie zwar durchaus beschreiblich sind, daß aber der rechte Genuß, wie bei der Rose durch den Geruch, nur durch den Anblick gegeben werden kann. Der Parthenon schien mir riesig und wie das Grab der Zeit; wie wenn alle Vergangenheit unter diesem zerfallenden Denkmale begraben liege. Er steht hoch über den andern Trümmern, die wie ein verwüsteter Friedhof das Feld decken. Stachelige Kapern mit ihren schmetterlingartigen Blüthen schaukeln sich über den Marmorblöcken, und die Karyatiden des Erechtheion schauen wie trotzig empört über solche Barbarei, die hier das Handwerk geübt, auf diese Trümmerstätte herab. Es sind ihrer sechs, vier in der Fronte und zwei in zweiter Linie; drei das linke und drei das rechte Knie herausgebogen, die Körperschwere auf dem anderen Beine lastend. So dienen und tragen sie noch immer, aber mit herrischem Stolze und mit jenem selbstbewußten Ausdrucke in der Miene und der Körperhaltung, den ich auch in der Venus von Milo wiederholt finde. Wie jenes Götterbild könnte ich auch die dritte, wenn man davorstehend und die Gruppe anschauend von der Linken zur Rechten zählt, anbeten und verehren, vor ihr niederfallen und sie heilig halten. Wenn in einer zaubervollen Mondnacht alle diese Weiber lebendig würden, sich der Gebälkslast enthöben und herabstiegen von ihren Basen -- ich würde die meinige bei dem mir liebsten Namen auf Erden nennen, sie mich erkennen und wir einen Jubelsturm durchleben, wie ihn nur die Seligen im altgriechischen Himmel genossen. Inzwischen war, da ich das erste Mal hier oben stand, der Tag mit all’ seiner aufklärenden Allgewalt hereingebrochen und immer wieder schweifte mein Blick von den Denkmälern hinaus auf die wundervolle Landschaft, die heute noch so ist wie vor 2000 Jahren, und die die einzige ist, würdig solche Kostbarkeiten zu umfassen. Der Parneß in weiterer nördlicher Ferne, der Pentelikon und Hymettus im unmittelbaren Osten, im Süden das Meer mit feinen Inseln und der peloponnesischen Küste, und westlich der althistorische Oelwald, der durch die Ebene zum Piräus hinabführt: das sind die Hauptzüge des Bildes, das den Beschauer auf dieser zauberhaften Warte umgibt, wohl der schönstblickenden, welche die Welt hat. Und es braucht gar nicht der Farben des Morgens und des Abends, nicht der rosenfingerigen Eos und des feurig glühenden Helios, um uns den Werth dieses Bildes darzustellen. Den ganzen Tag über ist das Meer blau und glänzt die Ebene goldig, spielen kaleidoskopisch die Lichter auf den Bergen und dunkeln violett aus den Felsenklüften die Schatten. So sah ich es immer und so zu jeder Stunde. Einer der angenehmsten Ruhepunkte in diesem weit gezogenen Rundbilde ist, wenn das Auge aus der Ferne wieder in die Nähe zurückgekehrt, unten am Fuße der Akropolis, zwischen ihr und dem Hymettus eingeschlossen, auf dem rechten Ufer des Ilissos sich erhebend, die Ruine des olympischen Zeustempels, eines der größten welchen die griechische Mythologie besessen hat. Zu ihm stieg ich von der Akropole herab, den Weg durch die Stadt nehmend und an den königlichen Schloßgärten vorüber, aus denen Palmen sehnsüchtig mit ihren Kronen zum Meere hinabblicken. Es gibt einen Punkt auf dem weiteren Wege, wo man zugleich diese Bäume noch im Auge und die Säulen des Jupitertempels schon vor sich zwischen ihnen durch den Blick auf das Meer hat, der zu den schönsten Aussichtspunkten der Welt gehört. Ideal schön, beinahe wie erträumt, erscheint er mir; Stunde um Stunde saß ich dort und konnte mich nicht satt sehen an diesen Bäumen und an diesen Säulen, die mit solch’ wetteifernder Schönheit aus dem Boden wachsen, die einen lautlos und unbeweglich stumme Zeugen der Vergangenheit, die anderen leise bewegt als hätten sie geheime Geschichten zu erzählen. Es gibt keine schöneren Säulen als diese korinthischer Ordnung des atheniensischen Zeustempels. Wie unter hochstämmigen Urwaldbäumen ging ich zwischen ihnen herum, staunend die wirklich sehr große Höhe messend und doch nichts Unmäßiges daran findend. Einstmals standen ihrer 120, heute sind nur noch 14 aufrecht, die fünfzehnte liegt gestürzt am Boden in achtzehn Stücke zerfallen. Ich messe und betrachte sie andächtig und nehme von ihr auch ein Erinnerungszeichen mit. Niemand störte meine Andacht, ich war und blieb durch Stunden allein. Wohin der übrige Reichthum an Säulen gekommen, ist kaum zu begreifen; verschüttet können sie nicht sein, weil nirgends der Raum zu solchem Grabe, und auch entführt scheint kaum glaublich, weil man eine solche Summe von Riesen doch nicht leicht transportirt. Von dem mächtigen Unterbau des Tempels, der heute noch am verständlichsten einen Begriff von der einstmaligen Größe des Umfanges gibt, stieg ich zur Enneakrunos hinab, einem Teiche, den der Ilissos nothdürftig speist. Von dortaus gesehen erscheinen die Säulen in ihrem „Zeitgelb“ wie herausgeschnitten aus dem tief dunkelblauen Hintergrunde des Himmels; die Stadt und die Akropolis verschwinden beinahe für den Standpunkt des unten stehenden Beschauers. Die Tempel-Terrasse wird von fein gefügten Quadern zusammengehalten, in deren Fügungen heute noch das Moos keinen Boden gefunden. Ich pflückte einen Strauß von Heliotropen, die mit Aloen und Cactusstauden den Ilissos einsäumen. Sonst ist weit um den Tempel her sandige Wüste. Er steht, so wie Rom, Constantinopel und Jerusalem gebettet sind, in einem erstorbenen Acker. Der kostbarere Stadttheil des alten Athens, der durch die werthvollsten Denkmale ausgezeichnet war, lag auf der Südseite der Akropolis, also ganz im Widerspruche mit dem Geschmacke der heutigen Erbauer, denn dort stehen dermalen nur ärmliche Hütten und verlassene Ruinen. Der wohlhabendere Stadttheil zieht sich nordwärts und die elegantesten Häuser auf der Straße gegen Kephissia zu. Diese frühere Anordnung der alten Athener zeigt von feinerem Natursinne, von der Vorliebe für schöne Aussichtspunkte und von Sehnsucht nach dem Meere, denn von dieser Südseite der Akropolis sieht man von jedem Punkte aus die phalerische Bucht, die Küste bis zum alikäsischen Cap und die inselbevölkerte See. Besonders sichtbar ist dieses Bild von den Stufenreihen des dyonisischen Theaters, das dort an dem Fuße des Burgfelsen und an ihm hinauf gebaut liegt. Vor wenig Jahren erst ist es ausgegraben worden. Mit solcher Aussicht im Bunde ließen Aeschylos und Sophokles ihre Stücke darstellen. Wer jemals hier gewesen, kann der ohne Erinnerung an diese Decoration und nicht mit dadurch gemehrtem Entzücken ihre Tragödien lesen? Das Theater ist das vollständigst erhaltene, welches vom Alterthume auf uns herabgekommen ist. Es zeigt noch bequem brauchbar alle Sitzesreihen mit Quadern musivisch gepflastert, die Orchestra und skulpturgeschmückt den Sockel, der das Proscenion trug. Nur das Podium ist eingestürzt, aber die Canäle liegen klar zu Tage, in denen die Coulissen und Decorationen bewegt und auf ihrer Rolle gedreht wurden. Wer eine Vorstellung von dem altgriechischen Theater haben will und von der Art, wie die Stücke des Aeschylos, des Sophokles und Euripides lebendig wurden, muß hieher gehen und eine Stunde lang in diesen Ruinen des bacchischen Schauspielhauses herumwandern. Ich hatte mir trotz aller Kunstbücher, die ich darüber gelesen, ganz andere Vorstellungen gemacht, irrige, der nun begriffenen Wirklichkeit widersprechende, und so vermuthe ich, daß es auch anderen nicht besser belehrten Köpfen ergehe. So hatte ich mir den Raum der Orchestra nicht so groß, das ganze Theater nicht so klein vorgestellt; denn klein erscheint es auf den ersten Blick und es bedarf erst einer eingehenden Untersuchung bis man glaubt, daß auf diesen Stufenreihen wirklich 30.000 Zuschauer Platz fanden. Es sind im Ganzen 20 Reihen durch 12 Treppen getheilt. Den Halbkreis der Orchestra maß ich mit 62 Schritten, ihre Breite, also auch die Scenenweite, mit 29 Schritten. Die vordersten Stufenreihen waren besonders ausgezeichneten Zuschauern wie unsere Sperrsitze reservirt. Sie sind mit hohen Rück- und fein skulptirten Armlehnen versehen, und auf dem Sockel des Stuhles ist irgend ein Motiv aus der Dyonisius-Mythe zu Reliefbildern verwendet. In der Höhlung des Sessels ist ein kleines Loch angebracht zum Abflusse des Regenwassers; bei Vorstellungen wurde dieses wohl durch ein darauf gelegtes Polster verdeckt. Beinahe jedem dieser ausgezeichneten Stühle ist mit rohen Schriftzeichen der Name des Eigenthümers eingegraben: „Dieses ist der Sessel des Priesters des Dyonisios, oder des Aristides“ u. s. w. Wie oben auf der Akropole die Schwellen im Aufgange der Propyläen versetzt mich auch dieses kleine Detail am meisten in die Vergangenheit. Trümmer sind weit um das Theater gestreut, darunter mancher schöne skulpturliche Rest. Ostwärts von dem Theater führte um den Felsen der Akropolis die Straße der siegreichen Dichter; die erkämpften Dreifüße, monumental aufgestellt, säumten sie ein. Das Lysikratesdenkmal ist noch ein Ueberbleibsel davon und bezeichnet genau die Richtung des Weges. Auf der entgegengesetzten Seite der Akropolis, im Westen, aber auch in der Ebene wie der Zeustempel, steht der noch völlig erhaltene Theseustempel, nach Anderen ein Gotteshaus des Ares; ein Muster dorischer Ordnung aus alt-attischer Zeit. An der Landstraße, die dort vorüber zum Pyräus hinab führt, grub man kürzlich einen Friedhof aus. Ich stieg hinab zu diesen begraben gewesenen Gräbern und wanderte in den Gassen herum mit demselben halb nur neugierigen, halb aber doch auch theilnehmenden Gefühle, das mich auf allen meinen Reisen immer die Friedhöfe der Ortschaften, wo ich stationire, besuchen läßt. Ich fand ein Denkmal, das auffallend an unseren drachentödtenden heiligen Georg erinnert. Nahe dem Theseustempel erhebt sich der Hügel, worauf der Areopag tagte. An den Felsen der Akropolis angeschlossen bildet er mit einer ganzen Reihe anderer eigentlich eine Scheidewand, die in die attische Ebene gestellt, vom Gebirge auslaufend mit der Halbinsel Munychia in die See mündet. Am dichtesten gedrängt sind diese Hügel auf der Westseite des Akropolisfelsen. Dort lag auch einmal ein Haupttheil des alten Athen, das also auch wie Rom und Constantinopel auf Hügeln erbaut war, und mit einigem Suchen ließen sich vielleicht die stereotypen sieben herausfinden. Auf dem Pnyxhügel, der mehr dem Meere zugeschoben ist, stand und steht auch heute noch so wie sie damals aus dem rothbraunen Felsen herausgehauen worden ist, die Rednertribüne. Wo der Grund der Terrasse, die das Volk sammelte, nicht eben genug war, sind ihm Felsen weggesprengt oder riesige Mauern eingesetzt worden. Die cyklopischen Fügungen dieser Unterbauten sind so dicht, daß ich heute noch zwischen die ungeheuren Blöcke (einige mit 13 Fuß Durchmesser) nicht mit der Schneide meines Federmessers eindringen konnte. Der Nymphenhügel, unmittelbar neben der Pnyx, trägt heute die neue Sternwarte; ein kleiner Bau, kuppelgedeckt, von allen Seiten sichtbar. So schön er ist, stört er wie auch das Beste des Neuen neben diesen Resten des Alterthums. Athen sollte nur durch seine Ruinen leben. Sie nicht gesehen zu haben, erscheint mir, auch wenn man die ganze übrige Welt kennt, wie wenn man nichts von dieser wisse. Unglücklich und bedauernswerth wie der, welcher lebt ohne seine Mutter gekannt zu haben, ist wer stirbt ohne daß er sah, was der Mensch einmal Bestes gewollt und Schönstes geleistet, und was er sich zu seinem glänzendsten Gedächtnisse aufgestellt hat. Athen ist das Denkmal der Menschheit, die Akropole der Leichenhügel auf den edelsten Vermächtnissen der Gelehrsamkeit und der Dichtkunst. Rückkehr und Rückblicke. Zweimal auf der Rückfahrt faßte mich die See mit rauhen Händen an. Das erste Mal, da ich auf der „Persia“ eingeschifft noch im Golfe von Aegina schwamm, gab es eine rollende Nacht, die erst der Morgen in Syra, wo ich mich ausschiffte, zur Ruhe brachte; das andere Mal war es im adriatischen Meere ein Sturm, den ich begehrt, aber so wild begehrt hatte, daß er unser Boot, den „Vulkan“, zurück verschlage bis in das goldene Horn. Leider, so lärmend er tobte und Alles auf dem Schiffe durcheinander warf, konnte er es dem Dampfer nur um so viel wett machen, daß wir verzögert um einige Stunden in dem Triester Hafen anlangten. Es war ein Widerwilliger, der wieder den heimathlichen Boden betrat, und jetzt, da ich am 20. September im oberösterreichischen Gebirgslande vor dem Gmundener See dieses Buch schließe, will mich fortwährende Sehnsucht zurück nach den Ufern des Bosporus und den Hügeln des goldenen Hornes verzehren. Der Vollmond legt sie mir in’s Herz, der mit Allgewalt die angesammelten Erinnerungen weckt. Lausche ich ihnen nur einen Augenblick, so sehe ich die tief eingeschnittene Bucht von Bujuk-Dere wieder, Schiffe darauf, die leise bewegt im Mondeslicht geisterhaft schwanken, im Hintergrunde der Bucht einen schwarzen Schattenriß, die riesige Platane Gottfrieds von Bouillon, in Therapia krönende Pinien, und gegenüber auf Asiens Küste runde wellige Hügel, und sehe mich selbst, einen Busch duftiger Blumen und Kräuter in den Händen, die betäubend riechen und mit den fremden Gerüchen auch fremde Eindrücke geben. Die Erinnerung waltet den Zauber ihres ganzen schöpferischen Dichteramtes; was überflüssig dem Bilde hat sie vergessen und nur das Wesentliche, das Schöne dem Gedächtnisse behalten. Beim Scheine einer antiken Lampe, die ich mitgebracht. Graz, den 31. December 1864. Die Lampe ward aus Gräbern mir gegeben, Das Oel goß die Erinnerung hinein, Mit ihrem Zauberlicht das hies’ge Leben Und meiner Kammer Dunkel zu zerstreu’n. -- Und wirklich, vor mir schau’ ich hohe Säulen Von einem ew’gen Sonnenschein verklärt, Und dort, wo Süd und West sich grenzend theilen, Um Inseln, die ein alter Glaube ehrt, Das Meer in nächtig noch bedeckten Buchten; Im Osten, wie zur Abwehr gegen ihn, Durchfurcht von schattig blauen Schluchten, Gebirge, deren Kuppen feurig glüh’n Vom jungen Morgenstrahl entzündet, Der den jahrtausend alten Resten Das Werden neuer Tage kündet; Im Thale Palmen, die mit stummen Aesten Die Laute alter Sprachen wehen; Und mich und Alles, was ich um mich schau’, Bedeckt ein Himmel, wolkenlos und blau, Wie ich ihn so nur in Athen gesehen. -- Dort ist die Heimath, die mein Streben Dem sehnsuchtsvollen Herzen fand, An die ich für das ganze Leben Verlangend meine Liebe band. Denn wenn die herrlichste der Städte, Byzanz, das meergeborne, mir erschien Mit Farben bunt und reich als hätte Der Schöpfer alle ihm allein verlieh’n; Und wenn der Bosporus mit seinen Hügeln, Die Asien und Europa köstlich schmückt Um wetteifernd im Meere sich zu spiegeln, Wenn all’ die Pracht die +Sinne+ mir entzückt: Hat doch die +Seele+ Feste erst gefeiert, Als ich nach gluthenvoll geschied’nem Tag Vorbei an Aegina gesteuert Und Salamis in Schleiern vor mir lag; Als ich am nächsten frühen Morgen Die alten Marmorschwellen aufwärts ging, Und hinter Mauern fest geborgen Der Parthenon mich Glücklichen umfing; Als ich im Gräberfeld dort oben Bewundernd vor den Karyatiden stand, Und in die alte Zeit erhoben Das Todte wieder lebend fand. Da fühlte ich für’s Leben mich geweihet, Und als ein Mensch von and’rer Art, Im Glauben und der Urtheilskraft erneuet, Bin ich zurückgekehrt von dieser Fahrt. Berichtigung. Seite 232 Zeile 3 von oben ist +römischen+ statt +türkischen Kaisers+ zu lesen. Verlag von Carl Gerold’s Sohn in Wien: Eine Reise nach Mexiko. Von Gräfin =Paula Kossonitz=. 2. Aufl. 8. in lithographirtem Umschlag. brosch. Preis 2 fl. =Ö. W.= Abraham a Sancta Clara. Biographie. Von =Th.= v. =Karajan=. Mit Porträt, gest. von Prof. +Louis Jacoby+. 8. br. Preis 4 fl. Ö. W. Maria Theresia und Josef II. Ihre Correspondenz sammt Briefen Josef’s an seinen Bruder Leopold. Von =A.= v. =Arneth=. 3 Bände. gr. 8. brosch. Preis 12 fl. Ö. W. Reise der österreichischen Fregatte „Novara“ um die Erde in den Jahren 1857, 1858, 1859 unter den Befehlen des Commodore =B.= v. =Wüllerstorf-Arbair=. Beschreibender Theil von ~Dr.~ K. v. Scherzer. Mit vielen Karten, Beilagen und in den Text gedruckten Holzschnitten. Volksausgabe. 2 Bände. gr. 8. brosch. Preis 9 fl. Ö. W. Aus den Tauern. Berg- und Gletscherreisen in den österr. Hochalpen. Von ~Dr.~ =A.= v. =Ruthner=. Mit 6 Abbildungen in Farbendruck und einer Gebirgskarte. gr. 8. in illustr. Umschlag brosch. Preis 6 fl. Ö. W. [Illustration: Druck von Carl Gerold’s Sohn.] * * * * * * Anmerkungen zur Transkription Der vorliegende Text wurde anhand der 1869 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert; ungewöhnliche und altertümliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert. Rechtschreibvarianten wurden nicht vereinheitlicht, sofern die Verständlichkeit des Textes dadurch nicht berührt wird. Die Berichtigung am Ende des Buches wurde bereits in den Text eingearbeitet. Als Tausender-Trennzeichen diente im Originaltext sowohl der Punkt als auch das Komma (z.B. 60.000 bzw. 60,000). Hier wurde keine Vereinheitlichung vorgenommen, da keinerlei Verwechslungsgefahr mit dem Dezimalkomma besteht. ***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK EIN SOMMER IM ORIENT*** ******* This file should be named 56011-0.txt or 56011-0.zip ******* This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/dirs/5/6/0/1/56011 Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. 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START: FULL LICENSE THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase "Project Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg-tm License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession. 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Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. 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Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. 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